19. Verdamme ihre Seelen

W ährend Speke unverdrossen auf den Nyanza zuhielt, ein einziges, unerschütterliches Ziel vor Augen, schien Burton sich im Kreis zu drehen. Von einem Kontinent zum anderen, einer Idee zur nächsten wechselnd, war er zu dem geworden, was er immer gefürchtet hatte, »ein strahlendes Licht ohne Fokus«. [1] Der scharfe Intellekt, der so lange sein Studium der Sprachen und Religionen, der fremden Kulturen und fernen Länder befeuert hatte, war plötzlich ohne Sinn und Ziel. Er war enttäuscht von sich und wütend auf alle anderen. »Was bin ich doch für ein Misanthrop«, schrieb er.

Einer der wenigen, denen Burton noch vertraute, nachdem er ein Jahr lang übervorteilt und betrogen worden war, war sein Freund John Steinhaeuser, der Schweizer Arzt in Aden. »Er war ein Mensch, der in guten [2] wie in schlechten Tagen kein Jota von seiner Freundschaft abrückte und dessen Blick mir am wärmsten erschien, wenn die kleinliche Welt sich am kältesten zeigte«, schrieb Burton. Er hatte die Tatsache, dass Steinhaeuser erkrankt und somit außerstande war, sich der Ostafrika-Expedition anzuschließen, lange bedauert, denn hätte der Arzt sie begleitet, wäre »Lieutenant Speke aller Wahrscheinlichkeit nach weder taub noch vom Fieber entstellt, und ich nicht gelähmt gewesen«. Doch wichtiger noch als sein medizinisches Fachwissen war für Burton Steinhaeusers Freundschaft. Der Arzt war »literarisch interessiert, äußerst belesen und zudem der standhafteste, entschlossenste Charakter, der sich je auf ein verzweifeltes Vorhaben einließ«, schrieb Burton. »Niemals störte ein unfreundlicher Gedanke, geschweige denn ein unfreundliches Wort unsere schöne Kameradschaft.« Als sich die beiden Männer in einem Bistro in Boulogne wiederbegegnet waren, hatte Steinhaeuser Burton von einer Idee erzählt. »Du sollst erfahren, wonach mir der Sinn steht », [3] sagte er. Burton würde sich später erinnern, wie sein Freund die Arme ausbreitete und wie von göttlicher Eingebung beseelt ausrief: »Ich fahre nach Amerika! O ja, ich fahre nach Amerika.«

Burton und Steinhaeuser schifften sich im Frühjahr 1860 nach Nordamerika ein, nur ein Jahr vor Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs. Sie reisten gemeinsam von Kanada nach Boston, und von dort nach New York und Washington. Dann beschloss Burton, den amerikanischen Westen zu erkunden, stieg allein in eine Postkutsche und fuhr von Saint Joseph, Missouri, nach San Francisco. Wie schon so oft in der Vergangenheit war die Triebfeder seiner Reise auch diesmal sein Interesse an fremden Kulturen. Im amerikanischen Westen befasste er sich mit dem Mormonenglauben und den First Nations, die schon lange mit den europäischen Einwanderern um ihr Land und ihr Leben kämpften.

Seit seiner Reise nach Mekka hatte sich Burtons neuentfachte anthropologische Leidenschaft, die aus einer natürlichen Wissbegier und einem aufrichtigen Interesse an anderen Kulturen erwachsen war, allmählich verändert, war nicht nur gefärbt von imperialer Überheblichkeit, sondern vergiftet von persönlicher Verbitterung. Wie bei all seinen Reisen beherrschte Burton bald die Sprachen der Indigenen, vor allem die Zeichensprache, und verglich ihre Traditionen, Riten und Religionen mit denen anderer Kulturen, die er entweder aus eigener Anschauung oder aus Büchern kannte. Fasziniert von der Praxis des Skalpierens, [4] wies er darauf hin, dass sie ihren Ursprung nicht etwa in Nordamerika, sondern in Nordostasien habe. »Die Idee dahinter«, erklärte er, »ist zweifellos der natürliche Wunsch, sich vom getöteten Feind eine Trophäe zu bewahren.« Doch seine Beschreibungen der Indigenen waren oft gefühllos und grausam, ohne jede Empathie, sein Blick auf sie nicht ehrlich. In seinem Buch The City of the Saints , über seine Reisen durch Nordamerika, charakterisierte er die amerikanischen Natives nicht einfach nur als Angehörige einer anderen Kultur, die Respekt und Schutz verdienten, sondern als andere Spezies. »Ich glaube nicht, dass aus einem Prärieindianer [5] jemals ein Christ werden kann«, schrieb er in einer Diskussion amerikanischer Missionare. »Er muss zuerst humanisiert, dann zivilisiert und schließlich christianisiert werden; und ich bezweifle, wie gesagt, dass er die Prozedur überleben würde.«

