Strategie in Scherben
Band 2
~ Gay-Romance-Novel ~
von
Nathan Jaeger
Impressum
Text:
Nathan Jaeger
Turmstraße 22, 47119 Duisburg
Umschlaggestaltung
Nathan Jaeger
Umschlagfotos
:
Glasbruch-Scherben
© WestPic – Fotolia.com
See © Kalle Kolodziej - Fotolia.com
Lektorat:
www.wort-waechter.net
© 2013 Nathan Jaeger
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung sind nicht gestattet.
Für Alex,
die mich mit ihrem Humor auf Trab hält, wann immer ich zu ernst werde.
(Dängel-dängel-dängel …)
Mächte Gefühle, mächtige Worte
Man muss tun, was man tun muss
Ich stehe in der Tür und traue meinen Augen kaum. Andererseits ... er hat gesagt, dass er Nachforschungen anstellen will, oder nicht?
„Ich habe gefragt, was du hier tust!“, wiederhole ich.
Er sieht kurz auf seine Hand, schaltet die kleine LED-Taschenlampe aus und mustert mich. „Ich suche.“
„Aha?“ Ich trete näher, bis nur noch der gewaltige Schreibtisch von Lu zwischen uns steht. „Mann, Maik, rede!“
Er presst die Lippen aufeinander und funkelt mich böse an. „Wozu denn noch?“
Ja, gute Frage, muss ich zugeben.
„Um mir zu erklären, wieso du hier herumschleichst, wenn ich denke, du lernst oder pennst!“ Ein Vorwurf, sicher. Immerhin hat er mich schon wieder belogen, und auch wenn mir das nicht schmeckt, tut es weh.
„Ich versuche, Hinweise zu finden. Ziemlich alte Hinweise.“
Na immerhin. „Und du denkst, 25 Jahre alte Akten liegen hier in seinem Büro herum?“, entfährt es mir. „Du solltest damit aufhören, ihn für einen kompletten Blödmann zu halten, Maik! Lu ist nicht so erfolgreich geworden, weil er sich dumm angestellt hat, okay?“
„Nein, seinen Erfolg hat er sich auf dem Rücken anderer ergaunert!“, faucht er mich an und ich sehe seine zitternden, vor Wut geballten Fäuste an seinen Seiten herabhängen.
Ich nicke. Stimmt ja auch. Lu ist ein eiskalter Geschäftsmann. Niemand wird dermaßen reich, indem er nach außen hin weich und tölpelhaft wirkt.
„Und du willst Beweise dafür? Dann hättest du mit ihm nach Dubai fliegen sollen! Seine Geschäfte macht er außerhalb! Du dürftest doch längst begriffen haben, dass er hier auf dem Hof weder kalt noch widerlich ist!"
Sein hartes Lachen lässt mich stocken, aber es verklingt sofort wieder und er macht einen Schritt auf mich zu. „Letzte Woche war er ziemlich widerlich, findest du nicht? Ich glaube, am Dienstag war es ...“
Ja, danke, hau es mir um die Ohren.
„Du weißt genau, dass er nur mir gegenüber und auch nur in diesen Momenten so ist“, erwidere ich lahm und schaffe es sogar, stehenzubleiben, als er dicht vor mich tritt und auf mich herabstarrt.
„Erzähl mir nie wieder, er wäre nicht so, Kim“, knurrt er mich an und ich habe Mühe, nicht zurückzuweichen. So finster und bösartig habe ich Maik nie erlebt!
„Lass das, verdammt!“, zische ich zurück.
„Was?“
„Versuch nicht, mich einzuschüchtern, wenn du Scheiße gebaut hast!“
„Scheiße gebaut?“, echot er und blinzelt ein paarmal.
„Ja, was ist das hier denn sonst? Jeder hätte dich hier erwischen können! Und jeder andere hätte dich sofort bei Lu verpfiffen! Anschließend hätte ich einen Anruf gekriegt, eine Standpauke und den Auftrag, dich sofort vom Feuerried zu entfernen!“ Ich atme tief durch. „Willst du das? Willst du unbedingt hier weg?“
„Natürlich nicht“, erwidert er deutlich ruhiger. Seine Hände legen sich auf meine Schultern. Die Taschenlampe drückt durch das Hemd in meine Haut. „Ich will und muss herausfinden, was genau hier passiert ist, als mein Vater noch für ihn gearbeitet hat.“
Ja, logisch. Wieso ist mir das eigentlich nicht eher aufgefallen?
„Du wirst hier oben nichts Brauchbares finden.“
„Wo dann?“
„Ich weiß es nicht genau. Vielleicht im Archiv, vielleicht an einem ganz anderen Ort. Lu ist nicht blöd, Maik. Er wird keine Hinweise für dich wie Brotkrumen über die Flure streuen. Er weiß doch, wessen Sohn du bist!“
Er nickt. „Das war ja auch meine Eintrittskarte hierher.“ Er zieht mich an sich, sieht tief in meine Augen. „Kim, bitte! Ich weiß, dass du mir nicht dabei helfen wirst, van Keppelen ans Messer zu liefern, aber ich bitte dich, lass mich die Beweise suchen, die ich brauche, um den Namen meines Vaters wieder reinzuwaschen!“
Kann ich ihm das verübeln oder abschlagen? Ich weiß es nicht.
„Was genau hast du mit den Beweisen vor?“, frage ich statt einer Antwort.
„Ich will nichts weiter, als dass die Lügen aufgedeckt werden. Nein, warte, das stimmt nicht.“ Er seufzt. „Ich will genug finden, um ihm alles nehmen zu können, Kim. Wirklich alles.“
„Aber damit würdest du das Gestüt zerstören!“ Ich reiße mich von ihm los. Nein, das kann und werde ich nicht erlauben! „Du spinnst wohl! Ich gebe nicht einfach alles auf, was ich mir hier erarbeitet habe!“
„Das hat keiner von dir verlangt. Deshalb habe ich dir nichts von meiner Suche gesagt ...“
Na ja, so ganz stimmt das nicht. Er hat es mir doch gesagt. Ich war wohl nur zu naiv, um direkt zu verstehen, was das bedeuten könnte.
„Das Gestüt ist sauber, Maik. Die Bücher sind echt, an den Zahlen ist nichts geschönt oder verändert.“
„Das wäre mir sogar am liebsten, weil ich dir ja nichts nehmen will. Aber ich muss einfach wissen, wieso er damals alles auf meinen Vater geschoben hat. Van Keppelen betrügt bei den Rennen, nicht jedes Mal und nicht immer mit superhohen Summen, aber er tut es ... Noch immer.“
Wie soll ich ihm erklären, dass er mich hier in eine absolute Zwickmühle bringt?
Ich seufze tief und trete wieder zu ihm. „Bitte, Maik. Mach nicht kaputt, was ich als meine Zukunft bezeichne.“
„Du willst, dass ich aufhöre zu schnüffeln?“, hakt er nach, und obwohl ich jetzt nur zu nicken bräuchte, kann ich es nicht.
„Ich will nur, dass du den Hof in Ruhe lässt. Ich meine, falls du wirklich etwas findest, was das Gestüt gefährdet, musst du es mir sagen, ja?“
Er blinzelt perplex. „Soll das heißen, du lässt mich weitersuchen?“
Ich muss lachen über seinen ungläubigen Ton, auch wenn mir danach angesichts dieser Situation überhaupt nicht sein dürfte. Aber sie ist da, diese Verliebtheit. Dieser Wunsch und Wille, ihm alles zu vergeben.
„Wenn ich dir einen Schlüssel zum Archiv beschaffe, versprichst du mir, mich über deine Nachforschungen auf dem Laufenden zu halten?“
Er nickt zögerlich.
„Ich kann dir nicht direkter helfen, Maik. Ich würde es tun, wenn ich könnte, verstehst du das? Ich kann die Hand, die mich füttert, nicht einfach so beißen. Für mich steht zu viel auf dem Spiel, was meine Zukunft betrifft.“
„Ich weiß. Bei mir geht es nur um die Vergangenheit, für dich ist das alles hier dein Leben und dein Plan ... Ich ... Ja, ich verspreche, ich sage dir alles, was du wissen willst.“
Hm, klingt gut, auch wenn ich nicht sagen kann, dass mich das wirklich beruhigt. Ich lasse meine Arme um ihn gleiten und sehe ihn an. „Ich organisiere dir den Schlüssel.“
Er küsst mich, ganz sanft nur, murmelt „Danke!“, und lächelt.
Ich schlucke. Im Grunde verstehe ich ja seinen Wunsch nach Rache. Es wäre nur deutlich besser, wenn er damit nicht auch mich zu Fall bringen könnte.
„Ich bin müde. Und da du hier sowieso nur herumstöberst, kannst du jetzt auch mitkommen.“
Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Ich hätte erwartet, dass du ab jetzt lieber wieder allein schlafen willst ...“
„Klar, weil das, was gestern passiert ist, plötzlich nicht mehr zählt?“ Verdammt, wir sind ... zusammen! Nennt man das nicht so? Ein Paar ...
Wir verlassen das Gutshaus und ich schließe mein Büro ab, bevor wir in meiner Wohnung abtauchen.
Ich kann nicht anders, ich muss ihn einfach anstarren und, ja, auch bewundern. Dafür, dass er so cool reagiert hat. Dafür, dass er mich nicht gleich mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt hat ...
„Kim?“
Er wendet sich zu mir um. „Ja?“
„Danke.“ Ich klinge reumütiger, als ich eigentlich will, aber ich bin ihm wirklich dankbar und ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich ihm das sage.
Kim kommt auf mich zu. Ich stehe noch an der gerade erst hinter mir geschlossenen Tür zu seiner Wohnung. Seine Hände gleiten an meinen Armen hinauf und er sieht mich ernst an.
„Diese Sache wird auf ewig zwischen uns stehen, nicht wahr?“, murmelt er.
Nein! Niemals!
Ich meine, ja, jetzt tut sie es, aber es wäre mir so viel lieber, sie müsste das nicht! Ich will so gern ehrlich zu ihm sein, ihm alles erklären und mir von der Seele reden – meine Wut, meine Ohnmacht, meinen Rachedurst, einfach alles!
Aber ich kann das nicht tun. Vielleicht will ich ihn auch einfach nicht weiter hineinziehen.
„Nicht auf ewig, Kim. Ich will dir nichts nehmen. Aber ich will und werde deinen ... Mentor ... zu Fall bringen, wenn ich auch nur das kleinste Indiz für seine Machenschaften finden kann.“
Er seufzt. „Das verstehe ich, wirklich. Ich habe nur Angst, dass es uns ... Ich meine ... das hier ... dass es uns dadurch kaputtgemacht wird.“
Ich muss hart schlucken, so ernst, so sanft. Eben typisch Kim. Der Mann, den ich wirklich und wahrhaftig liebe und ganz sicher nicht vergessen oder verlassen möchte.
„Würdest du das denn erlauben?“
Kims schwarzes Haar, so kurz es sein mag, fliegt, so heftig schüttelt er den Kopf. „Nein. Na ja, außer, du willst mich nicht mehr ...“
Oh ja, das wird sicher passieren, in den nächsten zwei Minuten womöglich! Ich lache leise und ziehe ihn an mich. „Ich passe auf dich auf, schon vergessen?“
Er lächelt und streckt sich etwas, um mich zu küssen. Danach gehen wir endlich in sein Schlafzimmer und schlafen wenig später aneinandergekuschelt ein. Das heißt, Kim schläft ein.
Ich starre noch lange in die Dunkelheit, lausche seinem ruhigen, tiefen Atem, inhaliere seinen warmen Duft und genieße die Wärme. Die sein Körper so dicht an meinem abstrahlt. Ich schiebe meine Nase in sein Haar und lächle dümmlich vor mich hin, aber all das ist mir egal angesichts der Tatsache, dass er vorhin etwas gesagt hat, das mich wirklich an die Möglichkeit einer gemeinsamen Zukunft glauben lässt.
Er hat ja recht, das, was wir gestern am See erlebt haben, ist nichts Alltägliches, nichts Gewöhnliches gewesen. Dieses tiefgehende und hingebungsvolle Liebesspiel hat alles, was bisher zwischen uns war, in eine neue, größere Dimension gerückt. Und das, obwohl es ‚nur‘ zwei wirklich ausgedehnte Fellatios waren ...
Mein Lächeln wird breiter, ob der Erkenntnis, dass es ihm ebenso ergeht. Dass er meine Gefühle teilt und damit noch verstärkt.
Kim ist der Eine. Ganz sicher und ohne jeden Zweifel. Und es scheint ganz so, als habe ich ihn schon ein Stück weit davon überzeugt, dass Liebe kein Hirngespinst ist.
~*~
Jeden Morgen stelle ich mit einem harten Herzklopfen fest, wie wunderbar es sich anfühlt, mit Kim gemeinsam aufzuwachen.
Kann das so weitergehen? In einigen Tagen kommt van Keppelen zurück und mein Magen verwandelt sich in einen schweren Stein, wenn ich nur die Möglichkeit in Erwägung ziehe, dass Kim ihm wieder zu Willen sein wird.
Es ist utopisch zu denken, dass er sich ihm verweigern wird. Kim will sein Erbe und er will den Deal aufrechterhalten. Auch nach gestern.
Ein Teil von mir wird das niemals akzeptieren können.
Ein anderer würde Kim dagegen alles verzeihen. Zumindest argwöhne ich das, während wir gemeinsam duschen und den morgendlichen Kaffee trinken. Mein Joghurt schmeckt heute irgendwie anders. Ich muss grinsen und lutsche ein Mangostück ab, bevor ich es mit der Zunge am Gaumen zerdrücke.
Hm, ja, süß. Aber nicht so lecker wie Kim!
„Was geht in deinem Kopf vor sich?“, erkundigt er sich und lächelt.
„So vieles ...“, antworte ich ausweichend, doch dann atme ich tief durch, straffe die Schultern und sehe ihn ernst an. „Kim, wenn ich dich darum bitte, wirst du dann aufhören, deinen süßen Arsch für van Keppelen hinzuhalten?“
„Du weißt, dass ich das nicht kann. Nicht einfach so.“ Er seufzt und presst die Lippen aufeinander, dass alle Farbe aus ihnen weicht. „Er würde sehr schnell dahinterkommen, dass es an dir liegt, und ich werde nicht erlauben, dass er dir an irgendetwas die Schuld gibt!“
„Ich bin erwachsen, ich weiß doch, worauf ich mich hier eingelassen habe.“
„Klar, wusstest du auch vorher, dass ich nicht nur Mittel zum Zweck sein würde?“, faucht er unerwartet heftig. „Hast du gewusst, wie sich das hier entwickeln würde?“
„Natürlich nicht. Sonst wäre ich nicht Tierarzt, sondern Wahrsager. Ich weiß nicht, ob dir bewusst ist, in was für eine Zwickmühle mich das mit uns bringt ...“
„In eine sehr ähnliche wie mich, Maik. Mach dir da mal keine Illusionen. Ich will nicht, dass dieses Gestüt den Bach runtergeht, egal wie viele Betrüge passiert sein mögen! Es gibt hier etliche Existenzen, die damit ebenfalls vor die Hunde gingen, verstehst du das? Die Lohnbuchhaltung sorgt jeden Monat dafür, dass mehr als siebzig Familien vernünftig leben können. Einige wohnen hier auf dem Hof!“
Ja, er hat recht, ich weiß das auch alles, aber ...
„Doch, das ist mir bewusst.“
„Dann sorg bei allem, was du tust, dafür, dass ebendiese Familien auch weiterhin leben können!“ Er steht hastig auf und räumt unsere Tassen weg. „Wir sehen uns im Stall. Ich muss noch zu den Rennern rüber.“
Ich sehe ihm nach und werfe meinen Joghurtbecher weg, bevor ich in den Stall gehe und Mirabeau putze.
~*~
Seine Worte haben mich so nachdenklich gemacht, dass ich beim Mittagessen sogar Theodoras Aufmerksamkeit errege. Ich trödele herum, und noch bevor alle den Tisch verlassen haben, bittet sie mich, noch zu bleiben.
Das Gespräch dauert nicht lange, aber ich kapiere, dass sie genau weiß, was abgeht. Auch, dass Kim und van Keppelen eine sexuelle Beziehung haben.
Sie warnt mich eindringlich, mich nicht zu verbrennen, wenn ich schon unbedingt mit dem Feuer spielen muss. Und sie sagt etwas, das mich nachdenklich macht.
„Dein Vater war ein sehr hübscher Junge, damals. Pechschwarzes Haar und diese unglaublichen, grauen Augen. Jede Frau auf dem Gestüt haderte mit dem Schicksal, weil er so klein war.“ Sie lacht leise und legt ihre Hand an meine Wange. „Sei froh, dass du nicht aussiehst wie er.“
„Aber mein Vater ist dunkelblond und er hat grüne Augen!“, widerspreche ich. Immerhin kenne ich Fotos und habe oft genug Videotelefonate mit ihm!
„Heute vielleicht“, erwidert sie nur und wendet sich danach ab. „Sei dir darüber im Klaren, dass du viele unangenehme Dinge aufdecken könntest, wenn du zu tief in der Vergangenheit gräbst.“
Noch auf dem Weg zu den Weiden, wo ich Cato für eine Springstunde abholen will, denke ich über ihre Warnungen und diese seltsame Behauptung nach.
Mein Vater hatte nie im Leben schwarzes Haar!
Und was meint sie damit, dass ich unangenehme Dinge finden könnte? Ich meine, genau das will ich doch! Je mehr Dreck ich zutage fördern kann, umso besser!
Maik wirkt heute den ganzen Tag schon sehr nachdenklich und ich bin mir noch nicht darüber im Klaren, wie ich ihn aus dieser Lethargie holen kann. Das Abendessen genießen wir auf der Dachterrasse, wir nutzen das laue Wetter und grillen.
„Willst du mir nicht sagen, was dich den ganzen Tag schon so beschäftigt?“, frage ich, während Maik die Würstchen auf dem Grill dreht und ich von meinem Kartoffelsalat esse.
Er blickt mich erstaunt an, schluckt sichtbar und nickt schließlich auf eine ergebene Art. „Theodora hat heute was gesagt, was ich nicht raffe.“
„Und was?“
„Sie behauptet, mein Vater hätte früher schwarzes Haar gehabt.“ Er mustert mich kurz schweigend, dann setzt er fort: „Ich meine, ich kenne ihn ja und ... Mann, der hatte nie schwarze Haare! Der hat so ein schmutzig aussehendes Dunkelblond aufm Kopf!“
„Haare kann man färben“, gebe ich vorsichtig zu bedenken.
Er nickt heftig. „Ja, ich weiß! Aber denkst du, er macht das? Ich meine, wieso sollte er das tun, verdammt? Er hat seinen Namen geändert, niemand weiß, wer er einmal war. Wozu also sollte er so eine Maskerade veranstalten?“
„Keine Ahnung, vielleicht gefiel ihm das schwarze Haar nicht mehr?“ Ja, ein müder Versuch für eine Erklärung, aber ich weiß es doch auch nicht!
„Das ist ja noch nicht alles, sie sagte auch, dass er graue Augen hat. Hallo? Mein Vater hat grüne Augen! Wie meine Mutter!“
Schwarzes Haar und grauen Augen? In meinem Kopf entsteht eine total verrückte Vision von einem Mann, der Maiks Gesichtszüge mit meinem Haar und meinen Augen hat.
„Du meinst, er sah angeblich früher aus wie ich?“, hake ich vorsichtig nach und ernte einen langen, tiefgehenden Blick von ihm.
„Ja. Nur dass du mit Sicherheit einen ganzen Kopf größer bist als er.“
„Also färbt er sich – gesetzt den Fall, Theodora hat recht – das Haar heller und trägt grüne Kontaktlinsen?“, fasse ich zusammen.
Er nickt wieder. „Irre, oder? Ich verstehe das nicht.“
„Du hast gesagt, bis vor sieben oder acht Jahren hast du ihn gesehen, also live, dann hat er dir doch damals bestimmt auch Bilder von früher gezeigt oder?“
„Nein, nie. Ich hab ihn gefragt, aber er sagte, er hätte keine Fotos von der Zeit, zu der er hier gelebt hat.“
„Moment mal, dein Vater hat hier auf dem Feuerried gelebt?!“ Mann, das verwirrt mich echt. Heutzutage zumindest lebt keiner der Jockeys hier auf dem Hof.
„Ja, im Gutshaus, aber er hatte noch eine Wohnung außerhalb, also, nachdem er meine Mum kennengelernt hat, zumindest.“
Das ist echt irre. Mir schwirren zig Gedanken durch den Kopf, aber keiner davon ergibt einen echten Sinn. „Hat er dir gesagt, welches Zimmer er bewohnt hat?“
Maik schüttelt den Kopf. „Ich glaube nicht. Ich habe alles, was er mir dazu erzählt hat, in meinen Notizen stehen, aber ... Ich kann ja nachher mal nachsehen.“
„Wieso nicht jetzt?“
„Weil“, beginnt er und grinst, während er mir den Teller abnimmt und mich an sich zieht, „du mir dann meine Würstchen abluchsen wirst. Ich kann später nachsehen. Jetzt will ich lieber meine Zeit mit dir verbringen.“
„Hm-hm“, mache ich und küsse ihn. „Zeigst du mir deine Notizen mal?“
Er zögert, aber er nickt irgendwann. „Ja, mache ich. Vielleicht hast du noch eine Idee, wo ich nach weiteren Hinweisen suchen kann, wenn du siehst, wo er früher alles versteckt hat.“
„Ich will dir wirklich helfen, diese alte Sache aufzuklären, das weißt du, oder?“
„Ja. Es tut mir leid, dass ich vorhin so komisch war. Danke, dass du nachgefragt hast. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob ich dich damit nerven soll ...“
„Deine Umsicht in allen Ehren, Großer, aber du kannst, darfst und sollst über alles mit mir reden.“
Er grinst breit. „Großer?“
„Ja.“
„Wieso Großer?“
Ich hebe die Schultern und schiebe ihn demonstrativ von mir, um endlich meinen Teller wieder an mich zu nehmen. Ich habe Hunger! Bevor ich in die Verlegenheit komme, antworten zu müssen, schiebe ich mir eine Gabel voll Kartoffelsalat in den Mund.
Maik holt die ersten Würstchen vom Grill und verteilt sie brüderlich auf unsere Teller. „Na? Willst du jetzt erst die gesamte Mahlzeit beenden, bevor du antwortest?“
„Keine Ahnung, hätte ich damit Erfolg?“ Ich kichere albern und ernte einen sanften Knuff in die Rippen. „Hey, lass das! Ich könnte genauso gut fragen, wieso du mich ‚Kleiner‘ oder ‚Baby‘ nennst.“
Er lehnt sich an mich und wispert in mein Ohr, dass mir heiß und kalt wird. „Das ist einfach meine Art, dir zu sagen, wie wichtig du mir bist.“
„Siehst du, damit hast du nun auch beantwortet, was du wissen wolltest.“
Seine Antwort ist ein schneller Kuss, dann schnappt er sich seinen Teller, setzt sich im Schneidersitz aufrecht hin und isst.
Erst spät gehen wir nach unten und ins Bett. An der unheimlichen, ständigen Erregung ändert sich leider nichts. Nun gut, ich kann nicht sagen, dass es mich stört, beim Einschlafen zu spüren, wie sehr Maik mich begehrt ...
Im Gegenteil, ich schlafe, seitdem er bei mir ist, Nacht für Nacht mit einem Lächeln auf den Lippen ein und würde ihm am liebsten sagen, wie sehr ich ihn wirklich mag. Immer wieder, bis er es mir glaubt und ich die Angst vor diesen Worten verliere.
Der Vormittag dieses Sonntags geht angenehm vorbei. Kim bewegt vier Pferde und geht danach ins Büro, um die Schichtpläne der einzelnen Abteilungen durchzusehen, die die jeweiligen Stallleitungen ihm geschickt haben, danach bastelt er noch einen neuen für den Turnierstall.
Ich versorge derweil die letzten, noch zu bewegenden Tiere und finde mich um 13 Uhr mit allen anderen in der Gesindeküche ein.
Kim kommt leicht verspätet und fängt sich einen Spruch von Theodora ein, aber er quittiert ihn nur mit einem Schulterzucken und setzt sich auf einen freien Platz in meiner Nähe.
Die Gespräche drehen sich erneut um Dubai und die dort stattfindenden Rennen; Gerdchen hat wieder im Rennstall angerufen und in den höchsten Tönen von Klima, Mentalität und den dort antretenden Rennpferden geschwärmt.
Seine Abwesenheit stört mich nicht weiter, eigentlich bin ich eher froh darüber, weil ich mich zuletzt kaum dem Rennstall nähern konnte, ohne dass er mich angegraben hat.
Dabei will ich doch nur einen und der sitzt mir schräg gegenüber und unterhält sich mit Maike und Nils.
Ich lächle dümmlich vor mich hin und ernte einen wissenden Blick unter hochgezogenen Augenbrauen von Theodora. Oh ja, sie weiß so viel mehr, als sie mir bislang verraten hat – nicht nur über die Vergangenheit.
Heute Nachmittag haben Kim und ich frei, wir werden zeitversetzt mit Lemonboy und Möhrchen den Hof verlassen und uns am Aussichtspunkt mit dem Grillpavillon treffen, um von dort aus gemeinsam zum See zu reiten. Wir nehmen dafür einen anderen Weg, weil gerade heute viele Mitarbeiter des Gestüts mit ihren Familien am Strand sein dürften, denen wir nicht begegnen wollen.
Unser Geheimversteck …
Verdammt, schon der Gedanke daran weckt meine Lenden aus einer kurzfristigen Ruhephase und ich rutsche kurz hin und her, um unauffällig alles mit einer Hand in der Hosentasche zu sortieren. Müßig, darauf zu hoffen, dass meine Erregung nachlassen könnte, bevor wir mit dem Essen fertig sind ...
Kim wirft mir einen Blick zu, den ich nur schwer deuten kann. Irgendetwas scheint ihm durch sein Gespräch mit den beiden Jockeys eingefallen zu sein.
Ich hoffe, er erzählt es mir nachher.
Doch nach dem Dessert – Schokoladeneiscreme mit Vanillesoße – hält Theodora mich abermals zurück und bittet mich, ganz sicher alibimäßig, ihr noch schnell eine Frage zu einem englischen Gericht zu beantworten.
Als wenn ich Ahnung davon hätte!
Während die anderen nach und nach die Küche verlassen, ergreift sie meinen Arm und zieht mich mit zu einer Anrichte, über der auf mehreren Regalen Kochbücher aus aller Welt stehen. Eines davon nimmt sie heraus und klappt es auf.
Sie will tatsächlich etwas zu einem Rezept wissen. Die Angaben in dem auf Englisch verfassten Kochbuch sind alte britische Maße. Sie bittet mich, diese für sie umzurechnen und fragt, ob sie statt der frisch gesäuerten Milch auch Buttermilch nehmen kann.
„Hm, ich weiß nicht genau. Es geht ja darum, dass die Milch frisch geronnen sein soll für das Rezept.“
„In Ordnung, dann werde ich mal testen müssen, wie viel Milch ich für alle brauche.“
„Also, wenn du die Pancakes machst, sag mir bloß bescheid, die kriege ich zu Hause nur sehr selten!“, erwidere ich und grinse sie an.
Das vergeht mir jedoch, als sie weiterspricht und dabei das Thema nach einem Schulterblick durch die verwaiste Küche vollkommen verändert: „Maik, ich habe nachgedacht. Über damals. Eigentlich wollte ich mich heraushalten, aber ...“ Sie seufzt tief. „Ich bin wirklich der Meinung, dass du nicht weiter darin graben solltest. Vermutlich habe ich dich damit neulich erst richtig neugierig gemacht, aber das wollte ich nicht.“
„Aha?“
„Ja, ich ... Ach, wie soll ich dir das bloß sagen, Junge?!“ Sie sieht mich hilflos an und ergreift meinen Unterarm. „In manchen Punkten lebt die Vergangenheit noch immer – oder wieder – verstehst du?“
Nein, irgendwie verstehe ich gar nichts mehr!
„Ich sehe doch, wie verliebt du in Kim bist! Das kann nicht gutgehen, du musst mir das glauben, Maik. Kim ist ...“ Wieder bricht sie ab und drückt meinen Arm dabei so fest, dass ich erstaunt darauf sehe, bevor ich wieder ihren Blick suche.
„Er ist was?“ Eine unbestimmte Angst kriecht von meinem Rückgrat in meinen Nacken und nistet sich dort mit einer ungeahnten Kälte ein.
„Wie soll ich dir das bloß sagen?“ Sie schnauft leise, dann blickt sie mir fest in die Augen. „Kim gehört zu Ludwig. Seit über sechs Jahren. Und Ludwig wird nicht erlauben, dass sich daran etwas ändert.“
Das sagt sie mit einer Grabesstimme, die zu der Angst noch eine Gänsehaut über meinen Rücken schickt. Ich kann den Schauder nicht unterdrücken.
„Ich weiß, was die beiden haben, Theodora.“
Sie reißt erstaunt ihre hellbraunen Augen auf und ihr Mund steht kurz offen, bevor sie ihn schließt und schluckt. „Du weißt das?! Aber ... wieso lässt du dich dann darauf ein?“
„Weil ich, wie du eben schon sehr richtig bemerkt hast, in ihn verliebt bin.“ Dieses Geständnis tut gar nicht weh, im Gegenteil, es wirkt befreiend. Deshalb lächle ich auch.
„Und er in dich.“ Sie seufzt erneut, diesmal kellertief. „Aber das wird euch nichts nutzen. Bitte, Maik, ich kenne Ludwig. Er schreckt vor nichts zurück, wenn man ihm nehmen will, was sein Herz begehrt. Und er liebt Kim über alles, vergiss das nie!“
Ich schlucke hart. „Ja, das hab ich befürchtet.“ Ich denke nicht großartig darüber nach, bevor ich frage: „Weißt du, wieso Kim bei ihm ist?“
Sie hebt die Schultern. „Ich habe das nie verstanden. So ein hübscher, junger Mann und dann Ludwig ... Andererseits, man hört ja öfters von Homosexuellen, bei denen die Paare sehr unterschiedlich alt sind.“
Ich grinse. „Hall o, Vorurteil! Aber du hast recht, es gibt diese Beziehung, bei denen ein junger Kerl sich im Gegenzug für ein bisschen Sex von einem alten Sack aushalten lässt ... Aber so alt ist van Keppelen nun auch wieder nicht ... beziehungsweise sieht er nicht so alt aus.“
„Ich kenne Kim und ich kenne Ludwig. Ich weiß, dass Kim dich liebt und dass er versuchen wird, dich vor Ludwig zu beschützen. Versprich mir, dass du ihm das erlaubst, ja?“
Ich zögere. Kim muss mich vor niemandem beschützen. Sicher, ich weiß, dass er genauso stark, vielleicht deutlich stärker ist als ich. Charakterlich auf jeden Fall, körperlich eher ebenbürtig. Aber ...
„Nein, Theodora. Kim ist nicht für mich verantwortlich. Das bin nur ich selbst. Ich meine, ja, ich weiß, dass er das will, also, mich beschützen. Aber ich kann das nicht zulassen. Er hat genug Probleme wegen unserer Gefühle. Für ihn steht durch meine Nachforschungen hier seine Zukunft auf dem Spiel. Ich kann von ihm nicht erwarten, dass er sich gegen van Keppelen stellt.“
„Aber das wird er müssen.“
Oh ja, sie hat recht. Wenn ich ihm auch nur halb so wichtig bin, wie er mir ist, wird er das tatsächlich müssen.
„Ich will das nicht! Mann, am liebsten würde ich ihn einfach einpacken und abhauen! Aber ich muss diese alten Sachen klären. Ich muss einfach!“ Mein Ton wird beinahe flehend, jammernd. Ich will, wünsche mir, dass sie mich versteht. Dass sie die Zwickmühle, in die mich meine Gefühle für Kim getrieben haben, erkennt.
Sie tätschelt meine Wange und lächelt milde. Ich muss blinzeln, weil ich ganz kurz den Eindruck habe, meine Mutter stünde vor mir.
„Du kannst nicht alles haben, Junge. Nimm das, was dir lieb und teuer ist, und geh. Bleib nicht hier, bis Ludwig zurückkommt und live erlebt, wie verliebt du und Kim seid. Biete ihm keinen Grund, Kim oder dir weh zu tun. Bitte!“
„Das kann ich nicht!“ Ich reiße mich von ihr los und mir tut die Heftigkeit meiner Reaktion noch im selben Augenblick leid. „Entschuldige. Ich kann das nicht. Seit so vielen Jahren habe ich keinen Vater, weil van Keppelen kurz nach meiner Geburt diese Scheiße abgezogen hat! Er muss einfach bezahlen für alles, was er mir genommen hat, für alles, was er meinem Vater genommen hat!“
Sie tritt wieder näher und nickt schweigend. Aber ich sehe ihr an, dass sie nicht einverstanden ist.
„Ich bin kein Feigling, Theodora. Ich ziehe das jetzt durch und dann werde ich Kim schnappen und abhauen. Das verspreche ich.“
Sie grinst ganz kurz schief. „Dir ist aber schon klar, dass Kim da auch noch ein Wörtchen mitzureden hat?“
„Klar, aber ... Ja, ich weiß. Ich werde ihn einfach überzeugen müssen, dass er neu anfangen kann. Ohne das Feuerried und ohne van Keppelen.“
„Wenn das einer schafft, dann wohl du. Ich frage mich, ob Ludwig das geplant hat, als er dich hierher geholt hat. Er mischt sich seit vier Jahren nur noch sehr selten in Personalentscheide ein.“
Ich muss da echt noch mal drüber nachdenken. „Keine Ahnung, aber ich vermute, es hat mehr mit meinem Vater als mit Kim zu tun.“
„Ehrlich, Junge, das hoffe ich inständig! Und nun sieh zu, dass du wieder an die Arbeit gehst, bevor dein Chef meckert.“ Sie kichert und schiebt mich in Richtung Tür.
Ich lache auf. „Du meinst, weil ich zu spät am Treffpunkt ankommen könnte? Ich wünsche dir einen schönen Tag, Theodora. Und ... danke.“
~*~
Als ich den Grillpavillon erreiche, steht Lemonboy im Schatten angebunden und Kim lehnt am Geländer, um über die Landschaft zu blicken. Als er Möhrchens Hufschlag hört, dreht er den Kopf zu mir und lächelt.
Verdammt, der Anblick seiner Kehrseite lässt sofort das Blut in meine Lenden schießen und ich seufze leise. Vielleicht ist es doch an der Zeit für mehr als Blowjobs?
Super, genau dieser Gedanke sorgt nun endgültig für eine harte, unangenehm drückende Erektion in meinen Reithosen.
„Hallo, Kleiner“, sage ich und lasse mich von Möhrchens Rücken neben ihn rutschen. Sofort auf Tuchfühlung, keine Sekunde vergeuden.
Ich stehe hinter ihm und umfasse das Geländer zu seinen Seiten, lehne mich an ihn und genieße, wie er seinen Rücken und auch seinen Hintern verlockend gegen mich presst. Kims Kopf wendet sich mir weiter zu und ich küsse ihn, bevor ich etwas anderes tun kann.
„Du freust dich also auch so, mich zu sehen“, murmelt er aufreizend und reibt seinen Hintern noch einmal an der Beule in meiner Hose.
Ich stöhne auf und umschlinge ihn mit deutlich mehr Kraft als nötig. Meine Hand legt sich auf seinen Schritt, der andere Arm liegt auf seiner Brust. „Du bist ein schamloses Luder, Kim.“
„Das fasse ich jetzt großzügig als Kompliment auf.“ Er dreht sich in meiner Umarmung um und küsst mich erneut. Seine Zunge gleitet fordernd und verlangend in meinen Mund und ich ergebe mich augenblicklich.
Ich bin mir einmal mehr sicher, dass kein anderer Mann mich jemals so vereinnahmt hat. Da kann ich ihn tausendmal ‚Kleiner‘ nennen, Kim ist mir absolut ebenbürtig, in manchen Belangen sogar deutlich überlegen. Wenn ich ehrlich bin, genieße ich diese ständige Herausforderung, die hinter seiner Person auf mich lauert.
„Lass uns hier abhauen, ich schwitze und ich brauche trotzdem noch mehr Hitze“, erkläre ich und löse mich widerwillig von ihm.
Sein süffisantes Grinsen reizt mich zum Lachen. Meine Güte, Kim ist so unglaublich sexy!
Ich denke kurz an das, was Theodora mir eben erzählt hat, auch an ihre Warnung.
Wir sitzen wieder auf und setzen unseren Weg fort. An ‚unserer‘ Bucht angekommen dürfen Lemonboy und Möhrchen erst mal ihre Beine im kühlen See vertreten, danach legen wir ihnen Fliegendecken über und binden sie an.
Während ich die Balltränke nachfülle, breitet Kim unsere Decke im Gras aus und er kniet noch mitten darauf, um die Ecken geradezuzupfen, als ich hinter ihn trete und auf ihn herabsehe.
„Du legst es wirklich drauf an, was?“
Er fährt herum und seine großen Augen verraten seine Überraschung. „Hä?“
Ich beuge mich zu ihm und lasse meine Hand in seinen Nacken gleiten. „Du kniest hier, dass mich ganz andere Gelüste überkommen, als ein Bad im See ...“, murmele ich gegen seine Lippen und küsse ihn tief.
Er keucht auf und erwidert den Kuss, zieht mich zu sich auf die Decke und nestelt an meinem Shirt herum.
„Die Stiefel“, nuschele ich und löse mich von ihm, um mit einem Seufzen die langen Lederstiefel von meinen Beinen zu zerren.
Wenig später haben wir es geschafft, bis auf die Badeshorts tragen wir nichts mehr und irgendwie ist mir selbst das noch zu viel. Ich streife sie auf dem Weg zum Wasser ab und genieße die Erfrischung in der Bucht vollkommen nackt.
Kim tut es mir gleich und folgt mir, nur um nach ein paar Schwimmzügen bei mir zu sein und mich in seine Arme zu ziehen.
„Ich will mit dir schlafen“, bringe ich atemlos hervor und ernte ein erstauntes Keuchen.
„Plötzlich?“
Ich ziehe ihn dichter an mich, so viel Haut an Haut wie möglich. „Nein, nicht plötzlich. Ich will seitdem ich dich gesehen habe nicht anderes, aber ... jetzt gerade möchte ich ...“
„Nein“, dringt es bestimmt aus seinem Mund an meine Ohren und ich blinzle verwirrt. Hat er das wirklich gesagt?
Mein fragender Blick reizt ihn zu einer Erklärung. „Ich will es auch, Maik, aber nicht jetzt und nicht hier. Da ist ... so vieles, was ich dir vorher noch erzählen muss ...“
Er ergreift meine Hand und zieht mich mit sich zurück zu unserer Decke. Ich bette meinen Kopf auf ein zusammengefaltetes Handtuch und sehe ihn an. Einmal mehr liegt er neben, halb auf mir. Sein Arm ruht angewinkelt auf meiner Erektion, sein Kopf auf meiner Brust. Diese Berührungen haben nichts Anrüchiges oder sexuell Animierendes. Stattdessen sind sie ... ganz natürlich.
Er sieht mich schweigend an und ich fühle mich hin und her gerissen zwischen Vorfreude und Unsicherheit. Was immer er mir sagen will, es scheint ernst zu sein. Es lässt mich sogar daran zweifeln, ob ich es wirklich hören will.
„Ich habe dir neulich erzählt, dass ich etwas in meiner Vergangenheit vergessen will ...“, beginnt er und ich schaffe es, zu nicken und meine Hand in seinen Nacken zu schieben.
Ich atme tief durch. „Ich werde zuhören und keine blöden Kommentare abgeben.“ Wieso ich das sage, weiß ich gar nicht. Oder doch, vielleicht, weil ich nicht sicher bin, ob er mich schon gut genug kennt, um zu wissen, dass ich ernst und ernsthaft sein kann, auch wenn mein Blut sicht- und spürbar woanders als in meinem Kopf herumdümpelt.
Er lächelt und setzt seine Lippen ganz kurz auf meine Brust, bevor er die Wange darauflegt und weiterspricht.
Ich höre seinen Herzschlag, mein Ohr liegt auf seinen Rippenbögen. Die Sonne malt kleine Muster auf seine Haut, zaubert Reflexe in sein nasses Haar und vor allem in seine Augen.
Oh, wie wahnsinnig gern würde ich jetzt einfach über ihn herfallen, ihn wild und leidenschaftlich küssen, ihm zeigen, wie weit meine Zuneigung geht ... Aber ich kann nicht.
Nicht bevor ich ...
Sein Atem streichelt über mein Gesicht und er mustert mich so ernst und ruhig, dass das schnelle Klopfen unter meinem Ohr einen richtigen Widerspruch darstellt.
Natürlich, wir sind beide erregt. Mein Ellenbogen liegt auf seinem harten Schwanz, ich spüre dessen Zucken und Pulsieren nur zu deutlich. Und doch weiß ich, dass jetzt nicht die Zeit für wilden, hemmungslosen Sex ist, sondern die für einige Erklärungen meinerseits.
Er hat bereits gesagt, dass er nicht glaubt, wie abgebrüht und bösartig ich angesichts meiner Zukunftspläne bezüglich des Gestüts und Lus bin.
Vielleicht gibt mir genau diese von ihm ausgesprochene Überzeugung den Mut für das hier.
Denn ja, es kostet Mut und verdammt viel Kraft, ihm zu erklären, wieso ich bin, wie ich bin.
Ich gönne mir noch einige Augenblicke, in denen ich ihn ansehe, mit meinem Blick in seinem abtauche. Dieses Jadegrün fasziniert mich in jedem Moment, mit jedem Atemzug mehr.
„Ich war vierzehn“, sage ich schließlich und atme noch einmal tief durch. „Er achtzehn.“
Ich warte auf eine Regung in oder an ihm, doch er hält sich an das, was er eben versichert hat. Er schweigt und hört einfach zu.
„Er hieß Steffen. Ich meine, so heißt er heute wohl auch noch, aber ... na, egal. Jedenfalls war er einer der wenigen Jungs, die ihr Pferd bei meinem Opa eingestellt hatten. Seine Eltern hatten Geld und ich ließ mich von seiner Coolness und dem Luxus, mit dem er sich umgab, blenden und einfangen.“
Ich bin froh, dass ich halbwegs flüssig sprechen kann. Noch nie habe ich jemandem das erzählt, aber formuliert habe ich es viele tausend Mal.
„Er war ein guter Freund und mit ihm konnte ich lachen, albern sein, oft genug haben wir unsere Zeit an meiner Playstation verbracht. Er war irgendwie nicht erwachsen, auch wenn in seinem Ausweis was anderes stand ...“
Ich erzähle immer weiter. Berichte von Ausflügen, Camping auf einer Wiese im großen Garten meines Opas.
„In der ersten Nacht, die wir gemeinsam in einem Zelt verbracht haben, war mir arschkalt und er hat mich mitsamt meinem Schlafsack dichter an sich gezogen und umarmt. Das fand ich nett und irgendwie machte es mich an, glaube ich. Damals wusste ich noch nicht so richtig, dass ich schwul bin. Ich hatte auf dem Hof halt ständig mit reitenden Mädchen zu tun und sie waren meine Freunde. Steffen aber war anders. Und mit ihm war auch alles anders. Ich glaube, so richtig was gedacht hab ich mir damals nicht dabei.“
Ich seufze leise und schließe kurz die Augen, um Maiks sanftes Streicheln in meinem Nacken zu genießen.
„Bis zu dem Zeitpunkt, wo sein Arm weiter runter wanderte, sich auf meinen Schritt legte, und sein Atem an meinem Ohr entlangstrich. Er küsste mich. Zuerst am Hals, dann am Kinn und schließlich auf den Mund.“ Ich lache leise auf, auch wenn die Sache im Ganzen nicht witzig war.
„Ich glaube, ich hab mich schrecklich dämlich angestellt, aber schließlich küssten wir uns. Tja, mein erster Kuss und mein erster Zungenkuss waren eins ... Ich mochte den Geschmack und die Wärme in meinem Mund. Seine Zunge, die meine anstieß und lockte, dazu verführte, mitzumachen.“
Ich sehe die Frage, die nun in seinen Augen, seinem gesamten Gesichtsausdruck liegt. Maik will wissen, ob Steffen und ich noch mehr getan haben, als zu knutschen.
„Von ihm lernte ich, wie man knutscht, wie man Lust erlebt. Damals hielt ich das, was wir ab da in so manchen Nächten in jenem Zelt taten, für die Liebe. Vielleicht auch, weil er sagte, dass er mich liebt.“
Noch ein Seufzen rollt aus meiner Kehle.
„Hm, mit ihm hatte ich viele erste Male … den ersten Handjob, den ersten Blowjob, das erste Mal, das jemand mein Sperma schluckte ... Irgendwie war das alles damals so ... normal und passend. Er wollte, was ich wollte, und er gab mehr als er nahm. Zumindest dachte ich das. Irgendwann war ich ihm ... vollkommen ergeben. Er hatte natürlich ein Auto und nahm mich überall hin mit. Zum Beispiel, wenn er in einen Freizeitpark wollte oder zum Camping an die See ...“
Maiks Daumen streicht an meinem Hals entlang bis zum Ohr, weiter über meinen unteren Kieferknochen, bis an mein Kinn. In einer zärtlichen Geste gleitet er über meine Lippen, schließt kurz die Augen und schluckt.
„Er hat mich nie gefickt“, setze ich fort. „Ich schätze, so im Nachhinein betrachtet, war ihm das zu riskant. Immerhin war ich erst vierzehn! Also war das, was er tat, absolut strafbar.“
Maik nickt leicht und jetzt wird mir auch bewusst, dass er mir die ganze Zeit schon mit einer gewissen Wut in seinen Augen lauscht. Natürlich war das, was Steffen mit mir tat, hochgradig illegal.
„Damals war mir das nur nicht so bewusst, weil ich es einfach schön fand ... Es dauerte nicht besonders lange, bis er mich bat, ihn zu ficken und ich tat es. Ich meine, er ging total ab dabei, und das, weil ich meinen Schwanz in ihm bewegte. Natürlich gab mir das ein Gefühl von Macht und auch von Erwachsensein. Er ließ mich denken, dass ich im Mittelpunkt stand.“
Ich halte Maiks Hand fest, als er sie wieder zu meinem Nacken wandern lassen will, und küsse seine Fingerspitzen.
„Ich war sechzehn, als unsere Freundschaft und dieses Unausgesprochene, das wir daneben noch hatten, einen etwas offizielleren Touch annahm. Meine Mutter hatte gemerkt, dass ich schwul bin und mit mir ellenlange Gespräche über Safer Sex und ‚den Richtigen‘ geführt. Sie war echt cool. Mein Opa kam nicht damit klar und meine Oma hielt sich einfach aus solchen Dingen heraus. Na ja, sie hat das einfach ignoriert und mich ansonsten behandelt wie immer. Ich durfte nur nie etwas von ‚meinem Freund‘ sagen, und sie verkniff sich Sprüche über fesche Mädels, die mir schöne Augen machten, wann immer sie zur Reitstunde kamen.“
Ich schlucke hart und verschränke meine Finger mit Maiks. Das sachte Kribbeln, das von diese r harmlosen Berührung ausgehend durch meinen Arm rinnt, sammelt sich als Wärme irgendwo in meiner Brust und ich muss lächeln.
„Ich war schon immer so niedlich, weißt du?“, ziehe ich ihn auf, aber ich merke selbst, dass mein blöder Spruch nicht so ankommt. Maik bleibt ernst und abgesehen von gelegentlichem Blinzeln, zeigt er keine Regung.
„Tut mir leid, war ein blöder Spruch. Wo war ich? Ach ja, Steffen ging auf Turniere und dort fand er reichlich Ersatz für seinen jungen Betthasen. Keine Ahnung, von wie vielen Kerlen er sich hat durchficken lassen, aber immer öfter sagte er mir, dass er allein zu einem Wettbewerb fahren wolle und ich nicht mitzukommen bräuchte. Zu Anfang waren gerade die etwas entfernt stattfindenden Turniere unsere entspanntesten Dates. Aber na ja, jedenfalls sagte er mir nach einem letzten Fick irgendwann kurz vor meinem siebzehnten Geburtstag, dass es aus sei und ich dran schuld sei.“
Maiks Finger verkrampfen sich und bringen mich aus dem Takt. Ich sehe auf unsere Hände und erwidere den Druck ganz leicht.
„Ich sei nicht flexibel genug und nicht erwachsen genug für ihn, kein echter Kerl ... Ich glaubte ihm. Ich war kein wilder Typ mit riesigem Selbstbewusstsein. Ich war die blöde kleine Schwuchtel, die nach fast drei Jahren begriff, dass Liebe was anderes sein muss, als ich die ganze Zeit gedacht hatte.“
Ich schnaube wütend. Ja, das Ende dieser Sache macht mich unsagbar sauer!
„Ich nannte ihn ein dreckiges Arschloch und brüllte ihn an, dass er sich ins Knie ficken solle. Dabei warf ich ihn raus und scherte mich einen Dreck darum, ob irgendwer was mitbekam. Anschließend hab ich mich in meinem Bett verschanzt, nackt, wie ich noch immer war, und hab geheult. Bis mir klarwurde, dass ich gar nicht um Steffen und die angebliche Beziehung heulte, sondern nur, weil ich so sauer auf mich und meine Gutgläubigkeit war.“
Tief durchatmen, Maik ansehen, ganz kurz darüber klarwerden, dass dieser wunderschöne Körper, der nackt halb unter meinem liegt, zu einem Mann gehört, den ich wirklich liebe.
„Aber das hat echt gedauert. Ich dachte wirklich, ich wäre verliebt. Trotzdem war es wohl nur ... bequeme Gewohnheit, die mich überhaupt bei ihm hatte bleiben lassen. Immerhin war er so cool und so reich und überhaupt! Ich musste dann feststellen, dass ich mich hatte kaufen lassen. Spiele für meine Playstation, Besuche in Freizeitparks und auf Jahrmärkten, Kinokarten und, ach, alles, irgendwie.“
Ich sehe Maik an und wundere mich keine halbe Sekunde lang darüber, dass Steffen einem Vergleich nicht einmal annähernd standhalten könnte.
„Ein Dreivierteljahr l ang gönnte ich mir eine Auszeit. Ich war zu jung für die einschlägigen Clubs in den nahegelegenen Großstädten und davon abgesehen hatte ich keinen Führerschein. Ich fuhr immer mit dem Rad zur Rennbahn um die Ecke und da ... Na ja, da traf Lu mich dann eines Tages.“
Ich schließe die Augen und lausche wieder auf Maiks Herzschlag. Er ist deutlich ruhiger jetzt und nun bemerke ich auch, dass seine Erregung vollkommen abgeklungen ist.
„So, das ist sie also, meine einzige, grandios mitleiderregende Beziehungsgeschichte. Ist vielleicht keine gute Begründung für mein Verhalten in den letzten Jahren, aber für mich war und ist das alles schlüssig. Ich hab einfach entschieden, mich nie wieder so verarschen zu lassen“, schließe ich meinen Monolog und presse die Lippen aufeinander.
Bewegung kommt in Maiks Körper. Seine Finger lösen sich von meinen, was mich einen Augenblick lang in Panik versetzt. Will er jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben?!
Er räuspert sich, während seine Hand wieder in meinen Nacken wandert, die andere legt sich auf meine Brust.
„Steffen ist ein Vollidiot“, sagt er nur und ich blinzle verwirrt, als er die Augen schließt und laut seufzt. „Und ich war auch einer.“
„Nein! Warst du gar nicht!“, antworte ich ziemlich heftig und richte mich auf. „Du wolltest es vielleicht, aber selbst da hast du nur an mich und nicht an dich gedacht!“ Ich weiß genau, worauf er anspielt. Auf den ersten Sex mit mir, bei dem er alles, aber ganz sicher nicht rücksichtslos oder auf seinen eigenen Vorteil bedacht war.
Er atmet tief ein und richtet sich ebenfalls auf. Seine Hände gleiten um mich und ich lasse mich nur zu gern näher an ihn ziehen.
„Das denkst du?“, hakt er leise nach und noch immer kann ich seinem Gesicht keine Regung entnehmen, kann nicht ablesen, was er denkt oder was in ihm vorgeht.
Ich nicke. „Ich weiß es. Du hast mich an dem Abend geliebt, nichts anderes.“
Er schnaubt leise. „Ich frage mich, woher du den Unterschied kennst, wenn sich deine Erfahrung auf Vollidiot Steffen und Dreckskerl van Keppelen beschränken ...“
Er klingt bitter, dabei sieht er mich so sanft an, so voller Zärtlichkeit. Dieser Blick ist mir unheimlich. Ich bin kein wertvoller Edelstein und auch kein anderer Wertgegenstand. Ich bin nur die Summe dessen, zu dem ich mich habe machen lassen.
„Alles, was ich mit denen hatte, hast du mit ein paar Stunden am Tag nach deiner Ankunft hier schon weggestreichelt, Maik. Ich gebe das nicht gern zu, aber du hast etwas in mir geweckt, das ich niemals erleben wollte.“
„Tut es dir leid darum?“
„Nein. Nicht, wenn das hier mehr ist, als eine Erfahrung, die ich machen muss, wie man immer welche macht. Ich will nicht in ein paar Wochen hinter dir her winken und mich fragen müssen, ob das alles war.“
Scheiße, wieso sage ich denn so was?! Will ich ihm schon mal vorab ein schlechtes Gewissen machen, obwohl ich ihm bis an mein Lebensende dankbar sein müsste für das, was er mir in dieser kurzen Zeit geschenkt hat?
„Ich liebe dich.“
Ich zucke zusammen, starre ihn mit großen Augen an und kann nicht reagieren, mich nicht einmal bewegen. Dabei will ich das. Ich will ‚Ich dich auch!‘ rufen und ihn küssen, ihn festhalten und nie mehr loslassen.
Scheiße, wie macht er das?
Ich kann nicht einmal den Blick senken. Tief bohren sich seine Jadeaugen in meine und ich sitze einfach hier wie blöd.
„Ich wollte dir das nicht einfach sagen, Kim. Es gibt tausend Wege, es zu zeigen, ohne auch nur ein Wort benutzen zu müssen, aber ... Ich will einfach, dass du es hörst. Dass du weißt, wie wichtig du mir bist. Ich ... es gibt nur einen Mann auf der Welt, dem ich das bislang gesagt habe und ich meine es bei ihm ganz anders!“
Ich schlucke hart. „Wem?“
„Jers. Er ist mir nahe wie ein Bruder, verstehst du? Aber das hier, das mit dir, es lässt mich vergessen, wen es früher in meinem Leben gab.“
Woah! Das ist ...!
„Du hattest noch nie irgendwelche Beziehungen?“, frage ich verwirrt nach und ernte ein leises Lachen.
„So viele, dass ich sie kaum aufzählen könnte, Kim. Aber keinem davon habe ich jemals gesagt, was ich dir sage: Ich liebe dich.“
Tief durchatmen. Sortieren.
„Ich ... Danke.“ Bevor ich es richtig kapiere, habe ich mich gegen ihn geworfen und liege an ihn geklammert da. Seine Hand schiebt sich in mein Haar, hält meinen Kopf sanft fest, während sein anderer Arm mich an ihn presst.
Ich kann das nicht sagen. Nicht jetzt. Nicht so.
Ob er das verstehen wird? Ich sehe ihn an und recke mein Kinn, um ihn zu küssen. Ganz sacht, federleicht. Es kribbelt in meinen Lippen, kitzelt ein wenig, so flüchtig sind meine Küsse. Er erwidert sie nicht sofort, seufzt stattdessen genießend.
„Ich habe das nicht gesagt, damit du es erwiderst, Kim. Für mich war es jetzt einfach der richtige Zeitpunkt. Mach dir keine Gedanken, ja?“
Ich nicke, küsse ihn weiter, lasse meine Zungenspitze über sein Kinn und seinen Adamsapfel gleiten, weiter zu seiner Kehle.
„Willst du immer noch mit mir schlafen, Maik?“, hauche ich auf die von meiner Zunge benetzte Haut und entlocke ihm damit ein Schaudern.
Er seufzt erneut. „Ja“, bringt er hervor und es klingt so rau, so belegt, dass das Blut, welches noch fehlte, um meinen Schwanz wieder zur vollen Größe anschwellen zu lassen, in einem Rutsch genau dort landet. Ich stöhne auf, weil sich meine Erektion an seinen Oberschenkel presst und pulsierend um Erlösung bettelt.
Ich will ihn in mir spüren, jeden Zentimeter. Will, dass er mich nimmt und mir zeigt, wie lustvoll es sein kann, geliebt zu werden.
Gott, wie kann ein Mann allein nur so begehrenswert sein?
Ich halte ihn im Arm und weiß nicht, wie ich in Worte fassen soll, was ich tatsächlich für ihn empfinde. Denn, das muss ich deutlich sagen, diese blöden drei Worte drücken es nicht annähernd aus.
Vielleicht hatte Jeremy recht und es ist vollkommen egal, wieso ich hierher gekommen bin. Vielleicht ist wirklich nur entscheidend, was und vor allem wen ich hier vorgefunden habe ...
Mein Herz schlägt laut und hart gegen mein Brustbein, das Blut rauscht durch meine Ohren – zumindest der kümmerliche Rest davon, den mein Kreislauf noch nicht in meine Lenden gepumpt hat. Kim sitzt rittlings auf meinem Schoß und ich schließe die Augen genießend, als ich ihn fester gegen mich und damit unsere Erektionen aneinander drücke.
