Kapitel 25

Gewichtige Gründe – Vorteile durch Übergewicht!

Nun ist es allerdings bei Weitem nicht so, dass man als »Mittdreißiger« (das ›mittdreißig‹ bezieht sich in diesem Falle auf den BMI-Index, der ja bekanntlich die Pforten des Normalgewichts ab dem Wert fünfundzwanzig schließt) immer und überall den sehnsüchtigen Wunsch hegt, ebenfalls in das Normstandardmaß hineinzupassen. Neben einigen Raufereien auf dem Schulhof, die ich sicherlich auch dank eines – nennen wir es – erhöhten Anpressdrucks auf den Kontrahenten für mich entscheiden konnte, erinnere ich mich auch noch an einige andere Situationen im Leben, wo mir das bisschen gewichtige Reservebumms auf den Rippen hilfreich war. Fakt ist: Eine eher kräftige Statur ist nicht nur in der Grundschule von Vorteil, sondern auch bei späteren Diskothek- oder Rockkonzertbesuchen.

Mein damaliger bester Freund war eher das, was man einen Hungerhaken nannte, und demnach war unser beider Silhouette durchaus ein Schmunzeln wert, aber es dürfte nicht schwer zu erahnen sein, WEM sich angetrunkene Vollpfosten im Zweifel bei einer aufkeimenden Prügelei zuwandten. Richtig: Man kackt erst einmal dem Hungerhaken ans Bein, da ist die Gefahr der Niederlage prinzipiell erst einmal geringer einzustufen. Übergewicht als Deeskalationsprinzip ist also prinzipiell praktikabel, klappt aber nur bei lokalen und unbewaffneten Konflikten, und das leider auch nicht immer. Denn sowohl mein dürrer Kumpel Torsten als auch meine füllige Wenigkeit waren eher pazifistischer Natur, sodass dieser eigentlich elementare Vorteil meiner deutlich verstärkten Außenpanzerung viel zu selten zum Tragen kam.

Bei einer meiner Reisen nach Afrika in den 90er-Jahren hingegen erinnere ich mich noch sehr gut daran, dass mir mein Übergewicht nicht unerhebliche Dienste geleistet hatte. Weniger kokett ausgedrückt: Es ließ mich überleben. Denn für die Moskitowelt Tansanias war ich offenbar eine der süßesten Versuchungen, seit es weiße Europäer gab, der die eine oder andere Anopheles-Mücke nicht widerstehen konnte und mir beim gepflegten Tankstop an meiner Vene ein paar der bordeigenen Malariaerreger ins Blut kotzte. Derart malariainfiziert ist es schwer bis unmöglich, jedwede Nahrung oder Flüssigkeit bei sich zu halten, vor allem, wenn man gerade auf einer individuellen, komplett selbst geführten Safari mitten in der Steppe Tansanias urlaubt.

Zunächst hielt ich die Schweißausbrüche und den Schwindel schlicht für die normalen Begleiterscheinungen eines dicken Europäers unter der gleißenden Hitze der afrikanischen Sonne, aber als sich dann sogar kleine Pfützchen an Stellen bildeten, an welchen ich nur einige Sekunden gestanden hatte, wurde ich dann doch etwas skeptisch: Bin ich ein Regenmacher? Begrüne ich gar die Wüste? Wo ich hingehe, sprießt das Gras? Erschaffe ich Leben? Bin ich Jesus? Ein Wunder? Ein Superheld? Oder einfach nur ein Vollidiot, der die Malariaprophylaxe vergessen hatte? Es ergab sich dann recht schnell, dass nur Letzteres zutraf.

Natürlich hatte ich die Malariaprophylaxe genommen … dachte ich … irgendwie … meine damalige Reisebegleiterin Tanja wies mich jedoch darauf hin, dass »Die Einnahme muss im Vorfeld erfolgen« nicht bedeutet, dass man mit der Prophylaxe erst beginnt, wenn man den Flieger Richtung Tansania besteigt … also quasi auf dem Flughafenvorfeld. Diese Lektion habe ich an jenem verschwitzten Nachmittag jedenfalls gelernt … Lange Rede, kurzer Sinn, ich hatte Malaria – und damit zum ersten Mal im Leben kein Problem mit der Gewichtsreduktion, sondern damit, mein Gewicht zu halten. Denn ich warf wie ein leckgeschlagener Zeppelin innerhalb weniger Stunden alles an Wasserballast ab, was mein Körper zu bieten hatte.

