ZWEITES
KAPITEL
EIN ANLIEGEN
Die Grundlage für jeden Erfolg
Der erste Schritt zum Reichtum
Als Edwin C. Barnes in Orange, New Jersey, vor über dreißig Jahren vom Güterzug sprang, mochte er ausgesehen haben wie ein Landstreicher, doch seine Gedanken
waren die eines Königs.
Auf dem Weg vom Bahngleis zum Büro von Thomas A. Edison arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren. Er stellte sich vor, wie er vor Edison stehen würde
. Er hörte sich Edison um Gelegenheit bitten, die eine alles verzehrende Obsession seines Lebens zu verwirklichen – das dringende Anliegen, Geschäftspartner des großen Erfinders zu werden.
Was Barnes umtrieb, war mehr als nur eine Hoffnung
oder ein Wunsch
! Es war ein ganz klares, lebendiges Anliegen, das alles andere durchdrang – mit einem konkreten Ziel.
Als er den Erfinder aufsuchte, beherrschte
ihn dieses Anliegen
schon seit Langem. Anfangs mochte es noch ein Wunsch gewesen sein, doch als er damit bei Edison aufkreuzte, war es viel mehr als das.
Ein paar Jahre später stand Edwin C. Barnes erneut vor Edison, im selben Büro, in dem er ihm zum ersten Mal begegnet war. Inzwischen war sein Anliegen längst Realität geworden. Er machte mit Edison Geschäfte.
Sein größter Lebenstraum war in Erfüllung gegangen. Menschen, die Barnes heute kennen, beneiden ihn um den »Durchbruch«,
den ihm das Leben gewährte. Sie sehen ihn in Zeiten des Triumphs und machen sich nicht die Mühe, nach den Gründen
für seinen Erfolg zu fragen.
Barnes hat es geschafft, weil er sich ein konkretes Ziel setzte, das er mit all seiner Energie, Willens- und Tatkraft verfolgte. Er war ja nicht vom ersten Tag an Edisons Partner. Er gab sich mit der Erledigung niederster Arbeiten zufrieden, solange ihm dies die Möglichkeit bot, seinem erklärten Ziel auch nur einen Schritt näher zu kommen.
Fünf Jahre vergingen, bevor sich ihm die Chance bot, auf die er gewartet hatte. In all den Jahren hatte es für ihn keinen Silberstreif am Horizont gegeben, keine Aussicht auf Verwirklichung seines Anliegens. Für alle anderen war Barnes nur ein weiteres Rädchen in Edisons Geschäftsmaschinerie, doch er sah sich selbst immer als Edisons Partner – von dem Tag an, als er anfing, für Edison zu arbeiten.
Das ist ein erstaunliches Beispiel für die Macht eines konkreten Anliegens. Barnes erreichte sein Ziel, weil er unbedingt Edisons Geschäftspartner werden wollte – mehr als alles andere auf der Welt. Er entwickelte einen Plan, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei brach er alle Brücken hinter sich ab. Er hielt an seinem Anliegen fest, bis es sein ganzes Leben bestimmte und schließlich Realität wurde.
Als er nach Orange fuhr, sagte er sich nicht: »Ich will versuchen, Edison dazu zu bringen, mir irgendeinen Job zu geben.« Er sagte sich: »Ich werde Edison aufsuchen und ihm klarmachen, dass ich gekommen bin, um sein Geschäftspartner zu werden.«
Er sagte sich nicht: »Ich werde ein paar Monate dort arbeiten, und wenn sich nichts tut, kündige ich eben und suche mir woanders eine Stelle.« Er sagte sich: »Ich fange irgendwo an. Ich mache alles, was mir Edison aufträgt, doch irgendwann
werde ich sein Partner.«
Er sagte sich nicht: »Ich halte die Augen offen für andere Chancen, falls ich in Edisons Unternehmen nicht finde, was ich suche.« Er sagte sich: »Ich will nur eins
auf dieser Welt: gemeinsam mit Thomas A. Edison ein Unternehmen führen. Ich werde alles andere hinter mir lassen und meine Zukunft ganz darauf ausrichten, dass mir das gelingt.
«
Er ließ sich kein Hintertürchen offen, sondern ging aufs Ganze.
Mehr ist zu Barnes Erfolgsstory nicht zu sagen.
Vor langer Zeit stand ein großer Feldherr vor einer Situation, in der er eine Entscheidung treffen musste, um seinen Erfolg auf dem Schlachtfeld zu sichern. Er würde seine Truppen gegen einen mächtigen, zahlenmäßig weit überlegenen Feind ins Feld führen. Er befahl seinen Soldaten, Schiffe zu besteigen, segelte ins Feindesland, ließ Truppen und Ausrüstung absetzen und gab dann den Befehl, die Schiffe zu verbrennen, die sie hergebracht hatten. Vor der ersten Schlacht sprach er zu seinen Männern: »Ihr seht die Schiffe in Rauch aufgehen. Das bedeutet, wir können diese Gestade nur verlassen, wenn wir siegreich sind! Wir haben keine Wahl – wir siegen oder wir gehen unter
!« Sie haben gesiegt.
Wer ein Vorhaben siegreich zum Abschluss bringen will, muss bereit sein, seine Schiffe zu verbrennen und sich alle Rückzugsmöglichkeiten zu nehmen. Nur dann kann er eine für den Erfolg unabdingbare Grundhaltung aufrechterhalten: das dringende Anliegen, es zu schaffen.
Am Morgen nach dem großen Brand von Chicago
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standen ein paar Ladenbesitzer in der State Street und blickten auf die rauchenden Trümmer ihrer Geschäfte. Sie setzten sich zusammen, um zu entscheiden, ob sie versuchen sollten, alles wieder aufzubauen, oder ob sie Chicago verlassen und in einer aussichtsreicheren Region des Landes neu anfangen sollten. Alle bis auf einen entschieden sich, Chicago den Rücken zu kehren.
Der Geschäftsmann, der bleiben und alles wiederaufbauen wollte, zeigte auf die verkohlten Überreste seines Ladens und sagte: »Meine Herren, genau an dieser Stelle werde ich das großartigste Geschäft der Welt aufbauen, ganz gleich, wie oft es abbrennen sollte.«
Das ist inzwischen über 50 Jahre her. Sein Kaufhaus wurde gebaut. Es steht dort bis heute – ein hoch aufragendes Denkmal für die Kraft einer Einstellung, die aus einem dringenden Anliegen kommt. Die Versuchung war groß für Marshall Field, es seinen Kollegen gleichzutun.
