Zunächst möchte ich klarstellen, dass ich mich hier, wo es um Geographie und Astronomie gehen soll, nicht mit Astrologie beschäftigen werde. Zwar hat sich die Geschichte der Astrologie ständig mit jener der Astronomie überschnitten, aber die imaginären Astronomien und Geographien, von denen ich sprechen will, werden inzwischen allgemein als imaginär oder falsch anerkannt, während es noch heute Geschäftsleute und Staatsoberhäupter gibt, die sich an Astrologen wenden, um zu wissen, wie sie sich verhalten sollen. Daher ist Astrologie keine Wissenschaft, ob eine exakte oder irrige, sondern eine Religion (oder ein Aberglaube — und Aberglauben sind immer die Religionen der anderen), und als solche kann sie weder als wahr noch als falsch bewiesen werden. Sie ist nur eine Glaubensfrage, und in Glaubensfragen mischt man sich besser nicht ein, sei’s auch nur aus Respekt vor denen, die glauben.
Die imaginären Geographien und Astronomien, von denen ich sprechen werde, sind von Leuten praktiziert worden, die den Himmel und die Erde redlich erforschten, so wie sie sie sahen — und auch wenn sie irrten, kann man nicht behaupten, dass sie unredlich waren. Wer sich dagegen heute noch mit Astrologie beschäftigt, weiß sehr wohl, dass er sich auf ein anderes Himmelsgewölbe bezieht als das, welches die Astronomie inzwischen erforscht und definiert hat, und doch verhält er sich ungeniert so, als wäre sein Bild des Himmels das wahre. Angesichts dieser Unredlichkeit der Astrologen fällt es schwer, ihnen mit Sympathie zu begegnen. Sie sind keine Leute, die sich getäuscht haben, sie täuschen die anderen. So viel zu diesem Thema.
Als Kind träumte ich oft über Atlanten. Ich stellte mir Reisen und Abenteuer in fremden Ländern vor, oder ich versetzte mich in die Rolle eines persischen Eroberers, der in die zentralasiatischen Steppen vordrang, um von dort zu den Küsten des Sunda-Archipels zu gelangen und ein Reich zu gründen, das von Ekbatana bis zur Insel Sachalin reichte. Vielleicht ist dies der Grund, warum ich dann als Erwachsener beschloss, all jene Orte zu besuchen, deren Namen einst meine Phantasie beflügelten, wie Samarkand oder Timbuktu, Fort Alamo oder Amazonien, und mir fehlen nur noch Casablanca und Mompracem.1
Schwieriger waren meine Ausflüge in die Astronomie, die immer nur durch einen Mittelsmann stattfanden. In den siebziger und achtziger Jahren beherbergte ich in meinem Landhaus einen Freund, einen Emigranten aus der Tschechoslowakei, der sich Teleskope bastelte, um nachts auf der Dachterrasse den Himmel zu beobachten, und wenn er etwas Interessantes entdeckt hatte, rief er mich herbei. Ich sonnte mich in dem Gedanken, dass nur ich und Kaiser Rudolf II. in Prag das Privileg hatten, dauerhaft einen böhmischen Astronomen auf dem Dach zu haben, aber dann fiel die Berliner Mauer, und mein böhmischer Astronom kehrte nach Böhmen zurück.
Ich tröstete mich mit meiner Sammlung antiquarischer Bücher, die ich Bibliotheca semiologica curiosa, lunatica, magica et pneumatica nenne und die nur Bücher über Falsches enthält. In dieser Sammlung gibt es die Werke von Ptolemäus, aber nicht die von Galilei, und wenn ich als Kind meine imaginären Reisen über dem Schulatlas von De Agostini träumte, bevorzuge ich heute dafür ptolemäische Weltkarten (siehe oben).
Ist dies eine imaginäre Darstellung der damals bekannten Welt? Wir müssen verschiedene Bedeutungen des Wortes »imaginär« unterscheiden. Es gibt Astronomien, die sich eine Welt vorgestellt haben, indem sie sich auf pure Spekulation und mystische Eingebungen gründeten, nicht um zu erklären, wie der sichtbare Kosmos beschaffen ist, sondern welche unsichtbaren und spirituellen Kräfte ihn durchziehen, und es gibt Astronomien, die, obwohl auf Beobachtung und Erfahrung gegründet, sich Erklärungen vorgestellt haben, die wir heute als falsch betrachten. Man braucht sich nur anzusehen, wie Athanasius Kircher in seinem Mundus subterraneus von 1665 die Sonnenflecken erklärt, nämlich als Dampffontänen auf der Oberfläche des Sterns. Einfältig, aber einfallsreich. Und um bei Kircher zu bleiben, auf der vorherigen Seite ist zu sehen, wie er in seiner Turris Babel von 1679 physikalische Prinzipien und mathematische Berechnungen anwandte, um zu beweisen, dass es unmöglich war, den Turm zu Babel bis in den Himmel zu bauen, denn wenn er eine bestimmte Höhe überschritten und das gleiche Gewicht wie der Erdball selbst erreicht hätte, würde er die Erdachse um neunzig Grad kippen lassen.
Anaximenes sprach im 6. Jahrhundert v. Chr. von einer rechteckigen Erde, bestehend aus Erde und Wasser und eingefasst vom Ozean, die auf einer Art Luftkissen schwamm.
Für die Menschen in der Antike war die Annahme, dass die Erde flach sei, einigermaßen realistisch. Für Homer war sie eine Scheibe, umgeben vom Ozean und überdacht vom Himmelsgewölbe, und eine flache Scheibe war sie auch für Thales und Hekataios von Milet. Zu denken, dass sie eine Kugel sei, wie Pythagoras es aus mystisch-mathematischen Gründen tat, war eher unrealistisch. Die Pythagoräer hatten ein komplexes Planetensystem entwickelt, in dem die Erde nicht im Mittelpunkt des Universums stand, sondern an der Peripherie wie auch die Sonne, und alle kugelförmigen Planeten um ein zentrales Feuer rotierten. Dabei erzeugte jede Kugel durch ihr Rotieren einen bestimmten Ton der Tonleiter, und um eine genaue Entsprechung zwischen klanglichen und astronomischen Phänomenen zu erreichen, hatten sie sogar einen inexistenten Planeten eingeführt, die Anti-Erde. In ihrem mathematisch-musikalischen Furor (und ihrer Verachtung für die Sinneserfahrung) hatten die Pythagoräer nicht bedacht, dass, wenn jeder Planet einen Ton der Leiter erzeugt, ihre »Sphärenmusik« eine fürchterliche Dissonanz ergeben müsste, wie wenn eine Katze plötzlich auf die Tasten eines Klaviers springt. Dennoch finden wir diesen Gedanken mehr als tausend Jahre später bei Boethius wieder — und vergessen wir nicht, dass Kopernikus auch von mathematisch-ästhetischen Prinzipien inspiriert war.
