Jesus verwendet den Begriff Prostitution nicht. Er wich Prostituierten nicht aus und verurteilte sie nicht. Er bezeichnete sie als Gott näherstehend als die selbstgerechten Pharisäer (vgl. Mt 21,31).
Ausgehend davon, dass Männer ihre Triebe der Sexualität und Macht nicht unter Kontrolle bringen könnten, akzeptiert Thomas v. Aquin – mit Verweis auf Augustinus (ord. II,4) – Prostitution als geringeres Übel (S. th. I–II, 101, 3 ad 2; II–II, 10, 11). Feministinnen halten der Kirche vor, zur Unterdrückung von Frauen auch mittels Prostitution wesentlich beigetragen zu haben (Daly 53). Die von Männern dominierte Theologie wird angefragt, ob es ihr möglich sei, »Gottes Plan für Frauen« vorurteilsfrei transparent zu machen (Ovrieux 147). Frühere Ansätze einer »Gefallenen- und Gefährdetenfürsorge« wurden von gesellschaftlichen, weniger aber von kirchlichen Institutionen weiterentwickelt zu Versuchen einer Integration von Prostituierten (Stallberg 72–92).
In der pastoralen Praxis gab und gibt es dennoch immer wieder Christen und Christinnen, die Prostituierte als an den Rand gedrängte Menschen wahrnehmen, die oft schon in der Kindheit sexualisierte Gewalt erlebt haben. Vereinigungen wie der Sozialdienst katholischer Frauen, Diakonie, Mitternachtsmission, Abolutionisten, solwodi (Solidarity with Women in Distress) u. a. engagieren sich heute im Rahmen von Begegnungsstätten, Cafés, Beratungseinrichtungen usw. für Prostituierte. Im Sinn Jesu wollen sie diese aus ihrer Isolation herausholen, mit ihnen für ihre Rechte einstehen und Alternativen zur Prostitution aufzeigen.*
Lea Ackermann im »Lexikon für Theologie und Kirche«4
Um eines ganz klarzustellen: Prostitution ist kein Gewerbe, »das älteste Gewerbe der Welt«, wie es immer noch beschönigend und gedankenlos bezeichnet wird. Prostitution ist Gewalt!
solwodi findet zunehmend auch bei Männern Unterstützung. Bei Psychologen, Ärzten, bei Handwerkern. Das ist ermutigend. Sie würden uns nicht unterstützen, denke ich, wenn sie unsere Arbeit geringschätzen oder gar ablehnen würden.
Die Arbeit von solwodi ist durch die Einwanderung der Flüchtlinge in Europa schwieriger und komplexer geworden. Dazu kommen viele bürokratische Hindernisse. Wir haben für unser »Fluchthaus« in Boppard-Hirzenach lange keinen Cent Mietkostenzuschuss bekommen.
Da ist eine Frau aus Nigeria, deren Eltern von Boko Haram verbrannt wurden. Auch sie war wie ihre Eltern im Feuer und ist bis zur Taille verbrannt. Mit Menschenhändlern ist sie nach Deutschland geflüchtet. Die Menschenhändler wollten sie hier in der Prostitution vermarkten. Sie musste eine blickdichte Strumpfhose anziehen. So sollte sie in einem Bordell für Kunden da sein. Als sie sich ihrem ersten Kunden zeigte, ergriff der die Flucht und auch sie konnte fliehen. Sie lief verloren in der Stadt herum und so brachte die Polizei sie in ein Krankenhaus. Von dort kam sie in eine Psychiatrie. Nach einem Monat wurde sie entlassen und stand wieder auf der Straße. Und da niemand für sie aufkam, wurde bei uns angerufen und wir waren bereit, sie aufzunehmen. Als aber die Mitarbeiterin unserer Schutzwohnung in den Entlassungspapieren las: »Jeden Tag einen Psychiater aufsuchen«, da sie extrem traumatisiert sei, und die Medikamente dürften nur von Fachpersonal ausgegeben werde, rief sie mich an und erklärte, sie sei nicht in der Lage, diese Frau aufzunehmen. Ich rief eine geschlossene Psychiatrie von Ordensschwestern an und bat dringend um einen Platz. Die Schwestern waren so nett und nahmen die Frau auf. Am nächsten Tag besuchte ich sie. Sie war verzweifelt und zeigte mir ihren Körper ab der Taille. Ich habe noch nie etwas so Schreckliches gesehen. Es sah aus wie mit Peitschenhieben gefoltert, die Haut in Streifen: rosa, weiß, schwarz, einfach grausam. Sie wollte in dieser geschlossenen Klinik mit all den verwirrten Kranken nicht bleiben. Der Arzt verschrieb mir für sie die Tabletten für zwei Wochen und erlaubte mir, sie mitzunehmen. Sie ist bei uns; sie leidet, das kann man sehen. Sie lernt Deutsch. Sie ist sehr religiös. Das ist ihr Halt. Wir geben ihr pünktlich die Medikamente. Wir haben eine Psychotherapeutin für sie gefunden. – Wie können Menschen so mit anderen Menschen umgehen?! Das ist eine Frage, die mich sehr belastet.