Burton hatte sich schon lange über die verzweifelten Versuche christlicher Missionare, »die Wilden zu retten«, lustig gemacht. Speke hingegen, der Afrikaner häufig als Kinder beschrieb, bewunderte die Arbeit der Ordensleute. »Indem man ihn unterweist«, [6] so seine Überzeugung, »gewinnt man das Herz eines schwarzen Mannes am sichersten. Und ist es einmal erobert, kann es in jede Richtung gelenkt werden, die dem Präzeptor gefällt.« Burton hingegen hatte trotz Isabels Bemühungen wenig übrig für Geistliche, schon gar nicht für Missionare. Er hatte sie in Afrika bei der Arbeit erlebt und ihre Methoden bestenfalls für wirkungslos und heuchlerisch, schlimmstenfalls für grausam befunden. Während diese Geistlichen sich einerseits über Talismane anderer Religionen erbosten, ermutigten sie andererseits die Ehrfurcht vor christlichen Symbolen und Gegenständen, von Medaillen bis hin zu Palmblättern, bemerkte er trocken. »Priester mögen gute Diener sein, [7] aber sie sind, nüchtern betrachtet, schlechte Herren. Die kirchliche Tyrannei, die gegen Menschen aller Schichten ausgeübt wird, ist eher geeignet, die Auslöschung des Christentums in diesem Land voranzutreiben, in dem doch so viel unternommen wurde, es zu verbreiten«, schrieb Burton. »Während die Ordensleute von jener Sanftmut sprechen, die einem Missionar so gut zu Gesichte stehe …, erlassen sie gleichzeitig acht Verordnungen oder ›geistliche Memoranden‹, mit denen sie Gouverneure von Städten und Provinzen absetzen, weil sie nicht korrekt verheiratet sind, nicht zur Messe gehen oder die Patronatsfeste nicht einhalten. Die Strafe für alle Disziplinverstöße scheint die Auspeitschung zu sein.« In Ostafrika, erzählte Burton seinen Lesern mit Gusto, seien böse Geister weiß.

Den Mormonen schien Burton mehr Sympathien entgegenzubringen, und das trotz ihrer tiefen religiösen Überzeugungen und ihres frommen missionarischen Eifers. Sie erinnerten ihn in mancher Hinsicht an die Muslime, denen er in Arabien und Afrika begegnet war und die er bewunderte. Besonders beeindruckte ihn ihr charismatischer Präsident Brigham Young. Burton machte halt in Salt Lake City und verbrachte eine Stunde mit Young, der nach der Ermordung des Religionsgründers Joseph Smith die Kirche leitete. »Mein erster Eindruck nach dieser kurzen Unterredung [8] war, dass der Prophet kein gewöhnlicher Mensch ist«, schrieb Burton später, »und dass er keine jener Schwächen und Eitelkeiten aufweist, die den gewöhnlichen ungewöhnlichen Menschen charakterisieren.« Selbst für die umstrittenste Praxis der Mormonen, die Polygamie, hegte Burton ein gewisses Verständnis. Speke indes, der sein Leben lang unverheiratet blieb, war der Meinung, dass »Männer mit vielen Ehefrauen [9] jenem süßen Familienglück englischer Prägung offenbar wenig abgewinnen«. Burton jedoch hatte die Polygamie im Islam studiert und sah darin einen gewissen Nutzen. »Die wörtliche Auslegung der Schrift hat die Mormonen [10] geradewegs zur Polygamie geführt«, schrieb er. »Die Texte, die Abraham Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel oder die Sandkörner auf der Erde verhießen, … ermuntern seine Nachkommen, ein ebensolches Glück anzustreben.« Sogar Frauen profitierten von der Praxis, behauptete er, vor allem im ländlichen Utah. »Dienstboten sind ein rares Gut und kostspielig; es ist billiger und bequemer, sie zu heiraten«, so sein Argument. »Das Leben im wilden Westen Amerikas erfordert Schwerstarbeit: eine Frau allein vermag dort die mannigfaltigen Haushaltspflichten, das Kochen, Schrubben, Waschen, Nähen, Kinderkriegen und -erziehen nicht zu bewältigen. Hier ist Arbeitsteilung vonnöten, und die findet sie, indem sie sich auf eine Schwesternschaft einlässt.«

