Kapitel 16

Fridolin und Kröti: Schlank durch Haustiere

»Schaff dir doch ’n Haustier an, dann nimmst du automatisch ab« – ein toller Ratschlag, oder? Dass aber Wellensittich Tweety in seinem Käfig, Huschel, das kleine Zwergkaninchen, oder Moritz, der fette Zimmerkater, zum Gewichtsverlust des Herrchens oder Frauchens führen sollen, ist eine steile These. Die Wahrheit ist dann leider auch: Das klappt nicht mit jedem Haustier.

Als ich neun war, hatte ich ein Meerschweinchen namens Fridolin, und, zugegeben: Ich war bei Weitem leichter und schlanker als jetzt. Also nicht nur absolut, sondern relativ, wenn ihr wisst, was ich meine. Das lag allerdings mitnichten daran, dass ich häufig ausgiebige, kalorienverbrennende Geländeausritte auf Fridolin unternommen habe, sondern schlicht an der Tatsache, dass ich bis dato erst ausgesprochen wenige Jahre der selbstbestimmten Nahrungsaufnahme vorweisen konnte. Mit anderen Worten: Ich verfügte in diesem zarten Alter schlicht noch nicht über genügend eigene finanzielle Mittel, um mir all die süßen Schokoversuchungen aus den Quengelregalen der Supermärkte legal zu beschaffen.

Aber zurück zur Haustierthematik: Es geht also um die These, dass man durch den Einsatz eines Haustieres zwangsläufig zu mehr Bewegung kommt und somit weniger Zeit mit Essen, dafür aber umso mehr Zeit mit Spazierengehen verbringt. Am Beispiel meines possierlichen Nagers kann ich jedoch nachhaltig belegen, dass diese Theorie mit der korrekten Auswahl der Tiergattung steht und fällt … Im Klartext: Meerschweinchen sind als lebende Diätbegleiter oder gar als sportliche Sparringspartner gänzlich ungeeignet. Zwar war Fridolin recht niedlich anzusehen, und das gemeinsame Knuddeln im Garten ruft noch immer nostalgische Gefühle in mir wach, als Sparringspartner zur Gewichtsreduzierung war Fridolin allerdings eine totale Vollflöte. Wer schon mal versucht hat, mit einem rattengroßen Nager kalorienverbrennend rumzutollen, wird wissen, was ich meine: Die Biester haben einen erschreckend begrenzten Aktionsradius, und an gemeinsame Wanderungen oder körperaktive Spiele ist – außer Meerschweinchen-Weitwurf – nicht zu denken. (Und um dem vermutlichen Aufschrei aus den Kehlen Abermillionen von Tierschützern entgegenzuwirken: Das war natürlich ein Scherz! Selbstverständlich habe ich Fridolin niemals und in keiner Form irgendwie irgendwohin geworfen. Wäre auch völlig unsinnig: Die Biester haben einen echt miesen CW-Wert).

Aber zu der extremen Unsportlichkeit dieser felligen Kurzfüßler kam noch hinzu, dass unser erster gemeinsamer Sommer leider auch unser letzter gemeinsamer Sommer war. Tatsächlich empfinden Meerschweinchen bei einem ausgiebigen Spiel unter der prallen Sonne deutlich weniger Freude und Spaß, als es einem durchschnittlichen Neunjährigen so richtig bewusst ist. Unser stundenlanges Rumtollen auf der grünen Wiese unter der gleißenden Sommersonne quittierte Fridolin nämlich leider mit einem heftigen Hitzschlag und dem recht unvermittelten Ableben im grünen Gras unseres Vorgartens. Noch während ich ihn zu kleinen Sprüngen über selbstgebaute Miniaturhindernisse bewegen wollte, streckte Fridolin zuckend alle viere von sich und hauchte mit einem Puls von geschätzten 400 000 Schlägen pro Sekunde sein zartes Meerschweinchenleben aus. Im Nachhinein habe ich sogar erhebliche Zweifel, ob sein fröhliches Quieken während unserer ausgelassenen Rumtollerei tatsächlich so fröhlich war, wie ich es seinerzeit interpretiert hatte. Es müssen stattdessen die Vorboten des bevorstehenden Hitzekollapses gewesen sein – aber versuchen Sie das mal als neunjähriger Tierarzt korrekt zu diagnostizieren!