Wir kümmern uns um alleinreisende flüchtende Frauen und ihre Kinder und haben ein Schutzhaus für sie angemietet, aber bis jetzt bekommen wir noch keine Unterstützung von der öffentlichen Hand, weil alleinreisende Frauen, darunter schwierige, hochtraumatisierte Frauen mit Kindern, noch nicht überall registriert werden. Was uns sehr beschäftigt, ist, die Gefahr zu sehen, die diese Frauen durchlebt haben, und die Angst, abgeschoben zu werden – auf die Gefahr hin, nach der Rückkehr umgebracht zu werden.
Wir begleiten eine andere Frau mit zwei kleinen Kindern. Sie hat in der Familie nur Gewalt erlebt. Sie weiß, wenn sie abgeschoben wird, erwartet sie der Tod, weil sie hier gesagt hat, was im Heimatland passiert ist.
Hinzu kommt: Was geschieht innerhalb der Flüchtlingstrecks mit den Kindern? Mit alten Menschen, die ja auch dabei sind? Ein Meer von Leid und Schmerz!
Ich sehe die Arbeit von solwodi als dringend notwendig an. Aber ich weiß auch, dass damit die Welt nicht gerettet wird. Aber den Frauen und Kindern, denen wir helfen konnten, geht es besser bis gut. Das tröstet mich. Auf sie richte ich meinen Blick und sehe: Der Kampf geht weiter! Damit Frauen in Würde leben können!
Ich habe für die Arbeit mit den Frauen in Deutschland dringende Wünsche und Forderungen:
1. Wir brauchen geschlechtsspezifische Asylgründe.
2. Wir brauchen eine Gerichtsbarkeit, die Verbrechen als Verbrechen ansieht, nicht nur als »Kavaliersdelikte« – welch ein schrecklicher Begriff!
Das neue Prostitutionsgesetz ist Makulatur. Es sollen Kontrollen durchgeführt werden. Es sollen Kondome zwingend vorgeschrieben werden. Sie sollen in jedem Zimmer, in dem der Verkehr stattfindet, vorhanden sein. Das ist absolut hirnrissig. Das kann man gar nicht kontrollieren. Wenn der Mann hundert Euro mehr zahlt, damit er kein Kondom benutzen muss, dann benutzt er kein Kondom.
Der Sexkauf muss klar und unmissverständlich verboten werden. Sex kann man nicht kaufen. In anderen Ländern ist ein Verbot doch möglich! In Schweden, Norwegen, Kanada und Frankreich.
Hinter der Ablehnung des Verbots verbirgt sich die Auffassung: »Frauen kann man kaufen! Frauen wollen das! Sie genieren sich nur! Aber im Grunde wollen sie es alle! Gleichgültig, ob sie jung oder alt sind!« Das ist die Haltung, die sich dahinter verbirgt. So wird argumentiert. Wie abwegig, wie verächtlich!
Prostitution ist Abwertung – für jede Frau.
