DREIZEHN

Erst diese schreckliche Krankheit, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), veranlasste ihn, sein Tempo zu drosseln. Niemand, den ich kenne, fand es schwieriger, einfach nichts zu tun, als Leonard. Er verbrachte sein Leben in Bewegung, seine Gedanken preschten immer vor zum nächsten Projekt. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms beschloss er zum Beispiel, es sei an der Zeit, einen Universitätsabschluss zu machen. Während er mit verschiedenen Produktionen durchs Land reiste, erwarb er am Antioch College einen Abschluss. »Ich habe das ganze Ding durchgezogen«, sagte er stolz. Später bekam er die Ehrendoktorwürde. Unglaublich: Seine berufliche Karriere war gesichert, er hatte genügend Geld auf der Bank, er erfüllte sich seine Kindheitsträume, indem er große Schauspielkunst vor vollen Häusern zeigte – und trotzdem hatte er darüber hinaus noch das Bedürfnis, seine intellektuelle Neugier zu befriedigen.

Einmal, als wir über Leonards Unfähigkeit zum Stillhalten sprachen, sagte Adam Nimoy zu mir: »Künstler handeln so, weil sie so handeln müssen. Es ist gar keine bewusste Entscheidung. Sie müssen sich beschäftigen und herausfordern, um kreativ zu bleiben.« Van Gogh malte fast ein Jahrzehnt lang durchschnittlich zwei Bilder in der Woche, sagte Adam, was mit ein Grund für Leonards Faszination gewesen sein mochte. »Van Gogh war äußerst fokussiert und getrieben, und mein Vater war auch so. Beide hatten das starke Bedürfnis, etwas zu erschaffen, sich durch ihre Kunst auszudrücken. Das war es, was meinen Vater wirklich anspornte.«

Leonards Kunstform war die Fotografie. Zu der ökonomischen Freiheit, die Star Trek ihm gebracht hatte, kam die künstlerische. Wie er einem Reporter während der Proben für das Theaterstück Sherlock Holmes sagte: »Ich muss niemandem mehr etwas beweisen.« Lange wusste ich gar nichts von seiner Begeisterung für die Fotografie. Als Leonard bei den Dreharbeiten zur Originalserie mit einer Kamera in der Hand erschien, dachte ich zuerst: O wie nett, Leonard macht ein paar Fotos! Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie leidenschaftlich er die Fotografie verfolgte oder dass er ein Künstler war und dies sein Medium darstellte. In unseren zahlreichen Gesprächen in all den Jahren hatte er das Fotografieren selten erwähnt, und wenn, dann nur nebenbei: »Ich habe mir gerade eine neue Kamera gekauft.«

»Super. Das hatte ich auch vor.«

Aber er hatte sich offenbar schon eine ganze Weile dafür interessiert, ohne dass ich davon wusste. Meine Frau Liz und ich, wir haben einige wunderbare Kunstwerke zu Hause, aber wenn ich alles Überflüssige abgeben müsste außer einer einzigen Sache – neben meiner Familie und meinem Zuhause –, würde ich auf die Kunstwerke verzichten und mich für meine Pferde entscheiden. Für mich sind Pferde großartige Kunstwerke, und ich kann mich an ihrer Erschaffung beteiligen, indem ich sie züchte, ausstelle und reite.

Im Gegensatz zu mir hätte Leonard alles geopfert außer den Dingen, die er für seine Kunst benötigte – die Fotografie. Mein Verhältnis zur Fotografie ist einfach: Ich sehe mir gern schöne Bilder an. Fotos sind für mich festgehaltene Erinnerungen. Aber für Leonard war die Kamera etwas ganz anderes. Und seine tiefe Liebe zu dieser Kunst überraschte mich im Lauf der Jahre immer mehr. Steve Guttenberg erinnert sich, mit Leonard aus einem Hotel getreten zu sein, wo eine Gruppe Fans geduldig wartete. Als diese anfingen, Fotos zu machen, warnte Leonard Steve leise: »Die Kamera nimmt dir deine Seele. Sei vorsichtig!«

Während Steve es als Metapher für das Geschäft verstand, vermute ich, dass Leonard das Potenzial eines Fotos kommentierte, weitaus mehr als das aufgenommene Bild zu vermitteln.

Die Fotografie faszinierte ihn seit seinem dreizehnten Lebensjahr, als ihm sein Onkel die Kodak-Klappkamera gab, die am Tag seiner Geburt für ihn gekauft worden war – und die er sein Leben lang behielt. Von einem Freund lernte er, wie man Filme selbst entwickelt. »Ich fand es fabelhaft, dass man einen Film vollknipsen und ihn dann direkt in der Dunkelkammer – in unserem Fall im Badezimmer der Familie – entwickeln und einen Abzug machen konnte. Von Kodak gab es ein Päckchen Chemikalien für fünfzehn Cent zu kaufen, und ich fand es großartig, auf diese Weise ein Bild festzuhalten.« Es war eine Ausdrucksform, die ihn offensichtlich sein Leben lang begleitete. In den frühen Siebzigerjahren begann er, sich ernsthaft mit der Fotografie auseinanderzusetzen, studierte an der UCLA und dachte eine Weile darüber nach, sie anstelle der Schauspielerei zu seinem Beruf zu machen.

Wenn er über seine fotografische Arbeit sprach, zitierte Leonard gern seinen Dozenten von der UCLA, Robert Heinecken, der es vorzog, Fotografie als Kunstform zu betrachten statt als Technik, die dazu dient, einen Augenblick festzuhalten. Der Unterschied war Heinecken zufolge, wie man reagierte, wenn man mit der Kamera in der Hand durch die Straßen geht und plötzlich jemand von einem Hochhaus herunterfällt: Schießt man Fotos, weil etwas passiert, ist das Fotojournalismus. Der Künstler hingegen würde nur eine Aufnahme machen, wenn das Thema, an dem er arbeitet, etwas mit der menschlichen Figur im Raum zu tun hat.

