Kapitel 33

Abnehmen im Fernsehen – Blick hinter die Kulissen einer Doku-Soap

Im Jahr 2014 habe ich meine investigative Recherche zum Thema Abnehmen dann endgültig auf die Spitze getrieben und etwas getan, von dem ich mir eigentlich sicher war, dass ich es niemals tun würde – ich nahm an einem TV-Format teil, bei dem es im Wesentlichen darum gehen sollte abzunehmen – und zwar VOR der Kamera. Ähnliche Formate liefen gerade recht erfolgreich auf verschiedenen Sendern, und so kam man natürlich zwangsläufig irgendwann auf die Idee, den Abnehmzirkus auch einmal mit einer Handvoll C-Promis zu versuchen.

Die Formatbeschreibung klang dann auch wirklich verlockend: Unter den Augen einer Ernährungsberaterin und eines Fitnesscoaches sollten die ausgesuchten Prominenten auf einer einsamen Insel auf den Lofoten, irgendwo in Norwegen fern jeglicher Zivilisation, gemeinsam abnehmen. Philosophisch ausgedrückt funktionieren solche Formate nach dem Motto: Das Leben selbst schreibt die schönsten Drehbücher – doch in der knusperzarten TV-Landschaft heißt dieses Motto schlicht: Reality-Format.

Reality-Formate, das muss man kurz erklären, sind Sendungsformate, die so tun, als haben sie etwas mit dem echten Leben zu tun, sind davon aber ähnlich weit entfernt wie deren Protagonisten vom Nobelpreis in Mathematik. Kurzum: Reality-Formate sind in der Regel ausgesprochen klug gesponnene Laborexperimente, in denen den beteiligten menschlichen Laborratten suggeriert wird, dass sie wüssten, was sie dort tun. Dabei werden sie meist (mal mehr, mal weniger subtil) von außen gesteuert, und wie einst schon im alten Rom zur Belustigung der Zuschauer möglichst gegeneinander aufgewiegelt. Das funktioniert überraschend gut, ganz egal wie die Dschungelcamps oder Big Brothers dieser Welt auch gerade heißen mögen. Noch ein bisschen Ekelfaktor dazu, ein paar peinliche Enthüllungen vor laufender Kamera und schwupps … fertig ist das quotenträchtige Billigfernsehen, und der Zuschauer bekommt die volle Bandbreite menschlicher Abgründe, Intrigen und Zwistigkeiten hübsch zusammengeschnitten und visuell aufbereitet serviert. Damit das bloße Abnehmen nicht zu langweilig wird, sollte das Format mit einer gehörigen Portion Konfliktpotenzial unter den Teilnehmern gewürzt werden –, plus herausfordernde und spannende Challenges bei gleichzeitig streng rationalisiertem Essen und ungemütlichen Nachtquartieren. Dem Gewinner, also demjenigen, der am meisten Gewicht verliert, winkte eine satte Siegesprämie. Nun könnte ich hier lang und breit über die intellektuelle Faszination eines solchen Formates fabulieren, oder auch, dass ich einfach nur »Lust auf die neue Herausforderung hatte«, aber unterm Strich sind Gage und die Aussicht auf das Preisgeld die deutlich ehrlichere Antwort auf die Frage nach dem »Warum«. Dazu kam, dass ich gerade mitten in den Vorbereitungen für dieses Buch hier steckte, und so ergab sich die einmalige Chance, sich vor einem großen Publikum in einer Realityshow zum kompletten Vollidioten zu machen – wer kann dazu schon nein sagen?

Nun ist man als notorischer Übergewichtiger ja gewohnt, sich nach Strich und Faden selbst zu belügen, und so war es natürlich ein Leichtes, mir selbst einzureden, dass es in dem Format ausschließlich darum gehen sollte, unter der Aufsicht von »Experten« abzunehmen und sich und seinen Körper besser kennenzulernen. Aber insgeheim wusste ich, dass die eigentliche Herausforderung für mich darin bestehen würde, nach einigen Tagen des Hungerns keinen meiner Mitinsassen umzulegen und aufzufuttern, wenn mal gerade keiner guckt. Denn ähnlich wie bei einem knuddeligen Mogwai gibt es Regeln, die man im Umgang mit mir unbedingt beachten muss, damit ich nicht ebenfalls zu einem fiesen Gremlin mutiere: immer etwas essen vor Mitternacht, Licht und Wasser sind O. K., aber: unter gar keinen Umständen die ständige Versorgung mit Süßigkeiten gewaltsam unterbrechen.

