1       Informationen zu Stress, Angst und anderen Gefühlen

1.1    Einleitung

Der Mensch kann viele unterschiedliche Gefühle erleben. Einige davon erlebt er als positiv, wie Freude oder Anziehung. Andere Gefühle werden überwiegend negativ erlebt, wie Wut oder Traurigkeit. Auch Angst gehört zu den Gefühlen, die negativ erlebt werden. Aber ist Angst wirklich ein Gefühl, das möglichst nur „abgeschaltet“ werden soll? Lassen Sie uns einige Aspekte der Angst betrachten.

Angst tritt zumeist in Situationen auf, die als bedrohlich, ungewiss und unkontrollierbar erlebt werden. Angsterlebnisse können dabei sehr unterschiedlich aussehen. Sie könnten Angst erlebt haben, als Sie in der Schule vor einer wichtigen Prüfung standen oder als Kind eine fremde Person sahen. Angst kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Sie kann auch im Zusammenhang mit körperlichen Erkrankungen auftreten, z. B. einer Schilddrüsenüberfunktion. Solche Ursachen sollten auf jeden Fall durch einen Arzt ausgeschlossen werden. Meistens ist es jedoch so, dass die Angst eine erlernte Reaktion ist. Sie erleben eine bestimmte Situation als bedrohlich, und in Zukunft werden Sie ähnliche Situationen wieder als bedrohlich erleben.

Merke:

Angst ist sehr unangenehm, aber nicht gefährlich.

Anmerkung:

Lesen Sie die Abschnitte, die für Sie wichtig sind, am besten mehrmals und sehr genau durch und markieren Sie diese mit einem Leuchtstift.

1.2    Funktion der Angst

Stellen Sie sich einen Höhlenmenschen in der Urzeit vor. Zu dieser Zeit bestand die Welt aus vielen Gefahren, denen der Höhlenmensch alltäglich ausgesetzt war, wie z. B. gefährlichen Raubtieren. Die Angst war lebensnotwendig als Vorbereitung des Körpers auf Flucht oder Kampf. Sie ist sozusagen eine automatische Alarmreaktion, die den Körper zu Höchstleistungen befähigt. Die Aufmerksamkeit ist ganz auf das angstauslösende Objekt (z. B. Raubtier) fixiert. Im Körper werden die Muskeln stärker durchblutet, das Herz schlägt stärker und wir atmen schneller. Unser Körper ist bereit, zu kämpfen oder zu fliehen. Sie sehen, wie wichtig Angst sein kann. In der heutigen Zeit ist diese Aktivierung oft nicht mehr notwendig, außer in Situationen, in denen Sie ganz schnell reagieren müssen.

Merke:

Angst aktiviert das Kampf-Fluchtsystem und ermöglicht körperliche Höchstleistungen.

Beispiel:

Stellen Sie sich vor, dass Sie eine Straße überqueren und ein ankommendes Auto erst sehr spät entdecken. Automatisch richtet sich Ihre Aufmerksamkeit auf das Auto. Ihr Herz klopft stark, vielleicht bekommen Sie einen Schweißausbruch und Sie springen entweder zurück auf den Gehweg oder rennen zur anderen Straßenseite. Die Empfindung, die dabei entsteht, ist Angst.

Sie sehen, wie wichtig in dieser Situation die Mobilisierung des ganzen Körpers ist, um der Gefahr möglichst schnell zu entkommen. Die Angst, die Sie vielleicht beim nächsten Überqueren dieser Straße empfinden, signalisiert Ihnen auch, dass dies eine gefährliche Situation ist und Sie in solchen Situationen besonders vorsichtig sein sollten.

Angst ist daher ein sinnvolles und wichtiges Gefühl, solange sie nicht zu stark ausgeprägt ist oder in unpassenden Situationen auftritt.

1.3    Die drei Bestandteile der Angst

Angst ist kein Reflex! Die Angst wird durch viele Bedingungen beeinflusst und läuft keineswegs automatisch ab. Die Symptome der Angst treten zwar normalerweise sehr schnell auf, trotzdem können Sie diesen Ablauf beeinflussen.

In der psychologischen Literatur werden immer wieder drei grundlegende Komponenten einer Angstreaktion beschrieben (z. B. bei Lang, 1971):

1.  Die körperliche Komponente,

2.  die gedankliche Komponente und

3.  die Verhaltenskomponente.

Durch das Zusammenspiel dieser drei Komponenten wird festgelegt, ob wir Angst empfinden und wenn ja, wie intensiv die Angst ist. Diese drei Bestandteile hängen zwar im Allgemeinen zusammen, müssen aber nicht immer gleichzeitig oder gleich stark auftreten. Auch unterscheiden sich Menschen hinsichtlich der Bestandteile, die bei ihnen hauptsächlich die Angst ausmachen.

Zuerst wollen wir die Komponenten getrennt betrachten. Das erleichtert das Verständnis und hilft Ihnen zu verstehen, wie das Selbsthilfeprogramm aufgebaut ist und wie es wirkt.

