Dem Kognitivismus zufolge besteht Kognition in der sequenziellen und allgemeinen Regeln folgenden Transformation symbolischer Repräsentationen. Der Konnektionismus modifiziert beide Aspekte, gibt sie aber nicht völlig auf: Aktivierungsmuster in neuronalen Netzen folgen zwar keinen expliziten globalen Regeln, beruhen lokal aber immer noch auf parallel an den einzelnen Knoten stattfindenden numerischen Operationen und sind zumindest subsymbolische bzw. verteilte Repräsentationen. Der Dynamizismus hingegen wendet sich ausdrücklich gegen beide Grundpfeiler der traditionellen Ansätze und räumt Berechnungsprozessen und Repräsentationen – ganz gleich, ob global oder lokal, symbolisch oder subsymbolisch – bei der Erklärung intelligenten Verhaltens bestenfalls eine untergeordnete Rolle ein.
Der Konnektionismus teilt mit dem Kognitivismus auch andere Aspekte der traditionellen Auffassung von Kognition: Für beide ist Kognition dasjenige, was in einer zentralen Verarbeitungseinheit Inputs in entsprechende Outputs überführt, während periphere sensorische und motorische Systeme unabhängig voneinander den Input bereitzustellen bzw. den Output umzusetzen haben, selbst aber ebenso wenig als kognitiv gelten wie Körper und Umwelt als Medium bzw. Quelle und Schauplatz dieses Inputs und Outputs. Diese Dreiteilung in sensorischen Input, motorischen Output und die »eigentliche« kognitive Maschinerie sowie die damit einhergehende Herabstufung von Körper und Umwelt wurde Ende der 1980er-Jahre nicht nur vom Dynamizismus kritisiert. Weder klassisch computationalistisch-repräsentationale noch dynamizistische Ansätze, so war zu dieser Zeit aus vielen Teilgebieten der Kognitionswissenschaft zu vernehmen, können der Natur kognitiver Prozesse gerecht werden, [52] solange sie ausschließlich interne Prozesse in den Blick nehmen und damit ignorieren, dass Kognition in dem Sinne situiert ist, dass kognitive Prozesse wesentlich von unserem Körper sowie unserer Einbettung in und unserer Interaktion mit der natürlichen, technischen und sozialen Umwelt abhängen.
Die These, dass Kognition situiert ist, ist bislang allerdings weniger Ausdruck eines wohldefinierten und einheitlichen Forschungsprogramms als vielmehr der kleinste gemeinsame Nenner eines mehr oder minder losen Verbunds philosophischer Erwägungen, empirischer Studien, psychologischer Modelle und kognitionswissenschaftlicher Anwendungen. Im Kern geht es diesen in den folgenden Kapiteln näher beleuchteten Ansätzen darum, dass kognitive Prozesse zu verstehen auch und gerade heißt, den folgenden Tatsachen Rechnung zu tragen: Kognition ist kein ausschließlich neuronaler Prozess, sondern kann an unsere je spezifische körperliche Verfasstheit gebunden (Kap. 6) und auf charakteristische Weise von unserer Umwelt abhängig sein (Kap. 7), sich über die Grenzen unseres Körpers hinaus in die technische bzw. soziale Umwelt erstrecken (Kap. 8 und 9) und schließlich überhaupt erst in der Interaktion mit der Umwelt entstehen (Kap. 10).
