N och bevor sie Ujiji verlassen hatten, setzte Speke sich dafür ein, dass die Expedition, anstatt auf direktem Weg nach Sansibar zu marschieren, einen Umweg über den Nyanza im Norden machen sollte. »Ich brannte darauf, den See zu sehen«, schrieb er. Sie könnten zunächst nach Kazeh gehen, schlug er vor, und wenn Burton dann noch immer nicht vollends genesen wäre, würden Speke und einige der Männer ohne ihn zum Nyanza weiterziehen. »Du könntest einstweilen niederschreiben, [1] was die vielgereisten Araber aus all den umliegenden Ländern erzählen«, sagte er zu Burton, weil er wusste, das würde ihm gefallen. Burton, der sich nach wie vor nicht auf den Beinen halten konnte und Sorge hatte, dass sie selbst in Kazeh nicht genügend Vorräte auftreiben würden, um eine zusätzliche ungeplante Reise zu rechtfertigen, verwarf die Idee.
Burtons Gedanken kreisten immer noch um den Tanganjika. Als die Karawane sich in Bewegung setzte und Ujiji hinter sich ließ, warf er einen letzten Blick auf den langen, schimmernden See. »Der Gedanke, dass ich diese Landschaft [2] vielleicht nie mehr zu Gesicht bekäme«, gestand er später, habe ihren Zauber nur erhöht, und so beschrieb er sie noch überschwänglicher als zu dem Zeitpunkt, da er sie vom Hügel aus zum ersten Mal erblickt hatte. »Dunkelviolette Wolkenmassen bedeckten jenes Himmelsviertel, wo die Sonne im Aufgehen begriffen war«, schrieb er. »Alsbald durchschnitten den Dunst, der gekräuselt war wie Meereswogen und gesäumt von leuchtendem Purpur, hauchzarte Fäden von Licht. Aus ihrem Kern indes schoss das lebendige Feuer seine breiten Strahlen hervor wie die Speichen eines riesigen Himmelsrades, welches im Rollen eine Flut von Gold über das hellblaue Wasser des Sees ergoss.«
Drei Wochen später, am 20. Juni 1858, war die Expedition wieder in Kazeh angelangt. Unterwegs waren die Männer durch einen außergewöhnlich glücklichen Zufall einer anderen Karawane begegnet, die einige der Güter mit sich führte, die man ein Jahr zuvor an der Küste hatte zurücklassen müssen. Die Kisten bargen weitere Briefe, die wie immer von weiteren Verlusten erzählten. »Fast jeder hatte einen teuren Verwandten [3] oder Freund verloren«, schrieb Burton. »Said bin Salims Heim war seiner Hauptattraktion beraubt, seines einzigen Sohnes.« Burton erhielt eine Todesnachricht, die ihn noch schmerzlicher traf als die von Hamerton: Während er sich zum Tanganjika-See aufgemacht hatte, war in England sein Vater verstorben. Mit Hamertons Tod hatte sich Burtons Einsamkeit in Afrika verstärkt, mit dem Tod seines Vaters seine Einsamkeit in der Welt. Auch wenn sein Vater zeit seines Lebens weder besonders warmherzig noch fürsorglich gewesen war, so galt er ihm doch als Symbol der Stärke und verkörperte jene Art von Abenteuerlust und Wissensdrang, die auch ihn, seinen Erstgeborenen, charakterisierte. Sein Tod wäre zu jeder Zeit ein harter Schlag für ihn gewesen, doch traf er ihn jetzt, da er noch immer sehr krank und so fern der Heimat war, umso härter.
