Bei der Berichterstattung über neue Windows-Funktionen bleibt eines oft eher eine Randnotiz: Im Laufe der Zeit kündigt Microsoft auch etliches ab – vieles davon ist eh nutzlos, manches aber ist ein Verlust. Ein Überblick.
Bild: Thorsten Hübner
Allein über das vergangene Jahr verteilt hat Microsoft 18 Funktionen von Windows 10 und 11 der „Deprecated“-Liste hinzugefügt und damit als veraltet markiert (online verfügbar via ct.de/w1wt). Solche Funktionen sind damit zwar bis auf Weiteres noch in Windows enthalten, werden aber ausdrücklich nicht mehr weiterentwickelt – sie verweilen für einige Monate bis Jahre sozusagen auf einem Abstellgleis, bevor es zum Verschrotten geht. Die Kernaussage, die Microsoft damit an Admins macht: Macht euch am besten jetzt mit der Nachfolgefunktion vertraut und stellt eure Abläufe falls nötig um, damit es euch nicht kalt erwischt, wenn das Feature eines Tages wirklich futsch ist.
Der überwiegende Teil solcher Funktionen ist Zeugs, das nicht nur schon lange veraltet, sondern vor allem sicherheitslöchrig ist und allein schon daher nicht mehr benutzt werden sollte. Oder es ist vielleicht gar nicht so alt, es wollte aber nie jemand so recht haben. In die erste Kategorie fällt zum Beispiel das Netzwerkprotokoll SMB v1 (rund 40 Jahre alt), in die zweite die Sprachassistenz Cortana (erst neun Jahre alt, aber ein Rohrkrepierer).
Bei einigen Funktionen, denen Microsoft 2023 die Zuwendung entzogen hat, verwundert es kaum. Es betrifft zum Beispiel die Möglichkeit, auf Geräten mit ARM-CPU-Architektur Software auszuführen, die als UWP-App (Universal Windows Platform) für 32-bittige ARM-CPUs kompiliert wurde. Wegfallen werden in absehbarer Zeit auch das Microsoft Support Diagnostic Tool (msdt.exe) sowie der Problem Steps Recorder (psr.exe) – beides uralte Bordmittel, die Firmenadmins beim Erfassen und Lösen von Problemen helfen konnten.
Eine Funktion, die Microsoft erst mit Windows 10 eingeführt hatte, war die „Timeline“, mit der sich das System merken und auch via Microsoft-Konto auf andere Geräte synchronisieren konnte, wann man mit welchen Apps welche Dokumente bearbeitet hat. Die Funktion hat nicht nur Anwender, sondern auch Entwickler kaltgelassen, denn auch die Apps mussten mit der Timeline kommunizieren, um später im Nutzungsverlauf aufzutauchen – und das kam, abgesehen von Microsofts eigenen Programmen, kaum vor. Für normale Microsoft-Konten ist die Funktion schon länger abgeschrieben und in Windows 11 steckt sie auch gar nicht mehr drin – im Oktober letzten Jahres hat Microsoft sie auch für Entra-ID-Konten (vormals Azure AD) abgekündigt.
Auch manche Apps sind betroffen. Zum Beispiel muss die Cortana-App für Windows dran glauben – schon vor Jahren hat Microsoft erkannt, dass die Assistenzfunktion nicht ansatzweise die Beliebtheit erzielt hat, die man sich erhofft hatte. Das Gleiche gilt für die Tipps-App, in der Anwender sich Infos über Windows-Neuerungen anschauen konnten. Auch Windows Mixed Reality soll verschwinden – die Umgebung für Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), die sich in erster Linie an Endkunden richtet. Dabei soll bis November 2027 nicht nur die App, sondern auch der Mixed-Reality-Support für Steam VR verschwinden. Die vor allem an Geschäftskunden gerichtete AR-Brille Microsoft HoloLens bleibt hingegen ein aktuelles und unterstütztes Produkt.
Während einige Windows-Standardprogramme im Laufe der Zeit aktualisiert und erweitert wurden (prominente Beispiele: das Malprogramm Paint und der Windows-Editor Notepad), hat nun eine andere bekannte Anwendung ihr Ende erreicht: Microsoft WordPad. Das etwas unscheinbare Texteditor-Programm ist seit zig Jahren so etwas wie der ganz kleine Bruder von Microsoft Word – mit ein paar grundlegenden Funktionen zur Textformatierung. Die seltenen Fälle, in denen man es eventuell noch brauchen kann, betreffen wohl vor allem Dateien im Rich Text Format (RTF), die der reguläre Editor nicht darstellen kann und für die man künftig ein Office-Paket à la Microsoft Office oder LibreOffice hernehmen muss.