Genau diesen Zugang hatte Leonard. Während Fotografie für die meisten Menschen etwas Visuelles ist, wurde sie für Leonard zu etwas Konzeptionellem. »Zunächst einmal … muss man in der Lage sein, etwas einzufangen, das den Betrachter sofort anspricht. Fotografie spielt sich auf zwei Ebenen ab, der emotionalen und der technischen. Die emotionale Wirkung hat damit zu tun, dass man nach einem dramatischen Geschehen Ausschau hält … nach etwas, das einen Menschen in irgendeiner Form berührt. Die technische Wirkung hat mit Komposition und Rahmung zu tun – mit Hell und Dunkel, Licht und Schatten. Viele Jahre trug ich die Kamera mit mir herum, wohin ich auch ging, und fotografierte alles, was mir interessant erschien«, erklärte er. »Das hat sich geändert. Ich habe den Apparat nicht mehr ständig dabei und gucke mich nicht mehr dauernd nach jemandem um, von dem ich ein Foto machen kann. Ich habe eine Vorstellung von einem Thema, nehme meine Kameras und erkunde die Idee visuell, suche nach einer Form, sie fotografisch auszudrücken.«

Später ergänzte er: »Während sich die Geschichte im Film entwickeln kann, muss sie in der Fotografie in einem Moment erfasst werden. Ich habe gelernt, die Kamera dazu zu nutzen, Konzepte zu erforschen.«

Während sich ein Großteil seiner Arbeit auf die weibliche Gestalt konzentrierte, machte er in den Achtzigerjahren eine Serie mit dem Titel Hands, bei der er nur Hände porträtierte. Betrachtet man diese Schwarz-Weiß-Fotografien, von denen manche alt wirken, manche elegant oder symbolistisch, hält man wirklich inne und denkt über Hände nach. Und dann lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Hände anderer Menschen. Nachdem man sich diese Aufnahmen angesehen hat, ist es fast unmöglich, Hände nicht auf eine neue Weise zu sehen, sie neu zu würdigen. Jahre später beschrieb Leonards Galerist sein Werk als »sehr sinnlich. Aber die andere Seite daran ist die, dass Leonard immer die Hintergrundgeschichte im Blick hatte, warum etwas so ist, wie es ist.« Interessant – als Schauspieler graben wir ja auch immer nach der Hintergrundgeschichte und finden sie häufig nicht im Text. Ich bin kein Kunstkritiker, ich weiß nur, was mir gefällt. Wenn ich mir Leonards Bilder ansehe, halte ich inne und überlege, was hinter den einzelnen Fotografien steckt. Wessen Hände sind das? Was erzählen sie über den Menschen?

Noch etwas, das Leonard und ich teilten, war die Bewunderung der weiblichen Form. Er besaß die Kühnheit – oder das Talent –, sie zu fotografieren. Ich zog ihn mit diesen schönen Aktmodellen auf, aber er verhielt sich diesbezüglich immer sehr professionell. Er begann früh mit der Aktfotografie, aber es war nicht die Schönheit der Frauen, die er abbilden wollte. Viele Modelle der früheren Fotografien würde man nicht als besonders sinnlich bezeichnen. Wie er es beschrieb, fotografierte er den Körper nicht als Objekt, sondern als Mittel, eine bestimmte Idee auszudrücken. In den Neunzigerjahren ließ er weiße und afroamerikanische Frauen fast wie Statuen posieren und spielte mit der Beleuchtung, um ihre Weiblichkeit hervorzuheben. Ich fand diese Bilder besonders schön und weiß noch, dass ich ihn damit auch aufzog. Aber diese Serie sollte mich noch in echte Schwierigkeiten bringen.

Meine Beziehung zur Fotografie begann, als mich der Playboy kontaktierte, ob ich nicht als Gast ein Fotoshooting durchführen wolle. Man bat mich, ein Playmate zu fotografieren. Und ich dachte: Wow, aber wenn Leonard das geschafft hat, sollte ich es auch können. Zugegebenermaßen war meine spezifische Idee beim Nachdenken über das Projekt eine etwas andere als die von Leonard. Ich wusste, dass meine schöne Frau Elizabeth das künstlerische Element dieser Angelegenheit wahrscheinlich nicht erkennen würde. Um ihr den Frust zu ersparen, hielt ich es für das Beste, das Shooting gar nicht zu erwähnen. Ich dachte: Ach, es ist nur der Playboy. Niemand wird etwas davon mitbekommen.

Am Ende des Shootings waren überall Hinterteile, Bäuche, Köpfe und Hände – genau wie bei Leonard war mein Motiv die weibliche Form. Ein sehr schönes Motiv. Ich war nicht nur der Fotograf, sondern auch Modell – Shatner fotografiert Playboy-Models. Und wie sich herausstellte, hatte ich recht: Als Liz von der Sache erfuhr, lag ihr Fokus nicht auf dem künstlerischen Mehrwert. Meine Begründung – Wenn Leonard es tut, warum sollte ich es nicht auch tun? – ergab in der Realität nicht mehr ganz so viel Sinn wie während des Entscheidungsprozesses. Ich muss Liz zugutehalten, dass sie mich nicht fragte: »Wenn Leonard von der Brücke springt, tust du es dann auch?« Sie bewunderte meine Fotografien allerdings auch nicht in derselben Weise, wie wir beide Leonards Arbeiten bewunderten.

In späteren Jahren schuf er drei Hauptwerke, in denen er genau das erreichte, was er sich vorgenommen hatte: mit der Linse große Themen zu erkunden. Für das erste Projekt, das er Shekhina nannte, kehrte er zu den Ursprüngen zurück, die der Erfindung des Vulkanischen Grußes zugrunde lagen. Jener Tag, als er in der Synagoge heimlich die Gemeinde beobachtet hatte, die ihre Augen verbarg, hatte offensichtlich eine nachhaltige Wirkung auf ihn gehabt. Die Schechina-Fotografien zeigten schöne Frauen mit religiösen Symbolen. Das Ziel dieser Arbeiten, sagte er, sei es gewesen, »den weiblichen Aspekt Gottes« zu finden. Die Bilder sind beeindruckend, aber es entspann sich eine heftige Debatte darüber. Sie belebten außerdem Leonards eigene Verbindung zum Judentum neu.