Auf empirischen Beobachtungen beruhten dagegen die sukzessiven Beweisführungen für die Kugelgestalt der Erde. Dass die Erde rund ist, wusste natürlich schon Ptolemäus, sonst hätte er sie nicht in dreihundertsechzig Längengrade einteilen können, aber das hatten auch schon Parmenides, Eudoxos, Platon, Aristoteles, Euklid und Archimedes begriffen. Und das wusste auch Eratosthenes, der im 3. Jahrhundert v. Chr. die Länge des Äquators annähernd richtig berechnet hatte, indem er um zwölf Uhr mittags am Tag der Sommersonnwende den Neigungswinkel der Sonne maß, wenn sie sich auf dem Wasser in der Tiefe von Brunnen in Alexandria und in Syene, dem heutigen Assuan, spiegelte.
Doch zur flachen Erde muss hier noch angefügt werden, dass es nicht nur eine Geschichte der imaginären Astronomie gibt, sondern auch eine imaginäre Geschichte der Astronomie, die noch heute in vielen wissenschaftlichen Kreisen überlebt, zu schweigen von den gewöhnlichen Meinungen.
Machen wir einmal ein Experiment und fragen eine normale Person, ruhig auch eine gebildete, was ihrer Meinung nach Christoph Kolumbus beweisen wollte, als er auszog, »den Osten über den Westen zu erreichen«, wie er sagte, und warum die Gelehrten von Salamanca ihn so hartnäckig daran hindern wollten. In den meisten Fällen wird die Antwort sein, dass Kolumbus die Erde für rund hielt, während die Gelehrten von Salamanca glaubten, sie sei eine Scheibe und nach kurzer Fahrt würden die drei Karavellen in den kosmischen Abgrund stürzen.
Das laizistische Denken der Aufklärung hat, erbost über die Weigerung der Kirche, die heliozentrische Hypothese zu akzeptieren, dem ganzen christlichen Denken des Mittelalters (dem patristischen wie dem scholastischen) die Vorstellung von der Erde als flacher Scheibe zugeschrieben. Während des Kampfes der Verfechter der darwinschen Hypothese gegen jede Art von Fundamentalismus hat sich dieser Gedanke dann noch verfestigt. Ging es doch darum, zu beweisen, dass die Kirchen, so wie sie sich über die Form der Erde getäuscht hatten, sich auch über den Ursprung der menschlichen Gattung täuschen konnten. Dazu machte man sich den Umstand zunutze, dass ein christlicher Autor des 4. Jahrhunderts wie Lactantius (in seinen Divinae institutiones) zur Rechtfertigung der zahlreichen Bibelstellen, in denen das Universum in Form eines Tabernakels beschrieben wird, also als rechteckiges Gebilde, sich gegen die heidnischen Theorien von der kugelförmigen Erde stellte, auch weil er die Vorstellung nicht akzeptieren konnte, dass es Antipoden gebe, wo die Menschen kopfunten gehen müssten …
Im Übrigen war entdeckt worden, dass ein byzantinischer Geograph des 6. Jahrhunderts namens Kosmas Indikopleustes in seiner Topographia Christiana die Ansicht vertreten hatte, das Universum sei ein rechteckiges Gebilde mit einem Bogen, der sich über dem flachen Erdboden wölbte — also wieder das biblische Tabernakel.
Das halbrunde Deckengewölbe bleibt unseren Augen durch das Stereoma verborgen, den Schleier des Firmaments. Darunter erstreckt sich die Oikumene, die bewohnte Welt, die auf dem Okeanos ruht und über einen unmerklich und kontinuierlich ansteigenden Hang nach Nordwesten aufsteigt, wo sich ein so hohes Gebirge erhebt, dass sein Vorhandensein unseren Augen entgeht und sein Gipfel mit den Wolken verschmilzt. Die Sonne, die von Engeln bewegt wird — denen wir auch den Regen, die Erdbeben und alle anderen atmosphärischen Phänomene verdanken —, zieht morgens von Osten nach Süden vor dem Berg vorbei, sodass sie die Erde erhellt, und verschwindet abends im Westen hinter dem Berg. Den umgekehrten Lauf vollziehen der Mond und die Sterne.
Kosmas zeigt auch die Erde, wie sie von oben aussieht. Außen ist der Rahmen des Okeanos, jenseits davon sind Länder, in denen Noah vor der Sintflut lebte. Ganz im Osten dieser Länder, getrennt vom Okeanos durch Regionen, die von allerlei Monsterwesen bewohnt sind, liegt das Irdische Paradies. In ihm entspringen die Flüsse Euphrat, Tigris und Ganges, durchqueren den Okeanos und ergießen sich in den Persischen Golf, während der Nil einen weiten Umweg durch die vorsintflutlichen Länder macht, dann den Okeanos durchquert, durch die Unteren Südregionen fließt, genauer gesagt durch Ägypten, und sich in den Romäischen Golf ergießt, das heißt ins Mittelmeer.
Wie Jeffrey Burton Russell in seinem Buch Inventing the Flat Earth2 gezeigt hat, versichern viele angesehene Bücher zur Geschichte der Astronomie, die noch heute in Schulen verwendet werden, dass Kosmas’ Theorie während des ganzen Mittelalters die vorherrschende Meinung gewesen sei, dass die mittelalterliche Kirche gelehrt habe, die Erde sei eine Scheibe mit Jerusalem in der Mitte, und dass selbst die Werke des Ptolemäus im Mittelalter unbekannt gewesen seien. In Wirklichkeit wurde der Text des Kosmas, der auf Griechisch verfasst war, also in einer Sprache, die das lateinische Mittelalter vergessen hatte, der westlichen Welt erst 1706 bekannt und erst 1897 auf Englisch veröffentlicht. Kein mittelalterlicher Autor hat ihn gekannt.
Auch ein Schüler der ersten Gymnasialklasse kann leicht folgern, dass Dante, wenn er in den Trichter der Hölle hinabsteigt und auf der anderen Seite zu Füßen des Läuterungsberges herauskommt, wo er unbekannte Sterne am Himmel sieht, sehr genau gewusst haben muss, dass die Erde rund ist. Aber derselben Ansicht waren auch Origenes und Ambrosius, Albertus Magnus und Thomas von Aquin, Roger Bacon und Johannes von Sacrobosco, um nur einige zu nennen. Bei dem Streit mit Kolumbus ging es einfach darum, dass die Gelehrten von Salamanca genauere Berechnungen als er angestellt hatten und der Meinung waren, die Erde (die auch für sie kugelrund war) sei sehr viel größer, als der Genuese glaubte, weshalb es unsinnig sei, sie umsegeln zu wollen. Kolumbus dagegen, ein guter Seemann, aber ein miserabler Astronom, hielt die Erde für kleiner, als sie war. Natürlich hatten weder er noch die Gelehrten von Salamanca gedacht, dass zwischen Europa und Asien ein weiterer Kontinent lag. Obwohl sie recht hatten, hatten die Gelehrten von Salamanca unrecht, und Kolumbus, der unrecht hatte, hat seinen Irrtum hartnäckig verfolgt und am Ende recht behalten — durch einen Glücksfall, ein Musterbeispiel an serendipity.
