Narrative Strukturen in zeitgenössischen Kinofilmen

Die Art und Weise, wie eine Geschichte erzählt wird, beeinflusst die Wahrnehmung und Interpretation der Handlung maßgeblich. Neben der erzählenden Literatur eignet sich das Medium Film besonders gut für komplexere Handlungen, da filmtechnische Mittel wie »flashbacks«[3] (Rückblenden) oder »flash-forwards«[4] (Vorausschauen) es erlauben, die Geschichte nicht mehr nur von Anfang bis Ende zu erzählen, sondern die linearen Ereignisketten aufzubrechen. In einem Film muss unterschieden werden zwischen der Story, der eigentlichen Handlung des Filmes, und dem Plot, den Ereignissen, die im Film tatsächlich gezeigt werden. Der Plot entscheidet, in welcher Reihenfolge die Ereignisse der Story dem Rezipienten (Zuschauer) gezeigt werden. Am Beispiel des Zeitreisefilmes BUTTERFLY EFFECT (Eric Bress, J. Mackye Gruber, USA 2004) lässt sich eine non-lineare Erzählstruktur gut erklären. Non-linear bedeutet in diesem Fall, dass eine Geschichte nicht in ihrer kausal-logischen Reihenfolge erzählt wird (ABC), sondern die Ereignisse in einer neu gewählten Reihenfolge präsentiert werden (beispielsweise CABC).[5]

Abb. 2: Narrative Struktur in BUTTERFLY EFFECT

Wie in Abbildung Nr. 2 dargestellt, werden die Ereignisse in BUTTERFLY EFFECT nicht in ihrer eigentlichen Reihenfolge erzählt, sondern der Film beginnt mit einem Ereignis, das erst kurz vor dem Ende der Story stattfindet. Mittels eines »flashbacks« (13 Jahre früher) wird eine non-lineare Erzählstruktur erzeugt.

David Bordwell beschreibt in seinem Buch Film Art: An Introduction, dass in einem fiktional-narrativen Film, in dem raumzeitliche Ereignisketten im Ursache-Wirkung-Prinzip auftreten, lineare Erzählstrukturen bevorzugt werden.[6] Der aktuelle Forschungsdiskurs zum Thema neuer komplexer Erzählstrukturen im zeitgenössischen Kino zeigt, dass Filme immer häufiger vom klassischen Modell der Narration mit linearen Erzählstrukturen abweichen. Zeitreisefilme eignen sich besonders gut für die Anwendung komplexer Erzählweisen, da die Filmemacher mit wenigstens zwei Zeitebenen arbeiten können. Der Trend hin zu immer komplexeren Filmen korreliert also mit der größer werdenden Anzahl von produzierten Zeitreisefilmen (siehe Abbildung Nr. 1).

Unter anderem beschäftigen sich die Filmwissenschaftler Warren Buckland, Thomas Elsaesser und David Bordwell mit neuen Erzählweisen in zeitgenössischen Kinofilmen. Sie haben verschiedene Filmkategorien erarbeitet, die hier kurz vorgestellt werden: Der von Buckland verwendete Begriff des »Puzzle Films«[7] bezeichnet Filme, in denen den Zuschauern ein verwirrendes Puzzle, ein komplexes Rätsel präsentiert wird, das es zu lösen gilt. Ein Beispiel für einen solch komplexen »Puzzle Film« ist wiederum der Zeitreisefilm BUTTERFLY EFFECT, in dem das Leben des Protagonisten durch Zeitreisen in die Vergangenheit immer wieder verändert wird. So wird der Zuschauer konstant herausfordert, die immer neuen Ereignisketten nachzuvollziehen.

Der von Thomas Elsaesser geprägte Begriff des »Mind-Game Film«[8] bezeichnet hingegen Filme, in denen mit der Filmwahrnehmung des Rezipienten gespielt wird oder Filme, in denen mit den Charakteren in der Handlung selbst gespielt wird. Dabei sind die Hauptcharaktere in einem »Mind-Game Film« häufig psychisch instabil oder gar geisteskrank, wie der Protagonist in David Finchers FIGHT CLUB (USA 1999), der eine multiple Persönlichkeit besitzt. Auf den Film DONNIE DARKO (Richard Kelly, USA 2001) treffen beide Definitionen des »Mind-Game Films« zu. In diesem Film wird mit der Filmwahrnehmung des Rezipienten gespielt, dem nicht klar ist, ob Donnies Visionen real sind oder seiner labilen Psyche entspringen. Auch DONNIE DARKO ist ein Zeitreisefilm. Bucklands und Elsaessers Filmkategorien »Puzzle Film« und »Mind-Game Film« werden in dem Sammelband Puzzle Films – Complex Storytelling in Contemporary Cinema beschrieben, in dem auch David Bordwells Begriff der »Multiple-Draft narratives« aus seinem 2002 erschienen Aufsatz Film Futures[9] aufgeführt wird. Unter »Multiple-Draft narratives« wird ein Film verstanden, der verschiedene Versionen des gleichen Handlungsstranges nacheinander zeigt, wie beispielsweise in Tom Tykwers LOLA RENNT (1999).