Zu seiner Überraschung wurde ihm in Kazeh allmählich leichter ums Herz. Sein Gesundheitszustand besserte sich, und auch die Selbstzweifel, die ihn seit der Ankunft an der afrikanischen Küste nicht mehr losgelassen hatten, verflogen allmählich. »Stärker als jede physische Erleichterung [4] war in meinem Fall die moralische Wirkung des Erfolgs. Endlich legten sich die scheußlichen Zweifel und Sorgen, hatten die seelischen Nöte ein Ende, die mich von der Küste bis Uvira niemals verlassen hatten«, schrieb er. »Ich war mir stolz bewusst, vom Anfang bis zum Schluss mein Bestes gegeben zu haben, und dies unter den widrigsten Umständen. Welch künftige Unbilden das Schicksal auch immer für mich bereithalten mochte, der Lohn, den ich mir durch die Härten und Leiden der Vergangenheit errungen hatte, war mir nicht mehr zu nehmen.«
Speke dagegen war unglücklich und rastlos. Während Burton sich in die Tätigkeit vertiefte, die er am meisten liebte, und sich in umfangreichen, minutiösen Notizen über die Sprache und das Leben der Menschen verlor, denen sie begegnet waren, konnte Speke keinen Augenblick länger stillsitzen. »Ein schockierendes Land für den Jagdsport [5] außer Elefanten scheint es hier nichts zu geben«, beschwerte er sich in einem kurzen Brief an Shaw von der Royal Geographical Society und scherte sich wenig um korrekte Interpunktion. »Es gibt in diesem uninteressanten Land buchstäblich nichts, worüber sich schreiben ließe, was könnte wohl trostloser sein als diese ewig gleichen Pfade, Dschungel, Steppen und so weiter, auch die Menschen sind überall die gleichen, dieses Land ist in der Tat eine riesige sinnlose Masse des ewig Gleichen.« Sogar die Arbeit, die ihn interessierte, nämlich die wissenschaftliche Vermessung, sei ihm unmöglich, murrte er, weil er dazu Hilfe benötige, Burton aber zu nichts zu gebrauchen sei. »Bis zum heutigen Tag konnte ich [6] keine Messungen vornehmen, weil ich schlicht keinen Assistenten zur Verfügung hatte, um die Zeit zu bestimmen«, ließ er Shaw wissen. »Burton ist die ganze Zeit krank gewesen; er will nicht draußen im Tau sitzen und hegt eine entschiedene Abneigung gegen die Sonne, und wenn sich zufällig eine gute Gelegenheit bietet, um Monddistanzen zu messen, bekommt er es mit den Augen, und so werde ich immer enttäuscht.«
Burton bemerkte, dass Speke wieder mal »ein wenig säuerlich« [7] war, führte dies aber auf die fehlenden Arabischkenntnisse seines Weggefährten zurück, ein Umstand, der ihn von den lebhaften Gesprächen ausschloss, die Burton mit den arabischen Händlern in Kazeh führte. »Nicht zuletzt deshalb wünschte er sich eine eigene Expedition«, glaubte Burton. Die wollte Speke in der Tat, und das möglichst sofort. Er erinnerte Burton an die Unterhaltung, die sie vor ihrem Aufbruch in Ujiji geführt hatten. »Ich sollte allein [zum Nyanza] weitergehen«, [8] sagte er, »und die Wünsche der Royal Geographical Society hinsichtlich aller Binnenseen weitestgehend erfüllen. Deshalb hat man uns hergesandt.«
Speke war nicht nur erpicht darauf, sich mit einer eigenen Expedition auf den Weg zu machen, auch der Nyanza schien ihm seit ihrer Rückkehr nach Kazeh immer interessanter. Mit Hilfe von Burton und Bombay befragte er erneut Snay bin Amir, der ihnen als Erster von den drei großen Binnenseen erzählt und ihnen als Reiseziel nicht den Tanganjika-See, sondern den Nyanza empfohlen hatte. Snay hatte auch zwei Flüsse erwähnt, die dem nördlichen See entströmten. Er nannte sie Katonga und Kitangura. Jetzt jedoch, nachdem er Speke seine eigene Reise zum Nyanza geschildert hatte, Etappe für Etappe, verriet er Speke, dass es weiter im Norden noch einen dritten Fluss gebe. Er habe ihn selbst nicht gesehen, aber ein Sklave, der jetzt in Kazeh lebe, gehöre den Wanyoro an, durch deren Land dieser Fluss führe. »Dieser Mann nannte den Fluss Kivira [9] und beschrieb ihn als viel breiter, tiefer und reißender als die Ströme Katonga und Kitangura«, schrieb Speke aufgeregt. »Und er kam aus der allgemein anerkannten Richtung des Sees.«