*

Während Burton in Utah mit den Vorzügen der Polygamie befasst war, bereitete Isabel sich zu Hause darauf vor, seine Frau zu werden. Nachdem er – wieder einmal ohne ein Wort des Abschieds – nach Nordamerika abgereist war, brauchte man ihr nicht zu sagen, dass er fort war, sie wusste es auch so, wie sie später behaupten würde. »Ich war mit zwei Freundinnen spazieren«, [11] schrieb sie, »da krampfte sich mein Herz zusammen.« Wieder zu Hause, war sie im Begriff, ihrer verdutzten Schwester mitzuteilen, dass sie Richard wohl wieder einmal eine Zeitlang nicht sehen würde, als es an der Tür klopfte. »Man reichte mir einen Brief mit der vertrauten Handschrift«, schrieb sie. »Ich kannte mein Schicksal, und so öffnete ich ihn mit angehaltenem Atem. Richard war abgereist.«

In seinem Brief hatte Burton Isabel mitgeteilt, dass er neun Monate fortbleiben würde und bei seiner Rückkehr eine Antwort von ihr erwarte. Würde sie sich ihrer Mutter endlich widersetzen und ihn heiraten? »Wenn mir dazu der Mut fehlte«, [12] wusste sie, »würde er nach Indien zurückkehren, von dort zu anderen Forschungsreisen aufbrechen und nie mehr zurückkommen.« Die folgenden sechs Wochen verbrachte Isabel im Bett, und eine Reihe verunsicherter und besorgter Ärzte behandelte sie gegen »Grippe, Mumps, Halsweh, Fieber, Delirium und was ich mir noch alles nicht zugezogen hatte«, schrieb sie. »In Wirklichkeit hatte ich nur Liebeskummer, mühte mich herauszufinden, was ich wollte, ein letztes intensives Ringen mit der ungewissen Zukunft, die vor mir lag, und nichts und niemand konnte mir dabei helfen.« Als sie sich schließlich aus dem Bett schleppte und die Ärzte fortschickte, hatte Isabel sich entschieden. Sie würde »einen armen Mann [13] heiraten und mich außerdem für Expeditionen ertüchtigen«, schrieb sie und ging sogleich ans Werk.

In den folgenden Monaten war Isabel bemüht, sich alles anzueignen, was es ihrer Ansicht nach als Richard Burtons Ehefrau zu beherrschen galt. Obwohl sie »nicht auf dem Land dahinvegetieren [14] könnte«, wie sie schrieb, »in weißer Schürze und mit einem Schlüsselbund, meine Dienstboten maßregelnd oder Eier und Butter zählend«, entfloh sie der Stadt, um auf der Farm einer Freundin nicht nur kochen zu lernen, sondern auch, wie man die Pferde versorgte, die Hühner fütterte und die Kühe molk. Wieder in London, bat sie einen Bekannten, sie fechten zu lehren. Als er wissen wollte, warum, reagierte sie erstaunt. »Das fragst du?«, sagte sie. »Na, um Richard zu verteidigen, wenn wir in der Wildnis angegriffen werden.«