Ich will ihn spüren, so gern. Möchte ihm geben, was immer er haben will.
Einfach, weil ich ... bei ihm sein will.
Kim sieht mich fragend an. Habe ich zu lange geschwiegen? Zu lange nicht reagiert?
Ein entschuldigendes Lächeln auf den Lippen strecke ich mich zu ihm und küsse ihn.
Sanft will ich sein, zärtlich, gegen den unbändigen Hunger in mir ankämpfen ...
„Sag mal ... hast du Gummis und Gleitzeugs bei?“, frage ich höchst unromantisch und verziehe selbst schon das Gesicht.
„Scheiße“, murmelt er und lehnt sich etwas zurück. „Ich wusste, ich hab was vergessen!“
Na ja, was nun? Trösten? Meckern? Neuen Plan machen?
Bevor ich es begreife, plappert mein Mund auch schon los: „Ich bin gesund. Lasse mich regelmäßig testen.“
Er nickt und grinst. „Ich auch, nicht nur wegen Lu.“
Okay, und jetzt? Ich kann doch nicht ... Also, ich will doch nicht ...!
Kim neigt den Kopf und umfasst mein Gesicht mit beiden Händen, während sich sein Unterleib wieder gegen meinen presst und uns zeitgleich aufkeuchen lässt. Zwischen kleinen Küssen sagt er: „Ich ... werde ... dich ... nicht ... darum ... bitten ... etwas ... zu ... tun ... das ... du ... nicht ... riskieren ... willst ... aber ... ich ... erlaube ... es ... dir ...“
Ich schlucke hart und mein Herz setzt ein paar Schläge lang aus, bevor ich seinen letzten Kuss vertiefe und ihn hart an mich ziehe. Für niemand anderen würde ich das riskieren. Mit niemand anderem.
Wir lassen uns Zeit, sind uns des Wertes unserer Zärtlichkeiten voll bewusst und genießen gemeinsam ein langes, ausgedehntes Vorspiel mit ungezählten Küssen, Streicheleinheiten und Neckereien.
Es ist unfassbar, wie leicht und frei es mich macht, in seine rauchig-dunklen Augen zu blicken, minutenlang und schweigend.
Ich muss Kim mehrfach bitten, meinen harten Schwanz nicht zu berühren, weil ich sonst schlichtweg explodiere und das will ich nicht.
Ihm ergeht es nicht anders und ich halte ihn auf meinem Schoß, während ich ihn dehne, bis er mich anzischt, ihn endlich zu nehmen.
Schon meine Finger haben ihn in jene erstaunliche Vibration versetzt, die ich vorgestern und letzte Woche schon einmal erlebt habe.
Was immer ich mit ihm tue, es lässt ihn zittern und beben, voller Lust und ... Liebe.
Ohne Frage, er erinnert sich nicht daran, was er vorgestern genau hier zwischen den Wellen seines Orgasmus geflüstert hat ... Aber das zeigt mir nur deutlicher, wie sehr ihn all das hier verwirrt. Wie viel Neuland wir hier gemeinsam erobern.
Ich lasse mich zurücksinken und ziehe ihn auf meinen Bauch, meine Eichel drückt gegen seinen Damm, ich muss aufpassen, dass er sich jetzt nicht zu heftig bewegt ...
Trotzdem kann ich ein lautes Stöhnen nicht zurückhalten.
Tastend suche ich nach meinem parfumfreien Sonnenspray und benetze meine Finger damit, um ihm mein Eindringen zu erleichtern. Ich verteile es an ihm und an meinem Schwanz, als er sich mit einem Keuchen anhebt und ich herankomme.
Er kniet jetzt über mir, stützt seine Hände auf meinen Schlüsselbeinen ab und sieht tief in meine Augen.
Angst? Unsicherheit? Beides würde mich nicht wundern.
Ich lasse meine Linke in seinen Nacken gleiten und ziehe ihn zu mir herab. Sein Kuss ist wild und tief, leidenschaftlich genug, um mir heißkalte Schauer durch den Körper zu jagen.
Meine Hand gleitet über seinen Rücken, drückt ihn sanft herab, bis meine Eichel an seinem Eingang anstößt, legt sich ohne jeden Druck auf seine Hüfte, während ich meine Erektion an ihrem Platz halte.
„Du bestimmst das Tempo“, bringe ich mit belegter Stimme hervor und er hebt den Oberkörper an, um sich langsam auf meinen Schwanz abzusenken.
Wir schreien zeitgleich auf, als meine Eichel in ihn rutscht. Kim hält inne und neigt sich wieder zu mir, um mich erneut tief zu küssen. In unserem Zungengefecht lässt er sich weiter auf mich sinken, bis meine Hand überflüssig wird und ich an seinen Seiten, seinen Schenkeln entlang und über seine Brust streicheln kann. Er keucht in meinen Mund, zittert und vibriert so intensiv, dass ich den Kuss atemlos unterbrechen muss und ihn einfach nur ungläubig anstarren kann.
Sprachlos, nur noch Gefühle.
Er lächelt und setzt sich vollständig auf mich, bevor er verharrt. Dieses unheimlich erregende Beben verlässt ihn dennoch nicht.
Ich will ihm sagen und zeige n, wie unfassbar groß meine Liebe ist, aber ich kann nicht. Deshalb lasse ich meine Hände weiter über seine glatte, so tief gebräunte Haut gleiten. Meine Bewegungen sind fahrig, unkontrolliert, zittrig sogar.
Das hier ist der Himmel. Ein Stück davon zumindest. Und ich bin dort mit Kim. Meinem süßen, schönen, unsagbar geilen Kim.
Er küsst mich erneut, bevor seine geschwollenen Lippen eine meiner Brustwarzen umschließen, daran saugen und mich in den Wahnsinn treiben. Ich bäume mich auf, stoße mein Becken hoch und schreie unartikuliert.
Als ich mich zurücksinken lasse, folgt er meiner Bewegung nicht, sorgt stattdessen für eine Gegenbewegung, die ihn nach Luft schnappen und stöhnen lässt. Sein Atem klingt hastig, laut und genauso unkontrolliert wie meine Bewegungen. In seinen Augen liegt eine Lust, die ich nicht in Worte fassen kann. Wie ein Meer, das mich in sich aufsaugen will.
Ich ergebe mich. Seinen Bewegungen, seinem Tempo, seinem Rhythmus. Nichts bleibt von mir als ein zuckendes, stöhnendes Bündel unter ihm.
Meine Erektion dringt durch seine langsamen Bewegungen immer wieder tief in ihn, füllt ihn aus, verschafft ihm weitere heiße Schauder, die sich prompt auf mich übertragen.
Seine Arme, mit denen er sich auf mir abstützt, zittern ebenso. Es sieht aus, als könnten sie sein Gewicht nicht mehr halten.
Ich umfasse sein Gesicht mit meinen Händen und lächle ihn strahlend an, zumindest glaube ich das, denn er erwidert es und hält inne, als ich fast aus ihm herausrutsche.
Vorsichtig knickt er in den Armen ein und legt sich auf meine Brust, seinen harten Schwanz fest an meinen Bauch gepresst. Ich kann mit meinen Lippen nur seinen Hals erreichen, sein Kopf liegt irgendwo neben meinem, sein Kinn an meiner Schulter. Er dreht ihn und flüstert: „Bitte, Maik ...! Fick mich!“
Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich kapiere, was er sagt. Ich umschlinge ihn fest, eine Hand auf seinem Hintern. Erst danach winkle ich meine Beine an und stoße langsam und tief in ihn.
Wir stöhnen beide auf vor Lust, während ich immer wieder in ihn dringe, ihn möglichst zärtlich erobere.
„Bitte ...! Schneller!“, fleht er kraftlos, und ich kann nichts weiter tun, als zu reagieren.
Ich muss ihn in Position halten, wenn ich ihm und mir nicht durch die Heftigkeit meiner Bewegungen wehtun will. Aber seine lauter werdenden Lustschreie lösen mit ihrer Melodie ein Ziehen in meinen Hoden aus, lassen mich schnell und ruckartig näher an den Höhepunkt kommen.
„Hör ... nicht ... auf ... Liebling!“, keucht er und klammert sich hart an mich, als er kommt. Sein Schwanz zwischen uns zuckt und pulsiert, die heiße Feuchtigkeit seines Samens lässt den Schweißfilm zwischen uns kühl erscheinen, doch eine andere Hitze nimmt mich deutlich stärker mit, als sein Muskel sich in heftigen Schüben zusammenzieht und meiner Erektion die letzte nötige Massage gibt, die ich brauche, um ebenfalls über die Klippe ins Nichts zu stürzen.
Ich kann nicht mehr zustoßen, verharre mit angehobenem Becken tief in ihm und spüre, wie sich mein Samen in seine Hitze ergießt.
Atemlos küsse ich seinen Hals, lecke den salzigen Kimgeschmack von seiner Haut und muss die Augen schließen, um die vor ihnen tanzenden Sternchen zur Ruhe zu bringen.
Wow! Ich meine: Wow!!!
Meine Arme umschlingen ihn, halten ihn, wollen ihn nie wieder loslassen, während ich mein Becken ganz langsam zurück auf die Decke absenke und meine Beine ausstrecke.
Alles fühlt sich an wie mit Pudding gefüllt, kraftlos und doch voller Energie.
Kim hebt seinen Kopf und küsst meine Stirn, es fühlt sich kühl an, weil sein schneller Atem über meine schweißnasse Haut streicht.
Im nächsten Augenblick wird mir klar, was ich getan habe und wie unüberlegt und triebgesteuert ich ihn ... ja, gefickt habe.
„Es tut mir leid!“, wispere ich und muss mich räuspern.
Kims Blick trifft mich fragend. „Was tut dir leid?“
„Dass ich ...! Ich wollte nicht so rücksichtslos sein!“
Kim rollt von mir herunter und lacht leise, er streicht sich in einer unglaublich sexy aussehenden Bewegung das Haar aus der Stirn und pustet sich selbst Luft ins Gesicht. „Ich hab dich angefleht, schon vergessen?“
Hat er? Er hat!
Aber das macht es nicht besser. „Aber ich ...“
Sein Zeigefinger legt sich auf meine Lippen, direkt gefolgt von einem Kuss. „Kein ‚aber‘. Es war herrlich, ich fühlte mich wie im Himmel und ich glaube ich werde einige Stunden brauchen, bevor ich wieder auf dem Erdboden ankomme.“
Okay ...
„Dann hab ich dir nicht wehgetan?“, hake ich nach, um mein schlechtes Gewissen endlich zum Schweigen zu bringen.
„Natürlich nicht!“ Er erhebt sich und streckt mir die Hand hin. „Komm, lass uns schwimmen gehen.“
Ich sehe ihn fassungslos an und blinzle mehrfach, bevor ich seine Hand ergreife und er mich von der Decke hochzieht. Ah, meine Beine haben doch nicht nur Puddingfüllung. Zumindest kann ich aufrecht stehen.
Wir gehen Hand in Hand ins Wasser, tauchen und schwimmen, finden uns wieder, küssen und umarmen uns, als wäre die Nähe, die wir eben noch geteilt haben, einfach nicht genug für uns und das, was uns verbindet.
Das Frühstück in geselliger Runde in Theodoras Reich gestaltet sich als ausgesprochen lustig, weil sich alle um die englischen Pikelets, kleine Pfannkuchen, die eigentlich genauso aussehen wie die US-amerikanischen Pancakes, prügeln, die unsere Hauswirtschafterin stapelweise auftischt.
Dazu gibt es verschiedene Marmeladen und streichzarte Butter. Ich staune, welche Berge davon Maik in sich hineinstopfen kann, und ziehe ihn ein bisschen auf.
„Du arbeitest auf einen Bauchansatz hin? Mit Anfang zwanzig? Echt mal, das würde ich mir gut überlegen!“
Er lässt seine Gabel sinken und blickt mich perplex an, bevor er schallend zu lachen beginnt. „Mein Möhrchen kann mich auch mit Bauch noch über jedes Hindernis tragen“, quittiert er, nachdem er sich wieder beruhigt hat, und schiebt sich prompt den nächsten halben Pfannkuchen in den Mund.
„Unfassbar!“, erwidere ich nur und esse meinen Teller leer.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Theodora uns beobachtet. Heute sitzen Maik und ich mal wieder nebeneinander. Sie lächelt mich kurz an und beteiligt sich wieder an einem Gespräch mit Christian und Sandra.
Ihr Lächeln wirkt wohlwollend, irgendwie. Schwer zu sagen, wie ich darauf komme, aber ich habe den Eindruck, sie weiß deutlich mehr, als ich bislang erwartet habe. Die Frage ist nur, von wem?
~*~
Heute wird keines der Pferde bewegt, es gibt auch keinen Reitunterricht und ich habe einen großen Geschirrputztag angesetzt.
An allen Ecken sitzen Mitarbeiter des Turnierstalls und seifen Sättel und Zaumzeuge ein, um sie hinterher zu polieren.
Die Tiere stehen auf den Weiden, die Boxen sind gemistet und ich sitze mit Maik auf dem hinteren Hof bei den Außenputzständen nahe dem Durchgang zur Sattelkammer auf zwei alten Holzhockern.
Wir unterhalten uns und ich erfahre einmal mehr etwas Neues von ihm.
Da immer wieder andere vorbeikommen oder wir unsere Gespräche durch das Holen und Wegbringen von Lederzeug unterbrechen müssen, redet Maik den gesamten Vormittag.
„Okay also, um das mit Jers und mir zu verstehen, muss ich wirklich in unserer Kindheit anfangen ...“, beginnt er und öffnet die Schnallen von Catos Zaumzeug, um es vollständig auseinanderzunehmen. „Der Stirnriemen könnte mal neu.“
Ich nehme ihm das Stück ab und sehe es mir an. „Hm-hm, ich glaube, ich hole mal schnell einen Block, damit wir alle zu erneuernden Teile aufschreiben können. Wir haben für die meisten Teile Ersatz in einem Schrank in der Sattelkammer, aber ich werde nachbestellen müssen.“
Als ich aus dem Büro zurückkomme, hat sich Maik schon einen neuen Stirnriemen von Tom geben lassen, der einen Schlüssel zu besagtem Schrank besitzt.
„Jers’ und meine Mum kennen sich schon ewig. Sie sind zusammen aufgewachsen und haben sich, im Gegensatz zu anderen nicht aus den Aug en verloren. Und wenn Karen zu Besuch kam, brachte sie Jeremy natürlich mit. Er ist ein gutes halbes Jahr älter als ich und wir kamen nur mit viel Glück in die gleiche Klasse der Vorschule. In England wirst du ja mit spätestens fünf schon eingeschult ...“ Er lächelt mich an und wischt die Seifenreste von einem Lederriemen.
„Na ja, ab da verbrachten wir irgendwie jeden Tag zusammen. Karen brachte uns zur Schule, Mum holte uns ab. Und bis Karen oder Jers’ Vater George ihn abends abholte, blieb er auf dem Gestüt.“ Er kichert leise und schüttelt den Kopf.
Ich kann nicht anders und lächle ihn an. „Es war sicher sehr lustig für euch auf dem Hof, oder?“
Maik nickt. „Oh ja! Mein Grandpa ist so ein bäriger Riese, wenn du den mal siehst ... Hey, was meinst du, wollen wir am kommenden Wochenende einen Ausflug zu dem Turnier machen, auf dem Jers reitet?“
Ich staune kurz über den Themenwechsel, nicke dann jedoch. „Hm, wieso nicht?“
„Und Timeon schleppen wir auch mit!“
„Klingt gut. Ich denke, das wird lustig.“
„Gut. Sorry, das war mir grad eingefallen, und bevor ich es wieder vergesse, musste ich gleich fragen. Aber jetzt wieder weit, weit zurück in die Vergangenheit!“ Er setzt das Zaumzeug wieder zusammen und ich vergesse meine eigene Arbeit, weil ich auf seine schlanken, ausgesprochen geschickten Finger sehe, mit denen er noch ganz andere Sachen kann, als Zaumzeuge zusammenfummeln ...
Wo mein Blut landet, ist wohl keine Frage.
„Also Jeremy und ich tobten jeden Tag nach Essen und Hausaufgaben über das Gestüt, durften Pferde streicheln, Fohlen füttern und auf einem Pony, das bei meinem Grandpa als eine Art Maskottchen im Stall stand, reiten lernen. Es war toll. Wirklich richtig toll.“
„Das glaube ich gern! Einen guten Freund zu haben, ist sicher super ...“ Meine Worte schmecken ein wenig bitter auf der Zunge. Ich hatte immer nur pferdeverrückte Mädchen und dann ab vierzehn auch Steffen ... aber das war eben doch was anderes als ein Freund, auf den ich mich in allen Lebenslagen verlassen konnte ...
„Oh ja, er kennt mich besser als ich mich und andersrum gilt das Gleiche.“ Er grinst und greift ganz kurz nach meiner Hand, um mit dem Daumen darüberzustreicheln. „Mit acht bekam ich meinen ersten Kuss von ihm. Damals war er noch größer als ich, aber das hat sich verwachsen ...“
Er kichert über mein Blinzeln, da bin ich mir sicher.
„Mit acht?!“
„Ja, aber wirklich nur so ein kleiner Schmatz. In der achten Klasse hatte er kurzzeitig sogar eine Freundin, aber er merkte schnell, dass so eine Alibisache nichts bringt, wenn er mich ständig sieht ...“
„Soll das heißen, er war mal verliebt in dich?“
Maik nickt. „Ja, war er. Aber ich war nie bereit, unsere Superfreundschaft für eine Beziehung zu opfern. Schließlich wurden wir dann diese ... äh ... besten Freunde mit Bonus ...“
„Aber ihr wart nie zusammen? Also, so richtig?“
„Nein. Wir kannten uns wohl auch zu gut dazu. Und ... das sollte ich dir wohl besser gleich sagen ... Er und ich, wir sagen uns, dass wir uns lieben. Aber das ...“ Er schluckt sichtbar. „Das ist irgendwas zwischen Bruderliebe und ... keine Ahnung, jedenfalls nichts Romantisches.“
Trotz dieser Versicherung sticht irgendwas in meiner Brust und ich blinzle vor mich hin, bevor ich begreife, dass das Eifersucht sein muss. Unfassbar. Stelle ich tatsächlich Besitzansprüche? An Maik? Obwohl er die an mich wegen Lu nie stellen können wird?
Quatsch! Er kann und wird eifersüchtig sein, wenn ich mir nicht schleunigst einen Kompromiss überlege, der Maik nicht verletzt.
Ich grüble spätestens seit gestern Nachmittag mit aller Inbrunst darüber nach, wie ich ihm zeigen und sagen kann, dass ich ihn liebe und mir, egal was wer mit meinem Körper tun könnte, alles andere nichts bedeutet.
Aber das ist wohl reine Utopie. Maik ist niemand, der solche halben Sachen dulden könnte, und viel wichtiger: Er ist jemand, dem ich solche Halbheiten gar nicht antun will.
Ich seufze vernehmlich und ernte einen fragenden Blick von ihm. „Was ist los?“
„Ich ... habe grad an ... egal. Erkläre ich dir heute Abend, ja? Das ist nichts für ... so viel Öffentlichkeit.“
Er nickt verstehend.
„Erzähl mir mehr von Jeremy, ja?“
„Hm, er merkte ziemlich schnell, dass das mit uns keinen Sinn hätte , und hat sich, ich war damals sehr erleichtert, ganz schnell neu verliebt. Ich denke sowieso immer noch, dass er nur aus Gewohnheit und unserer Vertrautheit heraus dachte, da wäre mehr zwischen uns ...“
„War er der Erste mit dem du ...?“
Maiks leises Lachen klingt eher warm als abfällig. Vielleicht freut es ihn, dass mich seine Jugend so interessiert.
„Manchmal wünschte ich, er wäre es gewesen, aber nein. Jeremy war nicht der Erste, mit dem ich geschlafen hab“, sagt er und sein Blick geht irgendwie durch den Betonboden vor unseren Füßen hindurch. „Sein Name war Kevin und er war genauso alt wie ich, fünfzehn. Ich hätte drauf verzichten sollen, aber die Neugier ...!“
Er hebt den Blick und zuckt die Schultern.
„Es war also nicht zufriedenstellend.“
„Nein, ganz und gar nicht, es klappte nämlich nichts!“ Er lacht nun lauter. „Wir waren beide so nervös und überdreht, dass wir nicht mal ’nen vernünftigen gegenseitigen Handjob hingekriegt haben ...“
Ich staune. Das hätte ich nicht erwartet! „Ehrlich?“
Maik nickt. „Das zweite Mal war besser. Aber irgendwie war es nur so ein neugieriges Herumprobieren. Den ersten echten und von vielen Gefühlen begleiteten Sex hatte ich mit Evan ... Er war einer der Pferdepfleger bei meinem Grandpa, und Jers und ich hatten ihn quasi monatelang angehimmelt ... Wir knobelten, wer ihn angraben dürfte, und als Jers merkte, wie ernst es mir mit Evan war, überließ er mir das Feld … Ich hatte ziemliches Glück. Evan mochte mich auch und wir hatten ein paar schöne Monate zusammen.“ Wieder geht sein Blick mit einem Lächeln in die Ferne, diesmal jedoch über die Wiese jenseits des Platzes.
Ein neuer, heftiger Stich, den ich höchst albern finde, bohrt sich in mein Herz. Diese Eifersuchts-Sache nervt ein bisschen. Zumal ich wohl kaum eifersüchtig auf seine Vergangenheit sein kann!
„Tja, ihm verdanke ich meinen ersten Liebeskummer ... Er zog nach Cornwall und verliebte sich neu. Ich war damals am Boden zerstört ...“
„Das tut mir leid“, entfährt es mir und er sieht mich an.
„Lieb von dir, aber unnötig. Ich glaube, man braucht diese ganzen Stadien des Verliebtseins, der echten Liebe und des Verlassen-Werdens ebenso wie die Erfahrung, dass eine heiße Herdplatte einem die Finger verbrennen wird. Man muss es erleben, um zu wissen, wie es sich anfühlt. Und man muss es durchleiden, um stärker zu werden, daran zu wachsen.“
„Ich wollte und will das gar nicht lernen“, bekenne ich leise, während ich das Zaumzeug von Mirabeau bearbeite.
„Du hast es doch zum Teil durchlebt ... Und allein diese Sache hat dich davon überzeugt, dass du lieber verzichtest, als eine weitere schlechte Erfahrung zu riskieren.“
Gut zusammengefasst. Ich nicke. „Es ist viel einfacher, wenn man über diesen ganzen Gefühlsquark nicht nachdenken muss.“
Er räuspert sich demonstrativ. „Gefühlsquark, ja?“
Ich lächle entschuldigend.
„Kim, hast du Angst vor dieser Sache mit uns?“ Sein hellgrüner Blick ruht so ernst und fragend auf mir, dass ich schlucken muss, bevor ich mir eine Antwort überlegen kann.
„ Nicht vor dem hier, nur vor einem Ende.“ Ja, das ist es. Wer hat schon Angst vor einem absoluten Höhenflug? Ich jedenfalls nicht ...
Na ja, gut, doch, bislang hatte ich Angst davor ... Aber seit Maik ist eben alles anders. Jetzt fürchte ich eher den unvermeidlichen Aufprall danach.
Maik sieht mich lange schweigend an. Ich würde gerade ziemlich viel darum geben, seine Gedanken lesen zu können.
„Was war nach Evan?“, lenke ich schließlich ab, um nicht in Panik zu verfallen. Das Ende von diesem Wir mit Maik hängt so drohend über uns – es hat sogar einen Namen: Ludwig van Keppelen.
„Danach gab es viele andere. Willst du, dass ich sie alle aufzähle?“ Sein Ton wird neckend und er reizt mich zu einem Grinsen.
„Nein, eigentlich nicht. Macht mich, so bescheuert das sein mag, eifersüchtig.“ Herrlich, wieso rutscht mir denn so was raus?!
„Das ist nicht bescheuert. Es zeigt nur ... na ja, was in dir ist.“
Eifersucht? Kim?
Oh, wow, ich kann nicht einmal annähernd in Worte fassen, mit wie viel Wärme mich das durchflutet.
Ich würde ihn jetzt gern an mich ziehen, umknutschen, festhalten, irgendwie alles gleichzeitig, aber das ist schlecht möglich, wenn alle Nase lang jemand vorbeikommt.
Dennoch vertröste ich mich selbst diesbezüglich auf heute Abend und hoffe, dass ich nichts von meinen Wünschen einbüße, bis ich sie in die Tat umsetzen kann.
Genauso wie ich ihm diese Angst so gern nehmen würde. Aber ich bin wohl bei aller Liebe für ihn zu realistisch.
Van Keppelen wird sein Möglichstes tun, sobald er herausfindet, wie es um Kim steht.
Ich kann ein Lächeln nicht unterdrücken.
Wie es um Kim steht, das scheint ihm selbst noch immer nicht in letzter Konsequenz klar zu sein. Aber das macht nichts. Ich habe keine Veranlassung, ihn zu irgendetwas zu drängen. Ich sehe ihn viel zu gern lächeln und lachen, albern sein, in Lust erzittern ...
Na prima, wieso habe ich eigentlich nicht einmal mehr meine Gedanken im Griff?
~*~
Der Feierabend kommt nach einem so ermüdend langweiligen Tag einer echten Erlösung gleich und ich gehe duschen, um den Geruch von Lederpflege und Seife von mir abzuspülen.
Kim ist mit einem verheißungsvollen Lächeln in seiner Wohnung abgetaucht und hat nur vage Andeutungen bezüglich des Abendessens gemacht. Na gut, dann lasse ich mich eben überraschen!
Mit noch feuchtem Haar und in echter Alltagskleidung, die nicht an Reithosen und Poloshirts erinnert, betrete ich wenig später seine Wohnung und wundere mich einmal mehr über die Tatsache, dass er kein Wohnzimmer besitzt.
Es gibt diese gigantische Wohnküche, das Schlafzimmer, ein Gästezimmer und die Treppe nach oben zu Heimkino und Dachterrasse, aber eben keinen Raum mit Sofa und Fernseher, in welchem man herrlich herumgammeln könnte.
Ist irgendwie Quatsch, denn er hat einen Fernseher im Schlafzimmer und auch der Projektor im Heimkino kann das Programm der TV-Sender abspielen. Aber ich denke doch einen Augenblick lang wehmütig an meine alte Wohnung in Manchester. Ich habe sie aufgelöst und alle noch brauchbaren Möbel auf Grandpas Gestüt untergestellt, bevor ich hergekommen bin.
Der Duft von irgendwie italienisch riechenden Kräutern bringt mich zurück nach Deutschland und in Kims Küche.
Oregano, Basilikum, irgendwie etwas in der Richtung ...
„Hmm“, mache ich und schnuppere demonstrativ, während ich zu ihm an die Kochinsel trete und ihm einen Kuss auf den Nacken drücke.
„Meinst du mein Duschgel oder die Nudelsoße?“, neckt er mich und ich lache leise.
„ Beides, Baby. Soll ich den Tisch decken?“
„Gern, du weißt ja, wo du alles findest.“
Das weiß ich tatsächlich, immerhin essen wir seit ein paar Tagen ständig hier und ich habe mehrmals gekocht.
Die Spaghetti mit echter Bolognesesoße schmecken super und ich muss mich beherrschen, um nicht zu viel davon zu essen.
Ein Abstecher in Kims Kinosaal, bei dem wir allerdings wenig, bis gar nichts von Independence Day mitbekommen, weil wir engumschlungen knutschen, danach wechseln wir ins Schlafzimmer.
Wie gestern Nacht liegen wir nackt in den Laken. Ich genieße dieses Haut-an-Haut-Gefühl ebenso sehr wie Kim, was ich nicht zuletzt an unser beider Erregung festmache.
Sein Rücken liegt wie fast immer fest an meiner Brust, sein Hintern drückt meine Erektion gegen meinen Bauch, perfekt.
Das sieht Kim offenbar anders, denn er dreht sich noch einmal halb zu mir, nachdem wir das Licht bereits gelöscht und den obligatorischen Gute-Nacht-Kuss getauscht haben.
„Ich möchte etwas ausprobieren“, murmelt er und ich spüre seinen Atem auf meinem Gesicht.
„Und was?“, frage ich neugierig in die Dunkelheit.
„Ich ... weißt du ... Es klingt irrsinnig bescheuert, ich weiß ... aber ... ich hab mich gestern so vollständig gefühlt, als du mich ...“
Er will Sex? Jetzt?! Ich bin viel zu müde, aber das kann ich ja kaum sagen, ohne ihn zu verletzen. Immerhin spürt er meine Erregung gerade an seinem Hüftknochen ...
Meine Hand fährt über seine Brust, seinen Bauch, zu seinem Ständer und legt sich in einer beinahe instinktiven Geste darauf. Ich weiß nicht genau, wieso ich das schon wieder mache. Es fühlt sich einfach so an, als müsste ich ihn beschützen.
Fuck, diese Liebe macht echt einen Spinner aus mir. Gehirnmus, oder so.
Er schaudert leicht und drängt sich gegen meine Handfläche.
„Ich möchte dich in mir spüren, wenn ich einschlafe.“
Er haspelt das so schnell hervor, dass ich nicht sicher bin, ob ich ihn richtig verstanden habe.
„Du möchtest was?“
„Dich. Jetzt. In mir.“
Oh ... Oh!
Als ich nicht reagiere, streckt er sich von mir weg und ich höre die Schublade an seinem Nachttisch, das leise Klicken der Gleitgel-Tube und danach die Landung der Tube auf dem Nachttisch, die er offenbar einfach dorthin geworfen hat.
Ich wappne mich schon für die kühle Berührung an meinem Schwanz, doch er verstreicht das Gel offenbar an sich. Als er näher rückt und meine Erektion umfasst, ist seine Hand ebenso warm wie der Rest des Gels, und er platziert mich, bevor ich auch nur aufkeuchen kann, an seinem Eingang.
„Kim!“, entfährt es mir und ich stöhne laut auf, als ich, durch ihn geführt, in ihn eindringe.
Er hält kurz inne und ich ziehe seinen Oberkörper wieder an meine Brust. „Das ist ...!“, hauche ich an sein Ohr und er erschauert nicht weniger.
„Ich will dich so nah spüren, wie es geht.“ Seine Stimme klingt belegt und dabei so ... bittend.
Als wenn ich in dieser Situation auch nur ein ‚Nein‘ denken könnte! Meine Hand legt sich wieder auf seinen harten Schwanz, die andere liegt mit gespreizten Fingern auf seiner Brust und presst ihn an mich.
Als er sich sacht bewegt, sich weiter auf mich schiebt, komme ich ihm möglichst langsam entgegen, schaffe es aber nicht, meine Bewegungen wirklich zu steuern.
Mein Becken stößt sich gegen ihn und ich höre seinen keuchenden Schrei über mein eigenes Stöhnen hinweg noch.
„Tut mir leid!“, flüstere ich und küsse seine Schulter, streichle ihn sanft, wo ich ihn berühre.
„Schon gut, es tut nicht weh, ich hab mich nur erschreckt“, erklärt er leise und bewegt sein Becken kreisend auf mir, bis ich ihn festhalte.
„Wenn du nicht willst, dass ich komme und rausrutsche, hörst du besser auf, deinen süßen Arsch so aufreizend zu bewegen“, bringe ich zwischen Stöhnen und Keuchen hervor und ernte ein wohliges Knurren.
„Genau das wollte ich spüren ... das ist perfekt!“
Ja. Unbestreitbar. Kim so nah zu sein, ihn festzuhalten und mit ihm in genau dieser Position einzuschlafen, das hat etwas Vollkommenes an sich.
„Dir ist aber klar, dass das kein Dauerzustand ist?“ Ja, verdammt, ich habe Mühe, meine Gedanken halbwegs beieinander zu halten!
Da ist kein Wunsch nach Bewegung in mir, aber Kims Vibrationen bringen mich auch ohne Stöße an den Rand des Wahnsinns.
„Ich liebe dich.“
Ich schließe die Augen und atme tief ein, lausche und spüre diesen Worten nach, die er nicht zum ersten Mal, wohl aber zum ersten Mal bewusst sagt.
Meine Reaktion besteht darin, dass ich meine Arme fester um ihn schlinge, ihn dichter ziehe und meine Erektion bis zur Wurzel in ihm versenke.
„Hast ... du mich gehört?“ Er klingt so unsicher, dass ich überwältigt aufkeuche.
„Ja, Kim, ich habe dich gehört. Ich kann dir nur nicht sagen, wie glücklich mich das macht. Weil du mich sprachlos machst, mit beinahe allem, was du tust ...“
Das ist so wahr, dass es schon wehtut. Schmerzhaft süße Liebe, die in jeder Faser meines Körpers nach ihm schreit.
Nicht danach, ihn zu erobern, nur danach für ihn da zu sein.
Ja, sicher, mein Schwanz steckt grade bis zum Anschlag in ihm, aber gerade diese Verbindung drängt jede Körperlichkeit in den Hintergrund.
Verrückt.
Ich habe nun wirklich oft genug in meinem Leben Sex gehabt, um zu wissen, dass mein Schwanz mein Denken komplett vereinnahmt, wenn er hart wird – noch kompromissloser, sobald er in jemanden eindringt.
Aber jetzt, hier, so tief in ihm, so eng an ihn geklammert, bringen drei Worte mich zum Schweben.
Ich küsse seine Schulter noch einmal und streichle über seine glatte, heiße Haut.
„Ich liebe dich auch, Kim.“
„Immer wenn wir uns so nah sind, spielt meine Geilheit keine Rolle mehr“, flüstert er mit brüchiger Stimme. „Dann zählt nur noch, dass ich dir meine Gefühle zeigen will.“
Das tut er, mit jeder Geste, jedem Atemzug, jeder Streicheleinheit, jedem sanften Zittern, das seinen Leib erfasst und sich auf mich überträgt.
„Ich werde immer auf dich aufpassen.“ Das klingt wie ein Eid, und nichts anderes sind meine Worte.
Ich würde eher auf seine Liebe verzichten, als ihn leiden zu sehen. Niemand darf ihm wehtun. Niemand!
Ich schließe die Augen und spüre die darin brennenden Tränen. Ja, verdammt, ich habe eine Scheißangst um ihn.
Auch wenn er es immer versucht zu verstecken, innen drin ist Kim zerbrechlicher als das dünnste Glas.
Seine Gefühle.
Seine Gefühle für mich.
„Maik?“
„Ja?“ Es fällt mir schwer, zu antworten, ich bin gefangen in meiner Sorge um ihn, meinen überwältigenden Gefühlen für ihn, die bei aller körperlichen Nähe einfach nichts mehr mit Sex oder Erregung zu tun haben.
„Lässt du ... Ich meine, falls du vor mir aufwachst ...“
„Ja?“
„Weckst du mich ... mit diesem Gefühl?“
Tja, nun brennen sie nicht mehr in meinen Augen, nun laufen sie unter den geschlossenen Lidern hervor und ich habe Mühe, das Aufschluchzen zu unterdrücken.
Wie mächtig kann Liebe sein?
Ich glaube, Kim lehrt es mich gerade.
Ich träume, ganz sicher.
So ein Gefühl kann einfach nicht real sein, diese Nähe, diese ... Herrje, willkommen im Land des Kitsches!
Ich bin kein weichgespülter Liebestrottel, aber das hier ist ... perfekt!
Ich seufze leise und mein ganzer Körper versucht, sich dieser sanften Berührung entgegenzubringen.
So muss es sich anfühlen, wenn mich der Eine, dem ich es erlauben würde, mit absoluter Nähe weckt ...
Ich spüre die Hitze, die in mir, an meinem Rücken, an meiner Brust, irgendwie überall auf mich abstrahl t, und murre leise, weil ich merke, dass ich wirklich aufwache und dieses ... köstliche Gefühl unweigerlich verschwinden wird.
Heißer Atem streift meine Wange, Lippen küssen mein Ohr.
„Nicht aufhören!“, formuliert eine mir unbekannte, sehr belegte Stimme meinen derzeit einzigen Wunsch. Oh ja, da hat jemand meinen Gedanken!
„Niemals“, haucht eine andere Stimme über mein Ohr hinweg und ich beginne unweigerlich zu lächeln.
Maik. Das ist Maik. Herrlich, dieser Traum darf weitergehen.
Aber ... das hier ist kein Traum!
Ich reiße die Augen auf und sehe ihn im morgendlichen Halbdunkel an, begreife, dass das, was ich von ihm spüre, keineswegs meiner wilden Fantasie entsprungen, sondern absolut real ist!
„Maik!“, bringe ich hervor und meine Stimme klingt so fremd, dass ich mich erfolglos räuspere.
„Guten Morgen, Kleiner.“ Ich sehe und höre sein Lächeln, kann nichts weiter tun, als der zarten Berührung seiner Hand auf meiner Wange nachzuspüren.
„Guten Morgen ... Danke.“ Ich bewege mich ihm entgegen, genieße es, von ihm ausgefüllt zu sein, und winde mich in seinem Arm. „Das ist ...!“
Er küsst mich tief und leidenschaftlich, bewegt sich in mir und entlockt mir die süßesten Seufzer, die ich je von mir gegeben habe.
„Wie lange haben wir noch?“
„Zwanzig Minuten, dann geht dein Wecker.“
Zwanzig Minuten gestohlene Zeit, so nah bei Maik! Ich seufze erneut und dränge mich an ihn, genieße sein Keuchen und die Erregung seines Körpers.
„Aus einem Traum in den Himmel“, murmele ich und genieße seine Bewegungen in mir. Rhythmisch und langsam. So tief. Ich will ihn anfassen, richtig festhalten. Dieser Wunsch überwiegt schließlich und ich rücke von ihm ab, um mich umzudrehen, ihn auf den Rücken zu rollen und mich auf ihn zu setzen. Meine Hände gleiten über seine warme Haut, verfolgen das Muskelspiel in seiner Brust. Ich beuge mich hera b, um ihn zu küssen.
„Ich ... Maik, ich ...“, stammele ich und frage mich zeitgleich, ob ich mir nicht einen anderen Zeitpunkt zum Reden suchen kann. Er sieht mich fragend an, seine Hände liegen auf meinen Oberschenkeln, seine Daumen streicheln mich sanft.
„Ja?“
Ich schüttle den Kopf und lächle, bevor ich mein Becken anhebe und nach seiner Erektion taste, um ihn wieder in mich gleiten zu lassen.
Er keucht lustvoll auf und fasst mich fester, oh ja, ich mag das. Ich bin nicht aus Zucker oder Porzellan. Er darf mich so anfassen. Bei ihm ist darin keine Brutalität oder Demonstration von Macht.
Obwohl ich ihm diese Macht über mich und meinen Körper geben würde, jederzeit.
Ich vertraue ihm.
Mit einem langgezogenen Stöhnen sinke ich vollständig auf ihn und spüre das Zittern, das mich vor Lust durchläuft.
Meine Hände suchen wieder den Kontakt, wollen jedes erreichbare Stückchen Haut von ihm berühren, liebkosen, streicheln.
Ohne weitere Worte schlafen wir miteinander, nähern uns in wechselndem Rhythmus und mit steigender Intensität der Bewegungen dem Orgasmus, der eine wohlige Erlösung verspricht.
Es ist einfach unbeschreiblich, von ihm geliebt zu werden, denn genau das tut er gerade. Unabhängig von der Härte seiner Stöße, der Tiefe.
Ich schreie auf und kralle meine Finger in seine Schultern, als ich komme und mein Höhepunkt ihn mit sich reißt.
Kraftlos und matt sinke ich auf seine Brust und fühle mich sanft gehalten, während er meine schweißnasse Stirn küsst.
Perfekt.
Ein ziemlich strapaziertes Wort in den letzten Tagen, besonders für mich, Mister Logik.
Perfektion ist die unerreichbare Vollkommenheit einer Situation, eines Gefühls, einer Handlun g .
Und doch erlebe ich sie, gerade jetzt – mit Maik.
~*~
Mann, so habe ich noch nie einen Tag begonnen. Wie denn auch? Ich war ja noch nie so restlos verliebt!
Vielleicht auch rettungslos, aber das macht mir nichts, denn wer will schon gerettet werden vo r etwas so Gutem?
Ich jedenfalls nicht, soviel ist mal sicher!
Ich grinse verblödet vor mich hin, während ich Finchen striegel e, und bemerke erst, als Ferdinand mich darauf anspricht, dass ich fröhlich vor mich hin pfeife.
„Oh, na ja, ich hab heute einfach gute Laune!“, versuche ich mich in einer halbwegs glaubhaften Erklärung und ernte ein Lachen.
„Die hast du immer, wenn du hier im Stall bist, Boss. Sag mal, übernimmst du unseren Neuen heute?“
„Timeon meinst du?“, hake ich nach. Ferdinand hat den Unterrichtsplan in der Hand und sieht mit geschürzten Lippen darauf.
„Hm ja, den meine ich. Hier steht nicht, wer ihm Springunterricht gibt.“
Stimmt, weil ich vergessen habe, Maik zu fragen, ob er das machen kann! „Ich wollte Maik darum bitten, das zu übernehmen. Dressur mit Don Juan mache ich, aber ich muss noch ins Büro und Maik hat’s echt drauf.“
Ferdinand nickt und sieht mich an. „Das ist wahr. Ich hab mir angesehen, wie er unsere Springer trainiert. Er hat definitiv eine Menge Erfahrung im Trainieren.“
„Auch im Unterrichten. Er hat Timeon bereits Springstunden gegebe n, letzte Woche.“
„Gut, dann kann ich die Schüler von zehn Uhr heute über den Außenplatz scheuchen.“ Er lacht und geht wieder hinein, um den Unterrichtsplan wegzubringen.
Finchen ist fertig, nachdem ich noch zwei Strohhalme aus ihrem Schweif gezogen habe.
Ich hole ihren Sattel und ihr Zaumzeug. In der Sattelkammer riecht es heute extrem nach Lederpflege und ich sauge den Duft tief ein. Ich mag den Geruch einfach.
„Reitest du Finchen heute?“, fragt Maik hinter mir, als ich der Stute den Sattel auflege.
„Äh ... eigentlich sollte Timeon längst hier sein ...“ Ich sehe auf meine Armbanduhr.
„Sorry! Hab verpennt!“, brüllt ebenjener nun durch den Stall und kommt im Laufschritt durch die Tür geschossen.
„Na, wenigstens hast du schon Reitklamotten an. Na los, Finchen und du, ihr werdet die besten Freunde werden.“ Ich trete von der Stute zurück und wende mich an Maik. „Ich hab vergessen, dich zu fragen, aber könntest du Timeon die Springstunde heute geben?“
Er nickt zu meiner Erleichterung. „Hab schon gesehen, dass du niemanden eingetragen hattest. Klar, mach ich.“ Erst jetzt sehe ich, dass er Jazira am Zügel hält.
„Nicht trödeln, Timeon!“, mault er den Blondschopf gespielt genervt an, der sich abrupt umdreht und Finchen damit zu einem schnellen Satz nach rechts bringt.
„Mann, Tim! Es wäre toll, wenn du jetzt mal runterkommen und dich konzentrieren könntest!“, fahre ich ihn an. „Jeder kann mal verschlafen, davon geht die Welt nicht unter. Aber wenn du mit unseren Tieren arbeitest, wirst du dich gefälligst zusammenreißen!“
Schuldbewusst sieht er zu Boden. „Tut mir leid, ich ... Hab die Nacht nicht wirklich viel geschlafen und bin ein wenig überdreht ...“
Aha?
„Kim, kannst du Jazira übernehmen? Timeon sollte erst mal drei bis fünf Pferde putzen, bevor er sich in einen Sattel schwingt.“ Maik hat recht. Ich nicke und nehme ihm die Zügel ab.
„Eine Stunde hab ich noch, dann muss ich ins Büro. Timeon, geh in den Quarantänestall, die gesamte Bande putzen und danach Zaphira satteln“, kommandiere ich und er nickt ergeben.
„Okay. Bis später ...“
„Hm, ob er sich wirklich noch drüber freut, schon vor Ausbildungsbeginn hierhergekommen zu sein?“, fragt Maik lachend und sattelt Finchen endlich.
„Er weiß noch gar nicht, dass im Quarantänestall nicht mehr vier, sondern acht Pferde stehen“, erwidere ich grinsend.
Wir sitzen auf und traben zum Springplatz, wo ich spontan eine halbe Stunde intensives Stilsprungtraining von Maik kassiere.
Es macht Spaß, das muss ich zugeben, denn Maiks klare Anweisungen und seine genaue Beobachtungsgabe zeigen mir, dass er es wirklich draufhat, auch jemandem, der selbst unterrichtet, noch Feinheiten vermitteln kann.
„Du bist mir nicht böse, wenn ich dich korrigiere, oder?“, fragt er zwischendurch und ich schüttle sofort den Kopf.
„Nein, ich bin dir dankbar dafür. Du weißt selbst, wie sich kleine Macken und Fehlhaltungen einschleichen können.“
„Ja, eben. Und mein Gemecker bei dir ist wirklich auf höchstem Niveau. Du könntest Jers echte Konkurrenz machen mit deinen Pferden hier, weißt du das eigentlich?“
„Bloß nicht!“, entfährt es mir und ich verhalte Jazira neben ihm und Finchen.
„Wieso nicht? Du bist gut, du hast hier echte Supertalente auf vier Hufen stehen. Es ist letztlich schon eine Fahrlässigkeit, dass du es nicht tust.“
Wow, so ein Lob von ihm ... Ich schlucke hart und schüttle den Kopf. „Die gesamte Turniermaschinerie erinnert mich zu sehr an ... damals.“
„An Steffen meinst du.“
Ich nicke. „Ja. Es erinnert mich alles an ihn.“
„Also nimmt es dich doch mehr mit, als du gesagt hast? Noch immer?“
Seine Fragen irritieren mich und ich muss darüber nachdenken. „Nichts kann je so sein wie das hier, Maik. Ich hab ganz einfach eine kleine Aversion gegen diese Turniere, weil er dort fremdgegangen ist. Es geht dabei nicht um ihn, sondern um das, was sich daraus als Konsequenz ergibt.“
„Du meinst diesen lockeren Umgang miteinander? Die Unverbindlichkeiten?“, mutmaßt er treffsicher.
Ich nicke nur und treibe Jazira wieder an.
Nach dem Mittagessen ist Timeon endlich fertig mit dem Putzen der Quarantänepferde und ich gebe ihm die gewünschte Springstunde, damit er heute noch einmal so richtig ins Schwitzen kommt.
Er mault zwar fortwährend herum, entscheidet sich aber nach ein paar halbbösen Sprüchen meinerseits dafür, endlich ein Mann zu sein und meinen Anweisungen Folge zu leisten.
Ich ertappe mich hin und wieder bei einem ausgesprochen dämlichen Grinsen, besonders, wenn ich an heute Morgen denke. Wie gut, dass ich Kim in ein paar Stunden wieder in den Arm nehmen und festhalten kann.
Timeon wird von Stunde zu Stunde besser darin, sich den Sprungbewegungen der Pferde anzupassen, und ich teile ihm seine sichtbaren Fortschritte mit anerkennenden Worten mit, die ihn heute ungewöhnlich kalt lassen.
Nach der Stunde frage ich ihn im Stall über diesen Umstand aus.
„Du bist heute nicht besonders begeisterungsfähig, Timeon, magst du mir sagen, woran das liegt?“
Er unterbricht das Trockenrubbeln von Zaphiras Sattelfläche und sieht mich schuldbewusst an, bevor er ganz leicht lächelt. Es wirkt verklärt, irgendwie.
„Äh ... Ich ... hab am Wochenende jemanden kennengelernt“, druckst er herum und strahlt plötzlich. Seine Augen leuchten regelrecht und ich kann mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
„Das freut mich für dich, aber wenn ich dir einen wirklich freundschaftlichen Rat geben darf: Strapazier e Kims Geduld nicht deswegen, ja?“
Er nickt. „Ja, sorry, das war wirklich nicht so geplant ... Also mit dem Verschlafen heute ... Ich war ... erst um vier zu Hause, und wenn ich so drüber nachdenke, hätte ich besser wach bleiben sollen.“
„Dann wärest du eben vermutlich pennend von Zaphiras Rücken gerutscht.“
Er lacht. „Ja, bestimmt sogar. Aber das kann mir meine Laune momentan auch nicht verderben!“
Herrlich, diese Verliebtheit, vielleicht auch nur enorme Schwärmerei von ihm ist irgendwie schön anzusehen. „Wie ist er denn so?“
„Toll!“, kommt Timeons Antwort pfeilschnell. „Einfach toll.“ Er seufzt und verabschiedet seine Stute in ihre Box.
„Das ist eine ziemlich gute Beschreibung für ungefähr zehn Prozent der Menschheit. Geht’s etwas genauer?“
„Na ja, er hat blaue Augen und ein Lächeln, dass einem das Herz aufgeht ... außerdem ist er ... äh ... Ach, keine Ahnung, eigentlich ist mir scheißegal, wie er aussieht! Es fühlt sich einfach toll an, von ihm im Arm gehalten zu werden und ihn zu küssen. Er ist schlau und mag Pferde und er ... na ja, er weiß genau, wie er mich ... nehmen muss ...“ Timeon hat unter meinem schallenden Gelächter immerhin den Anstand, leicht zu erröten, so dass ich ihm auf die Schulter klapse und die Stallgasse hinabnicke.
„Klingt ja nach einem Supermann. Ich wünsche euch alles Gute.“
„Ja“, seufzt er und blickt wieder verklärt ins Nichts. „Ich uns auch!“
„Hey, Timeon, kann ich dich noch kurz sprechen?“ Kim taucht in der Tür zur Sattelkammer auf und ich nicke verstehend, bevor ich mich abwende und durch den Seiteneingang hinausgehe.
Da ist wohl ein freundschaftliches Gespräch fällig und es geht mich schlichtweg nichts an.
Kim ist in drei Wochen Timeons Ausbilder und nicht mehr nur ein Freund. Das müssen sie klären und dabei habe ich nichts verloren.
Ehrlich gesagt bin ich ganz froh darüber, dass ich niemals zwischen Freunden und Mitarbeitern unterscheiden müssen werde. Ich bin selbständig und werde ganz sicher in den ersten Jahren keine Angestellten haben. Die Verantwortung für meine eigene Zukunft wiegt für mich schon schwer genug – obwohl ...
Die für Kim würde ich sofort übernehmen und natürlich auch für alle Tiere. Aber nicht für andere Menschen.
Ich bin eben kein Chef.
~*~
Das Abendessen ist wie immer saulecker und ganz nebenbei tischt Kim mir etwas auf, das ich zu meinen Leibgerichten zähle. Er weiß das nicht, bis ich es ihm mit einem innigen Kuss verrate.
Tortillas mit leichter, frischer Füllung. Ich bin einmal mehr hin und weg von seinem Gespür für Zutaten, Gewürze und meinen Geschmack. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns, was Essen angeht, sehr ähneln?
„Kim, ich muss die Zeit nutzen, bis van Keppelen wieder hier auftaucht, hast du mir den Schlüssel für das Archiv schon organisiert?“, frage ich vorsichtig, nachdem wir die leicht beschmierten Teller von uns schieben.
Er sieht mich forschend an und nickt. „Ja, habe ich. Aber das Archiv kannst du auch durchsuchen, wenn er hier ist und über den Hof spaziert. Wichtiger wäre es wohl für das, was du wissen willst, seine privaten Räume zu durchsuchen.“
„Wieso denkst du das?“
Er seufzt. „Ich kenne ihn seit ein paar Jahren, Maik, und wenn du dir in einer Sache sicher sein kannst, dann in der, dass Lu keineswegs dumm ist. Er wird, sofern es belastendes Material in irgendeiner Form gibt, dafür sorgen, dass man es nicht per Zufall finden kann.“
„Du denkst, er bewahrt so was in seinem Schlafzimmer auf?“
Er hebt die Schultern. „Vielleicht auch im Salon oben. Er wird aber kaum noch irgendwo Hinweise auf die Sache von damals haben. Ich weiß nicht, ob du dir darüber im Klaren bist, aber hier ist gesetzlich nur eine Zeit von zehn Jahren festgelegt für geschäftliche Unterlagen. Alles Ältere wird vernichtet.“
„Ja, ich weiß“, erwidere ich seufzend. „Aber ich bin sicher, dass er heute auch noch betrügt und das will ich nachweisen.“
Lus Betrügereien sind für mich nur insofern wichtig, als dass sie das Gestüt am Feuerried in Gefahr bringen können.
Vielleicht ist das der einzige Grund, aus dem ich am letzten Freitag so locker und für Maik wohl auch überraschend reagiert habe. Seine Schnüffeleien gefährden möglicherweise meine Zukunft ...
Um das zu verhindern, bin ich ja quasi gezwungen, ihm zu helfen, ihn finden zu lassen, was immer er sucht.
„Wenn er es tut, werden wir Hinweise finden.“ Ich sehe ihn nachdenklich an, bemerke die unausgesprochenen Fragen in seinem Gesichtsausdruck, seinen Augen.
„Danke, Kim“, murmelt er. „Das bedeutet mir sehr viel.“
„Was, dass ich dir helfe?“ Ich winke ab. „Maik, ich mache das, damit ich weiß, was auf das Gestüt zukommen wird. Ich habe dir gesagt, dass ich nicht zulassen werde, wie hier Existenzen zerstört werden, die nichts für Lus Machenschaften können.“
Tja, meine Logik lässt mich in diesem Punkt – ganz im Gegensatz zu vielen, vielen anderen Gelegenheiten meines derzeitigen Lebens – nicht im Stich.
Maik für das, was er tut zu verdammen, mich womöglich von ihm abzugrenzen, hätte schlichtweg bedeutet, im Unklaren darüber zu bleiben, was genau er sucht, was er schließlich findet. Ich aber muss alles wissen.
Es ist sinnvoller, mit offenen Karten zu spielen, wenn man den Einsatz noch nicht kennt. Vielleicht gewinnt man als Team dennoch.
Es ist kurios, dass mein Denken bezüglich dieser Sache so funktioniert, während es in anderer Hinsicht so surreale und vor allem unlogische Handlungen wie absolut ungeschützten Sex erlaubt.
Ich bereue nichts, aber ich kann mich auch im Nachhinein nur darüber wundern ...
„Ich will nur eine Existenz zerstören“, sagt er fest und reißt mich damit aus meinen gedanklichen Exkursen. Ich nicke.
„Ja, ich weiß. Das ist für mich ... okay, solange ich nicht ...“
„Solange du nicht um das betrogen wirst, was der Deal mit ihm dir beschert?“ Er klingt bitter, vielleicht auch abfällig. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er das merkt.
„Maik, dieser Deal ist so gut wie gelaufen.“ Ich atme tief durch und räume die Teller vom Tisch.
„Was ... meinst du damit?“ Sein Zögern drückt seine Zweifel aus.
„Ich meine damit, dass mein Erbe nicht von Lus Leben oder Sterben abhängig ist, sondern von einem Datum.“
Er schiebt seinen Stuhl geräuschvoll nach hinten, weil er hastig aufspringt. „Wie bitte?!“
„An seinem Geburtstag im Herbst überträgt er mir das alles hier. Es ist ein Deal auf Zeit.“ Ich räume das Geschirr in die Spülmaschine und meide seinen Blick. „Ich kann dir nicht sagen, wieso er seinen Geburtstag als Stichtag für das Ende unseres Deals ausgesucht hat, aber es ist so.“
„Aber ... wenn er dich liebt und dich nicht teilen will, wieso sollte er dann freiwillig zu einem bestimmten Datum alles beenden?“
„Das weiß ich nicht genau. Vielleicht liegt es daran, dass er diesen Hof eigentlich hasst. Ich ... was weißt du über seine Vergangenheit? Also, seine Jugend?“
Maik hebt die Schultern, als er die letzten Besteckteile und unsere Gläser zu mir bringt, damit ich sie einräumen kann. „Das, was man eben rauskriegen kann ... Ich weiß, dass er dieses Gestüt geerbt hat, als er gerade mal 16 war. Seine Großeltern und Eltern sind bei einem Fährunglück umgekommen.“
„Bei einer Kreuzfahrt“, korrigiere ich im Reflex. „Und ja, er hatte zwei Jahre lang einen Treuhänder, danach ging alles an ihn. Die Zucht, der Grundbesitz, alles.“
„Sicher nicht einfach ...“ Er klingt nachdenklich. Vermutlich überlegt er gerade, was auch ich immer wieder überlegt habe: Wie muss es sich anfühlen, seine Familie auf einen Schlag zu verlieren und allein dazustehen, wenn man nicht mal volljährig ist?
„Nein, aber er hatte Hilfe und gute Mitarbeiter. Einer davon war dein Vater.“ Ja, so viel habe ich mir zusammengereimt.
„Er war selbst noch ziemlich jung, das stimmt.“ Maik nickt bedächtig. „Das Unglück war 1979, mein Dad war damals schon Jockey.“
„Wie alt ist dein Vater?“, frage ich und schließe die Spülmaschine, um mich aufzurichten und ihn anzusehen.