Speke brauchte Burton nicht lange zu bitten, ihn allein zum Nyanza ziehen zu lassen. »Mein Weggefährte, der durch die Rast und den relativ großen Komfort unseres Quartiers seine Kraft wiedererlangt hatte, [10] erschien mir dieser Aufgabe durchaus gewachsen«, schrieb Burton. »Überdies war seine Anwesenheit in Kazeh keinesfalls wünschenswert.« Burton sei nur deshalb in Kazeh geblieben, würde Speke später behaupten, weil er »unglücklicherweise ziemlich erschöpft« gewesen sei. Da er zuversichtlich war, nach Ostafrika zurückkehren und den Nyanza erkunden zu können, schrieb Burton, er habe im Augenblick »Wichtigeres zu erledigen«, nämlich die sichere Rückkehr seiner Männer an die Küste zu gewährleisten. Er sei erleichtert gewesen, als Speke Kazeh verließ, würde er später zugeben, da dieser ihr Verhältnis zu den Arabern, von deren Hilfe die Expedition abhing, stark belastet habe. »Die Schwierigkeit wurde noch verschärft, [11] weil der Anglo-Inder von orientalischen Sitten und Gebräuchen nicht das Geringste verstand«, schrieb er, »und abgesehen von ein paar Brocken des hässlichen anglo-indischen Jargons auch keinerlei orientalische Sprache beherrschte.«
Speke lehnte es erneut vehement ab, sich auf der Reise wie ein Araber zu kleiden. »Die Araber in Unyanyembé [12] [nicht weit von Kazeh] hatten mir geraten, unterwegs ihre Tracht anzulegen, um weniger Aufmerksamkeit zu erregen«, schrieb er, »eine nutzlose Vorsichtsmaßnahme, die sie mir wohl eher zur Befriedigung ihrer eigenen Eitelkeit vorschlugen als zu irgendeinem Nutzen, den ich davon hätte: Sie wollten schlicht einen Engländer sehen, der sich auf ihren Stand herabließ.« Als Burton später las, was Speke geschrieben hatte, erschien ihm dies als ein weiterer Beweis für die tiefsitzende Ignoranz des jungen Mannes, und er spottete über dessen Vorstellung, irgendein Araber könnte einen Engländer beneiden. »Welche Kenntnis orientalischer Sitten [13] kann von dem Verfasser dieser Zeilen wohl erwartet werden?«, höhnte er. »Dieser Galimathias von den Arabern! – des überheblichsten und stammesverbundensten aller orientalischen Völker.«
Nichtsdestotrotz benötigte Speke die Hilfe ihres arabischen Karawanenführers Said. »Ich bat um die Erlaubnis, Scheich Said [14] mitnehmen zu dürfen«, schrieb er. »Der Weg sei gefährlich, erklärte ich, ohne ihn könne ich es nicht schaffen.« Burton hätte Said lieber bei sich behalten, gab aber schließlich unter der Bedingung nach, dass Speke Said selbst überzeugen müsse, denn außerhalb der vereinbarten Hin- und Rückreise zum Tanganjika-See sei dieser zu nichts verpflichtet. Als Speke sich an Said wandte, versuchte der Karawanenführer zunächst, dem Engländer das Vorhaben auszureden. Als ihm dies nicht gelang, lehnte er kurzerhand ab. Speke sei nicht sein Kommandant, sagte er. Enttäuscht begann Speke mit Said zu streiten, behauptete, »zum Nyanza zu gehen, sei ebenso seine Pflicht wie die meine«, [15] und drohte, ihm die Prämie zu verweigern, die Hamerton ihm versprochen hatte, sollte die Expedition erfolgreich sein. Als Said sich nicht umstimmen ließ, schob Speke die Schuld auf Burton und behauptete später, dieser habe Said »ausdrücklich verboten«, ihn zu begleiten. [16] Als Burton von der Anschuldigung erfuhr, zuckte er nur die Schultern. Er habe sich bemüht, Said in keiner Weise zu beeinflussen, schrieb er.