In vergleichbaren Promi-Formaten werden ja auch sehr gerne Lebensmittel zum Verzehr angeboten, die in unserem Kulturkreis nur sehr bedingt als solche angesehen werden dürften, und so war es mir vor meiner Zusage zur Teilnahme durchaus ein wichtiges Anliegen, zugesichert zu bekommen, weder Krokodilpenisse noch Giraffenhoden auf dem Speiseplan vorzufinden. Auch bestand ich darauf, im Verlauf dieses mehrere Wochen laufenden Experiments nicht auf eine Nulldiät gesetzt zu werden … Dass ich keine Krokodilpenisse oder Kakerlaken-Cocktails verzehren wollte, dürfte sich von selbst verstehen, den Verzicht auf eine Nulldiät hatte ich mir – wie schon angesprochen – zum Schutz meiner Inselgenossen zusichern lassen … Ich wollte nicht als erster Mensch in die Fernsehgeschichte eingehen, der nach vier Tagen ohne Nahrung aus einem Mitinsassen oder zufällig vorhandenen Toningenieur vor laufenden Kameras über dem Lagerfeuer ein ausgesprochen kannibaleskes Barbecue zubereitet. Da das Konzept – zumindest vordergründig – tatsächlich darauf ausgerichtet zu sein schien, ein wenig für die Figur zu tun, kollidierten meine Bedingungen auch nicht mit den Vorstellungen der Produktion … was vermutlich auch daran lag, dass Toningineure in Norwegen nicht so leicht zu ersetzen sind, wenn sie erst mal weggefuttert worden sind.

Da war ich nun, ausgesetzt auf den norwegischen Lofoten mit einer bunten Schar Schicksalsgenossen, und das TV-Abnehm-Abenteuer nahm seinen Lauf. Zunächst bekamen wir die Nachtquartiere zugewiesen, und da gab es dann ganz TV-Show-klassisch die beliebte Unterteilung in »Armenquartier« und »Luxusherberge«. Die eine Hälfte unserer Gruppe durfte in der schickeren Luxusherberge einziehen, die anderen, unter anderem meine Wenigkeit, bezogen Quartier im eher spartanisch ausgerüsteten Armenhaus. Nun war das Armenquartier wirklich nicht gerade ein norwegisches Hilton, aber als ehemaliger Reiseleiter für das deutsche Jugendherbergswerk waren spartanische Unterkünfte für mich nichts Besonderes. Und seien wir doch mal ehrlich: Wer MacGyver als ausgewiesenes Vorbild hat, findet doch erst in einer noch ausbaufähigen Umgebung seine echte Erfüllung, nicht wahr?

Meine größte Sorge war, dass ich in dem begrenzten Campareal – das wir ja nicht verlassen durften – mit massiver Langeweile zu kämpfen hätte. Aus diesem Grunde beschloss ich, das Projekt irgendwie auch als Art »Flucht von Alcatraz« anzusehen – die Fokussierung meiner Energie auf den Bau eines passenden Fluchtfahrzeugs sollte mir helfen, mich nicht zu sehr in Konfliktsituationen hereinziehen zu lassen. Im Nachhinein hat das auch ganz gut funktioniert, wenngleich … Sie wissen ja …, wie soll die Laborratte selbst beurteilen, wie gut sie durchs Labyrinth gekommen ist. Im Gegensatz zu anderen Reality-Formaten war das Mitbringen von persönlichen Gegenständen auf die Insel erlaubt, solange es sich nicht um Nahrung handelte. In meinem Falle bedeutete dies, dass ich mein für mich unentbehrliches Zombie-Apocalypse-Survival-Paket mitnehmen durfte – ein Umstand, der für mich maßgeblich zum entspannten Überleben auf der Insel beigetragen hat.

Das Zombie-Apocalypse-Survival-Paket ist eine kleine Werkzeugtasche, welche ich im Laufe meiner Jahre als Reiseleiter in exotische Länder nach und nach um Nützliches und Brauchbares erweitert habe. Neben dem standardmäßigen Multitool Taschenmesser hatte ich dort allerlei Materialien und Werkzeuge reingepackt, die es mir theoretisch ermöglichen würden, auch eine postapokalyptische Zombie-Invasion zu überleben – ich weiß, was Sie jetzt denken.» Was für ein Spinner, was für ein totaler Nerd … Wie bescheuert ist das denn?« Und wissen Sie was? Sie haben vollkommen recht.

