Es sei λd das Lebesgue-Maß auf und
die Familie der Nullmengen. Die Vervollständigung von
ist definiert durch
eine Menge heißt Lebesgue-messbar. Man sieht leicht, dass
eine σ-Algebra ist,15 und dass
wohldefiniert ist und λd fortsetzt.
A.1 Satz. Es gibt Mengen in , die nicht Lebesgue-messbar sind:
Beweis. Zunächst sei d = 1. Wir nennen x, y ∈ [0, 1) äquivalent, wenn Mit [x] bezeichnen wir die Äquivalenzklassen
. Nach Konstruktion gilt
, wobei
alle Äquivalenzklassen sind.
Mit Hilfe des Auswahlaxioms finden wir eine Menge L, die aus jeder Klasse [xi] genau ein mi enthält. Insbesondere gilt
Daher ist für ein
, also oder
Weiterhin ist für
wäre r + x = q + y für x, y ∈ L mit x ≠ y und damit
, was nach Konstruktion von L ausgeschlossen ist.
Angenommen, L wäre Lebesgue-messbar, dann sehen wir wegen der σ-Additivität des Lebesgueschen Maßes, dass
Andererseits ist invariant unter Translationen,
(Satz 4.7), d. h.
was offensichtlich nicht möglich ist. Somit ist L nicht Lebesgue-messbar.
Für d > 1 sieht man so, dass [0, 1)d-1 x L nicht Lebesgue-messbar sein kann.
Wir wollen das Volumen eines d-dimensionalen Parallelepipeds (Spat) bestimmen. Es sei eine invertierbare d x d-Matrix und
der von A aufgespannte Spat.
A.2 Satz. Für alle A ∈ GL(d, ) gilt λd [A ([0, 1)d)] = |det A|.
Für den Beweis von Satz A.2 benötigen wir zwei Hilfssätze.
A.3 Lemma. Es sei D = diag [λ1, ..., λd] , λn > 0, eine d x d Diagonalmatrix. Dann ist λd(D(B)) = det D ⋅ λd(B) für alle Borelmengen .
Beweis. Sowohl D als auch D-1 definieren stetige Abbildungen. Daher ist D(B) für jedes eine Borelmenge. Wegen des Eindeutigkeitssatzes für Maße (Satz 4.5) genügt es, die Aussage für halboffene Rechtecke
, zu zeigen. Offenbar gilt
und
A.4 Lemma. Zu jeder Matrix gibt es orthogonale Matrizen S, T ∈ O(d) und eine Diagonalmatrix D = diag [λ1, ..., λd] mit strikt positiven Einträgen λn > 0, so dass A = SDT.
Beweis. Die Matrix ATA ist symmetrisch. Daher gibt es eine Matrix U ∈ O(d) mit
Wir bezeichnen mit := den n-ten Einheitsvektor und mit |⋅| die Euklidische Norm. Dann ist
Setze mit
Dann gilt
und daher ist S:= AUD-1 ∈ O(d). Da T:= UT ∈ O(d), gilt zudem
Beweis von Satz A.2. Mit Hilfe von Lemma A.3 und A.4 ergibt sich für
Wegen S, T ∈ O(d) gilt für die Determinanten |det S| = |det T| = 1. Somit erhält man |det A| = |det (SDT)| = |det S| ⋅ |det D| ⋅ |det T| = det D.
Es sei (E, d) ein metrischer Raum. Bezüglich der Metrik d bezeichnen wir mit
die offene Kugel mit Radius r > 0 und Zentrum x ∈ E. Für eine beliebige Funktion (Messbarkeit wird nicht vorausgesetzt) setzen wir
(diam B = supx,y |x – y| ist der Durchmesser der Menge B c ). Weil r ↦ diam f(Br (x)) eine fallende Funktion von r ist, können wir in der Definition von wf(x) das Infimum infr>0 durch inf0<r<δ ersetzen.
A.5 Lemma. Die Funktion f ist im Punkt x genau dann stetig, wenn wf(x) = 0.
Beweis. „⇒“: Es sei f stetig an der Stelle x. Dann gilt
Somit
„⇐“: Für alle r > 0 und x, x′ mit x′ ∈ Br(x) gilt
Indem wir x und x′ vertauschen, erhalten wir
Nun sei wf(x) = 0 angenommen. Dann gibt es für jedes ∊ > 0 ein r∊, so dass für alle r < r∊, und x′ ∈ Br(x)
gilt. Das zeigt die Stetigkeit von f an der Stelle x.
A.6 Lemma. wf ist oberhalbstetig, d. h. {wf < α} ist für jedes α > 0 eine offene Menge.
