Einigen Autoren geht die in Kapitel 7 beschriebene Art von Umweltabhängigkeit nicht weit genug. Wenn der Umwelt für unsere kognitiven Leistungen tatsächlich eine so zentrale Rolle zukommt, mit welchem Recht betrachten wir das Gehirn bzw. Gehirn und Körper dann noch als das alleinige materielle Substrat kognitiver Prozesse? Was qualifiziert Teile des Gehirns oder Körpers als Substrat »echter« kognitiver Prozesse, während die Umwelt nur eine zwar wichtige und womöglich unverzichtbare Ressource ist, die Kognition unterstützt und ermöglicht, selbst aber nicht als kognitiv gilt? Illustrieren lässt sich diese Überlegung am Beispiel des Alzheimerpatienten Otto, der sich statt auf sein physiologisches Gedächtnis auf ein Notizbuch verlässt, in dem er Wichtiges notiert und bei Bedarf nachschlägt. Angenommen, den Notizbucheinträgen käme in Ottos Leben und bei der Erklärung seines Verhaltens dieselbe Rolle zu wie neuronal codierten Gedächtnisinhalten bei gewöhnlichen Erwachsenen – wäre es dann nicht pure Willkür, wenn wir uns weigerten, sie ebenso als Realisierer seiner Erinnerungen, Überzeugungen usw. anzuerkennen, wie wir es bei den entsprechenden neuronalen Prozessen in unserem Fall ganz selbstverständlich tun?115
Überlegungen dieser Art führten seit Ende der 1990er-Jahre zu einer Reihe von Ansätzen, die sich in der einen oder anderen Form der folgenden Erweiterungsthese verschreiben: Kognitive Prozesse sind in dem Sinne »erweitert« (extended), dass sie zum Teil durch Prozesse in der Umwelt jenseits der körperlichen Grenzen eines Organismus realisiert sind. Die verschiedenen Spielarten dieser Erweiterungsthese, die aktuell unter Stichworten wie vehicle externalism, wide computationalism, locational externalism, [81] environmentalism, integrationism, radical embodiment oder active externalism diskutiert werden, decken dabei wiederum das gesamte Spektrum von klassisch computationalistischen bis hin zu dynamizistischen Ansätzen ab.116 Robert Wilsons wide computationalism zum Beispiel fasst kognitive Prozesse ganz traditionell als computationale Prozesse auf, räumt aber die Möglichkeit ein, dass sie statt interner Repräsentationen auch die entsprechenden Objekte in der Umwelt selbst zum Gegenstand haben; Anthony Chemeros These eines radical embodiment hingegen verschreibt sich einem Dynamizismus, für den Berechnungsprozesse und Repräsentationen keinerlei heuristische Bedeutung haben; und Clark liebäugelt mit einem hybriden Ansatz, der klassisch kognitivistische Ideen mit dezidiert dynamizistischen Elementen kombiniert.117
Inzwischen hat sich um die Erweiterungsthese und ihr Für und Wider eine kontroverse Debatte entwickelt, deren Eckpfeiler im Folgenden skizziert werden.
Zunächst einmal geht es bei der Erweiterungsthese nicht um den sogenannten semantischen Externalismus, wonach der Gehalt mentaler Zustände und sprachlicher Ausdrücke – das, was erinnert, geglaubt usw. oder mit einer Äußerung gemeint wird – keine intrinsische Eigenschaft eines Individuums ist, sondern auch von dessen natürlicher, sprachlicher oder sozialer Umwelt abhängt.118 Diese Form des Externalismus ist ein bloßer Gehaltsexternalismus: Mentalen Zuständen wird zwar ein durch externe Faktoren individuierter Gehalt zugeschrieben, ihre Realisierer oder Vehikel jedoch werden üblicherweise nach wie vor ausschließlich im Gehirn verortet. Bei der Erweiterungsthese hingegen geht es nicht um den Gehalt, sondern um dessen Träger, das heißt darum, dass sich, wie Susan Hurleys Rede von einem Vehikelexternalismus ausdrücklich hervorhebt, die Realisierer selbst in der Umwelt befinden: Kognitive Prozesse sollen teilweise durch hybride, sich über die Grenzen des Organismus hinaus erstreckende Prozesse konstituiert sein. Die externen Faktoren sind dabei verhaltenswirksam und -erklärend (hätte Otto zum Beispiel [82] nicht in seinem Notizbuch festgehalten, dass im Pergamonmuseum archäologische Funde aus Kleinasien ausgestellt sind, wäre er nicht zur Museumsinsel gefahren), während die Unterschiede im Gehalt dies beim semantischen Externalismus gerade nicht sein sollen. Clark und Chalmers bezeichnen ihre Version der Erweiterungsthese aus diesem Grund auch als »aktiven« Externalismus.