Viele Male hatten meine Frau und ich an den hohen Feiertagen mit Leonard und Susan den Gottesdienst in deren Synagoge besucht. Wir beiden Männer saßen und beteten nebeneinander. Ich bin eher ein spiritueller als ein religiöser Mensch. Ich fühle mich mehr von der Energie verschiedener Orte auf der Erde angezogen als von dem alleinigen Gott der Bibel. Leonard war seinen Wurzeln immer viel näher gewesen. An den hohen Feiertagen sagte er meist, er habe Karten für uns gekauft, also gingen wir hin. In gewisser Hinsicht stärkte das wohl auch unsere Freundschaft. Es war eine Erneuerung, eine Bestätigung.

Aber Leonard gestand einmal, sein jüdischer Glaube sei »abgeflaut«. Damit meinte er wahrscheinlich, dass er zwar die Rituale im Großen und Ganzen befolgte, seine spirituelle Verbindung aber schwächer geworden war. Wie er Nadine Epstein vom Magazin Moment 2004 erklärte: »Mein Glaube hatte etwas Mechanisches. Ich ging zum Gottesdienst, wusste, wann ich mich erheben, wann setzen musste … Ich dachte, habe ich wirklich das mitgenommen, was ich aus diesem Erlebnis mitnehmen sollte? … Die Antwort war nicht jedes Mal Ja. Mir wurde bewusst, dass ich sehr oft den Gottesdienst besuchte, weil ich mich verpflichtet fühlte.«

Typisch Leonard, immer den Blick darauf gerichtet, was hinter den Dingen steckt. Das Konzept der Schechina, das unter amerikanischen Juden nicht sehr bekannt ist, faszinierte ihn, und sein Projekt erlaubte es ihm, wichtige Themen des modernen Judentums zu behandeln – und andere Juden zu zwingen, auf sein fotografisches Statement zu reagieren. Und ich denke, das ist eine gute Definition von Kunst.

Die Fotografien wurden in einem schönen Bildband veröffentlicht, und natürlich war die Mischung aus Religion und Erotik explosiv. Nach der Ankündigung des Buchs wurde Leonard eingeladen, bei verschiedenen jüdischen Organisationen zu sprechen, doch diese Einladungen wurden zurückgezogen. Ein orthodoxer Rabbi in Detroit drohte dem jüdischen Zentrum, in dem Leonard sprechen sollte, wenn es dies zulasse, werde er dem Zentrum die Zertifizierung als koscher entziehen. Als die Jüdische Föderation in Seattle ihn auslud, wurde er von einer örtlichen Synagoge gebeten, dort zu sprechen – und ungefähr siebenhundert Besucher kamen. Das ist die Art von Reaktion, die Leonard ganz sicher gefiel. Seine Fotografien nötigten die Menschen, sich zu positionieren.

Man muss bedenken, dass das Fotografieren kein Hobby von ihm war, sondern es trat irgendwann an die Stelle der Schauspielerei als Beruf. Seine Bilder wurden in Galerien ausgestellt und an Sammler verkauft. Ich erwarb mehrere, und sie hingen bei mir zu Hause. Die Serie, die mich besonders ansprach, nannte er The Full Body Project. Vermutlich wäre es besser für mich gewesen, hätte ich diese Fotos vor der Anfrage des Playboy gesehen. Das Projekt begann für Leonard mit einem Seminar, in dem er einige Arbeiten von sich zeigte. Danach kam eine sehr üppige Frau, die mindestens einhundertdreißig Kilo wog, auf ihn zu und sagte: »Ich bin ein anderer Körpertyp, und ich bin Model. Hätten Sie Interesse, mit mir zu arbeiten?«

Ich höre fast, wie Leonards Gedanken einen Gang höher schalteten. »Wie fotografiere ich sie?«, fragte er sich. »Journalistisch? Sollte es etwas Redaktionelles werden? Ein Kunstprojekt? Wie sollte ich sie ausleuchten? Wie präsentieren? Von vorn in ihrer ganzen Nacktheit? Als Skulptur? Am Ende entschied ich mich für Letzteres.« Sie nahm klassische Posen ein, und »ihr Körper formte sich wie eine Skulptur aus Marmor«. Als er einige dieser Fotos in einer Ausstellung zeigte, erregten sie bei Weitem die meiste Aufmerksamkeit. Leonard hatte sein Thema gefunden. Ursprünglich hatte er vorgehabt, berühmte Bilder von Models mit fülligen Frauen wie dieser nachzustellen. Er dachte konkreter darüber nach und beschloss zu untersuchen, wie die amerikanische Kultur den dünnen Körper verehrt, wie unser Konzept von Schönheit aussieht. Wie er sagte: »Die Idee zog mich in ihren Bann.«

Leonard hatte sich Lichtjahre von Spock entfernt.

Glücklicherweise fand er eine Gruppe von Burlesque-Tänzerinnen, die sich Fat-Bottom Revue nannte. Alle Tänzerinnen waren selbstbewusst korpulent, manche sogar fettleibig, und hatten nicht das Bedürfnis, sich zu verstecken. Die Gründerin der Gruppe, Heather MacAllister, eine Anthropologin, sagte Leonard, wann immer ein dicker Mensch auf einer Bühne auftrete, sei das kein Gag, sondern eine politische Aussage. Das muss ihn tief beeindruckt haben und war sicher ein Funke, der seine Kreativität entfachte. Ich denke, er nahm sich vor, dieses Statement optisch darzustellen. Die Tänzerinnen posierten gern für ihn, und das Ergebnis ist eine verblüffende Sammlung, die den Betrachter geradezu zwingt, innezuhalten und sein eigenes Konzept von Weiblichkeit zu überdenken. Auf einem klassischen Bild ließ er Matisses Gemälde Der Tanz von diesen Frauen nachstellen.

Wie ein Kritiker kommentierte: »Mit dieser Arbeit ist Leonard Nimoy in Galaxien vorgedrungen, die nie ein Fotograf zuvor betreten hat.« Womit er wieder einmal bewies, dass Star Trek nach wie vor omnipräsent war.