Als sie sich ihren künftigen Anforderungen [15] allmählich gewachsen fühlte, erstellte Isabel eine Liste mit siebzehn »Verhaltensregeln für mich als Ehefrau«, die ihr helfen sollten, Burton glücklich zu machen. Er sollte sich bei ihr geborgen fühlen. »Sei deinem Gatten eine Gefährtin, Freundin, Ratgeberin und Vertraute , damit es ihm daheim an nichts fehle«, schrieb sie an sich selbst. »Sorge für sein leibliches Wohl; gestatte ihm das Rauchen und auch alles andere, denn tust du es nicht, tut es eine andere .« Da sie schon immer von Abenteuern geträumt hatte, freute sie sich »auf ein hartes Männerleben« und nahm sich vor, »keinerlei Stillstand aufkommen zu lassen«. Nichts, wusste sie, würde ihn »mehr langweilen als Stagnation«. Gleichzeitig ermahnte sie sich, stets »fröhlich und attraktiv« zu sein und sich »in jeder Hinsicht zu verbessern und weiterzubilden … damit er deiner nicht überdrüssig werde«. Sie wollte »ihm jeden seiner Wünsche erfüllen, stets die Romantik der ersten Tage aufrechterhalten, ob daheim oder in der Wüste«. Natürlich würde sie ihn niemals in Frage stellen oder kritisieren, mehr noch, sie würde ihm selbst dann nicht widersprechen, sollte er etwas an ihr auszusetzen haben. Vor allem würde sie »niemals dulden, dass jemand respektlos von ihm sprach«, und »seine Fehler vor aller Welt verbergen«. Dann fügte sie noch hinzu, dass es »angesichts seiner besonderen Wesensart« zuzeiten »beruhigend auf ihn einzuwirken« gälte, aber nur, wenn es »mit seiner Ehre in den Augen der Welt im Einklang« stünde.

Als Burton schließlich nach England zurückkehrte, war Isabel bereit. Sie trat vor ihre Eltern und bat sie erneut um ihren Segen. Ihr Vater, seit langem fasziniert von Burton, sagte ihr: »Ich stimme von ganzem Herzen zu, [16] sofern deine Mutter zustimmt.« Die Antwort ihrer Mutter war ein kurzes, knappes »Niemals!« Isabel konnte zwar nicht behaupten, dass es ihr inzwischen gleichgültig war, aber sie hatte das Warten satt. »Ich kann unser beider Leben nicht einer bloßen Laune opfern, und du solltest das nicht von mir erwarten«, entgegnete sie ihrer Mutter. »Ich werde ihn heiraten, ob es dir nun passt oder nicht.« Obwohl Isabels Geschwister genau wie ihr Vater Burton »mit Freuden in die Familie aufnahmen«, wie sie sagten, wurde am Ende entschieden, dass sie und Richard im engsten Kreis heiraten würden, mit nur wenigen Freunden als Trauzeugen.

Drei Wochen später gaben Richard und Isabel einander in der Royal Bavarian Chapel in Londons Warwick Street das Jawort. In beigefarbenem Kleid und weißer Haube, [17] erfüllt von religiösem Ernst traf Isabel Richard an der Kirchenpforte. Als sie gemeinsam ins Innere traten, sah sie mit Rührung, wie er in das Weihwasserbecken fasste und »ein sehr großes Kreuz [18] schlug«. Er hatte sowohl ihr als auch dem Kardinal, der in die Ehe eingewilligt hatte, versprochen, dass sie ihre Religion stets praktizieren dürfte. »Ihre Religion praktizieren!«, hatte er gesagt. »Und wie sie das tun wird!« Trotz dieses heiteren Zugeständnisses war Burton nicht gewillt, seine eigene Einstellung zur Kirche zu ändern, und würde auch keinen Versuch unternehmen, sich vor der Londoner Gesellschaft zu rehabilitieren. Nach ihrer Hochzeit waren Richard und Isabel zu einem Frühstück im Haus ihres gemeinsamen Freundes Dr. George Bird eingeladen. Der Arzt hatte während Burtons Abwesenheit als Isabels Fechtmeister fungiert. Weil er der Versuchung nicht widerstehen konnte, Burton wegen der wilden Gerüchte aufzuziehen, die schon so lange über ihn kursierten, sagte Bird: »Sag mal, Burton, [19] wie geht’s dir, wenn du jemanden abgemurkst hast?« In gespieltem Staunen zu dem Arzt aufblickend, entgegnete Burton: »Oh, recht gut! Und dir?«