Aber dieses kleine Täschchen, vollgestopft mit Kabelbindern, Angelschnur, Alufolie, Sicherheitsnadeln, Klebeband und Draht, hat mir schon so manches Mal entscheidend aus der Not geholfen – sei es nur, um einen Duschkopf in einem runtergekommenen Hotel in Indien zu fixieren oder ein Motorrad im Herzen Afrikas zum Laufen zu bringen. Und ich versichere Ihnen … auch den Toningenieur hätte ich damit problemlos knusprig grillen können. Kurz gesagt: Mit Hilfe dieses unscheinbaren Sammelsuriums von scheinbaren Nichtigkeiten war ich bestens gewappnet für die filmreife »Flucht aus Alcatraz«.

So wenig mich die Unterteilung in Arm und Reich überrascht hatte, so sehr war ich positiv von den eigentlichen Challenges angetan. Die Produktion hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, uns mit herausfordernden und spannenden Wettkämpfen ein bisschen aus der Reserve zu locken und sowohl Körper und Geist zu fordern – das hat verdammt viel Spaß gemacht, und ich habe es nicht bereut, das Show-Experiment mitzumachen. Deutlich nerviger waren die täglichen »Interviews«, in denen vorwiegend versucht wurde, Negatives oder Kompromittierendes über die anderen Gruppenmitglieder herauszukitzeln – verständlich, denn die Showdramaturgie verlangt ja vor allem eines: DRAMA, Baby!

Da die dafür eingesetzten sogenannten »Realisatoren« allerdings oft recht plump vorgingen, war es meist nicht allzu schwer, sich in diesen Gesprächen einigermaßen treu zu bleiben und sich nicht in Lästereien über die natürlich vorhandenen Macken eines jeden von uns zu ergehen. Ob mir das wirklich gelungen ist, muss der Zuschauer am Ende selbst beurteilen.

An dieser Stelle mal ein etwas angeberischer, aber gleichwohl notwendiger Rekurs in die Geschichte der Psychologie. Nicht unbedingt lustig, aber gut zu wissen. Im Prinzip sind Formate wie »Big Brother« oder »Das Dschungelcamp« ja nichts anderes als abgewandelte Formen des Standford-Prison-Experiments, jenem Aufsehen erregenden psychologischen Experiment aus dem Jahr 1971.

In diesem Experiment wurden vierundzwanzig Studenten willkürlich in zwei Gruppen unterteilt: In »Gefangene« und »Wärter«. Die »Gefangenen« mussten unterschreiben, dass sie während der Dauer des Experimentes auf einige ihrer Grundrechte verzichten und sich den Weisungen der »Wärter« stets beugen würden. Die »Wärter« ihrerseits wurden mit Uniform, Pfeife und Knüppel ausgestattet und erhielten die Anweisung, dass sie die Flucht oder das Ausbrechen eines Gefangenen unbedingt zu unterbinden hätten. Natürlich sind Intensität und spezifische Ausprägung dieses Experiments nicht immer eins zu eins auf die diversen TV-Formate zu übertragen, aber das Prinzip ist durchaus vergleichbar: Auch auf den Lofoten waren wir komplett von den Produktionsmitarbeitern abhängig und hatten deren Anweisungen stets Folge zu leisten. Die nahezu überall installierten Kameras durften zu keinem Zeitpunkt bedeckt werden, und wenn man die Mikrofone nicht trug oder gegen andere Regeln verstieß, gab es Sanktionen, die alle trafen, ganz gleich, wer welchen Verstoß begangen hatte. Die Mitarbeiter der Produktion wurden ihrerseits angewiesen, keine persönlichen Kontakte mit uns zu unterhalten, und es war uns bei Strafe verboten, den Kamerabereich zu verlassen – und unter keinen Umständen durften wir uns in die Nähe des Überwachungsraums begeben.

Natürlich war es letztendlich eine Art Spiel, und dazu gehören selbstverständlich auch gewisse Regeln. Doch die offensichtliche Beschneidung der Privatsphäre durch die allgegenwärtigen Kameras und Mikrofone sowie unsere massive Abhängigkeit vom Produktionsteam waren dem Mechanismus von Einschränkung und Sanktion im Stanford-Prison-Experiment von 1971 schon sehr ähnlich. Und so sehr ich mich selbst gedanklich auf die Situation eingestellt habe, so überrascht war ich doch von der Reaktion der anderen – vor allem der Veränderung auf Seiten der »Wärter«.