1.3.1  Die körperliche Komponente

Wenn ein Mensch intensive Angst erlebt, verstärken sich damit verschiedene körperliche Prozesse. Von besonderer Bedeutung ist dabei das autonome Nervensystem. Dieser Teil des Nervensystems wird autonom genannt, weil er viele körperliche Vorgänge kontrolliert, die willentlich schwer beeinflussbar sind (z. B. das Herz-Kreislaufsystem oder die Atmung). Diese Vorgänge laufen oft sehr schnell und ohne bewusstes Zutun ab. Angst geschieht also nicht nur im Kopf, sondern beinhaltet auch deutliche körperliche Veränderungen. Wie oben schon erwähnt, bereiten diese Veränderungen den Körper auf Anstrengung vor. Es handelt sich um eine Verstärkung normaler körperlicher Prozesse, die nicht gefährlich sind. Die Veränderungen werden durch das autonome Nervensystem übermittelt, das aus zwei Systemen besteht, die entgegengesetzte Funktionen und Wirkungen haben.

Das sympathische Nervensystem ist dabei für die Bereitstellung von Energie zuständig, ein System, das uns auf Kampf oder Flucht vorbereitet. Das parasympathische Nervensystem ist dagegen ein System, welches einen entspannten Zustand herbeiführt und in Zeiten der Ruhe besonders aktiv ist.

Hier ist es wichtig zu wissen, dass diese beiden Systeme sich gegenseitig kontrollieren. Der Körper kann die Spannung der Kampf- oder Fluchtreaktion nur eine gewisse Zeit aufrechterhalten. Dann nimmt die Aktivität des sympathischen Nervensystems wieder ab und das parasympathische Nervensystem wird aktiviert. Mit anderen Worten, intensive Angst kann weder für immer andauern, noch sich zu einem endlos andauernden und möglicherweise schädigenden Niveau aufschaukeln. Das parasympathische Nervensystem ist ein eingebauter Schutz, der das sympathische Nervensystem stoppt.

In allen beanspruchenden Situationen, also auch bei Stress oder Angst, ist das sympatische Nervensystem das aktivere. Dies führt zu einer Erhöhung der Herzfrequenz und zu einem stärkeren Herzschlag. Zusätzlich wird Blut, das nicht zur körperlichen Aktivität gebraucht wird, z. B. das in den Fingerspitzen oder im Magen, in die großen Muskeln verlagert. Sie können das an den kalten Fingern spüren. Eine weitere Veränderung betrifft die Atmung, die schneller und tiefer wird, um mehr Sauerstoff zur Verfügung zu stellen. Durch diese verstärkte Atmung können Atemlosigkeit, Erstickungsgefühle und sogar Schmerzen oder Beklemmungsgefühle in der Brust hervorgerufen werden. Zusätzlich können damit eine ganze Reihe unangenehmer Symptome verbunden sein, wie z. B. Benommenheit, verschwommenes Sehen sowie Hitzeoder Kälteschauer. Es gibt durch eine Aktivierung des Kampf-Fluchtsystems noch eine Reihe weiterer körperlicher Veränderungen, wie vermehrtes Schwitzen, verminderter Speichelfluss, Zittern durch Anspannen der Muskeln, usw. All diese körperlichen Reaktionen verbrauchen eine Menge Energie, sodass man sich hinterher müde und erschöpft fühlt.

Wie Sie an dieser langen Aufzählung und wahrscheinlich auch aufgrund Ihrer eigenen Erfahrung erkennen können, ist Angst mit einer Vielzahl von möglichen körperlichen Symptomen verbunden. Welche von diesen Sie selbst erleben, kann dabei ganz unterschiedlich sein. Eine sehr unangenehme Eigenschaft dieser körperlichen Symptome ist, dass sie sehr schnell aktiviert werden und schwer zu kontrollieren sind.

Viele der genannten Symptome treten auch bei körperlicher Anstrengung auf. So beginnt Ihr Herz z. B. beim Treppensteigen schneller zu schlagen, oder Sie schwitzen, wenn Sie rennen. Außerdem können Sie, wenn Sie sehr schnell atmen (hyperventilieren), ohne sich körperlich zu betätigen, eine Vielzahl obiger Symptome selbst hervorrufen. Sie sehen also, dass die körperlichen Symptome ungefährlich sind und keineswegs nur bei Angst vorkommen. Und genauso wie die körperlichen Veränderungen nach körperlicher Anstrengung wieder abnehmen, nehmen sie auch nach Angsterleben oder psychischen Stresssituationen wieder ab.

1.3.2  Die gedankliche Komponente

Diese Komponente betrifft unsere Gedanken, Überzeugungen und Erwartungen. Menschen werden in starkem Maße von ihrer Art, über Dinge zu denken, beeinflusst. Unser Denken beeinflusst unsere Stimmung, unsere Gefühle und unser Verhalten. Das folgende Beispiel kann dies verdeutlichen:

Beispiel:

Jakob und Kevin fliegen in den Urlaub. Das Flugzeug startet und beide sitzen schweigend nebeneinander. Jakob freut sich auf den Flug, er liebt es, die Welt von oben zu betrachten. Das kribbelnde Gefühl durch das Steigen des Flugzeuges verstärkt seine Freude. Er denkt: „Endlich kann ich die Welt mal wieder von oben sehen, und die Wolken sehen von hier einfach herrlich aus.“ Kevin hingegen hat Angst. Er merkt, wie er zittert. Das Kribbeln treibt ihm den Schweiß ins Gesicht. Er denkt sich vielleicht: „Gleich wird das Flugzeug abstürzen. Ich weiß es ganz genau“. Für beide ist der Flug und das kribbelnde Gefühl am Anfang gleich, doch das weitere Erleben der beiden ist aufgrund unterschiedlicher Gedanken sehr unterschiedlich.