Und vielleicht ist es das, was Leonard vor Augen hatte, als er sein letztes großes Projekt anging, das er Secret Selves nannte. Es basierte, wie er sagte, auf Platons Geschichte über den griechischen Philosophen und Dramatiker Aristophanes, der eine Erklärung für die innere Unruhe der Menschen suchte. Schließlich mutmaßte er, dass die Menschen früher als Doppelwesen auf die Welt gekommen waren, Rücken an Rücken, mit zwei Köpfen, vier Armen und vier Beinen. Seitdem der mächtige Zeus sie mit seinem Schwert in zwei Hälften zerteilt hatte, fehlte den Menschen eine Hälfte, und sie suchten nach den verlorenen Anteilen, die ihnen das Gefühl von Ganzheit zurückgaben. Er erklärte, sein Thema sei, »dass wir alle Aspekte unserer selbst haben, die andere Menschen nicht unbedingt sehen oder kennen«, und er wollte einigen Menschen die Gelegenheit geben, diesen Teil ihrer Persönlichkeit zu zeigen.

Meine Playboy-Fotos hatten zugegebenermaßen keinen derart noblen Hintergrund.

Ich verstand, worauf Leonard hinauswollte, was er in einem sehr modernen Kontext deutlich machen wollte. Ich dachte während einer Kostümprobe für ein Theaterstück über sein Konzept nach. Die Kostümdame brachte mir einige Kleidungsstücke nach Hause, und wir probierten verschiedene Kombinationen aus. Wir wollten sehen, was gut wirkte.

Da mein Charakter cool und gerissen sein sollte, zog sie mich entsprechend an. Ich mochte das Gefühl. In meinem eigenen Leben bin ich weder cool noch gerissen. Niemand, der mich gut kennt, käme auf den Gedanken, mir diese Eigenschaften zuzuschreiben. Aber als ich mich als dieser Jemand kleidete, genoss ich das sehr und fragte mich, ob wir alle die Kleidung tragen, die am besten zu unserem wahren Ich passt, oder ob wir uns so kleiden, wie wir sein wollen, und dann irgendwie zu dieser Person werden.

Leonard sah immer cool aus. Er hatte immer die richtige Männerhandtasche, während ich mir alles in die Hosentaschen stopfte. Ich wollte so aussehen wie er. Für das Secret-Selves-Projekt bat Leonard etwa hundert Menschen aus Northampton, Massachusetts, in seine dortige Galerie, die R. Michelson Galleries, gekleidet als die Personen, die sie wirklich zu sein glaubten, auf einer sehr tiefen Ebene – ihrem geheimen Ich. Zwei Tage lang fotografierte und interviewte Leonard fünfundneunzig Menschen, die meisten in einem entsprechenden Outfit. Die Videoaufnahmen dieser Gespräche sind sehr spannend.

Die Geschichten der Personen reichten von bizarr bis rührend, aber jeder von ihnen enthüllte etwas Wesentliches über sich selbst vor der Kamera. Ein Maler, der Kriegsteilnehmer porträtierte, träumte von einem einfacheren Leben in den Wäldern und kam als Baum. Eine Frau, die einige Jahre zuvor ihren Ehemann verloren hatte und sich seitdem für niemanden mehr entkleidet hatte, wollte sich noch einmal wirklich schön fühlen und posierte nackt. Ein Kunstkritiker hegte den Traum, »ein wahnsinniger, aber nicht völlig abgedrehter Wissenschaftler zu werden«, und hielt für das Foto ein »nukleares blaues Ding« in der Hand, das er angefertigt hatte. Ein Steuerberater, der in seiner Fantasie ein Rockstar war und vor Tausenden kreischenden Mädchen spielte, zog sich bis auf die weiße Unterhose aus und schrammelte auf seiner Gitarre herum. Eine junge Frau, die sich ihrer Kindheit beraubt fühlte, weil ihr Vater ein reisender evangelikaler Prediger war, trug einen grünen Kapuzenpullover mit gelben Dinosaurierstacheln. Wenigstens für einen Moment wollte sie »das Kind sein, das ich nie sein konnte«.

Schauspieler wie Leonard und ich hatten uns während unseres Arbeitslebens sehr häufig als andere Personen verkleidet. Es ist unendlich spannend, diese Fotografien anzusehen. Und genau wie bei Leonards anderen Arbeiten kann man sie nicht betrachten, ohne sich in die Porträtierten hineinzuversetzen.

Als Leonard gefragt wurde, weshalb ihn die künstlerische Fotografie so stark angezogen habe, erklärte er: »Ich wollte die Philosophie des Sehens verstehen, meine Augen für Licht, Schatten und Textur öffnen.« Darüber hinaus waren seine provokanten Fotografien die passende Begleitung zum geschriebenen Wort. Als er damit begann, Studioaufnahmen zu machen, überlegte er, in welchem Format er sie am besten veröffentlichen sollte, und entschied sich für ein Buch mit Fotografien und Texten, die aber nicht bloß Erklärungen zu den Bildern sein sollten, sondern Gedichte.

Seine Faszination für die Poesie begann im Alter von acht Jahren, sagte er, als er an einem Springbrunnen stehen blieb und neugierig die Inschrift las: »Wirf dein Brot über das Wasser, so wirst du es finden nach vielen Tagen.« Er nahm die Aufforderung wörtlich und warf Brotkrumen in den Springbrunnen, wo sie sogleich von Tauben aufgepickt wurden. Trotzdem kam er über mehrere Tage immer wieder zurück und fragte sich, wie viele Tage »viele« waren und was genau er zu erwarten hatte.

In den ersten Jahren unserer Zusammenarbeit wusste ich nicht, dass Leonard Gedichte schrieb. Besser gesagt, ich wusste nicht, dass Leonard ein Dichter war. Das war der Teil seiner Seele, den ich noch nicht kennengelernt hatte. Der, mit dem ich inzwischen vertraut war, war sein geradliniger Intellekt. Er war sehr konzentriert auf die alltäglichen Umstände seiner Arbeit, darauf, Probleme des Skripts zu lösen und faire Absprachen auszuhandeln. Er lebte in der Welt von Staus, Rechnungen, die am Ende des Monats bezahlt werden müssen, und dem Dauerthema der Sorgen um das nächste Engagement. Poesie schien kein Element dieser Welt zu sein. Sie spielte sich ganz woanders ab, und bis er seinen ersten Gedichtband You & I veröffentlichte, hatte er weder mir noch sonst jemandem von Star Trek einen Einblick in diesen Bereich seiner Persönlichkeit gewährt.

