In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit der schwachen und vagen Konvergenz von Maßen. Es sei (E, d) ein metrischer Raum und mit bezeichnen wir die (positiven) Maße auf (E, ℬ(E)). Weiter setzen wir
![]() |
endliche Maße, |
![]() |
Wahrscheinlichkeitsmaße. |
Ein Maß µ heißt lokal endlich, wenn für jedes x ∈ E eine offene Umgebung U = U(x) existiert mit µ(U) < ∞. Da wir jede kompakte Menge K mit endlich vielen derartigen Umgebungen überdecken können, gilt µ(K) < ∞ für lokal endliche Maße.
25.1 Definition. Eine Folge konvergiert schwach gegen
(Notation:
, wenn
Die in Definition 25.1 eingeführte schwache Konvergenz ist nicht die aus der Funktionalanalysis bekannte schwache Konvergenz im Dualpaar wobei
.
25.2 Bemerkung. Da die Familie Cb(E) maßbestimmend ist (im Sinne von Definition 21.1), sind schwache Grenzwerte eindeutig: Es seien µ, und es gelte ∫ u dµ = ∫ u dν für alle u ∈ Cb(E). Für eine abgeschlossene Menge F ⊂ E bezeichnet d(x, F):= inf y∈F d(x, y) den Abstand von x zur Menge F; dann gilt
und wir sehen mit monotoner Konvergenz
Aus dem Eindeutigkeitssatz für Maße (Satz 4.5) folgt dann µ = ν.
Für u ≡ 1 sehen wir, dass schwache Konvergenz die Gesamtmasse von Maßen erhält:
(25.1)
Andererseits kann man limn→∞ µn(B) = µ(B) nicht für beliebige Mengen B ∈ ℬ(E) erwarten. Betrachte xn ∈ E mit limn→∞ xn = x und sowie µ:= δx. Dann
konvergiert
schwach gegen
, da
aber muss i. Allg. nicht gegen
konvergieren (z. B. wenn xn ≠ x und B = {x}). Trotzdem kann man schwache Konvergenz mit Hilfe von Mengen charakterisieren. Dazu benötigen wir den Begriff des Randes einer Menge
, wobei
den Abschluss und B° das offene Innere von B bezeichnet.
25.3 Satz (Portmanteau-Theorem). Sei (E, d) ein metrischer Raum und µ, ,
. Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:
Beweis. Die Implikation a)⇒b) ist klar. b)⇒c): Definiere für k ∈
Dann ist uk gleichmäßig stetig (vgl. das Argument im Beweis vo0n Lemma 21.3), beschränkt und es gilt sowie
. Somit
Mit monotoner Konvergenz folgt nun
Die Masseerhaltung µn(E) → µ(E) haben wir schon in (25.1) gesehen.
c)⇔d): Für U c E offen ist Uc = E \ U abgeschlossen und wir finden
Die Umkehrung wird ganz ähnlich bewiesen.
c) & d)⇒e): Wir haben und somit
e)⇒a): Es sei u ∈ Cb (E) eine positive Funktion. Da ∂{µ ≥ t} ⊂ {u = t} und µ(E) < ∞, gilt µ(∂{u ≥ t}) > 0 für höchstens abzählbar viele t. Mit Satz 16.7, dominierter Konvergenz und der Tatsache, dass abzählbare Mengen Lebesgue-Nullmengen sind, erhält man
Schwache Konvergenz setzt endliche Maße voraus, was für viele Anwendungen nicht erfüllt ist. Daher verwendet man oft das Konzept der vagen Konvergenz, das auf stetigen Funktionen mit kompakten Trägern Cc(E) beruht. Wir betrachten hier nur reguläre Maße, vgl. Anhang A.5: Ein Maß ∈ ist regulär, also
, wenn
25.4 Definition. Eine Folge konvergiertvag gegen
∈ (Notation:
, wenn
Im Gegensatz zu Cb (E) kann der Raum Cc(E) relativ klein sein. Für eine sinnvolle Theorie müssen wir weitere topologische Annahmen machen.
Eine Menge A ⊂ E heißt relativ kompakt, wenn kompakt ist. Ein metrischer Raum (E, d) heißt lokal-kompakt, wenn jeder Punkt x ∈ E eine relativ kompakte offene Umgebung V(x) besitzt. Unter diesen Annahmen garantiert das Lemma von Urysohn (Lemma 24.6), dass der Raum Cc(E) hinreichend reichhaltig ist.
25.5 Bemerkung. In lokal-kompakten Räumen E folgt — wie in Bemerkung 25.2 — mit Lemma 24.6.a) und dem Satz von der monotonen Konvergenz, dass
Wenn µ, ν regulär sind, dann gilt µ(B) = ν(B) für alle B ∈ ℬ(E), d. h. in sind vage Grenzwerte eindeutig.
