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H. J. Schneider et al.Hormone – ihr Einfluss auf mein Lebenhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-58978-6_52

52. Ich habe immer Durst

Harald J. Schneider1  , Nicola Jacobi2   und Joscha Thyen1  
(1)
München, Deutschland
(2)
Passau, Deutschland
 
 
Harald J. Schneider (Korrespondenzautor)
 
Nicola Jacobi
 
Joscha Thyen

Durst ist ein überlebenswichtiges Signal des Körpers. Viel schneller als zu wenig Nahrung ist zu wenig Flüssigkeit für Menschen, Tiere und Pflanzen lebensgefährlich. Wie so viele andere Funktionen des Körpers ist auch unser Flüssigkeitshaushalt hormonell gesteuert. Wie viel wir täglich trinken (müssen), damit unserem Körper ausreichend Flüssigkeit bereit steht, liegt dabei nicht nur an der Menge an Urin und Stuhlgang, die wir ausscheiden, sondern auch daran, wie viel wir schwitzen.

Der Flüssigkeitshaushalt des Körpers

In Ruhe und in Bewegung

Ruhen wir, schwitzen wir circa einen halben Liter Flüssigkeit pro Tag aus. Anstrengung oder Hitze steigern diese Menge aber deutlich. Bei sehr hohen Außentemperaturen oder großer körperlicher Anstrengung produziert unser Körper bis zu sechs Liter Schweiß pro Tag. Und was raus geht, muss dann wieder rein. Bei Extremsportlern, die zum Beispiel an einem Ironman teilnehmen (3,86 km Schwimmen, 180,2 km Radfahren, 42,195 km Laufen), können sogar bis zu 16 Liter Schweiß zusammen kommen.

Bei Krankheit

Infekte

Krank sein ist immer ein Ausnahmezustand und der wirkt sich natürlich auch auf den Flüssigkeitshaushalt unseres Körpers aus. Bei Durchfallerkrankungen, einer Magen-Darm-Infektion ebenso wie bei Infekten mit hohem Fieber geht mehr Flüssigkeit als sonst verloren. Entsprechend erhöht ist dann der Flüssigkeitsbedarf, heißt: Mehr trinken, am besten Wasser.

Hormonstörungen

Den Großteil der Flüssigkeit, die nicht ausgeschwitzt wird, scheiden wir über die Niere aus. Sie bildet eine sehr große Menge sogenannten Primärharns, über den viele Giftstoffe aus unserem Körper ausgeschwemmt werden. Damit nicht die gesamte Flüssigkeit des Primärharns verloren geht, bildet der Hypothalamus, eine der wichtigste Schaltzentralen unseres Körpers, das Adiuretische Hormon (ADH). Es sorgt dafür, dass ein großer Teil der Flüssigkeit aus dem Primärharn wieder resorbiert wird und so unserem Körper weiterhin zur Verfügung steht. Im ► Kap. 4 lesen Sie, welche Trinkmenge normal ist. Bildet unser Körper aber zu wenig ADH (etwa als Folge einer Hypophyseninsuffizienz, also einer krankhaften Störung der Hirnanhangsdrüse) oder wirkt es dieses Hormon nicht mehr an der Niere, scheidet der Körper vermehrt Flüssigkeit aus. Die Betroffenen haben ständig Durst. Diese Symptomatik wird als Diabetes insipidus bezeichnet.

Diabetes mellitus

Eine weitere krankhafte Ursache kann eine Zuckerkrankhe it (Diabetes mellitus ) sein. Diabetes-Kranke haben zu viel Zucker im Blut. Der Zucker bindet Wassermoleküle im Blut, dem Körper steht nicht mehr genug Flüssigkeit zur Verfügung. Vermehrte Trinkmengen und vermehrtes Durstgefühl sind die Folge.