„Warte, er ist jetzt 56, also war er damals, als van Keppelen alles geerbt hat, 22.“
„Dann war er etwa 30, als du geboren wurdest.“
„Ja. War er.“
„Hm“, mache ich. „Dann waren sie sicher gute Freunde.“
Er nickt. „Davon gehe ich aus. Mein Dad hat nicht viel über seine Beziehung zu van Keppelen gesagt. Nur, dass sie sich vertraut haben. Anderenfalls hätte van Keppelen ihn wohl nicht in diese Machenschaften einbezogen.“
Klingt logisch. „Okay, dann lass mich jetzt bitte mal deine Notizen sehen und wenn auf dem Hof Ruhe eingekehrt ist, gehen wir schnüffeln.“
Ehrlich gesagt macht mich diese ganze Sache langsam neugierig. Klar, was die Zukunft betrifft, sogar weit mehr als das, aber für Maik geht es um damals. Die Logik sagt mir, dass es Gründe, knallharte Fakten geben muss, die erklären, wieso Justin bei aller Freundschaft über die Klinge springen musste.
Maik nickt und macht sich auf den Weg zur Tür. „Ich hole meinen Laptop.“
Endlich ist es spät genug, um ins Gutshaus hinüberzugehen und mit der Suche weiterzumachen.
In den letzten Stunden habe ich Kim endlich auf meinen Wissensstand gebracht, und er hat einige gute Ideen gehabt, wo wir nach Beweisen oder wenigstens Anhaltspunkten suchen könnten.
Deshalb schleichen wir gerade durch den ersten Stock des Gutshauses und den dort liegenden privaten Bereich von Ludwig van Keppelen.
Durch eine große Verbindungstür im Hauptflur gelangen wir in seine ‚Wohnung‘.
Kim deutet auf die erste Tür rechts. „Der Salon. Dort steht der zweite Schreibtisch. Da hinten geht’s zum Schlafzimmer. Wo willst du zuerst suchen?“
Ich entscheide mich für den Salon, da ich mir nicht vorstellen kann, dass van Keppelen belastendes Material unter seiner Matratze aufbewahrt. Dennoch will ich auch das Schlafzimmer noch durchsuchen, bevor er zurückkommt. Lange wird er wohl nicht mehr auf sich warten lassen und dies hier könnte meine einzige Chance sein.
Im Salon durchsuchen wir die Highboards an den Wänden, den Schreibtisch und die Bücherregale, finden aber nur wenig.
Unter anderem endlich einen Hinweis auf den 16-stelligen Zahlencode. Er gehört, wie wir aus den gefundenen Papieren entnehmen, zu einem Nummernkonto in Luxemburg.
In den Kontoauszügen steht eine Guthabensumme, die mir den Atem raubt. Sprachlos halte ich Kim den Zettel unter die Nase.
„Hm, für so lukrativ hätte ich das Gestüt gar nicht gehalten!“, witzelt er und grinst mich an, dann wird er sehr ernst. „Mann, Maik, selbst wenn er das Feuerried meistbietend verkaufen würde, käme nicht diese Summe dabei heraus! Womit macht er so viel Kohle?“
„Na ja, er hatte ’ne Weile Zeit. Selbst wenn er erst nach der Sache mit meinem Dad neu angefangen hat, sind das noch fast 25 Jahre.“
„Stimmt schon, aber ... Niemand setzt Millionen auf einzelne Rennen!“
Das brauchte van Keppelen ja auch nie. „Vielleicht sind diese Pferdeverkäufe, die nicht in den Büchern stehen, auch ein Anteil davon.“
„Gut möglich. Die Dinger wollte ich mir noch ansehen. Wo liegen die?“, fragt er.
„Unten im Schre ibtisch, linke Seite, eine der Laden in der Mitte“, erkläre ich und er nickt.
„Ist es okay, wenn ich dich hier kurz allein weitersuchen lasse?“
„Ja, ich gehe jetzt ins Schlafzimmer rüber. Ich hab dir doch versprochen, dir alles zu sagen, was ich finde.“
Natürlich will ich ihn ins Vertrauen ziehen, nachdem er so locker reagiert hat. Es bleibt eine Gratwanderung und durch das Finden dieser Kontounterlagen habe ich die Hoffnung, dass das Gestüt selbst vielleicht wirklich nicht zwangsläufig in Mitleidenschaft gezogen wird, wenn ich tiefer grabe.
Kim wendet sich um, nachdem er mir einen schnellen Kuss aufgedrückt hat.
„Ich komme gleich wieder“, murmelt er und verschwindet.
Ganz kurz überkommt mich ein Zweifel. Wird er mich hier allein lassen und verpfeifen? Aber bei wem denn?
Das ist so absurd, dass ich kurz auflache und mich mit meiner Taschenlampe auf den Weg zu van Keppelens Schlafzimmer mache, nachdem ich einen letzten, sichernden Blick durch den Salon geschickt habe.
Was immer ich hier erwartet haben mag, van Keppelens Schlafzimmer erfüllt es nicht. Keine großen, schweren Eichenmöbel mit Intarsienschnitzereien, keine Wandteppiche, ja, nicht einmal ein Läufer um das Bett herum!
Stattdessen gradlinige, ausgesprochen moderne, schneeweiße Möbel.
Das zwei mal zwei Meter große Bett dominiert den mit schwarzen Bodenfliesen ausgelegten Raum auf eine leichte, irgendwie stilsichere Art, ohne den Betrachter – in diesem Fall mich – dabei zu erschlagen.
Die Wände sind bis auf Brusthöhe mit weißen Paneelen vertäfelt, darüber hebt sich der einzige farbige Kontrast des Raumes ab: taubenblaue Wandfarbe.
Auf dieser, wiede r schön abgesetzt, kleine, weiße Wandleuchten über dem Kopfende des Bettes.
Ich kann vielleicht so einiges Bösartiges über van Keppelen sagen, aber hier in seinem privatesten Raum beweist er ... Geschmack.
Ich sehe keine gigantischen Spiegelfronten, keine gewagten Skulpturen oder Aktbilder an den Wänden. Beinahe wirkt der Raum zu brav, zu ... harmlos.
Ich gehe um das Bett herum, hocke mich vor das linke Nachtschränkchen und ziehe die obere Lade auf.
Leer bis auf ein zerfleddert und zerlesen aussehendes Taschenbuch. Ich nehme es in die Hand, der Außenschnitt ist durch den häufigen Gebrauch fast doppelt so dick wie der Buchrücken.
Es ist ein Liebesroman, so ein echter Schmachtfetzen, zumindest, wenn ich mir das quietschbunte Coverbild ansehe.
Es zeigt eine Frau im schulterfreien Kleid in den Armen eines verwegenen, muskulösen Mannes, dessen halblanges Haar wild weht.
Wie nennt man so was noch gleich? Ah ja, Nackenbeißer! Ich kann ein Kichern nicht unterdrücken und klappe das Buch auf, nachdem ich die kleine Nachttischlampe angeschaltet hab e. Die Fenster dieses Raumes gehen allesamt zum Garten des Gutshauses, dort dürfte sich um diese Zeit kaum jemand aufhalten.
Mit einem Stirnrunzeln begreife ich, dass es auf Englisch geschrieben ist, und ich klappe es wieder zu, um den Titel anzusehen.
Nie gehört von diesem Buch, aber es scheint auch sehr alt zu sein ... Ich sehe ins Impressum – tatsächlich, die gelblich-beigefarbenen Seiten zeigen als Druckjahr 1981.
Bevor ich es zurück in die Lade lege, blättere ich es im Schnelldurchlauf durch und stelle überrascht fest, dass jemand darin herumgekritzelt hat.
Natürlich bin ich neugierig genug, um mich im Schneidersitz mit dem Rücken gegen den Bettrahmen sinken zu lassen und mir das genauer anzusehen.
Ja, da hat jemand aus jedem ‚She‘ ein ‚He‘ gemacht! Okay, das ist schon irgendwie albern, oder nicht?
Ich frage mich, wieso das einer macht, wenn es doch auch zu der Zeit schon genügend schwule Literatur gegeben hat. Ich kenne die Klassiker, die Schundheftchen und das, was man als Einhandliteratur oder Badewannenlektüre bezeichnet.
Ein Grinsen schleicht sich auf meine Lippen, weil ich mich daran erinnere, wie Jeremy und ich auf dem Heuboden überm Pferdestall im duftenden Heu liegend solche Heftchen gelesen haben. Natürlich halblaut und mit knallroten Gesichtern dem anderen vorgelesen ...
Ob irgendwer dieses Buch hier auch vorgelesen hat? Sind deshalb die Markierungen im Text?
Ich klappe es zu und sehe mir die Rückseite an. Ich werde kaum Zeit haben, es komplett zu lesen, dann will ich wenigstens wissen, worum es eigentlich geht in dieser Schmonzette.
Aha, die altjüngferliche Justine Carrlington ist mit ihren 24 Jahren bereits so etwas Ähnliches wie unverheiratbar, bis ihr der jüngere, kraftstrotzende und ihr natürlich total widerlich erscheinende Amerikaner Lewis Davenshore über den Weg läuft, den sie gleich inbrünstig hasst, weil er sie nicht ernst nimmt.
Alles klar, eine echte Horrorgeschichte, wie ich finde.
Ich will das Buch gerade zurück in die Lade legen, als Kim hereingeschlichen kommt. „Hast du was Spannendes gefunden?“, erkundigt er sich flüsternd und ich zucke die Schultern.
„Keine Ahnung, eher nicht. Nur ’nen blöden Liebesroman auf Englisch.“ Kim nimmt ihn mir ab und blättert nach ganz ähnlichen gezielten Blicken ins Buch, wie ich sie eben gemacht habe, einmal durch und entdeckt die Veränderungen ebenfalls.
„Krass! Wer macht sich denn so eine Arbeit, wenn es nichts bedeutet?“
Tja, gute Frage. „Und wer hebt so einen Schmachtfetzen auf, wenn’s nichts bedeutet?“, setze ich hinzu.
Er sucht meinen Blick und wirkt im Licht der Nachttischlampe sehr nachdenklich. „Keine Idee. Vielleicht als eine Art Erinnerungsstück?“
Durchaus möglich. Aber eine Erinnerung an was?
„Seltsam“, murmelt Kim, der das Buch noch immer in den Händen hält, und offenbar irgendwo mittendrin genauer nachliest, während ich die Lade darunter öffne und sofort wieder schließen will.
Spielzeug liegt darin. Dildos, Vibratoren, eine durchsichtige Kiste mit Gummis, eine Tube Gleitgel ...
Irgendetwas irritiert mich, so dass ich das Schubfach noch einmal ganz aufziehe und regelrecht hineinstarre.
Der Geruch von Kunststoff weht daraus hervor, beißt in meine Nase und ich rümpfe sie.
„Was ist seltsam?“, frage ich eher unbewusst und Kim antwortet nicht sofort.
Als er es macht, beugt er sich zu mir und der Lade, um mit einem ausgestreckten Finger auf etwas zu deuten, das auch mir aufgefallen sein muss. „Schau mal, dieses Mäppchen, so was hat meine Mutter mit vielen Familienfotos in ihrer unendlich großen Handtasche ...“
Ich nehme es heraus und öffne es.
Sind nicht viele Fotos drin, aber spontan würde ich sagen, dass sie beinahe so alt sein müssen wie das Taschenbuch.
Das erste Bild in der Kunststofffolie zeigt einen Mann Anfang zwanzig.
„Das ist Lu!“, entfährt es Kim so laut, dass ich zusammenzucke und ihn strafend ansehe.
Er lächelt und zuckt die Schultern. „Hier ist niemand außer uns, keine Sorge. Das da ist Lu, ganz sicher. Aber wer ist der Jockey?“
Auf dem Bild sieht man nicht nur van Keppelen, der neben einem Schimmel steht, sondern obendrauf auf dem offensichtlichen Rennpferd auch noch einen jungen Mann mit Renn-Dress in den Gestütsfarben.
Unter der Reitkappe mit dem silbergrau-türkisfarbenen Überzug stehen schwarze Haare hervor, die auf mich so fremd und unheimlich wirken, dass ich eine ganze Weile brauche, um Kims Frage zu beantworten.
„Das ... ist .. mein Dad“, würge ich hervor.
„Dann hatte er wirklich mal schwarzes Haar?!“ Kim nimmt mir das kleine Album aus der Hand und blättert weiter.
„Anscheinend“, murmele ich und sehe mit Kim auf die Fotos.
Mehrere zeigen Rennpferde mit der jungen Ausgabe meines Vaters auf dem Rücken, dann gibt es eines, auf dem er auf einem Koppelzaun hockt. Er trägt darauf schwarze Reithosen und ein hellbraunes Hemd. Justin lächelt den Fotografen strahlend an.
Es versetzt mir einen Stich, sein pechschwarzes Haar nun deutlicher zu sehen. Es steht vorwitzig nach oben, die Seiten sind kurzgeschnitten, selbst seine Brauen sind schwarz.
Und darunter, von Kim durch einen darauf tippenden Finger noch mal extra betont, liegen graue Augen.
Einen Moment lang kommen mir Zweifel und ich schüttle den Kopf.
„Das kann nicht mein Vater sein ... Er ... ist mir so fremd ...“
Mein Ton klingt jammernd, unsicher. Aber ich kann nichts daran ändern.
„Mal sehen, was für Bilder hier noch sind ...“ Er blättert weiter und atmet scharf aus.
Ich blinzle ein paarmal, versuche zu schlucken und muss mich erst einmal räuspern.
Hauptsächlich sieht man auf diesem Bild eine Hand, die in Richtung Kamera gestreckt ist. Sie nimmt gar nicht so wahnsinnig viel Fläche des Fotos ein, aber sie verdeckt die Köpfe zweier Personen, die engumschlungen dastehen. Die beiden sind unterschiedlich groß, wecken im ersten Moment die Assoziation in mir, dass ein Erwachsener und ein Kind sich umarmen, doch so ist es nicht.
So ist es einfach nicht, egal wie sehr ich mir das wünschen würde.
„Es ist nur eine Umarmung, Maik. Ich umarme unsere Jockeys auch hin und wieder, wenn ich ihnen gratulieren will ...“, murmelt Kim beschwichtigend, als er mein Aufkeuchen hört.
Er klappt das Album zu und seine Hände legen sich auf meine Schultern. „Hey, Liebling! Es ist nur eine Umarmung!“
„Ach ja?!“, fauche ich ihn viel zu heftig an. „Und wieso dann die Hand? Wieso durfte der Fotograf eine einfache Umarmung nicht knipsen?!“
„Hm, gute Frage ...“ Er lässt mich los und sinkt auf die Hacken. Wann hat er sich hingekniet, direkt zwischen meine Beine?
Kim blättert im Album, bis er die Lippen aufeinanderpresst und durchatmet. „Es ist das letzte Bild.“
Ich atme erleichtert auf und merke erst jetzt, wie sehr sich mein gesamter Körper in grausiger Erwartung von weiteren Fotos angespannt hat. Ich hole mein Handy heraus und fotografiere die Bilder ab, während Kim sie durchblättert und mir das Album hinhält. Ich will und muss sie sichern.
„Okay, dann sollten wir weiter suchen. Das hier bringt ja nichts.“ Ich nehme das Büchlein aus seinen Händen, klappe es mit einer nachdrücklichen Bewegung zu und stopfe es auf die gleiche Art wieder an seinen Platz in der Spielzeuglade.
Ich schubse die Lade schwungvoll zu und bemerke erst, als Kim meine Hände ergreift, wie sehr diese zittern.
Das ist doch echt albern! Was hat es schon zu bedeuten? Eine Umarmung eben, nichts Wildes! Ich umarme doch auch oft genug Leute, ohne mir was dabei zu denken ...
Mein Kopf beruhigt sich langsam, aber mein Herz pocht noch immer nervös gegen mein Brustbein.
„Vielleicht sollten wir morgen Nacht weitermachen?“, schlägt Kim leise vor und ich fühle mich erbärmlich, weil ich nicke, weil ich mich auf diese goldene Tür stürze, um dem Chaos in meinen Gedanken zu entkommen.
„Dann komm, Liebling“, flüstert e r, und bevor ich es kapier e, zieht er mich in den Stand. Seine Arme umschlingen mich, seine Stirn liegt an meiner Schläfe.
Ich halte ihn fest, nein, ich halte mich an ihm fest, während mein Kopf damit beginnt, die neuesten Eindrücke zu sortieren.
„Lass uns gehen“, fordert er mich leise auf und schiebt mich in Richtung Tür. „Ich habe mir die Namen der verkauften Tiere angesehen.“
Es dauert mindestens zehn Schritte über den Holzboden des Flures, bevor ich kapiere, dass er das Thema gewechselt hat. „Und?“
„Ich muss die Stammbücher durchgucken, aber bei manchen Namen bin ich mir sicher, dass sie frei erfunden sind und niemals existiert haben.“
„Okay, das ist ein Anfang, möglicherweise haben wir den Schlüssel zu den Betrügen also schon gefunden?“ Diese Hoffnung habe ich wirklich, denn sie bedeutet, dass ich endlich weiß, wonach genau ich suchen muss, dass die Zeit, die ich noch hier verbringen muss, absehbar wird. Sich vielleicht enorm verkürzen lässt!
Gähnend strecke ich mich in Maiks Armen. Verdammt, ist das geil, jeden Morgen neben ihm aufzuwachen!
Das Blöde ist nur, dass spätestens am Wochenende alle traute Zweisamkeit vorbei sein wird. Lu dürfte in den nächsten Tagen wieder aus Dubai zurückkommen.
Ich seufze tief.
„Was hast du?“, fragt er leise und drückt mich noch einmal an sich, bevor er aus dem Bett steigt.
Mein Murren interessiert ihn dabei offensichtlich nicht. „Lu kommt bald zurück ... dann ist das hier ...“
Er bleibt am Fußende stehen und sieht mich an. „Das weißt du doch scho n, seitdem er abgefahren ist.“
Seine schroffe Erwiderung lässt mich die Stirn krausen und aufspringen. Längst ist er zum Bad weitermarschiert.
„Hey, was ranzt du mich denn so an?!“
Er schüttelt den Kopf und seufzt genervt. „Vielleicht, weil ich nicht verstehen will oder kann, was für einen Unterschied seine Anwesenheit für ‚das hier‘ macht.“
Oh, das meint er ...
„Tut mir leid, das habe ich wohl echt blöd ausgedrückt. Ich meinte, dass diese Entspannung und unsere Ruhe dann vorbei sind. Denkst du wirklich, ich würde dich plötzlich aus meiner Wohnung verbannen, wenn er auftaucht?!“
Ich habe Mühe, meine Stimme zu senken, will ihn nicht anbrüllen, aber das ist ja wohl echt eine wilde und vor allem undenkbare Vorstellung, die er hat.
„Denkst du so schlecht von mir?“, setze ich flüsternd hinzu und steige unter die Dusche.
„Nein, entschuldige ...“ Er tritt neben mich und zieht mich in seine Arme. „Ich hab einfach Angst, dass du dich zurückziehst ...“
„Du hast Angst, dass ich meinen Teil des Deals mit ihm erfülle“, stelle ich mit einer Unbarmherzigkeit klar, die mir sofort an mir selbst unsympathisch ist.
„Ja.“
Ich schweige. Klar, ich verstehe das, er will mich nicht teilen. Ich ihn ja auch nicht!
Aber der Deal ... Es ist nicht mehr lange bis zum Herbst! Wenn ich jetzt aufhöre, habe ich sechs Jahre lang aus Spaß und für nichts diese mehr oder minder täglichen Ficks über mich ergehen lassen!
Das muss er doch verstehen ...
„Noch ist er nicht da“, antworte ich und versuche, möglichst beruhigend zu klingen.
Er atmet tief durch und stellt das Wasser an. Ich bin froh, dass er nicht weiter darüber diskutiert. Es gibt auch deutlich wichtigere Dinge.
Zum Beispiel die Sache, dass Justin und Lu offenbar sehr enge Freunde gewesen sind. Vielleicht sollte ich Theodora danach fragen?
Ich schnappe mir das Duschgel, bevor ich weiter darüber nachdenken kann, und verteile den Schaum auf Maiks Haut, wie es zu einem liebgewonnenen Ritual geworden ist.
Ritual ... Wie lange werden wir das noch tun können?
Wehmut steigt in meine Brust und nimmt mir einen Augenblick lang die Luft zum Atmen.
Ich will ihn nicht aufgeben, ganz sicher nicht!
Es gibt jedoch ein wirklich großes ‚Aber‘ an der Sache, das mich, sobald mein Kopf die Regie wieder übernimmt, jedes Mal zu der Erkenntnis bringt, dass nichts für die Ewigkeit sein kann.
Schon gar nicht eine Beziehung, die mir möglicherweise alles nimmt. Andererseits ... ich bin schließlich selbst daran beteiligt, kann selbst entscheiden, was ich zulasse und was nicht.
Denn, das steht völlig außer Frage, ich will weder meine Liebe zu Maik noch das Feuerried aufgeben!
Dass damit ein Eiertanz sondergleichen verbunden ist, weiß ich sehr wohl, aber wenn ich es wirklich will, werde ich es schaffen.
Maiks Hände streicheln mich aus diesen Gedanken und in einem Reflex lehne ich mich an ihn. So heftig, dass er ins Straucheln kommt und uns beide nur mit Mühe vor einem Sturz bewahren kann.
„Ich will dich nicht verlieren“, murmele ich und spüre, wie sich seine Arme fester um mich schließen.
„Ich dich auch nicht, niemals!“, erwidert er an meinem Ohr und wir beeilen uns, aus dem Bad zu kommen.
~*~
Morgenkaffee, wie üblich isst Maik einen Joghurt dazu, diesmal Heidelbeere. Ich grinse vor mich hin, während ich an meinem Kaffee schlürfe, weil ich genau weiß, wie extra-lecker der Kuss gleich schmecken wird, den wir uns immer geben, bevor wir in den Stall gehen.
„Ich muss heute weitersuchen.“ Er sagt das in den Raum hinein, ohne mich anzusehen.
„Hm-hm, können wir machen. Ich werde ihn heute mal anrufen und hören, wann er wieder hier ist. Mache ich eigentlich immer so, weil ich gern weiß, wann er hier wieder auftaucht ...“
Maik sieht auf und mustert mich mit einem undeutbaren Blick. „Von mir aus könnte er wegbleiben.“
Ich lächle über diese Unmutsäußerung und strecke meine Hand aus, um seine Wange zu streicheln. Frisch rasiert und glatt, ein leichter Film seines Aftershave-Balsams ist noch zu spüren. „Von mir aus auch, aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert.“
„Ich will nicht an ihn denken. Heute brauche ich ein wenig Vogel-Strauß-Taktik, okay?“
„Sie sei dir gegönnt!“ Ich beuge mich über den Tisch und küsse ihn.
Die Springstunden bei Timeon zu geben, macht mir viel Spaß und für heute habe ich gleich mehrere davon angesetzt.
Natürlich in Absprache mit Kim, immerhin entscheidet er allein, wer hier welches Pferd bewegen darf.
Es ist erst neun Uhr, das Frühstück in der Gesindeküche haben wir heute zugunsten eines privateren Frühstücks in Kims Wohnküche ausgelassen, und Timeon ist seit Stunden wach und fröhlich im Stall unterwegs.
Jetzt sitzt er auf Finchen, der riesigen Oldenburger Stute, vor der er erstaunlicherweise ein wenig Angst zu haben scheint.
„Cavaletti-Arbeit ist für dich derzeit das Wichtigste. Du musst lernen, die Bewegungsabläufe deines Reittieres zu unterstützen, dazu musst du locker und vor allem konzentriert sein.“ Ich stehe in der Mitte des Springplatzes und habe bereits eine kleine Spur in den Sand gelaufen, weil ich mich jedes Mal zu ihm wende – ist ja klar.
Timeon sitzt heute deutlich lockerer als gestern, aber ich weiß, dass wir noch eine Menge Arbeit vor uns haben, wenn er seine Zaphiras Dream Ende August bei einem kleinen Turnier in der Nähe vorstellen will.
Aber nur mit solchen Zielen kann man seine Leistung schnell steigern.
„Okay, bleib im Trab und nimm die ganze Cavalettireihe erneut. Achte genau darauf, was Finchen macht. Und sieh nicht dauernd nach unten!“
Ich beobachte ihn und gehe zum Gatter, an welchem zwei Flaschen Wasser stehen, trinke einen Schluck und kehre zur Mitte zurück.
„Ja, gut so. Geh mit ihr mit! Nicht zu spät den Hintern hoch!“ Ich seufze, weil er beim nächsten Sprung prompt zu früh aus dem Sattel geht und Finchen irritiert stehenbleibt.
„Scheiße!“, brüllt er.
Ich bin schon unterwegs zu ihm, als er über ihren Hals hinwegfliegt und im Sand landet. „Alles okay?“
Ich ergreife seinen Arm und helfe ihm auf. Finchen steht brav da und knabbert an seinem Shirtkragen.
„Ja, alles okay.“
„Gut, dann gleich wieder rauf da!“ Ich deute zum Sattel und gebe ihm eine Aufstiegshilfe. Finchens Stockmaß liegt bei einsachtzig, ohne zu große, einseitige Belastung für ihre Wirbelsäule kommt man da allein nicht hinauf.
„Noch mal von vorn. Trab, die ganze Runde über alle Cavaletti. Und jetzt konzentrier dich, bitte. Du schlägst ihr deinen Hintern in den Rücken, wenn du zu spät hochkommst. Und was passieren kann, wenn du zu früh hochgehst, hast du nun auch erlebt. Denk dran: Finchen ist verdammt hoch.“
Immerhin kann Timeon nicht über ihren Rücken blicken, auch wenn nicht viele Zentimeter fehlen, gegen sie wirkt er echt winzig.
Drei Stunden später sitzt er auf Cato und verflucht mich bei jedem einzelnen Sprung.
Es geht jetzt deutlich besse r, und er scheint den Rhythmus des Wallachs schneller finden zu können als den von Finchen.
„Gut, Timeon! Jetzt das Ganze im Galopp.“
Er starrt mich perplex an und verhält Cato. „Was?!“
„Galopp, ganze Runde, auf geht’s!“, wiederhole ich und nicke in die Richtung.
„Okay ...“
Ja, sicher, er wird morgen mörderischen Muskelkater haben und vermutlich ’ne kleine Pause von seinem neuen Lover brauchen, aber dafür hat er endlich das Gefühl für den Absprungzeitpunkt.
„Mann, wieso bindest du einen Mehlsack auf so ein schönes Tier, Süßer?!“ Jeremys Stimme. Ich fahre zu ihrem Ursprung herum und sehe ihn tatsächlich am Tor zum Springplatz stehen. Er steigt durch die Holme und geht mir mit federnden Schritten entgegen, während ich aus dem Augenwinkel sehe, wie Timeon anhält.
„Nichts da! Weiter geht’s!“, ordne ich an und Timeon schafft es nach einigen Augenblicken, wieder anzureiten. Ich wende mich an meinen besten Freund. „Hey, was tust du hier? Und wieso erdreistest du dich, meinen Reitschüler so zu beleidigen?“
Er tritt direkt neben mich und umarmt mich kurz. „Hi, ich hatte Langeweile und war so neugierig, was sich denn nun ergeben hat bei dir, dass ich herkommen musste.“ Wir beobachten Timeons weitere Sprünge und ich sehe Jeremy an, dass er gern noch mehr böse Sprüche loswerden würde.
Und natürlich kann er sich das eine oder andere wirklich nicht verkneifen.
„Ellenbogen ran! Hacken nach unten, herrje, so schwer ist das nun wirklich nicht!“
„Lass das!“, maule ich dagegen.
„Ach komm schon, Maik! Sieh ihn dir an, wie soll der jemals einen kompletten Parcours schaffen, wenn er nicht mal genug Rhythmus für drei Hindernisse mitbringt?“
Ich bin mir nicht sicher, ob Timeon alles hört, aber ich stoße meinen besten Freund kräftig in die Rippen, um ihn endlich zum Schweigen zu bringen. So ein Verhalten bin ich nicht von ihm gewöhnt!
„Komm mal her!“, verlangt Jeremy stattdessen irgendwann und Timeon folgt der Aufforderung erst, nachdem er mich angesehen und ein Nicken zur Bestätigung erhalten hat.
Er lenkt Cato genau auf uns zu und meidet jeden Blick auf meinen besten Freund, der sofort die Hand nach Catos Kopf ausstreckt und ihn krault.
„Deine wievielte Stunde ist das bei Maik?“, fragt er und Timeon sieht nicht aus, als wollte er antworten.
„Die fünfte oder sechste. Hör auf, Jers.“
„Nein, lass ihn nur“, zischt Timeon und starrt auf den blonden Schopf von Jeremy herab. „Ich werde das mit dem Springen einfach weiterhin anderen überlassen.“
Ich will protestieren, doch Jeremy macht eine kleine Geste, die mich davon abhält. Da ist ein Funkeln in seinen Augen, das ich nicht kenne. Er sieht auffordernd zu Timeon hoch und wartet offensichtlich auf den Rest von dessen Rede.
„Welchen anderen?“, fragt Jeremy mit neutralem Ton.
„Denen, die mehr Talent dazu haben. Ich fürchte, es fehlt mir an überheblicher Arroganz und Eingebildetheit, um wirklich erfolgreicher Springreiter zu werden!“
Bamm! Timeons Worte si nd treffsicher und ganz klar eine Retourkutsche für den Mehlsack von vorhin. Ich kann nicht anders, ich bewundere ihn dafür, sich nicht von Jeremy einschüchtern zu lassen.
Der Kleine wendet Cato und setzt sein Training fort, als wäre nie etwas gewesen.
Jeremy schnaubt leise. Ich glaube, bislang hat ihn noch niemand als arrogant oder eingebildet bezeichnet, aber sein Verhalten eben war durchaus nicht nett.
„Mann, was ist denn mit dir los?“, frage ich und mustere ihn von Kopf bis Fuß. Er trägt Reithosen, was mich durchaus wundert. Immerhin ist er doch privat hier oder nicht? Seine schlanke Gestalt weckt seit langem zum ersten Mal keinerlei Verlangen in mir. Stattdessen aber bemerke ich, dass es Jeremy offenbar trotzdem nach etwas verlangt.
Die leichte Beule in seinen Reithosen ist nicht zu übersehen.
„Ich bin genervt“, gibt er zu und sieht hinter Timeon und Cato her. „Und eventuell ein kleines bisschen beleidigt, weil der Knirps da so ein loses Mundwerk hat ...“
Ich lache hart auf und deute zum Ausgang. „Wundert dich das, nach den Dingen, die du über ihn gesagt hast?!“
„Timeon, es ist genug, versorg ihn noch, dann ab mit ihm auf die Weide. In einer halben Stunde kommt Theodoras Gong!“
„Ach komm schon, der Kleine hat’s nicht drauf, das wirst du wohl kaum bestreiten können!“, erwidert Jeremy und geht neben mir her zum Ausgang, den ich für Timeon und Cato öffne.
„Danke, Maik!“ Timeon bringt Cato zum Stall, während ich mit Jeremy redend über den Hof zum Gutshaus gehe.
„Er ist ein erstklassiger Dressurreiter, du solltest die Klappe wirklich nicht so weit aufreißen, Jers!“, weise ich ihn zurecht. Mir wird einfach nicht klar, wieso er so auf Timeon reagiert!
„Wo gehen wir hin?“
„Zu Theodora, ich muss sie fragen, ob sie ein Gedeck mehr auflegen kann. Wir essen mittags alle bei ihr.“
„Dann ist das mit dir und Kim noch nicht in Gang gekommen?“, hakt er nach und hält mich erstaunt am Oberarm zurück.
Ich grinse. „Doch, ist es. Weshalb du auch langsam dafür sorgen solltest, deine offensichtliche Freude, mich zu sehen, ein wenig zu kaschieren ...“ Ich sehe an ihm herab und grinse noch breiter.
„Liegt nicht an d…“ Er murmelt es nur, aber er bricht ab, als er es merkt und meinen fragenden Blick sieht. „Egal, na dann lass uns deine Theodora suchen.“
Ich gebe zu, mein bester Freund ist mir heute ein echtes Rätsel ... Ich deute zur Freitreppe und sehe noch einmal zum Stall. Vielleicht kann ich noch einen schnellen Blick auf Kim erhaschen?
Stattdessen sehe ich die schlanke Gestalt von Timeon im Halbschatten des Stalleingangs und begreife, dass er mit bitterbösem Gesichtsausdruck zu uns herübersieht. Ich muss nachher dringend mit ihm reden und ihm erklären, dass Jeremy normalerweise nicht so ist.
Timeon stapft wutschnaubend durch die Stallgasse und brummelt vor sich hin. Ich verstehe nur ‚Arschloch‘ und ‚arroganter Scheißkerl‘, aber unwillkürlich frage ich mich, über wen er spricht.
Natürlich weiß ich seit gestern, dass er frisch verliebt und endlos glücklich ist, aber das war er heute Morgen auch noch. An seinem neuen Freund kann es also nicht liegen.
„Von wem sprichst du?“, frage ich und ernte einen bösen Blick, der sich aber sofort klärt.
„Ach, dieser arrogante Arsch da!“ Er deutet fahrig zum Hof und ich trete stirnrunzelnd in die Mitte der Stallgasse, um hinaussehen zu können.
„Maik?“
„Nein, natürlich nicht! Maik ist super, aber dieser ...“ Er schnaubt noch einmal abfällig. „Was bildet der sich ein? Kann ja nicht jeder so gottgleich mit den Pferden über die Hindernisse fliegen wie er!“
„Oh, du sprichst von Jeremy?“
Timeon hebt abwehrend die Hände. „Bitte, sag den Namen nicht, sonst platze ich gleich!“
Ich kann ein Kichern nicht unterdrücken und trete neben Timeon. „Hey, mal ganz langsam, was ist denn passiert?“
„Er war noch am Gatter, als er mich schon, quer über den Springplatz brüllend, als Mehlsack tituliert hat!“ Timeon berichtet stockend und noch immer sehr aufgebracht von seiner Stunde auf Cato und ich wundere mich mehr und mehr.
Tatsächlich fällt es mir schwer, mir auch nur vorzustellen, dass der beste Freund von Maik so ein Ekelpaket sein könnte. Aber wieso sollte Timeon übertreiben? Ich ziehe ihm den gesamten Ablauf des Gesprächs aus der Nase, aber einen Grund für Jeremys Verhalten sehe ich deshalb nicht. Timeons Antwort an Jeremy entlockt mir dafür ein lautes Lachen. Herrlich!
Der Gong schallt über den Hof und ich mache mich auf den Weg. Hunger habe ich genug. „Na los, Kleiner, Essen fassen!“
„Was? Ich soll mich mit diesem Vollidioten an einen Tisch setzen?“
„Jetzt pass mal auf, Timeon. Du hast ihm doch eine echt coole Retourkutsche verpasst und davon abgesehen wird sich auch ein Jeremy Tinnard hüten, in Gegenwart aller anderen noch ein dummes Wort zu verlieren. Immerhin bin ich hier der Boss.“ Ich lächle ihn aufmunternd an und hake mich bei ihm unter, um jeden weiteren Widerspruch im Keim zu ersticken.
In der Gesindeküche sind heute erstaunlich wenige Mitarbeiter und auf Nachfrage erfahre ich, dass die Besatzungen von Hengststall, Rennstall und Stutenstall sich zu einem spontanen Grillfest verabredet haben. Es gibt nicht viele Orte hier bei den Gebäuden, an denen man grillen darf. Der zu drei Seiten von Bürogebäuden und Laboren umrahmte Hof der Besamungsstation ist einer davon.
Am Tisch sitzen also im Grunde nur die Mitarbeiter des Turnierstalls, die des Gutshauses und vereinzelte Vegetarier. Dazu natürlich Jeremy Tinnard, der von Tom, Lukas und Ferdi nand sofort mit Fragen gelöchert wird, während ich mich neben Maik sinken lasse.
Mir gegenüber findet Timeon einen Platz zwischen Timo und Pascal. Er schießt bitterböse Blicke auf Jeremy ab, bevor er sich zusammenreißt und den berühmten Springreiter mit Nichtachtung straft.
Maik und ich tauschen fragende Blicke und flüstern kurz über die offensichtlich angespannte Situation, während das Gespräch mit dem Reiterstar den Tisch deutlich dominiert.
„Hast du eine Ahnung, wieso Jeremy was gegen Timeon haben könnte?“, wispere ich direkt in Maiks Ohr.
„Nein, sorry, keine Ahnung. Lass uns nachher drüber reden, ja?“
Ich nicke. Hier ist weder der rechte Ort noch die rechte Zeit dafür.
Theodora tischt auf – Gemüsepfanne mit gebratenen Schupfnudeln – die allen schmeckt und für zahlreiches Lob sorgt.
~*~
„Ihr wollt also am Wochenende vorbeikommen?“, fragt Jeremy, als wir später im hinteren Hof des Turnierstalls auf Strohballen sitzen und den Mittag mit ein wenig Entspannung ausklingen lassen. Timeon hat versucht, sich mit einer lahmen Ausrede vor dem Beisammensein zu drücken, aber Maik hat ihn überredet, die Zeit vor der Dressurstunde bei mir mit allen anderen hier zu verbringen. Nun sitzt er auf einem Strohballen neben mir und lehnt mit dem Rücken an einem Zaunpfahl, während er seine Arme abwehrend vor der Brust verschränkt hat.
Ich versteh ja durchaus, dass er keinen Bock drauf hat, sich mit Jeremy zu unterhalten, aber ich persönlich habe dafür umso mehr Interesse daran.
Glücklicherweise hat Maik ihm wohl eingetrichtert, dass er in Gegenwart der anderen Mitarbeiter nichts über meine Beziehung zu ihm sagen soll.
„Ja, Maik hat mich überredet“, bekenne ich.
Jeremy mustert mich erstaunt. „Man musste dich dazu überreden, zu einem internationalen Reitturnier zu fahren?“
„Der ganze Trubel da ist nichts für mich, mir reicht es, wenn meine Reitschüler wieder hier ankommen und mir ihre Schleifen präsentieren.“
„Aber die ganze Atmosphäre dort!“, entgegnet er und ich bemerke erstaunt, dass wir das Gespräch zurzeit allein bestreiten, während alle anderen träge in der Sonne sitzen und verdauen. Inklusive Maik, der neben Timeon sitzt.
„Nichts für mich“, wehre ich ab. „Ehrlich, ich bin tausendmal lieber hier auf dem Hof, reite mit einem meiner Schützlinge aus oder trainiere diejenigen, die ehrgeizig genug sind, sich auf Turnieren anzumelden.“
„Es geht nicht nur um Ehrgeiz, Kim. Ich stelle die neuen Pferde für Dexter’s Breed vor. Die Preise, die die Tiere anschließend auf Auktionen bringen, sofern ich sie nicht unbedingt behalten will, werden an meinen Erfolgen gemessen.“
„Tja, und das ist der Druck, den ich für mich nicht will. Ich will Spaß haben, mich an den Bewegungen der Pferde erfreuen, genießen, wie locker sie Hindernisse meistern oder wie gut sie sich versammeln lassen ...“
Wird er das gelten lassen? Wie bin ich überhaupt in diese Erklärung und Rechtfertigung verfallen?
„Der Boss ist einfach kein Turniermensch, umso erstaunlicher ist, dass er es dennoch fertigbringt, die Turnierreiter optimal vorzubereiten“, setzt Tom hinzu und ich grinse ihn an.
„Das glaube ich ja, ich wollte deine Fähigkeiten nicht infrage stellen! Um ehrlich zu sein, hatte ich gehofft, dass ich mir mal ansehen kann, wie du reitest.“
Oh? Er will mich reiten sehen? Na, das kann ja was werden! Ich nicke und schürze die Unterlippe. „Für heute stehen noch zwei Dressurpferde auf dem Trainingsplan. Eigentlich sollte Timeon beide reiten, aber eins kann ich übernehmen. Umso eher haben wir frei und können zum Badesee, wenn ihr wollt.“
Klar, nicht in die geheime Bucht, aber mit allen mal einen entspannten Nachmittag zu verbringen hätte schon seinen Reiz.
Ferdinand schüttelt den Kopf. „Ich hab noch drei Schüler heute, außerdem wartet meine Freundin um sechs wieder mit scharrenden Hufen darauf, dass ich am Tisch sitze und ihr erzähle, wie mein Tag war.“
„Und ihr?“ I ch sehe Tom, Lukas und die anderen an.
Pascal nickt zögernd. „Wir haben erst nach der Abendfütterung Zeit und vorher müssen wir die Boxenwand von Santiago reparieren. Wir würden dann nachkommen.“
„Okay, dann ist das also abgemacht. Wie sieht es bei dir aus, Jeremy?“, frage ich und er grinst.
„Wenn mir einer ein paar Schwimmshorts leiht, kein Problem. Ich habe frei und muss erst übermorgen zu einem Treffen mit Sponsoren in Hessen sein.“
„Super, dann sollten wir uns aufraffen, umso eher sind wir aus der Hitze raus.“ Maik seufzt und wischt sich mit dem T-Shirtärmel über die Stirn.
Ich schlucke hart, diese Geste wirkt auf mich dermaßen anziehend, dass ich nur inständig hoffen kann, meine Lenden fühlen sich ausnahmsweise nicht dazu animiert, mit sichtbarer Erregung zu reagieren. Längst habe ich es mir angewöhnt, meine Shirts nicht mehr in die Hose zu stecken ...
„Ich komme nicht mit. Ich reite Donny noch und dann will ich nach Hause.“ Timeon meldet sich erstmalig wieder zu Wort und steht auf, um seinen Worten Taten folgen zu lassen.
Ich atme tief durch und tausche einen weiteren Blick mit Maik, bevor auch ich mich erhebe und Hellygirl sattle. „Ferdinand, du gehst in die Halle mit deinen Schülern?“, frage ich ihn und er nickt.
„Ja, ich hab den halben Vormittag die Sprinkler dort laufen lassen, man sollte es dort nun wieder aushalten können.“
„Gut. Dann sehen wir uns gleich am Außenplatz?“ Ich blicke zwischen Maik und Jeremy hin und her.
Maik streckt sich, dass sein Shirt hochrutscht und mir einen kurzen Blick auf seinen muskulösen Bauch ermöglicht. Noch ein hartes Schlucken, ein schnelles Abwenden.
„Ja. Ich habe Timeon heute auf allen Tieren über den Platz geschickt, die dran waren. Für den Ritt zum Badesee kann Jers Möhrchen nehmen und ich reite Hannibal.“
Klingt gut. Obwohl ...
„Also, ich denke, ich kann Jeremys Reitkünsten weit genug vertrauen, dass er Hannibal nehmen kann, aber das macht ihr einfach, wie ihr wollt, okay?“ Endlich kann ich nach drinnen verschwinden und von diesem erregenden Anblick entkommen. Ich bereite Hellygirl vor und reite wenig später mit Timeon über den Hof zum Außenreitplatz. Maik und Jeremy sind bereits dort, Ersterer öffnet uns das Tor und streift wie zufällig mein Knie.
„Rabenaas“, zische ich ihm lächelnd zu und ernte eine reichlich obszöne Mimik. Maik schubst seine Zunge von innen gegen die Wange. Na klar, jetzt muss er mir noch das Kopfkino eines Blowjobs verpassen. Herzlichen Dank auch.
Ich bespreche mich kurz mit Timeon und abgesehen von später nötigen Kommandos arbeiten wir selbständig mit unseren Pferden.
Helly ist etwas nervös heute, aber sie lässt sich gut genug versammeln, um die üblichen Dressurarbeiten mit ihr zu gehen.
Jeremy und Maik sitzen auf dem Zaun an der langen Seite des Platzes und ich sehe, dass sie sich unterhalten. Ich würde gern wissen, worüber, und als ich an ihnen vorbeikomme, während Timeon am Ende des Platzes Volten reitet, frage ich nach.
„Jungs, was tuschelt ihr denn die ganze Zeit?“
Ich grinse über Kims neugierige Frage und antworte: „Jers tuschelt gar nicht, er starrt sabbernd über den Platz und ich bin ziemlich froh, dass er dabei nicht deinen Hintern im Blick hat ...“
Kims Gesichtszüge entgleisen leicht. „Warte mal, hab ich mir eben nicht noch angehört, was für ein arrogantes Arschloch du bist?“
Jeremy braucht einen Moment, bis er sich angesprochen fühlt. „Hm?“
Ich stoße ihn in die Rippen. „Ich sagte doch, vergiss es. Timeon hat ’nen Freund und nach deiner miesen Lästerei auf dem Springplatz ist das ohnehin egal.“
„Was?“
Kim kichert und reitet wieder an. Ich beobachte derweil meinen besten Freund, der staunend dabei zusieht, wie Timeon und sein Don Juan zu einer Einheit werden.
„Weißt du, dein Benehmen vorhin war unter aller Sau, aber dein Geschmachte jetzt toppt das glatt noch. Kannst du dich jetzt mal zusammenreißen?“, fahre ich ihn genervt an, weil er offenbar noch immer nicht richtig zuhört.
„Mann, Maik, du weißt doch ganz genau, wieso ich das vorhin gesagt hab!“
Aha? Interessant. „Nein?“
„Na, sieh ihn dir doch mal an!“ Er deutet fahrig auf Timeon, der in Schlangenlinien an uns vorbeikommt und seinen Wallach dabei perfekt lenkt.
„Ja, das mache ich, und?“
„Er ist zu jung.“
„Äh ... für? Ich meine ... Hallo? Du solltest ihn nicht heiraten, aber du hättest vorhin echt netter sein können. So mies, wie du behauptet hast, ist er nämlich nicht. Und wie du jetzt siehst, ist Dressur seine Disziplin.“
Er nickt. „Ja, ich sehe es tatsächlich ...“
„Na und kannst du mir jetzt diesen ‚Er ist zu jung‘-Trip mal erklären?“
„Na komm, der Bengel ist wie alt? Zwanzig?“
„Exakt. Und um das mal klar zu sagen, er hat vorhin deutlich erwachsener reagiert als du, Sweetheart. Du hattest schlichtweg keinen Grund, ihn so runterzuputzen! Er kann schließlich nix dafür, dass du sofort geil wirst, wenn du ihn siehst.“
Jeremys Blick huscht zu mir und seine blauen Augen starren mich tellergroß an. „Wie bitte?“
„Ja, jetzt tu bloß nicht so scheinheilig. Du hast ihn gesehen und bist auf ihn abgefahren. Was kann er dafür?“
Er seufzt und atmet tief durch. „Nichts.“
„Aha!“
„Mann, Maik ... Jetzt sei doch mal ernst! Der Bengel ...“, er sieht wieder auf den Platz, „… reitet da gerade eine Traversale!“
Ich kichere. „Sagte dir doch, dass er’s drauf hat. Und glaub mir, du hättest auch mit deinem umwerfenden Charme null Chance bei ihm. Er ist frisch verliebt und definitiv nicht mehr an dir interessiert.“
„Nicht mehr?“ Meine Wortwahl lässt ihn aufhorchen, dass ich schon wieder lachen muss. Herrlich, wie albern Jeremy sich benimmt, während er auf Timeons Alter herumreitet ...
„Nicht mehr. Er war so heiß auf dich, dass Kim euch beide schon verkuppeln wollte, aber das hat sich mit deinem Auftritt vorhin dann doppelt erledigt.“
Er seufzt erneut. „Ist besser so, glaub mir. So einen süßen Kleinen würde ich doch nur verderben.“
Oh, endlich nähern wir uns dem tatsächlichen Grund für sein Verhalten!
„Womit?“
„Na, mit allem! Er sieht so unschuldig aus, so süß. Ich bin 27, stehe mit beiden Beinen mitten im Leben und bin mehr als die Hälfte des Jahres auf internationalen Turnieren, Pferdeshows und Auktionen unterwegs.“
„Jetzt mach mal halblang. Seit wann gackerst du denn über ungelegte Eier? Ich sagte doch: Du. Hast. Null. Chance.“
Er zuckt zusammen, dann springt er unter meinem erstaunten Blick vom Zaun und geht schnurstracks auf Timeon und Don Juan zu.
Der Kleine sieht ihm mit unbewegter Miene entgegen, verhält Don Juan und ich verstehe die Geste dahinter. Timeon lässt Jeremy zu sich kommen, obwohl es einfacher wäre, ihm entgegenzureiten.
Der Kleine ist schlau und echt gewitzt! Hoffentlich hat er den Dämpfer, den sein Selbstbewusstsein durch Jeremys blöde Sprüche erlitten hat, mittlerweile überwunden.
„Es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe“, verkündet Jeremy und ich falle vor Staunen fast vom Zaun, als ich es höre und sehe, wie sich die Hand meines besten Freundes auf Timeons Oberschenkel legt.
Der sieht darauf und schiebt Jeremys Hand beiläufig weg. „Ja, sicher. War das bevor oder nachdem dir eingefallen ist, dass ich in dein aktuelles Beuteschema passe?“
Okay, das war’s. Mit einem lauten Lachen falle ich hintenüber vom Zaun und bleibe liegen, weil das Lachen und der Aufprall mir die Luft aus den Lungen treiben.
Plötzlich landet Kim neben mir. Offenbar ist er in der Nähe gewesen und einfach von Hellys Rücken gesprungen.
„Hey, alles okay bei dir?“, fragt er und seine grauen Augen sind vor Schreck geweitet.
Ich schaffe es zu nicken und fühle, wie sich sein Arm unter meine Schultern schiebt. Sekunden später lehne ich halb auf seinen Knien an seiner Brust.
Herrlich, darf ich hier bleiben? Nur ein Weilchen?
„Maik?“ Kim klingt unsicher und seine Hand streicht über meine Wange, nachdem er den Reithandschuh mit dem Zähnen abgestreift hat.
„Ja. Ja, alles okay, keine Sorge. Ich bin vor Lachen vom Zaun gefallen ...“
„Weshalb?“
„Ich glaub, Timeon hat Jers gezeigt, was ’ne Harke ist.“
Ich sehe mit Kim zu dem skurrilen Bild, das sich uns mitten auf dem Reitplatz bietet.
Timeon sitzt natürlich noch immer auf seinem Wallach, während Jeremy neben ihm steht. Was sie reden, hören wir erst jetzt wieder.
„… Recht, sauer auf mich zu sein ... Ich verstehe das. Ich war nicht fair und wenn ich einen Fehler mache, stehe ich auch dazu“, sagt Jeremy.
Oh, weit sind sie mit ihrem Gespräch nicht gekommen, seitdem ich abgestürzt bin. Vielleicht ging das alles doch schneller als ich dachte?
„Das ist ja superschön für dich, aber du wirst nicht zu Mister Drop-dead-Gorgeous, indem du andere grundlos beleidigst und dich anschließend dafür entschuldigst, weil dein bester Freund dir ins Gewissen geredet hat.“
Ja, Kleiner, mach ihn lang! Ich kichere.
„Herrlich, find est du nicht? Mister Ich-krieg-jeden läuft grade so richtig auf Grund.“
Kim sieht mich erstaunt an. „Hey, er ist dein bester Freund, sei nicht so gemein!“
„Na ja, er hat’s ehrlich gesagt nicht besser verdient. Es wurde Zeit, dass er sich an jemandem mal die Zähne ausbeißt.“
„Wieso war er denn vorhin so fies, wenn er jetzt anfängt, Timeon anzubaggern?“
„Ach, irgendein Schwachsinn von wegen er könnte den Kleinen verderben ... Ich glaube, Jers hat ’ne etwas falsche Vorstellung von der Jugend im Allgemeinen und Timeon im Besonderen.“
Kim lacht leise und schüttelt den Kopf. „Hast du ihm nicht gesagt, dass Timeon derzeit im 27875. Himmel schwebt?“
„Doch, ich glaube langsam, genau das gab den Ausschlag für seinen Frontalangriff ...“ Ich seufze und sehe Kim an. Meine Hand gleitet in seinen Nacken und ich stehle mir einen schnellen Kuss, bevor ich endlich versuche, mich aufzurappeln.
Kim hilft mir, was mir angesichts meines Brummschädels nicht mal peinlich ist.
„Jers, kannst du Helly noch ein wenig bewegen?“, ruft Kim dazwischen und mein bester Freund fährt zu uns herum.
„Äh ... Ja, kann ich.“
Ich feixe, weil Kim keine Ahnung hat, was er da mit seiner Bitte angerichtet hat. Jeremy ist ein wahnsinnig guter Springreiter, aber mit Dressurpferden – und Hellygirl ist ein reines Dressurpferd – kann er nicht so viel anfangen.
„Oh, jetzt pass auf!“, flüstere ich und lehne mich mit den Unterarmen auf den Zaun. Kim folgt meinem Beispiel und sieht mich an.
„Weil?“
„Na, weil Timeon gleich vor Lachen vom Pferd fällt, wenn du versuchst, Jers ein paar Dressurkommandos zu geben. Mit etwas Glück kriegt er ’ne Volte hin ...“
„Du kannst ja richtig gehässig sein!“, entfährt es Kim und ich nicke.
„Ehrlich gesagt bin ich ziemlich sauer wegen der miesen Sprüche gegenüber Timeon, weißt du? Das ist sonst überhaupt nicht seine Art, aber er hat seine Laune voll an dem Kleinen ausgelassen, ohne irgendeinen nennenswerten Grund!“
„Hm, na gut, dann schauen wir mal ... Okay, Jungs, auf dem Hufschlag Trab!“, kommandiert Kim und wir beobachten, wie beide erst verzögert reagieren.
„Aus der Ecke kehrt, Galopp, im Zirkel geritten!“
Noch klappt alles. Ich meine, es ist ja nicht so, als könnte Jeremy das alles nicht. Nur dass er eben mit diesen Kommandos nichts mehr zu tun hat. Die Dressur der Pferde übernehmen auf dem Gestüt meines Grandpas zwei andere Reiter. Er weiß, wo der Zirkel liegt, wie man Schlangenlinien reitet, aus dem Stand angaloppiert und so weiter, aber seit fast acht Jahren sagt ihm niemand mehr, was er wann zu tun hat, wenn er im Sattel sitzt.
Abgesehen von klitzekleinen Haltungskorrekturen vielleicht.
Mein Schädel brummt noch immer ein bisschen. „Ich glaub, mir ist schlecht“, murmele ich und habe Mühe, mich am Zaun festzuhalten. Kim ist mit einem schnellen Schritt hinter mir und hält mich fest.
„Scheiße, hast du dir den Kopf angeschlagen?“
Keine Ahnung, ehrlich! Alles dreht sich, aber das liegt sicher nur an Kims verführerischem Duft ...
„Ich muss Maik wegbringen, Timeon, du gibst die Kommandos, und Jeremy, hier, nimm meinem Helm. Ich hab keine Lust drauf, heute noch einen zweiten Unfallbericht zu schreiben!“
Ich kichere blöde. Der erste Bericht sieht dann wohl folgendermaßen aus:
Maik Fallner, Aushilfe für die Dauer der Semesterferien, ist vor Lachen vom Zaun gefallen und hat sich den Kopf angeschlagen oder so.
„Mann, Maik, bitte hör auf damit, wenn du dauernd lachst, kann ich dich nicht festhalten!“, jammert Kim, der offenbar Mühe hat, mir Halt zu geben und mich gleichzeitig vorwärts zu bugsieren. Okay, ich sollte mich endlich zusammenreißen. Aber vorher ...
Ich bleibe stehen und drehe mich zu ihm, lasse mich leicht nach vorn fallen – und bringe uns beide zu Fall. Perfekt!
„Es geht mir super, Baby, aber ich werde mir doch keine Gelegenheit entgehen lassen, dich unter mir zu haben ...“, raune ich in sein Ohr und küsse ihn tief, als er entrüstet aufschnaubt.
„Ich liebe dich, Kim!“, murmele ich, als wir uns ein wenig voneinander lösen. „Danke, dass du so gut auf mich aufpasst.“
Ich stehe auf und ziehe ihn mit mir, um ihn natürlich noch einmal zu umarmen, bevor wir uns trollen und die beiden Blondschöpfe einfach stehenlassen.
~*~
Ich liege zwischen Jeremy und Kim auf einer Decke am Badestrand des Sees. Die Sonne scheint mir auf den Bauch, den Kim mir in seiner liebenswert fürsorglichen Art auf ausgesprochen anregende Weise mit meinem Sonnenspray und seinen Händen eingecremt hat.
Natürlich musste Jeremy un s bereits beim Weg hierher Rede und Antwort stehen, was dieser ganze Quatsch mit Timeon nun auf sich hatte.
Das Ergebnis ist nur mäßig befriedigend, denn Jeremy gibt zu, dass er keine Ahnung hat, wieso er sich in Timeons Gegenwart so bescheuert aufführt.
Kim und ich tauschen daraufhin natürlich wissende und mitleidige Blicke. Immerhin wird unser Reiterstar beim Kleinen keine Chance haben. Auch wenn noch keiner von uns diesen neuen Mann an Timeons Seite kennengelernt hat, wird sich das am kommenden Wochenende ändern. Kim hat Timeon gesagt, dass er seinen Freund zum Turnierausflug mitbringen soll.
Da Jeremy heute auf dem Feuerried übernachten wird, kann ich mir sämtliche Ideen bezüglich weiterer Nachforschungen im Gutshaus sparen.
Der Anruf bei van Keppelen in Dubai hat ergeben, dass er morgen bereits zurückkommen wird, was mich natürlich alles andere als amüsiert.
Vielleicht gehe ich deshalb seit Kims Telefonat mit dem Arschloch so sehr auf Tuchfühlung?
Ich habe Angst davor, dass ab morgen alles wieder anders wird.