Die Erweiterungsthese muss zudem von der in Kapitel 7 diskutierten schwächeren Auffassung unterschieden werden, dass kognitive Prozesse auf charakteristische Weise von der Umwelt abhängen. Allerdings ist strittig, ob, und wenn ja unter welchen Bedingungen, dieser Übergang von einer kausalen Abhängigkeit zu einer Konstitutionsbeziehung gerechtfertigt bzw. empirisch fruchtbar ist (s. u.).
Es geht der Erweiterungsthese auch nicht nur um die (nomologische, metaphysische oder begriffliche) Möglichkeit erweiterter kognitiver Prozesse. Selbst ihre Kritiker gestehen zu, dass kognitive Prozesse zum Teil außerhalb des Gehirns oder Körpers realisiert sein könnten.119 Man denke beispielsweise an eine Neuroprothese, die ähnlich wie ein Cochleaimplantat (eine Hörprothese für Gehörlose, deren Hörnerv noch funktioniert) eine gemeinhin neuronal realisierte kognitive Leistung ermöglicht. Wenn solche künstlichen Substitute überhaupt kognitive Prozesse realisieren können, dann sollte es keinen Unterschied machen, ob sie innerhalb oder außerhalb des Schädels platziert sind. Erweiterte kognitive Prozesse sind also zweifellos möglich. Offen ist lediglich, ob es dafür ausgefeilter, derzeit womöglich nur eingeschränkt verfügbarer Technologien bedarf oder ob erweiterte kognitive Prozesse bereits die Regel sind.
Die These, dass kognitive Prozesse erweitert sind (extended cognition), ist zudem zu unterscheiden von der Frage danach, ob auch mentale Zustände erweitert sind (extended mind). Als mental gelten gewöhnlich jene bewussten Zustände, auf die sich alltagspsychologische Handlungserklärungen beziehen, also Absichten, Überzeugungen, Empfindungen [83] usw., während als kognitiv jene Prozesse gelten, welche die Kognitionswissenschaft als Mechanismen intelligenter Leistungen wie Problemlösen, Sprachverarbeitung, Lernen usw. identifiziert. Ob für mentale Zustände dieselben Überlegungen greifen wie für kognitive Prozesse, ist gegenwärtig unklar – unter anderem weil die Unterscheidung zwischen Kognition und Geist selten ausdrücklich thematisiert wird. Selbst jene, die der Meinung sind, dass zumindest einige mentale Zustände (zum Beispiel Ottos Überzeugungen) ebenso erweitert sind wie kognitive Prozesse, unterscheiden manchmal zwischen intentionalen Zuständen (Absichten, Überzeugungen usw.) und phänomenalen Zuständen (Empfindungen, Emotionen usw.). Clark etwa kritisiert ausdrücklich den Versuch, visuelle Wahrnehmung auf sensomotorisches Wissen zurückzuführen und so jenseits des Gehirns in komplexen Interaktionen mit der Umwelt zu verorten. Seiner Meinung nach erfordert phänomenales Erleben eine so schnelle und komplexe Informationsverarbeitung, dass unsere Verbindung zur Umwelt schlicht nicht über die erforderliche »Bandbreite« verfügt, um die Umwelt als Konstituent in unser phänomenales Erleben zu integrieren. Anders als bei kognitiven Prozessen und zumindest einigen intentionalen Zuständen trägt die Umwelt laut Clark bei phänomenalen Zuständen daher lediglich kausal zur eigentlichen neuronalen Maschinerie bei, ist aber nicht konstitutiv dafür.120
Darüber hinaus kommen nicht alle Prozesse jenseits der Gehirngrenzen als Konstituenten kognitiver Prozesse im Sinne der Erweiterungsthese gleichermaßen infrage. Zum einen werden zum Beispiel Gesten und andere Körperbewegungen gerne zur Aufweichung einer gehirnzentrierten Auffassung von Kognition herangezogen, fallen eigentlich aber unter die Idee der Verkörperlichung (s. Kap. 6).121 Zum anderen befinden sich soziale Ressourcen wie andere Akteure, Institutionen und sonstige kulturell verankerte Strukturen zwar jenseits der Körpergrenzen, sind für die Erweiterungsthese im engen Sinne aber auch wenig einschlägig: Phänomene dieser [84] Art werden in der Regel vielmehr unter dem Stichwort der »verteilten« Kognition erörtert (s. Kap. 9). Da natürliche Ressourcen (Bäume, Sonnenstrahlen usw.) im Zusammenhang mit der Erweiterungsthese auch nebensächlich sind und ihren Platz eher im Kontext sensomotorischer Wahrnehmungstheorien haben (s. Kap. 7), bleiben als Kandidaten für die externen Konstituenten kognitiver Prozesse im Wesentlichen Artefakte: moderne Technologien wie Taschenrechner, Handys und Computer sowie klassische Hilfsmittel wie Bleistift und Papier, Scrabblesteine oder Abakusse.
