BEQUEMLICHKEIT
BRAUCHST DU DIE WIRKLICH?
»… das Verlangen nach Bequemlichkeit, dieses hinterhältige Wesen, das das Haus als Gast betritt und dann zum Gastgeber wird und schließlich zum Herrn«
Kahlil Gibran, »Von Häusern«
[entnommen aus: Der Prophet
. Weimar: aionas, 2018, S. 45/47]
V
iele unserer ökonomischen Entscheidungen werden von unserer Bequemlichkeit beeinflusst. Wieso den Wagen nehmen und nicht mit dem Rad fahren, um eine Besorgung in weniger als einem Kilometer Entfernung zu erledigen? Damit du nicht ins Schwitzen gerätst, die Anstrengung reduzierst und Zeit sparst (was nicht zwangsläufig der Fall ist) – kurz gesagt: aus Gründen der Bequemlichkeit.
Sicherheit gehört zu der oft als Pyramide dargestellten »Bedürfnishierarchie« des Psychologen Abraham Maslow. In der heutigen Welt würden wir vermutlich das Bedürfnis nach Bequemlichkeit mit in diese Pyramide packen, wie auch Ansehen, Zugehörigkeit und Selbstverwirklichung.
Wenn wir ein bequemes Leben führen, ist es tatsächlich so, als würden wir mit unseren Bedürfnissen verschmelzen.
Wir bauen uns ein Leben auf; legen uns zu, was wir für unseren Grundbedarf halten: eine Waschmaschine, ein Auto, ein Zuhause. Und dann wollen wir es genauso bequem wie andere haben.
Der Moment, in dem du das Haus eines anderen betrittst, beginnt das Vergleichen. Gibt es hier mehr Bequemlichkeit als bei mir? Ein (un-)bewusster Teil unseres Gehirns wird angesprochen. Freunde sind wie Fans des Toronto Baseballteams Blue Jays: nur allzu gern wandelnde Plakatwände für die Konsumgesellschaft.
Wenn wir Leute zu Besuch haben, weisen wir gern auf den Swimmingpool oder das gerade erworbene Sofa hin. Als würde die Summe dessen, was wir kaufen, eine gesellschaftliche Stellung erzeugen. Je mehr Bequemlichkeit wir
vorweisen können, desto mehr Selbstwertgefühl haben wir
: Wir bewundern den Komfort, den wir für uns erworben haben, als wäre dessen Erlangung per se schon eine Leistung.
Die Bequemlichkeit ist Bestandteil eines universellen Ziels. In einer Gesellschaft, in der es nicht länger um das reine Überleben geht, haben wir uns einen oberflächlicheren Kampf ausgesucht. Ob wir neue Feinschmeckergipfel anstreben oder uns mit Junkfood vollstopfen, das Leder in einem neuen Wagen bewundern oder uns an dem ach so angenehmen Blick der Bewunderung von anderen erfreuen: Wir verlangen nach einem bestimmten Maß an Bequemlichkeit.
Am Ende vergessen wir, was Unbequemlichkeit ist. Wir sind es nicht mehr gewohnt, uns anzustrengen, Opfer zu bringen, in etwas zu investieren oder nach etwas zu streben. Schließlich sagen wir: »So bin ich eben und so ist es halt.« Letztlich wird aber die Suche nach Bequemlichkeit und Glück, ohne Opfer dafür bringen zu müssen, zu unserem Nachteil.
Die Bequemlichkeitsdroge: die Suche nach Trägheit
Deinen persönlichen Finanzen Aufmerksamkeit zu schenken, geht mit Opportunitätskosten einher. Etwas nebenher zu verdienen, erfordert ständige Anstrengungen, genauso wie die Reduktion von Kosten.
Es macht mehr Spaß, sein Sandwich in einem Café zu essen, in dem man umgeben von Menschen ist, als es zu Hause allein zu tun. Genauso ist es einfacher, jeden Abend vor dem Fernseher abzuhängen, statt eine halbe Stunde joggen zu gehen.
Bequemlichkeit ist eine Droge, die uns genauso ruft wie der Heißhunger nach Süßem. Sie ist verantwortlich für ein paar zweifelhafte ökonomische Entscheidungen. Der kontinuierliche Austausch von Sachen weckt in uns eine andere Art von Bequemlichkeit: den Komfort, dass wir ganz vorne dabei sind. Wir weigern uns, den Anschluss an die Mode zu verpassen. Als würde unser Verstand dadurch beruhigt, dass wir immer das Neueste haben. Wir suchen immerzu nach allem Neuen, als würden wir dadurch jung bleiben oder langsamer altern.
