Amsterdam verstehen

Das Antlitz der Metropole

Zum ersten Mal urkundlich erwähnt wird das damals noch kleine Dorf Amsteledamme im Jahr 1275, als ihm vom Grafen von Holland, Floris V., die Zollfreiheit für den Warenverkehr auf der Amstel zugesprochen wurde. Die Stadt lag sowohl militärisch als auch für den Handel strategisch günstig, geschützt vom Meer und den umliegenden Sümpfen. Allerdings musste man sich mit Deichbauten vor Flut und Überschwemmungen schützen und für Stadterweiterungen mussten Sümpfe trockengelegt oder dem Meer neues Land abgewonnen werden. Letztere Methode wird bis heute angewendet.

Noch immer liegt die Innenstadt mit ihren typischen Halbkreisen der weltberühmten Grachtenhäuser wie fast aus einem Guss da. Der Grachtengürtel wurde rund um den Dam und damit um die Anlegestellen der Überseeschiffe, die Wohnhäuser der Reichen und deren Kornspeicher für die Waren aus aller Welt angelegt. Dies geschah in der Blütezeit des Seehandels im 17. Jh., als Reichtum und Macht in der ganzen Stadt zu spüren waren, Amsterdam aus allen Nähten platzte und gebaut werden musste, was das Zeug hielt.

Zwei Wesenzüge der Amsterdamer kamen zusammen, die diesen Wohlstand möglich machten: Zum einen sind sie geborene Handelsleute. Zum anderen half ihnen ihre sprichwörtliche Toleranz. Die verfolgten Juden aus Portugal fanden Zuflucht in der Stadt. Die Amsterdamer nahmen die (zumeist) reichen Handelsleute gern auf und profitierten von ihren Kontakten und Geschäften. Der Zustrom der portugiesischen und etwas später auch der Antwerpener Juden (Diamanthandel) sorgte dafür, dass die Stadt in rasendem Tempo erweitert werden musste. Dies führte zu einem in dieser Größe weltweit einmaligen architektonisch zusammenhängendem Stadtbild. Und so ist die Innenstadt Amsterdams für uns heute ein großes Outdoor-Museum. Es lohnt sich, seinen Blick oben entlang der Häuserfassaden schweifen zu lassen. Hier gibt es einiges zu entdecken, von schönen und noch immer originalen Holzverzierungen bis hoch zu den verschiedenen Giebelformen und den Gapern.

Extrainfo: Gaper

Eine Besonderheit im Amsterdamer Stadtbild sind die Gaper, aus Holz geschnitzte, bemalte Köpfe von Männern südländischer Herkunft, meist „Mohren“, dargestellt mit offenem Mund und einer Pille auf der Zunge. Diese Skulpturen dienten im 17. Jh. als Aushängeschilder von Drogerien. Die Figuren heißen zwar Gaper, also „Gähner“, doch ihr Mund ist geöffnet, um Medikamente zu empfangen.

Kurz und knapp: Die Stadt in Zahlen

> Einwohner: ca. 845.000

> Nationalitäten: fast 170

> Einwohner/km²: 5121

> Fahrräder: 881.000 (geschätzt)

> Landfläche: 165 km²

> Wasserfläche: 54 km²

> Höhe ü. M.: -1 m bis 6 m

> Brücken: 1281

> Grachten: 165

> Hausboote: 2500

Von den Anfängen bis zur Gegenwart

Vom Fischerdorf zur Handelsstadt

Mitte 12. Jh.: Durch eine Reihe von Überschwemmungen lagert sich auf dem sumpfigen Boden Ton ab, was in diesem Gebiet eine Bebauung möglich macht.

ca. 1200: Bauern, Handwerksleute und Händler wohnen beim Amsteldam. Anfänge des Güterverkehrs mit See- und Binnenschiffen.

1275: Erteilung des Zollrechtes für die Siedlung durch Graf Floris V., zollfreier Warenverkehr für eigene Güter der Amsterdamer ist damit erlaubt.

1300: Ca. 1000 Einwohner. Verleihung der Stadtrechte und des Marktrechts.