Wie konnte sich die Vorstellung verbreiten, das Mittelalter habe die Erde als eine flache Scheibe betrachtet? Im 7. Jahrhundert berechnete Isidor von Sevilla (der kein Musterknabe in puncto wissenschaftlicher Akribie war) die Länge des Äquators mit achtzigtausend Stadien. Aber gerade in Isidors Manuskripten taucht ein Diagramm auf, das viele Darstellungen unseres Planeten inspiriert hat, die sogenannte T-Karte.
Der obere Halbkreis stellt Asien dar, mit dem Osten oben, denn im Osten Asiens lag der Legende nach das Irdische Paradies. Der horizontale Balken stellt links das Schwarze Meer und rechts den Nil dar, der vertikale das Mittelmeer, weshalb das linke Viertel Europa und das rechte Afrika zeigt. Rings um das Ganze legt sich der große Kreis des Mare Oceanum.
Den Eindruck, dass die Erde als Kreis gesehen worden sei, machen die Weltkarten in den Apokalypsen-Kommentaren des Beatus von Liébana, einem im 8. Jahrhundert verfassten Text, der jedoch in den folgenden Jahrhunderten, illustriert von mozarabischen Miniaturenmalern, großen Einfluss auf die Kunst der romanischen Abteien und der gotischen Kathedralen hatte, und T-Karten finden sich auch in zahllosen anderen illuminierten Handschriften.
Wie war es möglich, dass Leute, welche die Erde für eine Kugel hielten, Karten zeichneten, auf denen eine flache Erde zu sehen war? Die erste Erklärung ist, dass auch wir nichts anderes tun. Wer die Flachheit jener Karten kritisiert, könnte ebenso gut die Flachheit unserer heutigen Weltatlanten kritisieren. Es handelte sich um eine naive und konventionelle kartographische Projektion.
Man könnte einwenden, in denselben Jahrhunderten hätten die Araber wahrheitsgemäßere Karten produziert, auch wenn sie oft die hässliche Gewohnheit hatten, den Norden unten und den Süden oben darzustellen. Aber wir müssen auch noch andere Elemente bedenken. Das erste legt uns Augustinus nahe, dem die von Lactantius eröffnete Debatte über die Form des Kosmos als Tabernakel wohlbekannt war, der aber auch die Meinungen der antiken Philosophen über die Kugelgestalt der Erde kannte. Er kam zu dem Schluss, dass man sich nicht von der Beschreibung des biblischen Tabernakels beeindrucken lassen solle, denn bekanntlich spreche die Heilige Schrift oft durch Metaphern, und vielleicht sei die Erde ja eine Kugel. Da aber das Wissen um die Form der Erde nichts zur Rettung der Seele beitrage, könne man die Frage vernachlässigen.
Das soll nicht heißen, dass es, wie oft behauptet wird, keine mittelalterliche Astronomie gegeben habe. Wir brauchen nur an die Legende von Gerbert von Aurillac zu denken, dem Papst Silvester II. im 10. Jahrhundert, der eine seltene Handschrift der Pharsalia von Lucan erwerben wollte und dafür mit einer Armillarsphäre zu bezahlen versprach. Da er jedoch nicht wusste, dass die Pharsalia wegen Lucans plötzlichem Tod unvollendet geblieben war, rückte er, als ihm eine unvollständige Handschrift gebracht wurde, nur eine halbe Armillarsphäre heraus. Die Legende zeugt einerseits von der hohen Wertschätzung des Mittelalters für die antike Kultur, andererseits aber auch von seinem Interesse an der Astronomie. Im 12. und 13. Jahrhundert wurden der Almagest von Ptolemäus und das De caelo von Aristoteles übersetzt. Eines der vier Fächer des in mittelalterlichen Schulen unterrichteten Quadriviums war bekanntlich die Astronomie, und seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts war der Tractatus de Sphaera von Johannes de Sacrobosco, der sich auf Ptolemäus berief, jahrhundertelang eine unbestrittene Autorität.
Gleichwohl stimmt es auch, dass die geographischen und astronomischen Begriffe noch lange unkritisch von Autoren wie Plinius und Solinus übernommen wurden, deren Aufmerksamkeit für astronomische Fragen gewiss nicht besonders groß war. Die ptolemäische Sicht des Kosmos war, auch wenn man sie nur aus zweiter Hand kannte, die theologisch akzeptabelste. Wie Aristoteles gelehrt hatte, musste jedes Element der Welt sich an seinem natürlichen Ort befinden, von dem es nur gewaltsam und nicht auf natürlichem Wege entfernt werden konnte. Der natürliche Ort des Elements Erde war der Mittelpunkt der Welt, während Wasser und Luft eine intermediäre Position einnehmen mussten und das Feuer sich am Rande befand. Es war dies eine vernünftige und beruhigende Sicht, denn immerhin konnte Dante auf diesem Weltbild seine Reise durch die drei Jenseitsreiche konzipieren. Und wenn diese Darstellung auch nicht allen himmlischen Phänomenen Rechnung trug, so hatte doch Ptolemäus selbst sich bemüht, Präzisierungen und Korrekturen anzubringen, wie die Theorie der Epizyklen und Deferenten, auf deren Basis man annahm, um astronomische Erscheinungen wie die Beschleunigung, den Stillstand, die scheinbare Rücklaufbewegung und die wechselnden Abstände der Planeten zu erklären, dass jeder Planet sich auf einer größeren Kreisbahn, dem Deferenten, um die Erde drehe, aber gleichzeitig auch auf einer kleineren, dem Epizyklus, um einen Punkt C des eigenen Deferenten.
Schließlich müssen wir auch bedenken, dass das Mittelalter eine Zeit großer Reisen war, doch wegen der schlechten Straßen, der dichten Wälder und der auf schwankenden Booten zu überwindenden Meeresarme war es nicht möglich, genaue Karten zu zeichnen. Sie waren bloß ungefähre Anhaltspunkte, wie die Wegbeschreibungen der Pilgerführer nach Santiago de Compostella, und sie besagten so viel wie: »Wenn du von Rom nach Jerusalem willst, halte dich in südöstlicher Richtung und frage dich durch.« Denken wir an die Karten der Bahnlinien, die wir in unseren heutigen Eisenbahnfahrplänen finden.
Niemand könnte aus solch einer Reihe von Knotenpunkten, die an sich sehr klar ist, wenn man zum Beispiel von Mailand nach Livorno will (und erfährt, dass man über Genua muss), exakte Auskünfte über die Form Italiens ableiten. Die exakte Form Italiens interessiert nicht, wenn man zum Bahnhof muss. Die Römer hatten zahlreiche Straßen gebaut, die alle Städte der bekannten Welt miteinander verbanden, aber dargestellt wurden diese Straßen auf jener Karte, die man nach dem Namen ihres Finders im 16. Jahrhundert die Peutingeriana nennt (siehe S. 86/87). Darauf sind sehr gewissenhaft alle Straßen des Römischen Reiches verzeichnet, aber schematisch zusammengedrängt in zwei langgezogenen Streifen, einem oberen, der Europa darstellen soll, und einem unteren für Afrika, und das dazwischenliegende Mittelmeer erscheint wie ein schmales Flüsschen.