Dabei ... Meine Gedanken schweifen zu unserem gestrigen Gespräch. In diesem Herbst ist alles vorbei. Kim wird sich nie wieder von van Keppelen ficken lassen müssen. Vielleicht halte ich das so lange aus?
Ein hartes, bellendes Auflachen dringt aus meiner Kehle. Never! Niemals halte ich das aus.
Dabei geht es tatsächlich weniger darum, dass ich ihn nicht teilen will, sondern eher darum, dass ich van Keppelens Art und Weise, die ich ja nun mal selbst live erleben durfte, nicht gutheißen kann.
Ich weiß ja, dass Kim nur bei mir überhaupt etwas spürt, aber das macht es nicht einfacher oder besser. Ich will nicht, dass er sich für etwas oder jemanden so erniedrigen lässt!
Meine Hand sucht Kims Nähe, streichelt sacht über seinen Arm. Er hat die Augen geschlossen und genießt das Sonnenbad. Seine glatte Haut schimmert gold-braun im Licht. Verdammt, an ihm ist wirklich alles perfekt.
„Ist es wirklich okay, wenn ich über Nacht bleibe?“, fragt Jeremy irgendwann und ich drehe träge den Kopf.
„Ja, ist es“, antwortet Kim und richtet sich auf, indem er sich auf seinen Unterarmen abstützt.
„Weißt du, ich finde faszinierend, dass du den ganzen Laden hier schmeißt“, sagt mein bester Freund nach einem dankbaren Lächeln.
„Erst seit vier Jahren“, erwidert Kim.
Jeremy lacht auf. „Erst! Mit 22 hast du also alles hier übernommen. Das nenne ich ’ne echte Leistung!“
„Auch wenn Maik das nicht gern hört: Ich verdanke Lu, dass ich so reibungslos arbeiten kann.“
Ich verziehe tatsächlich das Gesicht. „Können wir das Thema wechseln? Nein, eigentlich will ich lieber noch mal ins Wasser, kommt jemand mit?“
Ich stehe auf und gehe bereits hinein, als die beiden sich ebenfalls erheben und mir folgen.
Hm, vielleicht ist es ganz gut, dass Jeremy zurzeit hier ist. Er hat im Gästezimmer geschlafen und Maik natürlich wie immer bei mir.
Seltsam, dieses ‚wie immer‘ ist noch keine zwei Wochen alt und doch fühlt es sich an, als wäre es niemals anders gewesen und vor allem, als könnte es nie wieder anders sein.
Einfach undenkbar.
Na ja, zumindest fast undenkbar. Denn nach wie vor habe ich Angst, dass Lu irgendwas gegen Maik tun könnte, wenn er herausfindet, dass er und ich ...
Ich werde aufpassen müssen. Egal was passiert, wenn Lu wieder hier ist, Maik darf es nicht mitkriegen. Nie wieder will ich mich so fühlen wie vor Lus Abreise in meinem Büro. Nie wieder will ich diese Sorge in Maiks Augen sehen, die Hilflosigkeit und Wut.
So oder so, um ihn zu beschützen, muss ich auch verschweigen, was spätestens morgen wieder zu einem wiederkehrenden Tagesordnungspunkt zwischen Lu und mir wird.
Ich will mich noch einmal umdrehen, nicht aufstehen, nicht aus Maiks Umarmung flüchten, aber ich muss.
Er murrt leise, als ich aus seinen Armen schlüpfe und zum Bettrand rutsche.
„Müssen wir wirklich schon aufstehen?“, fragt er mit so verführerischem Ton, dass ein heißer Schauer mich durchläuft.
Ich lehne mich noch einmal zu ihm, küsse seine Stirn und streiche ihm über die Wange. Der Bezug vom Kissen hat eine Knautschfalte darauf hinterlassen und irgendwie ist dieser Anblick einfach zum Anbeißen!
„Ja, müssen wir. Du willst den Tag mit Jers verbringen und ich muss ins Büro. Die Angebote, die ich eingeholt habe, muss ich heute endlich auswerten und mir überlegen, wo wir die neuen Maschinen kaufen werden.“
„Hm-hm, stimmt ...“
„Wo wollt ihr eigentlich hin?“
Er gähnt, streckt seinen Luxuskörper und nutzt die erhobenen Arme, um mich noch einmal an sich zu ziehen. „Wir bleiben hier, ich hab ihm schon gesagt, dass ich dich keine Sekunde lang aus den Augen lassen werde.“
Ich presse die Lippen aufeinander. Das passt so gar nicht in meinen Plan, aber es wäre wohl mein größter Fehler, ihm das zu sagen.
„Weil du Angst hast, man könnte mich klauen?“, necke ich ihn und ernte ein Knurren.
„Nein, weil ich sehen will, wie er sich dir gegenüber benimmt, wenn er dich zwei Wochen lang nicht bespringen konnte.“
Seine Wortwahl lässt mich zusammenzucken, auch wenn sie im Grunde nicht besonders derb ist, steckt darin etwas Animalischeres, als wenn er ‚ficken‘ gesagt hätte.
„Maik, bitte ...“
„Was?“
„Du weißt, für wen ich mich entschieden habe.“
Er schnaubt leise, es klingt ein bisschen abfällig, aber vielleicht höre ich Gespenster. „Es gab nie zwei Personen, zwischen denen du dich hättest entscheiden müssen, Kim. Es gibt ein millionenschweres Gestüt und eine Zukunft in Luxus auf der einen Waagschale. Und ich bin mir durchaus darüber im Klaren, dass ein noch nicht einmal renoviertes, winziges Haus ein echt erbärmliches Gegengewicht dazu bildet.“
Seine Worte treffen mich hart. Ich schnappe nach Luft und bin versucht, ihn einfach hier liegen zu lassen. Mein Kopf funktioniert aber einwandfrei und mein Blick bohrt sich hart in Maiks.
„Auf der schwereren Waagschale war für mich bislang ein Mann mit tiefen Gefühlen für mich.“ Ruckartig weiche ich zurück und verschwinde allein im Bad.
Wenn er mich noch immer – trotz allem, was zwischen uns war und ist! – für so materiell und oberflächlich hält: Bitte!
Ich schwanke zwischen Wut und Verletztheit. Wie kann er denken, dass mir das Gestüt wichtiger ist als er?
Aber hat er damit denn nicht recht? Mir ist das alles hier nicht plötzlich egal, nur weil ich ihn verliebt bin! Ich habe hier Verantwortung und eine Zukunft, die ich zugegebenermaßen irgendwie immer losgelöst von Maik betrachtet habe.
Hm, vermutlich hatte ich Angst davor, mir die echten, wahren Konsequenzen zu vergegenwärtigen.
Denn irgendwie ist es doch vollkommen logisch, dass ich – vorerst – nicht beides haben kann.
Maiks Liebe vielleicht, eine geheim gehaltene Beziehung zu ihm auch, aber ...?
Tja. Ich lasse die Zahnbürste hinter meine Wange stecken und starre in den Spiegel.
Das mache ich nicht oft, also, mich so genau ansehen. Ich weiß, wie ich aussehe, benutze den Spiegel eigentlich nur zum Rasieren und für das Frisieren, wenn ich am Wochenende losgehe.
Aber jetzt sehe ich seit langem mal wieder in meine Augen.
Das Grau ist hell, klar, aber irgendwie liegt ein Schatten darum. Da ist keine Freude, kein Lächeln in meinem Blick. Auch keine Verliebtheit, wenn man die überhaupt sehen kann.
Ja, ich sehe traurig aus. Kein Wunder, wenn er mich so verletzt.
Es klopft an der Tür und ich schüttle ruckartig alle Gedanken aus meinem Kopf, bevor ich die Zahnbürste aus dem Mund nehme und den Schaum ausspucke.
„Ja?“
„Darf ich reinkommen?“, dringt Maiks Stimme durch die Tür und ich seufze innerlich.
„Sicher.“
Ich setze meine Zahnputzorgie bereits fort, als die Klinke herabsinkt und er eintritt.
Ich kann und will ihn jetzt nicht ansehen. Er soll ruhig merken, dass er mir wehgetan hat mit seinem dämlichen Waagschalenbild.
Er tritt hinter mich, seine Finger legen sich auf meine Schultern und durch den Spiegel sucht er meinen Blick. Schließlich erwidere ich ihn.
„Es tut mir leid.“
Ja, das ist wohl auch das mindeste!
Ich antworte nicht, spüle stattdessen die Zahnbürste aus und spucke den restlichen Schaum hinterher.
„Kim, es tut mir leid.“
Er fahre zu ihm herum, seine Berührung verschwindet. Vielleicht ist es nicht die beste Idee, schließlich sind wir beide nackt, aber momentan erregt mich hier gar nichts, zumindest nicht im positiven, lustvollen Sinne.
„Glaubst du, durch Wiederholung wird es besser? Du hast mir nichts Geringeres unterstellt, als dass mich Geld und Luxus mehr interessieren als das, was wir haben!“, schnauze ich ihn an und er senkt den Blick.
„Ich weiß. Aber kannst du bestreiten, dass es so ist? Dass du eben nicht weißt, für was du dich entscheiden würdest, wenn man dich vor die Wahl stellte?“
Ich atme scharf ein und setze zu einer Antwort an, doch das ist mir irgendwie zu blöd.
Vor allem wohl, weil er nicht so unrecht hat, wie ich mir gerade wünsche. Mit einem Kopfschütteln trete ich an ihm vorbei unter die Dusche.
Letztlich weiß ich wirklich nicht, wofür ich mich entscheiden würde. „Ich kann nicht einfach hier weggehen und alles hinter mir lassen.“
„Das verstehe ich.“
Mein Kopf ruckt hoch und in seine Richtung. Ich glaube, er versteht es wirklich. Ich weiß nur nicht, ob er die Tragweite dessen überhaupt begreifen kann. Er hat nicht seit sechs Jahren hier gelebt, er ist hier nur für lausige zwei Monate, dann kann er gehen und seine Freiheit genießen. Und ich?
„Du hast keine Ahnung, wie viel Freiheit du besitzt“, gebe ich zurück und schalte das Wasser an. Ich muss hier fertig werden, muss ins Büro und ... ja, aus Maiks Nähe.
Was er gesagt hat, ist für mich noch nicht ausgestanden. Ob und wann es das sein wird, weiß ich noch nicht.
Natürlich kommt er zu mir in die Dusch e, und bevor ich es begreife, zieht er mich an sich.
„Maik, bitte!“, maule ich, weiß aber ganz genau, dass ich jetzt nicht hochsehen darf. Ein Blick in seine Jadeaugen würde meinen Starrsinn entscheidend schwächen.
„Halt die Klappe, Kim.“ Seine Lippen legen sich an meine Stirn, wandern tiefer, bis er mich küsst.
Ich versuche, nicht darauf zu reagieren, aber was soll das bringen? Ich liebe ihn, ich liebe es auch, ihn zu küssen.
Mit einem Seufzen ergebe ich mich und lasse meine Hände an seine Seiten gleiten.
Keine Ahnung, wieso ich heute Morgen diese bescheuerte Diskussion losgetreten habe. Jetzt jedenfalls, kurz vor Mittag, bin ich froh, irgendwie erleichtert, dass Kim schon den gesamten Vormittag im Büro hockt.
Jeremy hat sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt, als er gähnend und frisch geduscht in der Küche aufgetaucht ist.
Ich bin ihm noch immer dankbar, dass er sich jeden Kommentar verkniffen hat. Erst im Stall hat er mich darauf angesprochen.
Jetzt sitze ich auf Mirabeau und reite über den Springplatz.
„Der Schecke ist echt hübsch. Wenn er seine langen Beine sortiert, kann er Jam Konkurrenz machen. Wie alt ist er?“ Jeremy sitzt auf dem Zaun und sieht mir zu.
„Nicht ganz vier. Er gehört Kim.“
„Oh? Aber wieso bildet er ein Springpferd aus, wenn er doch gar keine Turniere geht?“
Gute Frage.
„Weil ich will, dass Mirabeau in seinen Bewegungsabläufen alle nötigen Muskeln trainieren kann, um möglichst fit und alt werden zu können.“
Ich starre ihn an.
Er sieht einmal mehr zum Anbeißen aus. Hellbeigefarbene Reithosen, ein weißes Poloshirt, darüber eine dünne, schwarze Weste. Seine langen Beine ziehen meinen Blick hypnotisch an und ich muss mich zwingen, den Blick zu heben, als er näherkommt und neben Jeremy stehen bleibt.
„Dann soll er nie Turniere gehen?“
„Er soll die nötigen Prüfungen machen. Mira hat erstklassige Eltern und ist nicht gelegt. Ich würde die Zucht hier gern erweitern.“
Ich staune und drehe die nächste Lockerungsrunde mit Mirabeau. Trotzdem kann ich verstehen, was die beiden reden.
„Du willst auf Dauer von den Rennpferden weg, nicht wahr?“, fragt Jeremy.
„Ganz weg nicht, nein. Ich werde die Einkünfte daraus brauchen. Außerdem ist der Feuerried ursprünglich ein Rennstall. Das kann ich nicht einfach so über den Haufen werfen.“
Ich staune darüber, dass Kim solche Pläne hat. Mit mir hat er darüber bisher nicht gesprochen ...
Schmeckt bitter, der Gedanke. Aber vielleicht habe ich das auch gar nicht anders verdient?
Ich lenke Mirabeau zurück zu den beiden anderen und sehe Kim an. „Müsste der Kostenfaktor, den die Stuten und Renner bilden, mit seinem Wegfall nicht auch die nötigen Erlöse senken?“
Kim schürzt die Lippen. „Senken ja, aber nicht genug. Außerdem will ich die Zucht ja nicht aufgeben.“ Kim wendet sich zu Jeremy. „Wenn du willst, gebe ich dir eine kleine Führung.“
Super, während ich hier weiter sein Pferd trainiere, will er mit meinem besten Freund über den Hof tingeln.
Scheiße, bin ich jetzt schon auf Jeremy eifersüchtig? Dabei weiß ich doch von beiden, dass sie nichts tun werden, das mir nicht gefällt.
Ich beiße die Zähne zusammen und zwinge mich zu einem Grinsen. „Die Chance würde ich nutzen. Hier läuft einiges anders als bei Grandpa.“
Jeremy blickt mich durchdringend an. Oh ja, er sieht die in mir aufflackernde Eifersucht. Ich schlucke hart. Wird er die Klappe halten?
„Klingt echt toll, Kim. Ich würde wirklich gern sehen, was du hier so alles leistest ...“ Mein bester Freund wirft mir ein süffisantes Grinsen zu, das ich nur als provokativ bezeichnen kann.
Mann! Lass ja die Finger von ihm!
„Na, dann komm.“ Kim streicht Mirabeau noch über den Hals und ich zucke elektrisiert zusammen, als er die andere Hand in einer beiläufigen Geste über mein Knie streichen lässt.
„Wir sehen uns dann bei Theodora“, sagt er zu mir und wendet sich ab, um neben Jeremy her zum Tor des Platzes zu gehen.
Ich sehe den beiden nach und mir wird zum wiederholten Mal so richtig bewusst, wie ähnlich sie sich sind.
Jetzt, ihre Rückansichten so nah beieinander, könnte man den Eindruck gewinnen, sie wären Zwillinge.
Gleich groß, gleiche Statur, schlank und flach bemuskel t. Sie haben sogar einen sehr ähnlichen Gang, ach, was rede ich, den gleichen Gang! Elegante, weiche Bewegungsabläufe, die verheißungsvoll von Geschmeidigkeit und Anschmiegsamkeit flüstern.
Tja, wo sich mein Blut gerade einfindet, muss ich mir nicht extra bewusstmachen.
Nur die unterschiedlichen Haarfarben fallen mir in diesem Blickwinkel auf. Pechschwarz und Dunkelblond. Natürlich haben sie auch nicht die gleiche Frisur, aber da ist so vieles an ihnen, das mich an den jeweils anderen erinnert.
Sind sie sich auf von ihrem Wesen her ähnlich?
Während ich mit Mirabeau weiterarbeite, denke ich ausgiebig darüber nach.
Beide sind auf sehr unterschiedliche Art ehrgeizig, beide leben für ihre Ziele. Ich habe Mühe, mich auf Mirabeau zu konzentrieren, während mir klarwird, dass sich die Ähnlichkeiten von Jeremy und Kim nicht auf das Außen beschränken.
Sie sind sich extrem ähnlich.
Und doch ist an Kim etwas, das mir an Jeremy in all den Jahren gefehlt hat. Das gewisse undefinierbare Extra, das ihn zu dem Einen macht, den ich in meinem leben will – immer.
Ich seufze tief und beende die Trainingseinheit mit Mirabeau um Viertel vor eins. So bleibt mir genug Zeit, ihn zu versorgen und danach passend zum Gong in die Gesindeküche zu gehen.
Meine Gedanken verstricken sich immer tiefer in dieser unbestimmten Angst vor dem, was heute noch kommen mag. Ich weiß einfach nicht, inwieweit ich Kim vertrauen soll. Van Keppelen wird nicht auf den Deal verzichten, davon bin ich überzeugt!
Ein Schauer durchläuft mich, als ich die ausgetretenen Stufen zum Wirtschaftstrakt hinabgehe.
Was, wenn van Keppelen Kim dazu zwingt? Was, wenn Kim sich weigert und van Keppelen ihn nicht nur gespielt dominiert, sondern wirklich vergewaltigt?
Ich komme ins Straucheln und Nils, der gerade an mir vorbei die Treppe hinabspringt, schafft es noch, meinen Arm festzuhalten.
„Woah, Maik!“, ruft er aus und ich blicke ihn dankbar und erstaunt an.
Dass der kleine Nils mich so festhalten konnte ... erstaunlich. „Ich ... war in Gedanken. Vielen Dank!“
Er grinst mich an. „Schon okay.“
Nils setzt seinen Weg langsamer neben mir fort und ich muss grinsen über diesen Umstand. Denkt er wirklich, dass ich noch mal fast abstürzen werde?
Ich bin auf dem Weg ins Büro, als Lus Wagen auf den Hof gerollt kommt. Innerlich fluche ich auf, nach außen zeige ich das erfreute Lächeln, das hier jeder von mir erwartet.
Sobald er eingeparkt hat, gehe ich zur Fahrerseite und stehe ihm nur Augenblicke später gegenüber.
„Hallo, Kim. Alles klar soweit?“
Ich nicke. „Ja. Wie war es in Dubai?“
Er grinst fröhlich und nimmt seine Aktentasche vom Beifahrersitz, bevor er mit mir zur Freitreppe geht. „Bestellungen für mehrere Renner und einer der Scheichs will unbedingt herkommen und sich ein Turnierpferd aussuchen.“
Oh? Das ist neu und sehr uncool!
„Hätte nicht gedacht, dass sich einer von denen für klassische Reitpferde interessiert.“
Wir gehen ins Haus und dort zuerst in sein Büro. So machen wir das jedes Mal. Bevor er sich entspannt oder zurückzieht, um richtig anzukommen, einen möglichen Jetlag auszuschlafen oder auch nur etwas zu essen, besprechen wir die geschäftlichen Abschlüsse seiner Reisen und natürlich auch in einem groben Überblick die Geschehnisse auf dem Feuerried.
„Doch, sogar sehr! Vor allem für die Springer. Mitte der kommenden Woche erwarten wir hier eine ganze Delegation. Der Scheich reist nämlich nicht allein.“
Okay, das bedeutet, in den Tagen bin ich ständig in Lus Nähe. Der Gestütsleiter eben, die rechte Hand.
Was Maik wohl davon halten wird?
Während ich mit Lu im Büro sitze und mir anhöre, was er Neues zu berichten hat, schweifen meine Gedanken wieder ab. Ich sehe auf den Aktenschrank mit den Pferde- und Personalakten, an dem ich Maik erwischt habe. Ein kleines Lächeln kräuselt meine Mundwinkel, aber ich beherrsche mich.
„Na, dann erzähl mal, wie war es hier in den letzten Wochen?“ Lus Worte reißen mich aus meinen Erinnerungen und mir fällt auf, dass ich ihm gar nicht mehr zugehört habe.
„Äh, gut! Die Neuanschaffungen sind nun bestellt, das Labor kriegt eine zweite Sterilbank, die neuen Pferde sind alle angekommen und untergebracht, Quarantäne natürlich.“ Ich schürze die Lippen. „Alles wie immer.“
„Und mit Maik?“
Ich habe Mühe, meine Gesichtszüge nicht entgleiten zu lassen und rette mich in ein Achselzucken und ein wirklich dreckiges Grinsen. „Du kennst meine Meinung über Spaß mit Angestellten.“
Ich hoffe, dass das überzeugend kling t, und frage mich, seit wann ich so abgebrüht lügen kann.
Ist gar nicht meine Art, wenn ich zwei Dinge wirklich auf meine Fahnen schreiben müsste, wären es Ehrlichkeit und Logik.
Lus Blick fixiert mich einige Augenblicke lang. Na? Kauft er es mir ab?
„Wundert mich. Er ist kein regulärer Mitarbeiter, diese Ausrede gilt also wohl nur bedingt.“
Ich atme tief durch. „Was willst du hören? Ob ich ihn flachgelegt habe? Nein. Davon abgesehen ist sein Freund grade hier zu Besuch. Jeremy Tinnard.“
Okay, das war eine echt stark gedehnte Wahrheit, aber vielleicht reicht es für Lu?
Er nickt bedächtig. „Dann sehen wir uns heute zum Abendessen?“
„Lieber vorher, ich bin mit Jeremy und Maik verabredet. Ich habe nicht oft Gelegenheit mit einem der besten Springreiter der Welt zu sprechen.“ Meine Ablehnung kommt pfeilschnell. Wie soll ich das mit Lu – ich bin überzeugt davon, dass er mich ficken will – vor Maik verbergen, wenn ich dafür dem gemeinsamen Abendessen fernbleibe?
„Wann vorher?“
„So ... gegen vier?“ Das wäre super, denn da ist Maik mit Jeremy auf dem Springplatz. Möhrchen soll unter Jeremy zeigen, wie gut sie gehen kann.
„In Ordnung. Im Salon.“
Ich nicke und grinse. „Soll das heißen, du hast dir in Dubai keine Lustknaben gesucht?“
„Was hat das eine mit dem anderen zu tun, Kim? Deinen Arsch zu ficken ist doch etwas ganz anderes.“
„Weißt du, was ich nie verstehen werde?“, frage ich und bin mir nicht sicher, ob ich mir auf die Zunge beißen soll, bevor ich noch mehr sage. Ich habe einen blöden, seit Jahren wiederkehrenden Gedanken im Kopf.
„Was denn?“
„Wer darf dich eigentlich ficken?“ Jawoll, da ist sie, die Frage, die ich seit Jahren runterschlucke.
Lu lacht auf und ich grüble noch, wie gut ich das finden soll. „Niemand mehr. Davon abgesehen hättest du damit wohl deine Schwierigkeiten ...“ Er sieht über den Schreibtisch hinweg auf meinen Schritt.
Klar, ich werde nie geil, wenn er was mit mir anfängt, außer ich denke dabei aus Versehen an Maik ...
Ich hebe abwehrend die Hände. „Oh, keine Sorge, was das angeht, habe ich keinen Bedarf. Ich war letzte Woche im Club.“
Wieder nickt er. „Dann sehen wir uns nachher. Ich muss erst mal zu Theodora und ihr erklären, wie viele Zimmer vorbereitet werden müssen.“
Ich erhebe mich und verschwinde wieder. Das Nötigste ist besprochen, den Rest werde ich schon noch erfahren.
Anstatt nun endlich in mein Büro zu gehen, suche ich nach Maik und finde ihn mit Jeremy und Tom auf dem hinteren Hof des Turnierstalls.
„Hey“, grüße ich und ernte einen fragenden Blick von Maik. Ich würde ihn jetzt gern umarmen, mich einfach an ihm festhalten und vergessen, was ich in guten zwei Stunden zu tun habe, wie sehr ich ihn damit hintergehen werde.
Ich bin mir sicher, er ahnt es. Maiks Blick ist so ernst, so nachdenklich. Er steht nahtlos von seinem Strohballen auf und kommt auf mich zu. Niemand außer mir sieht sein Nicken in Richtung Sattelkammer. Ich folge ihm.
Kaum habe ich den nach Leder und Seife riechenden Raum hinter ihm betreten, schlingen sich meine Arme schon um seinen Hals.
„Er ist wieder da“, murmelt Maik und ich spüre das leichte Zittern, das ihn durchläuft.
„Ja.“ Mehr kann ich nicht sagen. Mir gefällt es doch genauso wenig!
Auch Maik sagt nichts, hält mich einfach nur fest und gibt mir das Gefühl, in Sicherheit zu sein. Auf eine seltsame Art zumindest. Denn letztlich bin ich hier nicht derjenige, der in Gefahr gerät, wenn Lu herausfindet, dass Maik mich seit einigen Tagen regelmäßig vögelt ...
~*~
„Und? Wie ist Möhrchen gegangen?“, erkundige ich mich beim Abendessen und ignoriere das, was sich vor drei Stunden in Lus Salon abgespielt hat nach Kräften. Ich sitze mit Jeremy und Maik am Tisch und genieße das Abendessen, welches sie gemeinschaftlich bereitet haben.
Es gibt einen Relish-Salat aus Möhren und Sellerie, dazu frisch aufgebackene Kräuterbutterbaguettes und wie immer ein antialkoholisches Getränk. Heute Apfelschorle.
„Gut, erstaunlich gut sogar, wenn ich drüber nachdenke, dass Maik hier kaum wirklich mit ihr arbeitet und sie lieber auf Ausritte mitnimmt“, erwidert Jeremy und grinst.
„Na ja, sie hat Urlaub, wenigstens einer von uns muss die turnierfreie Zeit doch ohne Arbeit genießen können!“, verteidigt Maik sich und erntet Gelächter von Jeremy und mir.
„Sie vermisst es richtig, du musst echt aufpassen!“
Maik sieht Jeremy an und schüttelt den Kopf. „Nein, sie wird nächstes Jahr die Leistung bringen, die sie zu bieten hat. Egal ob sie diesen Sommer nur mäßig trainiert wird. Außerdem weiß ich gar nicht, ob ich sie nächstes Jahr noch antreten lassen will.“
„Sie ist erst zehn!“, entfährt es mir. „Du kannst sie noch jahrelang auf Turnieren reiten!“
Er lächelt und beißt von seinem Baguette ab. Bevor er antwortet, kaut er bedächtig zu Ende. „Hör sich einer das an! Du darfst mir diesbezüglich erst an dem Tag Vorhaltungen machen, an dem du Lemonboy und Mirabeau endlich mal selbst öffentlich und auf Zeit über einen Parcours gejagt hast!“
Touché. Er hat ja recht. „Was würde das ändern?“
Er hebt die Schultern.
„Das ist albern, Maik. Auch wenn ich mir Kim gut auf einem Siegertreppchen vorstellen kann, ist das kein Muss, um dir in den Hintern treten zu dürfen. Er weiß, wovon er spricht!“
„Ja, sicher, aber er weiß auch, dass ich normalerweise gar keine Turniere reite.“
Oh? Weiß ich das? „Äh ... nein, wusste ich nicht, Maik“, werfe ich ein und er sieht mich groß an.
„Ich reite nur mit Möhrchen und das auch nur, weil sie so ein wahnsinniges Talent besitzt. Ich bin Tierarzt!“
Ich winke ab. „Okay, ja, das war mir klar, aber dass du nur ihrem Talent zuliebe auf Wettkämpfe gehst, wusste ich wirklich nicht. Willst du irgendwann mit ihr züchten?“
„Mein Möhrchen ist mehr ein zu groß geratener Schoßhund als ein Sportgerät.“
„Wie bitte?!“ Ich sehe ihn ungläubig an, während Jeremy nickt und die Augen verdreht.
„Das ist echt wahr. Wenn er gekonnt hätte, wäre sie als entwöhntes Fohlen ganz sicher dazu ausersehen gewesen, an seinem Fußende im Bett zu schlafen. Die beiden waren immer unzertrennlich. Sie ist ihm über den Hof gefolgt und hat ihn nicht aus den Augen gelassen, bis sie alt genug wurde, um eingeritten zu werden.“
Ich blinzle und sehe Maik erstaunt an. „Das ist kaum zu glauben. Jedes Pferd versucht doch sofort, sich lieber an saftig-grünem Gras zu bedienen, anstatt wie ein Hund hinter einem herzutrotten!“
„Ja, jedes normale Pferd schon, aber nicht Möhrchen. Wir haben ewig gebraucht, bis sie endlich mit den anderen Jährlingen auf der Weide bleiben wollte. Zu Anfang hat sie am Gatter gestanden und auf Maik gewartet. Das Pferd hatte schon immer ’ne Macke!“ Jeremy kichert und fängt sich einen Boxhieb auf den Oberarm ein, während ich noch immer nicht glauben kann, was die zwei mir erzählen.
Ich meine, ich kenne mich nun wirklich mit Pferden aus und es gibt tausend Ablenkungen für selbige. Es grenzt an eine absolute Unmöglichkeit, dass CD so anders ist. „Ihr verarscht mich doch!“
Maik schüttelt den Kopf. „Nein, sie ist wirklich so. Andere Pferde muss man an Menschen gewöhnen, bei ihr war es andersrum. Wir mussten sie an Pferde gewöhnen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich mir anhören durfte, dass meine Stute einen Hirnschaden haben muss oder dass ich später auf jeden Fall in einer Scheune leben muss, damit sie mit mir am Tisch fressen kann ...“ Er seufzt tief.
„Also, bei jedem anderen, der mir das erzählen würde, könnte ich das nicht glauben.“ Ich mustere ihn nachdenklich, und wenn ich mir Jeremys verzückten Gesichtsausdruck ansehe, wohl auch verliebt.
„Wisst ihr eigentlich, dass man euch beiden deutlich ansieht, wie es um euch steht?“, wechselt Jeremy auch prompt das Thema.
Ja, das ist mir nur zu bewusst, weshalb ich auch verdammt gut aufpassen müssen werde ...
Ich nicke mit einem Seufzen. „Absolut.“
„Was machen wir heute noch?“, will Maik wissen, der offensichtlich keine Lust hat, unsere Beziehung zu erörtern.
Beziehung ... Ich denke wieder an Lu und den Salon und daran, dass irgendetwas anders war. Nicht so anders, als hätte ich mit Maik geschlafen, aber da war etwas ... Ein spürbarer Druck, Lus Bewegungen in mir, sein Eindringen, ich habe das nicht nur erahnt anhand seiner Worte und Gesten, seiner Griffe, sondern auch ... gespürt.
Mit großen Augen blicke ich Maik an und ich weiß, was ich heute Abend in jedem Fall unbedingt noch tun will. Aber später.
„Ich muss relativ früh ins Bett, fürchte ich. Morgen ist das Treffen mit den Sponsoren. Deine Mutter kommt am Wochenende auch noch vorbei, vielleicht seht ihr euch ja am Sonntag?“
Maik lächelt erfreut. „Ja, das wäre cool. Ich hab zwar vorgehabt, sie anzurufen, aber dann hab ich beschlossen, dass ich keine Lust auf die nächste ‚ Wenn ich deinem Vater erzähle, was du tust, wird er dir den Hosenboden strammziehen‘-Diskussion habe.“
„Dann weiß Justin nicht, dass du hier bist?“, frage ich perplex und starre Maik an.
Er schüttelt den Kopf. „Nein, er würde wohl wirklich ausflippen, wenn er es wüsste.“
„Aber wieso sagt deine Mutter es ihm nicht?“
„Weil ich einen Kompromiss mit ihr geschlossen habe: Ich habe acht Wochen Zeit, danach geht sie mich verpfeifen.“
„Oh. Aber ... wieso will dein Vater es nicht?“
Statt einer Antw ort holt Maik sein Handy hervor und zeigt mir die abfotografierten Bilder aus der Spielzeugschublade von Lu. Ich nicke.
„Du denkst immer noch, die beiden hatten was miteinander.“
Jeremy gibt ein seltsames Geräusch von sich, mit der er sich mir deutlich in Erinnerung ruft und ich will mir schon auf die Zunge beißen, als Maik sagt: „Schon okay, ich wollte sie Jers sowieso zeigen.“
Jeremy nimmt ihm das Smartphone ab und scrollt sich durch die Bilder. „Das ist dein Vater?!“
Ich sehe sofort, dass Jeremy, der mir gegenübersitzt, zu mir hochguckt. Ja, auch ihm fällt sofort auf, dass Justin damals die gleiche Haarfarbe hatte wie ich heute.
„Das sieht ja aus, als ob ...!“ Jeremy hat offensichtlich das letzte Bild der Reihe erreicht. Die hinter der Hand verdeckte Umarmung.
„Als ob die beiden knutschen würden, ja, ich weiß“, murmelt Maik kaum hörbar.
Es tut mir weh, ihn so leiden zu sehen. Denn ja, er leidet schon unter der Vorstellung, dass sein eigener Vater möglicherweise etwas mit Lu hatte, bevor er Helen kennengelernt hat.
„Selbst wenn, was ändert das eigentlich für dich?“, wage ich zu fragen.
„Was das ...?! Na alles!“
„Und wieso?“ Jeremy ist schneller als ich.
„Weil es schlichtweg bedeuten würde, dass ich nur ein Unfall war! Dass mein Vater eigentlich schwul ist und meine Mutter nie geliebt hat!“
„Äh, Maik, das ist doch Bullshit! Helen besucht ihn doch , wann immer sie kann!“
„Ja, ich weiß. Aber ich weiß nicht, wieso!“ Jetzt klingt er ein wenig trotzig.
„Vielleicht solltest du Theodora fragen. Sie hat damals schon für Lus Eltern gearbeitet, vielleicht wird sie für dich ihre Loyalität Lu gegenüber ablegen und dir sagen, was sie weiß.“ Mein Vorschlag ist logisch und überlegt, aber in Maiks momentaner Gefühlslage ist er ebendieser Logik nicht so zugänglich, wie ich gehofft habe.
Ich ernte einen wütenden Blick. „Und dann? Heute fickt er dich, früher hat er vielleicht meinen Vater gefickt! Glaubst du, das macht für mich irgendwas besser?!“
Meine Kinnlade fällt herab und mein Blick huscht zu Jeremy, während ich spüre, wie ich blass werde. Meine Wangen werden kalt und fühlen sich irgendwie hohl an.
Jeremy hebt beschwichtigend die Hände, das sehe ich noch, bevor mein Blick einen Punkt auf der Tischoberfläche fixiert.
„Maik, manchmal bist du echt ein Arschloch!“, schnauzt Jeremy ihn an, dann wendet er sich an mich: „Hey, Kim, ich wusste das schon. Maik hat es mir in Aachen erzählt, als er wegen dir so durch den Wind war. Von mir hast du diesbezüglich kein Urteil zu erwarten.“
Maik schnaubt auf. „Nein, Jers fand irgendwie sogar cool , dass du dein Aussehen nutzt, um für deine Zukunft vorzusorgen!“
Okay, das reicht. Ich lasse den Stuhl zurückrutschen und stehe wortlos auf. So viel Spott in seiner Stimme, so viele Vorwürfe in so wenigen Worten.
Ich bin schon auf Höhe des Gästezimmers, als ich mich noch einmal umwende. „Gute Nacht, Jers.“
Ich verschwinde in meinem Schlafzimmer und überlege, während ich mich mit ruckartigen, unwilligen Bewegungen ausziehe, wieso er das immer wieder macht.
Wieso verletzt er mich absichtlich?
Nach einem kurzen Besuch im Badezimmer lege ich mich hin und starre in die Dunkelheit, bis mein Blick verschwimmt und ich schniefe. Ich will nicht heulen. Letztlich hat er ja recht! Natürlich nutze ich meinen Körper genau dafür! Und das muss mir erst mal jemand nachmachen!
Ich bin 26 und in wenigen Monaten der Besitzer eines millionenschweren Gestüts! Ich werde das nicht aufgeben für etwas so Utopisches und Unsicheres wie Liebe!
Verfickte Scheiße! Natürlich fühle ich die tiefe Zuneigung zu ihm, meinen Wunsch, ihn glücklich zu sehen und in Sicherheit, aber rechtfertigt das wirklich, was er mir immer wieder an den Kopf wirft?
Wäre es ihm lieber, ich würde Lu von uns erzählen und damit riskieren, dass er Maik irgendetwas antut? Oder Möhrchen?
Lu ist super darin, Schwachpunkte zu finden und auszunutzen! Ist sich Maik darüber überhaupt im Klaren?
Die verdammten Tränen wollen nicht aufhören zu fließen und ich schäme mich deshalb.
Super, dieser Gefühlssalat! Kann das jetzt mal aufhören?
Ist doch klar, dass mir seine Sprüche wehtun, wenn ich ihm diese Macht über mich gebe! Vor ihm konnte das niemand. Ich habe keinem die Gelegenheit gegeben, mir nahe zu kommen, habe keinem mein Herz ausgeliefert!
Und wenn ich gewusst hätte, wie scheißweh es tun kann, wenn man seine Seele offenbart, seine Gefühle, hätte ich es nicht getan!
Ich schlage wütend in die Kissen und werfe mich herum, schiebe meinen Kopf hinein und bete, dass der Schlaf mich einholt.
„Ich hoffe wirklich, dass du dich wenigstens schämst für die Scheiße, die du ihm da grade an den Kopf geknallt hast!“, faucht Jeremy mich an, während ich blicklos auf das dunkle Display meines Smartphones starre.
„Mann, bist du blöd? Dieser gottgleiche Mann liebt dich und du hast nichts Besseres zu tun, als ihm dafür zu zeigen, wie abscheulich du ihn findest? Ich erkenne dich nicht wieder, Maik!“
Ja, verdammt, ich erkenne mich ja selbst nicht wieder! Aber kapiert hier mal irgendwer, wie es mir dabei geht?!
„Oh ja, du tust mir so leid, Maik! Du bist hier natürlich das große Opfer. Armer Kerl ...“ Jeremys Reaktion zeigt mir deutlich, dass ich wohl laut gedacht haben muss.
Ich starre ihn an. „Spar dir d iese Scheiße, Jers! Kim ist mirwichtiger als alles andere, aber niemand kann von mir verlangen, dass ich in Jubelstürme ausbrech e, über das, was er tut!“
„Tut er das denn noch? Hast du ihn gefragt?“
Nein, natürlich nicht. Es bestünde ja immerhin die Gefahr, dass er mir die Wahrheit sagt, die ich nicht hören will!
„Ich will nicht, dass er sich das antun lässt, Jers.“ Meine Stimme bricht und ich verstehe mich selbst kaum noch.
„Dann solltest du ihm das sagen.“ Jeremys Ton ist sanft und leise. Vielleicht trifft er mich deshalb so damit. „Du hast ihn eben sehr verletzt, weißt du? Vielleicht ist es an der Zeit, dass du um Verzeihung bittest.“
Ich seufze. „Ich mache seit heute Morgen schon nichts anderes, Jers. Ich komme damit einfach nicht klar! Ich hab’s echt versucht, hab überlegt, dass es nicht mehr lange so gehen wird, dass es absehbar ist ... aber du hast nicht gesehen, wie van Keppelen ihn flachlegt! Er benutzt Kim, meinen Kim!“
„Und Kim lässt es geschehen. Er ist alt genug, um so etwas selbst zu entscheiden.“
Soll ich Jeremy von dieser Negationssache erzählen? Aber ist das für Jeremy nicht noch eher ein Grund, dass ich die Klappe halten und mich damit abfinden soll und muss?
Ich entscheide mich dagegen un d erhebe ich mit einem weiteren kellertiefen Seufzen. „Ich werde zu ihm gehen. Schlaf gut.“
Es ist mittlerweile nach zehn, durchaus eine gute Zeit, um ins Bett zu gehen, wenn man um fünf Uhr vom Wecker am Ausschlafen gehindert wird ...
Ich habe Mühe, auch nur die Klinke an Kims Schlafzimmertür herabzudrücken, aber schließlich schaffe ich es und gehe hinein.
Es ist dunkel, ich erkenne nur Schemen, aber mittlerweile weiß ich, wo das Bett steht, und wo die Tür zum Badezimmer liegt. Dorthin gehe ich zuerst.
Auch auf die Gefahr hin, dass er mich gleich rausschmeißt und ich nach oben gehen muss, will ich doch erst noch aufs Klo und Zähne putzen.
Irgendwann kann ich keine Zeit mehr schinden und ich schäme mich von Minute zu Minute mehr.
Ich gehe um das Bett herum und klettere hinein, rücke zur Mitte und höre das leise Schluchzen neben mir, bevor ich ihn ansprechen oder berühren kann. Das Geräusch trifft mich tief und mir wird umso deutlicher bewusst, wie mies ich mich benommen habe.
Zögernd strecke ich eine Hand aus und lege sie dahin, wo ich Kims Schulter erwarte.
Sofort zuckt er zurück, offenbar habe ich richtig vermutet.
Kims unwilliges Murren wird von einem Schniefen gefolgt, dann rückt er weiter zum Bettrand und ich verspüre den nächsten Stich tief in meiner Brust.
Jeremy hat recht, ich bin ein Arschloch!
Ich rücke ihm nach und diesmal taste ich nicht erst vorsichtig nach ihm, ich lasse, so schnell ich es schaffe, meine Hände um ihn gleiten und ziehe ihn an meine Brust.
Er wehrt sich mit fahrigen Bewegungen. „Lass mich los!“ Seine Stimme kippt und klingt sehr belegt. Traurig.
„Das kann ich nicht.“
Ein Schnauben, noch einmal versucht er, sich aus meiner Umarmung zu winden. „Ich will das nicht!“
„Was?“, frage ich.
„Deine Nähe.“
Scheiße. Was sage ich denn jetzt? Wie soll ich reagieren?!
„Meinst du das ernst?“ Ich warte lange auf eine Antwort, denke schon, dass er einfach eingeschlafen ist.
„Nein“, murmelt er und ich höre mehr, als dass ich es sehe, wie er den Kopf dreht.
„Ich weiß, dass nichts meinen Ausbruch entschuldigen kann, Kim. Trotzdem tut es mir leid. Ich will dich nicht verletzen.“
„Vielleicht solltest du es wollen. Ich habe die Hoffnung, dass du es dann nicht mehr tun wirst.“ Harte Worte, auch wenn er sie leise vor sich hinmurmel t .
Statt einer Antwort neige ich den Kopf und meine Lippen finden seine Schläfe. Er gibt ein widerwilliges Geräusch von sich, versucht aber nicht mehr, von mir weg zu kommen. Was eventuell auch daran liegen könnte, dass er sonst vom Bett fiele.
„Maik, wieso vertraust du mir nicht?“
Die Frage verwirrt mich. Wo und wann habe ich ihm nicht getraut? „Was meinst du damit?“
„Es gibt Gründe, aus denen ich Dinge tue. Immer. Aber du zweifelst daran oder erkennst diese Gründe nicht an. Du vertraust meinem Urteil nicht.“
Ist das wahr? Meine Arme um ihn lockern sich, meine Hand gleitet nach oben, an seinem Hals entlang zu seinem Gesicht. Sofort spüre ich die Nässe auf seiner Wange. Mir wird erst jetzt richtig bewusst, dass er wegen mir geweint hat.
„Es tut mir so leid, Kim. Vielleicht bin ich nicht stark genug, um das auszuhalten ...“
„Aber ich bin es.“
„Ja, das sehe ich ...“, entfährt es mir viel zu heftig. „Deshalb weinst du auch, nicht wahr?“
„Nein, ich weine, weil du mir nicht vertraust und weil ich ... mich verletzbar gemacht habe.“
Diese Worte muss ich erst mal sacken lassen. Irgendwie begreift mein beschämtes Gehirn, dass darin viel mehr liegt als nur das Offensichtliche.
Verletzbar ... das wird man durch Gefühle. Nichts macht einen Menschen so angreifbar wie Liebe.
„Wenn du mir sagst, dass es irgendwann vorbei sein wird, diese Sache mit van Keppelen, dann werde ich die Klappe halten und warten.“ Ich meine das ernst, bei aller Eifersucht und Wut, die ich wegen van Keppelen empfinde, ist mir doch wichtiger, nicht mit Kim zu streiten.
„Wäre es etwas anderes für dich, wenn ich ihn spüren würde?“, fragt er.
„Ja, weil du dann Schmerzen hättest, wenn er es tut.“
Er seufzt leise und dreht sich in meinem Arm um. „Weißt du, was ich beim Essen vorhin überlegt hatte?“
Nein, woher auch? Ich antworte.
Seine Finger gleiten sacht über meine nackte Brust, natürlich bin ich genauso ins Bett geklettert wie in den letzten Tagen. „Ich wollte mit dir schlafen.“
Ich atme scharf ein. „Uns läuft doch nichts weg.“
„Das nicht, aber ich wollte dich so lieben, wie du mich bisher immer geliebt hast.“
Ein Kribbeln durchläuft mich und unwillkürlich frage ich mich, wie lange es her ist, dass jemand außer Jeremy mich gevögelt hat.
„Das wolltest du?“ Meine Stimme zittert vor Erregung, allein die Vorstellung weckt meine Lenden und treibt meinen Pulsschlag hoch.
„Wenn ... das für dich okay ist ...“, bringt er hervor und klingt plötzlich unsicher.
„Denkst du, ich würde dir das verweigern?“
„Na ja, du bist nicht so der passive Typ ...“
Ich kann ein Kichern nicht unterdrücken. „Oh doch, ich bin ebenso passiv wie aktiv. Es kommt eben drauf an, wer mich ficken will.“
Er zuckt zusammen und schweigt eine Weile. Schließlich murmelt er: „Ich will dich nicht ficken, ich will dich lieben.“
Noch ein Schauer durchläuft mich und ich küsse seine Stirn. „Wann immer dir danach ist, Kim.“
„Jetzt“, flüstert er und eine Sekunde später liege ich unter ihm.
Erstaunt blinzle ich in die schemenhafte Dunkelheit über mir, kann ihn eher erahnen als sehen.
„Aber ich will dich dabei ansehen, will in deine Jadeaugen gucken.“ Er beugt sich vor und die indirekte gelbliche Beleuchtung flammt auf. Das Licht ist weich und sticht nicht so sehr in den Augen, wie ich befürchtet habe.
Seine Worte lassen Welle um Welle der Vorfreude in mein Rückgrat sinken. Oh ja, die Vorstellung, von ihm geliebt zu werden, birgt so viel mehr in sich als simplen Sex. Das weiß ich einfach.
„Bist du sicher, dass du ... Ich meine, nachdem ich ... Kim, ich bin so ein Arschloch!“, stammele ich und bin mir selbst gerade ganz sicher, dass Sex nicht die Lösung für unser Problem darstellen kann.
Er beu gt sich über mich, so tief, dass unsere Erektionen zwischen und eingeklemmt werden und aneinanderreiben. Ich stöhne leise auf. „Ich will dich erobern, damit du nie wieder vergisst, wie sehr ich dich liebe“, flüstert er gegen meine Lippen, bevor er mich küsst.
Seine Zunge dringt zwischen in meinen Mund, er ist fordernd und aufreizend. Ich bin bereits nach den ersten tiefen Küssen so willenlos, dass er alles mit mir tun könnte – und hoffentlich auch wird!
Ich weiß nicht mehr, ob ich wach bin oder träume, jede seiner Berührungen, jeder seiner Küsse, weckt pure Lust in mir. Kim ist sanft und hart zugleich, neckt und liebkost, beißt sacht und leckt, wie neulich am Badesee ...
Ich seufze, stöhne, schreie sogar zwischendurch lustvoll auf, stoße mein Becken hoch, will mich an ihn schmiegen und nur noch spüren.
Als er seine Hände in meine Kniekehlen schiebt und meine Beine hochschiebt, stöhne ich erneut und winde mich.
Ich ziehe die Beine weiter an und gebe seine Hände frei, um nur Augenblicke später den Verstand zu verlieren, weil seine Zunge meinen Eingang findet und er mich über die Maßen reizt.
Ich will nichts mehr, als dass er sich aufrichtet und seinen Schwanz in mir versenkt. Keine Verzögerungen mehr, ich will ihn in mir spüren, seine Hitze, seine Härte, seine Bewegungen!
„Fick mich!“, bringe ich keuchend hervor. „Bitte, Kim! Tu es!“
Er lacht leise und sieht mich über meine Erektion hinweg an. „Hast du es eilig, Liebling?“
Oh ja, und wie! Ich murre vor mich hin, bis sein Daumen in mich eindringt und ich einen lauten Aufschrei nicht unterdrücken kann.
Ist irgendwo nebenan nicht Jeremy? Muss ich nicht viel leiser sein?
Kim bewegt sich sacht in mir, so sanft, ein Streicheln in meinem Inneren, während er sich über mich beugt und mich erneut tief küsst.
Er schafft es irgendwie, die Nachttischlade aufzuziehen und ein Kondom herauszuholen. Bis auf das eine Mal am See habe ich immer ein Gummi benutzt, im Moment wäre mir alles egal und ich glaube, ich bin ihm dankbar dafür, dass sein Kopf so viel klarer funktioniert als meiner.
Ich helfe ihm mit fahrigen Bewegungen, den Schutz überzustreifen, gönne mir dabei das Vergnügen, seinen schönen Schwanz zu massieren, seine Hoden zu kneten, bis er aufstöhnt und sich zurückzieht.
Er kniet wieder vor mir, lässt seinen Daumen aus mir herausgleiten und platziert seine Eichel.
Ich halte vor lauter Anspannung den Atem an und starre wie gebannt in seine dunklen Augen. Er lächelt kurz, dann spüre ich den sanften Druck an meinem Eingang und keuche auf. Herrlich fühlt es sich an. Der Druck, das Gefühl, ihm immer näher zu sein, von ihm ausgefüllt zu werden.
Ich winde mich und suche den Kontakt mit meinen Händen, kaum dass er richtig eingedrungen ist und sich über mich beugt. Seine Hände neben meinen Schultern abgestützt, seine Augen fest auf meine gerichtet, dringt er weiter ein und bringt mich zum Zittern.
Er weiß, was er tut, das wird mir mit jeder seiner Bewegungen klarer. Er nimmt mich, wie mich niemand zuvor genommen hat. Immer wenn ich mich ihm entgegenbewegen will, weicht er zurück, dringt dann tiefer ein und trifft zielgenau jenes empfindliche Nervengeflecht in meinem Inneren, das Sterne in meinem Kopf tanzen lässt.
„Kim!“, hauche ich und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass er seine Stöße verstärkt, mich mit harten, schnellen Bewegungen dahin treibt, wo ich Erlösung finde und nichts weiter spüren werde als ihn.
„Meine Eroberung – mein Tempo!“, flüstert er an meinen Lippen und küsst mich so zart, dass ich aufschreien will.
„Ich liebe dich“, bringe ich irgendwie hervor. „Für diese Worte schon ...!“
Ich habe geahnt, wie wunderbar es sich anfühlen würde, in ihm zu sein, ihn zu erobern und zu lieben, aber das hier spottet jeder Beschreibung!
In mir ist nichts anderes mehr als der Wunsch ihm mit jeder Berührung, jedem Kuss, mit jeder Bewegung in ihm zu zeigen, wie sehr ich ihn liebe. Mein Körper erlaubt mir das, wird weder hektisch noch ungeduldig. Alles, was ich will, ist geben.
Seine Hände gleiten über meinen Rücken, umfassen meinen Hintern, halten mich fest, wenn auch nicht so fest, dass Maik sich in den Rhythmus einmischen könnte. Das hier ist meine Art, ihm ein für alle Mal zu erklären, dass nichts und niemand jemals zwischen uns stehen wird, egal was auch passiert.
Meine Bewegungen sind langsam, immer wieder entlocke ich ihm atemloses Keuchen und kleine Schreie, langgezogenes Stöhnen und dieses unfassbare Beben, das auch mich heimsucht, wenn er mich nimmt.
Es vibriert an meinem Schwanz und überträgt sich auf mich. Diese Nähe ist so ... nein, mir fehlen dafür die Worte.
Ich will nur noch fühlen, will ihm geben, was ich zu geben habe. Langsam und liebevoll.
Und genau das tue ich.
Jedes Zeitgefühl ist verloren, jeder Gedanke an etwas anderes als an Maik ebenso. Wir sind verbunden, eins, so perfekt, so zusammengehörig.
Maiks langgezogenes Stöhnen, sein gehauchtes „Kim!“ und seine zuckenden, unkontrollierten Bewegungen, die seinen Höhepunkt zu einem endlos köstlichen Erlebnis für mich machen, befördern auch mich in den Schwebezustand, den ich nur durch Maik kenne. Absolute Hingabe, vollkommener Einklang.
Ich breche auf seiner breiten, so wunderbar muskulösen Brust zusammen, spüre sein Sperma und unseren Schweiß wie eine zusätzliche Verbindung zwischen unseren Körpern und ergebe mich endgültig den warmen, herrlich leichtmachenden Wellen des Orgasmus.
Ich lächle ganz sicher, wie eine fette, zufriedene Stallkatze, die sich gerade ein 6-Gang-Mäuse-Menü gegönnt hat, als ich wieder aufwache und Maiks warmen Körper an meinem spüre.
Er schläft noch, deshalb stehle ich mir ein paar Küsse und wecke ihn so zärtlich ich kann.
Das hier, diese Zeit in meinem Schlafzimmer, will ich mir nicht nehmen lassen. Auch wenn wir uns ab heute, nach Jeremys Abfahrt wieder sehr zurückhalten müssen, was räumliche Nähe angeht, sobald wir uns außerhalb meiner Wohnung befinden, bleiben diese Räume unsere Bastion.
Hoffentlich geht das alles gut.
Ich werde wohl wirklich schnell eine Lösung für diese Zwickmühle finden müssen. Aber wie soll die aussehen? Doch alles aufgeben und blauäugig darauf hoffen, dass es mit Maik ein Leben lang gutgehen wird?
Das ist einfach wider meine Natur!
Ich bin nun mal kein Mensch, der sich auf Gefühle verlässt, wenn er knallharte Fakten haben kann! Das hat nicht einmal etwas mit dem Wert des Feuerrieds zu tun, es ist einfach nur die Tatsache, dass ich hier eine Zukunft haben werde.
Es dauert nur noch ein paar Monate, immerhin haben wir Mitte Juli!
Noch immer überlege ich, ob Lu mir Maik absichtlich vor die Nase gesetzt hat. Ich meine, wieso hat er den vermuteten Sohn seines früheren Jockeys und Freundes hergeholt? Wieso dann auch noch in meine Befugnisse gepfuscht und warum, zum Teufel, interessiert ihn Maik nach all den Jahren, wenn er dessen Vater so eiskalt und hinterrücks abserviert hat?
Ich muss das logisch angehen. Keine Vermutungen mehr, keine Hirngespinste.
Es gibt für alles Gründe. Lu ist ebenso wenig wie ich ein Mann, der etwas ohne Anlass tut.
Aber er konnte definitiv nicht einkalkulieren, dass ich mich in Maik verlieben würde. Was ist denn auch daraus zu lesen gewesen, dass ich Maiks Bewerbung direkt in den Müll geworfen habe?
Selbst ich wusste nicht, wie sehr er wirklich mein Typ sein würde, als ich ihn aussortiert habe!
Nein, es muss einen anderen Grund geben. Bleibt also noch Maiks falscher Name. Fallner. Wie Justin, der ja tatsächlich der Vater ist. Dazu diese seltsamen Fotos ...
Wenn ich so drüber nachdenke, hat dieses Bild, auf dem Justin lächelnd auf dem Zaun saß, doch ganz klar den Blick eines Verliebten, eines Liebenden gezeigt. Justin hat den Fotografen, vielleicht auch die Fotografin, geliebt.
Oh ja, ich schnaube auf, wo ich doch so ein Experte in Sachen Gefühlen bin!
Das ist unsagbar albern.
Nein, um da wirklich ernsthafte Schlüsse zu ziehen, muss ich – müssen Maik und ich – mehr darüber herausbekommen.
Erste Anlaufstelle ist Theodora. Sie war damals schon hier, noch als Hausmädchen, nicht als Wirtschafterin, immerhin ist sie nicht viel älter als Lu.
Maik regt sich leise murrend und zieht mich offenbar im Reflex erst einmal dichter an sich. Ich genieße das, ehrlich!
Egal was außerhalb dieses Raumes passiert, das hier ist das echte, wahre Gefühl.
Liebe, unbeschreiblich und irrational. Aber doch so erlebenswert.
„Na, mein Großer?“, sage ich und küsse sein Kinn. Die Stoppeln sind rau und kratzen, aber auch das genieße ich.
Nichts ist besser, als ein männlich-stoppeliges Kinn zu küssen. Von mir aus müsste er sich nicht rasieren.
„Guten Morgen, Kleiner.“ Er lacht leise, als meine Zähne an seinem Kinn zu knabbern beginnen. „Willst du jetzt da weitermachen, wo wir heute Nacht aufgehört haben?“
Das Timbre in seiner Stimme bringt eine Saite in mir zum, schwingen, weckt ein Ziehen in meinen Lenden und sendet warme Wellen von Wohlbehagen durch meinen Leib. Ich dränge mich dichter an ihn. „Hätte ich Chancen?“
Er küsst meine Stirn und schiebt seine Hand in meinen Nacken. „Du immer.“
„Ich fürchte, der Wecker wird uns mittendrin stören ...“ Dabei hätte ich durchaus nichts gegen einen echt heißen Quickie zum Wachwerden.
„Nein, das würde mich jetzt echt fertigmachen, dann lieber Wecker aus und ab ins Bad, bevor ich doch noch Lust bekomme, dich zu vernaschen!“, verkündet Maik und ich kichere.