1334: Amsterdam wird vom Bischof zu Utrecht zu einer selbstständigen Pfarr- gemeinde (Oude Kerk) ernannt.

nach 1350: Aufkommen der Tuchindustrie, Handelsbeziehungen entstehen nach Brügge, Norddeutschland, Polen, Skandinavien und England. Als zweite Kirche wird die Nieuwe Kerk gebaut.

ab 1480: Erste Festungsmauer aus Stein. Munt, Schreiersturm und Waage sind Teil dieser Festungsanlage.

1512: Die Vorstadt, die sich im Osten gebildet hat, wird provisorisch geschützt (Montaelbansturm). Dieser Stadtteil wird von Calvinisten bewohnt, die Sonderrechte einfordern.

ab 1515: Karl V., ein Habsburger, formt die „Niedrigen Lande“ zu einer Einheit (unificatie). Die Sieben Provinzen entsprechen mehr oder weniger dem heutigen Gebiet der Benelux-Staaten. Durch das Aufkommen der Reformation wird diese Einheit jedoch gefährdet.

1562: Ca. 27.000 Einwohner

1567: Der Herzog von Alba soll in der Grafschaft für Recht und Ordnung sorgen und dem reformatorischen Streben mit harter Hand Einhalt gebieten. Der Reformation Wohlgesinnte verlassen mit ihrem Wissen und ihrer Kapitalkraft die Stadt. Die Entwicklung Amsterdams stagniert.

1568–1648: Der Achtzigjährige Krieg wütet. Die nördlichen Niederlande lehnen sich gegen die katholischen spanisch-habsburgischen Herrscher auf.

1572: Die nördlichen Niederlande schließen sich dem Prinzen Willem van Oranje an – außer Amsterdam. Die spanisch-habsburgischen Truppen erzielen zunächst Erfolge gegen die Widerstandskämpfer, die sich selbst Geusen nannten.

1578: Die Geusen setzen sich gegen Amsterdam durch, die Stadt schließt Frieden mit Holland (satisfactie). Dies führt am 26. Mai zu einem unblutigen Umsturz in der Stadt, bei dem alle katholischen Amtsinhaber und Priester in ein Boot gesetzt und aus der Stadt gefahren werden. Alle Einwohner, die katholisch bleiben wollen, werden verbannt, die Klöster abgerissen oder einer neuen Bestimmung übergeben. Jetzt übernehmen die Protestanten und Orangisten (Orange ist die Farbe des Hauses Oranje) auch hier die Macht (alteratie).

Das Goldene Zeitalter (1585–1670)

1588: Die Niederlande fallen auseinander. Im nördlichen Teil der Republik der Sieben Provinzen gibt die Provinz Holland, und damit auch Amsterdam, und nicht ein Fürst den Ton an. Dadurch erhält die Stadt weitgehende Autonomie und wird von reichen Bürgerfamilien verwaltet.

Ende 16. Jh.: Durch das schnelle Bevölkerungswachstum kommt es zu Platzmangel in der Stadt.

1585: Ca. 30.000 Einwohner. Die katholischen Spanier sorgen mit der Besetzung Antwerpens ungewollt für eine erste Blütezeit Amsterdams. Flämische Immigranten bringen Reichtum und Wirtschaftsbeziehungen mit. Der Handel, auch der mit Portugal und Spanien, mit denen man ja im Krieg liegt, floriert. Hier bestätigt sich das niederländische Sprichwort: „Man braucht jemanden nicht zu lieben, um mit ihm Geschäfte zu machen.“

1597: Das erste Schiff mit Waren aus Indonesien kommt zurück. Mit der Besetzung Lissabons durch die Spanier flüchten viele Juden nach Amsterdam und bringen neuen Reichtum, neues Wissen und weitere Handelsbeziehungen. Hier zahlt sich aus, dass man in Amsterdam andere Religionen duldet, solange sie nicht öffentlich zur Schau gestellt werden.

1602: Gründung der Oostindische Compagnie mit dem Ziel, die Transporte aus Indonesien und dem Fernen Osten zu monopolisieren.

ab 1613: Enorme Stadterweiterung. Jetzt entsteht, von Osten nach Westen, der Grachtengürtel, der Amsterdam bis heute seine typische Form gibt. Die armen Einwohner werden in den Vierteln Jordaan, Haarlemmerbuurt und Westelijke Eilanden untergebracht.

1621: Gründung der Westindische Compagnie für den Handel mit Westafrika und der Neuen Welt. Gründung der Niederlassung Neu Amsterdam (später New York) an der Mündung des Hudson River.