Als es hart auf hart kam und die Zukunft düster aussah, brachen sie ihre Zelte ab und suchten den Weg des geringsten Widerstands.
Beachten Sie diesen Unterschied zwischen Marshall Field und den anderen Kaufleuten, denn dasselbe unterschied Edwin C. Barnes von Tausenden anderen jungen Männern, die in Edisons Unternehmen arbeiteten. Und dasselbe unterscheidet praktisch alle Erfolgsmenschen von den Gescheiterten.
Hat ein Mensch erst einmal verstanden, wozu Geld gut ist, möchte er es gern haben. Doch durch Wünschen allein
ist noch keiner reich geworden. Wer aber unbedingt
reich werden will, mit einer Entschlossenheit, die an Obsession grenzt, wer konkrete Pläne und Methoden entwickelt, um reich zu werden, und diese mit einer Hartnäckigkeit verfolgt, die ein Scheitern nicht zulässt
, der wird es schaffen.
Die Methode, durch die sich das Anliegen, reich zu werden, in die finanzielle Realität umsetzen lässt, besteht aus sechs konkreten praktischen Schritten, nämlich:
Erster Schritt: Setzen Sie sich im Kopf ein genaues
finanzielles Ziel. Es reicht nicht zu sagen: »Ich möchte viel Geld haben.« Legen Sie einen bestimmten Betrag fest. (Es gibt einen psychologischen Grund für diese Konkretisierung, der in einem späteren Kapitel noch erläutert wird.)
Zweiter Schritt: Bestimmen Sie genau, was Sie im Gegenzug leisten wollen. (Von nichts kommt nichts, so ist das nun einmal.)
Dritter Schritt: Legen Sie ein genaues Datum fest, an dem Sie den angestrebten Betrag besitzen
wollen.
Vierter Schritt: Arbeiten Sie einen bestimmten Plan aus, um Ihr Anliegen umzusetzen, und fangen Sie gleich
an, ob Sie dafür bereit sind oder nicht, nach diesem Plan zu handeln
.
Fünfter Schritt: Halten Sie den Betrag, den Sie erwirtschaften wollen, die Frist, die Sie sich dafür gesetzt haben, Ihre Gegenleistung und den genauen Plan, mit dem Sie das alles erreichen wollen, kurz und prägnant schriftlich fest.
Sechster Schritt: Lesen Sie sich zweimal am Tag laut vor, was Sie aufgeschrieben haben – einmal kurz vor dem Schlafengehen und einmal gleich nach dem Aufstehen. Stellen Sie sich beim Lesen möglichst plastisch und überzeugend vor, das Geld bereits zu besitzen.
Befolgen Sie unbedingt die in diesen sechs Schritten beschriebenen Anweisungen. Besonders wichtig ist dabei der sechste Schritt. Vielleicht möchten Sie einwenden, dass es Ihnen nicht möglich ist, »sich im Besitz des Geldes zu sehen«, solange Sie es noch nicht wirklich haben. Dabei hilft ein dringendes Anliegen. Wollen Sie das Geld wirklich so unbedingt haben, dass es für Sie zur Obsession wird, werden Sie sich problemlos überzeugen können, dass Ihnen das auch gelingen wird. Sie müssen so fest entschlossen sein, zu Geld zu kommen, dass Sie selbst daran glauben.
Nur wer ein »Bewusstsein« für Geld entwickelt, wird je zu Reichtum gelangen. »Geldbewusstsein« bedeutet, dass alle Gedanken so von dem Anliegen, reich zu werden, voll sind, dass man es in der eigenen Vorstellung bereits ist.
Dem Uneingeweihten, der nicht weiß, wie der menschliche Geist funktioniert, mögen diese Anweisungen untauglich erscheinen. Allen, die nicht so recht an diese sechs Schritte glauben können, hilft vielleicht weiter, dass die darin vermittelten Informationen von Andrew Carnegie stammen. Er hatte als einfacher Stahlarbeiter angefangen, es aber trotz seiner bescheidenen Herkunft mithilfe dieser Grundsätze zu einem Vermögen von deutlich mehr als 100 Millionen Dollar gebracht.
Nicht minder hilfreich ist womöglich der Hinweis, dass die sechs hier empfohlenen Schritte von Thomas A. Edison sorgfältig geprüft
und nicht nur als wesentliche Voraussetzung für den Aufbau eines Vermögens abgesegnet wurden, sondern auch als Grundlage für das Erreichen jedes konkreten Ziels
.
Die Schritte verlangen keine »harte Arbeit«. Sie fordern keine Opfer. Sie müssen sich dafür weder lächerlich machen noch als leichtgläubig verspotten lassen. Für Ihre Umsetzung sind keine besonderen Kenntnisse erforderlich. Wer die sechs Schritte erfolgreich in die Praxis umsetzen will, benötigt lediglich genügend Vorstellungsvermögen
, um zu erkennen und zu verstehen, dass man den Aufbau eines Vermögens nicht dem Zufall, dem Schicksal oder dem Glück überlassen darf. Sie müssen begreifen, dass alle, die es finanziell weit gebracht haben, zunächst bestimmte Träume, Hoffnungen, Wünsche, Anliegen und Pläne hatten, bevor
sie zu Geld kamen.
Eins kann ich Ihnen gleich sagen: Sie werden es nie zu größerem Reichtum bringen, wenn Ihnen das nicht zum dringenden Anliegen wird und wenn Sie sich nicht wirklich vorstellen können, reich zu sein.
Ebenso sollten Sie wissen, dass jede große Führungspersönlichkeit der gesamten Menschheitsgeschichte ein Träumer war. Das Christentum ist heute die Kraft mit dem größten Einflusspotenzial in der Welt, weil sein Begründer hochfliegende Träume hatte. Er hatte die Vision und die Vorstellungskraft, die Wirklichkeit mental und spirituell wahrzunehmen, noch bevor sie physische Formen annahm.
Wenn Sie sich viel Geld nicht vorstellen können, dann werden Sie es auch nie auf dem Konto haben.
Noch nie in der amerikanischen Geschichte boten sich pragmatischen Träumern solche Chancen wie heute. Der sechs Jahre währende Zusammenbruch der Wirtschaft hat alle Menschen mehr oder minder auf gleiches Niveau gebracht. Ein neuer Wettlauf steht bevor. In Aussicht sind riesige Vermögen, die innerhalb der nächsten zehn Jahre aufgebaut werden. Die Spielregeln haben sich verändert, weil sich die Welt verändert hat, und zwar zum Vorteil der breiten Masse – all jener, die unter den während der Krise herrschenden Bedingungen wenig
oder keine Chancen auf Erfolg hatten, als die Angst das Wachstum und die Entwicklung lähmte.
