Kapitel 4

Mein innerer Schweinehund

In meinem Leben gab es bislang unendlich viele solcher »Wendepunkte«, unzählig viele »Jetzt« und »Heute« und sicherlich einige hundert dieser speziellen »Montage« – darunter auch wirklich vielversprechende Monatsanfänge. Ja, es gab sogar schon diverse hoffnungsvolle Jahresanfänge mit dieser ach so bedeutenden Lebensveränderung – nur eins haben sie alle gemeinsam: Genutzt haben sie nix. Ich wiege immer noch viel zu viel, genauer gesagt, sogar mehr als jemals zuvor. Dabei ist es nicht so, dass es nicht wirklich Tage gab (und gibt), an denen ich ernsthaft und konsequent weniger esse oder auf Süßes verzichte – nur ganz offenbar nie so ernsthaft und konsequent, dass es sich dauerhaft auf mein reales Bruttogewicht niederschlagen würde.

Ich habe ihn also bis heute nicht im Griff, meinen inneren Schweinehund. Im Gegenteil: Er treibt mich durch die Gassen, und macht mir das Leben – oder besser: jedes Schnitzel – zur Hölle. Dieses Scheißvieh hockt irgendwo in mir (vermutlich hat es sich in meiner Plauze so richtig gemütlich gemacht – Platz ist ja genügend da!) und torpediert bisher beneidenswert erfolgreich jeden Versuch der Gewichtsreduktion.

Ich bin der – zurückhaltend formuliert – »eher rundliche Typ«, seit ich denken kann. Meine Mutter erzählt immer wieder gerne die Geschichte, wie ich mit zwei Jahren aufgrund eines Autounfalls im Krankenhaus gelandet bin. Und weil ich so unfassbar süß gewesen sein soll, haben mich ALLE Schwestern der Station wahnsinnig gerne gemocht, was – so die Legende – dazu geführt hat, dass ich nicht ein- bis zweimal, sondern ungefähr achtzehn bis siebenundzwanzig Mal am Tag gefüttert worden bin. Kein Wunder also, dass ich mit reichlich Kinderspeck nach Hause bin!

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Auch wenn diese Geschichte wirklich herzallerliebst ist und ich nur zu gerne der Vorstellung huldigen würde, dass ich als Kind so dermaßen überdurchschnittlich knuffig gewesen bin, dass die Schwestern des Krankenhauses genau deswegen so unendlich viel Brei in mich reingelöffelt haben und damit für mein Übergewicht verantwortlich sind – ich kann das aus zwei Gründen nicht glauben. Zum Ersten, weil mir sowohl mein prä- als auch das spätere postpubertäre Leben recht schnell und äußerst erfolgreich die Illusion raubte, ich sei ein außergewöhnlich attraktives Männchen der Gattung Mensch. Eher würde ich sogar sagen, dass meine Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht eher durchschnittlich war, wobei ich da explizit auch Krankenschwestern mit einbeziehen kann. Aus Erfahrung kann ich jedenfalls zweifelsfrei versichern: »Don Juan« geht anders, und deshalb habe ich es mir schon lange eingestanden: Die Geschichte meiner Mutter ist eine schöne, mich vollständig entlastende Mär, aber mit Sicherheit nicht der Grund meines Übergewichtes.