„Hast du was gegen eine nassere Location als mein Bett?“
Er rollt sich blitzartig auf mich und kitzelt mich aus, dass ich anstelle eines Lachens nur noch klägliches, atemloses Quietschen von mir geben kann.
Hand in Hand trollen wir uns, nach einigen zunächst erfolglosen Bitten um Gnade meinerseits, ins Bad und einmal mehr habe ich den Eindruck, dass das alles hier so sein muss.
So und nicht anders.
Nach dem Frühstück fährt Jeremy ab, er hat zwar nicht den längsten aller Wege vor sich, will sich aber vor dem treffen mit den Sponsoren und meiner Mutter noch einmal seine Wettkampfpferde ansehen und ein wenig vor Ort entspannen.
Ich verstehe das. Turniere sind immer wieder neu, egal wie oft man schon beim selben Ausrichter gewesen sein mag. Ich habe ihn oft genug begleitet. Auch, wenn ich nicht mit Möhrchen angetreten bin.
Ich sehe ihm noch nach und dank Kims Hinweis, dass van Keppelen meinen besten Freund nun für weitaus mehr hält, verabschieden wir uns sogar mit einem innigen Kuss, den Kim von seinem Büro aus mit Argusaugen beobachtet.
Ich grinse in mich hinein. Ist doch irgendwie ein gutes Gefühl, dass er genauso eifersüchtig ist wie ich.
Mit wiegenden Schritten gehe ich zu seinem Büro und hinein. Er steht noch am Fenster und hat mich auf meinem Weg schon genau gemustert. Ich schließe beide Türen und ziehe ihn vom Fenster weg, um ihn schnell und heftig zu küssen.
„So“, sage ich, als ich ihn auf Abstand bringe, „damit du nicht vergisst, wen ich eben in Gedanken geküsst habe.“
Er lacht leise und drückt mich noch einmal an sich, bevor er hinter den Schreibtisch geht und sich setzt. „Ist ja meine eigene Schuld, aber ich weiß einfach, dass Lu dich nun nicht mehr für gefährlich hält. Bitte tu nichts, was ihn auf andere Gedanken bringen könnte, ja?“
Er sagt das mit so tiefem Ernst, dass ich hart schlucken muss. Denkt er wirklich, dass van Keppelen mir in irgendeiner Form gefährlich werden könnte?
Ich mustere ihn wohl ziemlich skeptisch.
„Ich habe dich gebeten, mir zu vertrauen. Niemand kennt ihn besser als ic h, und wenn ich dir sage, dass du sehr vorsichtig sein musst, dann sei es einfach, okay?“
Ich nicke hastig. Er hat ja recht. Zu genau erinnere ich mich an den warmen, salzigen Geschmack seiner Tränen gestern Nacht. „Ja, entschuldige. Ich werde mich daran halten, okay?“ Ich setze mich neben ihn auf die Schreibtischkante und lege meine Hand an seine Wange. Mein Daumen streicht über seine Lippen und ich lächle ihn an.
Ob er sehen kann, wie verliebt ich in ihn bin?
„Ich muss wieder in den Stall. Sehen wir uns nachher bei Theodora zum Essen?“
Er nickt und ich mache mich eilig auf den Weg, bevor ich noch auf dumme Ideen kommen kann.
~*~
Nachdem ich mir gestern Abend noch so viel über mein Schoßhundpferd anhören durfte, werde ich heute mal wieder ausgiebig mit meiner Schönen schmusen. Sie hier auf dem Hof hinter mir her dackeln zu lassen ist zu gefährlich. Sie kennt sich hier nicht aus und es fahren zu viele Lieferwagen, Pferdetransporter und LKW über das Gelände.
Also bleibt mir nur, sie mit Sphinx, Donny und den anderen Neuen auf die Quarantäneweiden zu bringen. Ich muss aufpassen, zwei der neuen Turnierpferde sind Hengst e, und auch wenn weder Möhrchen noch Zaphiras Dream rossig sind, will ich nichts riskieren.
Die schneeweiße neue Stute Galadriel, die wohl nur von einem Tolkien-Fan benannt worden sein kann, darf mit Sphinx und den anderen Stuten auf eine Weide, Donny stelle ich gleich dazu, er ist so an Zaphira gewöhnt, dass alles andere schon fast gemein wäre.
Die Hengste Galore und Epitaph, ein kastanienroter Oldenburger und ein beinahe mausgrauer Hannoveraner, bekommen eine eigene Weide. In den vergangenen Tagen waren sie recht friedlich, deshalb hat Kim entschieden, dass sie zusammenstehen dürfen.
Da nach fange ich endlich mit dem Bewegen der Tiere an, die für heute auf dem Plan stehen. Timeons Springstunde haben wir auf den späten Vormittag gelegt und mehr oder weniger pünktlich nach Jeremys Abreise ist der Kleine mit seinem silbergrauen Sportflitzer auf den Hof gefahren.
Ich frage mich, ob Jeremy ihn noch gesehen hat, denn dann wüsste ich zu gern, was er gedacht hat, angesichts des Beifahrers in Timeons Wagen.
Ich führe Cato gerade zur Aufstiegshilfe und bleibe stehen, als neben dem Kleinen ein absolut smart aussehender Typ auftaucht.
Mein erster Gedanke ist, dass Jeremy sich den Kleinen ein für alle Mal aus dem Kopf schlagen kann.
„Hi Maik, das ist Eric. Eric, das ist Maik.“ Timeon grinst mich an und deutet hin und her. Ich ziehe den Reithandschuh aus, wische mir gewohnheitsmäßig die Hand an der Reithose ab und reiche sie Eric. Sein Händedruck ist kräftig, gefällt mir auf Anhieb.
„Hi Eric. Hat der Kleine dich mitgeschleppt, damit du seine Pferde bewunderst?“
Eric grinst verhalten und wirft immer wieder Blicke auf Cato, der natürlich ungeduldig neben mir herumtänzelt. An seinem Kinn zeigt sich ein echt niedliches Grübchen und ich mustere ihn genauer.
Er ist groß, sogar noch ein bisschen größer als ich. Er wirkt kräftig, breite Schultern und lange Beine, im Ganzen muskulös und wohlproportioniert. Mir ist sofort vollkommen klar, was Timeon an ihm findet, wobei ich nicht sagen will, dass der Kleine oberflächlich wäre. Dieses Urteil steht mir auch überhaupt nicht zu.
Seine Augen sind dunkelblau und er trägt eine randlose Brille mit silberfarbenen Bügeln. Sein Haar ist aschblond und er trägt es sehr, sehr kurz. Ich würde vermuten, dass er einen Langhaarschneider dafür benutzt und diesen auf 6-9 Millimeter eingestellt hat. Das Sonnenlicht verfängt sich in den Stoppeln und lassen sie noch heller wirken. Seine Augenbrauen sind dicht und etwas dunkler. Zudem ist er erstaunlich gebräunt, ein schöner Milchkaffeefarbton.
Timeon grinst breit und sieht zu Eric auf. Herrlich, die beiden sehen echt niedlich aus zusammen!
„Ich würde seine Pferde gern sehen, ja.“
Ich nicke. „Dann müsst ihr raus zur Waldweide, da habe ich die ganze Quarantänebande eben hingebracht.“ Ich ziehe meinen Handschuh wieder an und sitze endlich auf. „Hast du Zeit wen zu reiten oder seid ihr heute mehr oder weniger privat hier?“
„Privat, aber wen hättest du denn im Angebot?“, erkundigt sich Timeon.
„Na ja, Hellygirl Dressur oder wahlweise einen der Springer.“
„Hm“, der Kleine sieht zu seinem Freund hoch, „magst du zusehen oder wird dir das zu langweilig?“
Eric hebt die Schultern und sieht auf seine Armbanduhr. „Ich hab heute nichts anderes vor.“
„Okay, dann schnapp ich mir Helly, sobald wir von der Weide zurück sind.“
„Klingt super. Ich werde den Dicken hier mal ’ne Runde springen lassen. War nett, Eric, man sieht sich bestimmt später noch!“ Ich treibe Cato an und verschwinde mit ihm auf dem Springplatz.
Während ich ein paar einfache Sprungfolgen mit Cato trainiere, denke ich über Timeons Freund nach und komme zu dem Ergebnis, dass Jeremy es schwer haben wird, sollte er sich doch noch überlegen, dass Timeon nicht zu jung für ihn ist.
Nach dem Essen versuche ich, Theodora zu einem kurzen Gespräch zu bewegen, aber sie kanzelt mich mit dem Hinweis, dass sie keine Zeit habe, ungewöhnlich schnell ab.
Ich bin zugegebenermaßen etwas enttäuscht, weil sie noch nie so schroff zu mir gewesen ist, aber vielleicht habe ich sie einfach auf dem falschen Fuß erwischt.
Oder sie will nur mit Maik reden, das hat sie doch schon mal getan ...
Wie auch immer, mein restlicher Arbeitstag besteht darin, die von Angie in mein Posteingangsfach bugsierten Schriftstücke durchzusehen, Emails zu beantworten und mich mit nervigen Pferdebesitzern am Telefon herumzuschlagen.
Immer wieder sehe ich sehnsüchtig zur Tür und hoffe, dass Maik mich noch einmal unter irgendeinem Vorwand besucht.
Andererseits bin ich froh, dass er es nicht tut, denn es zeigt, dass er mir doch endlich vertraut, was Lu angeht.
Zumindest in dem Punkt, der seine eigene Sicherheit betrifft.
Ich bin heute um halb sechs abends mit Lu verabredet, wieder im Salon.
Als ich mich nach getaner Arbeit auf den Weg zu ihm mache, spüre ich ein leicht flaues Gefühl in der Magengegend. Betrüge ich Maik damit um irgendetwas?
Wäre es besser, ich würde ihm sagen, dass ich wieder täglich den Arsch für Lu hinhalte?
Ich schüttle diese Gedanken aus meinem Kopf. Es nutzt nichts, mir jetzt selbst noch ein schlechtes Gewissen einzureden.
Was ich tue, habe ich seit Jahren getan und das vollkommen unabhängig von Maik!
Aber ... jetzt bin ich mit ihm zusammen, bin sein Freund, Partner, wie auch immer man das nennen will ...
Mit einem tiefen Durchatmen betrete ich den Salon durch die offen stehende Tür und schließe sie hinter mir.
„Ich bin da.“ Ja, sehr sinnvoll, das noch zu verkünden, wenn er mich schon sieht, aber irgendwie bin ich nervös. Woher kommt das denn?
Er erhebt sich und nickt zu dem Diwan am Kamin. Sein eindeutig bevorzugter Ort, um mich zu benutzen.
Hm, benutzen ... Seitdem ich weiß, wie es sich anfühlen kann, stattdessen geliebt zu werden, fällt es mir schwer, noch so locker darüber hinwegzugehen, wie ich es in den letzten Jahren getan habe.
Ich versuche, nicht an Maik zu denken.
„Zieh dich aus, ganz.“
Ich leiste Folge, natürlich. Lus Tonfall erleichtert es mir, meine Gedanken an Maik abzustellen. Sie gehören nicht hierher. Das mit Maik ist zu wertvoll, um hier an diesem Ort und in dieser Situation erörtert zu werden.
„Leg dich auf den Rücken.“ Ich mustere ihn erstaunt und lege mich hin, an die eine Lehne gestützt, die der Divan am Kopfende besitzt. Meine Beine strecke ich, wenigstens jetzt noch, lang von mir über die Liegefläche.
Lu zieht sich ebenfalls ganz aus. Wird ja immer ungewöhnlicher hier! Ich sehe, dass er auf dem kleinen Nussbaumtischchen neben dem Divan bereits Kondome hingelegt hat.
Sein Schwanz steht noch nicht ganz, als er seine Hosen hinabschiebt und über die Lehne eines Sessels legt. Er setzt sich rittlings hin und schiebt meine Beine angewinkelt an meinen Leib. Sein Blick gleitet über meinen Körper, er ist mir unangenehm. Ich schlucke hart und überlege, wie ich das hier beenden kann.
Utopisch, nichts wird ihn davon abhalten, mich gleich zu ficken. Er rückt näher heran. „Halt deine Beine fest und sieh mich an.
Natürlich tue ich das, was bleibt mir anderes übrig? Jede Verzögerung meinerseits wird das hier nur länger andauern lassen. Dabei will ich nur hier weg.
Mein Schwanz liegt ohne nennenswerte Erregung auf meinem Bauch, ich werde mich nicht darum kümmern, ihm irgendeine Form von Lust vorzuspielen. Aber das will er ja auch gar nicht. Vom ersten Mal an hat er immer darauf bestanden, dass ich ihn anbettele, mich loszulassen, vorsichtiger zu sein, mich gehenzulasse n .
Eben genau das, was er braucht, um geil zu werden.
„Freust du dich schon?“, fragt er und grinst süffisant, während er seinen Schwanz festhält und gegen meinen Damm schlägt.
„Bitte nicht!“, murmele ich und zum ersten Mal meine ich es so. „Bitte lass mich gehen.“
Er legt den Kopf schräg und schürzt die Lippen, als würde er tatsächlich darüber nachdenken.
„Hm, nein. Aber wir werden die Spielregeln etwas ändern. Heute kommst du nicht mit einem Fick davon.“
Ich hoffe inständig, dass er mir den Schrecken nicht ansieht. Mehrmals? Seit wann kriegt er das denn hin?
„Du hast was geschluckt?!“, frage ich und es klingt zu panisch. Wenn er wüsste, wie echt mein Unbehagen ist!
Er nickt und leckt sich über die Lippen. „Es wirkt gleich ... Keine Sorge, dein Loch wird schon nicht bluten ... Immerhin bist du doch im Training ... obwohl ich zwei Wochen lang nicht hier war und ich dich gewarnt habe ...“ Seine Stimme klingt jetzt nicht mehr so harsch wie vorhin, eher sanft und zu weich.
Meine Brauen ziehen sich zusammen. Was ist mit ihm los?
„Ich habe einen Dildo benutzt, Lu. Wenn ich mich täglich von dir ficken lasse, riskiere ich ganz sicher keine Fissuren deswegen.“
Er nickt wieder und sieht bohrend in meine Augen. „So schöne Augen, Kim ...“
Er streckt die Hand nach meinem Gesicht aus, streicht über meine Wange und versetzt mich damit in eine Art erstaunte Starre.
Was wird das denn jetzt?
„Kannst du mich nicht einfach ficken, damit ich es hinter mir habe?“, frage ich und klinge bettelnd. Ganz so, wie er seine kleine Hure haben will.
„Ja, das sollte ich tun. Ist deine Fotze denn weit genug?“ Er dringt mit einem Daumen in mich ein, ohne jedes Gleitmittel. Trotzdem dürfte ich das nicht merken. Nicht den Druck, der sich in mir aufbaut, und erst recht nicht das unangenehme Ziehen.
Scheiße! Wo ist die Negation hin? Mein Schutzwall, die Taubheit, die mich all die vielen Male so gut vor seiner perversen Spielart beschützt hat?!
Er bewegt sich in mir und nickt, hält die ganze Zeit meinen Blick gefangen. Ich will die Augen schließen und versuche, tief durchzuatmen. Er zieht sich zurück und streift ein Gummi über seinen mittlerweile steinharten Schwanz, nur um ihn Augenblicke später rücksichtslos in mich zu rammen.
Mein Schmerzensschrei bricht ab, weil mir die Luft wegbleibt. Das hier ist nicht normal, es ist nicht in Ordnung!
Aber während mein Hintern in schmerzhaften Flammen steht, hält er meine Reaktion für normal.
„Bitte ... hör auf!“, höre ich mich flehen und klinge selbst für mich fremd.
„Ich habe doch noch gar nicht angefangen.“
Ich schließe die Augen, bis er mich zwingt, sie wieder zu öffnen. Versuche wirklich, mich zu entspannen, aber wie entspannt man sich, wenn man Schmerzen hat?
Er stößt sich tief in mich, harte, ruckartige Bewegungen, die noch immer brennen und ziehen. Es ist kein unerträglicher Schmerz, kein Reißen. Aber das, was ich spüre, ist so viel mehr als ich jemals bei ihm gespürt habe!
Was er mir antut, dauert eine gute halbe Stunde und doch kommt es mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich mich hastig anziehen und flüchten kann.
Ich bin verstört, fühle mich dreckig und einfach nur Scheiße, als ich über die Treppe hinab auf den Hof laufe und mich in meiner Wohnung verschanze.
Duschen, sofort! Ich weiß, dass Maik in ein paar Minuten hereinkommen wird. Er holt die Weidegänger rein.
Ich bin froh darüber, besonders, als ich mich aus dem Augenwinkel im Spiegel sehe, während ich zur Dusche haste.
Ich bin leichenblass und zittere. Ist mir kalt? Ich weiß es nicht. Ich bemerke das Ziehen und den Druck nicht mehr, das Brennen lässt auch nach, aber ... verdammt wieso habe ich überhaupt etwas gespürt?!
Fröhlich pfeifend betrete ich nach einem Rundumblick und einem Klopfen Kims Wohnung.
Er steht in der Küche und kümmert sich um das Abendbrot. Er zuckt zusammen und wirft mir einen forschenden, schnellen Blick zu, bevor er sich wieder außerordentlich mit dem beschäftigt, das er auf dem Schneidebrett gerade in Mus verwandelt. Ich trete näher, nachdem ich meine Stiefel ausgezogen habe, und blicke interessiert über seine Schulter. Ich glaube, das sollten mal Tomaten sein, jetzt sieht es eher aus wie Tomatenmark.
Ich seufze leise, lasse meine Arme um ihn gleiten und schnappe mir seine Handgelenke. Das Messer nehme ich ihm ab, dann ziehe ich ihn an mich.
„Was ist los, Baby?“, frage ich leise, und bevor ich es richtig begreife, hat er sich losgemacht und zu mir herumgedreht. Sein Kopf liegt an meiner Schulter und er zittert erbärmlich!
Der Duft seines Duschgels steigt mir in die Nase, er trägt T-Shirt und Jeans, keine Socken.
„Hey, Baby, was ist passiert? Du zitterst ja!“ Meine Stimme kippelt ein wenig, ich bin unsicher, ob ich schon wieder irgendwelche Scheiße gebaut habe, aber da wir uns seit dem Mittagessen nicht gesehen haben, ist das unwahrscheinlich.
„Nichts, ich ... Halt mich einfach fest, ja?“
Klar! Wenn nicht dich, wen dann, Kleiner?!
Ich drücke ihn an mich, küsse seine Schläfe und warte einfach ab, bis er sich beruhigt. Meine Hände streicheln über seinen Rücken, seine Arme sind angewinkelt und liegen ebenso an meiner Brust wie sein Oberkörper. Er tut mir leid.
Was auch immer mit ihm ist, ich würde es ihm gern nehmen.
„Danke“, murmelt er, ohne mich anzusehen, als er sich von mir losmacht. Er atmet tief durch und strafft die Schultern, dann hebt er den Blick und ein ganz kleines Lächeln umspielt seine schönen Lippen.
„Es geht wieder. Ich war ... ziemlich durch den Wind ...“
Ich deute auf das Schneidbrett und das Tomatenmus. „Sehe ich. Ist es jetzt wieder besser?“
Er nickt und streckt sich, um mich zu küssen. „Ich mache das hier jetzt noch mal, in der Zeit kannst du dich umziehen, wenn du magst.“
„Gute Idee, ich rieche nach Pferd und Stall, fürchte ich ...“ Mein schiefes Grinsen reizt ihn dazu, sich noch einmal an mich zu hängen und zu küssen.
„Du riechst perfekt. Das hier ist pures Aphrodisiakum für mich.“
„Was ‚das hier‘?“
Er piekst in meine Rippen. „Das zuckende Etwas hier. Etwa einsneunzig groß, muskulös, sexy, endlos lange Beine mit Muskeln an den richtigen Stellen, die allergeilsten Augen der Weltgeschichte, strubbeliges braunes Haar und die sinnlichsten Lippen, die ich jemals geküsst habe ...“
Seine Aufzählung klingt albern und übertrieben, aber genau das gefällt mir. Ich bin etwas verwundert über diesen krassen Stimmungswechsel, aber ich ziehe es vor, ihn nicht jetzt zu hinterfragen. Schlechte Laune kriegt man oft genug von allein und ich bin froh, dass er nicht mehr so niedergeschlagen ist wie eben noch.
„Ich liebe dich, du schamloses Lügenmaul!“, flüstere ich gegen seine Lippen und küsse ihn, um danach in Richtung Bad zu verschwinden. Natürlich liegt ein Teil meiner Klamotten hier unten. Allein schon, damit ich nicht ständig nach oben schleichen muss. Das wäre wohl deutlich auffälliger, als zum Abendessen hier einzufallen.
Möglicherweise beobachtet van Keppelen uns doch. Auch wenn er Kim die Lüge mit Jeremy als meinem Freund abgekauft haben sollte.
Er ist eifersüchtig und besitzergreifend. Ich habe Theodoras Warnung nicht vergessen.
Unter der Dusche denke ich darüber nach, dass ich sie wohl wirklich fragen muss wegen der Fotos.
Will ich wirklich wissen, ob mein Vater wie Kim seinen Arsch für van Keppelen hingehalten hat?
Wenn ich alles verstehen will, was vor 25 Jahren passiert ist, werde ich das wohl müssen ...
Zurück in der Küche stellt mir Kim einen Becher Kaffee und ein Glas mit Cola hin. Ich bedanke mich seufzend und lasse mich auf einen Stuhl fallen, der seit meinem ersten Frühstück vor knapp drei Wochen schon mein Stammplatz ist.
„Ich werde das hier vermissen“, entfährt es mir. Ich habe nicht vergessen, dass ich in fünf Wochen abreisen werde.
Kim reagiert auf meine wenigen Worte, indem er das Messer fallenlässt, welches klirrend auf den Boden fällt. Er sieht mich an, danach starren wir beide auf das Messer, das zappelnd liegenbliebt.
„Was wirst du vermissen?“, hakt er nach, während er sich bückt und das Messer aufhebt, um es am Waschbecken abzuspülen.
„Das hier mit dir. Dieses Zusammensein, das Lockere, die liebgewonnene Gewohnheit. Dich.“
„Hast du vor, bald zu gehen?“ Er bemüht sich um eine ruhige Stimme.
Ich hebe die Schultern. „Irgendwann werde ich das müssen, Kim. Spätestens in fünf Wochen, denkst du nicht?“
Er kommt zu mir und sieht mich ernst an. „Nur, wenn du nicht bleiben willst.“
„Es ist keine Frage meines Willens, Kim. Das weißt du.“
Er reibt sich über die Stirn und nickt. „Ja, ich weiß. Aber ich verdränge so einiges zurzeit. Bitte sei mir nicht böse, wenn ich darüber nicht nachdenken will.“
Ich muss lächeln. Der Logikfreak Kim will nicht darüber nachdenken, dass ich irgendwann nach England zurück muss?
„Was gibt es heute eigentlich?“, lenke ich ab und er sieht mich dankbar an.
„Ich wollte Salat machen, aber ich glaube, weil ich die Tomaten schon so atomisiert habe, kann ich besser Nudeln kochen und eine Soße dazu machen.“
„Klingt nach einem Plan!“ Ich lache leise und stehe wieder auf, um ihm zu helfen.
Tatsächlich ist das, was wir später essen, erstaunlich lecker, aber das könnte auch daran liegen, dass meine Gedanken nicht ganz bei der Sache sind.
Immer wieder beobachte ich Kim, der zwischenzeitlich wieder stocksteif dasitzt und schweigt, seine Gabel über dem Teller verharrend.
Ich weiß einfach nicht, was ich dagegen tun könnte, deshalb schlage ich vor, noch auf der Dachterrasse in den Himmel zu sehen, ein wenig zu kuscheln. Er nimmt meine Idee derart begeistert und enthusiastisch auf, dass ich erneut Zweifel hege, ob es ihm wirklich gut geht.
Der Himmel ist klar, über uns breitet sich die Milchstraße gut sichtbar aus und ich genieße es, Kim dabei eng an mich geschmiegt festhalten zu können. Sterne haben die faszinierende Eigenschaft, mir jedes Mal zu vermitteln, wie winzig klein und unbedeutend ich bin. Wie unwichtig es ist, was ich tue.
Also, universell betrachtet. Dagegen spüre ich mit jeder Minute in Kims Nähe, wie wichtig jede einzelne meiner Handlungen für ihn, für uns, ist.
Wohl auch für mich. Ich denke daran, wie lange ich schon auf Rache sinne. Wie lange ich Ludwig van Keppelen schon zur Strecke bringen will.
Ein kleines Murren entkommt meiner Kehle und Kim sieht mich fragend im Halbdunkel des Abends an.
„Was ist los?“
Ich lege meine Lippen an seine Stirn und zwinge mich zu einem Lächeln. Wozu soll ich ihm begreiflich machen, wie zerrissen ich innerlich bin wegen van Keppelen?
Dieser Scheißkerl ist durch seine Handlungen, damals wie heute, so eng mit meinem Leben verbunden, dass es mir Angst macht. Früher stand er in Verbindung zu meinem Vater, heute zu meinem Freund.
Ich lache leise auf, von wegen Freund! Kim ist, ob er und ich das nun will oder nicht, deutlich mehr als das. Er ist mein Perfect Match , mein Mister Right – über alle Widrigkeiten hinweg.
Und genau dieser Gedanke schafft es, mich aus meiner Grübelei zu reißen.
„Wollen wir ins Bett gehen?“ Kim gähnt verhalten und wirkt nicht sauer, weil ich seine Frage einfach ignoriert habe. Ich drücke ihn an mich und nicke.
„Ja, sollten wir.“ Ein wohliger Schauder durchläuft mich, als ich in sein Ohr flüstere: „Ich möchte deine Haut an meiner spüren ...“
Großputz und Routine, zwei Dinge, die mir heute helfen werden, das Chaos in meinem Inneren zu besänftigen, vielleicht auch einfach nur auszublenden.
Ich würde Maik so gern sagen, was ich gestern erlebt habe, mich von ihm trösten lassen und dabei das schleichende Unwohlsein aus meinem Kopf verbannen. Aber das kann ich nicht, denn ich müsste ihn dazu mit der Nase darauf stoßen, dass Lu mich wieder ...
Mit einem Seufzen wende ich mich ab und bringe die ersten beiden Pferde auf die Weide.
Als ich zurückkomme, sehe ich erstaunt, dass Lu in der Stallgasse steht und mit Maik redet. Meine Schritte stocken, ich muss mich richtig zusammenreißen, doch schließlich bleibe ich neben den beiden stehen.
„… sicher ganz schön, wenn du etwas mehr vom Feuerried siehst, als nur den Turnierstall und die Reitplätze“, sagt Lu gerade.
„Guten Morgen“, grüße ich. Maik hat mich kommen sehen, er hält Jazira und Lemonboy an Führstricken, um sie ebenfalls hinauszubringen. Dabei muss Lu ihn aufgehalten haben.
„Ah, guten Morgen, Kim!“ Lu dreht sich zu mir. „Ich habe Maik gerade zum Mittagessen eingeladen und werde heute Nachmittag mit ihm ausreiten. Das dürfte heute ja nicht das Riesenproblem sein.“
Ich nicke zögernd. „Stimmt. Welche Pferde werdet ihr nehmen?“
„Ich habe gerade erfahren, dass Maiks Stute doch noch hergebracht wurde. Deshalb werde ich Bernoldo nehmen.“
„Klingt gut! Dann wünsche ich euch viel Spaß.“ Es kostet mich einiges, so neutral zu klingen. Immerhin versetzt mich diese Neuigkeit in ein gewisses Unbehagen.
„Danke“, sagen beide zeitgleich und ich bemühe mich, Maik nicht zu lange anzusehen.
„Gut, dann sage ich den anderen Bescheid, dass sie ab Mittag allein sind.“ Ich gehe an beiden vorbei und höre im Weggehen viel zu aufmerksam zu, was sie noch sagen.
„Dann sehen wir uns um zwölf im Speisezimmer?“, hakt Lu nach und ich merke, dass sie meine Hände zu Fäusten verkrampfen.
„Ja, gern. Ich freu mich.“
Meint Maik das ernst?! Verdammt, ich muss mich beruhigen. Lu darf auf keinen Fall mitbekommen, wie sehr mich diese ‚Verabredung‘ zwischen den beiden auf die Palme bringt.
Immerhin dürfte diese Jeremy-Lüge ihn ein wenig schützen. Lu wird sich hoffentlich benehmen und Maik nicht mit irgendwas provozieren.
Immerhin, so gut kenne ich meinen Freund dann doch – sollte Lu sich irgendwie fies äußern, wird Maik schnell überreagieren.
Die Vorstellung macht mir nun doch ein wenig Angst, aber vielleicht sehe ich Gespenster und Lu will wirklich nur mehr über den Sohn des Mannes herausfinden, den er vor über einem Vierteljahrhundert so schrecklich verunglimpft hat.
Meine Schritte tragen mich in die Sattelkammer und ich atme ein paarmal tief durch, um mich zu beruhigen und meine Hände zu entkrampfen. Es dauert einige Augenblicke, sogar erstaunlich lange, wenn ich bedenke, dass Maik irgendwann plötzlich vor mir steht und mich ansieht.
„Hab keine Angst, Kim. Er will doch nur essen und ausreiten.“ Er tritt näher auf mich zu und seine Hände legen sich an meine Schultern. „Ich verspreche, ich passe gut auf mich auf und werde mein loses Mundwerk so gut ich kann zügeln.“
Ich nicke abgehackt und blicke in seine Augen. „Ist gut.“
„Hey ... Ich bin schon groß. Für mich bietet das eine Gelegenheit, ihn ein wenig auszuhorchen ... Die Sprache wird sicher auch auf meinen Vater kommen. Vielleicht erfahre ich endlich mehr!“
Ja, das ist möglich, wenn auch unwahrscheinlich. Lu ist nun wirklich keine Plaudertasche. Trotzdem nicke ich und bemühe mich um ein Lächeln. „Solange du dabei bleibst, dass Jeremy deine große Liebe ist, wird es gutgehen.“
„Das ist die größte Lüge meines Lebens, weißt du das eigentlich?“ Er murmelt es nur und doch jagen seine Worte mir eine angenehm kribbelnde Gänsehaut über den Körper. Mein Lächeln wird breiter.
„Ich vertraue dir.“
Er nickt und nimmt Abstand. „Da kommt jemand.“ Lauter setzt er hinzu: „Ich gehe dann jetzt in den Quarantänestall, Boss.“
Ich sehe ihm nach und presse die Lippen aufeinander. Ablenkung, ich muss etwas tun, um meine Gedanken zu beruhigen.
~*~
Als Maik um kurz vor zwölf in seiner Wohnung verschwindet, um sich zu waschen, habe ich Mühe, meine Gefühle zu verbergen. Erst in einer Stunde werden die anderen Arbeiter und ich in die Gesindeküche gehen. Lu muss bei Theodora schon länger angekündigt haben, dass er heute zwei Portionen extra und deutlich eher benötigt.
Mieser Scheißkerl! Maik hat schon recht, wenn er das sagt.
Ich frage mich, ob wirklich ich derjenige bin, der an dem Deal gewinnen wird. Wie weit gehen Lus Intrigen, wenn er den Sohn seines früheren besten Jockeys zuerst hierher holt und dann auch noch besser kennenlernen will?
Oh ja, ich bin davon überzeugt, dass das Gespräch der beiden sich auch um Justin drehen wird. Maiks Vater versteckt sich nicht grundlos seit 25 Jahren vor Lu. Er hat ganz sicher auch nicht aus Spaß damit angefangen, sein Haar zu färben und Kontaktlinsen zu tragen!
Maik ist hier einer wirklich großen Sache auf der Spur, deren Anfang und Ende nicht absehbar sind.
Vielleicht kann ich Theodora heute zum Reden bringen?
Diese ganzen Spekulationen, dazu meine Ängste, das kann einfach nicht gutgehen! Davon abgesehen traue ich Lu zu, trotz seines Glaubens, Maik sei anderweitig in festen Händen, von mir zu reden. Er hat schon einmal seine Besitzansprüche geltend gemacht. Ein unwilliges Schütteln durchläuft mich, wenn ich nur daran denke.
Ich verkrieche mich im Quarantänestall und wische mit einem Stallbesen die Spinnweben von den offenen Balken und den Boxengittern. Ich will nicht sehen, wie Maik zu ihm ins Haus geht, auch nicht, wie sie anschließend ausreiten werden.
Es gefällt mir nicht, dass sich diese Begegnungen zwischen Lu und Maik in meiner Abwesenheit stattfinden werden, dass ich keinen Einfluss nehmen und Maik im Notfall beschützen kann.
Das Speisezimmer habe ich bisher noch nie betreten, aber immerhin hat er mir noch gesagt, wo ich es finde. Nun gehe ich hinein und überlege, ob ich mich doch noch hätte umziehen sollen.
Nein, alles prima, van Keppelen trägt jetzt auch Reitklamotten und winkt mich durch den Raum zu sich.
„Ah, Maik! Komm, setz dich, Theodoras fleißige Gehilfin hat eben alles heraufgebracht.“ Er deutet zum Tisch und auf den Rollwagen, auf dem eine große Terrine mit Deckel und ein Korb mit Brot stehen. Klar, heute ist Samstag, da gibt es durchaus auch mal einen Eintopf.
Er stellt beides auf den Tisch und setzt sich, als auch ich Platz nehme.
„Bedien dich, Maik.“
Er ist nett – irgendwie seltsam, oder? Wie soll ich jemandem böse sein, der so freundlich ist? Ich meine, ich sehe seit drei Wochen, dass seine Mitarbeiter in einem wahren Paradies arbeiten, dass niemand hier zu Niedrig- oder gar Hungerlöhnen arbeiten muss. Das hat Kim mir verraten und ich finde es gut. Wenn ein Unternehmen derart wirtschaftlich betrieben werden kann, wundert es mich nicht, dass alle am Wachstum und der Produktivität teilhaben können.
Trotzdem bleibt es erstaunlich, denn von wem kann man das Sparen besser lernen als von den Reichen?
Und das ist er, schwerreich sogar. Ich sehe ihn an und wünsche einen guten Appetit, bevor ich mir eine der dick geschnittenen Baguettescheiben nehme und zu essen beginne.
„Nun hast du schon drei Wochen hier verbracht, gefällt es dir noch immer?“, eröffnet er das Tischgespräch und ich nicke.
„Sehr! Ich finde toll, wie reibungslos und angenehm, alles abläuft. Den Tieren geht es super, den Mitarbeitern auch, das ist eine echte Seltenheit ... Man ist versucht, Sie für einen Philanthropen zu halten, Herr van Keppelen.“
Er lächelt. „Du kannst mich ruhig duzen, ich heiße Ludwig, aber das weißt du.“
Oh, na, das wird es mir noch einmal schwerer machen, den nötigen Abstand zu wahren. Es ist auch ohne dieses Angebot schon nicht einfach, mir ständig zu vergegenwärtigen, dass dieser Mann all meinen Hass verdient.
„Danke“, sage ich und lächle.
Er nickt und winkt ab. „Schon okay. Aber wieso denkst du, ich sei ein Philanthrop?“
Ein Schulterzucken, ein Grinsen. „Na ja, irgendwie ist dieses Gestüt so etwas wie der perfekte Platz für alle. Ich bedaure in manchen Momenten, dass ich nur noch ein paar Wochen hier sein kann ...“
Oh ja, und das aus ganz anderen Gründen, als du denkst!
„Du studierst Tiermedizin, hm, es wäre vielleicht gar keine schlechte Idee, endlich einen eigenen Tierarzt hier auf dem Gestüt zu haben ...“ Er schürzt die Lippen nachdenklich und ich spüre, wie meine Augen tellergroß werden.
Das kann er doch nicht ernst meinen! Wieso sollte er einen solchen Gedanken mir gegenüber äußern? Wieso sollte er mir den Mund wässrig machen mit dieser Idee?
Er lacht leise, als er meinen Unglauben bemerkt. „Hältst du diese Vorstellung für so undenkbar?“
Ich muss schlucken, bevor ich antworten kann. „Nein, ich ... äh ... Aber ein eigener Tierarzt hätte hier doch ziemlich wenig zu tun ...“
„Wie man es nimmt. Wenn ich darüber nachdenke, wie oft Doktor Becker-Willmann sich hier auf dem Gelände herumtreibt ...“ Er schüttelt den Kopf. „Nein, es wäre tatsächlich gar keine schlechte Idee, denn sie ist mindestens dreimal in der Woche auf dem Feuerrie d. “
„Aber das würde bedeuten, sie hätte ansonsten nicht viel zu tun ...“, gebe ich zu bedenken. Das würde mich persönlich nämlich irre machen. Auch wenn ich die Zeit sicherlich gut zu nutzen wüsste, wäre es einfach nicht das, was ich wollen würde. Ich habe nicht studiert, um anschließend mehr oder weniger halbtags als Tierarzt zu arbeiten.
„Je nachdem, im Grunde spräche nichts dagegen, in einem der Nebengebäude eine Praxis einzurichten ...“
Ja, er ist mir unheimlich. Was genau bezweckt er denn mit solchen lauten Überlegungen einem Ferienjobber wie mir gegenüber?
„Ich weiß nicht, würde das nicht zu großen Publikumsverkehr auslösen? Die ganzen kranken Tiere, die dann hier auf das Gelände gebracht würden, könnten die teuren Pferde in Gefahr bringen.“
„Das ist ein Aspekt, da gebe ich dir recht.“ Er winkt ab. „Aber das muss so oder so Kim entscheiden.“
„Wieso Kim?“ Ja, Maik, stell dich doof, gut machst du das!
„Er ist der Gestütsleiter, davon abgesehen wird er in ein paar Monaten auch der Eigner sein.“
Bamm, das hat er mir doch jetzt nicht wirklich erzählt? Allein die Tatsache, dass ich niemals mit einer solchen Aussage gerechnet hätte, sorgt dafür, dass ich ihn überrascht anstarre und damit voll in meiner unwissenden Rolle bleiben kann. Schwein gehabt!
„Was?!“, bringe ich hervor und ernte ein Nicken.
„Kim ist mein Erbe, wenn man so will. Ich habe Pläne gefasst, mich zu meinem kommenden Geburtstag zur Ruhe zu setzen und all das hier“, er macht eine umfassende Geste mit beiden Händen, „hinter mir zu lassen.“
Ich schlucke. „Das ist Ihr ... dein Ernst? Aber wieso? Ich meine ...!“
Van Keppelen nimmt sich ein weiteres Stück Brot und tunkt es gedankenverloren in seinen Eintopf . „Ich war lange genug an diesen Hof gekettet.“
Das klingt bitter, voll krass! Wieso will er das überhaupt? Immerhin ist er doch hier groß geworden und hat im Grunde sein ganzes Leben hier verbracht ... andererseits scheint genau das sein Problem zu sein ...
Aber ich merke auch, dass er nicht mehr dazu sagen wird, weshalb ich nur nicke und mich meinem Teller widme. Die Linsensuppe ist genauso lecker wie alles andere, das Theodora mir hier bislang aufgetischt hat.
„Wieso Kim?“ Die Frage entschlüpft mir, bevor ich darüber nachdenken oder sie zurückhalten kann. Ich habe sie nicht gedacht, nur gefühlt.
Erschrocken starre ich auf meinen Löffel. Van Keppelen reagiert nicht sofort, aber er scheint meine Frage verstanden zu haben.
„Er ist fähig und vermutlich der beste Nachfolger, den ich hätte finden können. Ich habe keine Kinder und er ist ... geschäftstüchtig und rational genug.“
„Hm“, mache ich nur.
Er lächelt mich an. „Du hältst ihn für zu jung.“
„Nein. Ehrlich gesagt bin ich immer wieder erstaunt, wie cool er all das hier managt. Ich glaube, ich würde mir das nicht zutrauen in seinem Alter.“
Van Keppelen nickt erneut. „Er ist schon etwas Besonderes. Und das nicht nur in Sachen Gestütsleitung ...“
Ah, nun kommt also das leidige andere Thema? Das, welches mich provozieren kann wie kein anderes?
Ich beschließe scho n, nicht darauf zu reagieren. Er dürfte noch so gut wie ich wissen, dass ich Zeuge dieser widerlichen Aktion in Kims Büro geworden bin. Aber genau diese Szene ist der Grund, wieso ich doch etwas sagen muss.
„Ich dachte, du und Kim ...?“ Fragend sehe ich ihn an.
„Du meinst, wir sind – im Geheimen – ein Paar?“
Zögernd nicke ich. „Ja, schon ...“
Letztlich ist das etwas, das ich nach seiner Aktion doch glauben müsste, wenn Kim mich nicht sehr schnell aufgeklärt hätte ...
„Ich liebe ihn, wenn du das meinst, aber ganz so einfach sind die Dinge nicht gelagert.“
„Hm“, wiederhole ich geistreich und überlege, wie ich anknüpfen kann. „Aber wenn du den Hof verlassen willst, müsste er doch mitgehen?“
„Wie gesagt, es ist etwas komplizierter.“
Ja, ganz offensichtlich. Aber es ist nicht logisch, zumindest nicht das, was ich nun von ihm weiß. Dennoch fürchte ich, dass ich in Wahrheit trotz aller zusätzlichen Informationen noch keine Ahnung habe, wie kompliziert es wirklich ist.
Wir essen und reden über andere Themen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Kein einziges Mal fällt der Name meines Vaters. Ich beschließe deshalb, als ich meine Mahlzeit beende, ihn nachher draußen beim Ausritt darauf anzusprechen.
Im Stall erwartet uns das übliche Samstagsnachmittags-Chaos des Großputzes und ich sammle Möhrchen von der Weide ein, während Tom Bernoldo holt, der auf einer anderen Weide steht.
Ich sehe mich suchend und möglichst unauffällig nach Kim um, kann ihn jedoch nicht finden. Vielleicht hat er sich verkrochen und will uns nicht zusammen wegreiten sehen. Ich habe nicht vergessen, welche Angst er um mich hat, mag sie aus meiner Sicht auch noch so unbegründet sein.
Als ich auf Möhrchen aus dem Quarantänestall komme und über das letzte Stück Einfahrt zum Hof reite, kommt van Keppelen aus dem Gutshaus und nickt mir zu.
„Wenn Bernoldo startklar ist, kann es gleich losgehen!“, verkündet er mit offensichtlich guter Laune und verschwindet durch das stirnseitige Haupttor im Turnierstall.
Nur Augenblicke später führt er den zierlich wirkenden Schimmel am Zügel zur Aufstiegshilfe und sitzt auf.
Der Weg führt uns, wie eigentlich immer, wenn man ausreiten will, an der Reithalle und zwischen den Außenreitplätzen entlang. Dort sehen wir zeitgleich Kim auf Jazira. Er reitet gerade im Galopp auf dem Zirkel und sieht uns nicht, dafür kann van Keppelen sich aber einen Kommentar nicht verkneifen.
„Erstaunlich, dass ein Mann so viel Talent besitzt und es nur für das Training der Tiere nutzt, nicht wahr?“
Ich sehe ihn fragend an.
„Kim. Er hat einen untrüglichen Instinkt für Pferde. Ich kannte früher einmal einen anderen Pferdeflüsterer, aber manchmal glaube ich, Kims Fähigkeiten sind noch eindrucksvoller.“
Ich sehe ihn aufmerksam an, während er mir von dem Zaununfall mit dem Superhengst Caligula erzählt. Ich kenne die Geschichte schon von Kim, natürlich, aber ebenso natürlich kann und werde ich das nicht sagen.
„Er hat sogar drei eigene Pferde hier stehen, aber das weißt du sicher. Sphinx ist sein Liebling. Ich wollte sie verkaufen, weil sie weder für den Unterricht noch für Turniere taugt, seitdem sie an der Wirbelsäule operiert wurde. Aber er wollte sie unbedingt behalten und hat sie mir abgekauft.“
„Und die anderen? Woher hat er Lemonboy und Mirabeau?“
„Lemonboy stammt von einer Auktion, zu der ich ihn mal mitgenommen habe. Er hat sich in den Wallach verliebt und ich habe ihn ihm geschenkt. Und Mirabeau ... Er war irgendwann mal im Urlaub, frag mich nicht, wo. Als er zurückkam, fuhr er gleich wieder los und brachte den Hengst mit.“ Van Keppelen kichert und wir setzen unseren Weg fort. „Kim ist viel mehr Philanthrop als ich, Maik. Und doch denke ich, wird er das Feuerried noch berühmter machen als ich.“
Die Bewunderung in seiner Stimme verwirrt mich. Was soll ich davon halten? Mag er Kim wirklich so gern? Ist das alles wieder nur ein Spiel? Ein Test, um zu sehen, ob ich mich verplappere und erkennen lasse, dass ich viel mehr weiß?
„Du sagtest, du kanntest noch einen Pferdeflüsterer ... Ich weiß nicht, also ganz abgesehen davon, dass ich nun mal Tiermedizin studiere, halte ich das doch für ... utopischen Wunderglauben, um es vorsichtig zu sagen.“
Tue ich natürlich nicht, aber unerklärlich und mysteriös bleibt es für mich auf alle Fälle.
Es sieht nicht so aus, als wolle er antworten. Ludwig mustert mich durchdringend, auch ein wenig zweifelnd, doch dann sagt er: „Wie heißt dein Vater, Maik?“
„Justin, wieso?“ Genau, immer schön unschuldig tun ...
„Ich war mir nicht sicher, als ich deine Bewerbung gesehen habe.“ Er nickt vor sich hin.
„Spielte das eine Rolle? Ich meine, bin ich deshalb hier? Weil die Möglichkeit bestand, dass ich sein Sohn bin?“
„Ich war neugierig. Obwohl ich das zugegebenermaßen für Unsinn gehalten habe ... Bist du adoptiert?“
Ich runzle verwirrt die Stirn. Was ist denn das für eine blöde Frage?!
„Nein, wieso ...?“
Er winkt ab. „Schon gut. Nur so ein Gedanke. Erzähl mir von dir, wie und wo bist du aufgewachsen? Ich habe nicht vergessen, dass du sagtest, du kennst einige Gestüte.“
Hm, was mache ich jetzt? Ich kann ihm doch meinen Grandpa und dessen Gestüt nicht auf dem Silbertablett präsentieren!
„Auf einigen. Ich lebe in Nordengland. Was gibt es da seit Jahrhunderten noch mehr als Kohleminen und Gestüte?“ Ich hoffe, mein leicht ironischer Ton lenkt ihn weit genug ab.
Er lacht auf. „Ja, das ist wahr! Ich habe nicht gewusst, dass Just zurück in seine Heimat gegangen ist ...“
Was soll ich davon bloß halten? Dieser in die Ferne gerichtete Blick, das ganz leichte Lächeln, das seine Lippen umspielt ... Denkt er gerade wirklich so verklärt an meinen Vater?
„Wieso hast du dich ausgerechnet hier beworben, Maik?“ Seine Frage trifft mich unerwartet, obwohl sie so naheliegend ist wie keine andere.
„Ich war neugierig. Ich wollte sehen, wo mein Vater seine größten Erfolge erlebt hat ...“
„Ja, das hat er wohl. Bis er zu diesem heruntergekommenen Rennstall gewechselt ist.“ Jetzt klingt er hart und kalt. Da ist nichts mehr von der Weichheit in seinem Gesicht geblieben.
„Weißt du, wieso er das getan hat?“, frage ich vorsichtig und rechne gar nicht mit einer Antwort.
„Er war mein bester Freund, Maik. Dein Vater hat mir nie gesagt, wieso er gegangen ist.“
Das verwirrt mich jetzt. Er soll nie erklärt haben, wieso er gekündigt hat?
Ich schweige lange, van Keppelen ebenso, dann zeigt er mir einige sehenswerte Ausblicke über das Gestüt und ich merke, dass er nicht den Besitzerstolz zeigt, den ich erwarten würde. Mir fällt wieder ein, dass er beim Essen angedeutet hat, wie wenig er das Feuerried eigentlich mag.
In meinem Kopf sammeln sich die Fragen, von wilden Vermutungen gejagt, von den Dingen durcheinandergewirbelt, die ich durch Kim weiß, vollkommen verdreht durch das, was ich in van Keppelens Schlafzimmer gefunden habe.
„Wenn du deinen Freund nicht hättest, würdest du Kim wollen?“
Woah! Kann mir mal einer erklären, was solche Fragen sollen? Ich meine, was bezweckt er denn damit?!
„W-w-was?!“ Ich starre ihn an und blinzle ein paarmal, während er mich nachdenklich betrachtet.
„Jeremy, so heißt er doch? Also, wenn du ihn nicht hättest ...“
Ein seltsames Lachen quetscht sich durch meine Kehle. „Ob ich ...? Wieso sollte ich?“
Schulterzucken, keine Antwort. Ich merke erst spät, dass wir uns bereits auf dem Rückweg befunden habe n, und sehe mit einer gewissen Erleichterung das große Gutshaus irgendwo vor uns aufragen.
Ich freue mich regelrecht darauf, aus seiner Nähe und von diesem verrückten Gespräch wegzukommen.
Keine Chance, dass ich noch irgendwas erfahre, zuerst muss ich das sortieren, was in mir ist.
Ich muss mich echt zusammenreißen, um nicht vernehmlich aufzuatmen, als ich Lu und meinen sehr verwirrt wirkenden Maik wieder auf den Hof reiten sehe. Ich gehe ihnen lächelnd entgegen und nehme Lu den zierlichen Bernoldo ab.
„Na? Habt ihr das gute Wetter genießen können oder haben euch die Bremsen aufgefressen?“
„Nein, war alles gut!“ Maik springt von Möhrchens Rücken und grinst. Es sieht so gezwungen aus, dass ich mir einen Kommentar verbeißen muss. „Das Spray hat gewirkt.“
Ah, gut, dann werden wir das wohl wirklich dauerhaft zum Einsatz bringen. Aber jetzt nicht ablenken lassen.
„Kim, wir sehen uns in einer halben Stunde für die Besprechung?“, fragt Lu, klopft Bernoldo noch einmal auf den Hals und wendet sich nach meinem Nicken um.
Wieso hat er nicht, wie er es doch in Gegenwart von Maik bereits getan hat, klarer gesagt, was er will? Hätte nicht gedacht, dass er sich so eine Chance entgehen lässt ...
Ob das daran liegt, dass er denkt, Maik sei vergeben?
Ich meine, klar, ist er ja auch, nur eben nicht an Jeremy ... Ich kann ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. „Geht klar, Lu, Salon?“
„Genau. Bis gleich!“
Maik sieht mich stirnrunzelnd an, als ich Bernoldo in den Stall führen will.
„Du hast mir gar nicht gesagt, dass du noch ’ne Besprechung hast.“
Ja, ich weiß, hätte ich auch kaum gekonnt, weil ich bis gerade eben selbst nichts davon wusste! Ich sehe ihn an und nicke. „Bin heute irgendwie nicht dazu gekommen, es dir zu sagen. Ich denke, das wird ’ne Stunde dauern, wenn du magst, können wir heute trotzdem grillen, wie wir es geplant hatten.“
„Ja, gern. Ich bringe Möhrchen schnell rein, wenn ich länger brauche als du für Bernoldo, kannst du ja noch kurz nach hinten kommen ...“
Ich verstehe die Bitte darin nur zu gut. Letztlich ist sie unnötig, denn ich wäre so oder so noch zu ihm gegangen.
Mag sein, dass ich zu neugierig bin, vielleicht auch zu verliebt, aber ich will ihm nah sein, bevor ich zu Lu muss, um einmal mehr meine Beine für ihn breitzumachen.
Im Stall treffe ich auf Lukas, der mir Bernoldo abnimmt. Okay, das heißt, ich bin noch schneller bei Maik als erwartet.
Er hat Möhrchen gerade Sattel und Trense abgenommen und kommt mir mit beidem auf den Armen entgegen, als ich durch die Sattelkammern gehe.
„Bist du okay?“, frage ich mit gesenkter Stimme und helfe ihm, das Lederzeug an seinen Platz zu hängen.
Kaum liegt der Sattel richtig auf dem hölzernen Halter, zieht er mich an sich und umklammert mich so fest, dass ich ein überraschtes Keuchen nicht unterdrücken kann. Sein Gesicht liegt in meiner Halsbeuge und ich küsse seinen Nacken.
„Jetzt ja“, nuschelt er und reizt mich damit zu einem kleinen, glücklichen Auflachen.
„War es so schlimm?“
„Nein“, erwidert er und hebt den Kopf, um mich anzusehen. „Es war verwirrend, geradezu verstörend.“
„Aha?“
„Ich erzähle dir nachher alles, ja? Ist leider nicht so viel Neues dabei herausgekommen, wie ich gehofft hatte.“
„Dann kümmerst du dich um den Grill und machst den Salat?“ Es scheint mir ganz brauchbar, ihn ein wenig abzulenken.
„Ja, mache ich.“ Er neigt den Kopf und küsst mich, erst ganz leicht, doch wir scheinen das gleiche Gefühl zu haben und intensivieren den Kuss sehr schnell. Ich habe schon Angst, dass er mir in seiner hungrigen Gier in die Lippe beißt, aber er bringt das Kunststück fertig, mich mit der Wildheit seines Kusses schlagartig heftig zu erregen, ohne mir wehzutun.
Eine blutende Lippe hätte ich Lu wohl auch schlecht erklären können ...
Wir trennen uns erst voneinander, als Möhrchen sich durch unruhiges Getrippel auf der Stallgasse bemerkbar macht. Das schlechte Gewissen, das ich sofort verspüre, ist auch ihm deutlich anzusehen. Ich grinse.
„Dein Schoßhund will Aufmerksamkeit.“
„Die brauche ich auch, nachher, ganz viel!“, verkündet er und macht sich auf den Weg zu seinem Pferd.
Ich wende mich kopfschüttelnd um und gehe in meine Wohnung, um alles für das Grillen herauszulegen. Maik soll sich nicht halbtot suchen, nur weil ich den Kühlschrank nach einem ganz speziellen System einräume, an welchem er im Übrigen schon des Öfteren herumgemeckert hat.
~*~
Ich will den Schmerz vergessen, den Lu mir beschert hat. Blicklos starre ich auf den vor sich hinzischelnden Grill und die darauf liegenden Grillfackeln und Putensteaks.
Maik beobachtet mich, das weiß ich genau. Ich bin zum wiederholten Mal sehr froh darüber, dass ich nach den Treffen mit Lu nicht nach Sex stinke. Woher auch? Er erregt mich nicht!
Seine warme, große Hand legt sich auf mein Knie. Ich sitze, wie er selbst es auch macht, im Schneidersitz auf dem Terrassensofa. Mein Blick gleitet unstet auf die Hand, ich will sie wegschieben oder mich daran festhalten, kann mich aber nicht entscheiden und tue gar nichts.
Ich höre ein Seufzen von Maik, dann kommt er in Bewegung und nur Augenblicke später sitzt er hinter mir, seine Beine halb unter meine Knie geschoben, umarmt mich und zieht meinen Rücken an seine Brust.
Ich will losheulen und ihn von mir schubsen, doch wieder geht nichts davon. Das vorhin Erlebte hat mich paralysiert, einfach so.
Er streichelt mich, ganz sacht, ich muss an mir heruntergucken, um sicherzugehen, dass ich mir die Berührung nicht einbilde. In einem Reflex legen sich meine Hände auf seine, ziehen sie um meinen Leib, damit sie mich umarmen, mir Halt geben. Die Anspannung verlässt mich beinahe zeitgleich, ich sinke aus der steifen Haltung gegen seine Brust, lehne den Kopf seitlich an sein Kinn und habe Mühe, ruhig durchzuatmen.
Er sagt kein Wort, ist einfach da. Ich denke, genau deshalb hat die Starre mich verlassen.
Jedes Wort wäre jetzt zu viel. Egal ob darin Trost, Sorge oder eine andere Emotion mitschwingen würde.
Nein, mich wundert nicht, dass er so reagiert, scheinbar immer weiß, was ich gerade brauche.
Das ist diese vielbesungene, lobgehudelte und von allen als so sagenhaft gepriesene Liebe.
Ich schnaube leise.
Ist ja nicht so, als wüsste ich nicht seit einigen Tagen ganz genau, dass es diese ominöse Liebe wirklich gibt.
„Ich liebe dich“, bringe ich leise und mit kippender Stimme hervor. Das dazugehörige Zittern zu unterdrücken erscheint mir zu schwierig, zu kraftaufwändig.
Maik wird das verstehen, er ist für mich da. Sofort schießt mir die Frage durch den Kopf, ob das andersherum auch gilt. Bin ich für ihn da? Bin ich stark genug, um ihm den gleichen Rückhalt zu bieten, wenn es ihm schlecht geht?
Er dreht seinen Kopf ganz leicht, befreit eine seiner Hände von meinen und legt sie unter mein Kinn, um für Blickkontakt zu sorgen. Ich muss blinzeln, um seine schönen, jetzt dunkleren Augen zu fokussieren.
„Ich liebe dich auch, Kim. Und ich ertrage es gar nicht, dich so zu sehen. Kann ich irgendwas für dich tun?“
Seine Stimme ist weich und rinnt wie eine Berührung durch meine Ohren in meinen Körper.
„Du bist hier, bei mir.“ Ich versuche ein Lächeln. „Das ist schon mehr als ... ich verlangen könnte.“
‚Verdient habe‘ hätte ich am liebsten gesagt, aber das hätte wohl zu einer Diskussion geführt und vor allem Fragen aufgeworfen, die ich nicht beantworten kann.