Wir, die wir uns jetzt in den Startlöchern befinden für das Rennen um den großen Reichtum, sollten dies in der Zuversicht tun, dass die veränderte Welt, in der wir leben, nach neuen Ideen, neuen Verfahren, neuen Leitfiguren, neuen Erfindungen, neuen Lehrmethoden, neuen Marketingstrategien, neuen Büchern, neuer Literatur, neuen Radiosendungen und neuen Ideen für Filme verlangt. Hinter dieser Nachfrage nach Neuem und Besserem steht eine Eigenschaft, die Voraussetzung ist für jeden Erfolg – nämlich eine bestimmte Absicht. Sie müssen wissen, was Sie wollen – und das muss Ihnen zum dringenden Anliegen werden.
Die Wirtschaftskrise kennzeichnete das Ende einer Ära und den Anfang einer neuen. In dieser veränderten Welt sind pragmatische Träumer gefragt, die ihre Träume verwirklichen können und werden
. Solche Menschen sind und waren stets die Taktgeber der Zivilisation.
Wir, die wir alle gern reich werden möchten, sollte bedenken, dass die echten Leitfiguren der Weltgeschichte stets Menschen waren, die die unerklärbaren, vagen Kräfte von noch nicht realen Chancen zu nutzen verstanden und diese Kräfte (oder Impulse) in Wolkenkratzer, Großstädte, Fabriken, Flugzeuge, Autos und alle die anderen Dinge verwandelten, die das Leben angenehmer machen.
Heute muss ein Träumer tolerant und aufgeschlossen sein. Wer Angst vor neuen Ideen hat, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Nie war die Zeit so ideal für Pioniere wie jetzt. Natürlich gibt es keinen Wilden Westen mehr zu erobern wie in den Tagen der Pioniere mit ihren Planwagen. Doch es gilt, eine große Wirtschafts-, Finanz- und Industriewelt umzubauen und neu und besser zu gestalten.
Wenn Sie vorhaben, sich Ihren Anteil am Reichtum zu sichern, lassen Sie sich nicht dazu verleiten, Träumern mit Verachtung zu begegnen. Um in dieser veränderten Welt mit hohen Einsätzen zu gewinnen, brauchen Sie den Geist der großen Pioniere früherer Zeiten, die der Zivilisation durch ihre Träume alle wertvollen
Errungenschaften gebracht haben, den Geist, der das Lebensblut unseres Landes ist – unser aller Chance, unsere Fähigkeiten zu entwickeln und zu vermarkten.
Sie wissen ja: Kolumbus träumte von einer neuen Welt, setzte sein Leben aufs Spiel, weil er an ihre Existenz glaubte, und entdeckte sie!
Der große Astronom Kopernikus träumte von vielen Welten und offenbarte sie! Niemand bezeichnete ihn mehr als »weltfremd«, nachdem
er triumphiert hatte. Stattdessen huldigte ihm die ganze Welt und bewies damit einmal mehr: »Für Erfolg braucht man keine Ausrede, für Misserfolg gibt es keine.«
Wenn das, was Sie vorhaben, richtig ist, und wenn Sie wirklich daran glauben
, dann legen Sie los! Setzen Sie Ihren Traum durch und hören Sie nicht auf das, was »die anderen« sagen, wenn Sie Rückschläge erleben, denn »die anderen« wissen vielleicht nicht, dass jeder Fehlschlag den Keim eines entsprechenden Erfolgs in sich trägt.
Henry Ford war arm und ungebildet. Doch er träumte von einem pferdelosen Wagen für alle, machte sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln an die Arbeit, ohne auf eine günstige Gelegenheit zu warten, und heute ist sein Traum in aller Welt offensichtliche Realität. Er hat mehr bewegt als jeder andere, weil er keine Angst davor hatte, seinen Traum zu leben.
Thomas Edison träumte von elektrischem Licht, begann unverzüglich, seinen Traum in die Tat umzusetzen, und hielt auch nach mehr als 10 000
Fehlversuchen an seinem Traum fest, bis er ihn verwirklicht hatte. Pragmatische Träumer geben nicht auf
!
George Whelan träumte von einer Kette von Zigarrengeschäften, verwirklichte seinen Traum, und heute finden sich United Cigar Stores in besten Lagen in ganz Amerika.
Abraham Lincoln träumte von der Befreiung der Sklaven, schritt zur Tat und hätte beinahe noch erlebt, wie die wieder vereinten Nordund Südstaaten seinen Traum Realität werden ließen.
Die Gebrüder Wright träumten von einer Flugmaschine. Dass dieser Traum Wirklichkeit wurde, ist heute in aller Welt zu sehen
.
Guglielmo Marconi träumte von einem Verfahren zur Nutzung der unsichtbaren Kräfte des Äthers. Dass er nicht vergebens geträumt hatte, belegten bald Radio- und Fernsehgeräte. Marconis Traum sorgte außerdem dafür, dass die kleinste Hütte und der prächtigste Herrensitz näher zusammenrückten. Durch ihn wurden Menschen aller Länder weltweit zu Nachbarn. Er gab dem Präsidenten der Vereinigten Staaten die Möglichkeit, spontan alle Menschen Amerikas auf einmal anzusprechen. Übrigens: Als Marconi verkündete, er habe entdeckt, wie sich Nachrichten ohne Kabel oder andere direkte physische Kommunikationsmittel durch die Luft übertragen ließen, wurde er von »Freunden« entmündigt und zur Untersuchung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Das passiert den Träumern von heute nicht mehr.
Die Welt hat sich an neue Entdeckungen gewöhnt. Sie zeigt sogar die Bereitschaft, Träumer zu belohnen, die der Welt eine neue Idee bescheren.
»Selbst die größte Errungenschaft war zunächst nicht mehr als ein Traum. Die Eiche schlummert in der Eichel; der Vogel wartet im Ei. Und in der höchsten Vision der Seele bewegt sich ein wachender Engel. Träume sind die Samenkörner der Wirklichkeit.«
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Wacht auf, steht auf und setzt euch durch, ihr Träumer dieser Welt. Jetzt seid ihr auf dem Vormarsch. Die Wirtschaftskrise brachte die Gelegenheit, auf die ihr gewartet habt. Sie hat die Menschen Bescheidenheit, Toleranz und Aufgeschlossenheit gelehrt.