1648: Amsterdam ist eines der wichtigsten Handelszentren Europas und eine bedeutende politische Macht. Bau des Rathauses (heute Koninklijk Paleis) auf dem Dam.

1660: 200.000 Einwohner. Die Stadt platzt aus allen Nähten. Nicht nur Flüchtlinge aus Antwerpen und Portugal strömen in die Stadt, sondern auch Juden aus Polen und Deutschland, die vor dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) flüchten, französische Hugenotten, armenische Kaufleute, Friesen. Amsterdam ist der melting pot des 17. Jh.

Rezession, Kriege und französische Besatzung

1672: England, Frankreich, Münster und Köln erklären der Republik der Vereinigten Niederlande den Krieg. Die Republik entscheidet sich letztendlich unter Willem III. für ein Bündnis mit England gegen Frankreich und kann die Feinde aus dem Feld schlagen.

1680: Ende des 17. Jh. setzt eine hun- dertjährige wirtschaftliche Flaute ein. Zunächst profitiert Amsterdam aber noch von seiner Neutralitätspolitik und den Einkünften aus den Kolonien. Die Diamant- und die Tabakindustrie ent- stehen. Die Stadt entwickelt sich zu einem Finanzzentrum.

1682: Ein im Osten konzipierter Grachtengürtel wird nicht mehr realisiert – die Bevölkerungszahl wächst nicht mehr.

1763: Zusammenbruch der Amster- damer Börse durch die Verleihung zu vieler Kredite.

1795–1813: Französische Patrioten putschen sich an die Macht. Amsterdam wird Hauptstadt der Batavschen Republik, die nun ein Teil Frankreichs wird. Einbüßung der Stadtrechte. Frankreich verbietet den Handel mit England. England erobert die Kolonien, die Stadt verliert somit ihre Haupteinnahmequelle. Durch den Niedergang des Schiffsbaus und der Zuckerverarbeitung wird die Stadt entvölkert.

1813: Im November Befreiung von den Franzosen durch die Kosaken.

1814: Am 30. März wird Willem I. als König des neuen Königreichs der Vereinigten Niederlande in Amsterdam eingesetzt. Amsterdam wird Hauptstadt, Den Haag aber Parlamentssitz. De Nederlandsche Bank, die niederländische Zentralbank, erhält ihren Sitz in Amsterdam.

Ende 19. Jh.: Die späte Industrialisierung belebt die Wirtschaft. England gibt die eroberten Kolonien zurück. Amsterdam wird zum Umschlagplatz tropischer Produkte. Schiffsbau, Zucker- und Diamanthandel kommen wieder in Gang. Der Maschinenbau, die Holz-, Nahrungsmittel- und Konfektionsindustrie entstehen. Die Einwohnerzahl wächst rasch, was vor allem in den armen Arbeitervierteln zu äußerst schlechten hygienischen Verhältnissen und Krankheiten führt.

ab 1867: Um der ständig wachsenden Verkehrssituation Herr zu werden, werden Grachten zugeschüttet.

ab 1870: Auch außerhalb der Spiegelgracht wird durch ein Gesetz Bebauung möglich. Dort entstehen vor allem Arbeiterviertel.

1889: Bau des Hauptbahnhofs auf einer Insel vor dem Hafen.

1892: Der Meerwedekanal verbindet die Stadt mit dem Rhein, wodurch es gelingt, sich wieder als wichtiger Durchgangshafen zu etablieren.

1900: Die Stadt hat nun ca. 520.000 Einwohner.

Die erste Hälfte des 20. Jh. – die Zeit der Weltkriege

1914–1918: Die Niederlande blieben während des Ersten Weltkriegs neutral. Dies sorgt für eine günstige wirtschaftliche Entwicklung.

1928: Olympische Sommerspiele im neu erbauten Stadion. Außer den zwölf sportlichen Disziplinen werden auch dreizehn Kunstwettbewerbe (Baukunst, Literatur, Musik, Malerei, Grafik und Bildhaukunst) ausgetragen.

1930: Ca. 775.000 Einwohner. Vergrößerung des Stadtgebiets durch Anschluss umliegender Gemeinden.

1939: Die Nationalsozialistische Bewegung (NSB) erhält drei Sitze im Stadtrat.