Ich wusste allerdings, dass er die englische Sprache liebte. Das sah ich schon daran, wie er mit den Textbüchern arbeitete. Zur gelegentlichen Verzweiflung der Autoren war er kein Schauspieler, der lockerließ, wenn er glaubte, etwas könne besser ausgedrückt werden. Daher Spocks präziser Umgang mit Sprache. Viel von dem Humor der Serie entstand dadurch, dass Spock auf einen bestimmten Ausdruck von einem von uns reagierte, statt auf die intendierte Bedeutung. Woher auch immer sie kamen, Leonards Gedichte waren Wortbilder. Genau wie mit der Kamera wollte er mit seiner Poesie Gefühle erfassen.

Ich bin ein unheilbarer Romantiker

Ich glaube an Hoffnung, Träume und Anstand

Ich glaube an Liebe,

Zärtlichkeit und Freundlichkeit

Ich glaube an die Menschheit4

Dieses erste Buch sollte eine kleine Auflage haben, er wollte »probeweise die Maske vor seinen privaten Gedanken heben«, sagte Leonard. Aber zu jener Zeit fand alles, was mit Spock zusammenhing, reißenden Absatz, sodass das Buch sich häufiger verkaufte als gedacht. Es gab fünf Auflagen und insgesamt 50000 Hardcover-Exemplare. Wie Leonard stolz hervorhob, betrug die erste Auflage der Taschenbuchausgabe 250000 Exemplare. Was beim Verkauf des Buchs half, war natürlich Leonards Bereitschaft, es zu bewerben, indem er Autogrammstunden in Buchhandlungen gab. Okay, es handelte sich um Gedichte von Leonard Nimoy – aber die Fans bekamen Spocks Unterschrift. An einem denkwürdigen Abend jedoch, bei einer Autogrammstunde in Oradell, New Jersey, war seine Konkurrenz erfolgreicher als er. Am gleichen Tag signierte Linda Lovelace, die durch den ganz und gar nicht jugendfreien Film Deep Throat berühmt geworden war, ihr eigenes Buch. »Vor mir standen ein paar Leute«, erzählte Leonard lachend, »und ihre Schlange ging einmal um den ganzen Block.« Leonard fiel jedoch ein sehr gutes Verkaufsargument ein: Er sagte, You & I sei ein wunderbares Geschenkbuch und fragte: »Oder würden Sie Ihrer Mutter ein Buch von Linda Lovelace unter den Tannenbaum legen?«

Er veröffentlichte in zwanzig Jahren sieben Gedichtbände, und man konnte eine direkte Linie vom ersten bis zum letzten ziehen – so wenig hatte er sich verändert. Einen Dichter anhand seines Werks zu verstehen erfordert mehr Bildung, als ich habe, aber wenn ich seine Gedichte lese, wird deutlich, dass Leonard vom Beginn bis zum Ende darauf aus war, große Themen wie Liebe, Mitleid, Verlust und die endlose Suche nach den Wurzeln zu beschreiben. Der Mann war damit berühmt geworden, dass er den ultimativ emotionslosen Charakter verkörpert hatte. Nun beleuchteten seine Gedichte gekonnt eine Vielzahl an Gefühlen.

Einige Kritiker schrieben, er habe seine Stimme mit der Kunst gefunden, aber in Wirklichkeit fand er seine Stimme durch seine Stimme. Seinen Lebensunterhalt als Schauspieler zu verdienen kann ganz schön stressig sein. Man ergreift jede Chance. Leonard hatte einen melodischen Bariton. Schließen Sie die Augen und hören Sie einfach zu – Ihre Erinnerung kennt seine Stimme sicher. Diese Stimme war ein wichtiges Instrument für ihn als Schauspieler, und selbst als er kaum noch als Schauspieler in Erscheinung trat, tat er es mit seiner Stimme.

Es gibt Sänger, die ihr Leben lang um den Durchbruch kämpfen. Für Leonard und mich kam der Erfolg als Sänger gewissermaßen als Dreingabe. Für mich war das nie ein Ziel, das ich ernsthaft angestrebt hätte, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Leonard heimlich davon träumte, ein britischer Starsänger zu werden. Der Rockstar-Look der Sechzigerjahre waren die Pilzköpfe der Beatles oder lange Haare in verschiedenen Variationen. Spocks Haar lässt sich ja am ehesten als glatter Helm bezeichnen. Während wir die Originalserie drehten, sagte ein Paramount-Manager zu Leonard: »In New York gibt es einen Herrn, der eine Platte mit Musik von Star Trek produziert. Sie sind als Spock auf dem Cover abgebildet. Haben Sie Interesse, an dem Album mitzuwirken?«

So groß war die Anziehungskraft von Spock. Man brauchte bloß ein Foto von ihm auf ein Albumcover packen, und es verkaufte sich – wobei Leonard keinen Penny davon sah. Er verkörperte Spock zwar, besaß aber keinerlei Rechte an der Figur. Sechs der zwölf Tracks auf Mr. Spock’s Music from Outer Space waren bereits fertiggestellt worden. Leonard willigte ein, die übrigen sechs als Sprechgesang aufzunehmen – in der Rolle von Spock. Leonard war Koautor mehrerer Songs auf dem Album, darunter »Music to Watch Space Girls By«, »Twinkle, Twinkle, Little Earth« und natürlich »Highly Illogical«. Ein Amazon-Rezensent aus jüngerer Zeit schrieb, Leonards Spoken-Word-Interpretationen hätten ihm gefallen, beschrieb jedoch einen Song mit dem Titel »Amphibious Assault«, der einige Alben später erschien, als Musik, die »George Patton auf LSD geschrieben hätte«.