Die Welt bietet heute eine Fülle von Chancen, wie sie die Träumer der Vergangenheit nie gekannt haben.
Das dringende Anliegen, etwas Bestimmtes zu sein oder zu tun, ist die Voraussetzung für jeden Träumer. Träume entstehen nicht aus Gleichmut, Faulheit oder mangelndem Ehrgeiz.
Die Welt rümpft über Träumer nicht mehr die Nase und hält sie auch nicht für lebensfremd. Wenn Sie dennoch der Meinung sind,
dann reisen Sie doch nach Tennessee und schauen Sie sich mit eigenen Augen an, was ein Präsident und Träumer erreicht hat bei der Nutzung der enormen Wasserkraft Amerikas.
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Noch vor Jahren wäre ein solcher Traum verrückt erschienen!
Sie wurden enttäuscht, Sie mussten während der Wirtschaftskrise Rückschläge verkraften, Ihr großes Herz blutete? Fassen Sie Mut, denn diese Erfahrungen haben das Metall gehärtet, aus dem Ihr Geist geschmiedet ist. Sie sind unschätzbar wertvolle Aktivposten.
Vergessen Sie nie: Wer im Leben Erfolg hat, hat immer auch Fehlstarts erlebt und viele herzzerreißende Kämpfe überstanden, bevor er es »geschafft hat«. Der Wendepunkt für die Erfolgreichen im Leben liegt gewöhnlich in einer Krise, durch die sich ein Mensch von einer anderen Seite kennenlernt.
Die
Pilgerreise
(
The Pilgrim’s Progress
)
9
gehört zum Besten, was die englische Literatur zu bieten hat. John Bunyan schrieb sie nach einer langen Haftstrafe, zu der er wegen seiner religiösen Überzeugungen verurteilt worden war.
O. Henry entdeckte seine Genialität, nachdem ihm großes Unglück widerfahren war und er in Columbus, Ohio, im Gefängnis gesessen hatte. Weil er durch sein schlimmes Schicksal gezwungen war, sein »anderes Selbst« kennenzulernen und seine Fantasie zu benutzen, entdeckte er in sich den großen Autor statt des elenden Verbrechers und Außenseiters. Das Leben geht oft seltsame, verschlungene Wege, und noch seltsamer sind die Wege der grenzenlosen Intelligenz, auf denen Menschen manchmal erst alle möglichen Schikanen ertragen müssen, bevor sie ihr eigenes geistiges Potenzial entdecken – und ihre Fähigkeit, durch ihre Vorstellungskraft brauchbare Ideen hervorzubringen
.
Der große Erfinder und Wissenschaftler Edison tingelte als Telegrafist durch das Land und scheiterte unzählige Male, bevor er auf das Genie gestoßen wurde, das in ihm schlummerte.
Charles Dickens musste als Jugendlicher in einer Fabrik für Schuhpolitur Etiketten kleben. Später erschütterte ihn seine unglückliche erste Liebe bis in die Tiefen seiner Seele. Erst dadurch wurde er zum weltberühmten Schriftsteller. Sein persönliches Unglück brachte zunächst den Roman David Copperfield
hervor und dann eine Reihe weiterer Werke, die die Welt für alle, die sie lasen, reicher und besser machten. Enttäuschungen in der Liebe treiben Männer gewöhnlich in den Suff und Frauen in den Ruin. Das ist so, weil die wenigsten Menschen gelernt haben, wie sie ihre intensivsten Gefühlsregungen in konstruktive Träume verwandeln können.
Helen Keller wurde schon bald nach ihrer Geburt taub, stumm und blind. Trotz dieses schweren Schicksalsschlags prägte sie ihren Namen unauslöschlich in die Geschichtsbücher ein. Ihr Leben lang bewies sie immer wieder, dass niemand wirklich besiegt ist, solange er die Niederlage nicht als unabänderlich hinnimmt
.
Robert Burns kam vom Land, konnte weder lesen noch schreiben, war bettelarm und verfiel obendrein dem Alkohol. Dennoch bereicherte er die Welt durch seine Existenz, weil er schöne Gedanken in poetische Sprache fasste. Bildhaft gesprochen, riss er einen Dorn aus und ließ an seiner Stelle eine Rose wachsen.
Booker T. Washington wurde als Sklave geboren, benachteiligt durch Rasse und Hautfarbe. Doch weil er tolerant, stets für alle Themen aufgeschlossen und ein Träumer war, drückte er der ganzen Menschheit seinen positiven Stempel auf.
Beethoven wurde taub, Milton war blind, doch ihre Namen bleiben unvergessen, weil sie ihre Träume nicht nur geträumt, sondern umgesetzt haben.
Bevor Sie mit dem nächsten Kapitel beginnen, entfachen Sie bitte in sich erneut die Flamme der Hoffnung, des Glaubens, des Mutes und der Toleranz. Mit dieser Einstellung und dem praktischen Wissen
um die beschriebenen Grundsätze wird sich alles, was Sie sonst noch brauchen, von alleine einfinden, sobald Sie bereit
dafür sind. Emerson hat das so formuliert:
»Jedes Sprichwort, jedes Buch, jedes kleine Wörtchen, das dir zur Hilfe und Trost bestimmt ist, wird auf geraden oder verschlungenen Wegen zu dir gelangen. Jeder Freund, den nicht dein launischer Wille, sondern das große, liebevolle Herz in dir herbeisehnt, wird dich in seine Arme schließen.«
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Es ist ein Unterschied, ob man sich etwas wünscht
oder ob man auch bereit
ist, es zu empfangen. Niemand ist für etwas bereit
, an das er nicht glaubt
. Man muss glauben
, nicht nur hoffen oder wünschen. Die Voraussetzung für Glauben ist Aufgeschlossenheit. Wer nicht aufgeschlossen ist, der bringt nicht die nötige Zuversicht, den Mut und den Glauben auf.
Denken Sie immer daran: Es ist nicht mühsamer, im Leben hoch hinauszuwollen und Überfluss und Wohlstand zu fordern, als sich mit Elend und Armut abzufinden. Eine große Dichterin hat diese allgemeingültige Wahrheit in folgenden Zeilen trefflich formuliert:
»I bargained with Life for a penny,
And Life would pay no more,
However I begged at evening
When I counted my scanty store.
For Life is a just employer,
He gives you what you ask,
But once you have set the wages,
Why, you must bear the task
.