Dabei gehe ich eigentlich davon aus, dass er genau weiß, dass Lu mich wieder täglich ... Ich schlucke hart.
„Du könntest alles von mir verlangen, weißt du? Bitte hab kein schlechtes Gewissen.“
Ich schnaube noch einmal, diesmal sehr ungläubig. Wenn es mal ‚nur‘ ein schlechtes Gewissen wäre! Aber ... Nein, ich kann ihm das nicht sagen!
Ein verbrannter Geruch beißt in meine Nase und sie kräuselt sich angewidert. Ich sehe reflexartig zum Grill und beuge mich vor, als Maik mich aus seinen Armen entlässt.
„Wir sollten essen.“
Er nickt und rückt wieder neben mich, hält unsere Teller hin und beginnt genauso zu essen wie ich.
Später liegen wir aneinandergekuschelt da und sehen in den dunklen Himmel. Es ist bewölkt, kein Stern blitzt aus der wattigen Masse über unseren Köpfen hervor. Wir wechseln in mein Schlafzimmer und liegen nackt und eng umschlungen in der Dunkelheit.
Ich würde ihn so gern in mir spüren, aber ich habe Angst, dass es wehtut, nach dem, was Lu getan hat. Vielleicht würde ich auch noch lieber in ihm einschlafen, aber ... nein, danach kann ich nicht fragen. Nicht jetzt, nicht so.
Deshalb kuschele ich mich dicht an ihn und es dauert einen Augenblick, bis ich begreife, dass er mich etwas gefragt hat.
„Was?“, flüstere ich in die Dunkelheit.
„Ich ... möchte gern wissen, wie es sich anfühlt, wenn ...“, er bricht wieder ab und atmet tief durch. „Würdest du ...?“
Ich drehe mich zu ihm um. „Was denn?“
„Ich möchte dich in mir spüren.“
Aha! Ich meine: Oh!!!
„Kannst du Gedanken lesen?“, frage ich erstaunt und ernte ein leises Lachen.
„Nein.“
Ich strecke mich und küsse ihn. „Dreh dich auf den Bauch, ja?“
Er macht es und ich hole etwas Gleitgel, welches ich an seinem Eingang verteile, nachdem er seine Beine leicht geöffnet hat. Er seufzt laut auf und vergräbt sein Gesicht in den Kissen. Nun klingen seine Laute dumpfer, weiter weg. Ich spüre das erwartungsvolle Beben in seinem schönen, muskulösen Körper und knie mich über ihn. Den Rest des Gels verteile ich an meiner Eichel. Natürlich bin ich genauso erregt wie er, das sind wir immer, besonders, wenn wir nackt in meinem Bett liegen und eigentlich schlafen müssten ...
Da ich nicht kommen werde, benutze ich kein Gummi. Ich lege eine Hand auf seine Lendenwirbel, die andere hält meinen Schwanz in Position und ich dringe langsam in ihn ein.
Er windet sich leicht, hebt den Hintern an, um mir besseren Zugang zu ermöglichen. Ich stöhne ebenso wie er, gleite tiefer in ihn und lege mich auf seinen Rücken. Maik schließt seine Beine, meine folgen seiner Bewegung und rahmen seine ein. Ich schiebe meine Hände unter seine Brust, weiter nach oben, um mich an seinen Schultern festzuhalten.
Meine Wange liegt zwischen seinen Schulterblättern und die ei nzige Bewegung, die zwischen unseren verbundenen Körpern stattfindet, wird von unserem Atem und unseren lustvoll zuckenden Muskeln ausgelöst. Es sind minimale Schwingungen, die meinen Kreislauf beschleunigen, anstatt ihn zu beruhigen.
„ Mein Koalabärchen ...“, murmelt Maik und klingt betrunken vor Lust. Mein Blut donnert rauschend durch meine Ohren, trotzdem höre ich ihn und küsse seine Wirbelsäule.
„Wenn du mir noch mehr Spitznamen gibst, werde ich damit auch anfangen, Liebling“, gebe ich zurück und schließe die Augen. „Schlaf schön.“
„Du auch, Kim. Träum was Schönes.“
Mir ist heiß, um nicht zu sagen, ich schmelze gleich. Es war vielleicht nicht die allerbeste Idee an einem derart heißen Sonntag zu dem Turnier in Hessen zu fahren. Kims und meine Hände, deren Finger miteinander verschränkt sind, lassen sich ganz sicher nicht mehr ohne eine Schüssel Eiswürfel voneinander lösen. Neben uns sitzen Timeon und Eric, die beide entweder ein Anti-Schwitz-Gelübde abgelegt haben oder zu den wechselwarmen Tieren gehören. Beide sehen so relaxt aus, dass ich neidisch werden könnte.
Wir alle tragen Sonnenbrillen. Kim sieht mich durch die verspiegelten, mandelförmigen Gläser seiner an und lächelt. Kleine Schweißperlen benetzen seine Stirn und ich bin heilfroh, dass ich ein Tuch trage.
Als Biker habe ich natürlich Bandanas, die auch unter den Helm passen und verhindern, dass mir die Suppe in die Augen läuft.
Ein weißes mit schwarzem Paisley-Muster habe ich mir vorhin beim Verlassen von Kims Rover umgebunden.
Kim streckt seine freie Hand aus und zupft daran. „Hättest du mir nicht auch eins geben können?“
„Was denn? Mister Style will aussehen wie ein Rocker?“
Er kichert über meinen neckenden Ton und küsst mich flüchtig. Ein Glück, dass wir uns hier nicht verstecken müssen. André ist bei einem anderen Turnier und van Keppelen interessiert sich nicht genug für Turniersport. Heute ist auch die Wahrscheinlichkeit deutlich geringer, dass ich erkannt werde. Nicht nur wegen des Bandanas.
„Du siehst aus wie ein Pirat, so richtig verwegen!“, befindet er, und obwohl ich seinen verliebten Blick nicht sehen kann, weiß ich, dass er auf mir ruht.
„Dabei bin ich mir sicher, dass du mich heute Morgen geentert hast!“ Ich lachte laut los, weil er mit offenem Mund dasitzt. Tatsächlich ist genau das passiert, vor einigen Stunden hat er mich geweckt wie ich ihn neulich ...
Verdammt, solche Gedanken kühlen mich nun wirklich nicht ab!
Nach diesem Durchgang, bei dem Jeremy mit Filou angetreten ist, verlassen wir die Tribüne, um ein wenig Schatten, einen Getränkestand und hoffentlich auch Abkühlung zu finden. Timeon und Eric begleiten uns und wir trinken eiskaltes Wasser, obwohl wir alle wissen, dass das nur kurzfristige Erleichterung bringt.
„Ich will zum Stallbereich, kommt ihr mit?“ Einhelliges Nicken. Dass Kim mitkommen würde, war mir ohnehin schon vorher klar.
Wir machen uns auf den Weg zum Meldebüro und werden erst mal gründlich und skeptisch gemustert. Es dauert einige Minuten, bis wir alle unsere Ausweise mit Lichtbildern tragen, dann machen wir uns auf die Suche nach Jeremy.
„Süßer! Ich dachte schon, ihr hättet es euch noch mal anders überlegt bei dem Wetter!“
Er umarmt mich, dann Kim, bevor er sich zu dem hinter uns stehenden Pärchen wendet. „Na, Mehlsack?“, begrüßt er Timeon und grinst breit.
Der Kleine rümpft nur kurz die Nase und sagt: „Hey, Jeremy, darf ich dir meinen Freund vorstellen? Das ist Eric!“
Kim und ich starren wie gebannt auf die Szene. Ja, wir sind schadenfroh, neugierig und auch ein wenig gehässig, aber das hat Mister Superstar auch eindeutig verdient!
„Hallo Eric, freut mich.“ Danach wendet er sich an uns alle: „Wie gefällt’s euch bisher?“
„Na ja, da du den anderen um Längen davon gesprungen bist, ist es eigentlich schon ziemlich langweilig heute“, erkläre ich und ernte einen Knuff in die Rippen, den Kim unter meinem Lachen mit einem warnenden Blick in Richtung Jeremy quittiert.
„Schon gut, Kim. Jers konnte noch nie hart zuschlagen ...“, feixe ich.
„Na, das brauchte er wohl auch nicht.“ Kim mustert uns und grinst doch. „Also, Jers, welches Pferd ist wann dran, und wie viel Zeit haben wir vorher, um uns im Glanz deiner Berühmtheit zu sonnen?“
Ich erkenne Kims Taktik beinahe sofort. Er will Jeremy von dem eindrucksvollen, gutaussehenden Eric ablenken, der natürlich noch immer neben Timeon steht.
„Wir haben Zeit, ich bin erst heute Nachmittag wieder dran – mit Portos. Kommt, wie gehen ins Verpflegungszelt. Wenn ich mich nicht irre, sitzt dort jemand, den Kim dringend kennenlernen sollte.“
Ich ziehe die Brauen kraus und mustere ihn. „Wen denn?“
„Na , deine Mutter!“
Okay, na dann kann ich mir ja gleich was anhören. Ich nicke ergeben und wir folgen Jeremy, der sich hier eindeutig besser auskennt als wir uns. Kim hält mich kurz zurück.
„Maik, wenn ...“, beginnt er und sieht auf unsere wieder ineinander verschränkten Finger. „Wenn du nicht willst, dass sie das mit uns weiß, dann ist e…“
Ich lasse ihn erst gar nicht aussprechen, ziehe ihn viel zu hart an mich und schneide ihm mit einem stürmischen Kuss das Wort ab. Er reagiert mit einem erschrockenen Keuchen, bevor er den Kuss erwidert.
Wenn eine Sache auf der Welt vor meiner Familie nicht geheim gehalten werden muss, dann ist es die Tatsache, dass ich mich in Kim verliebt habe und mit ihm zusammen bin!
„Keine Chance, Kim. Ich werde mit dir bei ihr angeben, das steht so was von fest!“ Sage ich, als ich ihn ein wenig auf Abstand bringe.
„Okay“, gibt er gedehnt zurück und schluckt sichtbar.
„Hast du Angst davor?“
Er schüttelt den Kopf und zieht gleichzeitig die Schultern hoch. „Weiß nicht, ich meine, ich musste noch nie ...“
„Sie ist echt cool, mach dir keine Sorgen, ja?“
Er nickt und lächelt ein wenig. „Okay.“
Tja, ich muss bekennen, ich bin mir nicht sicher, was ich von der Tatsache halten soll, dass ich gleich Maiks Mutter Helen kennenlernen werde. Mit jedem Schritt, den ich an Maiks Seite hinter Jeremy hergehe, werde ich nervöser.
Das ist nun echt nichts, bei dem ich irgendeine nennenswerte Erfahrung hätte.
Selbst wenn sie cool reagiert, weil sie schon eine Weile weiß, dass ihr Sohn stockschwul ist, heißt das noch lange nicht, dass sie mich deshalb mag!
Wir erreichen das Verpflegungszelt, das im Schatten unter einer Reihe von Bäumen steht. An drei Seiten des Zeltes haben die Ausrichter dieses Turniers die Wände hochgerollt, damit genug Luft unter das weiße Zeltdach gelangen kann. Es ist erstaunlich kühl darunter, obwohl an der langen Theke mehrere Grills, Öfen und große Kocher mit Suppen stehen.
Zudem sehe ich Kühltruhen, aus denen die Servicemitarbeiter immer wieder eisgekühlte Getränkeflaschen für die Kunden hervorholen.
Spontan verspüre ich Durst, aber der muss warten, angesichts der Tatsache, dass Jeremy eine Frau mittleren Alters ansteuert, die gerade mit einem Handy telefoniert. Auf Englisch, wie ich am Rande erlauschen kann.
Der Blondschopf bleibt vor uns stehen und sieht sich nach uns um. Ich tue es ihm gleich und sehe nach Timeon und Eric, die direkt hinter Maik sind.
„Wer will was trinken? Hat irgendwer Hunger?“ Jeremy will die Zeit bis zum Ende von Helens Telefonat offensichtlich sinnvoll nutzen. Mir kommt das sehr entgegen.
Wir bestellen alle ein Getränk bei Jeremy und ich ziehe die Augenbraue hoch, als ich kapiere, dass ausgerechnet Eric sich bereiterklärt, beim Tragen der Flaschen zu helfen.
Na, was die beiden gleich zu bereden haben, wüsste ich schon gern ...
Meine Aufmerksamkeit wird anderweitig in Anspruch genommen, als ich Maik sprechen höre. „Mom! Schön, dass du hier bist!“ Er löst seine Hand aus meiner und umarmt seine Mutter, die sich von ihrem Platz auf der Bank einer Bierzeltgarnitur erhebt und ihn anstrahlt.
Sie sieht ziemlich gut aus, also für eine Frau ... Mir wird bewusst, dass sie diejenige ist, von der Maik seine Augen und die Haarfarbe geerbt haben muss.
Ihre Auge n sind dunkler, nicht wie Jade, und sie sieht mich über Maiks Schulter hinweg an.
Da ist etwas in ihrem Blick, das ich nicht deuten kann. Neugier? Erstaunen? Sie fasst sich zu schnell und nimmt Abstand von Maik, um ihn genau anzusehen. „Du hast ja Farbe bekommen, Schatz!“
Maik lacht leise. „Ich arbeite ja auch ziemlich viel im Freien.“
Sie nickt und presst kurz die Lippen aufeinander, dann mustert sie Timeon und mich fragend. „Und wer sind deine Begleiter?“
„Mom, das sind Kim Andreesen und Timeon Wienert. Da hinten bei Jers steht Eric, der Freund von Timeon.“
Ich spüre, wie eine nervöse Anspannung in meinen Nacken kriecht, als Maik nach meiner Hand tastet und weiterspricht: „Und Kim ist mein Freund.“
Sie sieht mich an, nickt schließlich und wirkt keinesfalls glücklich mit dieser Information. Doch anstatt ihre Zurückhaltung zu erklären, sagt sie: „Freut mich, setzt euch doch.“
Sie deutet auf den Tisch und wir suchen uns Plätze. Maik gegenüber seiner Mutter und ich neben ihm, Timeon entscheidet sich für einen Platz auf Helens Bank und Eric setzt sich außen neben ihn, während Jeremy unter Maiks und meinen ungläubigen Blicken zwischen Timeon und Helen klettert.
Die Getränke werden verteilt, jeder bedient sich und Helen sieht mich neugieriger an, als ich nach ihrer ersten Reaktion vermutet hätte.
„Sind Sie auf dem Feuerried angestellt, Herr Andreesen?“
„Oh, bitte, sagen Sie einfach Kim zu mir, ja?“
Sie nickt.
„Ich ...“ Ich pausiere. Mich beschleicht der ungute Gedanke, dass sie nicht gerade begeistert sein wird, wenn sie erfährt, dass ich Lus rechte Hand und der Gestütsleiter bin. „Ich leite den Stall der Turnierpferde ... und das Gestüt.“
Ich muss das sagen, wieso sollte ich lügen? Wenn Maiks Mutter wirklich so cool ist, wie er sagt, dann wird sie dem Urteil ihres Sohnes wohl weit genug vertrauen, oder nicht?
„Du leitest das Feuerried?!“ Ihre Stimme überschlägt sich fast, dann sieht sie zuerst Maik und anschließend Jeremy so vorwurfsvoll an, dass ich am liebsten im Boden versinken würde.
Andererseits, wieso eigentlich? Ich bin seit vier Jahren der Boss von über siebzig Menschen, trage jede Menge Verantwortung, mittlerweile für über hundert Pferde! Wieso zum Teufel soll ich mich deshalb schlecht fühlen?
Ich straffe den Rücken und sehe sie geradeaus an. „Ja, seit vier Jahren.“
Maiks Hand gleitet unter dem Tisch auf meine, ich sehe ihn kurz an. Sicherlich spürt er die Anspannung in mir. Er weiß immer, wie es mir geht.
„Dann bist du die rechte Hand von Ludwig van Keppelen?“, hakt sie nach.
„Ja, Mom, ist er. Vor allem aber ist er mein Freund.“ Mehr sagt Maik gar nicht, doch ich sehe, wie sie den Mund wieder schließt. Da hat eine deutliche Warnung in seinen Worten gelegen.
Ich schüttle den Kopf, als er mich ansieht.
„Dann hilfst du Maik dabei, herauszufinden, was er wissen will?“ Sie klingt irgendwie unsicher, ganz so, als wäre es ihr lieber, wenn Maik gar nichts erführe. Wieso?
Ich nicke zögernd. „Soweit ich das mit meiner Verantwortung für die Mitarbeiter in Einklang bringen kann, ja.“
„Ich verstehe.“ Dass sie nicht weiter nachfragt, ist wohl auch der Tatsache geschuldet, dass Timeon und Eric mit am Tisch sitzen. Apropos ...
Timeon sitzt nah bei Eric, den beiden scheinen die heutigen Temperaturen nur bedingt etwas anhaben zu können. Sie wirken jedenfalls weder durchgeschwitzt noch überhitzt. Jeremy dagegen erscheint mir ein wenig nervös.
„Hey, Jers, wie lief es denn die letzten Tage? Du hast noch gar nichts erzählt“, lenke ich das Thema ab und sehe ihn neugierig an.
Er braucht einen Moment, um zu antworten und klingt dennoch etwas abwesend. Macht es ihm wirklich so sehr zu schaffen, Timeon mit Eric zu sehen?
Hat er sich etwa wirklich in den Kleinen verknallt? Das täte mir wirklich leid für ihn, denn Chancen hat er derzeit ganz sicher nicht bei Timeon. Davon abgesehen ist Eric echt nett und ich gönne ihm das junge Glück mit dem Kleinen sehr. Sie verdienen es, ich weiß einfach zu genau, dass kurzlebige Beziehungskisten oder Affären nichts für Timeon sind.
„Also bisher lief es ganz gut, alle Pferde, die hier neu vorgestellt werden sollten, haben ihre Prüfungen geschafft.“
„Super!“ Ich sehe Helen an. „Frau Dexter, nehmen Sie auf Ihrem Gestüt Pferde fürs Training an?“
Sie mustert mich irritiert. „Bisher trainieren wir nur die eigene Zucht, wieso?“
„Ich habe einen Hengst, Mirabeau, Englisch Vollblut. Er ist jetzt vier und die Ausbildung in Sachen Dressur ist fast erledigt. Springen kann er ganz wunderbar, aber ihm fehlt das Training. Maik hat das in den letzten Tagen schon übernommen, aber ich würde ihn ungern von einem anderen weiter ausbilden lassen.“
„… und weil Maik nicht ewig am Feuerried sein wird ...?“, fragt sie und sieht mich auffordernd an.
Ich nicke. „Genau, ich würde ihn gern von dir weiter ausbilden lassen, bei dir zu Hause.“ Ich sehe Maik an und grinse, als mir klarwird, wie sehr ihn das überrascht.
„Aber er ist dein Pferd!“
„Ja, das soll er ja auch bleiben. Ich möchte einfach nur, dass er bestmöglich trainiert wird. Und da fallen mir spontan nur du und Jers ein. Jers hat aber wohl genug mit den Dexter-Pferden zu tun, deshalb ...“
Er zieht mich an sich. „Du würdest mir deinen Liebling mitgeben?“
Ich lache auf. „Nur zur Info, mein Liebling sitzt grad neben mir. Aber ich würde dir meine große Hoffnung auf wahnsinnig gute Zuchterfolge mitgeben, ja.“
Helen beobachtet uns und schürzt die Lippen. „Grundsätzlich spräche nichts dagegen, ihm einen Platz in einem unserer Ställe zu überlassen.“
„Das würde mich wirklich freuen.“
„Dann hätte ich eine Geisel, falls du mich nach meinem Ferienjob bei euch nicht mehr kennst!“ Maik kichert und erntet einen Rempler von mir.
„Du bist unglaublich!“, versetze ich ihm.
„Klar, unglaublich ... sexy? ... nett? ... verliebt?“ Maiks Vorschläge sind so herrlich albern.
„Ach, hör schon auf!“, mault Jeremy ihn an und ich muss mir das Lachen verbeißen.
Wir bleiben noch eine ganze Stunde im Zelt, dann schlägt Helen uns vor, uns das Gelände anzusehen, weil sie aus dem Gespräch erfährt, dass ich seit langem nicht mehr auf einem Turnier war.
Mich überkommt immer wieder die ungute Erinnerung an damals. An Steffen und an das, was er bei solchen Gelegenheiten hinter meinem Rücken getrieben hat. Wie anders ist doch Maik!
Ihm vertraue ich blind. Er würde mich nie so hintergehen, davon bin ich überzeugt.
Seltsam, dass mir etwas, bei dem ich nicht einmal richtig mit ganzem Herzen dabei war, so sehr nachhängen kann.
Ich greife nach Maiks Hand, als wir über das Gelände wander n, und bin unendlich froh, dass er meine Gefühle so offen erwidert.
Die Stallarbeit geht mir heute Morgen ein klitzekleines bisschen auf den Keks, um ehrlich zu sein. Nach dem gestrigen Tag auf dem Turnier, bei dem Jeremy es tatsächlich fertiggebracht hat, ausgerechnet mit Portos disqualifiziert zu werden, nach der Freiheit, mit der Kim und ich uns umarmen, küssen und uns einfach nah sein durften, erscheint mir der Montagmorgen meiner vierten Woche auf dem Feuerried echt ätzend.
Ich putze gerade das fünfte Pferd, habe mich dazu auf dem Außenputzplatz eingerichtet, neben mir steht Kim und macht das Gleiche.
Wir unterhalten uns. Leise, unverfänglich.
Hab ich schon erwähnt, dass es mich ankotzt? Ich will ihn festhalten, küssen, streicheln!
Verflucht, meine Verfassung ist wirklich nicht die beste.
„Jeremy war gestern echt neben der Kappe, was?“, fragt Kim gerade und ich nicke nur, bis mir klarwird, dass er das kaum sehen kann, wenn Cato und Finchen zwischen uns stehen ...
„Ja, allerdings. Ich hab ihn noch nie so erlebt! Mom war ein bisschen sauer.“
„Na, ist wohl kein Wunder. Mister Ich-reite-jedes-Pferd-zum-Sieg mit acht Fehlern! Das ist, als würde Gott im geteilten Meer ertrinken!“
Ich muss lachen über diesen Vergleich. „Oh, du bist ja ganz schön angetan von meinem Freund. Muss ich mir Sorgen machen?“, ziehe ich ihn auf und gehe um Cato herum, um seine andere Seite zu striegeln.
„Klar, mach nur. Wenn es dir irgendwie hilft ...“
Ich richte mich auf und sehe ihn an, nun stehen wir beide zwischen den Pferden. „Ich glaube, dass Timeon vom Markt ist, stellt für Jers ein ungewöhnlich großes Problem dar ...“, sage ich leiser.
„Hm-hm. Und du machst dich noch über ihn lustig, das ist echt nicht okay, Maik!“
Ja, stimmt, so ganz fair waren meine Spitzen gestern Abend ganz sicher nicht, aber mal ehrlich, der Schöne kann ruhig auch mal wissen, wie es ist, nicht alles zu bekommen, was man haben will. „Er hat bisher jeden Kerl rumgekriegt, immer. Aber dass es ihn so umhaut, finde ich schon krass.“
Kim lacht auf und haut mir mit dem Striegel auf den Hintern. „Als wenn es bei dir anders gewesen wäre!“
Ich schreie auf vor Schreck und fahre zu ihm herum. „Hey! Und nein, im Gegensatz zu Jers habe ich das nicht ...“
Keine Chance, bis ich ihm das erzählen kann, brauche ich Zeit. Verdammt viel Zeit. Pi mal Daumen zehn Jahre oder so. Mal sehen. Ich wende mich wieder ab, will ihm nicht zeigen, in welche Erinnerungen ich mich verstricke.
„Das klingt aber nicht gut“, murmelt er und ich spüre förmlich, wie er dichter hinter mich tritt.
„Nein, schon gut. Alles in Ordnung.“ Ist es doch, oder? Immerhin kann mir heute, hier mit Kim, doch vollkommen egal sein, was damals war.
„Na gut.“
~*~
Dass ich heute so seltsam reagiere, liegt ganz sicher an meiner allgemeinen Laune. Ich hoffe nur, dass sich das nicht noch verschlimmert.
Das Mittagessen ist wie immer sehr locker und lecker und es macht Spaß, mit den anderen Ferienjobbern und Kim herumzublödeln, bis Theodora uns zur Ordnung ruft.
Seltsam, ich bin erwachsen, stehe im Grunde schon seit einer ganzen Weile auf eigenen Füßen und trotzdem bin ich hin und wieder so ausgelassen und albern, dass ich ernste Zweifel an meinem Alter und meiner Reife bekommen könnte.
Vielleicht liegt auch das an Kim, vielleicht war ich in den letzten Jahren zu ernst, zu sehr darauf fixiert, mit dem Studium fertigzuwerden, um mich an van Keppelen rächen zu können. Ich weiß es nicht, aber wenn Kim sich dafür verantwortlich zeichnet, dass ich wieder lebe, bin ich ihm dafür noch dankbarer als für seine Liebe.
Ich habe heute noch fünf Pferde zu reiten, aber danach steht nur noch Möhrchen auf dem Plan. Sie ist seit dem frühen Morgen mit den anderen auf der Weide und schlägt sich vermutlich den Bauch voll, aber heute Abend werde ich sie einsammeln, mit ihr ausreiten und sie danach halbtot knuddeln.
Ja, guter Plan. Zum Ausritt kommt Kim sicher mit, wenn ich ihn frage, aber bei meinem Glück hat er wieder eine Besprechung mit van Keppelen bezüglich des Mittwoch eintreffenden Scheichs.
Auf den bin ich sogar ziemlich gespannt. Er bringt laut Kim einen ganzen Hofstaat mit. Mehrere Frauen, seinen jüngeren Bruder ... Die Liste klang endlos, als Kim sie mir aufgezählt hat.
Der hohe Besuch wird den ansonsten komplett ungenutzt bleibenden linken Flügel des Gutshauses bewohnen. Den Gebäudeteil, den man von Kims Haus aus sehen kann.
Wie sie wohl gekleidet sein werden? Irgendwie habe ich ja sehr orientalisch angezogene Menschen mit dunkler Hautfarbe vor Augen, wenn ich versuche, mir den Scheich und sein Gefolge vorzustellen, aber ich denke, das ist eine falsche und vor allem ziemlich romantische Vorstellung.
Armanianzüge oder gar noch Exklusiveres für die Herren und Laufstegmoden für die Damen, das dürfte eher hinkommen.
Ich lege den Telefonhörer wieder auf die Basis und fluche lautlos. Diese Woche wird gruselig.
Auch wenn die Vorbereitungen für den Scheich bereits auf Hochtouren laufen und das meiste von Theodora organisiert wird – was im Übrigen auch ihre monströs schlechte Laune erklärt – habe ich noch genug mit dem ganzen Kram zu schaffen.
Wie ich mittlerweile weiß, will Scheich Hilal bin Kamal Al-Sawi nicht nur ein Reitpferd kaufen. Ich frage mich, welche meiner Lieblinge ich wohl abgeben muss ...
Nein, begeistert bin ich davon beileibe nicht, auch wenn Lu mir versichert hat, dass der Scheich nicht ganz dem entspricht, was man erwartet, wenn man so spärlich informiert ist wie ich.
Das muss ich wirklich zugeben, mich interessieren die arabischen Staaten nicht, was womöglich mit meiner Homosexualität zu tun hat. Immerhin ist allgemein bekannt, dass gerade die muslimisch geprägten Länder dieser Welt – genau wie die erzkonservativen christlich orientierten – in gleichgeschlechtlicher Liebe eine Art Verfall der Welt sehen.
Ich seufze. Ganz sicher weiß der Scheich nicht, dass sein guter Freund und Geschäftspartner Ludwig van Keppelen auf Kerle steht.
Ein Grinsen schleicht sich auf meine Züge und ich stehe auf, um in den Stall zu gehen.
Ich muss zugeben, wenn ich nicht in den vergangenen Jahren die meisten Arbeitsabläufe hier so strukturiert hätte, dass ich weiterhin Leiter des Turnierstalls bleiben kann, würde mir meine derzeitige Pflichtvergessenheit ziemliche Probleme bereiten.
Denn ja, ich bin in den letzten Wochen echt nachlässig geworden, was sich hin und wieder in diesen Büromarathons rächt ... Aber das ist mir jetzt egal, ich muss Maik sehen, und wenn es nur auf die Entfernung ist.
Im Stall auf dem Plan, den ich selbst erst gestern Abend gemacht habe, steht für Finchen noch niemand eingetragen. Maik weiß, dass ich mir offen gelassen habe, ob ich sie heute reite. Er war immerhin dabei, als ich den Plan geschrieben habe.
Ich sattle Finchen und reite hinaus auf den Springplatz. Mit ihr macht Springen wahnsinnig viel Spaß, weil sie es liebt, über die Hindernisse zu gehen.
„Oh, hast du dir doch überlegt, deinen Hintern heute noch in den Sattel zu schwingen?“, ruft er zu mir herüber und pariert Mirabeau durch, bis er neben mir ist.
Ich kann nicht mehr tun, als ihn anzulächeln. Immer wieder raubt mir sein Anblick den Atem. Ich habe wirklich schon verdammt viele Reiter gesehen. Menschen, die scheinbar mit ihrem Pferd verschmelzen, zu einem einzigen, sich bewegenden Körper werden, aber bei Maik scheint das noch ein wenig intensiver.
Vielleicht liegt das auch daran, dass ich weiß, wie er sich unter mir oder wahlweise auf mir bewegt ... Mein Lächeln wird zu einem breiten Grinsen, das er sofort erwidert.
„Hey, Baby, alles okay?“
Ich nicke. „Absolut. Wie macht sich mein Dicker?“
„Er geht wunderbar locker mittlerweile. Ich frage mich noch immer, woher du wusstest, welche Anlagen er hat.“
„Ganz einfach, er hat’s mir verraten!“ Ich lache laut los, als er die Augen begleitet von einem schmerzerfüllten Jaulen verdreht.
„Kommt jetzt wieder dieser Pferdeflüsterer-Humbug?“
Ich stoße mit der Hand gegen seinen Oberarm. „Hey, du weißt genau, dass das kein Humbug ist!“
„Ich glaube gern, was ich gesehen habe: Dass du in der Lage bist, instinktiv zu reagieren, wenn ein Pferd Hilfe braucht, aber der Rest ist einfach albern, Kim!“, beharrt er und ich zwinkere ihm zu.
„Dein Möhrchen frisst keine Äpfel, weil sie mal einen faulen erwischt hat“, sage ich und ernte einen Blick aus tellergroßen Augen.
„Hat sie nicht! Sie ist nur genauso verrückt wie ich!“
„Keine Ahnung, aber Mirabeau hat sehr springfreudige Eltern, die nicht annähernd so schön ausgeprägte Hinterhände haben wie er. Ich hab ihn damals im Urlaub gefunden, absoluter Zufall war das. Ich war im Norden bei meinem Opa auf dem Hof und er dort stand er. Ich hab mir seine Papiere angesehen, seine Elterntiere abgecheckt und ihn gekauft.“
„Was hast du bezahlt?“, erkundigt er sich und streicht mit seinen behandschuhten Fingern durch Mirabeaus helle Mähne.
„Viel. Vermutlich viel mehr, als er durch gewonnene Turniere wieder reinholen könnte. Aber ich wollte ihn unbedingt haben.“
Maiks Blick fixiert mich lange. „Ist dir eigentlich klar, was eine Box auf dem Dextergestüt kostet? Ich meine, meine Mom ist Geschäftsfrau, sie wird das gründlich und ganz sicher zu ihren Gunsten ausrechnen.“
Oh, interessanter Aspekt. Ich zucke die Schultern. „Das ist es mir wert. Dafür habe ich dann immer ein Alibi, dich zu besuchen.“
„Wirst du das brauchen?“
Na klar! Glaubt er denn, Lu ließe mich einfach so ständig von hier verschwinden? Andererseits sollte ich ihm das vielleicht nicht auf die Nase binden. Noch habe ich ihm nicht gesagt, dass Lu mich wieder täglich ...
Ein Seufzen entkommt mir. „Vermutlich nicht, aber wenn ich keinen anderen Grund habe, bildest du dir am Ende zu viel drauf ein.“
„Sicher, weil ich so ein abgehobener, von mir selbst überzeugter Mistkerl bin, stimmt schon. Und was wäre, wenn ich ohne dich gar nicht von hier weggehen wollte?“
Scheiße, da hätten wir wieder mal eine dieser Zwickmühlenfragen. „Du weißt, dass ich dieses Gestüt nicht einfach so hinter mir lassen kann ...“
Offenbar hört er den bittenden Ton in meinen Worten, denn er presst kurz die Lippen aufeinander und lächelt dann nickend. „Ja, ich weiß.“ Er deutet auf den Platz. „Dann sieh jetzt zu, dass du Finchen warmmachst, damit ich dich eine Runde über den Platz scheuchen kann.“
Ich sehe auf die Uhr und nicke. „Ist okay, müsste Timeon nicht auch gleich herkommen?“
„Der ist schon längst wieder weg!“ Maik lacht fröhlich. „Hat es ohne Eric nicht allzu lange ausgehalten heute. Aber das macht nichts, Einzelstunden sind sowieso intensiver. Ich bringe Mirabeau weg. Bis gleich!“
~*~
Ich würde ihm wirklich gern erzählen, dass ich gestern Abend und heute Morgen noch unter Lu gelegen habe, dass es mir dabei jedes Mal mehr wie Folter vorkommt, dass ich Angst davor, eigentlich vor jedem neuen Tag, habe. Aber das kann ich nicht. Stattdessen lehne ich mich an ihn, fühle mich verlogen und zerrissen.
Meine Gedanken und Emotionen bewegen sich in alle Richtungen gleichzeitig. Es ist so herrlich normal, so vertraut, seine Wärme zu spüren. Dagegen ist es aber auch unwirklich und surreal.
Ich will nach den letzten Tagen, an denen ich Lu in mir gespürt, voller Schmerz erlebt habe, alles vergessen. Will mich in Lust und Hitze verlieren, die mich verbrenn t, ohne mir weh zu tun.
„Schlaf mit mir“, murmele ich an seinen Hals und küsse ihn darauf. Mir ist durchaus bewusst, dass dahinter auch die Angst vor Maiks Fragen steht. Fragen danach, wieso ich plötzlich nur noch aktiv bin. Das muss ich vermeiden und davon abgesehen will ich es ja auch.
„Jetzt sofort?“, fragt er verwundert, was mich nicht überraschen dürfte, denn wir liegen gerade faul mit Chipstüten und Cola im Heimkino und sehen einen uralten Chuck Norris Film – Sidekicks.
Ich lasse meine Hand unter sein Shirt gleiten und ernte ein wohliges Seufzen von ihm. „Wir können natürlich auch bis heute Nacht warten und züchtig ins Bett kletter n, um ein wenig Unzucht zu treiben ...“
Er lacht kehlig und ist über mir, bevor ich auch nur blinzeln kann.
Kims Rücken bekommt jedes Mal wunderbare Konturen, wenn Duschgelschaum und Wasser über ihn hinabgleiten. Ich wische den Schaum beiseite und neige den Kopf, um an seiner Halsbeuge zu knabbern.
„Hey, ich dachte, wir duschen grade, weil wir von hemmungslosem Sex verschwitzt waren und nicht, um gleich wieder loszulegen“, murrt er halbernst und wendet den Kopf.
„Dich könnte ich Tag und Nacht vernaschen“, gebe ich zurück und setze meine Knabberei an seinem Kinn und seinen Lippen fort.
„Also du hast die Wahl“, seufzt er und streckt den Kopf nach hinten, um mir seine Kehle anzubieten. „Entweder wir machen hier jetzt weiter oder wir gehen in die Bibliothek und versuchen etwas über diese unbekannten Pferde herauszufinden ...“
Ich blinzle nicht nur wegen des noch immer herabfallenden Wassers der Dusche. „Was?“
Er sieht mich aus seinen schönen grauen Augen an und nickt. „Die Zuchtbücher liegen in der Bibliothek und wir sollten herausfinden, was es mit den angeblich verkauften Pferden auf sich hat.“
„Ich liebe dich!“, entfährt es mir voll Staunen. Er will also auch weitersuchen? Hinweise finden, die van Keppelens Machenschaften belegen?
„Ich weiß, ist nämlich deutlich zu spüren und zu sehen.“ Er kichert und nimmt demonstrativ Abstand, was mich zum Lachen reizt.
„Na, dann komm!“
~*~
Die Bibliothek habe ich bisher nur gesehen, wenn ich an den meistens offen stehenden Flügeltüren vorbei zu van Keppelens Büro geschlichen bin.
Sie beansprucht die Höhe von zwei Etagen des Gutshauses und wirkt beinahe zu klassisch. Ich weiß, dass sie eine gigantische Fläche abdeckt, aber sie wirkt trotzdem gemütlich. Dunkelbraune Holzregale nehmen so gut wie jeden Quadratzentimeter der Wände ein. Nur von den Fenstern, einem Kamin und der Tür unterbrochen, reihen sich Bücher aller Farben und Ausführungen aneinander.
Ob es hier ein System gibt, kann ich auf Anhieb nicht erkennen. Deshalb hoffe ich einfach, dass Kim es kennt.
Der Boden und die gewundenen Holztreppen, die zu den Balustraden vor den höher gelegenen Regalen führen, vermutlich auch die hölzernen Galerien selbst, sind mit dunklem, sehr flauschig aussehendem Teppich ausgelegt. Überall stehen kleine Sitzgruppen von zwei bis drei Sesseln mit bequem aussehendem Lederpolster, daneben immer kleine Schirmlampen und Tischchen.
Wahnsinn, nie hätte ich hier eine so klischeemäßige Bibliothek erwartet! Um ehrlich zu sein, gefällt sie mir aber sehr.
Kim geht zielstrebig auf ein großes Regal zu, in dem sich dunkelgrün eingebundene Kladden aneinanderreihen. Er nimmt die ganz rechte heraus und ich sehe, dass sie ein seltsames Format hat. Ganz anders als die Bücher meines Grandpas.
Kim legt die Kladde auf dem großen, bis auf eine Tischlampe und einen Stiftsammler leeren Schreibtisch und klappt sie auf.
Das Format ist länglich und darin sehe ich Tabellen, die denen aus den Stutbüchern meines Grandpas ähnlich sehen. Namen, Geburtsdaten, Deckdaten, unveränderliche Kennzeichen und Lebensnummern der hier geborenen Tiere inklusive Vorfahren in mindestens drei Generationen sind bei jedem hier auf dem Gestüt geborenen Tiere vermerkt.
„Hier drin stehen die neuesten Fohlen der Zucht. Das ist unsere eigene Dokumentation, mit der wir jede Geburt nachhalten. Die Zuchtbücher liegen beim Zuchtverband und wir lassen wöchentlich alle Fohlen und neue Zuchtstuten eintragen. Hengste natürlich auch, aber davon haben wir deutlich weniger“, erklärt Kim mir gerade, während er auf das Geburtsdatum des ersten hier eingetragenen Pferdes deutet. „Es gibt auch eine Computerdatei, aber die zu durchsuchen würde einen Aufenthalt in Lus Büro erfordern.“
Logisch, das geht nicht, zumindest nicht, ohne ihn zu fragen.
Ich hole die alphabetische Liste heraus, die wir nach den ominösen Durchschlägen in van Keppelens Schreibtisch erstellt habe n, und lege sie daneben. „Wenn ich wetten müsste, würde ich davon ausgehen, dass keiner der Namen hier in den Büchern steht ...“
„Ja, die Vermutung liegt nahe.“
Wir setzen uns und blättern hin und her, Kim holt weitere Bücher heraus, räumt welche weg, wir verbringen mindestens zwei Stunden auf diese Art und schrecken regelrecht hoch, als die Kaminuhr zur Mitternacht eine andere Klangmelodie abspielt.
„Wieso ist denn hier noch Licht?“, erklingt van Keppelens Stimme aus dem Flur und Kim zerrt geistesgegenwärtig die Liste vom Schreibtisch, um sie darunter zusammenzufalten und mir in die Hand zu drücken. Ich will sie gerade in meine Hosentasche schieben, als die Gestalt des Gestütsbesitzers im offenen Türrahmen erscheint.
„Ah, ich seid hier. Ich wollte gerade nach dem Hausmädchen klingeln und fragen, wieso hier sinnlos Lampen brennen.“
Wir sehen ihm entgegen und es ist deutlich zu spät, um etwas von Kim wegzurücken. Noch immer sitzen wir Seite an Seite hinterm Schreibtisch und eines der alten Stammbücher liegt aufgeklappt vor uns.
„Guten Abend“, grüßen wir zeitgleich und er nickt.
„Was macht ihr?“
„Ich erkläre Maik gerade das System, nach dem wir die Tierbestände dokumentieren“, erklärt Kim und ich habe Mühe, mir meine Bewunderung für seine erneute Geistesgegenwart nicht anmerken zu lassen. Immerhin schaffe ich es zu nicken.
„Ja, das ist voll spannend!“, setze ich viel zu enthusiastisch hinzu.
Verdammt, Maik, reiß dich besser zusammen!
Van Keppelen, den ich ja seit drei Tagen nur noch Ludwig nennen soll, bleibt erst direkt vor dem Schreibtisch stehen und nickt vor sich hin. „Freut mich, Maik.“
„Aber es ist spät, so langsam gehört wohl jeder ins Bett“, lässt Kim sich vernehmen und steht auf. Er klappt die Kladde zu und stellt sie zurück ins Regal. Ich schiebe endlich den Zettel in meine Hosentasche und erhebe mich ebenso.
„Gute Nacht, Jungs.“
Wir nicken, verabschieden uns und ich bin mir sicher, dass er uns nachsieht und genau beobachtet, wie wir uns verhalten. Ich staune, dass Kim so megacool sein kann. Er lässt sich wirklich nichts anmerken und hält scheinbar ohne Schwierigkeiten den ganz normalen Abstand.
Wir gehen sogar ohne Absprache auf die beiden verschiedenen Eingänge an Kims Haus zu. Ich werde oben ein wenig Kram einpacken, den Laptop auch, und dann zu ihm nach unten gehen.
Ohne Kim einzuschlafe n, erscheint mir nämlich ausgesprochen uncool.
Dicht an Maik gekuschelt liege ich wach und denke darüber nach, was wir in der Bibliothek erfahren haben. Genauer gesagt, was wir nicht gefunden haben.
Keines der laut den Durchschriften in Lus Schreibtisch verkauften Rennpferde hat jemals hier auf dem Gestüt gelebt. Es gibt sie einfach nicht, gab sie auch nie.
Damit wäre dann unumstößlich der erste Hinweis gefunden, dass Maik recht hat und Lu mit undurchsichtigen Geschäften Schwarzgeld anhäuft. Nun muss ich noch herausfinden, wo er diese Summen lagert. Denn natürlich habe ich die Beträge aller Belege addiert und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass dieses Geld nie in das Vermögen der Zucht geflossen ist.
Das erleichtert mich, denn es bedeutet weniger Gefahr für die Mitarbeiter und meine Zukunft hier auf dem Feuerried.
Mein Liebster murrt leise im Schlaf und ich lächle in die Nacht. Es ist so wahnsinnig tröstlich, starkmachend und schön, ihn zu spüren.
Komisch, früher, also, bevor ich ihn getroffen habe, fühlte ich mich von allein so. Ich war selbstsicher, autark, souverän.
Aber jetzt ... Hm, Maik weckt eine Seite in mir, die ich bislang nie zugelassen, mir vielleicht auch gar nicht zugetraut habe.
Schwäche.
Nein, für Schwäche war einfach kein Platz in meinem Lebensplan. Aber es ist eine gute, eine sehr angenehme Art von Schwäche, die ich verspüre, denn sie unterwirft mich ihm nicht.
Ich weiß, dass Maik und ich uns in sehr vielen Belangen ebenbürtig sind. In manchen Bereichen ergänzen wir uns.
Diese Schwäche-Sache ist jedoch anders. Niemals gibt er mir das Gefühl, klein oder hilflos zu sein. Indem er meine Schwächen weckt, mir erlaubt, sie zu zuzulasse n, zeigt er mir auch, wie stark sie mich machen, ohne dass er sich dadurch über mich erhebt.
Verdammt ist das schön!
Liebe eben. Die große Utopie, das Gedankenkonstrukt, das die Zwischenmenschlichkeit erleichtern und verklären soll.
Beides tut sie nicht, die Liebe. Es wird nichts leichter dadurch, dass ich ihn liebe. Für mich liegt darin vielmehr die unausgesprochene Herausforderung, Maik vor allem Kummer und jeder Gefahr zu beschützen. Für ihn da zu sein.
Ob ich das irgendwann kann?
Meine Gedanken schweifen zu dem Buch, das wir in Lus Nachtschrank gefunden haben. Noch immer überlege ich, ob Maik absichtlich ignoriert hat, welche Parallelen diese Schmonzette zu der Vergangenheit haben könnte.
Justine, deren Namen und Personalpronomen im gesamten Text verändert wurden, bis überall Justin stand ... jedes ‚She‘ zu einem ‚He‘ gemacht ... Nein, das ist kein Zufall. Erst recht nicht, wenn man sich dann noch bewusst macht, dass Lewis die englische Form von Ludwig darstellt ...
Was, wenn Justin und Lu wirklich eine Beziehung hatten? Wenn sie ein Paar waren, das sich vor mehr als 25 Jahren auf unschöne Art getrennt hat?
Dazu diese Sache mit Haar- und Augenfarbe von Maiks Vater. Wie meine. Bin ich für Lu eine Art Faksimile, das er benutzt, ich meine wirklich benutzt, um sich indirekt an Justin zu rächen? Dominiert er mich deshalb? Erniedrigt er mich deshalb?
Ich kann nur vermuten, aber alles deutet darauf hin, dass Lu in mir eine Möglichkeit sieht, irgendein Trauma oder so was zu verarbeiten.
Wobei ... er verarbeitet ja nichts, er missbraucht meinen Körper um seine Liebe und seinen zeitgleichen Hass auszuleben.
Also, zumindest erscheint das wahrscheinlicher als mir lieb ist. Denn mir ist klar, wie sehr diese Dinge, sollten sie jemals zu Fakten werden, bewiesen werden können, Maik in eine Krise stürzen werden.
Was auch immer seine Familie ihm erzählt hat, dahinter muss weit mehr stecken.
Tja, ich werde das alles herausfinden müssen ...
Kim hastet aus dem Bett, bevor ich auch nur halbwegs wach bin. Erst dann begreife ich, dass nicht der Wecker, sondern seine Türklingel schrillt.
Vor Schreck falle ich beim Aufstehen fast lang hin und sehe ihm dabei zu, wie er in Shorts springt und ein Shirt überstreift, bevor er aus dem Schlafzimmer in die Riesenküche und weiter zur Haustür hastet.
Meine Neugier muss ich mir verkneifen. Niemand darf mich hier sehen! Ich schnappe mir meine Wäsche und husche ins Bad hinüber. Scheiße echt! Wer kann das so früh morgens sein?
Ist was mit einem der Pferde?
Nein, eher unwahrscheinlich. Selbst wenn etwas wäre, hätte derjenige die Tierärztin angerufen und nicht zwangsläufig Kim geweckt ...
Andererseits, vielleicht ist die Ärztin schon unterrichtet und auf dem Weg?
Ich stehe im Badezimmer und schlüpfe in meine Wäsche, überlege, ob ich mich hinausschleichen soll. Es gibt schließlich die Wendeltreppe zur Dachterrasse und von dieser kann man über eine Außentreppe wieder ins Erdgeschoss gelangen. Sie wird nie benutzt und ich habe sie nur per Zufall gesehen, als ich neulich mit Kim am Geländer stand, aber über sie könnte ich um das Haus herum und in meine Ferienwohnung gelangen. Mit etwas Glück sogar, ohne dass man mich dabei sieht, wie ich vorn reinschleiche ...
Ich öffne die Tür wieder und lausche.
Kim sagt: „Ist in Ordnung, ich zieh mir was an, dann komme ich.“
„Okay, Boss, bis gleich!“ Ich kann die Stimme nicht zuordnen, was mich nicht weiter wundert, auch nach drei Wochen habe ich kaum alle Namen auf der Reihe.
Kim erscheint, bevor ich mich auf der Wendeltreppe davon schleichen kann, und flucht halblaut vor sich hin.
„Was ist passiert?“, flüstere ich und gehe zu ihm.
„Eine der Leihmütter hatte anscheinend eine Totgeburt und nun hat sie starke Blutungen“, während er mir den Sachverhalt schildert, zieht er sich Reithosen und Socken an, dann mustert er mich. „Tut mir leid, dass du nun auch wach bist ...“
Ich schüttle sofort den Kopf. „Hey, kein Problem, dafür konnte ich dich die halbe Nacht lang festhalten. Wie spät ist es?“
Er schlüpft in eine seiner Westen und schließt sie. „Nicht mal vier. Leg dich einfach noch mal hin, wenn du magst.“
„Ich bin Tierarzt, schon vergessen?“, erinnere ich ihn und steige bereits in eine meiner Reithosen.
„Aber du kannst nichts tun ...“
„Ihr habt doch gute Stallapotheken, natürlich kann ich was tun!“, beharre ich und setze hinzu: „Ich komme in ein paar Minuten nach und behaupte einfach, dass ich die Klingel bis zu mir rauf gehört habe.“
Er legt seine Hand an meine Wange und lächelt. „Ich möchte nicht, dass du jemals gehst, Maik. Ich habe nämlich keine Ahnung, was ich ohne deinen ständigen Rückhalt tun würde.“
Ich schlucke hart und habe den Eindruck, dass er nicht von dieser Situation, sondern von einer ganz anderen spricht, aber ich spare mir die Nachfrage und nicke nur.
Kim wendet sich nach einem schnellen Kuss um und zieht an der Tür seine Stiefel an.
~*~
Nach einem solchen Erlebnis wie dem Tod eines Pferdes bin ich grundsätzlich extrem genervt und auch traurig. Salvania, die Leihstute, die ein Fohlen von Caligula und Aphrodite austragen sollte, ist verblutet, obwohl Doktor Becker-Willmann keine drei Minuten nach mir im Stall angekommen ist. Viel konnte ich tatsächlich nicht tun, das ist der Nachteil, wenn man sich als Student ausgibt, ohne noch einer zu sein. Wobei ... es hätte nichts geändert.
Innere Blutungen zu stoppen ist so gut wie unmöglich, wenn das Tier nicht gerade narkotisiert auf dem OP-Tisch liegt – und auch dann ist es ein reines Glücksspiel mit verdammt schlechten Siegchancen.
Immer wieder treibt es mich während des Tages zu Möhrchen in die Box. Sie hat Stallruhe, weil sie sich die rechte Hinterhand angeschlagen hat und die offene , gesäuberte und versorgte Wunde erst abheilen soll.
Ich verliere genauso ungern Patienten wie jeder andere Arzt der Welt und es ist keineswegs einfacher, weil ich ‚nur‘ Tiere behandle.
Möhrchen zu kraulen erdet mich auch jetzt, kurz nach dem Mittagessen bei Theodora enorm. Ich hänge mehr oder weniger an ihrem Hals und vergrabe mein Gesicht in ihrer Mähne, während ich leise mit ihr spreche.
„Ich hoffe, du wirst niemals so leiden müssen, Möhrchen.“ Ja, in manchen Bereichen fehlt mir – noch – der professionelle Abstand, den man in beinahe jedem Beruf, der mit Pflege oder Gesundheit zu tun hat, benötigt, um nicht nach wenigen Jahren an psychischen Problemen zu leiden.
Aber ich werde ihn schon irgendwann finden. Das erscheint mir dann auch früh genug. Ich mag in Bezug auf meine Rache an Ludwig kaltschnäuzig und rücksichtslos sein, aber in allen anderen Belangen meines Lebens bin ich es nicht.
Kim ...
Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, schafft es, meine Stimmung ein wenig zu heben. An ihn denke ich gern und immer voller Zuneigung. Hm, erstaunlich, nach so kurzer Zeit.
Aber was ändert verstrichene Zeit an der Intensität der Gefühle, die man empfindet?
Ja, ich liebe Kim, mehr als ich erwartet, mehr als ich es bei irgendwem auf diesem Planeten jemals für möglich gehalten hätte.
In einem Punkt stimmt das mit der Intensität wohl doch ... Denn ich liebe ihn täglich mehr. Will täglich mehr von ihm spüren, riechen, sehen, hören und schmecken.
„Geht es dir besser?“
Ich hebe den Kopf und sehe ertappt durch die Gitterstäbe von Möhrchens Box. „Ein wenig.“
Kim nickt wissend und tritt näher heran. „Ich hoffe, dass niemals ein Pferd stirbt, zu dem du eine Bindung hast, auch wenn das unsinnig ist, wenn man deren allgemeine Lebenserwartung betrachtet.“
Ja, da hat er recht, und doch auch nicht. „Ich kann gut damit umgehen, wenn ein Tier ein langes, erfülltes Leben hatte. Aber es gibt kaum etwas Grausameres, als eine Stute und ihr Fohlen zu verlieren.“
„Das ist wahr. Es passiert hier auf dem Feuerried sehr selten, und jedes Mal streiten dabei zwei Seelen in meiner Brust. Der Tierfreund und der Kaufmann.“
„Ja, es ist neben dem ideellen Wert des Pferdes eben immer auch der messbare, wirtschaftliche Aspekt gegeben.“
Kim öffnet die Boxentür und kommt zu mir, nachdem er sie wieder schließt. Seine Arme schlingen sich um meine Mitte und er zieht mich an sich. „Für mich steht ganz oben immer das Wohl der Tiere, Maik. Denk bitte nicht, dass ich mit Eurozeichen in den Augen auch nur an eines der hier lebenden Pferde denke.“
Ich lehne meine Stirn an seine. „Ich weiß. Du bist so ganz anders, als ich erwartet habe. Ich meine, bevor ich dich kennengelernt habe.“
„Das fasse ich als Kompliment auf! Brauchst du noch eine Pause oder schnappen wir uns die Nächsten?“
„Nein, es geht schon. Ich wollte jetzt mit Lupinia los.“
„Gut, dann nehme ich Hannibal.“ Er lässt mich nur los, um nach Möhrchens Hinterhand zu sehen und vorsichtig darüber zu tasten. „Na, Kleine? Hältst du es noch aus?“
Natürlich gibt meine Stute keine Antwort, aber sie bleibt ganz ruhig stehen, was angesichts des Schnittes in ihrer Fessel schon eine enorme Leistung ist.
„Essen wir nachher zusammen?“, erkundige ich mich, um zu wissen, wie meine Abendplanung aussehen wird.
Kim schüttelt bedauernd den Kopf. „Sorry, ich muss mit Lu einiges wegen des Scheichs besprechen. Die letzten Vorbereitungen. Morgen Nachmittag trifft er ein und Theodora ist stinksauer, sobald man sie drauf anspricht.“ Er rollt die Augen, was eine wirklich küssenswerte Grimasse aus seinen ebenmäßigen Zügen macht.
Wie sehr würde ich mich darüber freuen, einfach nur nett mit Lu zu plaudern. Ohne Anzüglichkeiten, ohne das, was nach dem Abendessen unweigerlich folgen wird.
In mir krampft sich schon jetzt alles zusammen, wenn ich nur daran denke, dass es jedes Mal mehr weh tut, wenn er mich fickt.
Mir ist durchaus bewusst, dass meine Angst jeden noch kommenden Akt schlimmer und schmerzhafter machen wird, aber ich kann nicht dagegen ankämpfen.
Auch wenn ich nur sehr widerwillig diesen Vergleich ziehe: Wenn Maik mit mir schläft, bin ich erregt, meine Lust nimmt den unangenehmen Druck der ersten Augenblicke von mir, versüßt mir alles.
Aber Lu erregt mich nicht, im Gegenteil widert er mich sogar an, weshalb nichts da ist, dass das Brennen und Reißen in mir mildern könnte.
Scheiße, ich muss echt an was anderes denken!
„Das mit Salvania ist schade“, sagt Lu und reißt mich kurzfristig aus meiner Angststarre. Ich nicke.
„Ja, Doktor Becker hat alles versucht, aber da war nichts mehr zu machen.“
Lu mustert mich. „Du scheinst es von Mal zu Mal besser zu verkraften.“
Wenn das mal für alles gälte! „Nein, ich ... hab nur einfach den Kopf zu voll mit anderen Dingen.“
„Dingen oder Personen? Oder am Ende gar mit einer einzigen Person?“ Lus lauernder Ton lässt mich wachsamer werden. „Du kannst nicht verstecken, wie sehr du ihn magst.“
„Wen?“, frage ich im Reflex und er wirft mir einen zweifelnden Blick zu.
„Maik, wen sonst. Leugne es erst gar nicht.“ Natürlich werde ich das! Geht ihn doch gar nichts an.
Ich seufze vernehmlich und hoffe, dass es ungeduldig klingt. „Du weißt doch ganz genau, dass er einen Freund hat. Ziemlich lange übrigens sogar. Jeremy ist quasi seine Kindergartenliebe.“
Verdammt! Wieso habe ich das gesagt? Damit ist Lu, wenn er will, nur noch eine Schlussfolgerung davon entfernt zu erfahren, wie Maik wirklich heißt! O h, ich bin so ein Trottel – und das nur, weil ich diese Lovestory zwischen Jeremy und Maik glaubhafter machen will!