Wir haben es mit dem gleichen Sachverhalt wie bei der Fahrplankarte zu tun. Nicht die Form der Kontinente interessiert, sondern allein die Information, dass eine bestimmte, so und so lange Straße von Marseille nach Genua führt. Dabei sind die Römer seit den Punischen Kriegen kreuz und quer übers Mittelmeer gefahren und wussten sehr wohl, dass es nicht jenes Rinnsal war, welches man auf der Karte sieht.
Im Übrigen waren die mittelalterlichen Reisen oft imaginär. Das Mittelalter hat Enzyklopädien hervorgebracht, sogenannte Imagines Mundi, die vor allem den Geschmack am Wunderbaren befriedigen sollten, indem sie von fernen, unerreichbaren Ländern erzählten, aber verfasst waren all diese Bücher von Leuten, die die Orte, von denen sie sprachen, nie gesehen hatten, denn die Kraft der Überlieferung zählte mehr als die Erfahrung. Eine Weltkarte sollte gar nicht die Form der Erde wiedergeben, sondern die Städte aufzählen und die Völker benennen, denen man dort begegnen konnte.
Zudem war die symbolische Darstellung wichtiger als die empirische, und oft lag dem Kartographen viel mehr daran, Jerusalem genau in der Mitte der Karte zu zeichnen, als anzugeben, wie man nach Jerusalem gelangte. Dies alles, während andere Karten derselben Zeit den Mittelmeerraum schon recht gut darzustellen verstanden.
Schließlich, als letzte Überlegung, die mittelalterlichen Karten hatten keine wissenschaftliche Funktion, sondern bedienten den Wunsch des Publikums nach Fabelhaftem, so ähnlich, wie wenn uns heute bunte Hochglanzmagazine die Existenz von fliegenden Untertassen beweisen und im Fernsehen erzählt wird, dass die Pyramiden von einer außerirdischen Zivilisation erbaut worden seien. Man suchte den Himmel mit bloßem Auge ab, um Kometen zu sehen, aus denen dann die Phantasie sofort etwas machte, was (heute) die Existenz von UFOs bestätigen würde. Auf vielen Karten des 15. und 16. Jahrhunderts, die bereits kartographisch akzeptable Darstellungen aufweisen, wurden noch seltsame Monster abgebildet, welche man für die Bewohner jener Gegenden hielt, die auf der Karte ganz und gar nicht legendär dargestellt waren.
Also seien wir nicht zu streng mit den mittelalterlichen Karten. Schließlich waren sie es, mit denen Marco Polo immerhin bis nach China gelangt ist, die Kreuzfahrer nach Jerusalem fanden und vielleicht die Iren oder die Wikinger bis nach Amerika.
Apropos, stimmt es wirklich, dass die Wikinger nach Amerika gelangt sind, wie die Legende behauptet? Wie man weiß, hat die wahre mittelalterliche Revolution in der Seefahrt durch die Erfindung des drehbaren Steuerruders am Heck stattgefunden. Bei den Schiffen der Griechen und Römer, der Wikinger und sogar noch der Normannen Wilhelms des Eroberers, die 1066 an der Küste Englands landeten (wie man auf dem Teppich von Bayeux sieht), bestand das Steuer aus zwei seitlich am Heck befindlichen Rudern, mit denen das Schiff in die gewünschte Richtung gelenkt wurde. Das System war nicht nur mühsam zu handhaben, sondern machte es praktisch unmöglich, gegen den Wind zu kreuzen, da man dabei das Steuer so führen können muss, dass das Schiff dem Wind abwechselnd mal die eine und mal die andere Seite darbietet. Die Seeleute mussten sich also mit der kleinen Küstenschifffahrt begnügen, das heißt den Küsten immer so nahe bleiben, dass sie anlegen konnten, wenn der Wind ungünstig war.
Infolgedessen hätten die Wikinger niemals von Spanien nach Mittelamerika segeln können, wie es Kolumbus getan hat (und dasselbe gilt für die Iren). Anders steht es jedoch, wenn man annimmt, dass sie erst von Island nach Grönland übersetzten und dann immer an der Küste entlang bis hinauf nach Kanada fuhren. Es genügt ein Blick auf eine Karte der Gegend, um zu verstehen, wie gute Seeleute es vermochten, mit Langschiffen — und wer weiß, wie viele dabei untergegangen sind — bis in den äußersten Norden des amerikanischen Kontinents vorzudringen und dann vielleicht an der Küste von Labrador anzulegen.
Aber lassen wir die Erde und wenden uns dem Himmel zu. Im 4.—3. Jahrhundert v. Chr. hatte Aristarch von Samos eine heliozentrische Hypothese vertreten, an die auch noch Kopernikus erinnert. Wie Plutarch erzählt, war Aristarch als Frevler angeklagt worden, weil er die Erde in Bewegung gesetzt hatte, um durch die Erdrotation astronomische Erscheinungen zu erklären, die sich anders nicht begründen ließen. Plutarch billigte die Hypothese nicht, und Ptolemäus nannte sie später »lächerlich«. Aristarch war seiner Zeit zu weit voraus, und es kann sein, dass er aus falschen Gründen zu seiner Schlussfolgerung gekommen war. Andererseits ist die Geschichte der Astronomie schon kurios. Ein großer Materialist wie Epikur brachte eine Idee auf, die so lange überlebt hat, dass sie noch von Gassendi im 17. Jahrhundert diskutiert wurde und jedenfalls von Lukrez in De rerum naturae bestätigt wird: Ihr zufolge können die Sonne, der Mond und die Sterne (aus vielen sehr ernsthaften Gründen) nicht größer und nicht kleiner sein, als sie unseren Augen erscheinen. Weshalb Epikur der Ansicht war, die Sonne habe einen Durchmesser von etwa dreißig Zentimetern.
Kopernikus’ Buch De revolutionibus orbium cœlestium (Über die Umschwünge der himmlischen Kreise) ist 1543 erschienen. Wir glauben, die Welt habe sich dadurch schlagartig geändert, und sprechen von kopernikanischer Wende. Aber Galileis Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme ist 1632 erschienen (89 Jahre später), und man weiß, auf welche Widerstände er traf. Im Übrigen waren sowohl die Astronomie von Kopernikus als auch die von Galilei imaginäre Astronomien, denn beide täuschten sich über die Form der planetarischen Umlaufbahnen.
Doch die rigoroseste aller imaginären Astronomien war die von Tycho Brahe, dem großen Astronomen und Lehrer Keplers, der eine dritte Lösung vertrat: Die Planeten rotieren um die Sonne, da andernfalls viele astronomische Phänomene nicht zu erklären sind, aber die Sonne und die Planeten rotieren um die Erde, die unbeweglich im Zentrum des Universums steht.