Als sich herumsprach, [17] dass Said sich geweigert hatte, Spekes Expedition zu begleiten, wehrten sich auch die anderen Männer. Der kirangozi gab vor, regionale Kriege hätten die Wege unpassierbar gemacht, weshalb die Unternehmung zu gefährlich sei. Die Wachleute sträubten sich zunächst und begannen dann zu schachern. Ohne angemessene Entlohnung lehnten sie es ab, einen zusätzlichen Fußmarsch von über sechshundert Kilometern zurückzulegen. Selbst Bombay forderte ein Aufgeld für das Risiko, aber auch für die Zeit und die Anstrengung, die mit dem Abstecher zum Nyanza einhergingen. »Der alte, treue Diener ›Bombay‹ … verlangte seine sofortige Entlassung, wenn er vor der Reise nicht ebenfalls zusätzlich Stoff erhielte«, schrieb Burton. »Er war als Dolmetscher und Vertrauter zu wertvoll, als dass mein Begleiter ohne weiteres auf ihn hätte verzichten können.« Speke hätte ohnehin nachgegeben, weil er fast alles getan hätte, um Bombay zu halten, und als er noch dazu herausfand, dass der Stoff für den versklavten Mabruki gedacht war, den Bombay wie einen Bruder behandelte, war er regelrecht gerührt. »Nicht um seinetwillen, sondern für diesen Jungen [18] hatte er so viel Aufhebens um den Stoff gemacht«, schrieb Speke. »Er ist in der Tat einzigartig, denn er sorgt sich nicht im mindesten um sich selbst, wie er sich kleidet, was er isst; er ist mit allem zufrieden und tut lieber die Arbeit der anderen als die seine.«
Nachdem er erfahren hatte, dass er etwa [19] sechzehn Tagesmärsche benötigen würde, um zum Nyanza zu gelangen, packte Speke genügend Vorräte für sechs Wochen ein. Neben Bombay begleiteten ihn Mabruki und Gaetano, ein kirangozi , zwanzig pagazis und zehn Wachleute. Jeder Wachmann hatte ein Gewehr, eines davon war Burtons Doppelflinte. Speke nahm auch Burtons fünfkalibrige Elefantenbüchse mit auf den Weg, die einzige, die auf der Reise zum Tanganjika nicht verlorengegangen war, sowie seine eigene vierkalibrige Flinte. Zwei der weniger problematischen Esel der Expedition, Ted und Jenny, sollten den Proviant tragen helfen. [20]
Wie Speke es nach dem Fußmarsch zum Tanganjika nicht anders erwartet hatte, brachte jeder Tag ein kleineres Desaster mit sich. Bis auf Bombay gaben ihm alle Teilnehmer deutlich und lauthals maulend zu verstehen, wie verärgert sie darüber waren, dass man sie nach einem Jahr der Härten und Gefahren von ihren Familien und der wohlverdienten Ruhe fortzerrte. Die pagazis streikten schon bald und verlangten zusätzlich Stoff, ehe sie auch nur einen weiteren Schritt tun wollten. Speke hatte die falsche Sorte Perlen mitgebracht, was es ungleich schwieriger machte, unterwegs den ohnehin zu schweren Proviant zu kaufen. »Die weißen Perlen, die ich bei mir habe, [21] sind von keinerlei Wert für die Menschen hier«, schrieb er frustriert. »Bunte Perlen sind dagegen so gefragt, dass ich alles dafür kaufen könnte, hätte ich nur welche mitgebracht.« Eine Sultanin – das erste weibliche Oberhaupt, dem die Expedition begegnete –, deren Territorium die Männer durchschritten, zwang sie zu einem langen Aufschub. Ein anderer Anführer hielt Speke für einen Magier und bestand darauf, er müsse ihm die Zukunft vorhersagen. Er bat mich, »ihm ein Horoskop zu erstellen, [22] die wahrscheinliche Lebensspanne seines Vaters zu bemessen, ihn wissen zu lassen, ob es Kriege geben würde, und ihm das Wetter vorauszusagen, die Ernteaussichten und was die Zukunft für sein Land bereithalte«, schrieb Speke. »Der schlaue Bombay entgegnete, um mir Ärger zu ersparen, dass eine so große Aufgabe mehr Tage der Versenkung erfordern würde, als ich imstande sei zu geben.«