Auch die klassische „Windows-Spracherkennung“ bekommt von Microsoft keine Zuwendung mehr. Diese ältere Möglichkeit, Windows mit Sprachbefehlen zu steuern, weicht derzeit Stück für Stück dem deutlich moderneren „Sprachzugriff“ (Voice Access), dessen deutsche Ausgabe allerdings noch nicht ganz fertig ist.
Die Wordpad-Dämmerung hat begonnen – die Mini-Textverarbeitung bekommt keinen Support mehr.
Manche Komponenten, die aus Windows herausfliegen, sind (oder besser: waren) essenzielle Systembestandteile, die in der jüngeren Vergangenheit aber immer weiter an Bedeutung verloren haben. Dazu gehört zum Beispiel der Legacy-Konsolenhost (conhost.exe), der für die Darstellung von Eingabeaufforderungsfenstern zuständig war, bevor er durch das aktuelle Windows Terminal abgelöst wurde. Ebenso liegt der „Computer Browser“-Dienst nun offiziell auf dem Schrottplatz – ein veralteter Dienst zur Auflistung von Netzwerkgeräten innerhalb eines lokalen Netzwerkes (LAN). Das gleiche Schicksal erfährt der Client für das Netzwerkprotokoll WebDAV. Wer weiterhin WebDAV verwenden will, kann bis auf Weiteres den Windows-eigenen WebDAV-Client von Hand aktivieren – oder gleich einen quelloffenen Client wie WinSCP nehmen. Daneben ist nun auch die Skriptsprache Visual Basic Script (kurz: VBScript) offiziell veraltet. Auch sie kann bis auf Weiteres als optionales Feature installiert werden, bevor sie, voraussichtlich in wenigen Jahren, komplett aus Windows verschwindet.
Weitere Netzwerkprotokolle, die Microsoft langsam, aber sicher abwürgt, sind zum Beispiel das katastrophal veraltete Kurznachrichtensystem Remote Mailslots (mancher Leser mag sich eventuell an „Messenger Service“-Fensterchen erinnern), die uralten und inzwischen löchrigen Versionen 1.0 und 1.1 des Verschlüsselungsprotokolls TLS sowie das IoT-Framework AllJoyn.
Etwas seltsam klingt auf den ersten Blick, dass nun auch das Sicherheitsfeature Windows Defender Application Guard für Office und für Edge for Business auf dem Abstellgleis steht, inklusive des Isolated App Launcher API. Handelte es sich dabei nicht eigentlich um Security-Features, die jedes Unternehmen verwenden sollte? Ja – allerdings werden die Funktionen nicht komplett abgeschafft, sondern umstrukturiert. Admins sollten sich zumindest zeitnah damit auseinandersetzen, auf Attack Surface Reduction Rules und Windows Defender Application Control umzusteigen (siehe auch Microsofts ausführliche Doku via ct.de/w1wt).
Von 2020 bis 2022 sind hingegen vergleichsweise wenige Funktionen weggefallen. Das kommt nicht von ungefähr, denn Microsoft hat Windows zu Anfang der 2020er-Jahre kaum weiterentwickelt: Nicht nur trat Windows 10 funktionstechnisch weitgehend auf der Stelle, auch Windows 11 war in seiner ersten Fassung in erster Linie ein optisches Update zu Windows 10. Allzu viel Nennenswertes findet sich daher nicht in der Liste.
Kennen Sie den Problem Steps Recorder (psr.exe)? Der steckt seit Jahrzehnten in Windows – aber nicht mehr lange.
Ähnlich wie die oben genannten Funktionen des Window Defender Application Guard hat Microsoft Windows Information Protection (WIP) Mitte 2022 als veraltet markiert. Das Feature, mit dem Admins seit Windows 10 Version 1607 einen Schutz gegen versehentliche Leaks sensibler Daten durch Mitarbeiter konfigurieren konnten, stirbt aber nicht ersatzlos, sondern wird von Microsoft Purview Information Protection abgelöst. Seit Frühling 2021 kümmert sich Microsoft zudem nicht mehr um die Funktion, Desktop-Personalisierungseinstellungen wie Hintergrundbild, Akzentfarbe und Ähnliches zu synchronisieren.