Brahes Hypothese fand durchaus Anklang, zum Beispiel bei den Jesuiten, allen voran bei Athanasius Kircher. Kircher war ein gebildeter Mann, daher konnte er das ptolemäische System nicht mehr akzeptieren. In seinem Buch Iter extaticum cœleste (Ausgabe von 1660) zeigt er in einer Tafel der Sonnensysteme neben dem platonischen und dem ägyptischen auch das kopernikanische System, das er korrekt erklärt, aber mit dem Zusatz versieht: »quem deinde secuti sunt pene omnes Mathematici Acatholici et nonnullis ex Catholicis, quibus nimirum ingenium et calamus prurit ad nova venditanda«.3 Da Kircher nicht zu dieser üblen Bande gehören wollte, entschied er sich für Brahe.
Gegen die Vorstellung einer Erde, die sich um die Sonne dreht, gab es im Übrigen sehr starke Argumente. So beweist Robert Fludd in seiner Historia utriusque cosmi von 1617 mit Argumenten aus der Mechanik, dass es, wenn man ein Rad wie das der Himmelskörper ins Drehen bringen will, viel einfacher ist, dies durch Ausübung einer Kraft an der Peripherie zu tun, wo sich in diesen Sphären der erste Beweger befand, als durch Einwirkung auf den Mittelpunkt, wohin die verrückten Kopernikaner sowohl die Sonne wie alle lebens- und bewegungsspendenden Kräfte setzen wollten. Alessandro Tassoni zählt in seinen Dieci libri di pensieri diversi von 1627 eine Reihe von Gründen auf, aus denen ihm eine Bewegung der Erde undenkbar erschien. Ich nenne nur zwei davon.
Das Argument der Sonnenfinsternis: Entfernt man die Erde aus der Mitte des Universums, so muss man sie entweder unter oder über den Mond setzen. Setzt man sie unter ihn, so gibt es nie eine Sonnenfinsternis, denn wenn der Mond oberhalb der Sonne oder oberhalb der Erde ist, kann er sich niemals zwischen Erde und Sonne schieben. Setzt man sie über ihn, so gibt es niemals eine Mondfinsternis, weil sich die Erde dann niemals zwischen den Mond und die Sonne schieben kann. Außerdem könnte die Astronomie dann keine Sonnenfinsternisse mehr voraussagen, weil sie ihre Berechnungen ja anhand der Sonnenbewegungen vornimmt, und wenn die Sonne sich nicht mehr bewegen würde, wäre ihr Unternehmen gescheitert.
Argument der Vögel: Wenn die Erde sich drehen würde, könnten die Vögel, wenn sie nach Westen fliegen, mit ihrer Drehung nicht Schritt halten und kämen nicht voran.
Descartes, der zu Galileis Hypothese neigte, aber nie den Mut hatte, seine diesbezüglichen Ansichten zu publizieren, hatte sich eine in mancher Hinsicht faszinierende Theorie zurechtgelegt, nämlich die der tourbillons oder Wirbel (Principia philosophiae, 1644). Er stellte sich vor, der Himmel sei eine liquide Materie, flüssig wie ein Meer, die um die Erde fließt und dabei Strudel, eben Wirbel bildet. Diese Wirbel ziehen die Planeten auf ihrer Kreisbahn mit sich, und einer davon zieht die Erde um die Sonne. Doch es ist der Wirbel, der sich bewegt, die Erde steht unbeweglich wie ein Fixstern in dem Wirbel, der sie mit sich zieht. Die Schläue von Descartes lag darin, dass er diese verblüffende Erklärung, die das geozentrische Weltbild mit dem heliozentrischen Weltbild versöhnen sollte, als reine Hypothese vortrug und somit nicht in Gegensatz zur anerkannten Wahrheit der Kirche geriet.
Wie Apollinaire ausrief: »Pitié pour nous qui combattons toujours aux frontières / de l’illimité et de l’avenir, / pitié pour nos péchés, pitié pour nos erreurs […].«4 Es waren Zeiten, in denen ein ernsthafter Astronom noch viele Irrtümer begehen konnte, wie zum Beispiel Galilei, als er mit seinem Fernrohr den Ring des Saturn entdeckte, aber sich nicht erklären konnte, um was es sich dabei handelte.
Zuerst meint er, nicht nur einen Stern gesehen zu haben, sondern drei, die in gerader Linie parallel zum Himmelsäquator miteinander verbunden seien, und zeichnet das, was er gesehen hat, als drei Kreise. In den folgenden Schriften behauptet er, Saturn könne in Form einer Olive erscheinen, und schließlich spricht er nicht mehr von drei Körpern oder einer Olive, sondern von »zwei halben Ellipsen mit zwei sehr dunklen kleinen Dreiecken in der Mitte besagter Figuren« und zeichnet einen Saturn, der große Ähnlichkeit mit Micky Maus hat.
Beim Umherschweifen zwischen von der Phantasie geschaffenen Welten hat die imaginäre Astronomie unserer Vorfahren, durchzogen von okkultistischen Strömungen, eine revolutionäre Idee geboren: die Idee von der Vielzahl der Welten. Es gab sie schon bei den antiken Atomisten, bei Demokrit, Leukipp, Epikur und Lukrez. Wie Hippolytos in seinen Philosophumena bemerkt, wenn die Atome sich ständig durchs Leere bewegen, können sie nicht umhin, unzählige Welten zu bilden, die alle voneinander verschieden sind. In einigen gibt es weder Sonne noch Mond, in anderen sind die Sterne größer als in unserer, in wieder anderen sind sie sehr viel zahlreicher. Eine Hypothese, die nicht widerlegt werden konnte, weshalb sie für Epikur als wahr genommen werden musste, solange sie nicht als falsch bewiesen wurde. Lukrez dichtete (De rerum natura, II, 1050f.): »Nulla est finis; uti docui, res ipsaque per se / vociferatur, et elucet natura profundi« (»Nirgends ein Ende; so hab’ ich’s gelehrt, wie die Sache auch selber / für sich spricht; so wird die Natur des Unendlichen deutlich«). Und er fuhr fort (1064ff.): »So mußt immer aufs neue du mir bestätigen, daß sich / anderswo andre Verbindung des Urstoffs bildet wie unsere / Welt, die der Äther so fest mit brünstigen Armen umklammert.«5
Sowohl die Leere als auch die Vielzahl der Welten waren von Aristoteles bestritten worden und mit ihm von großen Scholastikern wie Thomas von Aquin und Roger Bacon. Doch den Verdacht, dass es die Vielzahl der Welten gebe, äußerten Wilhelm von Ockham, Buridan, Nikolaus von Oresme und andere, als über die infinita potentia Dei, die unendliche Macht Gottes, diskutiert wurde. Von einer unendlichen Zahl von Welten sprachen im 15. Jahrhundert Nikolaus von Kues und im 16. Jahrhundert Giordano Bruno.