Wer glaubt, Schweißporen schaffen keinen durchgehenden Strahl, der irrt – ich habe es selbst gesehen, und wenn ich sage, dass ich Flüssigkeiten aus wirklich allen zur Verfügung stehenden Körperöffnungen ausschied, dann meine ich auch wirklich alle zur Verfügung stehenden Körperöffnungen. Es heißt ja, der Körper besteht zu siebzig Prozent aus Wasser; dass man aber durch den Stich eines Malaria-Moskitos offenbar auch in die Lage versetzt wird, diese siebzig Prozent innerhalb weniger Stunden einfach so abzulassen, das steht nirgendwo. Ich verlor jedenfalls rapide an Gewicht, so rapide, wie noch bei keinem Ereignis im meinem Leben zuvor. Hätte ich eine Waage zur Verfügung gehabt, hätte ich mich in den kurzen Kotzpausen vermutlich sogar über die – wie bei einem kapitalen Börsencrash fallenden – Anzeigewerte gefreut, so absurd das in meiner Situation auch scheinen mag. Fakt ist aber auch, dass ich der festen Überzeugung bin, dass eine derartige Spontanreduktion fettreservefreie Mitmenschen in deutlich größere Bedrängnis bringt als lebende Wasserspeicher wie mich. Anders ausgedrückt: Mein dürrer Kumpel Torsten wäre nach zwei Stunden akuter Malaria mit Sicherheit einfach VERSCHWUNDEN gewesen! Verschwunden im Sinne von physisch nicht mehr vorhanden. Er hätte sich ratzfatz weggeschwitzt, wäre ausgelaufen, hätte sich aufgelöst, vaporisiert, weggeschmolzen. Er hätte jedenfalls keine Chance gehabt.

Mich hingegen gab’s auch nach ca. dreißig Kilogramm Gewichtsverlust in weniger als zwei Tagen noch. Lang lebe meine dromedarmäßige Wasserspeicherplauze!! O. K., ich gebe zu … ich war jetzt nicht mehr unbedingt das blühende Leben, und die verfluchte infektiöse Mücke hatte offenbar auch schon den Sensenmann über meine Radikaldiät informiert, aber dank eines unverhofft aufgefundenen Buschkrankenhauses am dritten Tag und der damit verbundenen Gegenbehandlung gelang es mir – man erlaube mir das Wortspiel – mich über Wasser zu halten. Noch heute bin ich felsenfest der Meinung, dass mein Fett- und Wasserspeicher mir die lebensnotwendige Zeit verschafft hat, die ich gebraucht habe, um bis zur Gegenbehandlung zu überleben. Lebendig durch Masseüberschuss, sozusagen. Oder: Zu dick um zu sterben! DAS ist doch mal ’ne Schlagzeile!

So weit also zu dem immer wieder geäußerten Vorwurf, Übergewicht sei ausschließlich gesundheitsgefährdend. Bei tropischen Krankheiten schadet es jedenfalls nicht, wenn nicht gleich die Organe höchstselbst zu dehydrieren beginnen, sondern erst mal die abdomenale Polkappe (die Wampe!) abschmelzen kann. Ich gebe allerdings zu, dass ich auf derlei Erkenntnisse durch Selbstversuch eigentlich sehr gerne verzichtet hätte.

Mein Praxistipp Nr.14:

Von tropischen Krankheiten als Diätersatz kann ich nur abraten. Ich befürchte zwar, es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendwann eine Frauenzeitschrift das einmal als »revolutionäre neue Wunderdiät aus Afrika« feilbieten wird, aber ich versichere Ihnen: Es ist eine ganz miese Idee. Sie sind dick, aber nicht dämlich, behalten Sie diesen kleinen, aber feinen Unterschied bei.