Menschen bewerten alle ihre Erlebnisse, auch wenn ihnen dies nicht immer bewusst ist. Manchmal sind die Interpretationen von Situationen und Erlebnissen sehr einseitig oder übertrieben. Problematisch wird die Interpretation dann, wenn sie negative Gefühle verstärkt. So führen in unserem Beispiel die Gedanken von Kevin dazu, dass seine Angst zunimmt. Durch die stärkere Angst wird er wahrscheinlich noch negativere Gedanken haben. So kann sich die Angst immer weiter aufschaukeln. Und genau das ist das Problem: Ein typischer Teufelskreis (siehe Abbildung 1)!

Abbildung 1: Negative Gedanken verstärken die Angst. Dies führt wieder zu noch negativeren Gedanken.

Der erste Effekt der Kampf-Fluchtreaktion besteht darin, den Organismus auf die Existenz möglicher Gefahren aufmerksam zu machen. Die Aufmerksamkeit wird somit auf die Umwelt gelenkt, die nach einer möglichen Bedrohung abgesucht wird. Dies führt jedoch zu einem weiteren Teufelskreis, da angstauslösende Reize vermehrt wahrgenommen werden, wie Abbildung 2 verdeutlicht. In Kapitel 1.4 werden Sie lesen, dass nicht nur die Aufmerksamkeitslenkung auf die Umwelt, sondern auch auf eigene körperliche Prozesse die Angst verstärken kann.

Abbildung 2: Durch verstärkte Aufmerksamkeit auf mögliche bedrohliche Reize wird wieder die Angst verstärkt.

1.3.3  Die Verhaltenskomponente

Der dritte wichtige Aspekt der Angst ist die Verhaltenskomponente. Mit Verhalten meinen wir hier alles, was wir tun und was für andere sichtbar ist. Ein wichtiger Aspekt des Verhaltens bei Angst ist die Vermeidung oder die Flucht aus angstauslösenden Situationen. Dies ist bei tatsächlichen Gefahren sinnvoll, bei unangemessener Angst aber falsch.

Manche Menschen meiden so bestimmte, für sie angstauslösende Situationen fast vollständig. Andere versuchen eine passive Flucht, wenn sie sich der Situation aussetzen müssen. Sie nehmen Medikamente, trinken Alkohol oder versuchen, sich abzulenken. Eine andere mögliche Verhaltensweise ist, dass sich Menschen in Angst gegenüber ihren Mitmenschen aggressiv verhalten. Dieser Aspekt stellt sozusagen den „Kampfanteil“ dar.

Die Verhaltenskomponente der Angst ist besonders für die Aufrechterhaltung der Angst verantwortlich. Da die angstauslösenden Situationen meist auf irgendeine Art (aktiv oder passiv) konsequent vermieden werden, ist kein „Verlernen“ der Angstreaktion möglich. Wieder ein Teufelskreis, wie in Abbildung 3 verdeutlicht.

Abbildung 3: Durch Vermeidung angstauslösender Situationen kann die Angst nicht verlernt werden.

1.4    Das Zusammenwirken der drei Komponenten

Alle drei Komponenten stehen in enger Wechselwirkung miteinander. So können bei erhöhter Erregung des Körpers (z. B. durch zu viel Stress oder durch Koffein), durch einen kleinen Außenreiz (z. B. unbekannte Geräusche) körperliche Veränderungen (z. B. Herzklopfen) auftreten. Diese werden wahrgenommen und bewertet. Werden diese Symptome als bedrohlich bewertet, erlebt man gleichzeitig Angst. Angst führt aber, wie oben beschrieben, zu einer Verstärkung der Angstreaktion, sodass es zu einer Verstärkung der körperlichen Symptome und folglich der Angst kommt. Da durch Angst auch die Aufmerksamkeit vermehrt auf mögliche Bedrohungen gerichtet wird, werden negative Reize bevorzugt wahrgenommen. Es kommt zu einem Teufelskreis sich wechselseitig verstärkender Symptome. Diesen Teufelskreis gilt es zu unterbrechen. Dies ist durch Veränderungen an jedem der drei Bestandteile der Angst möglich. Auf die therapeutischen Möglichkeiten, die sich aus diesem Modell ergeben, gehen wir in den nächsten Kapiteln ein. Zur Beeinflussung des Teufelskreises ist es notwendig, die ängstigenden Situationen nicht zu vermeiden, sondern direkt aufzusuchen, um so die Angst wieder verlernen zu können.

Abbildung 4: Der Teufelskreis der Angst (nach Margraf & Schneider, 1990)

1.5    Die Entstehung der Angst

1.5.1  Wie lernen wir Angst?

Das Gefühl Angst scheint angeboren zu sein. Neugeborene Kinder reagieren auf manche Situationen (z. B. auf starken Lärm) mit Angst. Diese angeborenen Angstauslöser verlieren aber im Laufe der Entwicklung ihren Einfluss auf unser Leben und werden durch gelernte Reaktionen überlagert. Diesen lebenslangen Lernprozess kann man sich etwa wie folgt vorstellen. Durch Lebenserfahrungen lernen wir, uns vor gewissen Dingen zu fürchten. Ein Problem ist nun, dass es schwer ist, sich Dingen oder Situationen erneut auszusetzen, die in der Vergangenheit schmerzvoll, unangenehm oder angst-auslösend waren. Die Angst hält uns davon ab, uns diesen Situationen erneut zu stellen.