Welches Gift in dieser Hypothese steckte, zeigte sich klarer, als die neuen Epikuräer, die Freidenker des 17. Jahrhunderts sie sich zu eigen machten. Andere Welten besuchen und dort Bewohner finden — das war eine noch viel gefährlichere Häresie als die heliozentrische Hypothese. Wenn es unendlich viele Welten gibt, wird die Einzigartigkeit der Erlösung in Frage gestellt. Entweder sind dann die Sünde Adams und die Passion Christi bloß eine marginale Episode, die nur unsere Erde betrifft, nicht aber die anderen Schöpfungen Gottes, oder Golgatha müsste sich unzählige Male auf unendlich vielen Planeten wiederholt haben, wodurch das Opfer des Menschensohns seine erhabene Einzigartigkeit verlöre.
Wie Fontenelle in seinen Entretiens sur la pluralité des mondes (1686) erinnert, war die Hypothese schon implizit in Descartes’ Theorie der Wirbel enthalten, denn wenn jeder Stern seine Planeten in einem Wirbel mit sich zieht und selbst von einem größeren Wirbel gezogen wird, kann man sich unzählige Wirbel am Himmel vorstellen, die unzählig viele Planetensysteme mit sich ziehen.
Mit der Idee einer Vielzahl von Welten beginnt im 18. Jahrhundert, was wir heute Science-Fiction nennen, von den Reisen Cyrano de Bergeracs in die Reiche des Mondes und der Sonne bis zum Man in the Moone von Godwin und zur Discovery of a World in the Moone von Wilkins. Was die Aufstiegsarten angeht, so sind wir noch nicht bei Jules Verne. Beim ersten Mal bindet sich Cyrano eine große Zahl Flaschen voller Tau um den Leib, und als die Wärme der Sonne den Tau aufsteigen lässt, erhebt Cyrano sich mit ihm zum Himmel. Beim zweiten Mal benutzt er eine raketengetriebene Maschine. Godwin probiert es mit einem Flugzeug ante litteram, das von Vögeln gezogen wird.
Die moderne Science-Fiction, von Jules Verne bis heute, eröffnet ein weiteres Kapitel der imaginären Astronomien, in dem die Hypothesen der Astronomie und der wissenschaftlichen Kosmologie ausgebeutet und ins Extrem getrieben werden. Mein einstiger Schüler Renato Giovannoli hat ein wunderbares Buch über die Wissenschaft der Science-fiction geschrieben,6 in dem er nicht nur sämtliche pseudowissenschaftlichen (aber oft einleuchtenden) Hypothesen in utopischen Romanen untersucht, sondern auch zeigt, dass die Wissenschaft der Science-Fiction aus einem ziemlich homogenen Corpus von Ideen und Topoi besteht, der sich von Autor zu Autor fortpflanzt, mit sukzessiven Perfektionen und Entwicklungen, von den mit Nitroglyzerin geladenen Kanonen bei Jules Verne und den Antischwerkraftkammern bei H. G. Wells bis zu den Zeitreisen, über die verschiedenen Techniken der Weltraumnavigation, der Reise im Winterschlaf, dem Raumschiff als kleinem geschlossenen und ökologisch selbstgenügsamen Universum mit Hydrokulturen, den unzähligen Variationen über das Paradox von Langevin, demzufolge ein Astronaut, der von einer mit Lichtgeschwindigkeit vollführten Weltraumreise zurückkehrt, bei der Rückkehr zehn Jahre jünger als sein eigener Zwillingsbruder sein kann. So hat zum Beispiel Robert Heinlein in Time for the Stars die Geschichte zweier solcher Zwillinge geschrieben, die während der Reise telepathisch kommunizieren — wozu jedoch Tullio Regge in seinen Cronache dell’universo angemerkt hat, dass, wenn die telepathischen Botschaften augenblicklich ankommen, die Antworten noch vor den Fragen eintreffen müssten.
Ein anderes Dauerthema ist das des Hyperraums, den Heinlein in Starman Jones wie folgt beschreibt, wobei er als Demonstrationsobjekt einen Schal benutzt: »Hier ist Mars […] Dort ist Jupiter. Um von Mars zu Jupiter zu gelangen, müssen Sie diesen langen Weg zurücklegen […] Aber wenn ich den Schal so zusammenfalten würde, dass Mars über Jupiter zu liegen käme? Was würde uns dann noch hindern, das trennende Stückchen zurückzulegen?« So hat sich die Science-Fiction auf die Suche nach anomalen Punkten im Universum begeben, an denen der Raum sich zusammenfalten kann. Sie hat auch wissenschaftliche Hypothesen benutzt wie die von den Schwarzen Löchern, den Einstein-Rosen-Brücken, den raumzeitlichen wormholes, und Kurt Vonnegut hat in Die Sirenen des Titan die Existenz hyperräumlicher Tunnel in Gestalt der »chronosynklastischen Trichter« ins Spiel gebracht, während andere die »Tachyonen« erfanden, Elementarteilchen, die sich schneller als das Licht bewegen.
Alle Probleme der Zeitreise sind durchgespielt worden, mit oder ohne Verdoppelung des Reisenden, einschließlich des berühmten Paradoxes vom Großvater (wenn man von der Zeitreise zurückkäme und der eigene Großvater hätte sich vor seiner Heirat umgebracht, würde man vielleicht im selben Moment verschwinden), unter Verwendung auch von wissenschaftlichen Konzepten wie dem von Hans Reichenbach in The Direction of Time betreffend geschlossene Kausalketten nach dem Muster: A verursacht B, B verursacht C, und C verursacht wiederum A. Philip K. Dick hat in Counter-Clock World die Idee einer entropischen Inversion erörtert. Frederick Brown hat eine Erzählung mit dem Titel The End geschrieben, in deren erstem Teil behauptet wird, die Zeit sei ein Feld und Professor Jones habe eine Maschine erfunden, die das Zeit-Feld umkehrt. Jones drückt auf einen Knopf, und der zweite Teil der Erzählung besteht aus denselben Wörtern wie der erste, nur in umgekehrter Reihenfolge.
Und schließlich hat man, immer mit der alten Theorie einer unendlichen Vielzahl von Welten spielend, allerlei Paralleluniversen erfunden. So erinnert zum Beispiel Fredric Brown in What Mad Universe daran, dass es eine unendliche Anzahl gleichzeitig existierender Universen geben kann: »Zum Beispiel gibt es ein Universum, in dem sich in diesem Augenblick gerade exakt dasselbe wie hier abspielt, nur dass du oder dein Äquivalent braune statt schwarze Schuhe anhat. […] In einem anderen Fall hast du einen Kratzer an einem Finger, und in noch einem anderen rote Hörner auf dem Kopf […].« Doch in der Logik der möglichen Welten konnte auch ein Philosoph wie D. K. Lewis in seinen Counterfactuals von 1973 schreiben: »Ich betone, dass ich die möglichen Welten keineswegs mit nur sprachlichen Entitäten identifiziere. Ich betrachte sie als vollgültige Entitäten. Wenn ich in der Frage möglicher Welten eine realistische Haltung einnehme, dann möchte ich wörtlich verstanden werden. […] Unsere gegenwärtige Welt ist nur eine von vielen. […] Sie glauben bereits an unsere gegenwärtige Welt. Ich bitte Sie lediglich, an mehr Dinge von dieser Art zu glauben.«
Was trennt einen Großteil der Science-Fiction von der realen Wissenschaft, die ihr vorausgegangen ist oder ihr folgt? Während die SF-Autoren sicher lesen, was die Wissenschaftler schreiben, stellt sich die Frage, wie viele Wissenschaftler ihre Phantasie an den Geschichten der SF-Autoren genährt haben. Wie viele imaginäre Astronomien der Science-Fiction sind oder werden eines Tages noch imaginär sein?
