Kapitel 3

Eine neue Ära

Ich denke, es ist vollkommen legitim, wenn man sich einen kleinen Moment mal die Zeit nimmt, über so eine einschneidende Veränderung der gesamten Lebensweise nachzudenken, um den wirklich perfekten Termin dafür zu finden. Noch besser wäre also – rein theoretisch natürlich – man könnte damit am 1. Januar eines Jahres anfangen. Wie gesagt: nur rein theoretisch, denn bis dahin ist es ja noch eine ganze Zeit. Aber: Das wäre dann wirklich der perfekte Neuanfang. Einfach weil es psychologisch enorm hilfreich ist, eine solch gravierende Änderung mit einem leicht zu merkenden historischen Datum zu begehen – aber das ist natürlich totaler Nonsens. Denn immerhin sind es noch viele Monate bis Neujahr und somit eindeutig zu lange, um seine Gesundheit weiter aufs Spiel zu setzen.

Das ist also keine wirkliche Option … oder eventuell doch?

Denn andererseits darf man den psychologischen Wert eines solchen »Neujahrstages« in Verbindung mit einem »Neulebensabschnittstag« nicht unterschätzen! Ich will schließlich auf gar keinen Fall den Erfolg meiner Gewichtsabnahme leichtfertig aufs Spiel setzen, indem ich »mal eben so«, aus einer Laune heraus, an irgendeinem nichtssagenden Montag in irgendeinem zufälligen Monat mit dem Abnehmen anfange. Ich will mich schließlich in einigen Jahren in meinem athletischen, perfekten und überaus fitten Körper nach einem für mich höchst erfrischenden Vierstunden-Sportevent entspannt zurücklehnen und sagen können: »Natürlich weiß ich noch genau, wann mein neues Leben begann, wie könnte ich das je vergessen: Es war schließlich der 01.01.XXXX – da habe ich damals beschlossen, mein Leben grundlegend zu ändern. Dieser historische erste Januartag war der Beginn meines neuen Lebens. Ich bin fit und gesund dank dieses legendären Neujahrstages.«

Mal ganz ehrlich: Das klingt doch nun wirklich viel besser als: »Ich weiß nicht mehr genau, wann ich angefangen hatte … aber ich glaube, es war Montag, der 16. September anno … ach irgendwann … warte mal, war das nicht ’n Mittwoch oder so?« Vermutlich ist es dem Erfolg der ganzen Diät absolut abträglich, wenn man keinen wirklichen Wendepunkt mehr identifizieren kann: »Wann genau ich angefangen habe, keine Schokolade mehr zu essen? Keine Ahnung, war das nicht irgendwann Anfang oder Mitte September? Keinen blassen Schimmer, wann genau, ach, was soll’s, ess ich eben noch ein Täfelchen, ich kann ja morgen damit weitermachen … oder doch erst nächsten Montag!«

Entscheidend ist, dass man sich Ziele setzt, die auch psychologisch Sinn machen. Zeitmarken, auf die man sich jederzeit gut und gerne besinnt. Der »01.01.« eines Jahres ist dafür schlicht und ergreifend perfekt geeignet. Wie alle »Ersten« gibt es eben pro Jahr auch wirklich immer nur EINEN Neujahrstag. The one and only. Es ist wie bei der Landung auf dem Mond, wie bei der WM oder einem Autorennen: Wer erinnert sich schon noch, wer der Zweite, Fünfte oder Siebzehnte war – niemand, aber den Ersten, den vergisst man so schnell nicht. Also, ich finde, das sollte ich mir schon wert sein, so einen Ersten, erst recht bei so einem wichtigen Thema.

Das wäre damit dann wohl geklärt. Nach Sylvester purzeln dann die Kilos. YES!!!!!

Na ja, das ist ja auch schon recht bald. Keine drei Monate mehr bis Tag Zero. Knapp zwölf Wochen noch, dann geht’s los! Dann wird abgenommen, dass sich die Balken biegen. Da fallen die Pfunde, dass einem Hören und Sehen vergeht.

Was für ein wichtiger Schritt. Der Countdown läuft. Jetzt gibt’s kein Zurück mehr. Die Uhr tickt! TSCHAKKA!!!! Nicht mehr lang, und es rockt!!!!!!!!!

Nutze ich also die letzten mir noch verbleibenden Tage, um das Leben wenigstens noch ein klein wenig zu genießen. Das wird ja schließlich hart genug im nächsten Jahr, da muss man sich ja erst mal noch was gönnen dürfen.

Ein bisschen Schlemmerei wird da ja wohl erlaubt sein, bevor ich dann am 01.01. des kommenden Jahres den Verlockungen des Lebens konsequent und endgültig entsage.

Sozusagen noch einmal richtig Schwung holen vor der anstrengenden Berganfahrt der harten Entsagungen, noch einmal kulinarisch richtig zuschlagen, aber mit ganz und gar gutem Gewissen, denn: Das hole ich ja alles ab dem Ersten wieder raus. Pizzaparadies, ich komme …

Praxistipp Nr.1:

Ich habe bezüglich dieser Datumstricksereien und Neujahrsvorsätze quasi den Heiligen Gral entdeckt. Die ultimative Methode, nicht doch wieder wenige Tage nach Ablauf der eigentlichen Deadline als rückgratloses, undiszipliniertes Arschloch dazustehen: Seit dem Millenniumwechsel im Jahr 2000 habe ich beschlossen, nur noch volle Tausender als epochale Lebenswandelstartpunkte gelten zu lassen. Mein nächstes Endziel für den Beginn der ultimativ erfolgreichen Diät lautet konsequenterweise also: 01.01.3000. Bis dahin werde ich jegliche psychologische Effekthascherei mittels »besonderer« Datumskonstellationen einfach komplett ignorieren.