Die Erweiterungsthese ist also eine Konstitutionsthese: Die Umwelt ist kein bloßes Reservoir von Hilfsmitteln, die bei entsprechender Verwendung kausal zu unseren Fertigkeiten beitragen, weil viele kognitive Prozesse bereits heute nicht mehr nur neuronal, sondern durch hybride Prozesse konstituiert sind, die Gehirn, Körper sowie technische und nichttechnische Artefakte in der Umwelt umfassen.
Auf den ersten Blick erscheint es merkwürdig, dass etwa ein Smartphone oder der Bleistift, mit dem wir das Kreuzworträtsel in der Tageszeitung lösen, im selben (oder doch einem sehr ähnlichen) Sinne Teil unserer kognitiven Maschinerie sein sollen wie unser Gehirn. Aber selbst wenn die Vorstellung erweiterter kognitiver Prozesse kontraintuitiv ist, ist sie nicht offensichtlich absurd. Wenn es ein schlüssiges Argument für die Erweiterungsthese gibt, dann sollten wir uns ihr nicht verschließen, und wenn wir sie nicht akzeptieren möchten, dann sollten wir ein schlüssiges Argument präsentieren, das aufdeckt, was genau falsch daran ist. Was also sind die zentralen Argumente?
Eine entscheidende Rolle spielte von Anfang an die Vorstellung, dass externe Ressourcen durch eine entsprechend enge Koppelung (coupling) an einen Akteur so in dessen kognitive Architektur integriert werden, dass sie wie beim Alzheimerpatienten Otto die Funktion neuronaler Prozesse übernehmen können. Insbesondere zu Anfang der Debatte schlossen einige Autoren von einer solchen kausalen Koppelung [85] unmittelbar auf das Vorliegen einer Konstitutionsbeziehung. Allerdings haben zum Beispiel Fred Adams und Ken Aizawa unter dem Schlagwort coupling/constitution fallacy völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Schluss nicht allgemein gültig ist.122 Der Übergang von einer intensiven kausalen Koppelung zu einem einzigen hybriden Prozess ist zwar nicht immer illegitim; plausible Kriterien dafür, wann er gerechtfertigt ist, fehlen bislang jedoch, unter anderem weil die theoretisch wohlmotivierte Unterscheidung zwischen kausaler Abhängigkeit und Konstitution in der Praxis oftmals vage zu sein scheint. Prozessor und Arbeitsspeicher zum Beispiel sind ebenso eindeutig Konstituenten eines Computers, wie die Retina oder der optische Nerv konstitutiv für visuelle Wahrnehmung sind, und die Stromproduktion im Elektrizitätswerk trägt ebenso eindeutig nur kausal dazu bei, dass der Computer funktioniert, wie geeignete Lichtverhältnisse kausal zum eigentlichen Wahrnehmungsprozess beitragen, aber nicht mit konstitutiv dafür sind. Dazwischen allerdings liegt eine Grauzone: Sind Netzkabel oder bootfähige USB-Sticks Konstituenten eines Computers oder nur externe Ressourcen? Sind extrakranielle neuronale Prothesen oder Ottos Notizbuch Konstituenten der entsprechenden kognitiven Prozesse oder tragen sie lediglich kausal dazu bei? Was ist mit Brillen, Kontaktlinsen oder Hörgeräten? Was mit der Entspannungs-CD, welche die verloren gegangene Konzentration wiederherstellt? Zwischen den konstitutiven Bestandteilen eines Systems und den kausalen Randbedingungen muss es eine Grenze geben. Eine prinzipielle und begründete Grenzziehung scheint allerdings schwierig zu sein. Solange wir in dieser Hinsicht keine Fortschritte erzielen, droht nicht nur die Diskussion um Abhängigkeit oder Konstitution, die weite Teile der Debatte bestimmt, ins Leere zu laufen, sondern auch das zentrale Abgrenzungskriterium gegenüber den in Kapitel 7 vorgestellten Ansätzen verloren zu gehen.