Da ruft mich ein Mann an und sagt: »Frau Ackermann! Wie soll ich denn da zu einer Frau kommen?« – Wenn ich das schon höre! – Ich sage ihm: »Wie wäre es denn, wenn Sie es einmal mit Charme, Wohlwollen und Freundlichkeit versuchen?!«
Ich bin richtig wütend! Unsere Frauenministerin Manuela Schwesig hat sich bei der Erstellung des Gesetzes von den Bordellbetreibern erzählen lassen, wie es im Bordell zugeht!
Als wir über 30.000 Unterschriften gegen das Gesetz bei ihr abgeben wollten, wurde mir mitgeteilt: Der Herr Staatssekretär freut sich, die Unterschriften entgegenzunehmen. Die Frau Ministerin hat leider keine Zeit.
Zeitgleich erschien ein Artikel in »der spiegel«, in dem ein Herr Rettich vom Ministerium sich lobt, dass es ihm gelungen sei, die Bordellbetreiber in Lobbygruppen zusammenzuschließen. Sie machten eine hervorragende Arbeit. – Also beraten jetzt die Bordellbetreiber, die das Geld machen mit der »Ware Frau«, die Politik. Das ist doch absurd! Das ist zynisch!
Sexkauf muss verboten werden. Dabei kommt es nicht auf das Strafmaß an, sondern auf den Blickwechsel. Bisher hat man nur die Frau im Blick. ›Sie fordert heraus mit ihrer Kleidung, mit ihrer ganzen Haltung, mit ihren Bewegungen oder mit ihren Blicken. Die Frau verführt den Mann. Sie will sich verkaufen.« So wird argumentiert! Wenn es ein Sexkaufverbot gibt, müssen der Käufer und die Gesellschaft darüber nachdenken. Und es wäre auch gut und konsequent, wenn in den Schulen darüber nachgedacht würde.
Ich kenne keine einzige Frau, die sich aus Lust freiwillig zur Prostitution anbietet. Wenn, dann ist immer schon etwas schiefgelaufen, etwa in der Kindheit.
Wenn eine Frau sagt: Ich brauche zehn Männer, um glücklich zu sein, dann ist das ja okay. Das kann sie selbst entscheiden, und ich habe diese Entscheidung, auch wenn ich sie persönlich für falsch halte, nicht zu kritisieren. Sie wird die zehn Männer zu ihrem Glück auch ganz sicher finden. Aber wenn sie sagt: Ich brauche zehn Männer, damit ich überleben kann, dann ist die Lage schon wesentlich anders.
Das älteste Verbrechen in der Bibel ist der Mord, der Brudermord von Kain an Abel. Mord ist ein Verbrechen und schadet der menschlichen Gesellschaft. Darum haben wir ein Gesetz, das Mord verbietet. Aber es wird trotzdem gemordet. Sollen wir das Gesetz abschaffen, weil ja doch weiter gemordet wird? Das Gleiche gilt für den Diebstahl. Sollen wir das Gesetz abschaffen? Brauchen wir dann überhaupt noch Gesetze?
Ein Gesetz hat Symbolkraft und Erziehungspotential. Wir Menschen brauchen Gesetze. Im Gesetz bringen wir zum Ausdruck, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Wir wollen in einer freien Gesellschaft leben, in der die Menschen respektvoll miteinander umgehen. In eine solche Gesellschaft passt keine Prostitution. Prostitution ist kein Beruf, sondern Machtmissbrauch. Prostitution verhindert die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Trotz jahrelanger Aufklärungsarbeit ist es uns, solwodi, nicht gelungen die Bevölkerung und die Politik von der Schwere und Tragweite des Problems zu überzeugen.
Wir können nicht oft genug betonen, dass Prostitution Menschen zerstört. Nicht nur die Frauen, die oft völlig traumatisiert und orientierungslos zurückbleiben. Nein, Prostitution zerstört weit darüber hinaus Familien, Beziehungen und das Miteinander in der Gesellschaft.