Leider brachte auch das sofortige Verbringen in das Tiefkühlfach unseres Kühlschranks nicht den gewünschten Erfolg. (Ja, Herrgott noch mal, ich war neun! NEUN!!! In dem Alter erschien mir das Tiefkühlfach als ein durchaus plausibler Abkühlungsort.) Gott sei Dank hatte ich seinerzeit kein Vereisungsspray zur Hand, wie man es aus der Bundesliga kennt – ich möchte mir gar nicht ausmalen, welch unschönes Ergebnis eine Dose Eisspray in der Hand eines verzweifelten Neunjährigen aus einem überhitzten Meerschweinchen gemacht hätte. Wie auch immer, am Ende vermochte auch die geballte Kühlkraft unseres Drei-Sterne-Gefrierfachs nicht, meinen geliebten kleinen Nager ins Hier und Jetzt zurückzuholen.

Er war tot … und schockgefroren. Und zwar in genau dieser Reihenfolge! Ich erwähne das nur deshalb noch einmal ausdrücklich, weil es seinerzeit nicht wirklich leicht für mich war, diesen zeitlichen Ablauf meinen Eltern glaubhaft zu vermitteln, und weil ich mich nur sehr ungern einem ausgewachsenen Shitstorm mit dem Hashtag #beerhenkesEisschweinchen ausgesetzt sehen möchte. Vertrauen Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ein neunjähriger Lausbub mit der einen oder anderen tiefen Markierung im Streiche-Kerbholz in erhebliche Erklärungsnot kommt, wenn seine Mutter zum Abendbrot statt eines Butterpäckchens ein inmitten von Eiswürfeln tiefgefrorenes Meerschweinchen aus dem Kühlfach angelt. Das Schlimmste daran war nicht mal die finale Cryostasis meines Meerschweinchens im heimischen Kühlfach, auch nicht das Donnerwetter meiner Eltern, auch nicht der Schmerz über den verlorenen Spielkameraden … nein, was wirklich einen nachhaltigen negativen Effekt hatte, war die Tatsache, dass ich zu der Zeit zum ersten Mal meine Trauer und meinen Frust in Schokolade ertränkte. Fridolins Ableben in der gleißenden Sommersonne war also das Ur-Trauma meines von da an andauernden Missbrauchs von kalorienhaltigen Schokowaren. Somit war mein erstes Haustier also alles andere als hilfreich bei der Gewichtsreduzierung, sondern eher das Gegenteil: Die kleine Hamsterbacke ist Hauptschuldiger an meinem heutigen Übergewicht. Meerschweinchen haben also ganz und gar keinen positiven Effekt auf die Gewichtsentwicklung von Minderjährigen – zumindest nicht in Verbindung mit Sonnenglut und Gefrierfachkälte …

So. Damit dürfte ich das Kapitel schließen können, in dem ich nachhaltig bewiesen habe, dass Haustiere sich eben doch nicht zur Gewichtsreduzierung eignen, oder?

Wie, »Blödsinn!« Was soll das heißen? Reicht etwa mein kleiner seliger Fridolin nicht als Beweis?

Nun gut – ich habe noch ein vorzügliches Beispiel in petto! Und allen empfindsamen Seelen sei versichert: Bei meinem nun folgenden zweiten Beispiel kam kein Meerschweinchen oder irgendeine andere Kreatur auf Gottes weiter Erde ums Leben – Sie können also ganz beruhigt weiterlesen.

Irgendwann nach meinem – nun ja, nennen wir es mal: Meerschweinebuchtdebakel – bekam ein Nachbarsjunge eine kleine Schildkröte geschenkt. Damit war er innerhalb weniger Tage auf Platz 1 der »Kinder-Coolness-Skala«, denn damals waren derlei gepanzerte Exoten keinesfalls Standard, und bei uns »aufn Dorf« spielte der Steppke mit dem tiefenentspannten Panzerkriecher fortan in der Beliebtheitsklasse von James Bond oder Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise.

Eigentlich völlig unverständlich, denn gegen so eine Schildkröte war sogar mein kleiner Fridolin ein Ausbund an spritziger Lebhaftigkeit. Schildkröten neigen dazu, den ganzen Tag langweilig in ihrem Terrarium zu hängen, und wenn man mal ein wenig Spieltrieb herauskitzeln will, verpissen sich die Biester in ihre Schildpattkugel und lassen den Rollladen runter. Rückblickend ist mir völlig schleierhaft, warum wir so einen ollen Stubenhocker auch nur halbwegs interessant gefunden haben. An der Stelle nicht unwichtig zu erwähnen, dass besagter Schildkrötenbesitzer namens Bernd damals gertenschlank war und definitiv keinerlei diätisches Haustier nötig hatte.