Zwar nahm Leonard fast alles ernst, was er tat – ganz im Sinn unserer Arbeitsmoral –, aber er bildete sich nicht ein, ein klassischer Sänger zu sein. Vielmehr gab er zu: »Ich bin ein Schauspieler, der Musik aufgenommen hat. Ich wäre sehr überrascht, wenn aus meiner Gesangskarriere plötzlich etwas würde. Ich will nicht über meine eigenen Fähigkeiten urteilen, aber ich bin siebenunddreißig Jahre alt und seit siebzehn Jahren Schauspieler. Als Sänger bin ich dagegen ein Anfänger.«

Dot Record bewarb das Album massiv. Erschien Leonard für Promotion-Aktionen in Plattenläden, wurde er üblicherweise von Hunderten kreischender – und Platten kaufender – Kids begrüßt. Als er in Cambridge war, kam seine Mutter vorbei und sagte zu einem Reporter: »Er sieht müde aus. Er ist so ein müder Junge.« Etwa eine Stunde vorher war sie mit ihm bei einer Fernsehveranstaltung gewesen – und hatte ihm, wie dieser Reporter bemerkte, einen Teller Kreplach gebracht. Was seine Karriere als Sänger angeht, kommentierte sie: »Er hatte immer ein gewisses Händchen für öffentliche Auftritte. Er benimmt sich sehr anständig.«

Mr. Spock’s Music war so erfolgreich, dass die Plattenfirma Dot – die zu Paramount gehörte – Leonard für weitere Alben unter Vertrag nahm, diesmal als Leonard Nimoy. Einige Aufnahmen wurden als Singles herausgebracht, und Leonard trat in einigen der beliebtesten Unterhaltungssendungen und Talkshows auf, um Werbung dafür zu machen. In seiner musikalischen Karriere brachte er fünf Alben heraus, wovon die erfolgreichsten die mit so etwas wie Folkrock waren. 1997 veröffentlichte ein Musikverlag eine Kompilation der »größten Hits« von uns beiden. Spaced Out hieß das Album, und ein Kritiker beschrieb es als »surreale Selbstgespräche, wahnsinnige Wortkaskaden und seltsame Monologe«.

Aber der eine Song, der die meiste Aufmerksamkeit erregt hatte und das … nun ja, das Highlight seiner musikalischen Karriere darstellt, brachte zwei Kultwelten zusammen: Star Trek und Der Herr der Ringe. Wenn das kein Zusammenstoß zweier Welten ist … Leonard war ein großer Fan von Der Hobbit, also war es nicht allzu überraschend, dass er ein Lied mit dem Titel »The Ballad of Bilbo Baggins« aufnehmen wollte. Es befand sich auf seinem zweiten Album, und er spielte es in mehreren Fernsehsendungen, darunter auch bei American Bandstand und in einer kurzlebigen Sendung mit Ricky Nelson als Gastgeber, die Malibu U hieß. Über den Song befragt, beschrieb er ihn als reizendes Kinderlied unter der Überschrift »Pass auf, was du tust, denn es wird dich lange begleiten«. Ein Video von ihm, bei dem er in der Sendung die Lippensynchronisation für das Lied macht, wurde auf YouTube über drei Millionen Mal angesehen – und als er einen Werbespot mit Zachary Quinto für Audi America drehte, ist es dieses Lied, das er im Auto vor sich hin singt.

Ohne Frage, eins der Projekte, die Leonard am meisten Spaß machten, hieß Alien Voices. Die Aliens waren Leonard und John de Lancie, der den omnipotenten Star-Trek-Charakter Q gespielt hatte. In den frühen Neunzigerjahren ließen einige Freunde von Leonard die großartigste Radiosendung aller Zeiten wiederaufleben, Howard Kochs Adaption von Orson Welles’ Krieg der Welten. Die Geschichte war in der Sendung von 1938 so überzeugend rübergebracht worden, dass Zuhörer in einigen Teilen des Landes tatsächlich glaubten, es gebe eine Invasion von Außerirdischen vom Mars. Passenderweise las also ausgerechnet Spock eine Neuauflage der ersten großen amerikanischen Geschichte einer Alien-Invasion: John de Lancie sollte bei dem Revival Regie führen und Leonard Welles’ Rolle übernehmen. Einer der Vorteile, ein alternder Schauspieler mit einem guten Ruf zu sein, besteht darin, dass man es sich leisten kann, Dinge einfach nur zum Spaß zu machen. Leonard und ich hatten beide beim Radio angefangen, das tolle Geschichten im Kopf zum Leben erweckt, beeinflusst durch die eigene Erfahrung. Radiodramen gibt es kaum noch, also war klar, dass Leonard dieses Angebot nicht ablehnen konnte.

Offenbar machte es genauso viel Spaß, wie man vermuten würde. Leonard und John fanden sogar so großen Gefallen daran, dass sie ein Unternehmen gründeten, um mehr dieser klassischen Geschichten als Audiodramen aufzunehmen. Wie John erklärte: »Ich habe zu Leonard gesagt: ›Sieh mal, du bist ein Außerirdischer, ich bin ein Außerirdischer. Wir nennen das Ganze Alien Voices und machen Adaptionen von klassischen Science-Fiction-Storys.‹«

Anscheinend begriff Leonard sofort, worauf John abzielte, und antwortete: »Ich war auf der Suche nach einer Arbeit, die mir genau diese Art von Kreativität ermöglichte.«

Es war wirklich ein perfektes Konzept. Wie John es beschrieb: »Wir alle lieben Radio, weil Klang ein direkter Weg in unsere Fantasie ist. In einem Zeitalter greller optischer Effekte hat der Geist nach wie vor die Kraft, sich die tollste Szenerie, die schnellsten Raumschiffe und die schönsten Frauen auszumalen.« Sie konnten einige der besten Abenteuergeschichten, die je geschrieben wurden, einer neuen Generation wieder zugänglich machen.