Wir dürfen nicht nachlassen, diese letzte Bastion der Sklaverei anzuprangern und zu bekämpfen.
Es kann keine Gerechtigkeit und kein friedliches Miteinander geben, solange diese Ungerechtigkeit unter uns toleriert wird.
Ein Lied bringt gut zum Ausdruck, was ich mit solwodi verbinde:
Hilf, Herr meines Lebens,
dass ich nicht vergebens,
dass ich nicht vergebens
hier auf Erden bin.5
Das, was ich tue, ist sinnvoll. Davon bin ich überzeugt.
Ich habe meine Berufung entdeckt und lebe danach. Sage: »Lieber Gott, ich will etwas tun für deine chancenlosen Töchter.« Wenn ich das hinbekomme, dann hat sich mein Leben gelohnt.
Ich sehe, dass ich vielen helfen kann und konnte.
Ich bitte Gott, dass meine Arbeit weitergeht, dass er Hilfe schickt, dass solwodi sich weiterentwickelt.
Ich bitte Gott auch, dass ich eine Nachfolgerin finde.
Mit dem Älterwerden kommen mehr Zweifel. Als junger Mensch hatte ich kaum Zweifel. Ich bin nicht meditativ begabt. Aber ich bete viel. Das Gebet begleitet mich bei meinem Unterwegssein und bei meinem Tun.
Wenn ich sehe, wie solwodi aus nichts heraus geworden ist, dann weiß ich: Gott hat jeden Schritt begleitet. Er hat geholfen. Und ich hoffe und bete, dass er auch in Zukunft helfen wird. Ich sehe solwodi als Bestätigung meines Glaubens. Das »weiß« ich, wenn mir Zweifel kommen.
Mir ist es sehr wichtig zu zeigen, welche konkrete Arbeit die Mitarbeiterinnen von solwodi tagtäglich und manchmal auch nachtnächtlich leisten. Das ist noch viel zu wenig bekannt. »Hingabe« ist ein Wort, das mir geeignet erscheint, unser Tun zu charakterisieren.
Unsere Arbeit ist kaum in den Schlagzeilen zu finden. Meist vollzieht sie sich im Verborgenen, wird wenig beachtet. Aber wir leisten einen wichtigen Beitrag für eine gerechte Gesellschaft. Für Frauen, die unter Ungerechtigkeit leiden, deren Würde nie respektiert wurde und die sich ihrer Würde kaum bewusst sind.
Als konkretes Beispiel möchte ich einen genaueren Einblick in die Arbeit der solwodi-Beratungsstelle in Bonn geben. Er beginnt mit einer Strafanzeige, die die Leiterin der Beratungsstelle im Januar 2016 bei der Staatsanwaltschaft in Bonn gestellt hat.
Erstattung einer Strafanzeige
Sehr geehrte Damen und Herren, solwodi Bonn ist eine Menschenrechtsorganisation, die Betroffene von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung betreut. In diesem Zusammenhang leisten wir auch aufsuchende Arbeit im Bonner Prostitutionsmilieu. Einmal in der Woche gehen wir in das Eroscenter auf der Immenburgstraße 17–21 in Bonn.
Am 18. Januar 2016 (etwa gegen 20.20 Uhr) wurde ich bei der aufsuchenden Arbeit von einem Mann, der dort als »Gast« gewesen ist, sexuell belästigt. Der Vorfall ereignete sich, als ich mit meiner Kollegin die Treppe runtergegangen bin. Dort kam mir der Mann entgegen. Ich bin stehengeblieben, damit er an mir vorbeigehen kann. Der Mann blieb stehen, stellte sich nah vor mich, griff mir an den Hintern und sagte: »Ey, wie geht?« Ich habe dem Mann daraufhin gesagt, dass sein Verhalten indiskutabel ist. Meine Kollegin war ebenfalls empört und betonte, dass dieses Verhalten nicht in Ordnung sei. Unten an der Treppe standen zwei weitere Männer, die dazugehörten. Diese haben uns ebenfalls überhaupt nicht ernst genommen und gelacht. Ich fühle mich durch dieses Verhalten extrem beleidigt und angewidert. Daher möchte ich Anzeige erstatten. Der Mann war etwa 1,75 Meter groß, hatte schwarze Haare, braune Augen, dunkle Hautfarbe, er trug eine Brille und eine Schirmmütze. Ich würde ihn definitiv wiedererkennen.