1940: Im Mai fallen deutsche Truppen ohne Kriegerklärung in die neutralen Niederlande ein. Nach vier Tagen erfolgt die Kapitulation. Am 15. Mai wird Amsterdam besetzt.

1941: Im Januar beginnen Registratur und Beschlagnahmung jüdischer Unternehmen. Im Februar Straßenschlachten und Februarstreik (–>), Beginn der Deportationen von Juden.

1942: Im Januar werden alle Juden, die in der Provinz leben, nach Amsterdam gebracht. Im Mai wird der Judenstern eingeführt. Ab Juni gilt eine Ausgangssperre für Juden. Die systematischen Deportationen über Westerbork in die Vernichtungslager im Osten beginnt.

1943: Ab Mai werden niederländische Männer zum Arbeitsdienst in Deutschland eingezogen.

1944/45: Hungerwinter: Zwar ist der Süden der Niederlande bereits befreit, aber die Schlacht um Arnheim wird von den Alliierten zunächst verloren. Dadurch ist Amsterdam von allen Vorratslinien abgeschnitten. Zudem ist der Winter in diesem Jahr bitterkalt und hartnäckig. Viele sterben an Kälte und Unternährung.

1945: Befreiung der Stadt am 8. Mai. Beginn des Wiederaufbaus.

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Das olympische Feuer leuchtete 1928 über der ganzen Stadt (028am Abb.: bs)

Die zweite Hälfte des 20. Jh. – Aufbau und Wachstum

1960er-Jahre: Auch in Amsterdam kommt es zu studentischen Unruhen und Protesten gegen das Establishment. Aufgrund der angespannten Wohnungslage entsteht eine lebhafte Hausbesetzerszene.

1966: Bei der Hochzeit von Kronprinzessin Beatrix mit dem Deutschen Claus von Amsberg finden Protestaktionen statt und Rauchbomben werden geworfen. Antideutsche Ressentiments und die Unzufriedenheit nicht nur über die Wohnungsnot kommen hier zusammen. Geheiratet wird trotzdem.

1970er-Jahre: Amsterdam wird im großen Stil umgekrempelt. Alte Viertel werden abgerissen, große Verkehrsadern zerschneiden die Stadt, die U-Bahn wird angelegt. Bürgerproteste können einiges verhindern, doch sind große Teile bereits unwiederbringlich zerstört. Arbeiterfamilien ziehen in die umliegenden Städte.

1980er-Jahre: Der Zustrom von Immigranten, auch aus den alten Kolonien, verändert die Zusammensetzung der Bevölkerung. Neue Stadtteile entstehen. Der Flughafen Schiphol übernimmt teilweise die Funktion des Hafens. Das neue Rathaus wird am Waterlooplein eröffnet.

1984: In der Stadt findet die größte Demonstration Europas (400.000 Teilnehmer) gegen den NATO-Doppelbeschluss statt.

1992: Am 4. Oktober stürzt eine Boing der israelischen Fluggesellschaft El-Al in den Stadtteil Bijlmermeer. Hunderte sterben. Eine vollständige Klärung des Unglücks bleibt aus.

1995: Ajax gewinnt die niederländische Meisterschaft, die Champions League und obendrein den Weltpokal. Ein Jahr später muss sich Ajax, wiederum Meister, in der Champions League erst im Finale beugen.

Das neue Jahrtausend

2000: Die Niederlande und Belgien tragen gemeinsam die Fußballeuropameisterschaft Euro2000 aus. Holland verliert im Halbfinale gegen Italien nach Elfmeterschießen.

2002: Am 2. Februar heiraten der Kronprinz Willem-Alexander und seine argentinische Braut Maxima in Amsterdam. Im November ziehen die ersten Bewohner in das neu angelegte Stadtviertel IJburg.

Der Bau für eine neue Metrolinie (Noord-Zuid-Lijn) beginnt. Durch den Bau entstehen enorme Baustellen in der Stadt und riesige Kosten.

2003: Bei einer Arbeitsinspektion werden im Rijksmuseum Asbestteilchen in der Luft gefunden. Daraufhin wird das Museum bis April 2013 für eine Renovierung teilweise geschlossen.

2004: Mit dem „Projekt 1012“, benannt nach der Postleitzahl des Rotlichtviertels, beginnt eine mehrjährige Stadtteilsanierung mit dem Ziel, Kriminalität, Drogenhandel und Zwangsprostitution einzudämmen.