Ein Produktionsmitarbeiter, nennen wir ihn mal »Andreas«, wurde des Öfteren während der Nachtwache eingesetzt und war dann nur mit den norwegischen Nachtwächtern in seinem monitorbestückten Kontrollraum. Eine Machtposition, die seiner Persönlichkeit offensichtlich ganz und gar nicht guttat. Während die meisten anderen aus der Produktion das Ganze eher spielerisch nahmen, war Andreas bereits nach kurzer Zeit zu einer Art strenger Blockwart mutiert, der seine Position auch für gelegentliche bewusste Schikanen nutzte. Ein Gutes hatte es aber doch: Die Überlegung, wen von allen Beteiligten man im Ernstfall denn nun zum Grillen auswählen sollte, hatte sich damit grundsätzlich erledigt.

Dieser Typ war aber tatsächlich schon ein recht schräger Vogel, gerne provozierte er ein bisschen rum, um sich dann in seinem kleinen miefigen Kontrollraum einzuschließen und uns über die Remotekameras wissen zu lassen, wer hier auf der Insel denn das allsehende Auge bedient. Ich hab ihn richtig in mein Herz geschlossen, den kleinen Remotekamerakasper. Für die Raucher im Camp war die Rationierung der Zigaretten wohl das größte Problem, und schon nach wenigen Tagen wurden sie als Druckmittel eingesetzt, um den Camp-Insassen gefügigeres Verhalten anzutrainieren. Hier hatte ich einfach nur Glück, dass ich als passionierter Nichtraucher keinerlei Angriffsfläche für derlei Spielchen bot.

Selbstverständlich hatten einige meiner Showkollegen etliche der Glimmstengel heimlich gebunkert, und der Schwarzmarkt florierte quasi über Nacht. Dies wiederum bekam natürlich auch die Produktionsseite mit und erkannte in den geschmuggelten Zigaretten einen klaren Verstoß gegen die Abmachungen. Zunächst wurde auch sehr freundlich auf die Einhaltung des Rauchverbotes hingewiesen, doch schien dies bei den Rauchern nicht so recht zu fruchten – es wurde weiter vor laufenden Kameras geraucht, als ob es kein Morgen gibt. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Gegenseite zum nächsten Schlag ausholte. Eines Morgens schickte die Aufnahmeleitung dann eine Art Rollkommando ins Camp, um die illegalen Tabakwaren zu konfiszieren. Da wohl geplant war, das so entstandene Filmmaterial auch in die Sendung einfließen zu lassen, wurden zur Durchsuchung die Ernährungsberaterin Rebekka und der Fitnesscoach George geschickt. George war nicht nur ein ausgesprochen durchtrainierter Kerl der Marke Wesley Snipes, sondern auch ein ausgesprochen guter Motivator und Kumpeltyp. Er hatte sichtlich Probleme damit, sich in der neuen Rolle als böser Bodyguard zurechtzufinden und die Durchsuchung der persönlichen Gepäckstücke durch seine Präsenz abzusichern. Es war in Gestik und Mimik unübersehbar, dass er sich in dieser Rolle sichtlich unwohl fühlte, und während die Ernährungsberaterin Rebecca ganz offensichtlich einen Heidenspaß dabei entwickelte, in jedem nur erdenklichem Winkel nach Zigaretten zu suchen, entschuldigte sich George in einer Tour für die »Unannehmlichkeiten«. Als sich besagte Rebekka trotz meines deutlichen Hinweises, dass ich ja Nichtraucher sei, dennoch sehr intensiv auch meinen Gepäckstücken widmete, war ich mir nicht mehr sicher, ob das noch zum Teil des Spiels gehörte oder schon eine deutliche und nur schwer zu vereinbarende Verletzung meiner Privatsphäre war – Gepäckdurchsuchungen waren jedenfalls nicht Teil des Deals.

Es ist schon ausgesprochen irritierend, wenn jemand wie von der Tarantel gestochen in deiner Unterwäsche herumwühlt, während ein zwei Meter großer Hüne in der Zimmertür steht und dir den Zugang zu deiner persönlichen Habe verwehrt – selbst wenn er dabei ausgesprochen nett zu sein versucht. Ich weiß nicht mehr genau, was mich mehr irritierte: der sich ständig entschuldigende George oder die hochgradig übermotivierte Ernährungsberaterin, die mit beängstigendem Jagdeifer zur Sache ging. Ihrem Ansehen in der Gruppe hatte sie mit dieser Aktion jedenfalls nachhaltig geschadet – von dem Tag dieser stasimäßigen Durchsuchung an war sie bei uns Teilnehmern eindeutig »unten durch«. Was fast ein bisschen schade war, denn eigentlich war Ernährungsberatung ja ein wichtiger Bestandteil der Sendung.