Clark und Chalmers motivierten die Erweiterungsthese ursprünglich durch eine inzwischen als »Paritätsprinzip« [85] bekannte Überlegung, die ihren Ausgang letztlich gleichfalls in der Idee nimmt, dass hybride Prozesse im Hinblick auf ihren Beitrag zu unseren kognitiven Leistungen neuronalen Prozessen gleichwertig sein können. Wir sollten einen Prozess in der Umwelt demnach dann als Realisierer eines kognitiven Prozesses akzeptieren, wenn wir nicht zögerten, ihn als solchen anzuerkennen, fände er innerhalb der Grenzen des Gehirns statt.123 Als Argument für die Erweiterungsthese ist dieses Prinzip jedoch entweder unzureichend oder überflüssig: Aus ihm folgt nur dann, dass hybride Prozesse kognitiv sind, wenn die entsprechenden internen Prozesse kognitiv sind, und ob dies so ist, kann das Paritätsprinzip alleine uns nicht sagen. Hätten wir jedoch ein Kriterium dafür, was einen Prozess zu einem kognitiven Prozess macht, dann wäre der argumentative Umweg über das Paritätsprinzip überflüssig, da wir ja nur schauen müssten, ob der hybride Prozess das fragliche Kriterium erfüllt. Clark hat inzwischen mehrfach betont, dass das Paritätsprinzip nicht als Argument für die Erweiterungsthese intendiert war, sondern als »Gleichberechtigungsprinzip« lediglich einem übertriebenen »Neurozentrismus« vorbeugen sollte, der externen Ressourcen den Status des Kognitiven automatisch abspricht, nur weil sie extern sind. Dagegen ist nichts einzuwenden, die Frage nach einem Argument für die Erweiterungsthese bleibt damit aber unbeantwortet.124
Die Vorstellung, dass hybride und neuronale Prozesse gleichwertig sein können, legt es natürlich nahe, die Erweiterungsthese funktionalistisch zu motivieren: Wenn kognitive Prozesse funktional individuiert werden und hybride und neuronale Prozesse funktional äquivalent sind, dann sind hybride Prozesse natürlich ebenso kognitiv wie neuronale. Die Erweiterungsthese wäre damit schlicht das Resultat eines konsequent zu Ende gedachten Funktionalismus, und die Einträge in Ottos Notizbuch erwiesen sich lediglich als weiterer Fall jener multiplen Realisierbarkeit, die uns aus der Philosophie des Geistes nur allzu vertraut ist.125 Ein zwingendes [87] Argument ist allerdings auch das nicht. Erstens wäre selbst dann, wenn der Funktionalismus implizierte, dass kognitive Prozesse erweitert sind, unklar, ob man darin ein Argument für die Erweiterungsthese oder vielmehr eine reductio ad absurdum des Funktionalismus sehen sollte.126 Zweitens ist keinesfalls offensichtlich, dass eine plausible Form des Funktionalismus die Erweiterungsthese impliziert. Auf einer relativ allgemeinen funktionalistischen Beschreibungsebene mögen hybride und neuronale Prozesse funktional äquivalent sein. Allerdings setzt sich ein entsprechend grobkörniger Common-Sense-Funktionalismus, der kognitive Prozesse über Plattitüden wie »Sich an etwas erinnern heißt, die Information bei Bedarf abrufen zu können« individuiert, dem Einwand der kognitiven Inflation aus, das heißt dem Vorwurf, mit dem Begriff des Kognitiven zu liberal umzugehen (s. u.). Darüber hinaus ist völlig unklar, warum im Kontext der von der Erweiterungsthese ausdrücklich angestrebten Ausweitung kognitionswissenschaftlicher Forschungsansätze und Methoden ausgerechnet Common-Sense-Plattitüden maßgeblich sein sollen. Gibt man jedoch den Common-Sense-Funktionalismus zugunsten einer feinkörnigeren Beschreibungsebene im Sinne eines wissenschaftsnäheren Psychofunktionalismus auf, unterscheiden sich hybride und neuronale Prozesse zum Teil erheblich: Otto unterliegt zum Beispiel nicht der Einschränkung, im Kurzzeitgedächtnis maximal 7±2 Informationseinheiten speichern zu können, oder dem Rezenzeffekt, wonach später eingehende Informationen die Erinnerungsleistung stärker beeinflussen als früher eingehende usw.127 Eine funktionale Äquivalenz neuronaler und hybrider Prozesse besteht im Rahmen eines solchen empirischen Funktionalismus nicht.