Bei unserer wöchentlichen Streetwork fällt uns immer wieder auf, dass sich solche Männergruppen im Eroscenter aufhalten. Sie sind extrem respektlos zu den Frauen, die dort sind, und auch zu uns. Viele Frauen haben große Angst und berichten uns von vermehrten Übergriffen durch diese Männer.
Mit freundlichen Grüßen, solwodi Bonn
Aus der Tätigkeit einer solwodi-Beratungsstelle
Seit Juni 2014 ist solwodi mit einer Fachberatungsstelle in Bonn vertreten und wird bis März 2017 von der »Aktion Mensch« gefördert.
Bereits in den ersten Monaten haben wir drei Frauen begleitet, die sich als von Menschenhandel Betroffene bei uns gemeldet haben. Weitere sieben Frauen haben wir zum Ausstieg aus der Prostitution beraten. Davon sind vier Frauen endgültig ausgestiegen; sie konnten von uns in eine alternative Erwerbsarbeit vermittelt werden. Bei anderen Frauen ist der Ausstieg ein längerer Prozess.
Der akute Beratungsbedarf von Frauen in der Prostitution in Bonn hat sich im Jahr 2015 nochmal deutlich erhöht. Im Jahr 2015 haben sich überwiegend Frauen aus Südosteuropa in der Fachberatungsstelle gemeldet. Insgesamt haben 137 Frauen Unterstützung bei solwodi in Bonn gesucht. Die Hauptkontaktgründe waren gesundheitliche Probleme, Interesse an einem Sprachkurs und Ausstieg aus der Prostitution. Insgesamt wurden im letzten Jahr 16 Frauen begleitet und beraten, die aus der Prostitution aussteigen wollen. Zehn Frauen konnten dem Prostitutionsmilieu dauerhaft entkommen. Nachdem wir die Frauen bei der Anerkennung der Zeugnisse aus dem Heimatland unterstützt haben, konnten zwei von ihnen erfolgreich in eine Berufsausbildung in Deutschland vermittelt werden. Des Weiteren haben sich insgesamt 19 Frauen als von Menschenhandel Betroffene bei uns gemeldet, von denen sechs eine Anzeige bei der Polizei erstatteten. Bisher wurde in keinem der Ermittlungsverfahren Anklage erhoben.
Zwölf junge Frauen meldeten sich, die vor Zwangsverheiratung geflohen sind. Darüber hinaus steigen auch die Anfragen von geflüchteten Frauen. In diesem Zusammenhang haben sich im Jahr 2015 Frauen aus Syrien, dem Iran, dem Irak, Albanien, Sri Lanka und Nigeria bei uns gemeldet, die vor sexualisierter Gewalt im Heimatland geflohen oder von sexuellen Übergriffen in Flüchtlingsunterkünften betroffen sind. Die Fachberatungsstelle in Bonn wird zunehmend von anderen Stellen (Polizei, Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen) aus dem gesamten Rhein-Sieg-Kreis angefragt, da es in der Umgebung kein vergleichbares Angebot gibt.
Zielgruppe
In der Fachberatungsstelle betreuen wir Frauen, die vor sexualisierter Gewalt geflohen sind und aus dem Ausland stammen. Dazu gehören Betroffene von Menschenhandel, Zwangsheirat, Armutsprostitution, Loverboy-Methode, Genitalverstümmelung, Vergewaltigung und weiteren Formen sexualisierter Gewalt. Ein Großteil der Frauen, die wir betreuen, ist von der sogenannten Armutsprostitution betroffen und stammt aus Südosteuropa. Die meisten Frauen befinden sich in ihren Heimatländern in prekären Situationen und leben am Existenzminimum. Soziale Ungleichheit und der schlechte sozioökonomische Status der Frauen drängen diese häufig ins Prostitutionsmilieu. Fehlende Chancengleichheit am Arbeitsplatz ist ein weiterer Risikofaktor. Darüber hinaus betreut solwodi in Bonn Betroffene von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. In diesem Zusammenhang werden Frauen entweder unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Deutschland gelockt und dann in die Prostitution verkauft oder sie werden offen für die Erotikindustrie geworben und dann in Deutschland ausgebeutet.