Aber Spaß hat das Camp als solches trotzdem gemacht. Insbesondere meine nächtlichen Erkundungen der Insel haben mir immer ein kleines bisschen die Befriedigung gegeben, »das System« doch ein bisschen ausgetrickst zu haben.

Ein MP3-Player sorgte nachts für eine entsprechende Atem- bzw. Schnarchkulisse in meinem Nachtlager, und die Kameras im Außenbereich waren meiner Prüfung zufolge nicht mit Infrarotstrahlern ausgestattet, dürften also bei einsetzender Dämmerung weitestgehend blind gewesen sein. Die Kameras im Haus hingegen sollten angeblich zwischen 02:00 und 06:00 sowieso ausgeschaltet sein, doch habe ich dieser Zusage nie so recht getraut – erst recht nicht, wenn unser Freund Andreas im Kontrollraum saß, aber zumindest erhoffte ich mir so ein nächtliches Vier-Stunden-Zeitfenster zur freien Gestaltung.

Ich kann nicht beurteilen, ob meine nächtlichen Trips in die Berge tatsächlich stets unbemerkt geblieben waren, aber zumindest gab es zu keinem Zeitpunkt einen Hinweis darauf, dass ich »aufgeflogen« war. Fakt ist: Ich habe in ausgiebigen Nachtwanderungen unsere Insel ausführlich erkundet, die Tatsache, dass es zu der Jahreszeit auf den Lofoten niemals gänzlich dunkel wurde, erleichterte mir die nächtlichen Fluchten dabei ganz erheblich. Die felsige und zerklüftete Landschaft war wirklich atemberaubend, und die Kletterei hat mir ausgesprochen viel Spaß gemacht – mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass ich auch noch massig Kalorien verbrannte und ich somit den täglichen Wiegekontrollen entspannt entgegenblicken konnte.

In der letzten Woche durfte ich dann ganz offiziell einige Stunden in Begleitung unseres Fitnesstrainers in die Berge, und ich musste mir des Öfteren ein Lachen verkneifen, denn George war zwar optisch ein durch und durch fitter Modellathlet, aber eben auch ein ausgewiesener Großstadtmensch. Zwischen Bäumen, Felsen und Geröll herumzukraxeln überforderte ihn erstaunlicherweise massiv, und es wurde sehr schnell klar, dass seine gesamte Power in recht sterilen Fitnessstudios antrainiert war – draußen in der Natur war ich ihm als Profi-Landei überaschenderweise tatsächlich überlegen – Flussläufe, Wälder und Bäche waren seit frühester Kindheit meine bevorzugten Spielplätze, und auch in vielen meiner Urlaube waren eher naturreiche Gegenden meine bevorzugten Ziele. Wer hätte gedacht, dass ich Jahre später dadurch deutlich schneller und effektiver in einer Abnehm-Reality-TV-Show einen norwegischen Steilhang hochkomme als so ein perfektes Abbild eines Mister Universum? Und so wartete nicht der Fitnesstrainer auf das Moppelchen, sondern der Dicke half dem toptrainierten Fitnessguru auf den richtigen Weg. Ich gestehe: Ich habe diese Momente sehr genossen.

Besonders pikant war, dass George offensichtlich Bedenken hatte, sich zu weit vom Lager zu entfernen, aber ich konnte ihm ja kaum erzählen, dass ich die Gegend nach unzähligen Wanderungen bereits kannte wie meine eigene Westentasche. Als er dann mal erwähnte, wie erstaunlich er es fand, wie zielsicher ich immer den jeweils besten Weg beim Auf- oder Abstieg fände, entschied ich mich fortan hin und wieder auch mal eine kleine Passage »falschen Wegs« einzubauen – ich wollte ja nicht auffliegen. Aber auch tagsüber bei laufender Überwachung erwies sich mein »Fluchtprinzip« als gute Entscheidung. Ich weiß natürlich nicht, was letztendlich alles den Weg über den Schneidetisch der TV-Produktion gefunden hat, aber ich hatte sehr viel Freude daran, mir Pfeil und Bogen zu schnitzen, Türen für das Haupthaus zu bauen, das Mobiliar zu reparieren oder mir aus Treibgut und Strandfundsachen ein kleines Floß zu basteln. Letzteres beanspruchte mein gesamtes Beschaffungstalent, denn Baumaterialien waren auf der Insel nicht gerade üppig gesät. Aber wem der Film »Gesprengte Ketten« (im Original: »The Great Escape«) etwas sagt, der weiß, dass es auch unter schwierigsten Bedingungen möglich sein muss, seine Ziele umzusetzen, wenn man genügend Kreativität freisetzen kann.