*

Bald nach der Hochzeit [20] verlor Burton bei einem Brand fast seine gesamte Habe. Vor seiner Abreise nach Nordamerika hatte er alles seinen Agenten, den Brüdern Grindlay, zur Aufbewahrung in ihren Lagerräumen überlassen und seitdem noch nicht wieder abgeholt. »Bis auf die wenigen Truhen, die wir bei uns hatten«, schrieb Isabel, »verzehrten die Flammen unseren gesamten irdischen Besitz.« Burton hatte vor allem den Verlust der seltenen Manuskripte und persönlichen Schriften zu beklagen, die er dort vermeintlich sicher aufbewahrt hatte. Um den Verlust herunterzuspielen, scherzte er: »Dass einige dieser Manuskripte verbrannt sind, wird die Welt verschmerzen.« Er staunte jedoch, als ein Angestellter ihm erklärte, die Grindlay-Brüder seien im Gegensatz zu ihm versichert gewesen, und von ihm wissen wollte, ob er etwas von Wert verloren hätte, wie zum Beispiel Schmuck. »Als ich dies verneinte«, erinnerte sich Burton im Nachhinein, »wich das Mitleid in seiner Miene der Verwunderung darüber, dass mir irgendein anderer Verlust so großen Kummer bereiten könnte, was ich recht amüsant fand.« Es sei ohnehin nicht von Belang, antwortete er, denn was er verloren habe, sei mit Geld nicht zu ersetzen.

Zu Beginn des Jahres 1861 erhielt Burton endlich einen Konsulatsposten. Er brachte ihm nur siebenhundert Pfund im Jahr ein und befand sich auf der westafrikanischen Insel Bioko, die damals unter dem portugiesischen Namen Fernando Póo bekannt war und als »Müllhalde des Foreign Office« galt. Burton wusste jedoch, dass er dieses Angebot nicht ablehnen konnte. »Ich brauche wohl nicht zu sagen, [21] dass ich es dankbar annahm«, schrieb er an Milnes. »Der Hund, der die Krumen der Regierung verschmäht, darf nicht erwarten, jemals in ihren Brotlaib beißen zu dürfen. Das nennt man ausgleichende Gerechtigkeit.« Er hatte sich etwas Besseres erhofft, hatte geglaubt, seine langjährigen Dienste, die vielen Dutzend Sprachen, die er beherrschte, dazu sein enzyklopädisches Wissen über Asien und Ostafrika kämen ihm zugute, wurde jedoch eines Besseren belehrt. Jahre später würde der irisch-amerikanische Journalist Frank Harris den Vizekönig von Indien, Lord Lytton, fragen, warum er Burton nicht für einen Posten vorgeschlagen habe. »Sie hätten ihn niemals ernannt«, [22] hatte Lytton gerufen. »Er verfügt weder über den richtigen Titel noch die erforderliche Position; außerdem wäre er zu eigenmächtig. Du meine Güte, er würde ständig über die Stränge schlagen und den Kahn zum Kentern bringen!«

Isabel jedoch war anstelle ihres Gatten gekränkt. »Er, der in jedem anderen Land mindestens mit dem Verdienstorden des Knight Commander ausgezeichnet und mit einer ansehnlichen Pension ausgestattet worden wäre, musste froh sein, den Fuß auf die unterste Sprosse der Konsulatsleiter setzen zu dürfen«, beklagte sie sich. »Im Alter von vierzig Jahren [23] fand er sich wieder zu Hause, mit dem Rang eines Captain, ohne Sold, ohne Pension, mit jeder Menge Ruhm, einer frisch Angetrauten und einem kleinen Konsulatsposten im verderblichsten aller Klimata.« Als sie noch dazu erfuhr, dass er sie nicht mitnehmen wollte, weil sie seiner Meinung nach das Klima nicht überleben würde, war sie erst recht unglücklich. »Unter normalen Umständen [24] bedeutet Äquatorialafrika für eine Engländerin den sicheren Tod«, schrieb Burton. »Ich staune, mit welcher Mischung aus Wahnsinn und Brutalität zivilisierte Ehemänner, um Witwer zu werden, ihren besseren Hälften Gift verabreichen, die Kehlen durchschneiden oder die Schädel einschlagen. Dabei ließe sich die Angelegenheit mit einigen Monaten an der afrikanischen Luft, auf Sansibar oder Fernando Póo, ebenso gründlich und still, sicher und zuverlässig erledigen.«