Die ersten beiden Projekte, die sie in einem Studio aufnahmen und als Hörbücher herausbrachten, waren Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde und H.G. Wells’ Die Zeitmaschine. Es trat jedoch ein unerwartetes technisches Problem auf: Leonard liebte Schokolade. Leonards Vorliebe für Süßigkeiten war wohlbekannt, und Schokolade mochte er am liebsten. Anscheinend stand im Studio eine große Schüssel mit Schokopralinen, und Leonard langte ordentlich zu. Der Toningenieur sagte John schließlich, er müsse Leonard verbieten, weiterhin Schokolade zu essen – das verklebe die Aufnahmen. Anscheinend klebt Schokolade in der Kehle und verändert die Stimme. Da John Leonard nicht verärgern wollte, schlug er diplomatisch vor: »He! Willst du nicht mal einen knackigen Apfel essen?« Äpfel sollen die Kehle frei machen.

Leonard lachte laut und schob sich ein weiteres Stück Schokolade in den Mund. Der Toningenieur bewahrte die Aufnahme trotzdem auf und entwickelte einen Algorithmus, der die Schokolade erfolgreich herausfilterte. Der Leonard-Filter, wie er fortan hieß, wurde über die nächsten Jahre immer wieder angewendet.

Nachdem die ersten beiden Produktionen so eingeschlagen hatten, beschlossen sie, einen Schritt weiterzugehen, und planten eine szenische Lesung. Dabei lesen die Schauspieler ihre Rollen vor Publikum. An dieser Stelle kam ich ins Spiel. Sie hatten sich für H.G. Wells’ Die ersten Menschen auf dem Mond entschieden, mit Orchester und Soundeffekten. John fragte beim Sender Syfy an, und man antwortete ihm sinngemäß: »Wenn wir Nimoy kriegen können, nehmen wir ihn, egal wie!« Die Lesung wurde vor siebzehnhundert Besuchern im historischen Variety Arts Theatre aufgenommen. Die meisten Beteiligten waren in einer der vielen Star-Trek-Versionen aufgetreten. Ich freute mich riesig, dort mitzumachen, obwohl ich als »Überraschungsgast« angekündigt wurde. Ich las den Großen Lunar, den König des Mondes! Als ich einige Minuten nach Beginn der Show auf die Bühne trat, wurde ich sehr nett vom Publikum empfangen. Ich nahm meinen Platz vorm Mikrofon ein, hielt mein Textbuch hoch und sagte in einem zögernden Falsett: »Welcome to the moon.« Leonard und John hatten Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen. Für einen Schauspieler gibt es fast nichts Lustigeres, als den Kollegen mitten in einer Aufführung zuzusehen, wie sie sich verzweifelt bemühen, nicht aus der Rolle zu fallen und in Gelächter auszubrechen. Denn wenn sie einmal raus sind, sind sie verloren. Sie holen tief Luft, ziehen die Wangen ein und wenden jede ihnen bekannte Strategie an, um nicht zu lachen. Leonard und John schafften es. Das Publikum versuchte es gar nicht erst.

Das Konzept war so attraktiv, dass sie damit zu Disney gingen, und zwar mit der Idee, aus Die ersten Menschen auf dem Mond einen Spielfilm zu machen. Disney war begeistert, verlangte jedoch zwei Änderungen. Zum einen sollte eine Achtzehnjährige hineingeschrieben werden. Zum anderen wollten sie eine moderne Fassung haben. John wandte ein, dass es sehr schwierig sei, einer in der Gegenwart spielenden Geschichte den Titel Die ersten Menschen auf dem Mond zu geben. Schließlich sei ja allgemein bekannt, dass bereits Menschen auf dem Mond gewesen waren. Der Manager dachte einen Moment lang nach und sagte dann: »Dann verlegen wir das Ganze doch einfach auf den Mars!«

Statt H.G. Wells’ Die ersten Menschen, darunter ein achtzehnjähriges Mädchen, auf dem Mars zu verfilmen, einigten Leonard und John sich darauf, zu ihrem ursprünglichen Konzept zurückzukehren. Sie führten Sir Arthur Conan Doyles Die verlorene Welt sowie eine Halloween-Trilogie mit Geschichten von Poe, Kipling und Wilde sowie Wells’ Der Unsichtbare auf, das perfekt geeignet war für eine Audioproduktion.

Was Leonard an diesem Format ansprach, war der Schwerpunkt, der auf der Geschichte lag. »Kehrt man zurück zu den Wurzeln«, erklärte er dem Autor Paul Simpson im Magazin Dreamwatch, »entdeckt man, worüber diese Autoren wirklich nachgedacht haben und wie der soziale Kontext einiger dieser Projekte war, was vielleicht über die Jahre durch veränderte Fassungen verloren gegangen ist.«

Leonard und John verfassten außerdem einen Originaltext, den sie überwiegend auf Conventions zum Besten gaben. Spock vs. Q, worin sie in ihren legendären Rollen über das Schicksal der Erde debattieren, erwies sich als so beliebt, dass sie eine zweite Version schrieben. Sie erhielten sogar Anfragen von Schulen und Universitäten nach dem Skript, die ihre eigenen Darbietungen erarbeiten wollten. Es war das ideale Konzept für Schüler und Studenten: Man brauchte keine Kostüme oder Kulissen und musste auch keinen Text lernen. Jungen Menschen den Zugang zur Schauspielerei zu erleichtern war Leonard offenbar ein solches Anliegen, dass er und John ein weiteres Stück ausdrücklich für diese Zielgruppe schrieben: The Wright Brothers’ First Flight. Während sie das Stück aufführten, drehten sie ein Lehrvideo mit »wichtigen Lektionen und Techniken … darunter der Erstellung von Spezialeffekten, Ton und Originalmusik«.

Alien Voices war ein über vier Jahre anhaltender Erfolg, und die Aufnahmen der Geschichten sind immer noch erhältlich.

Ich glaube nicht, dass jemals irgendein Schauspieler tatsächlich in den Ruhestand gegangen ist. Sie warten doch alle immer auf die eine Rolle, die sie packt, ihre Vorstellungskraft in Gang setzt oder, in manchen Fällen, einfach finanziell etwas abwirft. Später im Leben bekam Leonard so viele Angebote, dass er es sich leisten konnte, sich das auszusuchen, was er annehmen wollte.

