Es gibt im Alltag konkrete Dinge, die wir tun und beachten können, damit das Vertrauen zwischen Menschen wachsen kann. Sie erfordern keine großen Maßnahmen, sondern sind sofort selbstbestimmt umsetzbar. Hier sind einige Beispiele:
Zuhören
Wie sollen wir jemandem vertrauen, der nicht einmal mitbekommt, was uns beschäftigt? Zuhören ist eine unglaublich wichtige Kompetenz, die es uns ermöglicht, eine wirkliche Tiefe in unsere Gespräche zu bringen. Und Tiefe schafft Vertrauen. Aber es fällt den meisten Menschen schwer, richtig zuzuhören. Statt uns dem, was wir hören, wirklich hinzugeben, liegen wir auf der Lauer. Wir warten darauf, dass wir etwas hören, wozu wir etwas zu sagen haben. Und kaum haben wir etwas gefunden, hören wir den Rest nicht mehr. Stattdessen wollen wir unsere Antwort loswerden. Wir werden immerhin unser Leben lang darauf trainiert, Antworten zu geben. Gleichzeitig wird uns Neugierde schon als Kind aberzogen. Wir lernen, dass wir es nicht so genau wissen wollen sollten. Deshalb tauchen wir nicht ein, in das Gehörte. Wir sind nicht neugierig genug und wollen nicht alles wissen. Wir bleiben an der Oberfläche und die Menschen, denen wir eigentlich zuhören wollten, fühlen sich ungehört, obwohl wir ihnen nickend gegenübersitzen.
Und es geht noch schlimmer. Gespieltes Zuhören gehört schon fast zum guten Ton. Statt uns wirklich gegenseitig zuzuhören, machen wir andere Dinge. Wir schauen auf unser Smartphone, schreiben eine E-Mail oder gehen unsere To-dos im Kopf durch. Wann sollten wir das auch sonst machen? Wer ständig überfordert ist hat nie Zeit. Aber genau darum geht es. Um ungeteilte Aufmerksamkeit. Und die ist heute so wertvoll wie nie. Uns entgeht zu viel, wenn wir nicht richtig da sind. Vor allem die feinen Nuancen. Die leisen und versteckten Botschaften sind oft genau die, die wir hören müssten, weil sie die wichtigsten Informationen enthalten.
Nach diesem Prinzip prägte die Komponistin und Musikwissenschaftlerin Pauline Oliveros den Begriff des Deep Listenings, also des tiefen Zuhörens. Deep Listening ist ein absolut fokussierter Hörprozess. Statt aber nur akustisch und mit den Ohren zu hören, geht es darum, mit allem zu hören. Genau wie Musik uns in unserem ganzen Körper erreicht und auf emotionaler Ebene bewegt, können das auch Gespräche tun, wenn wir lernen, auf die gleiche Weise dem gesprochenen Wort zuzuhören, wie wir uns der Musik öffnen.20 Wenn wir unserem Gegenüber unsere volle Aufmerksamkeit schenken und zuhören, um wirklich zu verstehen und zu fühlen, statt um Antworten zu geben, dann ist das nicht nur eine der höchsten Formen der Wertschätzung, sondern auch eine gute Basis für echtes Vertrauen. Denn nur wenn wir wirklich zuhören, fühlt sich unser Gegenüber auch wirklich gehört.
Fragen stellen
Früher habe ich viele Trainings zu den Themen Kommunikation und Bedarfsanalyse gegeben, um Menschen für die Gespräche mit ihrer Kundschaft fit zu machen. Die größte Schwierigkeit der Teilnehmenden war es, Fragen zu stellen. Es war ihnen unangenehm. Sie fühlten sich aufdringlich, dabei trainierten wir nur »milde« Wege, wie sie im Gespräch Interesse und Aufmerksamkeit zeigen konnten. Wir grenzten das sehr bewusst von aufdringlichen »Verkaufsgesprächen« ab. Das war noch nie mein Stil. Dennoch war ihnen das Wenige schon zu viel.
So geht es uns auch miteinander. Statt uns einfach zu fragen, was uns bewegt, verbringen wir lieber Zeit damit, zu mutmaßen, damit wir bloß nicht fragen müssen. Schon als Kinder lernen wir, nicht so neugierig zu sein. Das wird meist auch von Sätzen begleitet wie: »Sowas fragt man nicht«. Und so bleibt in uns haften, dass wir lieber nicht zu viel wissen sollten. Wir müssen diese alten Glaubenssätze aus den Köpfen kriegen, denn Fragen zeugen von echtem Interesse und von unserer Intention, einander wirklich zu verstehen. Ehrliches Interesse macht Wohlwollen spürbar und wenn wir Wohlwollen spüren, dann ist das ein guter Anfang für die Entscheidung zu vertrauen. Warum nicht einfach fragen: Was bewegt dich gerade? Wie ist es dir dabei ergangen? Was macht das mit dir? Diese Fragen bringen uns weg von der Oberfläche – und einander näher.
Klare und eindeutige Kommunikation
Klarheit in den eigenen Aussagen schafft Orientierung für unsere Mitmenschen. Sie wissen, woran sie sind. Umgekehrt erzeugt eine mehrdeutige Kommunikation Spekulationsspielräume, Unsicherheiten und Orientierungslosigkeit. Es ist wichtig, dass wir sagen, was wir meinen. Schnörkellos und eindeutig.
Verbindlich agieren
Verbindlichkeit ist ein wichtiger Teil unserer Zuverlässigkeit. Wenn andere sich darauf verlassen können, was wir sagen, ist das wertvoll und schafft Vertrauen. Leider geht das im Arbeitsalltag zu oft unter. Aussagen werden revidiert, Termine nicht eingehalten und Vorhaben zurückgezogen. Selbst wenn sich ein solches Verhalten manchmal nicht vermeiden lässt, ist es wichtig, klar und verbindlich zu kommunizieren und damit deutlich zu machen, warum das passiert ist. In Kapitel 9 gibt es dazu mehr Informationen.
Verletzlichkeit zeigen
Wenn wir etwas von uns preisgeben, dann ist das eine Vorleistung. Meine Erfahrung ist, dass wir dann auch etwas zurückbekommen. Verletzlichkeit öffnet Menschen. Und zwar auf beiden Seiten. Emotionen ansprechen, einen Fehler eingestehen oder die eigene Unsicherheit zugeben; das wirkt Wunder im Gespräch und erzeugt Vertrauen. Klingt einfach, ist aber nicht ohne. Damit wir uns auch im Team verletzlich zeigen können braucht es eine gewisse Sicherheit. Darum geht es im nächsten Kapitel.
20 Swed, Mark, How gay feminist composer Pauline Oliveros taught us to hear with more than ears, Los Angeles Times, 2020, https://www.latimes.com/entertainment-arts/story/2020-08-05/how-to-listen-pauline-oliveros-deep-listening-composer, zuletzt aufgerufen am: 04.06.2023.