Burton befürchtete, er könne auf Fernando Póo sterben, aber nicht an einer Krankheit, sondern an Langeweile. Um gegen die Eintönigkeit anzukämpfen und vielleicht sogar etwas Denkwürdiges zu erreichen, füllte er seine Tage mit fieberhafter Tätigkeit. Unter dem Pseudonym F.B., Francis Baker – sein zweiter Vorname kombiniert mit dem Mädchennamen seiner Mutter –, schrieb er sein bekanntestes Versepos Kasidah und gab vor, es aus dem Arabischen übersetzt zu haben. Er beschrieb zweitausendfünfhundert Seiten mit Notizen und sammelte mit Hilfe der Einheimischen eine große Menge an Sprichwörtern. Sie reichte aus, um ein vierhundertfünfzig Seiten starkes Buch zu füllen, das er unter dem Titel Wit and Wisdom in West Africa veröffentlichte. Er erkundete das Nigerdelta und den Fluss Bonny, hielt am Gabon-Fluss nach Gorillas Ausschau, erklomm den Mount Cameroon, Europäern damals als Mount Victoria bekannt, und behauptete, er habe als erster Europäer seinen Gipfel erreicht. »Der Erste zu sein, [25] ist hier alles«, schrieb er. »Der Zweite interessiert niemanden.« Er besuchte außerdem zweimal das Königreich Dahomey, damals für seine Menschenopfer bekannt, und bewunderte die »lange Herrschaft einer Dynastie, deren acht Vertreter insgesamt zweihundertzweiundfünfzig Jahre auf dem Thron gesessen hatten und somit den sieben römischen Herrschern Konkurrenz machten, deren Regentschaft sich über fast dieselbe Zeitspanne erstreckte.« Nachdem er einer rituellen Massenhinrichtung beigewohnt hatte, schüttelte Burton dem König von Dahomey zum Abschied die Hand. »Du bist ein guter Mann«, [26] sagte der König zu ihm, »aber zu zornig.« Burton musste ihm recht geben. »Die meisten Reisenden sind wie die Poeten eine zornige Spezies«, räumte er ein.

Was Burton auch unternahm, nichts schien ihn von dem Groll und der Gedrücktheit zu befreien, die ihn seit seiner Rückkehr aus Ostafrika im Griff hatten. In einem Brief an Blackwood, in dem er ihm seine Reisen durch Nordamerika und seine Pläne zu einem Buch darüber schilderte, schrieb er hoffnungsfroh: »Ich muss in Übung bleiben, [27] was Afrika anbelangt.« Fernando Póo war allerdings nicht, was ihm vorschwebte. Ungeachtet dessen, was die Insel ihm an Inspiration und Abenteuer bot, empfand er sie als bedrückend und gab später zu, er sei nach seiner Ankunft dort »ungewöhnlich suizidal« [28] gewesen. Ich fühlte mich wie »ein Falke im Käfig«, schrieb er, »ein Prometheus, an dessen Herz der Dämon Verzweiflung fraß«.

*

Ende 1862 war Burtons Herz nicht nur von Verzweiflung zerfressen, es hatte zu faulen begonnen. Auf Heimaturlaub aus Fernando Póo, pflegte er den Versammlungen der Ethnological Society in London beizuwohnen, die zwanzig Jahre zuvor gegründet worden war, um »durch induktive Forschung [29] die hochgeschätzte Einigkeit der Menschheit zu bestätigen«. Als Folge von Darwins Schrift Über den Ursprung der Arten hatte sich innerhalb der Society jedoch ein Riss aufgetan. Er schied jene, die dem Monogenismus anhingen – ihnen zufolge teilten alle Menschen einen gemeinsamen Vorfahren – von den Verfechtern des Polygenismus, die den unterschiedlichen Ethnien unterschiedliche Stammeltern zuordneten. Am Ende verließen die Polygenisten die Society. Einer von ihnen war Richard Burton, der seinen scharfen Verstand und seine jahrelange Forschung fortan in den Dienst einer Pseudowissenschaft stellte, die dermaßen verdreht, destruktiv und toxisch war, dass sie unermesslichen Schaden anrichten würde, und das auf Jahre hinaus.