„Hm“, macht Lu nur und nickt. Er wirkt unzufrieden mit meinen Antworten, fragt aber wenigstens nicht weiter nach.
„Ich bin seit viertel vor vier wach, würde heute also gern sehr früh ins Bett. Sonst gähne ich deinem Freund morgen Abend was vor, wenn ich beim Dinner sitze.“ Ja, wunderbar, ich muss ja jetzt auch noch drauf drängen, dass er endlich anfängt und sich beeilt ...
„Du kannst es ja gar nicht erwarten“, befindet er erstaunt und nickt erneut. „Na gut, dann zieh dich aus.“
Der Schmerz in mir explodiert bereits, als er nur einen Finger in mich schieben will, doch mir bleibt nichts anderes, als es über mich ergehen zu lassen. Je schneller er fertig ist, umso schneller hört der Schmerz auf.
Ich bin so verkrampft, dass er mich anschnauzt, ihm seinen Schwanz gefälligst nicht abzuklemmen, aber ich kann nichts dagegen tun und gottseidank kommt er tatsächlich sehr schnell. Kaum dass er von mir abgelassen hat, klappt mein Körper zu einer Kugel zusammen und ich habe Mühe, mich weit genug zu entspannen, um ohne zittrige Finger meine Kleidung wieder anzuziehen.
Vernünftige Schritte aus dem Speisezimmer hinaus, die Flure entlang und über den Hof fallen mir so schwer, kosten so viel Kraft, die ich nicht mehr in mir finden kann.
Alles tut weh, nicht nur mein Hintern. Es ist, als wären auch die Muskeln in meinen Beinen noch immer verkrampft und gleichzeitig eingeschlafen. Ich spüre sie deutlich, aber sie sind schwach und zittern bei jedem meiner zaghaften Schritte.
Ich muss mich sehr zusammenreißen, immerhin ist es gerade erst acht Uhr abends. Man könnte mich beobachten und auf die Fragen habe ich nun wirklich keinen Nerv.
Ich erreiche meine Wohnung, öffne die Tür und werfe mich von innen dagegen. Na ja, werfen ist nicht ganz treffend, ich sinke eher dagegen, nur mit den Schulterblättern. Ich merke erst jetzt, wo er sich langsam beruhigt, wie schwer und hastig mein Atem geht. Ich muss runterkommen, muss mich auf etwas anderes konzentrieren!
Das hier muss aufhören. Irgendwie!
Ich wische mir den Schweiß von der Stirn und spüre das Zittern meiner Hand. Mit einem tiefen Einatmen straffe ich die Schultern und gehe weiter hinein in meine Wohnung. Ich will einfach nur unter die Dusche und ins Bett.
Mit Maik, er soll mich festhalten und bei mir sein. Mir Halt geben.
Na klar, wie immer also! Ich kann ihn doch nicht so ausnutzen. Schon gar nicht, wenn er mich wegen etwas trösten müsste, das ich vor ihm verheimliche, das ich gegen seinen Willen und aus reinem Materialismus tue.
Zum Bad wanke ich mit bemüht kleinen Schritten, obwohl ich mich beeilen will.
I ch würde das Wasser gern sehr heiß einstellen, lasse es lauwarm und bete, dass das Brennen auf der Haut, speziell zwischen meinen Backen, nicht zu stark wird. Der anhaltende Schmerz ist auch so schon schlimm genug.
Um halb neun abends bin ich mir sicher, dass Kim wieder in seiner Wohnung ist, und schleiche mich nach unten, um nach ihm zu sehen. Ich bin hundemüde nach dem langen Tag. Es brennt kein Licht, aber das bedeutet nicht viel. Die herabgelassenen Rollläden am Schlafzimmer lassen den Schluss zu, dass er sich bereits hingelegt hat. Vermutlich ist er genauso müde. Schließlich sind wir seit fast 18 Stunden wach und haben eine Menge körperliche Arbeit hinter uns ...
Leise und ohne Licht zu machen, gehe ich zur Schlafzimmertür und schiebe sie nach innen. Wenn er schon schläft, ist es stockdunkel, aber zu meiner Überraschung sind die indirekten Kerzenlichtstrahler am Kopfende des Bettes eingeschaltet und werfen diesen bemerkenswert weichen Schimmer auf Kims nackte Schulter.
Er liegt zusammengerollt da, diesen Schluss lässt die Kontur seines Körpers unter der Decke zumindest zu.
Wärme durchflutet meine Brust, Zuneigung erfüllt mich und ich lächle, während ich die Tür hinter mir schließe und leise „Hey Baby“ sage.
Er reagiert nicht sofort, aber ich sehe, dass seine Augen geöffnet sind. Mich beunruhigt dieser Umstand, während ich auf ihn zugehe und meine Trainingshose sowie das T-Shirt abstreife. Meine Shorts sinken ebenso zu Boden und ich gleite neben ihn unter die Decke.
„Was ist los, Kim?“ Wieder bekomme ich keine Antwort, deshalb strecke ich vorsichtig meine Hand nach seiner sichtbaren Schulter aus und lasse meine Fingerspitzen darübergleiten.
Er zuckt mit einem Keuchen zusammen, das mich maßlos irritiert.
Ich muss herausfinden, was hier los ist, irgendwie!
„Bab y, was ist mit dir, bitte rede doch mit mir!“ Mir ist scheißega l, wie bettelnd ich klinge, ich habe ihn noch nie so erlebt und sein Verhalten ist mir unheimlich. Ich beuge den Kopf über seinen.
Statt einer Antwort wendet er mir seinen leeren Blick zu und ich sehe das Glitzern auf seinen Wangen. Tränen.
Ohne noch länger nachzudenken, ziehe ich ihn vorsichtig in meine Arme. Wieder keucht er gequält auf und ich befürchte, ihm sehr weh zu tun mit meinen Berührungen. Deshalb halte ich inne und ziehe langsam die Decke von seinem zusammengerollten, nackten Leib.
Er zittert, aber ich kann keine Verletzungen sehen. Irgendwie habe ich schon blaue Flecken und Striemen vor meinem geistigen Auge gesehen ...
Erleichtert atme ich auf, schiebe meinen Arm unter seinen Oberkörper und ziehe die Decke wieder über ihn. Mein oberer Arm legt sich an seine Wange und ganz vorsichtig drehe ich ihn zu mir.
„Kim was ist passiert? Wenn du mir nicht sagst, was mit dir ist, kann ich dir nicht helfen!“
Er schluckt sichtbar und zieht seine geschwungenen Augenbrauen zusammen. „Halt ... mich fest.“
Nur zu gern! Auch wenn das nicht s erklärt.
Wo bei ... Brauche ich denn noch eine Antwort von ihm? Er war bis vorhin bei Ludwig. Das kann nur bedeuten, dass nicht nur zu Abend gegessen und der Besuch des Scheichs besprochen wurde. Ludwig muss ihn einmal mehr benutzt haben!
Aber wieso sollte das eine solche Reaktion bei ihm hervorrufen?
Ich verstehe das alles nicht, dabei will ich ihm doch nur helfen!
Sacht ziehe ich diese Kim-Kugel, zu der er sich zusammengekauert hat, an meine Brust und weiß nicht, ob ich vor Hilflosigkeit, Wut oder Ohnmacht aufschreien soll. Deshalb bleibe ich still und halte ihn.
„Ich hab Angst“, nuschelt Kim und dreht sich weiter um. Die Tatsache, dass er sich nicht auf den Rücken, sondern auf den Bauch dreht, um mir sein Gesicht zuzuwenden, bestärkt meine Sorge und mein Blick gleitet oberhalb der Decke zu seinem Hintern.
„Hat er dir weh getan, Kim?“
Er sagt nichts, aber das Schaudern, das seinen Körper durchläuft, bevor er sich wieder zu einer Kugel zusammenrollt, spricht Bände.
„Ich passe auf dich auf. Bitte versuch zu schlafen, ja?“, murmele ich und kämpfe selbst mit den Tränen, während ich ihm seine von den Wangen küsse und wische.
Niemals hätte ich gedacht, dass mir das Leid eines anderen so nahe gehen könnte. Ich meine, ja, ich bin sicherlich ein mitfühlender Mensch, aber dieses Stechen und Brennen in meiner Brust, die meinen Blick verschwimmen lassenden Tränen, meine atemlose Hilflosigkeit und meine Angst um Kim zeigen mir deutlich, dass ich noch nie so für jemanden gefühlt habe.
Ich wiege ihn ganz leicht in meinen Armen, hauche zaghafte Küsse auf sein Gesicht und hoffe, dass er versteht und spürt, wie wichtig er mir ist, wie sehr ich ihn liebe.
Und natürlich, dass ihm in meiner Nähe keinerlei Gefahr droht. Ich murmele kontinuierlich vor mich hin, während sein Zittern nachlässt und er merklich ruhiger wird. Er schließt die Augen noch immer nicht, sieht mich einfach an, bis ich ihm sage, dass ich ihn nicht allein lassen und auf ihn aufpassen werde.
Ich bin überhaupt nicht mehr müde, viel zu aufgewühlt, um noch an Schlaf zu denken. Das ist aber gar nicht so schlimm, weil ich morgen einen meiner freien Tage habe.
Ich kann nicht wieder einen halben Tag zusammen mit Kim irgendwo verbringen, durch den Besuch dieses Scheichs wird uns diese Woche so gut wie alles versaut.
Er schläft ein und ich lösche das Licht, blicke noch lange in die Dunkelheit und nehme mir fest vor, bei nächster Gelegenheit mit ihm über seinen heutigen Zustand zu sprechen.
Es tut mir weh, den souveränen und selbstbewussten Kim so zu sehen. Er ist so viel mehr für mich als einfach nur ein gutaussehender Mann. So viel mehr als ich bereit bin, in Worte zu fassen.
Momentan ist er für mich vor allem eines: meine Zukunft.
Wie soll ich mit diesen Schmerzen schlafen? Ich habe bereits zwei Tabletten genommen, gehofft, dass sie mich oder wenigstens das Brennen und Ziehen betäuben, aber nach wie vor spüre ich, was Lu mir vorhin angetan hat.
Ich weiß nicht, wie spät es ist, als Maik bei mir im Schlafzimmer auftaucht, aber ich bin unendlich froh, dass er da ist.
Auch wenn ich ihm diesen Anblick, den ich biete, eigentlich lieber ersparen würde.
Wie war das? Letzte Nacht hab ich noch davon philosophiert, dass man in der Liebe auch Schwäche zeigen und zulassen kann, aber jetzt fühle ich mich so erbärmlich, dass ich weder Mitgefühl noch Stärke will.
So ein Quatsch, natürlich will ich, sogar beides, einfach, weil ich weiß – zumindest hoffe – dass Maik mich nicht bemitleidet, sondern mit mir fühlt. Er will auf mich aufpassen, das braucht er nicht einmal zu sagen. Mir Trost spenden und mich festhalten. Er tut das auch und es erfüllt mich mit einem seltsam zwischen Erleichterung und Scham schwankenden Gefühl.
Ich schäme mich sehr, weil ich ihm nichts gesagt habe. Weder von der verschwundenen Negation noch von dem immer noch bestehenden Deal.
Er ahnt es, da bin ich sicher, aber er will glaube ich nicht nachfragen, weil er die Antwort fürchtet.
Nun liege ich hier in seinen Armen, aber es fühlt sich anders an als jedes Mal zuvor. Viel näher und wichtiger.
Obwohl keiner von uns beiden erregt ist. Ich glaube, ich hätte ihn vorhin wütend von mir weggeschlagen und geschubst, wenn er eine Erektion gehabt hätte.
Aber so ist Maik nicht. Mögen wir auch beide in den ungünstigsten Momenten geil aufeinander sein, sobald er merkt, dass es mir nicht gut geht, ist er es nicht.
So wenig wie ich heute Mittag, als er traurig bei Möhrchen stand und sie gekuschelt hat.
Ach, Maik, was würde ich ohne dich machen?
Einfach aufhören zu atmen, zumindest momentan. Aber mit ihm kann ich auch das hier aushalten. Heute Nacht will ich das wenigstens.
Bescheuert, wie kann ich in seiner Nähe an so verrückte Dinge denken? Maik ist alles, einfach alles für mich.
Mehr als mir dieses Gestüt bedeuten könnte. Ich will bei ihm sein, egal wo er hingeht. Ich will nichts von dem, was mich hier umgibt, wenn ich Maik nicht an meiner Seite haben darf.
Und das Gestüt wird mich von ihm trennen, wenn ich den Deal mit Lu weiterführe. Ich kann das nicht tun. Ich gehöre zu Maik, niemand außer ihm darf mich anfassen.
Liegt das an der fehlenden Negation, will ich deshalb lieber auf das Feuerried verzichten als auf Maik?
Nein, ganz entschieden nein!
Der Schmerz mag so gut wie unerträglich sein, aber ich habe meine Ziele immer klar und geradlinig verfolgt. Keine Abweichungen, keine Kompromisse.
Für nichts und niemanden.
Aber für Maik will ich es! Ich ändere mein Ziel.
Mit ihm ...
Ich schmiege mich dichter an ihn und schließe endlich die Augen. Die ganze Zeit hat er mich angesehen, geküsst, meine Tränen fortgewischt.
Scheiße, dieser Mann ist der wichtigste Mensch auf der Welt und niemand außer ihm wird mich jemals wieder ficken. Niemand wird mich von ihm fernhalten!
Okay, doch, also solange Maik als Ferienjobber hier ist, werde ich nichts riskieren. Meinen Deal mit Lu kann ich dennoch beenden. Maik hat ja offiziell Jeremy. Es besteht also erst Gefahr für ihn, wenn Lu dahinterkommt, dass Jeremy nur ein Alibi ist ...
Morgen.
Morgen beende ich alles. Dann sage ich Lu, dass er sich ins Knie ficken kann. Dass ich nie wieder den Arsch für ihn hinhalte!
Erstaunlich, wie viel Kraft Maik mir mit seiner bloßen Anwesenheit gibt. Wie viel Rückhalt. Ob er sich darüber im Klaren ist, welche Wirkung er auf mich hat?
Irgendwann werde ich es ihm sagen oder zeigen können. Nicht heute Nacht, aber irgendwann bald. Wenn ich geregelt habe, was nötig ist, um ... glücklich werden zu können.
Denn das bin ich jetzt gerade ganz sicher nicht. Zu wirr ist alles in mir, zu stark wütet der Schmerz. Dort, wo niemand außer Maik sein sollte.
Kims Wecker reißt mich aus einem leichten, unruhigen Schlaf und ich erinnere mich sofort daran, dass ich gestern Abend eine zitternde Kugel im Arm gehalten habe. Ich sehe neben mich und muss blinzeln, weil er mich so liebevoll anlächelt.
„Guten Morgen.“
„Guten Morgen“, erwidert er und seine Augen halten mich gefangen. Ich muss hart schlucken, weil darin eine Traurigkeit liegt, die mir körperlich weh tun will.
„Geht es dir besser?“, erkundige ich mich leise.
Er richtet sich ein wenig auf und stößt zischend den Atem aus, als er sich auf den Rücken dreht. „In deiner Nähe geht es mir immer besser, Maik. Ich verstehe gar nicht, woher du ständig die Kraft nimmst, für mich da zu sein ...“
Das klingt nach einem schlechten Gewissen oder Scham. Vermutlich beides. Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. „Aus dem, was wir haben, Kim.“
Er nickt. „Das klingt toll, weißt du? Ich hoffe, ich kann dir diese Stärke auch geben. Auch wenn ich natürlich noch mehr hoffe, dass du sie nie brauchen wirst.“ Er drückt sein Gesicht an meinen Hals. „Ich will nicht, dass dir irgendjemand weh tut, aber wenn es passiert, werde ich da sein, immer.“
Seine Worte kommen einem Schwur gleich, der mich warm und voller Liebe durchflutet. Ich ziehe ihn auf mich und halte ihn einfach fest.
Dabei fällt mir erst auf, dass keiner von uns erregt ist. Seltsam, sind wir doch sonst quasi ohne Pause ...
„Kim, wirst du mir irgendwann erzählen, was passiert ist?“ Ich möchte das wirklich wissen. Gar nicht so sehr aus Neugier, sondern weil ich nicht will, dass irgendjemand ihn in diesen Zustand versetzen kann. Niemand hat das Recht, meinem Kim weh zu tun!
„Ich ... möchte das einfach nur vergessen, okay?“ Wie könnte ich dem bittenden Blick, den er mir zuwirft, widerstehen? Ich nicke, aber ein Seufzen dringt aus meiner Kehle.
„Weißt du, dass ich dich gar nicht allein lassen will?“, sage ich, bevor ich es verhindern kann.
„Du hast heute frei und ich werde nicht erlauben, dass du hier sinnlos herumhockst, während ich leider, leider sowieso keine Zeit habe, um sie mit dir zu verbringen ... Ich verspreche, sobald der Scheich weg ist, machen wir beide einen Ausflug, okay?“, murmelt er gegen meine Lippen, bevor er mich wieder küsst. „Du brauchst die Auszeit, mein Liebling.“
Ich nicke. Da hat er natürlich nicht unrecht. Mein Körper ist durch die letzten, sehr kurzen Nächte ein wenig matt und angeschlagen. Aber bevor ich mich auf meine California schwingen und eine Spazierfahrt machen kann, muss ich ausschlafen.
„Stimmt, ich wollte heute eine Runde Motorrad fahren.“
Er sieht mich streng an und sagt: „Aber nicht, wenn du so müde bist!“
Ich staune und schiebe ihn etwas von mir.
„Woher kommt denn jetzt dieser autoritäre Ton?“, frage ich und ziehe die Augenbraue hoch.
Einmal mehr beweist er mir, was ich auch so weiß: Kim ist ein sehr starker Charakter und lässt sich nicht so schnell umhauen. Dazu ist er zu sehr daran gewöhnt, Anweisungen zu geben.
Kim tippt mir mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.
„Daher, dass ich keine zwei Minuten aushalten würde, wenn du jetzt allein mit deiner Maschine abdüst. Kannst du dir wirklich abschminken!“
„Keine Angst, ich werde jetzt nach oben gehen und weiterpennen, bis ich von allein wach werde.“
„Danke.“ Er mustert mich wieder sehr ernst. „Ich will dich nicht verlieren.“
„Ich will dich auch nicht allein lassen.“
Wir stehen auf, und während Kim ins Bad geht, schleiche ich nach oben in mein reichlich verwaistes Bett.
Die Müdigkeit kommt deutlich schneller zurück, als ich erwartet hätte und in Gedanken bin ich bei Kim, der noch nicht wieder ganz fit, aber doch deutlich besser auf mich gewirkt hat als in der vergangenen Nacht.
Mein Kopf ist schwer und träge, aber noch immer kreist das Geschehen darin herum. Ich versuche mich zu erinnern, was Kim mir über die Negation gesagt hat und kriege es einfach nicht mehr zusammen.
Bilder und Worte vermischen sich zu einem undurchdringlichen Chaos und ich habe mehr und mehr Mühe, die Augen offen zu halten.
Vielleicht sollte ich so etwas lieber hellwach erörtern ...
Ich bin ganz froh, dass Maik direkt nach oben geht, um weiterzuschlafen. Unter der Dusche hätte ich nicht mehr verbergen können, wie weh mir noch immer alles tut. Ich werde heute ganz sicher auf kein Pferd steigen, und mein erster Weg führt mich ins Badezimmer und an den Spiegelschrank, in welchem ich Medikamente lagere. Zwei Schmerztabletten, dann aufs Klo. Ich weiß kaum, wie ich den Schmerzensschrei unterdrücken soll, der mir entkommen will, als ich mir den Hintern abwische. Verdammt, ich will gar nicht wissen, wie viele Fissuren ich Lu wegen des letzten Ficks zu verdanken habe ...
Schnell duschen, rasieren, fertigmachen, dann ziehe ich mich mit vorsichtigen Bewegungen an und suche mir wohlweislich keine Reithose, sondern eine Jeans aus dem Schrank.
Mit diesem für mich doch ein wenig ungewöhnlichen Look – hellblaue Jeans, rot-schwarzes Karohemd und beigefarbene Schnürstiefel – komme ich nach meinem Morgenkaffee in den Stall und ernte erstaunte Kommentare.
„Lukas? Ich muss den Plan für heute ändern“, kündige ich an und schnappe mir das Klemmbrett, welches zwischen Aufenthaltsraum und Sattelkammer an der Wand hängt. Mit hastigen Strichen ändere ich den Plan ab und schicke alle Pferde, die nicht wirklich dringend bewegt werden müssen, auf die Weiden. Lukas und auch Tom sehen mir dabei über die Schultern. „Ich habe heute weniger Zeit als erwartet und Maik hat seinen freien Tag. Ich werde Timeon anrufen und fragen, ob er euch helfen kann, aber ich kann nichts versprechen.“
„Schon okay, Boss. Wir kriegen das hin“, sagt Tom.
„Danke. Ich mach’s wieder gut, versprochen.“
Lukas nimmt mir den Plan ab. „Also ich hab heute ja nur drei auf dem Plan, ich könnte locker noch zwei andere trainieren.“
„Ich auch“, setzt Tom hinzu.
„Lieb von euch, aber nicht nötig. Wenn der hohe Besuch heute Nachmittag ankommt, ist es mir ganz recht, dass alle Turnierpferde draußen sind. Morgen werden wir vermutlich viel damit zu tun haben, ihm die in Frage kommenden Tiere vorzustellen.“
„Welche stehen denn zum Verkauf?“
Ich grinse genervt. „Eigentlich kein einziges, aber Ludwig und der Scheich sind gute Freunde. Also werden morgen alle Pferde, die nicht in Privatbesitz oder Quarantäne sind, vorgeführt. Das wird sowieso noch ein Zirkus“, erkläre ich und seufze.
„Wir machen das schon, Boss.“ Lukas klopft mir kurz auf die Schulter und hängt den Plan wieder an die Wand.
„Gut, dann helfe ich beim Putzen und verschwinde danach im Büro.“
~*~
Ich habe Mühe, meine Schritte zum Speisezimmer zu lenken, als es Zeit für das Frühstück ist. Aber ich muss und will das jetzt klären. Vielleicht ist heute der beste Tag dafür, weil Lu wegen des Besuchs in den kommenden Tagen dauerhaft gute Miene machen muss und sich seinen Unmut über das, was ich ihm zu sagen habe, nicht anmerken lassen darf. Und ich werde dafür Sorge tragen, dass ich ihm, abgesehen von jetzt, nicht mehr allein begegne.
„Guten Morgen“, grüße ich bereits an der Tür und spüre, wie meine Hände sich zu Fäusten verkrampfen wollen. Ich kämpfe dagegen an und gehe ohne zu stocken näher auf den gro ßen Esstisch und den an dessen Kopfende sitzenden Lu zu.
„Oh, guten Morgen, Kim!“ Er hebt seine Hand mit einem Eierlöffel darin zum Gruß und nickt. „Willst du mitessen?“
Ich überlege kurz, aber weil ich gerade überhaupt keinen Hunger habe, schüttle ich den Kopf. „Nein, danke, ich bin nicht hungrig. Ich muss etwas mit dir besprechen.“
„Setz dich!“ Er klingt freundlich, ist das nicht irre? Ich habe Probleme, mich halbwegs normal zu bewegen, weil er mich gestern blutig gefickt hat, und er sitzt da und tut so, als wäre nichts gewesen!
„Danke, ich ... stehe lieber.“
„Na gut, dann schieß mal los, worum geht es?“
Ich wende mich zur noch immer offen stehenden Tür, gehe dorthin zurück und schließe sie. Noch einmal tief durchatmen.
Ich schmeiße innerhalb der nächsten zehn Minuten meine Zukunft weg. Einfach so. Alles, was ich mir in den letzten Jahren aufgebaut habe, alles, wofür ich mich habe benutzen lassen.
„Das gestern Abend war unser letzter Fick.“ Ich sage es fest und bestimmt. Ernte einen überraschten Blick und sehe, wie Lu sein Besteck sinken lässt.
„Wieso das?“
Fragt er das ernsthaft? Er dürfte das Blut am Kondom doch gesehen haben! Ich schlucke und bemühe mich, meinen ernsten Ton beizubehalten. „Weil ich es nicht mehr will.“
„Aber ...?“
Ich schüttle wieder den Kopf. „Nein, kein ‚aber‘, Lu. Es war das letzte Mal.“
„Das fällt dir nach Jahren ein? Dass du es nicht mehr willst?“ Unglaube schwingt in seinen Worten. „Du weißt, dass damit unser Vertrag hinfällig ist?“
Ich nicke. „Natürlich bin ich mir dessen bewusst. Ich habe kein Problem damit.“
„Verstehe. Und wie stellst du dir das vor?“
„Ich werde bleiben, bis du einen anderen Gestütsleiter hast.“ Ja, geniale Idee und was mache ich danach? Von Luft und Liebe leben?!
„Dein Job hier ist nicht an unseren Deal gekoppelt, das weißt du.“
„Ja, weiß ich. Aber ich gehe nicht davon aus, dass du mich ohne die täglichen ... Dass du mich nicht mehr ständig hier sehen willst.“
„Kim, ist dir wirklich bewusst, was du da sagst?“
Äh, ja, ich glaube schon. Ich habe mich entschieden und ich will auf keinen fall, dass er mich noch einmal anfasst. Es geht dabei gar nicht darum, dass er mir weh getan hat, sondern einzig darum, dass ich Maik nicht mehr weh tun will.
„Ja, ist es. Ich will das Feuerried nicht. Ich meine, klar, es ist ein tolles Gestüt und ich liebe meine Arbeit hier, aber ... Na ja ...“ Ich zucke mit den Schultern und werde innerlich trotzdem sicherer.
„Drei Monate , bevor du es überschrieben bekommen sollst, gibst du einfach auf? Wieso? Und komm mir nicht noch mal mit diesem ‚Ich will nicht mehr‘-Scheiß!“
Ein Seufzen, ich straffe die Schultern noch mal extra. „Ich habe einfach begriffen, dass das, was ich die letzten Jahre getan habe, nicht mehr das ist, was ich will.“
„Schwammiger geht es kaum, aber damit ist für mich klar, woran oder besser, an wem es liegt.“ Lus Blick fixiert mich. Er hat längst aufgehört zu essen.
Gänsehaut kriecht über meinen Nacken. Er muss Maik meinen. Aber das darf ich mir jetzt auf keinen Fall anmerken lassen.
Ich grinse unverschämt. „Ja, an mir. Ich habe mich so entschieden, und wie du dich erinnern wirst, ist unser Deal jederzeit kündbar. Ich werde mich nie wieder von dir ficken lassen, selbst wenn du dabei nicht so brutal bist wie gestern.“
„Ich habe es wohl ein wenig übertrieben ...“
Ich nicke. „Ja, hast du, aber das ist nicht der Grund. Mir ist einfach klargeworden, dass ich niemandes Eigentum sein will, auch nicht, wenn ich dafür so viel bekommen kann, wie du mir zugesichert hast.“
„Hm.“
„Ich werde heute Abend wohl nicht die ganze Zeit dabei sein können.“
Er zieht die Brauen kraus. „Wieso nicht?!“, fragt er scharf.
„Weil ich nicht stundenlang sitzen kann.“
„Können wir das alles besprechen, wenn Hilal abgereist ist? Also, die Formalitäten?“
„Von mir aus ja, aber sei dir sicher, dass ich keinerlei Annäherungen oder anzügliche Sprüche dulden werde. Auch und gerade nicht in Gegenwart anderer.“
Lu schweigt, sieht auf den Teller vor sich und wieder auf. Ich staune darüber, wie locker er meine ‚Kündigung‘ hinnimmt. Kann das wirklich schon alles sein, was ich an Reaktion seinerseits zu erwarten habe?
„Ist in Ordnung, Kim. Und wegen gestern ... Es tut mir leid. Wenn du zum Arzt willst, sag mir bescheid, damit ich deine Abwesenheit entschuldigen kann, ja?“
Dieser Mann hat mindestens zwei Gesichter, ich bin mir ganz sicher. Hier ist irgendwas faul, sonst würde er nicht so ruhig bleiben. Nicht so nett.
„Wird nicht nötig sein, wenn mein Arsch Zeit hat zu heilen“, sage ich und wende mich um. „Ich werde anwesend sein und meine Rolle als Gestütsleiter wahrnehmen, keine Sorge.“
Ich gehe über die Flure und die von mir eigentlich erwartete Erleichterung will sich nicht einstellen. Diese Sache von vor 25 Jahren hindert mich daran. Wird er meine Verweigerung als Verrat ansehen und auch an mir Rufmord begehen?
Quatsch, das kann er gar nicht. Ich bin nicht so bekannt wie Maiks Vater oder Jeremy ... oder Maik!
Angst kriecht spontan durch mein Rückgrat und ich bleibe abrupt stehen. Der Ruck schmerzt und ich stoße zischend die Luft aus, bevor ich mich fassen und weitergehen kann.
Jetzt habe ich seltsamerweise Hunger. Na ja, auch gut, ich gehe in meine Wohnung und merke erst, während ich alles vorbereite, dass ich gar keine zwei Gedecke brauchen werde. Scheiße, habe ich mich wirklich schon so sehr an Maik und seine Gesellschaft beim Essen gewöhnt?
Verrückt. Dennoch entlockt mir diese Gewöhnung neben dem Kopfschütteln über mich selbst auch ein Lächeln. Ich räume Maiks Gedeck wieder weg, setze mich und lasse das Gespräch mit Lu Revue passieren.
Gähnend sehe ich mich im Zimmer um und begreife mit einiger Verzögerung, dass ich im Schlafzimmer der Ferienwohnung bin.
Der Gedanke ernüchtert mich, allein schon, weil kein Kim neben mir liegt.
Hm, neben mir ... zusammengerollt, weinend.
Schlagartig sind die Bilder von letzter Nacht wieder da. Klar, deutlich. Ich springe hastig auf, reibe mir die Augen mit den Handballen und gehe ins Bad. Ich muss duschen und dann sehen, dass ich noch etwas von meinem freien Tag habe. Nachdenken kann ich, wenn ich unterwegs bi n, noch genug.
~*~
Herrlich! Wie lange habe ich nicht mehr auf meinem Bike gesessen? Kann doch noch gar nicht so lange her sein oder? Doch, zwei Wochen ganz genau. Zuletzt war ich mit Kim unterwegs, zur Tropfsteinhöhle ...
Ich lächle in meinen Sturzhelm bei dem Gedanken und fahre die kurvige Straße weiter hinauf. Ganz oben soll es ein kleines Ausflugsrestaurant geben, dort will ich etwas essen, ein wenig Pause machen und das schöne Wetter genießen. Es fällt mir zugegebenermaßen nicht besonders leicht, überhaupt etwas zu genießen, wenn Kim allein und von mir unbeobachtet auf dem Feuerried hockt, aber was bleibt mir anderes übrig?
Ist ja nicht so, als wolle ich ihn kontrollieren, letztlich weiß er selbst am besten, was er wann tun will und kann. Aber ich will gern da sein, wenn er Hilfe braucht – wie gestern Nacht zum Beispiel.
Es macht mich wütend, dass es ihm so schlecht ging und vor allem verstehe ich nicht, wieso er mich nicht wenigstens zu sich gerufen hat. Eine SMS hätte doch ausgereicht!
Mittlerweile bin ich mir sicher, dass Kim sich noch von Ludwig bespringen lässt. Es gibt einfach keine andere Begründung für sein Verhalten, die vielen Besprechungen, seine plötzliche Aktivität im Bett ...
Oh, Moment, also vorgestern ...
Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken, wenn ich an unsere Zusammenkunft im Heimkino denke.
Das war Sex der Extraklasse, wie ich ihn ganz sicher niemals mit jemand anderem erleben werde als mit Kim!
Das muss ich ihm zugestehen, was auch immer Ludwig mit ihm tut, ich vermisse dadurch nichts. Was leider nicht bedeutet, dass es mir mit der Situation gut ginge ...
Viel lieber wäre mir, wenn ich endlich alles aufdecken könnte und Ludwig ein für alle Mal das Handwerk gelegt würde.
Wenn ich bedenke, wie knapp mein Vater damals dem Gefängnis entgangen ist ... also, abgesehen von einigen Wochen Untersuchungshaft. Auch dafür hasse ich Ludwig aus tiefster Seele!
Wäre das doch nur alles geklärt und durch Beweise gesichert, ich würde Kim in seinen Wagen setzen und zum nächsten Flughafen fahren. Um die Organisation des Transports der Pferde, es sind ja immerhin vier Stück, würde ich Lukas oder Tom bitten.
Verdammt, ich sollte nicht so denken! Immerhin ist es möglich, dass Kim wirklich auf dem Feuerried bleiben will. Ich kann ihn ja sogar ein bisschen verstehen. Wenn ich jahrelang für etwas gekämpft und alles gegeben habe, lasse ich mir auch nicht kurz vorm Ziel einen Strich durch die Rechnung machen.
Oh, das beschreibt meine aktuelle Situation wohl genauso gut wie Kims ... Keiner von uns wird seine Ziele aufgeben. Und mir fehlt die Objektivität, um zu entscheiden, wessen Ziel wichtiger ist.
Das Wichtigste ist für mich, dass es Kim gut geht, egal wie er sich entscheidet. Dass er glücklich ist. Aber ehrlicherweise muss ich auch dazu sagen, dass ich inständig hoffe, er wird mit mir am glücklichsten sein.
Tja, wenn er mich heute fragen würde, ob ich bereit wäre, jetzt sofort mit ihm zu verschwinden, was würde ich dann antworten?
Darüber muss ich nicht einmal nachdenken. Ich würde ihn an mich ziehen, vermutlich im Kreis herumwirbeln, bis er mir auf seine typisch-männliche Art erklärt, wie albern ich mich benehme, würde ihn küssen und „Ja!“ brüllen.
In der Tat, brüllen.
Das mag verrückt sein und ehrlich gesagt erschreckt mich diese Antwort sogar ein wenig, aber sie ist das, was ich fühle.
Denn bedeutet sie nicht den Verrat an meinem Vater? Ich bin mir sicher, er wird Zeter und Mordio schreien, wenn er herausfind et, wo ich mich gerade aufhalte. Aber ich hoffe einfach, dass meine Mutter sich an unseren Kompromiss hält und ihn mir nicht auf den Hals hetzt.
Dabei gehe ich davon aus, dass Justin Fallner niemals freiwillig wieder einen Fuß auf das Gelände des Feuerrieds setzen würde.
Ich habe nicht vergessen, was wir in Ludwigs Schlafzimmer gefunden haben. Den Schnulzenroman und die Fotos. Ich hoffe wirklich, dass dieser Scheich bald wieder abreist und ich endlich weitersuchen kann.
Ich blinzle noch eine halbe Stunde lang in die Sonne und mache mich dann auf den Rückweg, natürlich schicke ich wieder Postkarten an meine Familie und Jeremy. Diesmal ganz normal, sie sollen ruhig merken, dass ich heute allein los musste.
Dabei fällt mir auch wieder ein, dass ich nicht weiß, was Kim an der Tropfsteinhöhle auf Jeremys Karte geschrieben hat ...
Ich zücke mein Handy, während ich schon auf der Sitzbank meiner California sitze , und den Helm noch vor mir liegen habe.
„Tinnard?“
„Hey Sweetheart!“, grüße ich fröhlich.
„Maik! Wie geht es euch?“
Ich muss grinsen über seine Frage, allein schon, weil er nicht nur nach meinem Befinden fragt. Offenbar hat er längst akzeptiert und verinnerlicht, dass Kim und ich zusammen sind. Schön!
„Geht so. Ich bin heute allein unterwegs. Hab frei.“
„Oh, das ist schade.“
„Hör mal, Jers, hat meine Mom dir die Postkarte mitgebracht, die Kim und ich neulich geschickt haben?“
„Ja, hat sie“, sagt er und dehnt das Ja. „Wieso fragst du?“ Ich kann sein breites, ziemlich freches Grinsen förmlich sehen.
„Na, weil Kim noch irgendwas auf die an dich gekritzelt hat, und ich mich grade dran erinnert hab, dass ich nicht weiß, was.“
„Und jetzt willst du, dass ich es dir sage?“
„Nein, es reicht, wenn du es mir vortanzt!“, maule ich und weiß doch, dass er mich mit meiner eigenen Ungeduld schlägt.
„Also, wenn du so rumzickst, sage ich es dir nicht.“
„Sorry“, nuschle ich.
„Ah, schon besser! Okay, lass mich nachdenken ... Warte, ich such die Karte schnell ...“ Seine Pause wird untermalt von Geraschel und leisen Schritten, schließlich erschrecke ich mich, als er wieder spricht: „Ha! Hab sie. Okay, also ... Echt ’ne schöne Handschrift, die dein Liebster hat, aber das weißt du sicher ...“
„Jers!“, ermahne ich ihn, nur um ein spöttisches Lachen zu kassieren.
„Als o, hier steht: I’ll watch his back, for L. is no joker. K”, liest er vor und ich runzle die Stirn.
„Er will auf mich aufpassen? Schon seit der Postkartenaktion?“ Meine Stimme überschlägt sich fast, so perplex bin ich.
„Ja, wieso auch nicht? Er kennt van Keppelen sehr viel besser und länger als du! Ich fand seine Nachricht an mich sehr ermutigend.“
„Und du wusstest dadurch vor mir, dass er in mich verliebt war.“
Jeremy lacht wieder. „Ist das jetzt ein Vorwurf?“
Na ja, es ist schon seltsam, oder nicht? „Hm, nein, ich glaube, ich bin nur überrascht ...“
„Ehrlich, Maiky, dein Kim ist mehr wert als alle Typen, denen du bislang nachgetrauert hast. Halt ihn bloß gut fest ! Egal was er tut, sei einfach da, ja?“
„Ja, ich weiß ... Ich muss gut auf ihn aufpassen.“ Ich sehe mich kurz am Parkplatz meiner Maschine um, dann beginne ich ihm in Bruchstücken zu erzählen, wie schlecht es Kim heute Nacht ging und wie gern ich mehr für ihn getan hätte.
„Also ich denke, er hat gemerkt, dass er sich auf dich verlassen kann. Du musst dir keine Sorgen um seine Gefühle für dich machen. Nur um ihn .“
„Irgendwie ist das nicht sehr ermutigend ... Aber wo wir grade von Gefühlen reden ... Kann es sein, dass du sehr aufpassen musst bezüglich Timeon?“
Jeremy antwortet nicht sofort und ich befürchte schon, dass er mich wütend abkanzelt, doch einmal mehr überrascht er mich: „Ich hab keine Ahnung, was da los ist, Maiky. Ich konzentriere mich zwei Sekunden lang nicht auf das, was ich grade tue und schon sehe ich seine Augen vor mir, sein wild abstehendes Haar, sein ...“ Mit einem Seufzen bricht er ab.
„Oh, Mann, es hat dich richtig erwischt, was?“
„Weiß nicht, ja ... vielleicht. Jedenfalls war ich am Sonntag stinksauer, weil dieser Eric so nett ist! Wie kann der kleine Mehlsack es wagen, sich einen so tollen Typen zu angeln?!“
Ich verkneife mir das Lachen über Jeremys Ausbruch nur mit Mühe. Jetzt tut er mir wirklich leid. „Ich verstehe, was du meinst. Ich fürchte, du wirst ihn dir echt aus dem Kopf schlagen müssen.“
„Hm, ja.“
Okay, das klingt gar nicht gut. Ich kann nur hoffen, dass mein bester Freund sich fängt, und er nicht noch einen Turniersieg aufgrund geistiger Umnachtung vergeigt. Meine Mom hat viel Verständnis, aber sie wird ihm den Hosenboden strammziehen, wenn er Portos noch mal aussehen lässt wie einen fußlahmen Esel ...
„Hey, ich habe nächste Woche ja wieder einen freien Tag, wollen wir uns dann treffen?“
„Ich weiß nicht, vielleicht kann ich euch noch mal besuchen?“
„Klar, damit du Timeon über den Weg latschst und Eric zum Teufel wünschst? Hältst du das wirklich für schlau?“
„Nein, aber es wäre besser, du würdest nicht versuchen, mir was zum Thema Liebe und schlau zu erklären!“, fährt er mich an und irgendwie muss ich ihm recht geben. Immerhin hätte ich aufgrund meiner Rachepläne beinahe übersehen, dass ich in Kim verliebt bin ...
„Okay, ich melde mich am Wochenende und sag dir, wie die Planung aussieht und ob du vorbeikommen kannst.“
„Danke.“ Jeremy klingt beinahe erleichtert. „Und Maiky?“
„Ja?“
„Du vertraust Kim doch, oder?“
„Was für eine blöde Frage, natürlich tue ich das!“
„Dann lass ihn auf dich aufpassen. Bis dann, Großer!“
Bevor ich antworten kann, hat er aufgelegt. Hm, habe ich eigentlich irgendwann mal durchklingen lassen, dass ich Kim nicht zutraue, auf mich aufzupassen, wenn es drauf ankommt?
Ich meine, ich bin doch kein verstockter Fünfjähriger, der sich weigert, an Papas Hand über die Straße geführt zu werden!
Ich schüttle den Kopf, setze meinen Helm auf und starte die Maschine. In zwei Stunden bin ich wieder am Feuerried und das Erste, was ich tun werde, ist, nach Kim zu sehen.
Blöder Gedanke, wenn heute Nachmittag der Scheich angekommen ist, wird mein süßer Kim kaum Zeit für einen Ferienjobber haben ...
Hm, also mich ins Büro zu begeben und dort in Arbeit einzugraben hilft nur bedingt gegen meine Sehnsucht nach Maik. Schon krass, oder?
Ich meine, ich will es so, will ihn vermissen, wenn er nicht da ist, will mir Sorgen um ihn machen, wenn er Motorrad fährt ... Denn ich weiß, dass all diese Gefühlsregungen nur weitere Indizien für Liebe sind.
Das erfüllt mich bei allen ängstlichen Gedanken um seine gesunde Heimkehr hierher doch mit einer gewissen Freude. Ja, es tut gut, ihn zu vermissen. Eindeutig!
Ich wühle mich durch den Posteingang, erledige fällige Bestellungen und Telefonate, danach wird es vor meinem Büro auf dem Hof ungewöhnlich laut und ich werde deutlich daran erinnert, dass heute nicht bloß ein Gast anreist, sondern eine ganze Horde von Besuchern.
Mehrere Fahrzeuge halten auf dem Hof und ich verlasse meinen Schreibtisch, um ans Fenster zu gehe n .
Innerhalb kurzer Zeit sind die Parkplätze vor dem Gutshaus belegt, ein Wagen hat direkt vor der Freitreppe gehalten, und Lu kommt gerade mit strahlendem Lächeln über selbige hinab.
Ich warte noch kurz und beobachte.
Aus der schwarzen Limousine – kein Hollywood-Stretch-Teil, sondern einfach ein Oberklassewagen – entsteigt gerade ein erstaunlich junger Mann, der so westlich aussieht, wie man sich einen Geschäftsmann in unseren Breiten eben vorstellt.
Er trägt nicht einmal einen kompletten Anzug, sondern eine hellgraue Stoffhose und ein schneeweißes, langärmeliges Hemd mit halb aufgerollten Ärmeln.
Ich blinzle und atme ein paarmal tief durch. Also der sieht ganz sicher nicht aus wie ein Scheich!
Das pechschwarze Haar ist kurz geschnitten und passt zu seinem dunklen Hautton, er trägt einen Kinnbart, gut getrimmt und sehr gepflegt. An seinem Handgelenk sehe ich eine riesige Armbanduhr mit schwarzem Lederband.
Das also ist Scheich Hilal bin Kamal Al-Sawi. Mit viel Glück ist er Mitte dreißig. Interessant!
Während Lu und Hilal – den ich ganz sicher niemals so ansprechen werde, sondern immer mit seinem vollen Namen – sich langwierig begrüßen, steigt ein weiterer junger Mann aus der Limousine.
Er ist schätzungsweise fünf Jahre jünger als Hila l, sehr ähnlich gekleidet und trägt keinen Bart. Er wirkt gelangweilt und sieht sich neugierig um.
Ich trete hastig vom Fenster zurück und hoffe inständig, dass er mich nicht gesehen hat. Schon ziemlich unhöflich, von meinem Versteck aus einfach zu beobachten wie ein Spanner.
Ich seufze und gehe zur Tür und auf den Hof.
„Ah, Kim!“, ertönt beinahe sofort Lus joviale Stimme und ich gehe gemessenen Schrittes auf ihn und seine Besucher zu.
Ich lächle verhalten, bin mir innerhalb von Sekundenbruchteilen darüber im Klaren, dass ich die Jeans vielleicht doch schon gegen eine Stoffhose hätte tauschen sollen, und lasse mich vorstellen.
„Das ist der Gestütsleiter Kim Andreesen. Er genießt mein vollstes Vertrauen und wird heute Abend mit uns speisen.“
Klar, niemand spricht von Geschäften. Das wäre auch so ziemlich das Unhöflichste, was Lu jetzt tun könnte.
„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Andreesen.“ Der Scheich reicht mir die Hand und ich erwidere seinen Gruß.
„Mein Bruder Salih bin Kamal Al-Saw i. “
Ich nicke ihm zu und warte, ob er mir die Hand reichen will.
Ein ähnliches Verhalten werde ich auch bei den mitreisenden Damen an den Tag legen müssen, aber was das angeht, habe ich mich in den letzten Tagen via Internet sehr schlau gelesen und sogar ein paar arabische Floskeln gelernt.
Ebenjene Damen sitzen offenbar noch immer in den parkenden Fahrzeugen und ich frage mich, wie lange sie dort ausharren müssen, bevor sie zu einer Erfrischung ins Haus gebeten werden.
„Es ist nicht nötig, meinem Bruder oder mir gegenüber arabische Umgangsweisen zu verwenden. Wir sind beide auf europäische Schulen gegangen und erkennen die westlichen Gepflogenheiten an.“
Dieser Hinweis lässt mich lächeln und nicken. „Vielen Dank.“
„Gut, dann wollen wir uns darum kümmern, dass unsere Gäste sich in Ruhe einrichten können“, verkündet Lu an mich gewandt und sieht zum Ende der Treppe hinauf, an der die Zimmermädchen auf ihren Einsatz warten.
Der Scheich nickt zu den anderen drei Fahrzeugen und erst jetzt wird mir klar, wie viele Gäste wir hier wirklich haben werden.
Zuerst steigen die Fahrer aus, öffnen die Türen zu den Fonds der Wagen und entlassen aus jedem davon zwei Personen, während von der Beifahrerseite jeweils ein offensichtlicher Bodyguard in die Sonne tritt.
Wahnsinn.
Sechs Frauen unterschiedlichen Alters, insgesamt vier Bodyguards und vier Fahrer, die eigentlich auch eher aussehen wie Wachleute, plus Scheich und Scheichbruder versammeln sich vor Lu und mir.
Wie von Hilal angedeutet, gilt das westliche Verhalten nicht für die Damen, deshalb wird nur knapp genickt und am besten gleich wieder ignoriert. Das gilt – auch wenn es mir kaum so vorkommen will – als sehr höflich und respektabel. Man bringt den Frauen durch Nichtbeachtung Achtung entgegen.
Unter wenigen weiteren Worten von Lu begeben wir uns ins Haus und dort in den linken Hauptgang. An seinem Ende liegt ein weiterer Salon, in welchem die Hausmädchen und Theodora offensichtlich bereits Erfrischungen und einen Imbiss vorbereitet haben.
Von Theodora selbst sehe ich nichts, aber die Zimmermädchen, die eben an der Treppe gewartet haben, begleiten nun die Wachleute, die eine Art Allround-Dienerschaft darstellen, mit dem Gepäck der Herrschaften in den ersten Stock des Gästebereichs.
Die Damen ziehen sich nur eine Viertelstunde später dorthin zurück und zurück bleiben nur Hilal, Salih, Lu und ich.
Wir trinken heißen, schwarzen Tee, den ich nur mit viel Zitrone ertrage, während wir gemütlich in den Sesseln vor dem natürlich leeren Kamin sitzen.
Glücklicherweise erinnere ich mich noch rechtzeitig daran, dass man seinen arabischen Geschäftspartnern niemals seine Fuß- oder Schuhsohlen präsentiert. Das gilt als ausgesprochen unhöflich und respektlos.
Ich mustere die Besucher interessiert, aber nicht zu auffällig. Sie sind schließlich keine Tiere im Zoo, sondern ganz normale Gäste des Gestüts. Der kleine Bruder des Scheichs hat hellbraune Augen und sein Haar ist ebenso pechschwarz wie meines und das seines Bruders. Er beobachtet mich, das ist mir durchaus bewusst, aber ich kann schlecht darauf reagieren. Vor allem, weil ich keine Ahnung habe, wieso er mich so intensiv ansieht.
Gilt das nicht als unhöflich? Aber gut, der Scheich hat ja verkündet, dass wir ihm und Salih gegenüber nicht in arabische Förmlichkeiten verfallen müssen ...
„Herr Andreesen“, reißt mich die angenehme Stimme des Scheichs aus meinem gedanklichen Araber-Knigge, und ich sehe ihn aufmerksam an. „Mein Bruder liegt mir seit Beginn unserer Reise hierher schon damit in den Ohren, die Pferde sehen zu wollen. Wären Sie so freundlich, ihn ein wenig herumzuführen?“
Ich staune. Nach so einer Reise will man doch erst mal in Ruhe ankommen, oder nicht?
Salih wirft seinem Bruder einen missbilligenden Blick zu, vermutlich, weil dieser für ihn gesprochen hat und dabei echt ein wenig väterlich geklungen hat.
Ich nicke. „Sehr gern. Wollen Sie sich vorher kurz zurückziehen?“, erkundige ich mich und sehe Salih zum ersten Mal direkt und offen an. Er sieht gut aus, unbestritten. In seinen Augen liegt etwas Abenteuerlustiges. Das gefällt mir.
Salih lächelt. „Sie meinen, ob ich mich sofort in Reithose und -stiefel werfen will?“
Seine Ausdrucksweise fasziniert mich, ebenso wie seine Stimme. Er spricht absolut akzentfrei – im Gegensatz zu seinem Bruder, der manche Worte ungewöhnlich beton t .
Dieser lacht auf. „Mein Bruder würde am liebsten von morgens bis abends in einem Sattel sitzen.“ Er klingt, als würde er ein Geheimnis verraten und blinzelt mich verschwörerisch an. Das irritiert mich, um ehrlich zu sein.
Salih ist bereits aufgestanden und ich folge seinem Beispiel. „Ich glaube, ich brauche noch keine Reitkleidung“, verkündet er steif und wendet sich demonstrativ ab, um mir zur Tür zu folgen.
Seltsam, ich bin ja vielleicht nicht der feinfühligste Mensch dieses Planeten, aber sogar ich spüre eine gewisse Spannung zwischen den Männern, die ich mir natürlich nicht erklären kann.
Ich weiß auch gar nicht, ob ich das will. Letztlich kann es mir doch vollkommen egal sein, ob sie im Clinch liegen. Ich weiß nur, dass ich keinen Bock hätte, in seinem Alter von meinem Bruder wie ein Kind behandelt zu werden.
Kaum dass wir den Raum verlassen haben, bleibt er stehen und sieht mich an. „Tut mir leid, mein Bruder hat noch nicht begriffen, dass ich erwachsen bin ...“
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Wenn ich ihm jetzt sage, dass er sich bei mir ganz sicher nicht entschuldigen muss, bestätige ich ihm nur, dass das Verhalten seines Bruders auch auf mich sehr herablassend gewirkt hat, und das wiederum könnte ihn, also Salih, kränken.
„Kommen Sie“, sage ich deshalb nur und gehe neben ihm her zurück auf den Hof. „Wollen Sie die Rennpferde oder die Turnierpferde zuerst sehen?“
Er schnaubt und winkt ab. „Ich kann mit den Galoppern nichts anfangen, die brauchen Sie mir gar nicht zu zeigen. Aber die Reitpferde ...“ Sein Blick verklärt sich etwas, bevor er mir das Gesicht zuwendet. „Ich habe gehört, Sie haben hier eine wunderbare Auswahl davon ...“
Ich nicke. Das abzustreiten wäre eine glatte Lüge. „Allerdings, aber sie stehen derzeit bis auf wenige Ausnahmen auf den Weiden.“
„Aha? Und was sind das für Ausnahmen?“
Ich deute zur offenen Stalltür. „Die Tiere, die heute Stallruhe haben. Momentan sind es zwei.“
Ich überlege noch, wie schlau es ist, ihm auch Möhrchen zu zeigen, aber da sie so oder so absolut unverkäuflich ist, kann ich das wohl riskieren.
„Zeigen Sie sie mir?“
„Sicher, kommen Sie. Hier vorn steht heute Jazira. Sie hat sich bei einem Sprung vertreten und muss noch mindestens zwei Tage ruhig stehen, bevor wir sie wieder bewegen können.“
Er nickt verstehend und tritt neben mir an die Box der schönen Stute.
„Sie gefällt mir. Besonders ihre Augen. Wie alt ist sie?“
Ich deute zu dem Schild an der Boxentür. „Die Geburtsdaten der Pferde stehen hier auf diesen Tafeln. Ebenso ihre Abstammung und wenn vorhanden ihr Brand.“
Während er sich die Namensschilder an den umliegenden Boxen ansieht, bemerke ich irritiert, dass mein Blick an seinem Hintern hängen bleibt.
Er ist ziemlich sexy, das muss ich schon zugeben. Natürlich kein Vergleich mit Maik und genau deshalb auch nicht wirklich interessant für mich, aber ich frage mich unwillkürlich, ob Salih auf Männer oder Frauen steht.
Öffentlich zugeben würde er Ersteres ganz sicher nicht, viel zu gefährlich in seinem Land, aber das heißt ja nichts, nicht wahr?
„Können wir auf die Weiden gehen?“, fragt er und ich hoffe, dass ich rechtzeitig meinen Blick gehoben habe.
Er grinst mich an.
„Ja, können wir.“
Wir gehen über den Platz, an meinem Haus vorbei und ich sehe mit einiger Überraschung, dass Maiks Motorrad wieder an seinem Platz steht. Ist er schon zurück? Aber wieso?
Ich blicke auf meine Uhr und begreife, dass es bereits nach 18 Uhr ist. „Oh, wir sollten uns beeilen, damit wir nicht zu spät und am besten noch unangemessen gekleidet zum Dinner erscheinen!“
Er lacht leise und nickt. „Mein Bruder würde sich aufregen, klingt schon fast verlockend ...“
Klar, den Ärger würde ja auch ich kriegen und nicht er!
Auf dem Weg zu den Weiden unterhalten wir uns über seine Schulzeit und seine Erfahrungen in Europa. Es erstaunt mich immer mehr, wie weltoffen und locker er ist. Bei Finchen, Cato und Hannibal, die bereits am Gatter stehen und offensichtlich in ihre Boxen wollen, bleiben wir stehen.
„Oh, diese Stute ist aber groß!“ Salih hebt die Hand zu Finchens Nüstern und streichelt sie.
„Ja, eine Oldenburger Stute. Einsachtzig Widerristhöhe.“
„Sie hat eine schöne Hinterhand, springt sie gut?“
Ich nicke. „Sie fliegt eher. In zwei Wochen geht sie auf Turnierreise mit unserem Turnierreiter André. Der hier auch.“ Ich deute auf Cato und erzähle ein bisschen was zu den Tiere n. Bis ich kapiere, dass Salih nicht mehr so richtig zuhört.
Er blickt zwischen Cato und Hannibal hindurch und ich entdecke, wen er da anstarrt.
Maik!
Zwischen den Weiden jenseits dieser verläuft der Weg, den wir für Ausritte benutzen, und genau dort reitet Maik gerade auf Mirabeau entlang.
„Das ist Mirabeau“, erkläre ich und er fährt zu mir herum. Sein fragender Blick macht es mir schwer, mein süffisantes Grinsen zu unterdrücken. „Der Schecke dort. Das ist der Hengst Mirabeau.“
„Ah, ich verstehe. Und wieso reitet der Typ mit ihm weg?“
„Das ist Maik, einer unserer Ferienjobber. Ich vermute, er nutzt das schöne Wetter für einen Ausritt zum Badesee.“
Salih schluckt sichtbar und sieht Maik noch immer nach. „Der Hengst sieht toll aus. Lustig, irgendwie.“
„Er gehört mir. Maik bildet ihn gerade aus.“
„Aber sagten Sie nicht, dass er nur ein Ferienarbeiter ist?“ Salihs Blick ist skeptisch.
„Ja, sagte ich. Nur, dass unsere Ferienjobber allesamt gut ausgebildete Reiter sind und wir großen Wert darauf legen, dass sie hier nicht nur Stallarbeiten verrichten.“
Ich sehe auf meine Uhr. Es wird wirklich Zeit, zum Gestüt zurückzugehen. Ich muss noch duschen, mich umziehen und dann pünktlich um acht im Speiseraum erscheinen. Selbiges gilt für Salih, der meinen Blick auf mein Handgelenk bemerkt.
„Wir müssen zurück, ich weiß.“
Ich hoffe, dass Kim mir nicht böse ist, weil ich seinen Liebling zum Badesee entführe. Irgendwie habe ich vergessen, ihn heute Morgen danach zu fragen, ob das klargeht. Vermutlich, weil ich nicht einmal halbwegs wach gewesen bin und auch nicht an Möhrchens Verletzung gedacht habe.