Beispiel:

Ein Kind hat z. B. zunächst keine Angst vor Hunden. Wird das Kind aber einmal durch einen bellenden Hund erschreckt, so wird es in Zukunft wahrscheinlich vorsichtiger gegenüber Hunden sein. Wie das Kind in Zukunft mit Hunden umgeht und wieviel Angst es vor Hunden haben wird, hängt davon ab, wie schlimm das Kind die Situation erlebt hat und weniger von der objektiven Bedrohung. So kann es dazu kommen, dass das Kind in Zukunft schon beim Anblick eines Hundes Angst erlebt und allen Hunden aus dem Weg geht. Dadurch wird es aber die Angst vor Hunden nie verlernen.

Menschen lernen nicht nur durch direkte Erfahrungen, sondern auch über Beobachtung anderer Menschen. Im Beispiel des Kindes könnte es sein, dass es selbst nie schlechte Erfahrungen mit Hunden gemacht hat, die Eltern aber Angst vor Hunden haben. Durch Beobachtung des Verhaltens der Eltern wird auch das Kind ängstlich gegenüber Hunden. Es ist sehr sinnvoll, nicht alle Situationen selbst ausprobieren zu müssen, um zu erfahren, ob sie gefährlich sind oder nicht. Aber es kann dadurch natürlich auch passieren, dass wir Ängste anderer übernehmen, auch wenn diese gar nicht sinnvoll sind.

Eine Besonderheit des Menschen ist seine Sprache und die sehr differenzierte Art, sich und seine Gefühle auszudrücken. Durch diese Möglichkeiten und mit Hilfe der modernen Kommunikationstechniken erfahren wir in der heutigen Zeit vieles von dem, was in der Welt passiert. Wir erfahren auch von Ereignissen, die viele tausende Kilometer entfernt von uns passieren. Dadurch besteht die Möglichkeit, sich vor Situationen fürchten zu lernen, die

weder wir selbst noch die Menschen um uns herum erlebt haben. Durch detaillierte Darstellung einzelner Situationen, z. B. in den Medien, kann die Annahme darüber, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, eine bestimmte Situation zu erleben, sehr stark verzerrt werden. Über Flugzeugunglücke wird z. B. immer sehr ausführlich berichtet. Dies trägt dazu bei, dass die Gefahren des Fliegens sehr leicht überschätzt werden.

1.5.2  Wie gehen wir mit Angst um?

Sie haben nun erfahren, dass der Mensch im Laufe seines Lebens lernt, gewisse Dinge zu fürchten. Wir lernen aber auch, wie wir mit den gefürchteten Situationen am besten umgehen. Wir sehen es bei anderen und machen unsere eigenen Erfahrungen. So lernt mancher, bestimmte Situationen nach Möglichkeit zu vermeiden, andere lernen, die gleichen Situationen als Herausforderung zu betrachten. Je nachdem, welche von vielen Bewältigungsstrategien gewählt wird, hat das unterschiedliche Folgen für das Entstehen und die Aufrechterhaltung von Angst.

Versuchen wir allen Situationen aus dem Weg zu gehen, die uns Angst machen, erleben wir zwar zunächst weniger Angst. Unser Handlungsspielraum jedoch schränkt sich immer weiter ein. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Angst dadurch nicht verlernt werden kann, da nie die tatsächliche Ungefährlichkeit der Situation erlebt wird. Die Angst bleibt langfristig bestehen und kann sich zudem verstärken. Manchmal breitet sich das angstvolle Erleben auch auf andere Lebensbereiche aus. Empfinden Menschen diese Angst als für die Situation unangemessen oder übertrieben stark und beeinträchtigt diese Angst ihr Leben oder leiden sie unter der Angst, so spricht man von einer Angststörung.

1.6    Die Aufrechterhaltung von Angst

Wir haben in unserem Leben eine Vielzahl von Dingen gelernt, und vieles davon wieder vergessen. Dinge, die wir vergessen, sind meist irgendwelche Fakten, wie Zahlen oder Namen. Wichtige Ereignisse, die für unser weiteres Leben von Bedeutung waren, vergessen wir beinahe nie. Wir denken vielleicht nicht immer daran, aber in gewissen, mit den ursprünglichen in Verbindung stehenden Situationen, werden wir daran erinnert. Bei Angst ist das ähnlich. Solange wir nicht die Erfahrung gemacht haben, dass die gefürchtete Situation oder das Objekt, das wir fürchten, ungefährlich für uns ist, werden wir davor Angst haben. Dies ist der erste Punkt, der für die Aufrechterhaltung der Angst wichtig ist. Die meisten Menschen vermeiden angstauslösende Situationen, indem sie diese nicht mehr aufsuchen. Wenn sie der Situation nicht aus dem Weg gehen können, versuchen sie sich abzulenken oder sich mit Medikamenten/Alkohol zu betäuben. Dadurch können sie nie die Erfahrung machen, dass nichts Schlimmes passiert. Sie werden weiter Angst haben.

