Kapitel 32

Abnehmen vor dem Fernseher

Genau genommen ist das grenzdebile Teleshopping mit Schlankheitskuren zum Runterwürgen nur die derzeit aktuelle Ausprägung eines schon vor langer Zeit etablierten Trends, den Fernseher auch und insbesondere für übergewichtige Sportmuffel zu nutzen. So richtig bewusst geworden sein muss das den Marketingexperten Anfang der 80er Jahre. Auf einmal war es quasi über Nacht ungeheuer populär, in möglichst unvorteilhaften, weil hautengen bunten Klamotten vor den heimischen TV-Geräten rumzuhopsen – das nannte sich Aerobic und entwickelte sich binnen kürzester Zeit zum weltweiten Verkaufsschlager.

Mal wieder waren es also hauptsächlich wir Dicken (und natürlich jeder, der sich dafür hielt), die mit ihrem Geld jedes noch so bescheuerte Aerobic-, Dance- oder Bewegungsvideo auf sperriger VHS-Kassette ins Eigenheim schleppten oder alternativ Synchronhampeln mit Jane Fonda vor der Glotze machten. Der gute alte Spruch »Sex sells« kann also spätestens seit diesen Strampelanzugsvideos um ein »Fat sells even better« ergänzt werden, denn allein die Milliardenumsätze dieser neuen Fitnesswelle hätten gereicht, um drei bis vier gepflegte Mondlandungen plus zwei ausgewachsene Marsmissionen zu finanzieren.

Aerobic war im Kern eigentlich eine recht simple Sache, genauer gesagt ein von dem US-amerikanischen Arzt Kenneth H. Cooper in den 60er Jahren entwickeltes aerobes Training zur Stärkung von Herz und Lunge. Aerobes Training bedeutet dabei im Wesentlichen nichts anderes, als dass dem Körper während des Trainings ausreichend Sauerstoff zur Verfügung steht, um die körperliche Belastung besonders effizient zu gestalten – mit anderen Worten: atme beim Sport. Wow. Ein irres Fitnesskonzept, nicht wahr?

Es spricht nicht gerade für den Menschen, dass eine derart schlichte Erkenntnis zu einem weltweiten Fitnessboom führen konnte, aber letztlich basiert ja alles, was wir tun oder nicht tun, auf ähnlich schlichten Fundamenten. »Friss die Hälfte« zum Beispiel ist ja ebenso simpel, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendein pfiffiger Marketingfuzzi dieses Basiswissen für eine neue milliardenschwere Diätkampagne vermarktet. Es würde mich nicht wundern, wenn wir also schon in naher Zukunft alle in die Läden rennen, um die neuen Produkte der revolutionären »FDH-Diät-DELUXE« zu kaufen – in jeder Packung ist immer nur exakt die Hälfte drin, und das zum doppelten Preis. So funktioniert zielgruppengerechtes Marketing.

Ich suche ab jetzt auch nach »the next big one«, und hoffe schon bald mit einer genauso trivialen wie genialen Idee endlich auch den ganz großen Reibach zu machen. Mein bisheriger Favorit: »Atme – wenn dir danach ist.« Nun brauche ich nur noch einen hippen Namen, einen wichtig dreinblickenden Sportmediziner, und schon hab ich den nächsten weltweiten Fitnesstrend etabliert.