Ich habe einen Text gefunden, in dem Thomas von Aquin (in Primum Sententiarum, 8, 1, 2) zwei Arten von morphologischen Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung unterscheidet: Die Ursache könne der Wirkung ähnlich sein, wie eine Person ihrem Abbild ähnlich sein kann, oder die Ursache könne der Wirkung unähnlich sein, wie das Feuer, das Rauch verursacht, und zu dieser zweiten Kategorie von Ursachen rechnet Thomas auch die Sonne, die Wärme erzeugt, aber selbst kalt sei. Wir lächeln hier über Thomas, weil ihn seine Theorie der himmlischen Sphären zu einem solchen Beispiel verführt hat, aber wenn eines Tages die kalte Kernfusion ernst genommen wird, müssen wir dann nicht auch diese Idee des Aquinaten voller Respekt neu bedenken?
Über die kalte Sonne gab es mehr als imaginäre Geo-Astronomien, die man nur als delirant bezeichnen kann und die, wie es scheint, sehr ernsthafte, wenn auch ganz inakzeptable Gedanken und Entscheidungen beeinflusst haben.
So wurde seit 1925 in nationalsozialistischen Kreisen die sogenannte Welteislehre, abgekürzt WEL, des österreichischen Pseudowissenschaftlers Hanns Hörbiger verbreitet.7 Sie erfreute sich der Gunst von Männern wie Rosenberg und Himmler. Aber nach Hitlers Machtergreifung wurde Hörbiger auch in einigen wissenschaftlichen Kreisen ernst genommen, zum Beispiel von einem Physiker wie Philipp Lenard, der zusammen mit Röntgen die nach diesem benannten Strahlen entdeckt hatte.
Gemäß dieser Welteislehre ist das Universum der Schauplatz eines ewigen Kampfes zwischen Eis und Feuer, der keine Evolution hervorbringt, sondern einen ständigen Wechsel von Zyklen oder Epochen. Einst gab es einen riesigen glühenden Körper, Millionen Mal größer als die Sonne, der mit einer riesigen Zusammenballung von kosmischem Eis kollidierte. Die Eismasse war in den glühenden Körper eingedrungen, und nachdem sie in seinem Innern Hunderte von Millionen Jahre lang als Dampf gewirkt und gearbeitet hatte, war das Ganze explodiert. Von den auseinanderfliegenden Teilen wurden einige in die Zone des Eises geschleudert und andere in eine Zwischenzone, wo sie das Sonnensystem bildeten. Der Mond, Mars, Jupiter und Saturn sind Eisklumpen, und ein Ring aus Eis ist die Milchstraße, in der die traditionelle Astronomie Sterne sehen will. Es handelt sich aber um optische Täuschungen. Die Sonnenflecken werden durch Eisblöcke verursacht, die sich von Jupiter ablösen.
Nun nimmt jedoch die Kraft der ursprünglichen Explosion ab, und jeder Himmelskörper bewegt sich nicht auf einer elliptischen Umlaufbahn, wie die offizielle Wissenschaft fälschlicherweise annimmt, sondern auf einer (unmerklich) immer enger werdenden Spirale um den jeweils größeren Himmelskörper, der ihn anzieht. Am Ende des Zyklus, in dem wir leben, wird sich der Mond immer mehr der Erde nähern, wird dadurch das Wasser der Ozeane so ansteigen lassen, dass es die Tropen überschwemmt und nur die höchsten Berge herausragen lässt, die kosmischen Strahlen werden zunehmen und genetische Mutationen bewirken. Schließlich wird der Mond auseinanderbrechen und sich in einen Ring aus Eis, Gas und Wasser verwandeln, der am Ende auf die Erdkugel stürzen wird. Aufgrund komplizierter Wechselwirkungen, die mit dem Einfluss des Mars zu tun haben, wird auch die Erde sich in eine Eiskugel verwandeln und am Ende von der Sonne aufgesogen werden. Danach wird es eine erneute Explosion und einen neuen Anfang geben, so wie früher einmal die Erde bereits drei weitere Satelliten gehabt und in sich aufgesogen hatte.
Offensichtlich setzte diese Kosmogonie eine Art ewige Wiederkehr voraus, die sich auf uralte Mythen und Epen berief. Ein weiteres Mal wurde somit das, was auch die heutigen Nazis das Wissen der Überlieferung nennen, dem falschen Wissen der liberalen und jüdischen Wissenschaft entgegengesetzt. Überdies erschien eine solche »Glazialkosmogonie« sehr nordisch und arisch. Louis Pauwels und Jacques Bergier8 führen Hitlers Zuversicht, dass seine Truppen mit dem eisigen russischen Winter sehr gut zurechtkommen würden, auf diesen tiefen Glauben an die glazialen Ursprünge des Universums zurück. Aber sie vermuten auch, dass die für nötig gehaltene Prüfung, wie das kosmische Eis reagieren würde, die Experimente mit der V2 verzögert habe. 1938 veröffentlicht ein gewisser Elmar Brugg ein Buch zu Ehren von Hörbiger als dem »Kopernikus des 20. Jahrhunderts«,9 in dem er behauptet, die Welteislehre erkläre die tiefen Bande, die das irdische Geschehen mit den kosmischen Kräften verbinde, und zu dem Schluss kommt, das Schweigen der »jüdisch-demokratischen« Wissenschaft über Hörbiger sei ein typischer Fall von Verschwörung der Mittelmäßigen.
Dass sich im Umfeld der NS-Partei Verfechter von magisch-hermetischen und neutempleristischen Wissenschaften tummelten, beispielsweise die Adepten der von Rudolf von Sebottendorff gegründeten Thule-Gesellschaft, ist ein breit untersuchtes Phänomen.10 Im NS-Milieu soll auch noch einer anderen Theorie Gehör geschenkt worden sein, derzufolge die Erde innen hohl ist und wir nicht außen auf ihrer konvexen Kruste leben, sondern innen an ihrer konkaven Wölbung. Diese Theorie war bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts von einem gewissen Captain John Cleves Symmes aus Ohio vertreten worden, der 1818 an verschiedene wissenschaftliche Gesellschaften geschrieben hatte: »An alle Welt: Ich erkläre, dass die Erde innen hohl und bewohnbar ist; sie enthält eine gewisse Anzahl solider Sphären, die konzentrisch sind, das heißt ineinandergeschoben, und sie ist an den beiden Polen offen in einer Breite von zwölf bis sechzehn Grad.« Ein Holzmodell seines Universums wird noch heute in der Academy of Natural Sciences von Philadelphia aufbewahrt.