Obwohl Spekes Augen wieder halbwegs genesen waren, sich zumindest der Schleier gelüftet hatte, der seine Sicht so lange getrübt hatte, waren sie noch immer äußerst lichtempfindlich. Um sie vor der sengenden Sonne zu schützen, [23] trug er einen sogenannten wideawake , einen breitkrempigen Filzhut, der im viktorianischen England an Beliebtheit gewonnen hatte, in Kontinentaleuropa dagegen seit Jahrhunderten getragen wurde: Schon auf Rembrandts Selbstporträts aus dem siebzehnten Jahrhundert ist er zu sehen. Speke hatte zudem eine Sonnenbrille bei sich – »französische graue Brillengläser« –, aber sie hatte bei den Menschen, denen er begegnet war, allzu viel Aufregung hervorgerufen. Manch einer wollte »das Vierauge« aus der Nähe betrachten, und so war er gezwungen gewesen, sie unterwegs abzunehmen.
Als die Männer am 30. Juli den Nyanza erreichten, einen Monat nach ihrem Aufbruch in Kazeh, linste Speke unter seiner Hutkrempe hervor, um sich den See anzusehen. Anders als der Tanganjika schien ihm der Nyanza schon auf den ersten Blick all die Strapazen wert zu sein, die er auf sich genommen hatte, um ihn zu erreichen. Er war das außergewöhnlichste Gewässer, das er je gesehen hatte. »Plötzlich lag die immense blassblaue Wasserfläche [24] des Nyanza vor meinen Augen«, schrieb er. »Selbst in einem gut bekannten und erforschten Land hätte dieser Anblick den Reisenden gefesselt.«
Mit einer Fläche von fast siebzigtausend Quadratkilometern ist der Nyanza der größte See in Afrika und der zweitgrößte Süßwassersee der Welt. Während er den Blick über das schier endlose, glitzernde Gewässer schweifen ließ, fragte Speke sich staunend, wie weit es sich wohl erstrecken mochte. Mit Bombays Hilfe stellte er diese Frage jedem, der ihnen begegnete, bis schließlich eine Frau, die weiter nördlich am Nyanza geboren worden war, behauptete, ihres Wissens habe der See gar kein Ende. Könnte man ihn umrunden, [25] »würde sie es ganz sicher wissen«. Ein Mann, der als Fischer schon weit [26] auf dem See herumgekommen war, pflichtete ihr bei. Als Antwort auf Spekes Frage wandte er sein Gesicht nach Norden, nickte, warf seine Rechte wiederholt nach vorn und schnippte dabei mit den Fingern, wohl in dem Versuch, dachte Speke, »etwas unermesslich Großes anzuzeigen«. Endlich wandte er sich wieder Speke zu und sagte, dass niemand wisse, wo der See ende, aber er reiche »wahrscheinlich bis ans Ende der Welt«.
Wenn der Tanganjika-See ein Riss in der Erdoberfläche war, glich der Nyanza einem riesigen Kessel mit zerklüftetem Rand. Obwohl mehr als doppelt so groß wie der See im Westen, war er mit seinen achtzig Metern Tiefe erheblich seichter als der fast eintausendfünfhundert Meter tiefe Tanganjika-See. Im Verlauf seiner relativ kurzen Lebensspanne von nur vierhunderttausend Jahren war der Nyanza bereits dreimal ausgetrocknet. Nun beheimatete er zweihundert verschiedene Fischarten und fast tausend Inseln. Seine unregelmäßigen Ufer säumten Papyrussümpfe, immergrüne Wälder, neunzig Meter hohe Felsen und üppige Regenwälder.