In jedem Fall muss der Begriff »Freiwilligkeit« klar definiert werden. Im Fall von Menschenhandel / Zwangsprostitution werden Frauen gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen. Allerdings kann auch der Bereich der »Armutsprostitution« nicht als eine freiwillig gewählte Erwerbsarbeit definiert werden, da die Lebensumstände die Frauen zur Prostitution zwingen. Viele Frauen berichteten, dass sie die Prostitution kaum noch ertragen können, da sie unter psychischen und physischen Problemen leiden.
Romafrauen
Ein Großteil der Frauen, die wir betreuen, gehört zur ethnischen Minderheit der Roma. Diese Frauen sind besonders verletzlich, da sie häufig keine andere Verdienstmöglichkeit in Deutschland haben als Prostitution, um sich und die Kinder im Heimatland zu versorgen. Besonders auffällig ist in diesem Kontext, dass viele Frauen in der Vergangenheit als von Menschenhandel Betroffene nach Deutschland gekommen sind und ihren gesamten Verdienst an Dritte abgeben mussten. Allerdings haben die Frauen häufig keine »Opferwahrnehmung«. Wir haben im letzten Jahr vermehrt den Satz gehört: »Ich mache das freiwillig, weil ich muss.« Romafrauen sind signifikant häufiger von Menschenhandel / Zwangsprostitution und Armutsprostitution betroffen als Frauen aus der Mehrheitsgesellschaft. Dabei sind die Grenzen zum Menschenhandel stets fließend. Die Vulnerabilitätsfaktoren sind vielfältig und können hier nicht im Detail dargestellt und analysiert werden. Wichtige Faktoren sind jedoch geringe oder mangelhafte Ausbildung, Ungleichheit im Bildungssystem (viele Frauen sind Analphabetinnen), Armut und soziale Exklusion sowie fehlender Zugang zum Gesundheitssystem und zum Arbeitsmarkt. Romafrauen sind von mehrfacher Diskriminierung betroffen und müssen als besonders gefährdete Gruppe erkannt und geschützt werden.
Aufsuchen
Die aufsuchende Arbeit ist ein sehr wichtiger Bestandteil unseres Engagements, da wir über diesen Zugang sehr viele Frauen erreichen. Durch wöchentliche Gespräche sind wir bei den Frauen präsent und können Vertrauen aufbauen. Dabei ist es besonders hilfreich, dass wir mit einem mehrsprachigen Team auf der Straße, in den Bordellen und in Modellwohnungen unterwegs sind. In Bonn sprechen wir neben Englisch auch Spanisch, Französisch, Türkisch, Bulgarisch, Rumänisch, Ungarisch und Serbisch. Dies erleichtert den Zugang zu den Frauen. Im letzten Jahr haben wir einmal gemeinsam mit der Polizei in einigen Modellwohnungen und Bordellen Frauen aufgesucht. Dies war sehr hilfreich, da wir in einigen Häusern keinen Einlass haben. In diesem Zusammenhang konnten drei von Menschenhandel Betroffene identifiziert werden und eine Frau wurde in einem solwodi-Schutzhaus sicher untergebracht.