Eigentlich denke ich aber, dass er nichts dagegen hat. Er weiß, dass ich anständig mit Mirabeau umgehe.
Ich reite zum öffentlichen Strand des Sees und lasse den Hengst auf der Weide zurück, nachdem ich ihn von Sattel und Zaumzeug befreit habe.
Er ist nicht der Einzige, der auf der Weide steht, und ich entdecke am Strand noch Nils und Sandra aus dem Rennstall, die lachend auf ihren Handtüchern liegen.
Ich muss grinsen. Haben die beiden sich etwa so sehr angefreundet?
„Hi Maik!“, grüßt Sandra und kichert, während Nils mich ebenfalls entdeckt.
„Hi ihr, ich hoffe, ich störe euch nicht?“
Ich lasse meine Tasche und mein Handtuch am Strand liegen und ziehe mich bis auf meine Badeshorts aus, um ins Wasser zu gehen.
„Ach was, keine Sorge.“ Nils winkt ab. „Wir können auch vor Zeugen knutschen!“
Ich lache laut auf, als er einen dumpfen Laut von sich gibt, weil Sandra ihn heftig in die Seite boxt.
„Ihr macht das schon“, erwidere ich und tauche ab, um in Ruhe eine große Runde durch den See zu schwimmen.
Das Wasser ist angenehm und in den tieferen Bereichen durchaus kühl. Herrlich!
Der Einzige, der mir jetzt fehlt, ist Kim.
Aber den habe ich ja eben noch an einer Weide gesehen. Mit einem Typen, der vermutlich der kleine Bruder des Scheichs ist. Viel konnte ich nicht erkennen, aber das muss ich ja auch nicht. Ich will nicht an Kim denken, auch nicht daran, dass ich heute Nacht nicht neben ihm liegen kann. Ich bin gespannt, wie lange ich zum Einschlafen brauchen werde.
Als ich ernsthaft Hunger bekomme, mache ich mich auf den Rückweg und versorge Mirabeau gewissenhaft, bevor ich in meiner Ferienwohnung verschwinde. Es ist erst 22 Uhr, weshalb ich mir nicht vorstellen kann, dass Kim bereits in seine Wohnung zurückgekehrt ist. Ich mache mir Brote mit Tomate nscheiben und setze mich vor den Fernseher. Auf Arbeiten am Laptop habe ich heute keine Lust, auch nicht darauf, mich mit Fachliteratur zu beschäftigen.
Ich schnappe mir nach dem Essen mein Smartphone und schicke Kim eine Nachricht.
> Bin vom See zurück. Vermisse dich.
Ich grinse blöd auf das sich langsam verdunkelnde Display. Er wird sich melden, da bin ich sicher.
~*~
Das wild flackernde Licht in meinem kleinen Wohnzimmer weckt mich Stunden später und ich greife beinahe zeitgleich nach Handy und Fernbedienung. Fernseher aus, Handy an.
Eine Nachricht von Kim.
> Hey, wieso liegst du nicht in meinem Bett? Vorzugsweise nackt und willig?
Ich lache kopfschüttelnd auf und sehe auf die Sendezeit, dann auf die Uhr. Seine Mitteilung ist zwei Stunden alt und jetzt ist es kurz nach eins. Verdammt!
Ich könnte mich runterschleichen ... um diese Zeit sollte niemand mich dabei erwischen können, aber wie komme ich morgen ungesehen wieder raus?
Nein, es ist wohl besser, jetzt einfach in mein eigenes Bett zu gehen und wei terzuschlafen. Aber einen Gute-Nacht-Gruß bekommt er noch.
> Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Schlaf schön!
Müde wanke ich in mein Schlafzimmer und werfe das Handy auf den Nachttisch. Ich ziehe mich bis auf meine Trunks aus, klemme die Decke zwischen meinen Beinen ein und umarme sie. Seltsam, das habe ich seit Jahren nicht getan. Aber diese Körperhaltung simuliert wenigstens ansatzweise einen Kim, den ich im Schlaf festhalten kann ...
Ich starre in die Dunkelheit und seufze immer wieder bedauernd vor mich hin, bis ich mir erfolgreich einbilde, nicht mehr allein zu sein.
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb schreie ich erschrocken auf, als mich etwas an der Schulter berührt. Ich drehe mich hastig herum und erkenne einen Umriss vor meinem Bett. Kim hockt oder kniet neben mir.
„Rückst du ein bisschen?“, fragt er leise und ich schaffe es noch immer nicht, zu antworten. Stattdessen rücke ich wenigstens etwas zur Wand und mache ihm Platz.
Es dauert keine Minute, bis wir in der mittlerweile so gewohnten Haltung zusammen daliegen, und die Decke ihren kurzen Dienst als Kim-Double hinter sich hat.
Meine Lippen machen sich selbständig und küssen sich über Kims Schulter zu seinem Hals, seinem Ohr, bis er den Kopf dreht und meinen Mund erobert.
„Ich hab dich vermisst“, murmele ich irgendwann und ziehe ihn dichter an mich, um seinen Geruch tief in meine Lungen zu saugen.
„Ich dich auch. Ich habe beschlossen, dass ich keine ganze Nacht ohne dich aushalte.“
„Aber was, wenn dich jemand sieht, wie du morgen früh hier rausschleichst?“, gebe ich zu bedenken.
„Ich werde vollständig angezogen sein , und wenn jemand fragt – was eher unwahrscheinlich ist, angesichts meines Status’ hier – werde ich behaupten, schon eine Besprechung mit dir gehabt zu haben. Was im Übrigen bedeutet, dass wir nicht vor sieben im Stall auftauchen werden.“
„Oh!“, mache ich. „Wer hätte gedacht, dass mein Koalabärchen so ein durchtriebener Kerl ist?“
Er lacht leise. „Es ... das mit dem nackt und willig war nur so ein Spruch.“
„Keine Angst, ich weiß. Ich habe noch bestens in Erinnerung, wie es dir gestern ging.“ Meine Stimme erstirbt beinahe. Es fällt mir schwer, das auszusprechen. „Geht es dir mittlerweile ein wenig besser?“
Er nickt und küsst mich erneut. „Ja, danke.“
„Gut! Äh ... Ich meine ...! Ich finde es wirklich gut, nicht weil ich was will, okay?“
Seine Lippen hindern mich am Sprechen. „Alles gut, Maik.“
Er schmiegt sich an mich, und während wir uns gegenseitig streicheln, ganz zärtlich, ohne Wollust, schlafe ich ein.
Es ist schön hier, auch wenn Maiks Bett deutlich schmaler ist als meines, zählt für mich doch nur, in seinen Armen zu liegen. Ja, ich weiß, total kitschig, quasi schon insulinpflichtig, das alles hier, aber egal!
Der Wecker holt mich um kurz nach sechs aus meinen Träumen und ich mache ihn schnell aus, um Maik etwas zärtlicher zu wecken. Sex ist derzeit keine Option und er scheint das spüren, dennoch tauschen wir, kaum dass er von meinen Küssen aufgewacht ist, etliche Streicheleinheiten.
Meine frische Wäsche liegt im Badezimmer, aber dahin zieht es uns vorerst nicht.
„Müssen wir nicht langsam aufstehen?“, erkundigt sich Maik irgendwann und klingt ungefähr so unwilli g, wie ich mich fühle.
„So langsam, ja. Du willst ja noch deinen Joghurt essen und ich brauche meinen Kaffee. Außerdem sollte mein Haar nicht mehr nass sein, wenn ich deine Wohnung verlasse ...“
Er kichert. „Du bist ein Schlitzohr, Kim. Aber ich kann nicht sagen, dass mich das momentan stört.“
„Mich auch nicht, aber ich habe null Bock auf den Tag.“
„Was genau steht heute an?“
Ich hebe die Schultern. „Alle eventuell zum Verkauf möglichen Turnierpferde werden vorgeführt. Das heißt, du wirst heute aus dem Sattel nicht herauskommen.“
Er mustert mich ernst und zieht mich dich t an sich, seine Hand legt sich an meinen Hintern, bedeckt ihn mit Zielsicherheit da, wo sich mein derzeit wundester Punkt befindet. Erstaunt blicke ich ihn an, vielleicht auch ein wenig ängstlich, jedenfalls wirkt seine Geste nicht fordernd, sondern beruhigend.
Seine Berührung löst weder Verkrampfung noch Schmerz in mir aus, wofür ich sehr dankbar bin, denn ausgerechnet vor Maiks Annäherung Angst zu haben, ist so ziemlich das Letzte, was ich will. Seine liebevolle Geste verstehe ich deutlich. Er will mir sagen, dass er mich beschützt. Ich bin mir sicher, dass er Lu eine reinhauen würde, wenn er mich noch mal anfasste. Allerdings habe ich ihm noch nichts von meinem beendeten Deal berichtet.
Sollte ich auch nicht tun!
Ich kenne Maik mittlerweile zu genau. Ich weiß, dass er sich nicht zurückhalten würde. Weder darin, seine Zuneigung zu mir zu zeigen noch darin, Lu ein paar passende Takte mitzuteilen.
Beides undenkbar, weil es Maik in große Gefahr bringen würde. Lu mag meine Weigerung, den Deal fortzusetzen akzeptiert haben, aber er würde niemals auch nur das kleinste bisschen Verständnis dafür aufbringen, dass ich zu Maik gehöre!
Zu Maik, dem Sohn desjenigen Mannes, der irgendwie für einen massiven Knacks bei Lu gesorgt hat.
Noch dazu würde diese Nachricht Maik in einen gewissen Zugzwang bringen. Zumindest denke ich das, denn er würde doch sofort davon ausgehen, dass mein beendeter Deal eine bestimmte Art von Reaktion seinerseits einfordert, oder nicht?
Ich will aber schlichtweg nicht, dass er denkt, ich hätte mich von meinem Erbe getrennt, damit er mich toller f indet. Oder gar, dass er denkt, mir etwas zu schulden deshalb!
„Hör zu, du musst mir versprechen, dass du dich ganz ruhig verhältst, ja? Ich glaube, der kleine Bruder vom Scheich fand gestern Abend, als du zum See geritten bist, nicht nur Mirabeau ausgesprochen hübsch ...“
Er dreht mich zu sich und sieht mich erstaunt an. „Wie bitte?!“
„Na ja, ich glaub, er fand dich echt heiß – was ich ihm ja nun wirklich nicht übelnehmen kann ...“ Ich kichere.
„Du willst mir jetzt nicht sagen, dass der kleine Bruder von Ludwigs Scheich schwul ist oder? Ich meine, wie lebt der denn dann ausgerechnet in Dubai? Ich hab gestern Abend in den Nachrichten noch gesehen, dass die da eine Frau wegen nichtehelichem Sex zu Gefängnis verurteilt haben, obwohl sie vergewaltigt wurde!“
Ich starre ihn kurz perplex an. „So was gibt’s?“
„Ja, schlimm genug, aber wenn ich so was höre, kann ich mir nicht vorstellen, dass man als Schwuler ausgerechnet dort leben will.“
„Hm, vielleicht hat er keine Wahl? Aber der Scheich und Salih sind hier in Europa erzogen worden. Vielleicht sind sie auch deshalb so locker ...“
Ich nicke vor mich hin, weil mir das halbwegs logisch erscheint.
„Dann kannst du ihm bei entsprechendem Kommentar ja sagen, dass ich unsterblich verliebt bin und nach meinem Job hier nach Hause fahren werde, um meinen Kindergartenfreund zu heiraten. Das ist nämlich auch endlich durch in meiner Heimat!“
Oha, Nachrichten zu sehen scheint sich ab und an doch auszuzahlen. Mache ich ja sonst auch, beziehungsweise wir zusammen, aber gestern ist mir anscheinend einiges entgangen ...
„Warte mal ... Du willst was?!“, entfährt es mir und ich habe Mühe, mir den echten Schock nicht zu sehr anmerken zu lassen. Maik zieht mich auf sich, bevor ich noch etwas sagen kann.
„Ich glaube, wenn ich dich vor so langer Zeit kennengelernt hätte, wäre ich seit mindestens zehn Jahren mit dir zusammen und hätte dich längst gebeten, mich zu heiraten ...“, flüstert er gegen meine Lippen, bevor er mich zärtlich küsst.
Wow, was für eine Liebesbezeugung! Sprachlos erwidere ich seine leichten, sanften Berührungen und möchte platzen vor Glück.
Das hier ist Maik, mein Maik, der zu mir gehört und zu dem ich gehöre. Das hat nichts mit Besitz zu tun, obwohl ich ihm alles von mir schenken will. Es ist einfach diese Tiefe, diese Bedingungslosigkeit, die den Unterschied macht.
Irgendwann richte ich mich auf seiner Brust etwas auf. „Ich würde ja sagen.“
Er blinzelt, ich ebenso.
Was ist mir denn da rausgerutscht?! Ich klappe den Mund auf und wieder zu, weiß einfach nicht, wie ich aus dieser Nummer wieder herauskommen soll.
Maiks Blinzeln lässt nicht nach, bis ich kapiere, dass er mühsam versucht, seine Rührung zu verbergen.
„Entschuldige, manchmal ist mein Mund schneller als mein Hirn ...“, erkläre ich leise und hoffe, dass er mir meine Worte nicht übelnimmt.
Er schluck t sichtbar und richtet sich nahtlos auf, was bedeutet, dass ich nun rittlings auf ihm sitze. „Ich würde mich unter den gegebenen Umständen gar nicht trauen, dich zu fragen, Kim. Ich hätte Angst vor deiner Antwort.“
Fragend sehe ich ihn an. Habe ich ihm nicht gerade in einem Anflug absoluter Geistesnacht gesagt, wie ich antworten würde? „Was meinst du?“
„Hm ... Du bist mit dem Feuerried so fest verbunden, ich kann mir nicht einmal vorstellen, dass du es jemals verlassen wirst. Also, auf Dauer, meine ich.“
Ja, aus seiner Sicht und mit seinem Informationsstand ist das wohl eine sehr logische Anschauung. Lasse ich ihn in dem Glauben?
Ich überlege hin und her, während ich seinen Kopf an meine Schulter ziehe und meine Hand in sein Haar fährt.
„Hey, mein Großer, weißt du denn nicht, wie sehr mich das mit dir durcheinandergebracht hat?“, beginne ich mit möglichst liebevollem Ton. „Dich in meiner Nähe zu haben wird immer wichtiger für mich! Oder was denkst du, wieso ich nicht einmal die paar Meter Abstand zwischen unseren Betten aushalten konnte heute Nacht?“
Er hebt den Kopf und sieht mich aus seinen schönen Jadeaugen an. Schwimmen sie noch mehr als eben? Er blinzelt nicht mehr.
„Ich liebe dich, Maik. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie es hier sein soll, wenn du ohne mich abreist.“
Wir machen uns nach dem Minifrühstück – Kaffee, Kaffee und Joghurt – auf den Weg in den Stall und ich hoffe, dass ich vor lauter durch meinen Körper peitschendem Blut überhaupt mitbekomme, was heute alles passiert.
Verdammt, haben wir uns vorhin beide so dermaßen verplappert? Erst ich mit diesem ‚wenn -dann‘ und anschließend Kim mit der Antwort, von der ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte?
Was bedeutet das? Ich meine, würde er ja sagen, wenn ich hierbliebe? Oder würde er mitkommen und – wegen mir – alles hinter sich lassen, für das er so viele Male Erniedrigung und Gewalt über sich hat ergehen lassen?
Er kann mir tausendmal erklären, dass die Negation keinen Schmerz zulässt, aber seine Seele beschützt sie nicht! Ganz sicher hat Kim sich nur mit seinem ehrgeizigen Ziel aufrecht gehalten! Mit dem Erbe des Feuerrieds. Und wer bin ich, ihm das nur Monate vor dem Erreichen des Ziels zu versauen, indem ich hier auftauche und mich in ihn verliebe?
Ach, kann die Welt sich mal entscheiden? Es wäre wirklich toll, wenn ich diesen Mega-Gefühlscocktail einfach genießen könnte!
Stattdessen erwacht mit dem Verlassen meiner Ferienwohnung sofort wieder die Sorge um Kim in mir.
Ich bin mir nach der letzten Nacht, in der wir ausgesprochen einvernehmlich wieder keinen Sex hatten, sehr sicher, dass Ludwig ihn brutal verletzt hat. Ja, ich müsste sauer sein, weil Kim sich noch immer von ihm benutzen lässt, aber wie bereits erwähnt, steht es mir überhaupt nicht zu, darüber zu urteilen. Das hat Jeremy mir doch auch gesagt, als ich ihn in Aachen besucht habe.
Außerdem liebe ich ihn und das ist doch nicht davon abhängig, was er sonst noch tut, oder?
Hm, ganz so einfach ist es nicht.
Ich versorge die ersten Pferde, putze sie besonders gründlich und heute trifft sich diese Arbeitsteilung sehr gut.
Während Lukas und Tom die Tiere striegeln, die heute wieder auf die Weide dürfen, übernehmen Kim und ich diejenigen, die vorgeführt werden sollen. Die Boxen dieser machen Timo und Pascal zuerst sauber, damit wir sie wieder hineinstellen können.
Die Boxen der Weidegänger bleiben unberührt, bis alle anderen versorgt sind.
Trotz allem geschieht das, was wir zu sechst tun, sehr planmäßig und geordnet. Es lenkt mich ab, holt mich aus meinen Grübeleien, die mir derzeit sowieso nur weh tun, weil ich die Konsequenzen davon kenne.
Ich beobachte Kim immer wieder. Seine schönen, so geschmeidigen Bewegungen, die einfach mit nichts vergleichbar sind. Wie ein Tanz von Gliedern und ein perfektes Zusammenspiel von Kraft und Eleganz. Ich könnte ihm ewig zusehen, wie er die einfachsten Dinge tut. Ein Pferd striegel n, zum Beispiel.
~*~
Das Frühstück gönnen Kim und ich uns heute allein. Theodora hat genug Stress mit den Mahlzeiten und wir genießen die Ruhe, davon abgesehen befinden sich in unseren Kühlschränken noch deutlich zu viele bald nicht mehr haltbare Lebensmittel. Gute Ausrede, nicht wahr?
Aber leider können wir nicht ewig hier sitzenbleiben und müssen uns auf die Pferdeschau vorbereiten.
Kim wird beim Scheich und dessen Bruder sitzen und ihnen zu jedem der Tiere eine Art Informations-Abhandlung liefern, während Tom, Ferdinand und ich mit den Pferden arbeiten. Zuerst geritten, dann frei müssen sie alle zeigen, was sie draufhaben.
Mir bleibt trotz allem immer wieder Zeit, um den hohen Besuch zu beobachten und ich stelle fest, dass Kim mit seiner Vermutung wohl richtig gelegen hat: Salih steht auf Kerle – in diesem Fall wohl auf mich.
Nicht dass mich das in irgendeiner Form persönlich tangiert, aber ich mache mir erneut die wildesten Gedanken um den jungen Mann. Ich glaube, er ist höchstens ein oder zwei Jahre älter als Kim und ich. Wie mag es sein, in einem Land zu leben, indem so vieles verboten ist, das direkt mit seiner Neigung in Verbindung steht?
Wieso lebt er nicht einfach in Europa? Wäre das nicht viel angenehmer für ihn?
Ich schüttle den Kopf und konzentriere mich darauf, Lupinia vorzuführen. Bislang haben weder Hilal noch Salih sich anmerken lassen, welches der Pferde sie besonders finden. Aber, das hat Kim mir beim Frühstück erklärt, genau das ist üblich.
Man zeigt keine Begeisterung und keine Bewunderung für den Besitz eines anderen, sonst bringt man den Gastgeber oder Besitzer in die Verlegenheit, einem das bewunderte Stück zu schenken.
Natürlich geht so etwas mit einem Gegengeschenk einher, aber das alles hat in geschäftlichen Verhandlungen nichts zu suchen.
Die Damen, die der Scheich mitgeschleppt hat, sind übrigens nicht anwesend. Sie durften heute nach dem Frühstück mit zwei Fahrzeugen und ein paar Bodyguards, von denen vier andere jetzt hinter dem Scheich und seinem Bruder stehen, zum Shopping .
Im ersten Moment habe ich gedacht, ich hätte mich verhört, aber wenn Kim mir das sagt, wird es wohl stimmen.
Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Salih sich zu Kim beugt und ihn etwas fragt. Kims Miene bleibt neutral, es kann also nichts Schlimmes sein.
Eine Antwort von ihm wird aber durch die herrische Geste des Scheichs verhindert.
Eigentlich schade, dass ich nicht verstehen kann, was da gesprochen wird. Aber der Scheich sieht – wie ich als Brite gern zu sagen pflege – not amused aus.
Entweder er weiß von den Interessen seines kleinen Bruders und missbilligt sie oder er will einfach nicht bei der Pferdeschau gestört werden.
Ich bringe Lupinia zum Ausgang der Reithalle, Tom wird nun Narla, danach Ferdinand Constance vorstellen. Ich reite die Stute auf dem Außenplatz trocken, bringe sie in den Stall und versorge sie. Erst wenn alle Pferde geritten gezeigt wurden, werden wir die Halle für die Freisprünge umbauen.
Ich schließe die Boxentür von Lupinia und will zum Vorführplan gehen, um nachzusehen, ob jetzt wirklich Hellygirl dran ist, als jemand mich anspricht.
„Man sieht Ihnen an, wie sehr Sie Pferde lieben.“ Salih steht mitten in der Stallgasse.
„Ja, das ist möglich.“ Ich nicke und sehe, wie er näherkommt. Seine Schritte sind hart und gemessen, zeugen von Selbstbewusstsein und einer beinahe greifbaren Autorität.
„Herr Andreesen ist voll des Lobes für Sie.“
Was soll das? Will er mir irgendwelche Informationen entlocken?
Ich nicke erneut, diesmal sehr zögerlich. „Das ... ist sehr freundlich von Herrn Andreesen.“
Er lächelt und kommt noch näher. Mir bleibt nichts anderes, als abzuwarten. Den kleinen Bruder eines Scheichs zu beleidigen ist nicht das, was ich jetzt tun sollte, indem ich mich abwende und einfach meine Arbeit mache.
„Sie haben ein Springpferd hier stehen, nicht wahr?“
„Ja, im Quarantänestall. Wieso fragen Sie?“
„Er hat es mir nur erzählt, aber mir das Pferd nicht gezeigt. Wären Sie so freundlich ...?“ Wow, bittet er mich wirklich grade um Erlaubnis, mein Möhrchen anzusehen?
„Ja, sicher. Kommen Sie.“ Ich deute zur Sattelkammer und gehe voraus, während ich sage: „Sie hat Stallruhe, weil sie sich einen Schnitt an der Hinterhand eingehandelt hat.“
„Ich verstehe.“ Wir bleiben vor ihrer Box stehen und ich öffne sie.
„ Sie sind wirklich der Besitzer von Celebrity Darling!“, ruft er aus und erschreckt mich damit halb zu Tode. Natürlich stehen auch hier die Namen und Daten der Pferde auf den kleinen Tafeln an den Boxen.
„Ja, bin ich ...“ Ich tauche in der Box ab und betaste ihr Bein, bevor ich nach ihrem Halfter greife und es ihr überstreife. „Sie darf für eine Stunde ins Paddock, die Heilung schreitet gut voran.“
„ Dann ...“ Salih bricht ab und sieht wieder zu meiner Stute.
„Woher kennen Sie mein Pferd?“, erkundige ich mich. Klar, in England ist sie ziemlich bekannt, in Springturnierkreisen auch, aber woher soll er sie kennen?
„Ich bin ein großer Fan des Springsports. Da kommt man an den Namen gewisser Reiter und Pferde nicht vorbei. Zum Beispiel Jeremy Tinnard und seinem Portos oder seit dem CHIO Aachen auch Jamaican Breeze.“ Er mustert mich einen Moment lang schweigend. „In einem der Interviews mit Herrn Tinnard schlichen Sie sich gerade in den Hintergrund.“
Oh, verdammt, war ich wirklich noch im Bild zu sehen, als diese Kamerateams aufgetaucht sind? Jetzt nur nichts anmerken lassen! Ich blinzle verwundert und kann mir ein schiefes Lächeln nicht verkneifen. „Ich bin kein Freund von zu viel Öffentlichkeit.“
„Ja, das ist mir aufgefallen ... Ihr Kollege aus dem Dexter-Stall ist ...“ Salih sieht sich absichernd um. „… sehr apart.“
Okay, jetzt kann ich mir meine Überraschung nicht mehr verkneifen. Mit tellergroßen Augen sehe ich ihn an und schlucke. „Sie ... meinen, als Reiter?“
Er grinst und schüttelt den Kopf, während er Möhrchens Nüstern streichelt. Noch immer stehen wir in der Stallgasse und ich kann und will ihn gerade nicht bitten, beiseitezutreten, damit ich sie zu m Paddock rausbringen kann.
„Nein, ich meine als Mann.“
Oh! Ich meine: Oh!!!
„Sie sind ...?“ Ja, ist die allerbeste Idee, ihm jetzt etwas zu sagen, das vermutlich als glatte Beleidigung gilt. „Entschuldigen Sie!“
„Dazu besteht kein Anlass“, erwidert er und wird ernster. „Wie gut sind Sie mit ihm bekannt?“
„Mit Jeremy? Er ist ...“ Ja, was sage ich denn jetzt? Mein bester Freund wäre die Wahrheit, aber damit würde Kims Geschichte, ich sei mit Jeremy zusammen, absolut hinfällig. Das kann ich nicht riskieren. „… ich kenne ihn sehr gut, seit über zwanzig Jahren.“
„Er ist zurzeit in Schweden, nicht wahr? Ich plane, mir in diesem Sommer ein paar Turniere live anzusehen.“
„Wenn Sie möchten, organisiere ich, dass Sie ihn treffen können. Also ... vielleicht wollen Sie ihn ja mal persönlich ausfragen zu seinen ... Pferden.“
Herrje, was für ein wirres Drumherumgerede! Aber im selben Moment, in welchem ich es zu Ende formuliert habe, bin ich sehr froh darüber.
„Salih! Du wolltest herkommen, um dir ein neues Pferd auszusuchen, nun sitze ich allein in der Vorführung und du treibst dich hier bei einem der ... Stallburschen herum?!“, erklingt die harsche, mit ungewöhnlichen Betonungen arbeitende Stimme von Scheich Hilal.
Ich habe Mühe, Möhrchen stillzuhalten, weil Salih sich erschreckt und ruckartig ihre Nüstern streift, um von ihr zurückzutreten. Dass der Scheich mich für einen Stallburschen hält, ist für mich okay, je niedriger er meine Stellung hier ansieht, umso besser für meine Nerven.
„Ich treibe mich nicht herum, ich sehe mir eines der besten Springpferde der Welt an, welches weder du noch sonst jemand in der Lage sein wird zu kaufen.“
Ich schnappe nach Luf t. Mann, Salih hat’s echt drauf, seinen Bruder zu provozieren! Ich bin mir sicher, jetzt gibt es eine Diskussion über Respekt, Anstand und ... Ich verdrücke mich lieber.
„Verzeihung, darf ich?“, sage ich leise und führe Möhrchen durch das Tor und zum Paddock.
„Celebrity Darling?“, höre ich den Scheich sagen. Anscheinend hat ihn jemand aufgeklärt ...
Neben dem Scheich tauchen nun auch Ludwig, ein Bodyguard, Kim und natürlich Salih auf.
„Das ist Celebrity Darling?“, widerholt Hilal und sieht sich zu seinem Bruder um. „Von diesem Pferd hast du ein Gemälde anfertigen lassen?“
Öhm ... wie bitte?! Jetzt kapiere ich gar nichts mehr, aber ich glaube zu sehen, dass Salih unter seiner bronzefarbenen Haut ein wenig errötet. Trotzdem sieht er mich an. „Eine Sprungstudie nach einem Bild aus irgendeinem Pferdemagazin ...“
„Ich verstehe. Es ehrt mich, dass mein Möhrchen so bekannt ist.“
Natürlich geht sofort die Fragerei los, wieso ich ein solches Pferd so respektlos betitele, aber das klärt sich durch Kims Eingreifen sehr schnell.
Davon abgesehen wird es nun wohl Zeit für die nächsten Vorstellungsrunden.
„Wollen wir die Schau fortsetzen oder haben Sie sich schon entschieden?“, erkundigt sich Ludwig, während alle außen am Stall vorbei zum Haupttrakt zurückkehren.
Salih nickt. „Ich denke, ich weiß, welche ich probereiten möchte.“ Er dreht sich auf dem Absatz um und blickt zuerst mich, dann Kim an. „Würden Sie erlauben, dass Ihr Mitarbeiter uns zum Springplatz begleitet, Herr Andreesen?“
Ich sehe Kim an, der nur zögernd nickt. Was hat er denn? Ist doch eine ganz harmlose Bitte gewesen und außerdem gibt Kim nicht so gern Haltungshilfen beim Springen ...
„Natürlich. Wenn Sie es wünschen.“ Kim wirkt einmal mehr geschäftsmäßig. „Sind Sie so gut, uns die entsprechenden Kandidaten zu nennen?“
Salih geht voraus, zählt neben Hannibal, Finchen und Narla auch Serpent auf, und entschuldigt sich, um sich reittauglich anzuziehen.
Der Scheich und Ludwig werden sich offenbar anderweitig vergnügen, zumindest gehen beide, dicht gefolgt von dem Bodyguard, auf die Freitreppe zu.
„Kommen die noch mal wieder?“, frage ich Kim im Flüsterton und er nickt.
„Ja, sie wollen nur eine Erfrischung einnehmen, dann dürften sie auf dem Springplatz auftauchen.“
Er klingt nicht besonders begeistert. „Was ist los? Hat er Pferde ausgesucht, die du lieber hier behalten würdest?“
Kim lacht hart auf. „Ich will eigentlich kein einziges abgeben, Maik. Sie alle sind hier, weil ich hier die beste Turnierpferdsammlung aufbauen wollte, die Deutschland zu bieten hat. Einen der vier zu verlieren kommt bereits einer Katastrophe gleich!“
„Hey, so schlimm ist das doch nun auch nicht ... Ich habe so den Eindruck, dass sein neues Pferd es verdammt gut haben wird bei Salih.“
„Ja, das bestreite ich auch nicht. Es ärgert mich nur. Keine Ahnung!“ Kims Ton ist heftiger als nötig und mir wird klar, dass der Verkauf nicht sein einziges Problem ist.
„Kim?“
„Ja?!“ Okay, er ist wirklich genervt.
„Er will nichts von mir.“
Kims Augen werden größer, weil sich seine Augenbrauen bis in die Mitte seiner Stirn schieben. „Wie bitte?“
„Na ja, er hat mich erkannt. Er weiß, wer ich bin und er kennt den Terminplan eines gewissen Jeremy Tinnard auswendig.“
„Du meinst ...?“
Ich hebe die Schultern. „Keine Ahnung, jedenfalls hat er echt ein Auge für tolle Pferde. Bedenk nur, er hat ein Gemälde von meiner Süßen! Auf die Idee bin ja nicht mal ich gekommen und sie ist meine ganz große Liebe!“
„So, so, ist sie, ja?“ Kim sieht sich um und tritt kurz dichter an mich heran. „Dabei dachte ich bisher, das wäre jemand anderes ...“
Ich kichere. „Nein, also, wenn ich ganz ehrlich bin, gibt es nur ein einziges weibliches Wesen, das ich seit dem Tag seiner Geburt liebe.“
„Du bist ein Rabenaas, Maik. Aber mit dieser Aussage kann ich leben. Na komm, du darfst dem Bruder des Scheichs Springunterricht geben ... oder so.“
Wir machen uns auf den Weg in den Stall, wo Tom und Lukas bereits damit beschäftigt sind, alle nicht ausgewählten Pferde auf die Weiden zu bringen und Hannibal zu satteln.
Herrje, bin ich wirklich so eifersüchtig? Allein der Anblick, wie Salih mit Möhrchen gekuschelt und gleichzeitig mit Maik gesprochen hat ... Ja, verdammt, ich bin eifersüchtig!
Warum eigentlich? Habe ich so wenig Vertrauen zu Maik? Ich sollte mich schämen! Das tue ich auch spätestens, nachdem Maik mir erklärt, dass Salih ein gewisses Interesse an Jeremy hat.
Ich bin jedenfalls heilfroh, wenn der Scheich morgen wieder abreist. Diese Heimlichtuerei fällt mir schon schwer, wenn Lu auf dem Gestüt ist, aber der Tross des Scheichs hat einfach noch mal viel mehr Augen, die besser nichts sehen sollten ...
Ich beobachte am Zaun lehnend, wie Maik Salih über den Springplatz scheucht und ihn hin und wieder in seiner Haltung korrigiert. Ehrlich gesagt wundert mich, dass der Araber das so über sich ergehen lässt, denn auch wenn Maik freundlich bleibt, haben seine Kommentare ein wenig Schärfe in sich.
Lu und der Scheich kehren wieder zurück, als Salih auf dem zweiten Pferd – Serpent – sitzt. Der Hengst sieht etwas abenteuerlich aus, hat großes Sprungtalent und eine breite Blesse, die seine Nüstern und sein Maul rosa aussehen lässt. Der Rest von ihm ist dunkelbraun, fast schwarz. Irgendwie sieht Salih auf ihm aus, als gehöre er dort hin. Vielleicht ist es genau dieses Gefühl, was mich dazu veranlasst, meinen Unmut über den baldigen Abschied von mindestens einem Turnierpferd zu ertragen.
„Er ist toll, ich glaube, Serpent kommt in die engere Auswahl!“, erklärt Salih gerade freudestrahlend und ich mustere ihn, als er vor mir am Zaun stehenbleibt. „Ist er auch für Turniere gemeldet?“
Ich nicke. „Ja, für mehrere. Den genauen Plan müssten wir nachsehen.“
„Gut, dann würde ich jetzt gern noch Finchen testen.“
„Kein Problem.“
~*~
Nach dem Mittagessen ist es entschieden. Salih will Serpent und Narla mitnehmen. Ich regle alle Formalitäten, sobald Lu sich mit dem Bruder des Scheichs geeinigt hat, und erfahre nebenbei, dass der Scheich selbst sich ganze zehn Nachwuchsrenner aus unserem Rennstall ausgesucht hat.
Das wiederum ist mir sogar ganz recht, denn wenn er schon mit erfundenen Pferdeverkäufen Geld beiseiteschafft, will ich lieber möglichst wenig mit den Rennpferden zu tun haben.
Andererseits, das kann mir ja auch vollkommen egal sein. Mein Deal ist erledigt, ich werde das Feuerried nicht übernehmen. Und eine Aufwandsentschädigung ist Lu mir nicht schuldig. Morgen wird endlich die neue Leinwand für mein Heimkino geliefert – die letzte Extrawurst, die ich mir ergaunert habe. Bislang hat er mir immer jeden Wunsch erfüllt, zumindest jeden, der finanziell zu realisieren gewesen ist.
Was mich aber wirklich erstaunt, ist die Tatsache, dass Salih mich bittet, ihm einen Turnierplan der beiden auszudrucken und sogar durchblicken lässt, dass er sie zu den kommenden Turnieren begleiten will.
„Sie reisen nicht mit Ihrem Bruder zurück nach Dubai?“, frage ich viel zu neugierig.
„Nein, ich will den Rest der Sommersaison nutzen, um an möglichst vielen Springturnieren teilzunehmen.“
„Das bedeutet, Sie haben alle dafür nötigen Leistungsprüfungen und sind als Turnierreiter gemeldet?“
Er lächelt und nickt. „Ich bin ein großer Fan des Springsports. Deshalb habe ich mir immer fest vorgenommen, mir nach meinem dreißigsten Geburtstag endlich die Freiheiten zu gönnen, die mein Bruder mir bislang verwehrt hat.“
„Ich verstehe.“ Doch vermutlich habe ich keine Ahnung, was das wirklich bedeutet. Ich werde nicht nachfragen, es geht mich ja auch nichts an. Solange Salih nichts von Maik will, ist für mich alles in Ordnung!
Ich reiche ihm die Ausdrucke. „Die Equidenpässe liegen in einem Safe. Darf ich Sie bitten, kurz im Flur vor der Tür zu warten?“
Er nickt und nimmt mir meine Frage nicht übel, wenig später verlasse ich ebenfalls das Büro und wir gehen gemeinsam ins Gutshaus.
Theodora hat für heute wieder ein ausgedehntes Dinner angesetzt und natürlich werde ich nicht darum herumkommen, anwesend zu sein. Da ich heute schon deutlich besser und vor allem schmerzfrei sitzen kann, weckt die Vorstellung, noch einmal stundenlang im Speisezimmer zu hocken, nicht so viel Grauen wie gestern. Dennoch sehe ich dem Abend mit gemischten Gefühlen entgegen, weil es ein weiterer Abend ohne Maik sein wird.
~*~
Als ich zum Dinner natürlich in Anzug und Krawatte aus meinem Haus trete und über den Hof gehe, staune ich nicht schlecht, als mir klarwird, dass Maik ebenfalls gerade aus seiner Wohnung kommt.
„Warte!“, ruft er mir zu und ich bleibe stehen, um ihn perplex und ziemlich atemlos anzustarren.
„Du ... trägst einen Anzug?“, frage ich unendlich geistreich und bemerke durchaus, wohin sich mein Blut in Windeseile verzogen hat. Maik lächelt mich so gewinnend an, dass mein Herz ein paar Schläge lang aussetzt. Meine Güte, er sieht aber auch geil aus in diesen anthrazitfarbenen Zweiteiler!
„Sieht aus, als würde der heutige Abend deutlich interessanter als der gestrige“, befindet er und sein Blick gleitet an mir herab, um auf meiner leider sichtbar erregten Körpermitte hängen zu bleiben.
„Verdammt!“, fluche ich und überlege, wie ich diese Erektion loswerden soll.
„Knöpf dein Sakko zu, dann merkt’s keiner. Und jetzt komm, ich habe keine Lust auf einen Anschiss von Theodora!“
Ich nicke und folge seinem Rat. „Wieso bist du ...? Ich meine ...?“
„Salih hat darauf bestanden, ich war auch ziemlich überrascht, aber eigentlich bin ich ihm dankbar, weil ich so zu einem tollen Dinner in deiner Gesellschaft komme!“
Wie wahr! Wir gehen gemeinsam zum Gutshaus und treffen im Speiseraum auf Theodora und ein Dienstmädchen, die anderen sind, wie man uns gleich nach ein paar wirklich netten Komplimenten zu unseren Anzügen sagt, noch im Salon.
Ich mache mich mit Maik im Schlepptau auf den Weg und tatsächlich sitzen dort Lu, Hilal und Salih zusammen und unterhalten sich.
„Ah, da seid ihr ja. Dann können wir nun beginnen.“ Lu erhebt sich und geleitet den Scheich gestenreich zum Speisezimmer, während Salih einem der unvermeidlichen Bodyguards etwas zuflüstert und neben Maik und mir zum Essen geht.
Keine zwei Minuten nach uns erscheinen die sechs Damen, von denen ich seit gestern weiß, dass sie die verwitwete Mutter des Scheichs, seine Ehefrau und seine Schwestern sind, den Raum und selbstverständlich erheben wir uns, bevor sie sich setzen.
Das Essen findet in deutlich besserer Stimmung statt als das gestrige, zumindest kommt es mir so vor. Ich ahne, dass es an Maiks Anwesenheit liegt und daran, dass die Ungewissheit über die zu verkaufenden Pferde endlich weg ist.
Die noch immer und gelegentlich sogar extrem angespannte Situation zwischen Hilal und Salih fällt offenbar nicht nur mir auf, denn ich bemerke die vielsagenden Blicke, die Maik mir zuwirft. Ob er schon mehr weiß? Ich werde es ganz sicher später erfahren.
~*~
Ich gähne herzhaft, als ich neben Maik her aus dem Gutshaus auf die Treppe trete und tief durchatme. Die klare Sommerluft tut gut und ich sehe Maik lächelnd an.
„Na? Wie hat es dir gefallen?“
„Ich habe mit einem Scheich zu Abend gegessen und dabei die ganze Zeit meinen Freund ansehen dürfen, wie soll es mir da gefallen haben?“, flüstert er und wir steigen die Stufen hinab, um möglichst schnell aus den Anzügen heraus und ins Bett hinein zu kommen.
Dabei bin ich gar nicht müde. Das Gähnen lag wohl eher an der mittlerweile recht stickigen Luft im Speisesaal.
Wir klettern nur eine Viertelstunde später gemeinsam in Maiks Bett und es erscheint mir plötzlich nicht mehr zu klein für uns beide. Im Gegenteil, ich genieße es, mich dicht an ihn kuscheln zu können und zu wissen, dass er mich festhalten wird. Meine Erregung ist übrigens den ganzen Abend lang immer wieder heiß aufgeflammt, so auch jetzt gerade.
Ich will mit ihm schlafen, aber ich habe auch Angst davor. Ich meine, klar, ich könnte aktiv sein, bräuchte dabei nicht zu fürchten, dass er mir weh tut, dennoch sitzt die Angst vor dem Schmerz wie ein höhnisch grinsendes Monster in meinem Nacken und jagt kühle Schauer durch mein Rückgrat.
Egal, ich drehe mich in Maiks Armen um und küsse ihn, fordernd, nicht zu zaghaft.
Er erwidert meine Berührungen, doch als meine Hand tastend zu seinem Schwanz gleitet, umfasst er mein Handgelenk und zieht meinen Arm an seine Brust.
„Nicht“, flüstert er und ich nicke in die Dunkelheit.
„Okay.“
Ich klinge enttäuscht, das höre ich genau, aber Maik zieht mich dichter an sich und flüstert in mein Ohr. „Ich möchte dich einfach nur festhalten, Kim. Bitte lass mir die Freude, ja?“
„Ja.“ Ich lächle nun doch und küsse ihn erneut. „Du hast recht, das hier ist viel zu schön, um es für so etwas Profanes wie Sex zu unterbrechen ...“
Wie jeden Morgen ist es wunderbar, aufzuwachen und in diese schönen, hellgrauen Augen zu blicken, die mich so verliebt anhimmeln. Beinahe entrückt. Es macht mir auch ein wenig Angst, denn ich weiß im Gegensatz zu Kim sehr genau, dass man sich niemals auf jemanden fixieren darf, dass man ein Individuum bleiben muss, egal wie verbunden man sich einem anderen Menschen fühlen mag.
Aber ich denke, das muss ich ihm nicht jetzt erklären.
„Guten Morgen“, flüstere ich gegen seine warmen Lippen und küsse ihn. „Wie spät ist es?“
Er murrt leise und klingt sehr unwillig. „Wir müssen uns beeilen, und ich sollte darauf verzichten, mein Haar zu waschen. Sonst sieht doch noch jemand, dass ich nicht schon zu einer ‚Besprechung‘ hierher gekommen bin.“ Er grinst schelmisch und schwingt seine langen Beine vom Bett, um sich aufzusetzen.
Meine Hand gleitet wie in einem Reflex über seinen schmalen, wunderbar glatten Rücken. Ich frage mich, wie ein Mann nur so perfekt aussehen kann.
Bislang habe ich keine Narben an ihm entdeckt – und ich habe ziemlich gewissenhaft jeden Quadratzentimeter seiner Haut geküsst!
Er erschauert unter der leichten Berührung meiner Fingerspitzen und sieht mich an. „Ist dir klar, wie wunderschön du bist?“, murmele ich.
„Von außen vielleicht ...“, sagt er und entzieht sich mir mit einem hastigen Aufstehen.
Stirnrunzelnd blicke ich ihm nach. Was meint er damit?
Ich werde es nicht erfahren, selbst wenn ich ihn jetzt frage, das weiß ich zu genau. Deshalb spare ich es mir und folge ihm ins Badezimmer.
Während unseres Blitzfrühstücks erzählt er mir, dass heute eine neue Videoleinwand in sein Heimkino eingebaut wir d, und deshalb später Handwerker durch seine Wohnung stiefeln werden.
Wir verabreden sofort einen Videoabend für den Samstag, den wir ohne Scheich und Lu genießen können. Denn, das haben wir gestern beim Dinner erfahren, der Scheich will Samstag und Sonntag zu einem Pferderennen und Ludwig wird ihn begleiten. Salih hat dagegen ganz andere Pläne und ich muss heute im Laufe des Vormittags bei Jeremy anrufen, um ihn darüber zu informieren, dass ich dem Scheichbruder die Nummer seines Diensttelefons gegeben habe. Eigentlich müsste ich das gar nicht extra kommunizieren, aber vielleicht ist es angesichts von Jeremys momentaner Gefühlslage besser, ihn nicht so zu überraschen.
Ich denke nicht, dass die zwei was miteinander anfangen werden, aber Jeremy wird die Ablenkung gut gebrauchen können, wenn er den Bruder des Scheichs in die Gepflogenheiten jenseits der Publikumsbarrieren einführt.
Außerdem wird die Bewunderung des Arabers meinem besten Freund sehr gut tun.
Ich hole Cato aus seiner Box und beginne ihn zu putzen, während ich leise mit ihm spreche. Irgendwie kann ich mir das nicht abgewöhnen, auch wenn es ganz sicher sehr verschroben ist. Wenn ich niemand anderen zum Reden habe, finde ich es irgendwie normal, demjenigen etwas zu erzählen, dessen Bauch, Hals, Rücken und Beine ich gerade striegele ...
Scheiße, vielleicht hätte ich den Sex gestern doch nicht zugunsten von Zärtlichkeiten der harmlosen Art eintauschen sollen. Heute jedenfalls schafft es jeder zweite Gedanke an Körper und Berührungen bereits, mir meine leichte Untervögelung klar vor Augen zu führen.
Ich bin tatsächlich froh, dass Kim seinen Luxuskörper gerade im Büro oder irgendwo im Gutshaus parkt und mir nicht dauernd vor die Füße läuft.
Wenn er gestern wieder vögeln wollte, scheint ja alles bei ihm wieder in Ordnung zu sein ... Trotzdem hätte ich gestern Nacht niemals den aktiven Part übernommen. Heute Abend vielleicht schon, mal sehen.
Solche und ähnliche Gedanken verfolgen mich tatsächlich den gesamten Tag. Am schlimmsten wird es nach dem Mittagessen bei Theodora, denn bei aller Routine, die wieder eingekehrt ist, weil der gesamte Tross des Scheichs plus Ludwig um zwölf Uhr das Gestüt verlassen hat, ändert sich an meiner akuten Erregung gar nichts.
Kim kommt nach dem Essen mit in den Stall, was bedeutet, dass wir uns ständig über den Weg laufen und das meine ich ganz wörtlich.
Gehe ich in die Sattelkammer, um mir das nächste Lederzeug für eines der Pferde zu holen, steht Kim plötzlich dicht hinter mir und hat die Stirn, seine nicht geringere Erregung an meinem Hintern zu reiben, oder im Vorbeigehen mal schnell mit der Hand über meinen Schritt zu streichen.
Um ehrlich zu sein, nicht nur diese ‚zufälligen Treffen‘ auch unsere verlangenden Blicke sorgen für heilloses Hormonchaos.
Ganz offensichtlich ist Kim genauso unausgeglichen wie ich. Klingt doch nach einer Menge Spaß, oder?
Leider wird das warten müssen, bis wir allein sind ...
„Wenn du mich weiterhin mit deinen Blicken ausziehst, werde ich über dich herfallen, Kim“, warne ich ihn, als er mir in den Quarantänestall gefolgt ist und mich einfach beobachtet. In seinem dunklen Blick liegen Gier und Herausforderung. Ich wende mich zu ihm um und lasse die Hände sinken.
„Vielleicht lege ich es darauf an?“ Seine Stimme ist rau und er ist schneller bei mir, als ich blinzeln kann. Seine Hände liegen an den Aufschlägen meines Hemdes und er drängt mich Stück für Stück weiter die Stallgasse hinab zu den leeren und unbenutzten Boxen. „Wir sind hier ganz allein ...“
Oh ja, das sind wir!
Kim löst eine Hand und öffnet die Tür der letzten Box auf der rechten Seite, steigt hinab in das Betonbecken und zieht mich hinter sich her, während ein so verführerisches Lächeln seine Lippen verzieht, dass ich nach Luft schnappe.
„Du willst ...?“, bringe ich mühsam heraus und schon stehe ich dicht vor ihm, Kims Rücken an die hölzerne Zwischenwand der Boxen gepresst. „Hier?!“
Er antwortet mit einem leidenschaftlichen, aufreizenden Kuss, den ich nur zu gern und heftig erwidere. Dieser Mann ist Sex auf zwei Beinen, Sex mit pechschwarzem, glänzendem Haar und den schönsten Augen, die ich jemals gesehen habe, das erwähnte ich doch schon mal?
Meine Hände umfassen seine Seiten, ich drücke ihn gegen die Wand und mich an ihn, reibe die Beule in meinen Reithosen an seiner, um mein eigenes lautes Stöhnen von seinen Lippen zurückzubekommen.
Lust regiert meinen Körper und ich kann und will nicht aufhören. Wir sind beide nicht besonders zärtlich und Kim beißt mir etwas zu fest in mein Ohrläppchen, bevor er murmelt: „Ich will dich, jetzt und hier. Sofort!“
Das Ziehen in meinen Lenden ist unvergleichlich und ich küsse ihn zur Antwort hart, bevor ich ihn herumdrehe und wieder gegen die Wand drücke. Dieser wohlgeformte Hintern, über dem seine Reithosen wie angegossen liegen, schaltet auch das letzte bisschen Zurückhaltung aus.
Ich will ihn genauso wie er mich. Das hier ist ... so extra-geil! Immerhin könnten wir doch noch erwischt werden ...
Ich lasse meine Hände um ihn gleiten und öffne seine Hose, schiebe sie ein wenig hinab und küsse seinen Hals, seine Lippen, alles, was ich von ihm erreichen kann, während ich eine Hand um seinen pochenden Schwanz schließe und die andere unter seinem Shirt über seine Brust gleiten lasse.
Er spannt sich kurz an, macht sich komplett steif und sieht mich an. „Bitte ... sei ... vorsichtig!“
Ich schlucke und blinzle. Seit wann muss er das sagen? Wieso sagt er es überhaupt?
„Das bin ich immer, Kim. Wieso ...?“ Ich stoße mich von ihm ab und bevor ich weiß, was ich sage, rutschen mir weitere, immer lautere Worte nur so aus dem Mund. Ich will sie nicht sagen, weiß nicht einmal, woher sie plötzlich kommen, aber sie sprudeln mit einer verletzenden Präzision aus mir hervor. „Nein, warte, das ist es also, ja? Wie oft sind sie alle über dich drübergerutscht, hm? Nur Lu oder auch Salih? Vielleicht noch der Scheich oder einer der Bodyguards? Haben sie dir weh getan? So wie am Montag?!“ Ein Würgen will meine Rede unterbrechen, ich achte nicht darauf, was er tut, ob er etwas sagt.
„Echt, ich muss mich bei dir bedanken, dass du mich auf diese Art daran erinnerst, dass du nichts weiter als eine dämliche kleine Hure bist!“ Ich stürze mit wackeligen Schritten aus der Box und starre noch einmal durch die Gitterstäbe auf ihn herab. „Ich hasse es ...! Ich hasse mich , weil ich mich in dich verlieben konnte!“
Ich stolpere weiter, nur weg hier!
Nie habe ich erlebt, wie pure Lust sich innerhalb von Sekunden in Ekel verwandeln kann. Wieder ein Würgen. Das hier ist ein mieser Alptraum, ein absolut perverser Alptraum!
Das ... hat er nicht gesagt.
Er ... ist auch nicht weggerannt. Ich blinzle und versuche zu kapieren, was hier gerade passiert ist.
Ich bin so heiß auf ihn gewesen, so unermesslich geil und nun stehe ich hier ... Moment mal, ich stehe gar nicht ... Wieso hocke ich zitternd und zusammengekauert auf dem Boden?
Das Blut rauscht irgendwo durch meinen Körper, nicht mehr durch meine Lenden, glaube ich. Ist auch egal, es ist irgendwie alles egal ...
„Maik?“, flüstert jeman d, und die Stimme klingt erbärmlich dünn. Schon eher wie ein Fiepen.
„Maik?“ Schon wieder! Es dauert noch einige Atemzüge lang, bis ich begreife, dass das meine Stimme ist. Na bravo, was bin ich? Ein Eunuch?!
Nein ... eine dämliche kleine Hure ...
Hat er gesagt.
An den Rest will ich mich nicht erinnern.
Ich weiß nich t, wie lange es dauert, bis ich mich aufrappele und meine Reithosen schließe. Meine Wange direkt unterm linken Auge, fühlt sich taub an. Ich taste danach, aber kaum berühren meine Fingerspitzen die Haut über dem Wangenknochen, entfährt mein Atem mit einem zischenden Laut.
„Autsch!“, fluche ich und begreife, dass ich blute. Dunkelrot und schon halb geronnen klebt das Blut an meinen Fingern. Wieso blute ich denn?
Stimmt, er hat mich von sich geschubst, gegen die Boxenwand ... An dem Gitterstab muss ein Metallspan oder so gewesen sein ... ich mache mir nicht die Mühe, danach zu tasten. Der dunkelrote, angetrocknete Fleck auf dem verzinkten Metallstab widert mich an.
Ich stolpere aus der Box, die Stallgasse hinab und durch die Seitentür raus. Zu meiner Wohnung, nein, das ist ... Ich mache kehrt und verschwinde wieder im Stall, durch die Sattelkammern, eine Trense geschnappt und hinein in den Hauptstall, zu Lemonboys Box.
Was für ein Glück, dass die Weidegänger alle schon wieder drinnen sind. Das heranziehende Gewitter hat mich vorhin dazu bewogen, Tom und Lukas loszuschicken.
Ich schiebe die Box meines Wallachs auf und zäume ihn sofort auf, danach führe ich ihn hinaus und sitze auf. Ich brauche keinen Sattel, nicht heute, nicht jetzt.
Im gestreckten Galopp über den Feldweg zwischen den Reitplätzen, einfach nur weg!
Die dunklen, tiefhängenden Wolken sehen bedrohlich aus, aber ich mag den Anblick. Er erdet.
Wetterleuchten zuckt hindurch, malt hellgelbe Lichter in die Wolkenhaufen.
Wohin ich Lemonboy lenke, bemerke ich erst, als ich angekommen bin.
Die Bucht. Mein Magen will sich umdrehen, als ich von Lemonboys Rücken rutsche und ihn an einem dünnen Baum anbinde. Er wird hoffentlich keinen Stress machen. Normalerweise ist er schussfest und bisher war er auch bei heftigem Gewitter immer sehr ruhig.
Ich spüre die elektrische Aufladung der Luft auf meiner schweißnassen Haut. Sie kribbelt und prickelt, aber das macht nichts. Ich hocke mich auf der Lichtung hin, ziehe die Beine an mich und umschlinge sie, während ich vor mich hin stiere.
Es wird immer dunkler, der Regen beginnt in Sturzbächen vom Himmel zu fallen. Ich kann im vom Boden wieder aufspritzenden Wasser meine Stiefelspitzen kaum noch sehen.
Nun kommen die Blitze, das laute, ohrenbetäubende Donnergrollen dichtauf. Lemonboy wiehert, trippelt hin und her.
Ich schaffe es, mich aufzurichten und gehe zu ihm. Er wird den Weg zum Stall finden, deshalb binde ich ihn los und lasse ihn laufen. Er muss nicht hier herumstehen, wenn ich mich meinem Leid ergeben will.
D abei ist ... gar kein Schmerz in mir, wie ich mit einem Stirnrunzeln begreife. Nur Taubheit, zumindest im Moment.
Das Wasser klatscht auf meinen Kopf, in meinen Nacken, hat mich längst durchweicht. Immer wieder rollen die Tropfen des Sommerregens über meine Stirn hinweg in meine Augen.
… dämliche kleine Hure ...
Müsste mir das nicht weh tun?
Das tut es! In dem Moment, in welchem ich es zulasse, ist der Schmerz da. Er hat Hilflosigkeit und Unverständnis bei sich, und ich spüre zum ersten Mal in meinem Leben, wie sich Herzschmerz anfühlt.
Tränen mischen sich mit dem Regen, sickern lautlos über meine Wangen und mein Kinn. Immer wenn sie in die kleine Wunde rollen, brennt es, aber der leichte Schmerz betäubt sich irgendwann selbst. Ich schniefe, sitze längst wieder zusammengekauert auf der Lichtung und warte einfach ab, bis es vorbeigeht.
Das wird es doch, oder?
Ich meine, es muss!
Wie kann er denn so was sagen, wo ich vor ein paar Tagen den Deal mit Lu beendet habe?!
Wie kann er denken, dass ich noch immer den Arsch hinhalte – noch dazu für andere? Das ist so ...!
Unfair!
Wenn er so was bisher gesagt hat, war es wahr, er hatte recht damit. Ich habe Lu machen lassen, ja, aber jetzt?
Kann Maik mir das wirklich so vorwerfen?
Er kann, er hat es ja getan.
Vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, dass der Deal vorbei ist, dass ich auf das Erbe verzichtet habe, freiwillig und ohne Bedingungen ... Aber das konnte ich doch nicht!
Ich lege meine Stirn auf meine Knie und schließe die Augen. Es hat ja doch alles keinen Sinn. Ich werde mich nicht rechtfertigen oder etwas erklären. Wenn er mir so wenig vertraut, mir derartige Dinge zutraut, dann ...
Tja, Kim, dann liebt er dich wohl doch nicht ...
Ende Band 2