Kapitel 12

Abnehmen, aber Wii?

Wem das unbeholfene Abstrampeln auf einem Ski-Langlauf-Heimtrainer schon suspekt vorkommt, dem empfehle ich hiermit aus ganzem Herzen die nächste Stufe der vollständigen Hirnenthemmung: abnehmen mithilfe einer Spielkonsole. Die Dinger waren für mich lange Zeit eher uninteressant, allerdings nicht etwa, weil mir der kindliche Spieltrieb irgendwann abhandengekommen wäre, sondern weil ich die intensiven Gelüste nach Videospielen schon sehr früh mittels deutlich potenterer Computergrafik befriedigte. Das hatte den Vorteil, dass ich die regelmäßigen und finanziell durchaus beachtlichen Upgrades meiner heimischen Rechenknechte immer auch mit »arbeitstechnischen Gründen« rechtfertigen konnte. Es versteht sich schließlich von selbst, dass man als Comedian von Welt seine Ideen grundsätzlich nur an massiv übertakteten, wassergekühlten und bunt beleuchteten Megarechnern erfassen kann, nicht wahr? Und für mich ist es auch heute noch, schon aus Gründen der besseren Lesbarkeit von Word Dokumenten, eine Selbstverständlichkeit, die Grafikkarte mindestens alle 18 Monate durch ein deutlich schnelleres Exemplar zu ersetzen – wer will schon prähistorische Schliereffekte beim Scrollen eines Word Dokuments?

Die Ergänzung meiner Spiel … pardon, die Ergänzung meiner ARBEITSGERÄTE durch eine Spielkonsole erfolgte dann allerdings durch den geschickt platzierten TV-Spot von Nintendo, in dem eine sportlich fitte, dynamische Familie vorm heimischen TV-Gerät ein wunderbar unterhaltsames und spaßiges Tennismatch spielte. Da war es also. Direkt vor meiner Nase. Die eierlegende Wollmilchsau. Ein Spaßgerät, mit dem man spielend Kalorien vernichtet. Genial.

Mir war sofort klar, dass ich mir dieses Gottesgeschenk umgehend ins Haus holen musste. Und siehe da: Der Spaß war da – zumindest, nachdem ich herausgefunden hatte, dass der Hinweis, man möge den Controller doch mittels der Handschlaufe sicher am Handgelenk verankern, nicht gänzlich unbegründet war … Der Primäreinschlag des kabellosen Steuergerätes in der Glasvitrine, mitten in einer heißen Phase eines ersten umkämpften Tennismatches, war zwar hart, aber lehrreich. Doch derlei Kollateralschäden sind ja geradezu unvermeidlich, wenn man als Sport-Trendsetter gänzlich neue Wege beschreiten will, und was bedeutet schon eine zerschossene Glasschranktür, wenn es um die Entdeckung der Fitnessrevolution geht?

Fortan fuchtelte ich also mit dem Controller in der Hand wie ein Geisteskranker im Wohnzimmer vor dem Fernseher herum, kämpfte, stöhnte und ackerte mich wie weiland Boris Becker von Sieg zu Sieg. Sie hätten mich sehen sollen. Wie ein absoluter Sandplatz-Crack bewegte ich mich bei virtuellen Tennisturnieren ausladend im Wohnzimmer, dessen Möbel ich für den benötigten Aktionsradius eigens neu arrangieren musste. »Form follows function«, darauf basierend verwandelte sich mein Wohnzimmer schon sehr bald in eine kreisrunde Sportarena, damit die weitreichenden Aktivitäten vor dem Bildschirm nicht durch Lampen, Tischchen oder Regale unsanft eingeschränkt wurden.

Es war eine wirklich schöne Zeit. Zumindest virtuell war ich fit und aktiv.

Bis zu jenem schicksalhaften Wochenende, an dem mir ein fieser kleiner Junge aus der Nachbarschaft zeigte, dass der Punkterfolg beim häuslichen Tennisturnier so ganz und gar nichts mit den schweißtreibenden Verrenkungen meiner gesamten Körperlichkeit vor dem Fernseher zu tun hatte.

Während ich nämlich um größtmögliche Realitätsnähe bemüht war, beim Aufschlag stöhnte, und mit weiten, ausladenden Bewegungen auf die kleinen gelben virtuellen Filzbälle eindrosch, spielte Nachbarsjunge Denny eher relativ statisch, um nicht zu sagen ausgesprochen spartanisch mit dem Controller herum, aber vernichtete mich damit Satz für Satz, ohne auch nur eine einzige Perle Schweiß zu vergießen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, das lag nicht etwa daran, dass meine Rückhandtechnik nicht fließend oder kraftvoll genug von mir ausgeführt wurde, sondern eher das Gegenteil war der Fall: Meine geschmeidigen, den gesamten Muskelapparat fordernden Schlagbewegungen wurden vom verdammten Controller in keiner Weise durch einen besonders dynamischen Topspin honoriert, stattdessen waren es eher Dennys kaum wahrnehmbare minimalistische Zuckungen im Handgelenk, welche in steter Regelmäßigkeit Bälle mit der Wucht einer Haubitze hervorbrachten.

Nach unzähligen Niederlagen musste ich einsehen, dass auch das Sportprogramm an der Wii in Wirklichkeit eine einzige enttäuschende Werbelüge war, denn um die Spiele zu gewinnen, war es sogar eher hinderlich, mit vollem Körpereinsatz zu arbeiten, da man mit kleinen zackigen Bewegungen aus dem Unterarm deutlich bessere Resultate erzielen konnte als durch großflächige Bewegungsabläufe.

Und so kam es, wie es kommen musste. Die anfangs spaßigen und bewegungsintensiven Tennisturniere an der Spielkonsole wurden zu komplett statischen Stehpartys mit minimalsten Bewegungsabläufen für maximal effiziente Punkteresultate. Ein netter Zeitvertreib zwar, aber unter diätischen Gesichtspunkten vollkommen unbrauchbar.

Einige Zeit später erweiterte ich mein Repertoire der Fitnessspiele auf der Konsole noch um das »Wii Fit Board«, auf dem man stehend mittels Sensoren im Board die im Spiel geforderten Bewegungen simulieren sollte – bei diesem Plastikbrettchen mit Funkanschluss wurde dann einmal mehr deutlich, dass echte sportliche Ambitionen bereits herstellerseitig definitiv unerwünscht waren. Echte Sprünge bleiben nämlich nur in der virtuellen Welt physikalisch folgenlos, in der Realität kapitulierte mein hippes Wii-Board unter meinem Gewicht schon beim ersten Versuch, einen neuen, epochalen Schanzenrekord im Skispringen aufzustellen. Ich vermute, das Allerletzte, was die Gewichtssensoren unter meinen Füßen noch an die Spielkonsole funkten, bevor sie mit einem lauten Knarzen den Dienst für immer einstellten, war die Frage: »Was zur Hölle hat ein Elefant auf der Skischanze zu suchen?«