Mit Hilfe von Lemma 24.6 können wir auch ein Portmanteau-Theorem für vage Konvergenz zeigen.
25.6 Satz. Sei (E, d) ein lokal-kompakter metrischer Raum und . Dann sind die folgenden Aussagen äquivalent:
Beweis. a)⇒b): Es sei K eine kompakte Menge und mit uε, ∈ Cc(E) aus Lemma 24.6. Nun folgt lim supn→∞ µn(K) ≤ µ(K) wie im Beweis von Satz 25.3, b)⇒c).
Zu jeder offenen und relativ kompakten Menge U gibt es nach Lemma 24.6 Funktionen ω∈, ∈ Cc(E) mit . Somit
Monotone Konvergenz zeigt dann
b)⇒c)⇒a) folgt nun wie im Beweis der entsprechenden Aussagen von Satz 25.3. Beachte, dass die Mengen {u ≥ t}, t > 0, für positive u ∈ Cc(E) kompakt sind.
Im Gegensatz zur schwachen Konvergenz erhält die vage Konvergenz nicht immer die Gesamtmassen. Ein typisches Beispiel ist die Folge auf (0, ∞), die vag gegen das Maß µ ≡ 0 konvergiert.
25.7 Lemma. Es sei (E, d) ein lokal-kompakter metrischer Raum, µ, und
. Dann gilt µ(E) ≤ lim infn→∞ µn(E).
Beweis. Für alle u ∈ Cc(E) mit 0 ≤ u ≤1 gilt
Nach Lemma 24.6 gibt es zu jedem Kompaktum K ein u ∈ Cc(E) mit . Somit
Wir schreiben für den Abschluss von Cc(E) bezüglich der sup-Norm. Da gleichmäßige Konvergenz die Stetigkeit erhält, ist u ∈ C∞ (E) stetig. Andererseits ist die Menge {|u|, ∈} kompakt, da es nach Konstruktion ein uε ∈ Cc(E) mit ∥u – uε∥∞, < ∈ gibt. Daher verschwindet u im Unendlichen. Man sieht leicht, dass (C∞, (E), || · ||∞) ein Banachraum ist.
25.8 Satz. Es sei (E, d) ein lokal-kompakter metrischer Raum und µ, . Dann gilt
Beweis. Seien u ∈ C∞(E) und ∈ > 0. Nach der Vorbemerkung zu Satz 25.8 und Lemma 24.6 gibt es ein χ ∈ Cc(E),0 ≤ χ ≤ 1, so dass |u| ≤ ∈ auf der Menge {χ < 1} =[X= = 1}c. Somit
Da uX ∈ Cc(E) ist, ergibt sich für n → ∞
Abschließend behandeln wir den Zusammenhang zwischen vager und schwacher Konvergenz.
25.9 Satz. Es sei (E, d) ein lokal-kompakter metrischer Raum und µ, . Dann sind äquivalent:
Insbesondere fallen vage und schwache Konvergenz für Wahrscheinlichkeitsmaße auf lokal- und σ-kompaktem E zusammen.
Beweis. Die Implikation a)⇒b) ist offensichtlich.
b)⇒c) Da die Maße un und µ von innen regulär sind, gilt
entsprechend finden wir eine kompakte Menge K0,∈ für das Maß µ. Mit dem Lemma von Urysohn (Lemma 24.6.a) gibt es eine relativ kompakte offene Menge U∈ ⊃ K0,∈ und eine kompakte Menge K∈ ⊃ U∈, und wegen Satz 25.6.b) ist dann
Da nach Voraussetzung µ(E) = limn→∞ µn(E) gilt, sehen wir
Daher gibt es ein N = N(∈) ∈ N mit supn>N µn(E\K∈) ≤ 2∈. Da die Maße µ1, ... , µN regulär sind, ist K:= K∈ ∪ K1,∈ ∪ ... ∪ KN,∈ die gesuchte kompakte Menge.
c)⇒a) Sei u ∈ Cb(E), ∈ > 0 und K c E eine kompakte Menge mit supn µn(Kc) ≤ ∈ (nach Annahme) und µ(Kc) ≤ ∈ (wegen der Regularität). Mit dem Lemma von Urysohn
konstruieren wir eine Funktion χ ∈ Cc(E) mit . Dann ist
Da uχ ∈ Cc(E) ist, ergibt sich für n → ∞
Der Zusatz folgt aus der Tatsache, dass W-Maße auf σ-kompakten Räumen regulär sind, Satz A.10.
Viele Existenzbeweise lassen sich auf Kompaktheitsaussagen zurückführen. Für die vage Konvergenz (und die dadurch induzierte vage Topologie) kann man Kompaktheit durch vage Beschränktheit kennzeichnen. In allgemeinen Räumen gilt allerdings nicht, dass Kompaktheit die Existenz von konvergenten (Teil-)Folgen impliziert. Wenn aber der Raum Cc(E) eine abzählbare dichte Teilmenge enthält (also separabel ist, vgl. Satz A.14), dürfen wir mit Folgen arbeiten. Typischerweise ist Cc(E) separabel, wenn der Grundraum (E, d) selbst ein metrischer Raum mit einer abzählbaren dichten Teilmenge ist.