Speke würde später darauf bestehen, er habe unter der dunklen Krempe seines Schlapphutes hervorgespäht und sofort gewusst, dass er die Quelle des Weißen Nils vor Augen hatte. Er hatte zwar keinerlei Beweis, war noch Hunderte Kilometer vom Nordufer des Sees entfernt, war sich aber ganz sicher, dass er recht hatte. »Ich hatte nun keinerlei Zweifel mehr, [27] dass der See zu meinen Füßen jenen interessanten Strom hervorbrachte«, schrieb er, »dessen Ursprung der Gegenstand so vieler Spekulationen und das Ziel so vieler Forschungsreisender war.« Er , nicht Burton, hatte die uralte Frage beantwortet. Er , nicht Burton, hatte den See gefunden, von dem alle geträumt hatten. »Dieser See ist viel größer als der Tanganjika«, [28] schrieb er stolz, »so breit, dass man das andere Ufer nicht sieht, und so lang, dass niemand seine Länge kennt.«
Speke kehrte schon nach dreitägigem Aufenthalt am Nyanza nach Kazeh zurück. In seiner Vorstellung jedoch gehörte dieser riesige alte See, der in Hunderttausenden Jahren das Zuhause zahlloser Menschen gewesen war, jetzt ihm. Bis zu seinem Lebensende würde er ihn immer wieder als »mein See« bezeichnen. Er bedauerte nur, dass er ihn verlassen musste. »Ich verspürte ähnliche Qualen [29] wie einst der unglückliche Tantalus«, schrieb er, »und eine Trauer wie jede Mutter, die ihr Erstgeborenes verliert.«
Während Spekes Abwesenheit hatte sich Burtons Gesundheitszustand stetig verbessert. Er hatte die Zeit ohne seinen misslaunigen Weggefährten genutzt, um an seinen ethnologischen und geographischen Aufzeichnungen zu arbeiten, aber auch, um die Expedition auf ihren letzten Marsch an die Küste vorzubereiten. Mit Hilfe eines Gewebebands [30] aus indischer Baumwolle hatte er die Hängematten gestopft, die während seiner langen Lähmung sein Überleben gesichert hatten. Er hatte einen umherziehenden Kesselflicker angeheuert, um ihn ein schadhaftes Behältnis reparieren zu lassen, und bat den unendlich talentierten und findigen Snay bin Amir, zwei alte Eisenhacken in zwei dringend benötigte Steigbügel umzuarbeiten. Ihre Zelte waren mit doppeltem Tuch, blauen Baumwollvorhängen und kräftigen, akkuraten Stichen verstärkt worden. Valentine hatte für Burton grüne Filzpantoffeln mit Ledersohlen gefertigt, für Speke eine Überziehhose genäht sowie für sich selbst und Gaetano mehrere Stücke aus indigoblauer Baumwolle. Burton selbst hatte seinen Regenschirm ausgebessert, »stets ein wertvoller Begleiter in diesen Breiten«, indem er »Ösen und Stangen von dem wurmzerfressenen Stock nahm, an einem Speer befestigte und auf diese Weise den schützenden Schirm mit einer Waffe kombinierte«.
Am 25. August, als Burton gerade seine Projekte beendet hatte und sich in Kazeh zu langweilen begann, weil er es nicht mehr erwarten konnte, zur letzten Etappe der Expedition aufzubrechen, hörte er in der Ferne Rufe und Gewehrschüsse. Speke war zurück. Als die Angehörigen der Männer in seiner Karawane ihnen singend und lachend entgegeneilten, erleichtert, dass ihre Liebsten heil zurückgekehrt waren, nahm Speke zufrieden zur Kenntnis, dass die Araber ihm einen freundlichen Empfang bereiteten. Auch Burton wartete schon, war froh, seinen Begleiter wohlauf zu sehen, und gespannt auf seine Neuigkeiten.