Beweis. Es sei x0 ∈ {wf < α}. Dann gibt es ein r = r(α) > 0 mit
Wähle y ∈ Br/3 (x0). Wegen Br/3 (y) ⊂ Br(x0) gilt
Daher ist y ∈ {wf < α}, also Br/3(x0) ⊂ {wf < α}.
A.7 Satz. Es sei eine beliebige Funktion. Die Menge der Stetigkeitsstellen Cf:= {x: f ist stetig in x} ist eine Borelmenge.
Beweis. Lemma A.5 zeigt
und gemäß Lemma A.6 sind die Mengen offen, also Borelsch. Daher ist auch deren abzählbarer Schnitt Cf eine Borelmenge.
Bisweilen müssen wir das Integral auf komplexwertige Integranden erweitern, z. B. für die Fouriertransformation (Kapitel 22). Da die Abbildung
messbar ist und eine messbare Inverse (x, y) = (Re z, Im z) ↦ Re z + i Im z besitzt, können wir und
identifizieren. Damit lässt sich das Integral durch ℂ-Linearität fortsetzen. Es sei
eine messbare Funktion und μ ein Maß auf
. Wir definieren
Das Integral komplexwertiger Funktionen wird dann definiert durch
Es ist eine leichte Übung zu zeigen, dass das so fortgesetzte Integral ℂ-linear ist; insbesondere gilt
Die Dreiecksungleichung
sieht man so: Da ∫ f dμ ∈ ℂ ist, gibt es ein θ ∈ (-π, π], so dass eiθ ∫ f dμ ≥ 0. Daher
Es sei (E, d) ein metrischer Raum, bezeichne die (bezüglich der Metrik d) offenen,
die abgeschlossenen und
die Boreischen Teilmengen von E.
A.8 Definition. Es sei (E, d) ein metrischer Raum. Ein Maß μ auf heißt regulär von auβen, wenn
(A.1)
und regulär von innen, wenn μ(K) < ∞ für alle kompakten Mengen K c E und
(A.2)
Ein von außen und innen reguläres Maß heißt regulär.
Regularität hängt wesentlich von der topologischen Ausgangslage ab. Wir beweisen hier nur einige elementare Zusammenhänge, die für Anwendungen wichtig sind. Der Raum E heißt σ-kompakt, wenn es eine aufsteigende Folge kompakter Mengen Kn ↑ E gibt.
Manchmal wird für die innere Regularität die Gültigkeit von (A.2) für alle Borelmengen U gefordert. Allerdings gilt
A.9 Lemma. Es sei (E, d) ein metrischer Raum und μ ein reguläres Maβ. Dann gilt
(A.3)
Ist E σ-kompakt, dann gilt (A.3) für alle
Beweis. Es sei mit μ(B) < ∞.
1°) Es sei B ⊂ K für ein Kompaktum K und ∊ > 0 fest. Wegen (A.1) existiert eine offene Menge U ⊃ K \ B, so dass μ(U) ≤ μ(K \ B) + ∊. Nun gilt
Somit folgt
was (A.3) für die hier betrachteten Mengen B impliziert.
2°) Es sei μ(B) < ∞ und ∊ > 0 fest. Wegen (A.1) und (A.2) gilt
Wenden wir 1° auf die Menge B ∩ K ⊂ K an, dann erhalten wir
∃L c B ∩ K, L kompakt: μ(B ∩ K) ≤ μ(L) + ∊.
Nun ist B \ L c (U \ K) ∪ (B ∩ K) \ L und somit
was (A.3) impliziert.
3°) Nun sei E σ-kompakt. Nach Voraussetzung existieren kompakte Mengen Kn ↑E. Da μ(Kn) < ∞ ist, gilt für wegen der Maßstetigkeit
(beachte: für K c B kompakt gilt L:= K ∩ Kn ⊂ K ∩ B und L ist kompakt). Die umgekehrte Ungleichung ist wegen der Monotonie von μ trivial.
A.10 Satz. Es sei (E, d) ein metrischer Raum. Jedes endliche Maβ μ auf ist von auβen regulär. Wenn E σ-kompakt ist, dann ist μ auch von innen regulär, also regulär.
Beweis. Setze
1°) Wir zeigen: ∑ ist eine σ-Algebra.
ist klar.
(∑2) Sei A ∈ ∑ und ∊ > 0.
Mithin gilt und es folgt Ac ∈ ∑.
(∑3) Seien und ∊ > 0.
Somit
Mit Hilfe der Inklusion
sehen wir mit der Maßstetigkeit und der σ-Subadditivität von μ
Mithin folgt μ(U \ Φn) < 2∊ für alle n > n(e) und daher gilt Un An ∈ ∑.