Das Streben nach Bequemlichkeit richtet nicht nur in unserem Portemonnaie einen verheerenden Schaden an; es prägt sich in unserem Kopf ein und erzeugt Trägheit. Und dann, schließlich, im Namen der Bequemlichkeit, wollen wir nichts mehr verändern: Wir stagnieren auf unserer Verbesserungskurve.
Wir erreichen einen Scheitelpunkt, eine erste Ableitungskurve, die auf der fortgesetzten Verbesserungskurve gleich null ist (etwas für die Nerds da draußen).
Bequemlichkeit in der Liebe
Auf der Straße zum Angenehmen bildet die Liebe keine Ausnahme. Eine bequeme, fest etablierte Liebesbeziehung eliminiert das Verlangen, von Neuem zu beginnen. Das Unbehagen einer unbefriedigenden, aber stabilen Beziehung ist manchmal das kleinere Übel, verglichen mit der Unsicherheit und dem Schmerz einer Trennung.
Genauso kann es manchmal weniger Unbehagen verursachen, eine noch recht frische Beziehung zu beenden, als mehr in sie zu investieren. Kompromisse können eine Quelle des Unbehagens sein; das Erreichen von Perfektion ist unmöglich und die Suche nach ihr erzeugt unterschiedliche Level des Wohlbefindens. Je mehr die Bequemlichkeit uns in die Trägheit versenkt, desto misstrauischer sind wir gegenüber Kompromissen, dem Teilen und Entwickeln unseres Lebens mit jemandem.
Ständiges Vergleichen
Andere können ohne Weiteres deinen Kampf um deinen Platz in der Gesellschaft und deine Bemühungen um das Erreichen deiner Ziele beurteilen. Wir vergleichen die Level der Bequemlichkeit. Statt sich zu sagen: »Sie arbeitet zu viel«, formuliert unser Gehirn es um in: »Sie ist bereit, sehr viel mehr Unbequemlichkeit auf sich zu nehmen als ich.«
Das bringt uns zum Begriff des Neids. Wir beneiden die andere Person um ihre Fähigkeit, Unbequemlichkeit aufrechtzuerhalten und zu akzeptieren, denn die Trägheit in unserem Kopf ist nicht darauf vorbereitet, eine derartige Kluft zu ertragen. Das Verleugnen anderer Möglichkeiten, um das vorhandene, zufriedenstellende Level an Bequemlichkeit aufrechtzuerhalten, wird zum Reflex.
Unsere Beziehung zur Umwelt wird ebenfalls von diesem Bedürfnis nach Bequemlichkeit angetrieben. Wir können ökofreundlich sein, solange wir keine zusätzlichen Anstrengungen unternehmen müssen, um verantwortungsbewusster zu sein. Gern stecken wir die Plastikflasche in einen
entsprechenden Sammelbehälter, aber nur, wenn einer zur Hand ist und uns die Mühe erspart, die Flasche mit nach Hause zu nehmen und dort zu entsorgen.
Oder mal angenommen, du willst dir ein E-Auto zulegen – aufgrund des psychologischen Wohlbehagens, eine umweltbewusste Entscheidung getroffen zu haben. Ein solches Auto kostet jedoch mehr, und das ruft wiederum ein wesentliches Unbehagen hervor. (Aber verringern wir den Energieverbrauch wirklich? Nicht so ganz, denn auch die »grüne Alternative« verbraucht bei der Herstellung und dem Betrieb Energie. Energie ist eine knappe Ressource, und auch wenn die Auswirkungen auf die Umwelt geringer ausfallen, so sind sie dennoch vorhanden.)
Das Gleiche gilt für das Duschen: Lieber verschwenden wir heißes Wasser und lassen es laufen, als das Wasser beim Einseifen abzustellen. Wir tauschen das nutzlose Laufenlassen des Wassers für mehrere Minuten gegen das angenehme Gefühl von Wärme ein.
Genauso heizen wir unsere Wohnung zwei Grad höher als nötig, weil es eben angenehm ist, auch im Winter mit einem T-Shirt herumzulaufen.