Die Theorie war dann nach der Mitte des Jahrhunderts von einem anderen Amerikaner namens Cyrus Reed Teed aufgegriffen und weiterentwickelt worden: Was wir für den Himmel hielten, sei eine Masse aus dunklem Gas, durchsetzt mit Zonen von strahlendem Licht, die das Innere der Kugel erfülle. Sonne, Mond und Sterne seien keine Himmelskörper, sondern visuelle Effekte, die durch verschiedene Phänomene hervorgerufen würden.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Theorie in Deutschland perfektioniert, zuerst von einem Peter Bender und dann von Karl Neupert, dem Begründer der »Hohlweltlehre«, der eine regelrechte Bewegung ins Leben rief. Nach Aussage einiger Zeitzeugen11 wurde die Theorie in NS-Führungskreisen durchaus ernst genommen, und in Teilen der deutschen Marine habe man geglaubt, mit der Hohlweltlehre werde es möglich, die Positionen der britischen Schiffe genauer zu bestimmen, denn bei Benutzung von Infrarotstrahlen werde die Beobachtung nicht mehr durch die Krümmung der Erdoberfläche behindert. Es heißt sogar, einige V2-Raketen hätten ihre Ziele nur deshalb verfehlt, weil ihre Flugbahnen ausgehend von der Annahme einer konkaven und nicht konvexen Erdoberfläche berechnet worden seien. Woran man sieht — wenn es stimmt —, welche segensreiche und geschichtsmächtige Wirkung delirante Astronomien haben können.
In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts war im Abendland ein Brief aufgetaucht, der detailliert berichtete, dass im fernen Morgenland, jenseits der von Muslimen bewohnten Gebiete, jenseits der Länder, welche die Kreuzritter aus der Herrschaft der Ungläubigen zu befreien versucht hatten, die aber inzwischen unter jene Herrschaft zurückgekehrt waren, ein christliches Reich blühe, das von einem märchenhaften Priester oder Presbyter Johannes regiert werde, der sich als »Herr der Herrschenden kraft der Macht und Herrlichkeit Gottes und Unseres Herrn Jesus Christus« bezeichne. Darin stand unter anderem zu lesen:
Wisse und glaube zweifelsfrei, dass ich, der Priester Johannes, Herr der Herrschenden bin und in allen Reichtümern, die es unter dem Himmel gibt, sowie an Tugend und Macht alle Könige der Erde übertreffe. Zweiundsiebzig Könige sind Uns tributpflichtig. Ich bin ein frommer Christ und schütze überall die wahren Christen, die vom Imperium meiner Milde regiert werden, und unterstütze sie mit Almosen. […] Unsere Herrschaft erstreckt sich über die drei Indien, bis zum Jenseitigen Indien, wo der Leib des Apostels Thomas ruht, unsere Lande reichen bis in die Wüste und weiter bis zu den Grenzen des Ostens und kehren zurück in den Westen bis in das verödete Babylon nahe dem Turm zu Babel. […] In Unserem Reich werden geboren und leben Elefanten, Kamele, Dromedare, Flusspferde, Krokodile, Methagallinare, Kametheternen, Thinsireten, Panther, Wildesel, weiße und rote Löwen, weiße Bären und weiße Amseln, stumme Zikaden, Greife, Tiger, Lamien, Hyänen, wilde Rinder, Bogenschützen, wilde Menschen, gehörnte Menschen, Faune, Satyrn und Weiber derselben Art, Pygmäen, Kynozephalen, vierzig Ellen hohe Giganten, Einäugige, Zyklopen, ein Vogel namens Phönix und fast alle Arten von Tieren unter dem Himmelsgewölbe. […] Durch eine unserer Provinzen fließt ein Fluss namens Indus. Dieser Fluss, der aus dem Paradies kommt, breitet seine Mäander durch verschiedene Arme über die ganze Provinz aus, und man findet in ihm Edelsteine: Smaragde, Saphire, Karfunkel, Topase, Chrysolythe, Onyxe, Berylle, Amethyste, Sarder und viele andere wertvolle Steine.12
Und so weiter, es folgen noch viele Wunder. Übersetzt und mehrfach paraphrasiert im Laufe der folgenden Jahrhunderte, hat der Brief, in verschiedenen Sprachen und Versionen, bis zum 17. Jahrhundert entscheidende Bedeutung für die Expansion des christlichen Abendlandes nach Osten gehabt. Die Idee, dass jenseits der muslimischen Länder ein christliches Reich existieren könnte, legitimierte sämtliche Erkundungs- und Eroberungszüge. Vom Priester Johannes sprachen die Asienreisenden Johannes von Plano Carpini, Wilhelm von Rubruk und Marco Polo. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts verlagerte sich das Reich des Priesters Johannes aus einem unbestimmten Fernen Osten nach Äthiopien, als die portugiesischen Seefahrer das afrikanische Abenteuer in Angriff nahmen. Kontakte mit dem Priesterkönig suchten im 15. Jahrhundert Englands Heinrich IV., der Duc de Berry und Papst Eugen IV. In Bologna diskutierte man noch zur Zeit der Krönung Karls V. über Johannes als möglichen Verbündeten für eine Wiedereroberung des Heiligen Grabes.
Wie und zu welchem Zweck ist der Brief des Priesters Johannes entstanden? Vielleicht war er ein Dokument antibyzantinischer Propaganda aus der Kanzlei von Friedrich Barbarossa, aber das Problem ist nicht so sehr die Frage seines Ursprungs, sondern seiner Rezeption. An der geographischen Phantasterei hat sich ein politisches Projekt gestärkt. Mit anderen Worten, das von irgendeinem auf Fälschungen versessenen Kanzleischreiber erfundene Phantom (Fälschungen waren damals eine hochgeschätzte literarische Gattung) hat als Alibi für die Expansion der christlichen Welt nach Asien und Afrika gedient, als freundliche Unterstützung der Bürde des weißen Mannes.
Somit haben wir hier einen Fall von imaginärer Geographie, der reale Geschichte hervorgebracht hat. Er ist nicht der einzige. Beschließen wir dieses Kapitel mit dem Typus Orbis Terrarum von Ortelius aus dem 16. Jahrhundert.
Ortelius stellte bereits den amerikanischen Kontinent mit beachtlicher Präzision dar, aber er dachte noch, wie viele vor und nach ihm, es gebe eine Terra Australis, eine riesige Kappe, die den ganzen antarktischen Teil des Planeten bedeckte. Und um diese inexistente Terra Australis zu finden, haben unermüdliche Seeleute, von Mendaña bis Bougainville, von Tasman bis Cook, den Pazifik erforscht. Ausgehend von einer imaginären Kartographie wurden schließlich das reale Australien, Tasmanien und Neuseeland entdeckt.
Erbarmen also für jene, die an der Grenze des Unbegrenzten und des Kommenden kämpften. Erbarmen für die Großartigkeiten und die oft fruchtbaren Fehler aller imaginären Geographien und Astronomien.