25.10 Lemma (Einfangtrick). Es sei (E, d) ein lokal-kompakter und σ-kompakter metrischer Raum. Dann existieren kompakte Mengen , so dass
und
gilt. Insbesondere gibt es für jede kompakte Menge K ⊂ E ein N = N(K) mit K ⊂ LN.
Beweis. Da E σ-kompakt ist, gibt es eine Folge kompakter Mengen Kn ↑ E. Mit dem Urysohn-Lemma 24.6.a) finden wir Funktionen χn ∈ Cc(E) mit ; o. E. können wir χn ↑ 1 annehmen, sonst betrachten wir die Folge max{χ1, ... , χn}.
Wir definieren nun Ln:= {χn ≥ 1/n}. Diese Mengen sind abgeschlossen (χn ist stetig), kompakt (Ln ⊂ supp χn) und wegen χn ≤ χn+1 gilt auch
Da die Menge Un offen ist, folgt Ln c L°n+1 c Ln+1. Wegen χn ↑ 1 gilt L°n ↑ E.
Nun sei K c E kompakt. Offensichtlich ist und wegen der Kompaktheit gibt es eine endliche Teilüberdeckung, d. h. es existiert ein N = N(K), so dass K ⊂ L1 ∪ · · · ∪ LN = LN.
Wir kommen nun zum angekündigten Kompaktheitsresultat.
25.11 Satz. Es sei (E, d) ein lokal-kompakter und σ-kompakter metrischer Raum, so dass (Cc(E), ∥⋅∥∞) separabel ist. Wenn vag beschränkt ist, d. h.
(25.2)
dann gibt es eine Folge und ein Maβ
, so dass
Beweis. 1°) Mit dem Lemma von Urysohn (Lemma 24.6) und dem Einfangtrick (Lemma 25.10) konstruieren wir eine Folge mit
Es sei eine abzählbare dichte Teilmenge von Cc(E). Dann ist auch
eine abzählbare dichte Teilmenge von Cc(E).
2°) Mit {u1, u2, u3, ... } bezeichnen wir eine Abzählung der Menge aus 1°. Wir konstruieren die Folge
rekursiv: Für 〈ν, u〉:= ∫ u dν ∫ gilt nach Voraussetzung
Weil die rechte Seite ein kompaktes Intervall ist, finden wir durch wiederholte Anwendung des Satzes von Bolzano-Weierstraß
Da wir die Teilfolgen immer weiter ausgedünnt haben, gilt für alle k = 1, ... , i. Somit erhalten wir für die Diagonalfolge
3°) Es sei u ∈ Cc(E) und ∊ > 0. Wie in Schritt 1° finden wir Funktionen w∊ ∈ D und χN ∈ Cc(E), so dass für
gilt. Somit
(*)
Für m, n → ∞ ergibt sich dann wegen (25.2) und
(**)
Also konvergiert I(u):= limn→∞ ∫ u dμn für alle u ∈ Cc(E) und definiert ein positives lineares Funktional. Die Behauptung folgt nun aus dem Rieszschen Darstellungssatz, Satz 24.8.
Wenn die Familie aus endlichen Maßen mit
besteht, dann ist die vage Beschränktheit offensichtlich erfüllt, und wir können sogar auf die σ-Kompaktheit von E verzichten. Das folgt einfach aus der Tatsache, dass wir im Beweis von Satz 25.11 an den mit (*) und (**) gekennzeichneten Stellen χN ≡ 1 und
wählen können.
25.12 Korollar. Es sei (E, d) ein lokal-kompakter metrischer Raum, so dass (Cc(E), ∥⋅∥∞) separabel ist. Dann hat jede Folge von Maβen in eine vag konvergente Teilfolge, mit Grenzwert μ ∈
. (M. a. W.: Die Familie
ist vag folgenkompakt.)
Beweis. Wie in Satz 25.11 finden wir für jede Folge in (E) eine vag konvergente Teilfolge mit vagem Grenzwert
. Wegen Lemma 25.7 gilt μ(E) ≤ 1 und somit
In vielen Anwendungen ist E ein σ-kompakter metrischer Raum. Dann sind nach Satz A.10 die endlichen Maße bereits regulär. Korollar 25.12 ist in der Wahrscheinlichkeitstheorie, z. B. für den Stetigkeitssatz von P. Levy oder beim Beweis der Lévy-Khintchine Formel, ein wichtiges Hilfsmittel.
Hinweis: Vgl. den Beweis von Satz 25.6.c).