Und denke nur an die Beliebtheit von Remote-Start-Funktionen bei einem Auto, einem Produkt der Komfortgesellschaft. Im Kielwasser der Konsumgesellschaft sind wir in der Komfortgesellschaft angekommen.
Dann ist da auch noch das bizarre Verlangen, einfach viel zu besitzen. Für das Erledigen seltener Aufgaben häufen wir Sachen an. Sobald ein bestimmtes Bequemlichkeitsniveau erreicht ist, endest du in der lächerlichen Situation, ein Sammler zu sein.
Sachen anzusammeln, beschäftigt nicht nur unseren Verstand kontinuierlich, sondern füllt auch eine Leere. Denn diese Sachen sind der greifbare Beweis, dass wir mit etwas unsere Zeit verbracht haben, eine Möglichkeit, unserem Dasein Farbe zu verleihen.
Bequeme und glücklich machende Arbeit?
Wie Beziehungen so kann auch die Arbeit zu einer Quelle von Behagen oder Unbehagen werden. Ein fester Job mit einem anständigen Gehalt kann ein Hindernis dabei sein, das Risiko einzugehen, nach größerer beruflicher Erfüllung zu streben.
Andererseits: Was ist, wenn du einen Job hast, den du liebst, der aber die Miete nicht zahlt
?
Beruflich gesehen musst du die Unbequemlichkeiten von Risiko, Überstunden, Kompetenzausbau und Selbstvermarktung anhäufen, um am Ende deinen »Wert« auf dem Arbeitsmarkt herauszufinden.
Nehmen wir zum Beispiel einen Beamten im öffentlichen Dienst mit einer Pension. Bevor er eine berufliche Veränderung in Betracht zieht, zückt er seinen Taschenrechner. Wenn er rechnen kann, sieht er, dass er nach 10 oder 15 Jahren nicht aus dem Öffentlichen Dienst ausscheiden sollte, weil die Opportunitätskosten einfach zu hoch sind.
Eine Pension zahlt sich nur aus, wenn man bis zum Renteneintritt bei diesem Arbeitgeber bleibt. Die Euphorie neuer Herausforderungen und beruflicher Erfolge wird eingetauscht gegen die ruhige Sicherheit eines Jobs, bei dem die Bequemlichkeit inbegriffen ist.
Das erzeugt jedoch ein Paradoxon: In einem Job zu bleiben, bietet die Sicherheit eines Gehalts, hält die Menschen aber oft davon ab, etwas Besseres zu erleben, weil sie sich selbst keine Möglichkeit dazu geben.
In Bezug auf deine persönlichen Finanzen musst du eine Phase der Unbequemlichkeit durchstehen, um Bequemlichkeit zu erreichen.
Du musst lernen, damit zu leben und sie sogar wertzuschätzen.
An einem gewissen Punkt kann Unbequemlichkeit zur Motivationsquelle werden, weil du weißt, dass du lernen wirst, dich anzupassen – und zwar schnell. Bequemlichkeit hängt zusammen mit dem Konzept des Erwartungsmanagements (siehe »Erwartungen managen« auf
S. 207
). Wenn du dich zu sehr an Bequemlichkeit gewöhnt hast, wirfst du womöglich beim geringsten Anzeichen von Unbehagen das Handtuch.
Bequemlichkeit kann von daher das Ziel sein oder aber Ambitionen stoppen. Eines ist sicher: Die Suche nach Bequemlichkeit (oder ihr Erhalt) kann dir Hindernisse auf den Weg zum Glück legen. In gewisser Weise bin ich, sind wir, bist du und sind alle anderen reine Sklaven des Ziels, eine bequeme Dumpfbacke (comfortably dumb) zu werden. Das wäre doch eine prima Adaption des Songs »Comfortably Numb« von Pink Floyd (angenehm betä
ubt).
Ist dein Budget nicht mehr ausgeglichen?
Sind deine Träume tief in dir vergraben?
Kannst du dein Bedürfnis nach Bequemlichkeit reduzieren? Brauchst du es wirklich?
Sich selbst keine Fragen zu stellen, kann eine tückische Art der Selbstberuhigung sein. Aber wenn du auf der Suche nach Freiheit bist, können Verbraucherschulden !%#*?& unbequem sein. Carpe diem.
(Vorausgesetzt, dein Rentenplan ist in einem guten Zustand.)