I worked for a menial’s hire,
Only to learn, dismayed,
That any wage I had asked of Life,
Life would have willingly paid.«
11
EIN ANLIEGEN IST STÄRKER ALS MUTTER NATUR
Als passenden Höhepunkt für dieses Kapitel möchte ich Ihnen einen der außergewöhnlichsten Menschen vorstellen, die ich kenne. Zum ersten Mal sah ich ihn vor 24 Jahren, ein paar Minuten nach seiner Geburt. Er kam ohne Ohren zur Welt, und der Arzt äußerte auf eindringliche Nachfrage die Einschätzung, dass er sein Leben lang taubstumm bleiben könnte. Damit konnte ich mich nicht abfinden. Und dazu hatte ich jedes Recht, denn schließlich war ich der Vater. Ich zog meine eigenen Schlüsse und bildete mir eine Meinung, die ich jedoch nicht äußerte, sondern still im Herzen trug. Ich beschloss, dass mein Sohn hören und sprechen würde. Die Natur konnte mir zwar ein Kind ohne Ohren vorsetzen, doch sie konnte mich nicht dazu bringen
, dieses Gebrechen als unabänderlich hinzunehmen
.
Tief in meinem Inneren wusste ich, dass mein Sohn hören und sprechen würde. Woher? Weil ich sicher war, dass es einen Weg geben musste, und ich wusste, ich würde ihn finden. Ich dachte an die Worte des unsterblichen Emerson: »Der Lauf der Dinge lehrt uns allenthalben Zuversicht. Wir müssen uns nur danach richten. Jeder von uns erhält Fingerzeige, und wenn wir nur aufmerksam zuhören, werden wir das entscheidende Wort
auch hören.«
Was aber ist das entscheidende Wort? Ein Anliegen. Mein größtes Anliegen war, dass mein Sohn nicht taubstumm werden sollte. Von diesem Anliegen ließ ich mich nicht eine Sekunde lang abbringen.
Jahre zuvor hatte ich geschrieben: »Unsere einzigen Grenzen sind die, die wir uns selbst setzen.« Zum ersten Mal im Leben fragte ich mich, ob das stimmte. Vor mir auf dem Bett lag ein Neugeborenes, dem die von der Natur vorgesehenen Hörwerkzeuge fehlten. Selbst wenn mein Sohn vielleicht hören und sprechen lernen würde, war er doch ganz offensichtlich fürs Leben entstellt. Das war sicherlich eine Grenze, die sich das Kind nicht selbst gesetzt hatte.
Was konnte ich tun? Irgendwie musste ich einen Weg finden, meinem Kind mein wichtigstes Anliegen in den Kopf zu setzen: auch ohne Ohren Töne an sein Gehirn zu übermitteln.
Sobald das Kind alt genug war, um mitzuwirken, würde ich es so mit dem dringenden Anliegen erfüllen, zu hören, dass die Natur einen Weg finden würde, das in physische Realität umzusetzen.
Das alles ging mir durch den Kopf, doch ich sprach mit niemandem darüber. Ich wiederholte lediglich täglich, was ich mir gelobt hatte – nämlich mich nicht mit einem taubstummen Sohn abzufinden.
Als der Junge älter wurde und begann, seine Umwelt wahrzunehmen, merkten wir, dass er ein gewisses Hörvermögen besaß. Als er in das Alter kam, in dem Kinder gewöhnlich sprechen lernen, machte er keine Anstalten dazu, doch seine Reaktionen zeigten uns, dass er bestimmte Geräusche bis zu einem gewissen Grad wahrnahm. Mehr wollte ich gar nicht wissen! Ich war überzeugt, wenn er auch nur das geringste bisschen hören konnte, dann könnte er sein Hörvermögen
steigern. Dann geschah etwas, das mir gänzlich unerwartet neue Hoffnung machte.
Wir kauften ein Grammophon. Als der Junge zum ersten Mal die Musik hörte, geriet er außer sich vor Begeisterung und ergriff umgehend Besitz von dem Gerät. Bald stellten wir fest, dass er bestimmte Schallplatten besonders gern mochte, unter anderem »It’s a Long Way to Tipperary«. Einmal spielte er das Stück fast zwei Stunden lang immer wieder. Dabei stand er vor dem Gerät, mit den Zähnen am Gehäuserand des Geräts
. Die Bedeutung dieser Haltung, die er sich intuitiv angewöhnt hatte, wurde uns erst Jahre später bewusst, denn von dem Prinzip der »Knochenleitung« hatten wir damals noch nichts gehört.
Kurz nachdem mein Sohn das Grammophon für sich entdeckt hatte, stellte ich fest, dass er mich recht gut hören konnte, wenn ich meine Lippen auf seinen Warzenfortsatz legte, eine Stelle ganz unten am Schläfenbein. Diese Erkenntnisse eröffneten mir die Möglichkeit, mein dringendes Anliegen
zu verwirklichen, meinem Sohn zu Hörund Sprachvermögen zu verhelfen. Damals versuchte er schon von sich aus, bestimmte Wörter zu sagen. Die Aussichten waren alles andere als ermutigend, doch ein Anliegen, an das jemand glaubt, ist nie unrealisierbar.
Sobald ich wusste, dass er den Klang meiner Stimme eindeutig wahrnehmen konnte, begann ich, ihm das Anliegen einzureden, zu hören und zu sprechen. Bald merkte ich, dass das Kind Freude an Gutenachtgeschichten hatte. Also ging ich strategisch vor und dachte mir Geschichten aus, die ihm Selbstbestimmtheit, Fantasie und das dringende Anliegen
vermitteln sollten, zu hören und normal zu sein
.
Insbesondere eine Geschichte erzählte ich ihm besonders oft und jedes Mal mit einer neuen, dramatischen Nuance. Sie sollte ihm vermitteln, dass seine Behinderung keine Belastung war, sondern ein wertvoller Aktivposten. Obwohl all meine philosophischen Analysen zweifelsfrei ergeben hatten, dass jede Widrigkeit auch einen entsprechenden Vorteil in sich trägt, muss ich gestehen, dass ich nicht die
leiseste Ahnung hatte, wie
sich diese Beeinträchtigung als Pluspunkt erweisen sollte. Trotzdem verpackte ich diese Anschauung weiter in Gutenachtgeschichten und hoffte, er würde irgendwann selbst darauf kommen, wie er sich seine Behinderung zunutze machen konnte.
Mein Verstand sagte mir ganz klar, dass sich fehlende Ohren und mangelndes natürliches Hörvermögen nicht angemessen kompensieren ließen. Doch das vom Glauben getragene dringende Anliegen schob die Vernunft beiseite und schenkte mir den Antrieb weiterzumachen.