Terminologisch herrscht in den philosophischen und empirischen Debatten um situierte Kognition leider weitgehend Uneinigkeit. Nicht nur bleibt oft unklar, was mit den diversen Begrifflichkeiten im Einzelnen gemeint ist, es ist auch nach wie vor unklar, wie sich die entsprechenden Ansätze im Detail zueinander verhalten. Der Sache nach eint sie jedenfalls das gemeinsame Ziel, der Kognitionswissenschaft eine Auffassung von Kognition zugrunde zu legen, die der Tatsache Rechnung trägt, dass das Gehirn, obwohl ihm im Hinblick auf unsere kognitiven Leistungen unbestritten eine zentrale Rolle zukommt, sich immer auch in einem Körper befindet, der mit der Umwelt interagiert.75 Umstritten ist lediglich, wie ein entsprechend ganzheitlicher Ansatz von Gehirn, Körper und Umwelt im Detail auszusehen hat. Auf vier zentrale [53] Überlegungen, die jeweils zumindest einige situierte Ansätze zu einer mehr oder weniger starken Abkehr von den traditionellen Positionen veranlasst haben und im Mittelpunkt der folgenden Kapitel stehen werden, sei einleitend kurz hingewiesen.
(1) Für situierte Ansätze findet Kognition nicht nur losgelöst von Körper und Umwelt, gewissermaßen »offline«, zwischen sensorischen Eingangs- und motorischen Ausgangssignalen im Gehirn statt, sondern entsteht vor allem auch »online« im Zuge der sich in kontinuierlichen Wahrnehmen-Handeln-Zyklen vollziehenden reziproken Interaktion mit der Umwelt.
(2) Entsprechend treten »abstrakte« Probleme wie Sprachverstehen, Schlussfolgern oder Planen, welche die Kognitionswissenschaft erster Generation geprägt haben, oftmals in den Hintergrund. Die Aufmerksamkeit der Kognitionswissenschaft zweiter Generation richtet sich stattdessen auf Herausforderungen, die in der aktiven Echtzeitinteraktion von körperlich auf bestimmte Weise verfassten kognitiven Systemen mit ihrer Umwelt gemeistert werden müssen, also zum Beispiel auf die Navigation in belebten und sich verändernden Umgebungen oder auf energieeffiziente und dezentral gesteuerte Fortbewegungsmethoden.
(3) Der Körper wird nicht mehr nur als bloßes Outputvehikel gesehen, das im Zuge der Problemlösung durch eine zentrale Verarbeitungseinheit kontrolliert und koordiniert werden muss, sondern auch und gerade als etwas, was durch seine spezifischen biologischen, physiologischen und morphologischen oder ganz allgemein materiellen Details selbst eine wertvolle kognitive Ressource darstellt.
(4) Ganz analog wird oftmals betont, dass auch die Umwelt uns nicht nur vor Probleme stellt, sondern in vielen Fällen ihrerseits zu berechnungseffizienten Lösungen beitragen kann, weil kognitive Systeme ihren internen kognitiven Aufwand möglichst gering halten können, indem sie auf in der Welt selbst bereitgehaltene Ressourcen zurückgreifen.
Einige dieser Punkte – insbesondere die Tatsache, dass sich kognitive Prozesse in den Körper oder die Umwelt hinein [54] erstrecken können – wurden, wie gesehen, bereits im Zusammenhang mit der Abkehr des Dynamizismus vom Computationalismus aufgeworfen, da dynamische Modelle kognitiver Systeme in der Regel eine ähnliche »Verteilung« über Gehirn, Körper und Umwelt nach sich ziehen (s. Kap. 4). Allerdings laufen die in den folgenden Kapiteln diskutierten Unterscheidungen insofern quer zu der Debatte zwischen dem Computationalismus und dem Dynamizismus, als situierte Ansätze sowohl computationalistisch als auch dynamizistisch motiviert sein können. In der Debatte zwischen dem Computationalismus und dem Dynamizismus geht es um das Was kognitiver Prozesse bzw. Systeme, also darum, wie sie am besten zu beschreiben, das heißt theoretisch angemessen und explanatorisch optimal zu modellieren sind. In der Debatte um situierte Kognition hingegen geht es um das Wo von Kognition, also darum, wo in der Welt kognitive Prozesse bzw. Systeme – gleichgültig, ob sie computationalistisch oder dynamizistisch beschrieben werden – zu finden sind und in welchem Verhältnis der jeweilige »kognitive Kern« zu den Ressourcen im übrigen Körper und der Umwelt steht.