Einige sehen das entscheidende Argument in dem größeren Potenzial, das die Erweiterungsthese im Vergleich zu den relevanten Alternativen, insbesondere den in Kapitel 7 diskutierten Ansätzen, für die Erklärungen und Methoden der Kognitionswissenschaft bereithält.128 Erstens wurde aber [88] eingewendet, dass die Erweiterungsthese und die relevanten Alternativen explanatorisch ununterscheidbar sind.129 Zweitens greift dieses Argument nicht, wenn sich die Unterscheidung zwischen Abhängigkeit und Konstitution, welche die entscheidende Abgrenzung ermöglichen soll, in der Tat als rein theoretische erweist, die in der Praxis konsequenzlos bleibt (s. o.). Drittens ist fraglich, ob aus der situationsgebundenen Integration externer Ressourcen entstehende hybride Prozesse die ihnen zugeschriebenen Erklärungsleistungen überhaupt erbringen können. Dem sogenannten Motley Crew Argument (motley crew = zusammengewürfelter Haufen) zufolge sind sie im Gegensatz zu neuronalen Prozessen nämlich zu kurzlebig und aufgrund der potenziellen Diversität der externen Ressourcen kausal zu heterogen, um als Forschungsgegenstand der Kognitionswissenschaft überhaupt infrage zu kommen, geschweige denn neue Erklärungsansätze, Methoden oder Perspektiven zu eröffnen.130 Clark hat zwar argumentiert, hybride Prozesse könnten ungeachtet ihrer niederstufigen Diversität höherstufige, grobkörnig beschreibbare Gemeinsamkeiten aufweisen und so »wissenschaftlich respektabel« werden.131 Dies führt jedoch geradewegs zurück zu den oben angesprochenen Schwierigkeiten mit dem Common-Sense-Funktionalismus.
Im Zusammenhang mit dem Paritätsprinzip wurde bereits angedeutet, dass wir im Einzelfall entscheiden könnten, ob hybride Prozesse erweitert sind, wenn wir wüssten, was die individuell notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen dafür sind, dass ein Prozess kognitiv ist. Einige Autoren versuchen dementsprechend, einen Kognitionsbegriff zu formulieren, der liberal genug ist, um zumindest einige hybride Prozesse zu erfassen, zugleich aber nicht so liberal, dass er die Erweiterungsthese durch eine sogenannte kognitive Inflation (cognitive bloat) ad absurdum führen würde.132 Ein solcher Kognitionsbegriff muss so sein, dass nicht jede externe Ressource, die zu einem kognitiven Prozess beiträgt, damit eo ipso auch zu seinem [89] Konstituenten wird – gute Lichtverhältnisse etwa tragen zu visuellen Wahrnehmungsleistungen bei, konstituieren sie deshalb aber nicht. Aus diesem Grund kann Kognition auch nicht einfach mit Informationsverarbeitung oder Prozessen in einem dynamischen System gleichgesetzt werden – beides mag notwendig für Kognition sein, als hinreichende Bedingung jedoch ist es inadäquat. Die Frage ist, was noch hinzukommen muss, damit offensichtliche Gegenbeispiele ausgeschlossen, zumindest einige hybride Prozesse aber eingefangen werden. Es erscheint gegenwärtig eher fraglich, dass diese Gratwanderung zwischen einem zu restriktiven und einem zu liberalen Kognitionsbegriff gelingen kann, zumal einige Autoren nachdrücklich dafür argumentieren, dass das einzig plausible Kriterium für das, was als Kognition gelten kann, derzeit nur von neuronalen Prozessen erfüllt wird.133 Zwar bestreiten andere ausdrücklich, dass ein derartiges Kriterium (ein sogenanntes mark of the cognitive) notwendig ist134, ein solcher Agnostizismus erscheint jedoch unhaltbar: Man kann kaum sinnvoll über das Wo kognitiver Prozesse diskutieren, wenn noch nicht einmal ihr Was klar ist.135 Zudem sollte man den Versuch, die Erweiterungsthese durch einen passenden Kognitionsbegriff zu begründen, nur dann aufgeben, wenn man andere Argumente anzubieten hat, und Alternativen sind wie gesehen kaum in Sicht.
Womöglich ist es aber gar nicht so wichtig, ob sich kognitive Prozesse in die Umwelt hinein erstrecken oder nur kausal von ihr abhängen. Unter Umständen müssen wir am Ende eingestehen, dass die Frage nach dem Ort kognitiver Prozesse sich aus philosophischer Sicht zwar stellt, sowohl lebensweltlich als auch für die kognitionswissenschaftliche Forschungspraxis aber von geringerer Bedeutung ist, als die derzeitige Debatte suggeriert. Eventuell müssen wir sogar noch einen Schritt weiter gehen und die Sinnhaftigkeit der Debatte um den Ort kognitiver Prozesse grundsätzlich infrage stellen (s. Kap 10).