Beispiel:

Das Kind, das Angst vor Hunden erlernt hat, vermeidet in Zukunft jeden Kontakt mit Hunden. Sobald es einen Hund sieht, läuft es weg, wenn es durch das Bellen eines Hundes erschreckt wird, erlebt es dies als eine Bestätigung für die Angst. Genauso bestätigen Berichte von Leuten, die auch Angst vor Hunden haben oder Berichte von Unfällen mit Hunden in den Medien die Richtigkeit der Angst. Als Folge hat das Kind wenig Möglichkeiten, zu erleben, dass Hunde gar nicht gefährlich sind.

Es kann aber auch sein, dass die Situation durch das Erleben von Angst unangenehm wird. Dies kann dazu führen, dass eine Situation vermieden wird, die gar nicht als gefährlich erlebt werden würde. Sie wird deshalb vermieden, weil wir zu einem früheren Zeitpunkt in dieser Situation Angst erlebt haben und die Situation als Auslöser der Angst betrachten. Tatsächlich aber ist es nicht die Situation, sondern sind es die Symptome der Angst, die als bedrohlich erlebt werden. Man kann z. B. befürchten, bei starkem Herzrasen einen Herzinfarkt zu bekommen. Wer also „Angst vor der Angst“ hat, muss lernen, mit der Angst umzugehen. Das bedeutet zu lernen, die Angst als weniger bedrohlich einzuschätzen und/oder zu erfahren, dass die Angst ganz von alleine wieder nachlässt und von mal zu mal geringer wird.

Beispiel:

Eine Person reagiert beim Anblick eines Hundes mit starkem Herzrasen. Sie befürchtet, durch dieses Herzrasen einen Herzinfarkt zu erleiden. Deshalb vermeidet sie jeden Kontakt mit Hunden, auch wenn sie davon überzeugt ist, dass Hunde nicht gefährlich sind. Auch diese Person kann durch das Vermeiden der angstauslösenden Situation nicht lernen, dass das Herzrasen nicht gefährlich ist und sie keinen Herzinfarkt erleidet.

Zusätzlich wollen viele Menschen nicht wahrhaben, dass sie Angst haben. Oder sie versuchen, ihre Angst zu verdecken. Diese Menschen suchen viele Gründe, warum sie diese oder jene Situation nicht aufsuchen, und rechtfertigen so ihr Vermeidungsverhalten.

Nun zu einem weiteren Punkt: Können Sie sich vorstellen, dass Angst positive Folgen haben kann? Es mag sich absurd anhören, aber wie alles, kann auch die Angst positive Aspekte haben. Nehmen wir zum Beispiel Angst vor Spinnen. Viele der Personen, die Angst vor Spinnen haben, haben auch jemanden, der ihnen das unangenehme Entfernen der Spinnen abnimmt. Zusätzlich werden sie vielleicht etwas umsorgt, wenn sie ihre Angst mitteilen. So kann es sein, dass die Angst angenehme Begleiterscheinungen hat, die man nicht mehr missen will.

Als letzten Punkt, der mitverantwortlich für die Aufrechterhaltung der Angst ist, wäre das „Suchen nach Beweisen“ zu nennen. Menschen, die vor einer bestimmten Situation Angst haben, neigen dazu, genau solche Informationen zu suchen und auch besser wahrzunehmen, die ihre Angst durch Tatsachen untermauern und zeigen, dass die Gefahr real ist. In den Medien, wie Zeitungen oder Nachrichten, finden wir tatsächlich zahlreiche Meldungen, die bedrohlich sind. Beispielsweise könnte jemand mit Flugangst eine Meldung über einen Flugzeugabsturz als Beweis für die Richtigkeit seiner Angst ansehen. Aber diese Meldungen müssen in einem realen Bezugssystem gesehen werden. So sind Autounfälle wahrscheinlicher und häufiger als Flugzeugunfälle. Fliegen ist objektiv eines der sichersten Verkehrsmittel. Diese objektive Beurteilung fällt aber Personen mit Angst sehr schwer. Zusätzlich gibt es auch viele Filme, die den Eindruck vermitteln, Fliegen sei sehr gefährlich. Diese Filme spielen mit dem Besonderen des Fliegens, haben aber nicht das Ziel, in irgendeiner Weise die Realität darzustellen.

Nachdem wir Ihnen nun eine ganze Menge über Angst berichtet haben, wollen wir Ihnen im Folgenden einige Informationen speziell zu Flugangst vermitteln. Aber vorher sollten Sie eine kurze Pause einlegen und sich ein wenig erholen!

1.7    Flugangst

1.7.1  Wie viele Menschen leiden unter Flugangst?

Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass ca. 11 % der Bevölkerung an einer Flugphobie leiden. In repräsentativen Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach (1995, 2003) wurde festgestellt, dass 15 % der Befragten unter Flugangst leiden. Zusätzlich geben 20 % der Befragten an, deutliches Unbehagen beim Fliegen zu verspüren. Das bedeutet, dass mehr als jeder Dritte (35 %) Angst oder Unbehagen im Flugzeug empfindet.