Ausstieg
Der Wunsch nach einer alternativen Erwerbsarbeit und einem Ausstieg aus dem Milieu ist bei vielen Frauen vorhanden, allerdings haben nicht alle eine Perspektive in Deutschland. Als gering qualifizierte EU-Bürgerinnen haben sie oft kaum eine Chance auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Hinzu kommen fehlende Sprachkenntnisse. Prostitution ist häufig die einzige Möglichkeit, der Armut in der Heimat zu entkommen. Aus diesem Grund hat solwodi ein Mentorinnen-Projekt ins Leben gerufen. In diesem Programm unterstützen EU-Neuzuwanderinnen auf Honorarbasis die Frauen, die aus der Prostitution aussteigen möchten. Die Frauen erhalten Sprachkurse, Bewerbungstraining und moralische Unterstützung beim Ausstieg. Nach Möglichkeit sollen Mentorin und Klientin aus demselben Heimatland stammen. Dadurch können Vorurteile und Stigmatisierungen vermindert werden, damit Solidarität unter den Frauen entsteht. Für das Mentorinnen-Projekt hat solwodi 2015 den Integrationspreis der Stadt Bonn bekommen.
Beratung und Begleitung
Darüber hinaus leistet solwodi psychosoziale Begleitung und Prozessbegleitung. Die Frauen werden in sichere Schutzunterkünfte vermittelt und auf Wunsch bei der Rückkehr in ihr Heimatland unterstützt. Bei Bedarf wird den Klientinnen ein Rechtsbeistand vermittelt. Wir unterstützen bei der Suche nach einer alternativen Erwerbsarbeit, bieten Deutsch- und Alphabetisierungskurse an und unterstützen die Frauen bei ihrem Weg in ein neues Leben. Unser Angebot gilt für alle Frauen, die sich bei uns melden, unabhängig von der sexualisierten Gewalt, die sie erlebt haben. Die Beratung erfolgt immer anonym und kostenlos.
Ich glaube an einen Gott, der uns erschaffen hat und uns liebt, und der mir hilft, seinen Auftrag an mich in der Welt wahrnehmen zu können.
solwodi hilft Frauen und Kindern in Not und in Gewaltsituationen, vor allem, wenn sie Opfer von Menschenhandel, Sexkauf und Zwangsheirat geworden sind. Wir helfen allen Frauen, gleich, welche Religion sie haben. Sie brauchen kein Geld mitzubringen. Nie verlangen wir etwas, das sie mitbringen müssten, um Hilfe zu bekommen. Sie müssen in Not sein und ohne Hilfe sein. Wir helfen ihnen. Das ist unsere Spiritualität. Sie ist Ausdruck unseres Glaubens. Ich möchte, dass dies auch in Zukunft so bleibt.
Natürlich bemühen wir uns, dass wir unseren Einsatz finanzieren können. Wir stellen Anträge bei Behörden und der Kirche, wir sammeln Spenden. Wir brauchen schon Geld. Immerhin arbeiten in ganz Deutschland gegenwärtig 78 Mitarbeiterinnen bei solwodi. Sie müssen bezahlt werden.
Ich glaube, dass das, was wir tun, genau dem entspricht, was Jesus von uns verlangt. Noch einmal: Wenn einer unter die Räuber gefallen ist, ist es wichtig, dass man ihm hilft – und zwar sofort – und die Hilfe nicht durch lange Diskussionen und Verhandlungen hinauszögert.
Gott will, dass allen Menschen geholfen wird. Das glaube ich und dazu fühle ich mich von Gott angeregt.
Ich möchte dabei helfen, dass Frauen, die würdelos zu leben gezwungen wurden, ihre Würde wieder zurückbekommen, wieder Lebensmut entwickeln und ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Darum geht es mir. Das finde ich wichtig. Dafür setze ich mich ein mit aller Kraft, die mir zur Verfügung steht.
* Literatur: HPTh 5, 433; Lex. der Bioethik, hg. v. W. Korff u. a., Bd. 3. Gütersloh 1998, 68–76 (Lit.). – L.-M. Ovrieux: Vocation de la femme: La Femme. Paris 1963; M. Daly: The Church and the Second Sex. Boston 1985; C. Halkes: Suchen, was verlorenging. Gütersloh 1985; F. Stallberg: Prostitution als soziales Problem. Hoheneck 1988; L. Ackermann: Einl.: Scherbengesicht, hg. v. E. Meru. München 1990, 9 ff.