Als Burton sich am darauffolgenden Morgen jedoch an den Tisch setzte, um mit Speke zu frühstücken und über seine Reise zu sprechen, empfing Speke ihn mit einer verblüffenden Mitteilung: »Ich fände es bedauerlich, [31] sagte ich ihm, dass er mich nicht hatte begleiten können«, schrieb Speke, »denn ich sei mir ziemlich sicher, die Quelle des Nils entdeckt zu haben.« Speke, der erwartet hatte, Burton werde von der Neuigkeit begeistert und von seiner Leistung beeindruckt sein, war angesichts der unverhohlenen Skepsis seines Kommandanten bestürzt. »Es war vielleicht eine Eingebung: [32] in dem Moment, als er den Nyanza erblickte«, würde Burton später verdutzt zu Papier bringen. »Des glücklichen Entdeckers Überzeugung war stark, seine Begründung eher schwach.« Gut möglich, dass der Nyanza die Quelle war, dachte Burton, aber sie brauchten weit mehr als ein vages Bauchgefühl. Speke hatte nur wenige Tage am Ufer des Sees verbracht, nur einen Bruchteil des riesigen Gewässers gesehen und keine ernsthaften wissenschaftlichen Messungen vorgenommen. Die wenigen Gespräche, die er geführt hatte, waren notgedrungen durch mehrere Übersetzungen gefiltert worden. »Jack, der kein Wort Arabisch [33] sprach, musste sich ganz auf Bombay verlassen. Bombay missdeutete Jacks schlechtes Hindustani«, schrieb Burton später. »Meiner Erfahrung nach sind Worte auf Reisen oft anfällig für die schlimmsten Unfälle und können schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. … Es liegt auf der Hand, wie der Patzer zustande kam.«
Speke, entsetzt und wütend, weil Burton seinen Bericht nicht sofort für bare Münze nahm, wurde zusehends verbittert und insistierte, die Quelle des Weißen Nils gefunden zu haben und auch über ausreichend Beweise dafür zu verfügen. »Nach ein paar Tagen wurde mir klar, dass man nicht ein einziges Wort über den See, den Nil und ganz allgemein seine trouvaille , seinen Glücksfund, äußern konnte, ohne ihn zu kränken«, notierte Burton. »Wir kamen also stillschweigend überein, [34] das Thema zu vermeiden.« Speke war nicht nur tief gekränkt durch Burtons Reaktion, sondern argwöhnte zudem, sein Kommandant spiele die Entdeckung nur herunter, um sie später als die seine auszugeben. Um Speke zu beschwichtigen, hatte Burton ihm versichert, dass er im Moment zwar noch zu krank und die Expedition zu ausgelaugt sei, um augenblicklich zum Nyanza zurückzukehren, sie den See jedoch später gemeinsam erkunden würden. »Wir fahren nach Hause«, [35] sagte er, »kurieren uns aus, präsentieren den Leuten, was wir herausgefunden haben, holen uns mehr Geld, kehren gemeinsam hierher zurück und bringen unsere Reise zu Ende.«
Speke hatte andere Pläne. Burton mochte der Kommandant der Expedition sein, aber die Quelle des Nils hatte er nicht gefunden. Diese Ehre, glaubte Speke, gebühre ihm allein und werde das Kräfteverhältnis zwischen ihnen dramatisch verschieben. Im Entwurf eines Artikels für die Royal Geographical Society würde Speke später schreiben, er habe den Nyanza zwar unverrichteter Dinge verlassen müssen und sich in sein Schicksal gefügt, [36] »allerdings in der festen Überzeugung, dorthin zurückzukehren, sobald ich sämtliche Umstände meiner Entdeckung in England publik gemacht hätte«. Am Ende strich er den Satz zwar wieder durch, fügte aber noch einen letzten Gedanken hinzu: »Ich habe mich nicht geirrt.«