2010: Neuer Bürgermeister wird der Sozialdemokrat Eberhard van der Laan. Er stirbt 2017. Für den außerordentlich beliebten Politiker wird erstmalig für eine Einzelperson, die nicht zur könglichen Familie gehört, landesweit Halbmast geflaggt.

2013: Willem Alexander folgt Beatrix auf den niederländischen Thron.

2014: Im März finden Gemeinderatswahlen statt, im Zuge derer auch die Stadtteilräte aufgehoben und durch Verwaltungsausschüsse ersetzt werden.

2015–2018 Das Verkehrsaufkommen bleibt eines der wichtigsten Probleme der Stadt. Im Juli 2018 soll die neue Metrolinie Noord-Zuid-Lijn in Betrieb genommen werden. Nun richtet sich die Aufmerksamkeit auch darauf, wie der zunehmende Fahrradverkehr in gute Bahnen geleitet werden kann.

Leben in der Stadt

Hauptstadtfrage

Amsterdam gilt zweifellos als das kulturelle und geistige Zentrum des Landes und ist deshalb auch die logische Wahl für die Hauptstadt. Allerdings trauten die politischen Führer dieser stets aufmüpfigen Stadt nie wirklich über den Weg und so mag sich Amsterdam zwar Hauptstadt nennen, der Regierungssitz aber ist in Den Haag untergebracht.

Tourismus

Der Tourismus spielt für Amsterdam eine wichtige Rolle. Rund 14 Mio. Übernachtungen und 18 Mio. Tagesbesucher sorgen für gute Einnahmen. Die Stadt hält ja auch mit ihrem äußerst vielfältigen kulturellen Angebot für alle Besucher etwas Passendes bereit.

„Dem Volk aufs Maul geschaut“

Der Schriftsteller Simon Carmiggelt (1913–87) hat in unzähligen kleinen Geschichten die Seele der Amsterdamer eingefangen. In seiner Episode über den „echten Amsterdamer“ erzählt er, wie ein Mann über eine Brücke geht und sieht, dass ein Kind in eine Gracht fällt. Als echter Amsterdamer zieht er sofort seine Jacke aus und springt ins Wasser, um das Kind zu retten. Dann kommt ein zweiter „echter Amsterdamer“ dazu. Dieser erkennt die Gunst der Stunde und stiehlt die Jacke.

Damit hat Carmiggelt wesentliche Charakterzüge der Amsterdamer eingefangen. Auf der einen Seite sind sie hilfsbereit, großherzig, häufig auch vorlaut und witzig – andererseits aber auch oft auf den eigenen Vorteil bedacht. Man besitzt traditionsgemäß ein großes Selbstvertrauen und ein gesundes Misstrauen der Obrigkeit gegenüber und versteht sich selbst als kulturellen Mittelpunkt der Niederlande. Man sieht sich gern als moralische Instanz und hält sich auch mit moralischen Urteilen nicht zurück, denn das Image der toleranten, weltoffenen, freundlichen Stadt stimmt für die meisten Amsterdamer noch immer und sie setzen es täglich in die Tat um. Hier gilt generell, dass jeder nach seiner Auffassung glücklich werden sollte und die Einwohner der Stadt bleiben neugierig und offen, was eine Kontaktaufnahme erleichtert.

Die Erde bebt – große Bauprojekte für die Zukunft

Ein viel diskutiertes Thema in der Stadt sind die umfangreichen Bauarbeiten, die wie üblich bei Großprojekten länger dauern und viel teurer ausfallen als ursprünglich gedacht. Die neue U-Bahnlinie Noord-Zuid-Lijn (Nord-Süd-Linie) verlangt den Ingenieuren einiges ab. Die Amsterdamer Innenstadt ruht auf jahrhundertealten Holzpfählen, die, solange sie im Grundwasser stehen, in gutem Zustand bleiben. Wird der Grundwasserspiegel gesenkt, werden die Balken morsch, daher sind immense Abstützungsmaßnahmen nötig. Und tatsächlich kommt es auch zu Problemen beim Bau. In den Tunnel dringt Wasser ein, Häuser versacken, Bewohner müssen als Vorsorgemaßnahme ihre Häuser verlassen, Händler klagen, dass keine Kunden mehr kommen, weil Bauzäune und -dreck diese abschrecken.