Kaum verwunderlich ist es außerdem, dass Microsoft nicht mehr garantieren wird, dass Wechseldatenträger, die mit der Laufwerksverschlüsselung BitLocker To Go verschlüsselt sind, künftig noch auf Windows XP und Vista mit der dafür entwickelten Reader-App lesbar sein werden. Ausgemustert ist auch die Legacy-Version des Webbrowsers Edge (also die bis 2019 gebräuchliche Version, die noch nicht auf Chromium fußte, sondern auf Microsofts selbst entwickelter EdgeHTML-Engine). Das Ende droht auch den „dynamischen“ Datenträgern – seit Windows 8 gibt es mit Storage Spaces eine viel flexiblere Alternative.
Manchmal hat Microsoft auch Funktionen rausgeworfen und Anwender damit kalt erwischt. Ein schönes Beispiel dafür sind die sogenannten Heimnetzgruppen, eine mit Windows 7 eingeführte Funktion mit einem eigentlich tollen Ansatz: Windows-7-Rechner ließen sich untereinander innerhalb eines Heimnetzes durch einmalige Eingabe einer zehnstelligen Passphrase miteinander vernetzen, um mit minimalem Aufwand Dateien auszutauschen, Drucker gemeinsam zu nutzen und Ähnliches. In einfachen Szenarien funktionierte das auch recht ordentlich, allerdings führte es beim Zusammenspiel mit anderen Netzwerkfreigaben gerne mal zu einem Berechtigungschaos, das sich auch nach dem Verlassen einer Heimnetzgruppe mitunter nur schwer bändigen ließ. Weil Geräte immer mobiler und Cloudspeicher immer beliebter wurden, gab Microsoft die Weiterentwicklung letztlich auf und entfernte die Heimnetzgruppen aktiv mit dem Update auf Windows 10 Version 1803 – sehr zum Leidwesen jener, die sie immer noch verwendeten, weil sie bei ihnen tadellos funktionierten.
Eine Funktion, die Microsoft Anfang 2018 (auch mit Windows 10 Version 1803) abgeschrieben, aber bis dato noch nicht entfernt hat, kann man durchaus als Verlust betrachten: die Software Restriction Policies (SRP). Mit ihnen lassen sich Whitelisting-Regeln konfigurieren. Benutzt man dafür ein Tool wie unseren Restric’tor (siehe Artikel „Windows absichern mit Restric’tor“), funktioniert das sogar mit der Home-Edition von Windows, weil das Feature sich nicht nur über Gruppenrichtlinien, sondern auch über Registry-Einträge steuern lässt. Leider ist die Funktion nicht mehr uneingeschränkt nutzbar, denn die SRP beharken sich mitunter mit dem relativ neuen, reputationsbasierten Smart App Control (SAC). Der SRP-Nachfolger Microsoft AppLocker ist eine Ecke komplizierter zu konfigurieren (siehe Artikel „Profi-Schutz mit AppLocker“).
Beliebt, aber nie so richtig gut war die Funktion „Systemabbild erstellen“ (Englisch: System Image Backup Solution), die manchen Anwendern besser unter dem Namen „Sichern und Wiederherstellen“ bekannt sein dürfte. Dieses Bordmittel sollte unkomplizierte System-Backups ermöglichen. In der Praxis scheiterten Wiederherstellungen bemerkenswert oft, wenn etwa zwischenzeitlich das Partitions-layout verändert wurde, oder aus anderen nicht nachvollziehbaren Gründen (verständliche Fehlermeldungen gab es nicht). Bizarrerweise ist das Programm auch in einem aktuellen Windows 11 Version 23H2 nach wie vor enthalten.
Weil solch ein Verhalten gerade für ein Backup-Programm aber völlig inakzeptabel ist, raten wir seit Langem dringend davon ab, das Tool überhaupt anzufassen – und auch Microsoft selbst bittet darum, entweder seine eigenen Dateien in den OneDrive-Cloudspeicher zu sichern oder sich nach einer Backup-Software eines anderen Herstellers umzuschauen. Dem fügen wir gerne einen Hinweis auf unser Backup-Skript c’t-WIMage hinzu (siehe ct.de/wimage).
Die meisten Funktionen verschwinden zum Glück nicht schlagartig, sondern mit Vorankündigung – im Regelfall sogar mit jahrelanger Vorlaufzeit. In keinem Fall kann es daher schaden, zumindest gelegentlich einen Blick auf die Microsoft Abkündigungsliste zu werfen, um nicht irgendwann kalt erwischt zu werden.
(jss)
Abkündigungen und Doku der Security-Funktionen