Wenn ich die Erfahrung im Rückblick analysiere, erkenne ich heute, dass das Vertrauen
meines Sohnes zu mir
enormen Einfluss auf das erstaunliche Endergebnis hatte. Ich vermittelte ihm die Vorstellung, dass er seinem älteren Bruder etwas Bestimmtes voraushatte
, was sich in vieler Hinsicht auswirken würde – zum Beispiel, dass die Lehrer in der Schule wüssten, dass er keine Ohren hatte, und sich seiner deshalb besonders aufmerksam annehmen und freundlicher mit ihm umgehen würden. So war es auch. Dafür sorgte schon seine Mutter, indem sie die Lehrer aufsuchte und mit ihnen besprach, welche Sonderbehandlung er erhalten sollte. Ich machte ihn auch mit der Vorstellung vertraut, dass er es, wenn er alt genug war, Zeitungen auszutragen (sein älterer Bruder tat das bereits), viel leichter haben würde als dieser, weil ihm seine Kunden mehr Trinkgeld geben würden, wenn sie sahen, dass er auch ohne Ohren ein cleverer, fleißiger Junge war.
Wir konnten feststellen, dass sein Hörvermögen nach und nach leicht zunahm. Außerdem zeigte er nicht die geringste Tendenz, sich seiner Behinderung zu schämen. Er war etwa sieben Jahre alt, als unsere Methode, ihn geistig zu beeinflussen, erste Früchte trug. Monatelang drängte er uns, ihn endlich Zeitungen austragen zu lassen, doch seine Mutter erlaubte es nicht. Sie hatte Angst, alleine auf der Straße könne es wegen seiner weitgehenden Taubheit gefährlich für ihn sein.
Schließlich nahm er die Angelegenheit selbst in die Hand. Eines Nachmittags, als er mit den Dienstboten alleine zu Hause war, kletterte
er aus dem Küchenfenster, ließ sich zu Boden gleiten und zog alleine los. Er borgte sich sechs Cent Startkapital vom Schuster in unserem Viertel und investierte sie in Zeitungen. Als er alle Exemplare verkauft hatte, reinvestierte er den Erlös. Das machte er bis zum Abend immer wieder. Dann rechnete er ab, zahlte seinem Geldgeber die geborgten sechs Cent zurück und verbuchte 42 Cent Reingewinn. Als wir abends nach Hause kamen, lag er schon schlafend im Bett. Das Geld hielt er fest umklammert.
Seine Mutter öffnete seine kleine Faust, nahm die Münzen heraus … und weinte. Als ob der erste Triumph ihres Sohnes ein Grund zum Weinen gewesen wäre. Ich reagierte ganz anders. Ich freute mich aus tiefster Seele, denn nun wusste ich, dass es mir gelungen war, meinem Sohn Selbstvertrauen zu vermitteln.
Seine Mutter sah in seiner ersten geschäftlichen Unternehmung nur einen kleinen tauben Jungen, der auf der Straße sein Leben riskiert hatte, um Geld zu verdienen. Ich sah einen tapferen, ehrgeizigen, selbstständigen kleinen Geschäftsmann, dessen eigene Aktien gerade um 100 Prozent gestiegen waren, weil er die Initiative ergriffen und Erfolg gehabt hatte. Das gefiel mir, denn damit hatte er eine Findigkeit bewiesen, die ihm ein Leben lang erhalten bleiben würde, wie sich später herausstellen sollte. Sein älterer Bruder warf sich, wenn er etwas haben wollte, auf den Boden, strampelte mit den Beinen und schrie so lange, bis er es bekam. Der »kleine Taube« dagegen fand einen Weg, sich das Geld dafür zu verdienen und kaufte es sich. So macht er es bis heute!
Mein eigener Sohn hat mir beigebracht, dass ein Handicap ein Tritt-brett sein kann, um ein erstrebenswertes Ziel zu erreichen, wenn man es nicht als Hindernis akzeptiert und als Ausrede benutzt.
Der kleine taube Junge absolvierte Schule und College, ohne seine Lehrer zu hören, wenn sie ihn nicht laut aus der Nähe ansprachen. Er ging auf keine Schule für Hörgeschädigte. Wir erlaubten ihm nicht, die Zeichensprache zu erlernen. Wir wollten unbedingt, dass er ein normales Leben führen und unter normalen Kindern aufwachsen
sollte, und an diesem Entschluss hielten wir fest, auch wenn uns das viele hitzige Diskussionen mit Lehrern und anderen Vertretern des Bildungswesens eintrug.
Auf der Highschool probierte mein Sohn ein elektrisches Hörgerät aus, was ihm jedoch von keinem Nutzen war. Wir vermuteten, dass das an einem Umstand lag, der festgestellt wurde, als der Junge sechs Jahre alt war. Damals operierte Dr. J. Gordon Wilson aus Chicago eine Seite seines Kopfes und stellte dabei fest, dass es keinen Hinweis auf natürliche Hörorgane gab.
In seiner letzten Collegewoche (18 Jahre nach der Operation) ereignete sich der wichtigste Wendepunkt in seinem Leben. Zufällig bekam er ein anderes elektrisches Hörgerät in die Hände, das ihm zum Ausprobieren überlassen wurde. Nach der enttäuschenden ersten Erfahrung mit einem solchen Gerät ließ er sich damit Zeit. Irgendwann nahm er es, setzte es mehr oder minder gedankenlos auf, schaltete es ein und plötzlich – wie durch ein Wunder – wurde sein lebenslanger Wunsch, normal zu hören, wahr! Zum ersten Mal im Leben hörte er praktisch genauso gut wie jeder andere. Die Wege des Herrn sind unergründlich.
Überglücklich über die neue Welt, die sich ihm durch das Hörgerät erschloss, griff er zum Telefon, rief seine Mutter an und vernahm zum ersten Mal im Leben klar und deutlich ihre Stimme. Am nächsten Tag hörte er erstmals die Stimmen seiner Dozenten im Unterricht! Zuvor hatte er sie nur verstehen können, wenn sie aus nächster Nähe sehr laut mit ihm sprachen. Er konnte Radio hören. Er hörte
Filme. Zum ersten Mal konnte er sich ungehindert mit anderen unterhalten, ohne dass sie ihn anschreien mussten. Damit war die Welt für ihn anders geworden. Wir hatten uns hartnäckig geweigert, den Irrtum der Natur hinzunehmen, und die Natur durch unser dringendes Anliegen dazu gebracht, ihren Fehler mithilfe des einzigen verfügbaren praktischen Mittels zu korrigieren.