2°) Wir zeigen: ⊂ ∑ und
Für abgeschlossene Mengen F ⊂ E ist
Wegen der Maßstetigkeit haben wir limn→∞ μ(Un) = μ(F), d. h. F c Un und μ(Un \F) < ∊ für hinreichend große n > N(∊). Das zeigt, dass F ∈ ∑ und
3°) Wir zeigen: μ ist von außen regulär. Wegen 2° gibt es für Folgen
und
mit Fn c B c Un und limn→∞ μ(Un) \ Fn) = 0. Somit
d. h. das Infimum in (A.1) (Regularität von außen) wird angenommen.
4°) Wir zeigen: Wenn E σ-kompakt ist, dann ist μ regulär. Es sei und Lm ↑ E eine aufsteigende Folge kompakter Mengen und Fn wie in Schritt 3°. Setze
Wegen der Maßstetigkeit gilt limm→∞ μ(Fn \ Kn,m) = 0, sowie
Daher gilt auch die Formel (A.2) (sogar für beliebige Mengen
A.11 Satz. Es sei (E, d) ein metrischer Raum und μ ein Maβ auf mit μ(K) < ∞ für alle kompakten Mengen K c E.
Beweis. a) Es sei Kn ↑ E eine Folge kompakter Mengen. Dann ist μn(B):= μ(B ∩ Kn), B ; für jedes
ein endliches Maß. Wir finden mit der Maßstetigkeit und Satz A.10 für jede Menge
b) Es sei B ∈ ℬ(E) und ∈ > 0. Aus dem Beweis von Satz A.10 (Definition der Familie Σ für die Maße μ{· ∩ Gn)) wissen wir
(A.4)
Für n = 1 ist das der Induktionsanfang für die folgende Aussage
(A.5)
Induktionsschritt n ⇝ n + 1: Wegen der starken Additivität von Maßen gilt
Es ist . Somit
Da ∈ > 0 beliebig ist, folgt die Regularität von außen.
Die σ-Endlichkeit ist im Beweis von Satz A.11 wesentlich: Auf ist das Zählmaß μ(B):= #B offensichtlich von innen regulär, jedoch gilt die äußere Regularität nicht einmal für einpunktige Mengen.
A.12 Beispiel. a) Das Lebesgue-Maß λd auf ist regulär. Offensichtlich ist
σ-kompakt
und die offenen Mengen
. Da λd(Bn(0)) < ∞, folgt die Behauptung aus Satz A.11.
b) Für jede Borelmenge gibt es eine Fσ-Menge (= abzählbare Vereinigung abgeschlossener Mengen) F und eine Gδ-Menge (= abzählbarer Durchschnitt offener Mengen) G mit F ⊂ B ⊂ G und λd (G \ F) = 0. Das folgt aus dem Beweis von Satz A.10 (Schritt 3°) und Satz A.11. [✍]
A.13 Bemerkung. Satz A.11 kann auf verschiedene Arten verallgemeinert werden, wobei stets die Topologie eine besondere Rolle spielt.
Ein topologischer Raum bezeichnet die Topologie oder Familie der offenen Mengen, heißt lokal-kompakt, wenn jeder Punkt x ∈ E eine offene Umgebung U(x) hat, deren Abschluss kompakt ist. Der Raum E hat eine abzählbare Basis, wenn es eine abzählbare Familie
mit
für alle offenen Mengen
gibt. Typische Beispiele sind lokal-kompakte metrische Räume (E, d), die eine abzählbare dichte Teilmenge haben.
Wir schreiben Cc(E) für die stetigen Funktionen mit kompaktem Träger supp
. Wir nennen Cc(E) separabel, wenn es eine bezüglich der gleichmäßigen Konvergenz dichte abzählbare Teilmenge in Cc(E) gibt.
A.14 Satz. Es sei ein lokal-kompakter topologischer Raum mit abzählbarer Basis. Dann ist der Raum (Cc(E), ∥ · ∥∞) separabel.
Beweis. Es sei eine abzählbare Basis von
und
. Es seien
und
. Eine Funktion f ∈ Cc(E) mit
nennen wir an (Gi, Ii)i=1, ...,n adaptiert. Zu jedem solchen Tupel wählen wir eine feste adaptierte Funktion (sofern es eine gibt) und schreiben für diese Familie. Da die Familie
abzählbar ist, ist
höchstens abzählbar. Für u ∈ Cc(E) gilt
Da supp u kompakt ist, wird supp u durch U(x1) ∪ ··· ∪ U(xn), also für endlich viele x1, ... , xn, überdeckt. Andererseits ist für alle i = 1, ... , n
Also ist u an (U(xi), Ji)i=1, ...,n adaptiert. Nun sei auch an (U(xi), Ji)i=1, ...,n adaptiert. Dann gilt
Mithin ist ∥ f − ull∞ < 3ε, d. h. ist eine dichte Teilmenge.