Nachdem 2009 in Köln beim U-Bahn-Bau das Historische Stadtarchiv einstürzte und Menschen ums Leben kamen, wurde in Amsterdam zunächst ein Baustopp erwirkt. Doch nach weitergehenden Untersuchungen wurden die Bauarbeiten wieder aufgenommen. Es wäre wohl auch kaum möglich, die U-Bahn-Trasse nur zur Hälfte fertigzustellen. Jedenfalls soll das Projekt U-Bahnlinie am 22.7.18 abgeschlossen werden, was in der Innenstadt immer noch hier und da zu Verkehrsproblemen und Baustellen führen kann. An der südlichen Endhaltestelle der Linie liegt der Bahnhof Amsterdam-Zuid (der in Zukunft eine größere Rolle auch für internationale Züge spielen soll). In diesem Viertel entsteht ein neues Wirtschafts- und Kulturzentrum, das letztlich 12.000 Menschen Wohnraum und 60.000 Menschen Arbeitsplätze bieten soll. Durch die Noord-Zuid-Lijn wird aber auch der Nordteil der Stadt viel stärker an die Innenstadt angegliedert, da es dann eine schnelle U-Bahnverbindung und kurze Reisezeiten geben wird. Die ersten Kultureinrichtungen haben bereits angefangen, sich nach Norden auszubreiten. Parallel zu den Arbeiten an der Noord-Zuid-Lijn wurde auch der gesamte Bereich des Hauptbahnhofs renoviert, erweitert und neu gestaltet. Durch den Bau der Noord-Zuid-Lijn soll die Zahl der Reisenden pro Tag von 295.000 auf 330.000 steigen. Der Autoverkehr verschwindet in einen Tunnel und das gesamte Gebiet wird den Reisenden gehören, die dann schnell und einfach zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln (Bus, Bahn, Straßenbahn, U-Bahn, Fahrrad) wechseln können. Die Renovierungsarbeiten im Hauptbahnhof selbst sind weitgehend abgeschlossen und man kann sich als Reisender endlich wieder zurechtfinden. Die Umgestaltung der Westseite der Bahnhofsinsel dauert allerdings noch ein paar Jahre, doch 2021 sollen die Amsterdamer dann endgültig von dieser Baustelle erlöst werden.

Im Osten wird der neue Stadtteil IJburg weiter ausgebaut. Mit dem Bau der vierten Insel Centrumeiland wurde 2013 begonnen, 2018 sollen dort die ersten Häuser errichtet werden. Insgesamt sollen sechs Inseln aus Sand aufgeschüttet werden. Letztendlich sollen 45.000 Bewohner hier ein neues Zuhause finden.

Die Stadt hat sich für die kommenden Jahre die Förderung des Kunst- und Kultursektors auf die Fahnen geschrieben. Die Renovierung der drei großen Museen auf dem Museumplein hat sich in jedem Fall bereits als gute Investition erwiesen, wie die gestiegenen Besucherzahlen zeigen. Für die nächsten Jahre ist die Stadt bereit, deutlich mehr Mittel zur Verfügung zu stellen als zuvor. Schwerpunkte sollen dabei die Förderung der Zusammenarbeit verschiedener Institutionen, Kunsterziehung und Talentförderung sein. Als Besucher darf man sich also auf spannende und innovative Projekte freuen.

Vielvölkerstadt

Inzwischen gibt es viele Einwohner Amsterdams, die ursprünglich aus aller Herren Länder stammen. Ein Teil kommt aus ehemaligen Kolonien, wie etwa Surinam, Indonesien oder von den Antillen (die heute noch zum Königreich gehören), Türken und Marokkaner siedelten sich als Gastarbeiter an. Die Ermordung des Politikers Pim Fortuyn (2002) und des Filmemachers Theo van Gogh (2004) haben in den Niederlanden deutlich für einen Rechtsruck in der Politik gesorgt, was mit den Erfolgen des Politikers Geert Wilders noch deutlicher wird. Gegensätze und Probleme treten sehr viel schärfer hervor und gute Lösungen, wie die traditionell offene und tolerante Haltung mit extremistischen Entwicklungen in Einklang zu bringen ist, sind noch nicht in Sicht. Die Unruhe und Unzufriedenheit der Bevölkerung wächst, die Politiker sind mehr denn je gefordert.