Wie auch immer, Kröti (ja, Kinder sind bei der Namensfindung ihrer Haustiere bisweilen erschreckend einfach gestrickt), Kröti hat jedenfalls nicht verhindern können, dass dieser spindeldürre Hungerhaken im Laufe der Jahre zu einem stattlichen Pfundskerl herangereift ist. Im Gegensatz zu seinem Herrchen (inzwischen »Blutdruck-Bernd!«) erfreut sich Kröti aber nach wie vor bester Gesundheit.

Auch die gemeinsamen Spielnachmittage in unserem Vorgarten hatte die kleine Panzerechse deutlich besser weggesteckt als mein kleiner Fridolin. Kröti war wohl durch seinen Rückenpanzer gegen die stechenden Sonnenstrahlen weitaus besser gewappnet als mein haariger Nager – darüber hinaus ernährt sich so eine Schildkröte auch ungemein gesund und knabbert im Laufe eines Tages eine stattliche Menge frischer Tomaten und Gurken in sich hinein. Es wäre vermutlich aber zu gewagt zu behaupten, dass mein Nachbar sich besser und gesünder ernährt hätte, wenn Kröti ihm nicht durch dieses wirklich unangenehm laute Schmatzen und die dazugehörigen unsäglich schlechten Tischmanieren den Appetit auf Tomaten, Gurken oder frischen Salat vergällt hätte. Wer schon mal einer Schildkröte beim Zerrmanschen, beim Zerfleddern, Verpampen und Herunterwürgen einer reifen Tomate zugucken musste, wird verstehen, was ich meine. Aber da Tischmanieren im Schildkrötenuniversum ganz offensichtlich nicht zu den »must haves« zählen, wird Kröti gute Chancen haben, sein eigenes Herrchen zu überleben. Denn Kröti fraß zwar unappetitlich, dafür aber ausgesprochen gesund! Und während der kleine Panzerträger stoisch bei gesunder Rohkost blieb, entwickelte sich sein Herrchen vom jugendlichen James Bond zum hundertprozentigen Computer-Nerd und bestand nach wenigen Jahren nur noch aus Pizza und Pommes. Für jeden derart kugelrund gefutterten Homo sapiens hat der Anblick einer offenbar alterungsresistenten, frische Tomaten mampfenden kleinen Drecksschildkröte etwas enorm Frustrierendes. Die Erkenntnis, dass diese total schnarchige und sehr, sehr langsame Spezies mit diesem wirklich kleinen Gehirn ganz offenbar dennoch in der Lage ist, sich deutlich intelligenter zu ernähren als die beherrschende Rasse des Planeten, empfinde auch ich ganz persönlich als einen Schlag ins Gesicht der gesamten Menschheit. Das wirklich Frustrierende daran ist ja auch das Eingeständnis, dass diese kleinen Panzerechsen mit diesem reduzierten Ernährungskonzept seit Millionen von Jahren wunderbar klarkommen, während unsere angeblich ach so intelligible Rasse zwar ganz ausgezeichnet gelernt hat, vornehm mit Messer und Gabel zu essen, mit diesen Esshilfen dann aber auch jeden Scheißdreck in sich reinstopft, den sie unters Besteck kriegt – und sich so innerhalb weniger Generationen zur Herzinfarkt Spezies Number one gemausert hat.

Der eigentliche Clou ist allerdings, dass wir inzwischen zwar durchaus begriffen haben, dass Tischmanieren uns zwar von anderen Gattungen auf Erden unterscheiden, aber nicht zwangsläufig zu längerer Lebenserwartung führen! Denn anstatt nun mit Messer und Gabel gepflegt nur noch ausgewiesen gesunde Nahrung zu verzehren, fingern wir uns via Handtaxi pausenlos Fleischlappen auf Labberbrot in die Ladeluke. Das ist so absurd, dass sich Kröti und seine Kollegen vermutlich nur deshalb so oft in ihre Panzerhäuser zurückziehen, um sich über uns Menschen schlappzulachen. Schaut man sich die durchschnittliche Lebenserwartung von Schildkröten an, kann man sich ausgesprochen gut vorstellen, um was es dann geht: »Iss nur, mein Freund, iss. In nur sechzig Jahren spuck ich auf dein Grab!« Langer Rede, kurzer Sinn: Eigentlich müssten wir uns vor Betreten eines Fastfood-Etablissements nur einfach fragen: Was würde Kröti tun? Was würde Kröti essen? Aber vermutlich hätte ich mir diese ganze Ausführung schenken können, denn natürlich denkt niemand bei Haustieren und Abnehmen an Kleinstnager, Panzertiere oder Wellensittiche – sondern an des Menschen besten Freund: den Hund!

Das ist mir natürlich klar. Logisch. Deshalb heißt das nächste Kapitel ja auch: Bello und Wauzi – schlank durch das RICHTIGE Haustier.