Unser unbedingter Wille zahlte sich allmählich aus, doch der Triumph war noch nicht vollkommen. Der Junge musste noch einen
eindeutigen, realisierbaren Weg finden, sein Handicap in einen eben-so großen Vorteil
umzumünzen.
Die ganze Tragweite des Erreichten hatte er noch gar nicht erfasst, doch im Freudentaumel über die neu entdeckte Welt der Klänge schrieb er dem Hersteller des Hörgeräts und schilderte begeistert seine Erfahrung. Irgendetwas an diesem Brief – vielleicht stand es zwischen den Zeilen – veranlasste die Firma, ihn nach New York einzuladen. Als er ankam, wurde er durch die Fabrik geführt. Im Gespräch mit dem technischen Leiter, dem er von seiner veränderten Welt berichtete, schoss ihm eine vage Idee durch den Kopf – vielleicht eine Eingebung, nennen Sie es, wie Sie wollen. Dieser gedankliche Impuls
war es, der seine Beeinträchtigung in einen Aktivposten verwandelte, der sich nicht nur finanziell auszahlen sollte, sondern auch in Form des Glücks, das er in Zukunft Tausenden Menschen bescheren sollte.
Dieser Impuls lief im Grunde auf Folgendes hinaus: Ihm ging auf, dass er Millionen von Tauben, die ohne die Segnungen von Hörgeräten lebten, helfen könnte, wenn er einen Weg fände, ihnen von seiner veränderten Welt zu erzählen. Damals fasste er den Entschluss, sich sein Leben lang dem Dienst an Schwerhörigen zu verschreiben.
Einen ganzen Monat lang führte er intensive Recherchen durch, im Zuge derer er das gesamte Marketingsystem des Hörgeräteherstellers analysierte und Mittel und Wege zur Kommunikation mit Schwerhörigen in aller Welt fand, um ihnen von seiner neu entdeckten »veränderten Welt« zu erzählen. Sobald diese Arbeit getan war, stellte er auf der Grundlage seiner Ergebnisse einen Zweijahresplan auf. Als er diesen Plan im Unternehmen präsentierte, bot man ihm spontan eine Stelle an, damit er sein ehrgeiziges Ziel verwirklichen konnte.
Als er sich an die Arbeit machte, hätte er sich nie träumen lassen, dass er dazu bestimmt war, Tausenden Menschen, die ohne seine Hilfe zu einem Dasein als Taubstumme verdammt gewesen wären, Hoffnung zu geben und ihnen das Leben zu erleichtern.
Kurz nach seinem Eintritt bei dem Hörgerätehersteller lud er mich zu einem Kurs ein, den sein Unternehmen anbot, um Taubstumme
hören und sprechen zu lehren. Davon hatte ich noch nie gehört und nahm daher skeptisch, aber in der Hoffnung teil, dass ich meine Zeit nicht vollkommen verschwenden würde. Quasi im Großformat wurde mir dort demonstriert, was ich seinerzeit getan hatte, um in meinem Sohn das dringende Anliegen zu wecken und wachzuhalten, normal zu hören. Ich erlebte mit, wie Taubstumme tatsächlich hören und sprechen lernten – durch Anwendung desselben Prinzips, das ich vor über 20 Jahren bemüht hatte, um meinen Sohn davor zu bewahren, taubstumm zu werden.
So wurden mein Sohn Blair und ich durch eine seltsame Wendung des Schicksals dazu bestimmt, zu verhindern, dass derzeit noch Ungeborene taubstumm werden, denn soweit ich weiß, sind wir die einzigen Menschen auf der Welt, die zweifelsfrei nachgewiesen haben, dass Taubstummen zu einem normalen Leben verholfen werden kann. Und was bei einem geglückt ist, wird auch für andere möglich sein.
Ich bin mir ganz sicher: Wäre es meiner Frau und mir nicht gelungen, ihm die richtige Einstellung zu vermitteln, er wäre sein Leben lang taubstumm geblieben. Bei seiner Geburt hatte uns der Arzt im Vertrauen mitgeteilt, dass unser Kind womöglich nie hören oder sprechen lernen würde. Vor ein paar Wochen wurde Blair von einem bekannten Spezialisten für solche Fälle, Dr. Irving Voorhees, gründlich untersucht. Er war sehr erstaunt, als er herausfand, wie gut mein Sohn inzwischen hört und spricht, und meinte, nach seinen Untersuchungsergebnissen »dürfte der Junge eigentlich gar kein Hörvermögen haben«. Und doch hört er – obwohl die Röntgenaufnahmen zeigen, dass sein Schädel an der Stelle, an der die Ohren sitzen sollten, keinerlei ffnung zum Gehirn aufweist.
Als ich ihm das dringende Anliegen vermittelte zu hören, zu sprechen und ein ganz normales Leben zu führen, übte dieser Impuls einen seltsamen Einfluss aus, der die Natur zum Brückenbauer machte und den Graben der Stille überspannte, der zwischen seinem Gehirn und der Außenwelt bestand – auf eine Weise, die sich selbst die
namhaftesten Spezialisten nicht erklären können. Es wäre vermessen für mich, Spekulationen darüber anzustellen, wie die Natur dieses Wunder vollbracht hat. Doch es wäre absolut unverzeihlich, der Welt zu verschweigen, was ich über den bescheidenen Anteil sagen kann, den ich an dieser wundersamen Erfahrung hatte. Es ist meine Pflicht und ebenso ein Privileg zu sagen, dass ich aus gutem Grund glaube, dass für einen Menschen, hinter dessen dringendem Anliegen unerschütterliche Zuversicht steht, nichts unmöglich ist.
Tatsächlich kann sich ein dringendes Anliegen auf unerfindliche Weise physisch realisieren. Blair wollte unbedingt normal hören. Und jetzt kann er das! Er wurde mit einer Behinderung geboren, die jemanden mit einem weniger konkreten Anliegen leicht zu einem Dasein am Bettelstab hätte verdammen können. Wie es aussieht, wird ihm eben diese Behinderung nun die Möglichkeit eröffnen, vielen Millionen Hörbehinderten nützliche Dienste zu leisten und sich selbst eine erfüllende, angemessen honorierte Beschäftigung für den Rest seines Lebens zu verschaffen.
Die kleinen »Notlügen«, die ich ihm als Kind einimpfte, indem ich ihn in dem Glauben ließ, seine Beeinträchtigung würde zu einem maßgeblichen Aktivposten, aus dem er Kapital schlagen könne, wurden so gerechtfertigt. Es gibt wahrhaftig nichts Gutes oder Schlechtes, was jemand, der daran glaubt und der es unbedingt erreichen will, nicht verwirklichen kann. Und diese Möglichkeit steht jedem offen.