Gewohnheiten

Zum Glück sind die oben genannten Erkrankungen nur selten die Ursache eines ständigen Durstgefühls. Oft ist der Grund, der dahinter steckt, sehr viel harmloser: Gewohnheit. Hat sich der Körper daran gewöhnt, dass er immer mehr Flüssigkeit bekommt, entsteht – einfach durch den Gewöhnungseffekt – ein dauerndes, vermehrtes Bedürfnis zu trinken. Man spricht hier auch von einer primären psychogenen Polydipsie (aus dem griechischen „polys“: „viel“ und „dipsa“: „Durst“). Durch entsprechendes Training lässt sich dieser Effekt aber wieder rückgängig machen.

Diagnose

Hat eine Patientin oder ein Patient ständig das Gefühl hat, trinken zu wollen, muss unterschieden werden, ob es eine krankhafte Ursache gibt oder der Körper lediglich an eine große Flüssigkeitsmenge gewöhnt ist, die nicht auf eine Krankheit zurückgeführt werden kann.

Zuckertest

Eine Zuckerkrankheit zu diagnostizieren, ist relativ einfach. Der Zucker wird im Nüchtern-Blut gemessen, gegebenenfalls zusätzlich ein Zuckerbelastungstest durchgeführt, bei dem nach Einnahme einer standardisierten Zuckerlösung der Blutzuckerverlauf über zwei Stunden gemessen wird.

Durstversuch

Ein Durstversuch wird durchgeführt, um Diabetes insipidus zu erkennen. Dabei wird überprüft, ob sich der Urin ausreichend konzentrieren lässt. Nach einer längeren Phase, in der die Patientinnen und Patienten nichts trinken dürfen (Flüssigkeitsretention), misst die Ärztin oder der Arzt die Konzentrationsfähigkeit des Urins. Lässt sich der Urin auch nach längerer Durstphase nicht konzentrieren, handelt es sich um Diabetes insipidus. Lässt er sich dagegen normal konzentrieren, lautet die Diagnose: primäre Polydipsie, Gewohnheitsdurst sozusagen.

Bei schweren Fällen von Diabetes insipidus kann ein solcher Versuch gefährlich sein, weil schon nach kurzer Zeit ein extremer Flüssigkeitsverlust droht. Es gilt von ärztlicher Seite im Vorfeld unbedingt zu entscheiden, ob der Versuch zu Hause und in der Praxis durchgeführt werden kann oder ob er aufgrund der Gefahr des Flüssigkeitsverlustes besser stationär, also im Krankenhaus stattfinden soll.

ADH-Messung

Die Konzentration des Adiuretischen Hormons ADH im Blut kann ebenfalls Hinweise auf einen Diabetes insipidus geben. Allerdings ist ADH nur schwer im Labor zu messen ist. Der Abkömmling des ADH, das Copeptin , ist jedoch stabil und entsprechend gut messbar. In neueren Verfahren wird Copeptin mit speziellen Tests stimuliert und gemessen. Steigt dabei die Copeptin-Menge nicht ausreichend an, spricht das für Diabetes insipidus. Ist das nicht der Fall, handelt es sich um eine primäre Polydipsie.

Fazit

Bei einer erhöhten Trinkmenge von über drei Litern pro Tag, die nicht durch Hitze, Schwitzen oder Durchfall zu erklären ist, empfiehlt sich eine weitere ärztliche Abklärung. Es können sich dahinter Krankheiten wie Diabetes verbergen. Manchmal ist es auch ein relativ harmloser Gewohnheitsdurst, der das ständige Verlangen nach Trinken auslöst.

Wie löscht man den Durst am besten?

Bei normalen Temperaturen ist für Erwachsene eine Trinkmenge bis zu drei Litern pro Tag normal. Der beste Durstlöscher ist Wasser. Wer auf ein bisschen Geschmack nicht verzichten möchte, trinkt Tee ohne (zu viel) Zucker oder Wasser mit Fruchtsaft gemischt. Pure Säfte und zuckerhaltige Getränke sind dagegen nicht nur Dickmacher, sie löschen den Durst auch nicht gut. Warum? Der enthaltende Zucker bindet Wassermoleküle und der Körper braucht wieder Flüssigkeit. Die Folge: Man trinkt und bleibt trotzdem durstig.