Flugangst ist keine Krankheit, sondern ein normales Gefühl, das erst einmal akzeptiert werden sollte. Wie Sie schon in den Informationen zu Angst lesen konnten, ist die Angstreaktion gelernt und kann deswegen auch wieder verlernt werden. Notwendig ist, dass Sie in direkter Auseinandersetzung mit der angstauslösenden Situation die Erfahrung machen, dass die Situation nicht so bedrohlich ist, wie Sie dachten. Außerdem können Sie Maßnahmen erlernen, Ihre Angst zu kontrollieren.

Flugangst kann sehr unterschiedlich erlebt werden. Manche Menschen haben schon Wochen oder Monate vor dem Abflug ein ungutes Gefühl, andere werden erst im Flughafen unruhig. Bei manchen Menschen tritt die Flugangst nur in bestimmten Flugphasen auf, wieder andere ängstigen sich speziell vor gewissen Situationen, wie Turbulenzen. Auch die Stärke der Flugangst kann stark variieren. Sie reicht von leichter Angst bis zu massiven Panikgefühlen.

1.7.2  Wer leidet unter Flugangst?

Flugangst ist nicht das Problem irgendeiner bestimmten Gruppe von Menschen. Unabhängig von Alter, Geschlecht, Ausbildung oder Beruf kann sie jeden treffen. Menschen, die noch nie geflogen sind, leiden genauso unter Flugangst wie Menschen, die bereits viel geflogen sind.

1.7.3  Spezielle Aspekte von Flugangst

Wie sich Flugangst zeigt, ist von Person zu Person unterschiedlich. Deshalb wollen wir an dieser Stelle die erste praktische Übung vorstellen.

Versuchen Sie ganz genau zu beschreiben, wie sich Ihre Flugangst zeigt. Orientieren Sie sich dabei an den drei Bestandteilen der Angst (körperliche Symptome, Gedanken, Verhalten). Wir wissen, dass diese Übung sehr schwierig sein kann. Lassen Sie sich nicht dadurch stören, dass Sie Ihre Angst vielleicht nicht besonders ausführlich beschreiben können. Versuchen Sie aber, so viel wie möglich über diese herauszufinden. Tragen Sie zu jeder Reaktion die genaue Situation ein, in der sie auftritt. Und wenn Ihnen später noch etwas einfällt, tragen Sie dies unbedingt nach.

Nehmen Sie sich jetzt mindestens 10 Minuten Zeit und versuchen Sie so viele Reaktionen wie möglich zu finden. Tragen Sie alle Reaktionen in die Tabelle auf Seite 99 ein, auch wenn Sie bei manchen nicht ganz sicher sind. Lesen Sie anschließend noch bis zum Ende des Kapitels über Angst.

Übung: Die Tabelle zur Übung finden Sie auf S. 99

1.8    Therapie der Flugangst

Nun wollen wir Ihnen erklären, an welchen verschiedenen Punkten unser Selbsthilfeprogramm ansetzt. Diese Punkte betreffen sowohl alle drei Komponenten der Angst als auch die einzelnen Komponenten des beschriebenen Teufelskreises der Angst (vgl. Abbildung 4): Abbildung 5 verdeutlicht nochmals in einem erweiterten Modell die Veränderungsmöglichkeiten durch die Strategien, die Sie mit der Trainingsanleitung lernen können. In den folgenden Abschnitten gehen wir auf die einzelnen Strategien näher ein.

1.8.1  Entspannung

Sehr viele Untersuchungen zeigen, dass angespannte Personen für Angst anfälliger sind als entspannte Personen. Eine erhöhte Muskelspannnung verstärkt das Angsterleben. Mit diesem Angsterleben wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt oder verstärkt: Wenn wir mehr Angst empfinden, spannen wir uns mehr an. Wenn wir uns mehr anspannen, bekommen wir mehr Angst.

Deshalb werden wir Ihnen Entspannungsstrategien vermitteln: Wichtig dabei ist, dass Sie vor der entscheidenden Situation Ihre Entspannungsmethode schon mehrmals geübt haben, sonst werden Sie sich in der Angstsituation nicht entspannen können. Wenn Sie genügend geübt haben, können Sie sich in den entscheidenden Situationen schnell in einen entspannten Zustand versetzen. Ganz wichtig ist bei der Entspannung wie bei allen Strategien: Üben! Üben! Üben!

Abbildung 5: Wie die Strategien des Trainings die Entwicklung des Teufelskreises verhindern

1.8.2  Kognitive Bewältigungsstrategien

Es hat sich gezeigt, dass viele Personen Flugsituationen in einer negativen Stimmung (z. B. durch Geschäfts- oder auch Urlaubsstress) erleben. Unglücklicherweise erhöht diese negative Stimmung die Wahrscheinlichkeit für Angst und Stressreaktionen. Wichtig dabei ist, dass es ganz egal ist, ob die negative Stimmungslage aus der alltäglichen Arbeit resultiert oder aus unerfreulichen Gedanken über den Flug. Stress, depressive Stimmung oder Traurigkeit (aus welchen Gründen auch immer) macht empfänglicher für Angst.

Beim vorliegenden Training werden Sie einige Fähigkeiten erlernen (wir nennen sie kognitive Bewältigungsstrategien), die Ihnen helfen werden, der aufkommenden Angst, die mit solchen negativen Stimmungen und negativen Gedanken verbunden ist, zu begegnen. Es ist nicht immer einfach, Gefühle zu kontrollieren. Aber Erfahrungen zeigen, dass es mit entsprechender Übung und Aufwand gut möglich ist, die Angst, die Sie während eines Fluges erleben, drastisch zu reduzieren.