Als 1863 die Emanzipationsproklamation der Regierung Abraham Lincolns in Kraft trat, wurde Burton, von seinem Konsulatsposten freigestellt, ein Gründungsmitglied der Anthropological Society in London. Diese Gesellschaft war das geistige Kind von Dr. James Hunt, einem bekannten Sprachtherapeuten, der Leo Tennyson, den Sohn des Dichters Alfred Lord Tennyson, zu seinen Patienten zählte, ebenso wie den Mathematiker und Schriftsteller Charles Dodgson, bekannt unter seinem Pseudonym Lewis Carroll, Autor von Alice im Wunderland . Hunt behauptete zwar, ein Gegner der Sklaverei zu sein, doch seine Ansichten zum Konzept der »Menschenrassen« waren so extrem, dass man ihn später der Kollaboration mit den amerikanischen Konföderierten beschuldigte. Sie hätten ihn bestochen, hieß es, die Briten zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Für Hunt wie für Burton war der Monogenismus ein antiquiertes religiöses Konzept, vereinnahmt von Männern wie Speke, die glaubten, Afrikaner seien die Abkömmlinge von Noahs zweitem Sohn Ham und mithin »dazu verdammt, Sem und Jafet als Sklaven zu dienen«. [30] Als 1859 Darwins Schrift Über die Entstehung der Arten erschien, verschob sich jedoch das Fundament des Monogenismus allmählich von biblischen Theorien hin zur Antike, vom Reich des Glaubens hin zu dem der Wissenschaft.

Burton ging es weniger um den Kampf zwischen den Verfechtern von Monogenismus und Polygenismus als um die Freiheit seiner Forschung und Rede. »Ich kann uns nur beglückwünschen«, [31] sagte er in seiner ersten Ansprache vor der Society, »dass wir hier in diesem Raum eine Denk- und Redefreiheit vorfinden, wie sie in keiner anderen Gesellschaft Großbritanniens gepflegt wird.« Doch schon bald nach dieser Versammlung empfand Burton auch diese neue Gesellschaft als zu eng. »Kaum hatten wir begonnen, [32] als die ›Anständigkeit‹, diese weiße Gruft voller Unrat, sich gegen uns erhob«, höhnte er. »Die Schicklichkeit plärrte uns mit ihrer dreisten Stimme nieder, und die Brüder bekamen weiche Knie und knickten ein.«

In einem Hinterzimmer des Bertolini – ein Speiselokal in der Nähe des Leicester Square – gründete Burton daraufhin seine eigene Geheimgesellschaft: den Cannibal Club. Umgeben von weißen Männern mit schwarzen Zylindern rief Burton die Versammelten mittels eines Stabes zur Ordnung, dessen geschnitzter Knauf wie der Kopf eines Afrikaners geformt war, der einen menschlichen Schenkelknochen im Mund hatte. Im Cannibal Club gab es keine Tabus, seine Spezialität war die Pornographie, die Männer wie Burtons alten Freund, den dichtenden Parlamentarier Monckton Milnes, anlockte. Auch Milnes’ vielversprechender junger Schützling Algernon Charles Swinburne trat dem Club bei. Der kleine, zierliche Mann mit dem schmalen Mund, dem auffällig großen, von losen Locken umrahmten Kopf und dem reizbaren Temperament, war als Sohn einer wohlhabenden Familie in Northumbria geboren, hatte in Eton und Oxford studiert, war aber wie Burton ohne Abschluss ausgeschieden. Jetzt verbrachte er den Großteil seiner Zeit damit, sich sinnlos zu betrinken, sich selbst zu geißeln und überaus lyrische, aber für das viktorianische England schockierend explizite Gedichte zu verfassen. Swinburne, zum Zeitpunkt der Gründung des Cannibal Club erst sechsundzwanzig Jahre alt, würde zu einem der bekanntesten britischen Dichter des neunzehnten Jahrhunderts avancieren: Von 1903 bis zu seinem Tod 1909 war er jedes Jahr für den Literaturnobelpreis nominiert.

Für Burton verfasste Swinburne den sogenannten Cannibal Catechism (»Kannibalenkatechismus«). Vor jeder Versammlung, während die Männer in der Aussicht auf einen gepflegten Vollrausch anzüglich lachten, rezitierte eines der Mitglieder die erste Strophe von Swinburnes Gedicht, eine Verhöhnung der Eucharistie. Es war anstößig und blasphemisch und somit Balsam für Richard Burtons gepeinigtes Herz.

Bewahre uns vor unseren Feinden,

O Herr über Sonne und Himmel,

Dessen Speis und Trank Fleischpasteten sind

Und Blut in Schüsseln!

Von Deiner süßen Gnad, verdamme ihre Augen

Und verdamme ihre Seelen!