Er machte viele Voice-over-Aufnahmen, die für einen Schauspieler vergleichsweise einfach sind. Einfach natürlich nur, was das Äußere angeht – man muss nicht in die Maske! Ich kann mir vorstellen, dass ihm das besonders gefiel. Seine Stimme war in zwei Transformers-Filmen zu hören. In Der Kampf um Cybertron von 1986 lieh er sie dem denkwürdigen Charakter Galvatron, der seinen Schurkenkollegen Starscream in die Luft jagt, und 2011 dem auf dem Mond gestrandeten Roboterkrieger Sentinel Prime in Die dunkle Seite des Mondes. In der Hanna-Barbera-Tageslicht-Version von Ray Bradburys The Halloween Tree, die einen Emmy gewann, sprach er den Anführer der Kinder, Mr. Moundshroud. Er machte Voice-overs für den hauptsächlich animierten Film Der Pagemaster von 1994 und den Zeichentrickfilm Atlantis – Das Geheimnis der verlorenen Stadt im Jahr 2001. Er war außerdem der Sprecher in den Videospielen Star Trek Online und Civilization IV und trat sogar in zwei Folgen der Simpsons auf. Das Ergebnis war, wie er einmal sagte, dass er Generationen von Fans vereinte. »Das ist sehr befriedigend«, sagte er. »Vor vielen Jahren sagten die Menschen zu mir: ›Meine Kinder sind verrückt nach Ihnen!‹ Jetzt sagen junge Leute zu mir: ›Meine Großeltern sind verrückt nach Ihnen!‹«

Ein letztes Mal schlüpfte er in die Rolle von Mr. Spock in einer Folge von The Big Bang Theory. In dieser beliebten Serie, der ultimativen Geek-Komödie, besucht Spock als Spielzeugfigur mit Leonards Stimme den von Jim Parsons gespielten Charakter Sheldon Cooper in einer Traumsequenz. Und sollten noch Zweifel darüber bestanden haben, welches Ansehen Leonard in der großen Geek-Gemeinde genoss, wie sehr er verehrt wurde, wurden diese in einer Episode von 2008 endgültig ausgeräumt, in der Sheldon das Geschenk seines Lebens bekommt: eine Stoffserviette mit Autogramm von Leonard, mit der dieser sich den Mund abgewischt haben soll. Wie der schockierte, begeisterte und vielleicht ein wenig diabolische Wissenschaftler erklärt: »Ich besitze die DNA von Leonard Nimoy?! … Ist dir eigentlich klar, was das bedeutet? … Ich kann mir meinen eigenen Leonard Nimoy züchten!«

Leonard war tatsächlich gebeten worden, die Serviette zu unterschreiben, die für die Szene benutzt werden sollte. Es war ein Witz für die Besetzung, den er gern mitmachte. Diese Serviette hängt nun eingerahmt am Hauptset der Serie.

Das Voice-over für The Big Bang Theory war Spocks letzter Auftritt im Fernsehen, auch wenn er Leonard weiterhin begleitete. Ich weiß noch, wie Leonard mir eines Tages erzählte, er habe Barack Obama getroffen. Das war im Jahr 2008, als Obama gerade seine Kandidatur angekündigt hatte. Dass Leonard zu einem Mittagessen mit ihm eingeladen wurde, war nicht weiter verwunderlich. Ich nehme an, nach seinem lebenslangen politischen Engagement erfüllte es ihn mit Befriedigung, dass erstmals ein junger Afroamerikaner ein ernst zu nehmender Präsidentschaftskandidat war. Es handelte sich um Treffen in kleiner Runde bei irgendjemandem zu Hause, eine typische Begegnung mit einem Politiker und … Ach so, haben Sie zufällig Ihr Scheckheft dabei? Aber wie Leonard die Begebenheit erzählt: »Wir standen auf der Terrasse nach hinten raus und warteten auf ihn. Er kam herein und durchquerte das Haus. Als er mich sah, blieb er stehen und hob die Hand zum Vulkanischen Gruß. Er lächelte sehr breit und sagte: ›Man hat mir gesagt, dass Sie hier sind.‹ Wir unterhielten uns nett, am Ende gaben wir uns die Hände, und ich sagte zu ihm: ›Es wäre nur logisch, wenn Sie Präsident würden.‹«

Er spielte noch eine letzte Rolle: in J.J. Abrams TV-Serie Fringe die eines Wissenschaftlers, der in einem Paralleluniversum lebt. Gefragt, warum er diesen Part übernahm, erklärte Leonard: »Ich hatte nicht vor, noch zu arbeiten. Aber ich betrachte es nicht als Arbeit. Es macht einfach Spaß.« Die Serie, die fünf Staffeln lang lief, spielt in einer fiktionalen Zukunft und dreht sich um die Heldentaten bei der Verbrechensbekämpfung der nicht sehr bekannten FBI-Abteilung Fringe Division. Die Serie enthält von allem etwas: Akte X, Der Höllentrip, The Twilight Zone sowie von Polizeiserien wie CSI. Obwohl Leonards Figur eine wichtige Funktion in der Handlung einnimmt, erscheint er nur als Stimme. Die Autoren überlegten sich clevere Auswege für Fälle, in denen seine physische Anwesenheit nötig gewesen wäre. So gab es zum Beispiel eine Zeichentrickfolge und eine Episode, in der er einen anderen Körper besitzt.

Nach den ersten beiden Staffeln fand Leonard, sein Charakter, William Bell, sei zu nett geworden und damit für ihn als Schauspieler langweilig. Das änderten die Autoren, verwandelten Bell in einen bösen Charakter – und gewannen so Leonards Interesse zumindest insoweit wieder, als er einwilligte, noch einen Überraschungsauftritt in der Serie zu absolvieren. »J.J. Abrams ist ein Freund von mir«, sagte er. »Wenn er etwas von mir will, höre ich ihm zu. Und ich habe immer noch eine Schwäche für gute Rollen, von daher ließ ich mich ziemlich leicht davon überzeugen, dass mir diese Rolle eine spannende Herausforderung bot. Hier konnte ich lange nicht mehr gespielte Wesenszüge darstellen.« Er verkörperte also ein letztes Mal den Schurken.


4 Leonard Nimoy: Ein Leben voller Liebe: Gedichte auf den Reisen durch das Leben, übersetzt von Margitta Warnecke, Norderstedt 2006