1.8.3  Positives Selbstgespräch

Die Strategie des positiven Selbstgesprächs wollen wir an einem Beispiel verdeutlichen.

Beispiel:

Stellen Sie sich einen Tag mit besonders schönem Wetter vor. Leider müssen Sie an diesem Tag arbeiten. Nun können Sie sich sagen, wie furchtbar gemein es ist, dass ausgerechnet heute so schönes Wetter ist. Oder Sie können sich freuen, nach der Arbeit noch ein paar Stunden dieses schöne Wetter genießen zu können.

Wenn Sie einen Flug unternehmen, können Sie auch diesen Beurteilungsprozess beobachten. Wenn Sie z. B. beim letzten Flug etwas Angst erlebt haben, sagen Sie sich dieses Mal vielleicht: „Das könnte etwas aufregend werden“. So eine Aussage wäre neutral. Nun, manche Menschen neigen zu Übertreibungen. Sie sagen sich: „Das ist schrecklich“, „Das macht den ganzen Tag kaputt“ oder „Das werde ich nicht überleben“. Das führt dazu, dass sie die Situation viel schlimmer erleben als sie eigentlich ist. Sie programmieren sich sozusagen auf Angst.

Die Strategie, die wir Ihnen vermitteln möchten, um mit diesen negativen Bewertungen umzugehen, nennt sich positives Selbstgespräch. Indem Sie sich positive Aussagen wie „Das ist gar nicht so schlimm“ sagen, können Sie die Art, wie Sie eine bestimmte Situation erleben, verändern.

Wir werden auch aufzeigen, dass die Neigung, Situationen besonders negativ zu bewerten, ein Charakteristikum von Personen ist, die in diesen Situationen Angst empfinden. Es zeigt sich, dass besonders bestimmte „Denkfehler“ mit diesen negativen Bewertungen zusammenhängen. Diese Zusammenhänge wollen wir Ihnen verständlich machen.

Positive Selbstgespräche können zusammen mit Entspannung und kognitiven Bewältigungsstrategien, die schon beschrieben wurden, angewendet werden. Die Kombination gibt uns eine sehr erfolgreiche Möglichkeit, die drei Komponenten der Angst zu bewältigen. Während des Trainings werden wir noch näher darauf eingehen, wie die Strategien kombiniert werden können.

1.8.4  Mentales Training

Alle erlernten Strategien müssen häufig geübt werden, um sie in belastenden Situationen effektiv einsetzen zu können. Eine gute Möglichkeit ist es, den Einsatz der Strategien in leicht angstauslösenden Situationen zu üben. Eine weitere sehr erfolgreiche Möglichkeit ist das mentale Training, das auch im Sport mit großem Nutzen eingesetzt wird. Beim mentalen Training wird die erwünschte Verhaltensweise oder der erwünschte Gedanke im Verlauf einer Vorstellungsübung gefestigt. Man stellt sich also in unserem Fall eine Situation vor, bei der normalerweise Angst auftritt, z. B. den Verlauf eines Fluges. Im Verlauf der Vorstellung können nun an den entscheidenden Stellen (z. B. dem Start) die hilfreichen Strategien eingebaut und geübt werden. Dabei tritt ein Übungseffekt unabhängig davon auf, ob während der Vorstellung tatsächlich Angst erlebt wird oder nicht. Der große Vorteil des mentalen Trainings ist, dass durch das Üben der Strategien in der ängstigenden Situation (wenn auch in der Vorstellung) die Verknüpfung der Strategie (z. B. Entspannung) mit der angstauslösenden Situation (z. B. Start) erreicht wird. Dies führt dazu, dass die Strategien auch bei einem realen Flug leichter verfügbar sind.

1.8.5  Expositionstraining

Eine äußerst erfolgreiche und anerkannte Methode zur Therapie spezifischer Ängste wie der Flugangst ist die Exposition. Auch für die Anwendung dieses Trainings ist es vorteilhaft, die Wirkweise dieser Methode zu kennen.

Ziel der Exposition ist es, dass Sie die Erfahrung machen, dass Fliegen gar nicht so schlimm ist, wie Sie befürchten und Ihre Angst eigentlich unbegründet ist. Dazu müssen Sie sich einer Flugsituation aussetzen. Dies kann zuerst in einer Simulation oder in der Vorstellung (mentales Training) sein, sollte aber dazu führen, tatsächlich öfter zu fliegen (Exposition in vivo). Wichtig dabei ist, nicht zu versuchen, die Angst zu unterdrücken, sondern diese zuzulassen. Dadurch machen Sie die Erfahrung, dass Sie die Angst aushalten können und erleben, wie die Angst im Verlauf der Exposition abnimmt.

Beispiel:

Nachdem eine Person mit Angst vor Hunden beschlossen hat, etwas gegen ihre Angst zu unternehmen, muss sie verschiedene Situationen auswählen, in denen sie mit Hunden in Kontakt kommt. Diese Situationen kann sie dann aufsuchen oder sich zunächst einfach nur vorstellen. So kann sie sich beim Nachbarn, der einen Hund im Garten hat, einfach mal an den Gartenzaun stellen und den Hund sowie ihre eigene Reaktion genau beobachten. Dabei genügt es nicht, einfach und schnell am Garten vorbeizulaufen. Wichtig ist, sich aktiv mit der Situation auseinanderzusetzen und stehen zu bleiben bis die Angstreaktion nachgelassen hat. Die Erfahrungen der Person, dass Sie die Situation bewältigen kann, die eventuell entstehende Angst aushalten kann und die Angst mit der Zeit nachlässt, ist ein wichtiger erster Therapieschritt.