Ich habe viel Erfahrung im Umgang mit Menschen mit persönlichen Problemen, doch mir ist noch kein anderer Fall untergekommen, der die Macht eines dringenden Anliegens so klar demonstriert hätte. Manchmal begehen Autoren den Fehler, über Themen zu schreiben, von denen sie nur oberflächliche oder sehr elementare Kenntnisse besitzen. Glücklicherweise hatte ich das Privileg, durch die Behinderung meines eigenen Sohnes auf die Probe zu stellen, was ein dringendes Anliegen wirklich bewirken kann. Vielleicht war diese Erfahrung Vorsehung, denn sicher war niemand so geeignet wie er, beispielhaft vorzuführen, was man mit einem dringenden Anliegen
erreicht, wenn es darauf ankommt. Wenn sich selbst die Natur dem unbedingten Willen beugt, wie sollte sich der Mensch widersetzen können?
Die Kraft des menschlichen Geistes ist seltsam und unbegreiflich. Wir verstehen nicht, wie sie alle Umstände, Personen und Gegenstände in ihrer Reichweite nutzt, um ein dringendes Anliegen in physische Realität zu verwandeln. Vielleicht kommt die Wissenschaft diesem Geheimnis irgendwann auf die Spur.
Ich habe auf meinen Sohn das dringende Anliegen übertragen, zu hören und zu sprechen wie ein normaler Mensch. Dieses Anliegen hat sich inzwischen erfüllt. Ich habe ihm das dringende Anliegen eingeimpft, sein größtes Handicap in seinen größten Aktivposten zu verwandeln. Auch das ist Wirklichkeit geworden. Wie dieses unglaubliche Ergebnis zustande kam, ist schnell erzählt. Daran waren drei konkrete Fakten beteiligt: Erstens gab ich meinem Sohn neben dem dringenden Anliegen, normal zu hören, auch die nötige Zuversicht. Zweitens vermittelte ich ihm mein Anliegen über Jahre unablässig und energisch auf jede erdenkliche Weise. Drittens hat er mir geglaubt
!
Als ich dieses Kapitel vollendete, erreichte mich die Nachricht vom Tod von Madame Schumann-Heink.
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Ein kurzer Absatz der Meldung verrät das Geheimnis des spektakulären Erfolgs dieser ungewöhnlichen Frau als Sängerin. Ich zitiere diesen Absatz, weil daraus hervorgeht, dass diesem Erfolg ein dringendes Anliegen zugrunde lag.
Am Anfang ihrer Karriere suchte Madame Schumann-Heink den Direktor der Wiener Hofoper
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auf, der ihre Stimme beurteilen sollte. Das tat er jedoch nicht. Er warf nur einen Blick auf das ungelenke, schlecht gekleidete Mädchen und rief uncharmant: »Wie können Sie erwarten, mit diesem Gesicht und ohne jede Persönlichkeit an der Oper Erfolg zu haben? Vergessen Sie das, mein Kind. Kaufen Sie sich
lieber eine Nähmaschine und verdienen Sie damit ihr Geld. Aus Ihnen wird nie eine Sängerin.«
Nie ist eine lange Zeit! Der Direktor der Wiener Hofoper mochte viel von Gesangstechnik verstehen, hatte aber keine Ahnung davon, was ein dringendes Anliegen ausrichten kann, wenn es sich zur Obsession auswächst. Hätte er mehr über diese Macht gewusst, er hätte nicht den Fehler begangen, ein Genie abzuweisen, ohne ihm auch nur eine Chance zu geben.
Vor ein paar Jahren erkrankte einer meiner Geschäftspartner. Es ging ihm immer schlechter. Am Ende kam er ins Krankenhaus, wo er sich einer Operation unterziehen sollte. Kurz bevor er in den Operationssaal geschoben wurde, sah ich ihn an und fragte mich, wie jemand, der so dünn und ausgemergelt war, eine schwere Operation überstehen sollte. Der Arzt wies mich vorsorglich darauf hin, dass ich wenig Aussicht hatte, ihn lebend wiederzusehen. Doch das war seine
Meinung, nicht die des Patienten. Dieser flüsterte mir, bevor er weggerollt wurde, noch leise zu: »Keine Sorge, Partner, in ein paar Tagen bin ich wieder draußen.« Die betreuende Krankenschwester warf mir einen mitfühlenden Blick zu. Doch der Patient überlebte. Als alles vorüber war, sagte sein Arzt: »Nur sein Lebenswille hat ihn gerettet. Er hätte es nie geschafft, wenn er sich nicht geweigert hätte, zu akzeptieren, dass er sterben könnte.«
Ich glaube an die Macht eines vom Glauben getragenen dringenden Anliegens, weil ich selbst erlebt habe, wie Menschen aus bescheidenen Umständen dadurch zu Macht und Reichtum gelangten. Ich war dabei, als sie dem Tod von der Schippe sprangen. Ich habe gesehen, wie sich Menschen nach zahllosen Rückschlägen wieder hochrappelten. Ich habe miterlebt, wie diese Macht meinem eigenen Sohn ein normales, glückliches, erfolgreiches Leben ermöglichte, obwohl ihn die Natur ohne Ohren in die Welt gesetzt hatte.
Wie kann man die Macht eines dringenden Anliegens gezielt nutzen und instrumentalisieren? Diese Frage beantwortet dieses Kapitel – und alle weiteren. Und diese Botschaft an die Welt steht am Ende der
längsten und vielleicht schlimmsten Depression, die Amerika je erlebt hat. Es ist davon auszugehen, dass diese Botschaft vielen zur Kenntnis gelangt, die unter der Depression gelitten, ihr Vermögen oder ihre Stellung verloren haben, und vielen, die ihre Pläne ändern und ein Comeback schaffen müssen. Ihnen allen möchte ich den Gedanken ans Herz legen, dass vor dem Erfolg, wie auch immer er geartet ist, und vor jedem Ziel das dringende Anliegen stehen muss, etwas Bestimmtes zu erreichen.
Durch ein eigenartiges, bislang ungeklärtes Wirkprinzip der »geistigen Chemie« verpackt die Natur in den Impuls des dringenden Anliegens das »gewisse Etwas«, das Wörter wie »unmöglich« ignoriert und Misserfolg schlicht nicht als reale Möglichkeit akzeptiert.