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Und so begann ich, die mich umgebenden Dinge fortan primär unter der Prämisse zu betrachten, ob und inwieweit sie geeignet wären, meinem Floßprojekt dienlich zu sein. Holz besorgte ich mir von den Resten der Setbauer – denn etliche der Hütten und Zelte für die Produktionsfirma wurden eigens durch diese erstellt, und zu meinem Glück waren da immer ein paar Latten über. Einige Bojen, die wir am Anfang für die Challenges benötigt hatten, lagen verwaist am Strand herum und eigneten sich hervorragend als Auftriebskörper für mein Floß. Zu Beginn schnürte ich die Bauteile mit meinen mitgebrachten Schnüren und Leinen zusammen, denn der Vorrat an Nägeln und Schrauben aus meinem Survival-Kit reichte bei Weitem nicht aus, um ein so großes Floß ausreichend zusammenzuhalten, auch ein T-Shirt habe ich geopfert, um mittels daraus gewonnener langer Stoffstreifen ein recht patentes Schnürwerk zu erschaffen. Doch dann gelang es mir nach und nach einige wunderbare Nägel aus dem Haupthaus zu besorgen – solltet Ihr mal auf der Insel sein, nur ein kleiner Tipp: Lehnt Euch bitte nicht an die Rückseite der Haupthausverkleidung, sie ist etwas, sagen wir mal, instabil geworden.

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Natürlich waren auch die Zaunlatten des Zauns um das Camp perfekt zum Floßbau geeignet – entweder nur ihre Nägel oder komplett als Strukturverstärkung des Floßrumpfes –, und niemand fiel auf, dass die Abstände im Lattenzaun im Laufe der Zeit immer größer wurden. Wie schon erwähnt, war es der Produktionscrew ja eigentlich nicht erlaubt, mit uns zu fraternisieren, aber bei den Kulissenbauern und Handwerkern, die gelegentlich im Auftrag der Produktion die Insel besuchten, war mein Floß schon recht bald von großem Interesse, und so freute ich mich hin und wieder über »versehentlich« liegengelassenes Werkzeug oder Baumaterial. Danke an dieser Stelle all jenen Jungs, die mich mit diesen kleinen »Geschenken« immer ein Stückchen weiter brachten. So konnte ich nach und nach meine Schwimmkonstruktion verbessern, und die Suche nach weiteren Materialien füllte von da an immer einen Großteil meines Tagesablaufs. Langeweile trat also nicht auf, und zusammen mit dem Sportprogramm von George, meinen nächtlichen Bergwanderungen und der deutlich gedrosselten Kalorienzufuhr purzelten sogar sehr erfolgreich die Kilos.

Nicht zuletzt wegen meiner kleinen »1401-D-U.S.S. WILSON« (eine maximal nerdige Hommage an »Star Trek« und »Cast Away«) wird der Aufenthalt auf dieser kleinen norwegischen Insel für mich immer ein ausgesprochen spannendes und unterhaltsames Kapitel bleiben. Ich hatte definitiv meinen Spaß, und manchmal eben auch, wenn es kein anderer mitbekam.

Mein Praxistipp Nr.21:

Seien Sie stets vorbereitet auf die Zombie-Apokalypse. Sie stellt zugegebenermaßen zwar ein ausgesprochen unwahrscheinliches Zukunftsszenario dar, aber so sind Sie zumindest gut vorbereitet, wenn Sie einmal auf einer einsamen Insel in den Lofoten ein Fluchtfloß bauen müssen, weil Sie eine TV-Firma für eine Abspecksendung dort ausgesetzt hat – ob das jetzt allerdings viel wahrscheinlicher ist als die Zombie-Apokalypse, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Eins habe ich aber tatsächlich feststellen können: Ich habe sie gefunden, die perfekte Diät. Alles was ich dafür benötigte, war eine abgeschiedene Insel ohne Supermarkt oder sonstigen Zugang zu kalorienhaltigen Nahrungsmitteln, einen engagierten Fitnesscoach, der Versuch der Totalüberwachung durch eine TV-Produktionsfirma, streng rationiertes Essen und die Aussicht, mit dem Verlust von Kilos auch noch Geld zu verdienen.

Abnehmen kann so einfach sein, nicht wahr?