Genau nach diesem Muster muss die Person dann unterschiedliche Situationen mit Hunden aufsuchen, z. B. einen Hund streicheln, mit einem Hund eines Bekannten spazierengehen. So wird sich mit der Zeit die Angst immer weiter verringern.

Wie Sie gelernt haben, spielen Stress, Ihre Gedanken und die Wahrnehmung von körperlichen Symptomen, für die Sie keine Erklärung außer der Angst haben, für deren Entwicklung eine bedeutende Rolle. Sie wissen, dass eine Angstreaktion eine zwar unangenehme, aber normale Reaktion des Körpers ist, die diesem nicht schadet und automatisch wieder abnimmt. Im Allgemeinen versuchen Sie, die angstauslösende Situation auf irgendeine Weise zu vermeiden (z. B. nur im Notfall fliegen, Medikamente einnehmen). Abbildung 6 verdeutlicht die verbreitete Befürchtung, dass die Angst kontinuierlich ansteigt und zu unerträglichen oder fatalen Folgen führt (z. B. Herzinfarkt). Darüber hinaus ist der typische Angstverlauf beim Vermeiden der Angst durch Ablenkung, Medikamente oder Alkohol abgebildet. Zusätzlich zur Angst während des Fluges entwickelt sich im Vorfeld jedes Fluges starke Erwartungsangst, weil Sie immer befürchten, die Angst wieder nicht kontrollieren zu können.

Dem gegenüber wird der Angstverlauf beim Auseinandersetzen mit der Angstsituation dargestellt. Sie sehen, dass der Angstverlauf stärker ansteigt als beim Vermeiden der Angst, aber keineswegs kontinuierlich. Die Angst erreicht ein Plateau und fällt anschließend wieder ab. Dies ist ein natürlicher Regulationsmechanismus, wie wir Ihnen schon in vorherigen Kapiteln gezeigt haben. Beim Vermeiden der Situation pendelt sich die Angst auf einem mittleren Niveau ein, wird aber nicht bewältigt und bleibt deshalb während des ganzen Fluges auf diesem Niveau.

Abbildung 6: Der Angstverlauf bei Vermeidungsverhalten und bei Exposition

Wenn Sie nun die Angst immer Vermeiden, machen Sie nie die Erfahrung, dass die Angstreaktion von selbst wieder nachlässt und Sie diese dadurch bewältigen können. Abbildung 7 zeigt die Angstbewältigung im Verlauf eines Fluges und über mehrere Flüge (Expositionen).

Abbildung 7: Der Angstverlauf während mehrerer Expositionen mit der angstauslösenden Situation

Genau dieses Nachlassen der Angst soll bei Expositionsübungen erlebt werden, um die Angst zu bewältigen. Wenn Sie Gedanken haben, die Sie nicht mehr loslassen (z. B. dass das Flugzeug gleich abstürzen wird), versuchen Sie wahrscheinlich, diesen Gedanken aktiv zu vermeiden, indem Sie sich zum Beispiel ablenken. Dadurch erlangt dieser Gedanke aber ein so großes Gewicht, dass er sich immer wieder aufdrängt. Auch hier können Sie, auch wenn die Gedanken noch so unangenehm sind, durch Zulassen und Aushalten die Kontrolle wieder gewinnen.

Die Angst kann während der ersten Expositionsübungen sehr unangenehm sein. Angstfreies Fliegen muss erst in mehreren Flügen erlernt werden. Mit jedem weiteren Flug wird die Angst etwas geringer!

Fragen: Überprüfen Sie, ob Ihnen alles klar geworden ist

•  Welches sind die drei Komponenten der Angst?

•  Welche Strategien helfen gegen welche Komponenten der Angst?

•  Welche Zusammenhänge gibt es zwischen den verschiedenen Komponenten der Angst?

Zusammenfassung:

•  Angst ist kein Reflex.

•  Angst besteht aus drei Komponenten:

1.  Die körperliche Komponente, die durch Entspannung kontrolliert werden kann.

2.  Die gedankliche und emotionale Komponente, die durch kognitive Bewältigungsstrategien und durch positive Selbstgespräche kontrolliert werden kann.

3.  Die Verhaltenskomponente, die durch Expositionsübungen kontrolliert werden kann.

•  Sie werden feststellen, dass zu unterschiedlichen Zeitpunkten die einzelnen Komponenten eine kleinere oder größere Rolle spielen. In der Kombination dieser Strategien haben Sie eine flexible Auswahl, um Ihre Angst zu bewältigen.

Sie haben in den vorangegangenen Abschnitten einige Informationen zu Stress, Angst und Flugangst erhalten, die Ihnen ermöglichen, Ihre Empfindungen besser zu verstehen. Weiter geht es im nächsten Kapitel mit Hinweisen zum Fliegen!

Das war nun für den ersten Tag schon sehr viel! Die folgenden Kapitel sind weniger umfangreich.