EIN NEUES AUTO
BRAUCHST DU DAS WIRKLICH?
I ch gebe ja zu, dass ich die Autobesessenheit anderer Menschen nie verstanden habe. Möglicherweise hat das mit meiner Kindheit zu tun.
1983 besaß mein Vater einen alten Kombi mit Seitenverkleidungen aus Holzimitat. Dad war nie der Typ, der einen Wagen pflegt, reinigt und wartet. Wenn wir durch Pfützen fuhren, mussten wir die Füße hochheben, weil das Wasser durch die Löcher im Boden hereinspritzte. Wir achteten sorgfältig darauf, kein Kleingeld fallenzulassen, denn es wäre direkt auf der Straße gelandet.
Dad sagte immer, dass der Wagen nur ein Haufen Blech sei, ich fand jedoch, dass er unnötig nachlässig mit ihm umging. Es gibt einen Unterschied zwischen der Verhätschelung eines Wagens und der vollständigen Vernachlässigung.
Mein Vater hegte eine stark utilitaristische Einstellung zum Besitz eines Wagens. Aber als Gesellschaft verwechseln wir die klaren praktischen Möglichkeiten des Fahrens mit dem brennenden Verlangen, ein Auto zu besitzen. Wir definieren uns über den Wagen, den wir fahren.
Wie können wir eine Wahl treffen, die sich derart gravierend auf unsere Finanzen auswirkt, ohne zumindest den Ertrag zu optimieren? Unabhängig vom Preis muss ein Auto die Hauptanforderung erfüllen, uns von Punkt A zu Punkt B zu befördern. Jede andere Rechtfertigung für einen solchen Erwerb dreht sich um Image, Bequemlichkeit, Technologie (siehe »Die neueste Technologie« auf S. 21 ), Innenraumgröße und so weiter. Im Grunde hat ein Großteil des Werts, den wir Autos zuteilen, nichts mit ihrer primären Funktion zu tun: der Fortbewegung.
Zwischen Wunsch und Bedarf
Eines Tages erzählte mir ein Kollege, der Single ist, dass er sich einen Jeep Grand Cherokee kaufen wolle. Ich war neugierig, deshalb fragte ich ihn, warum er ein so großes Auto wolle. Er wies darauf hin, wie praktisch ein SUV sei, wenn er mit seinem Vater zum Angeln fahre – einmal im Jahr. Ich schlug vor, dass er ein kleineres Auto für die Hälfte kaufen und sich einmal im Jahr einen SUV mieten könne.
Seine Rechtfertigung fiel in sich zusammen – nicht aber sein Wunsch. Daher suchte er nach anderen Gründen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass dieser geplante Kauf absolut sinnvoll sei. Der Wunsch nach Konsum schlägt die Vernunft ohne Probleme: Wenn wir von einem Objekt der Begierde träumen, ist es leicht, unsere finanzielle Vernunft zu verdrehen.
In unserer Gesellschaft gehören Autos vermutlich zu den sinnlosesten Ausgaben (Ausgaben generieren nie eine Rendite ). Sind deine finanziellen Ressourcen optimiert? Könnten wir eine vernünftigere Finanzentscheidung treffen?
Überleg dir auch mal: Autos stehen die meiste Zeit herum, vereinnahmen öffentlichen Raum, berauben andere der Möglichkeit, diesen zu nutzen.
Wenn ich sehe, dass Autos permanent die Straßen vollparken, frage ich mich manchmal: »Was wäre, wenn wir einen Schlüssel hätten, mit dem wir jederzeit jedes Auto benutzen könnten?« In Anbetracht der Anforderung würden unser aller Bedürfnisse erfüllt, und zwar zu weit niedrigeren Kosten, als jeden der Besitz eines eigenen Wagens kostet. Wartungskosten könnten ebenfalls geteilt werden, was allen Zeit und Geld sparen würde.
Stattdessen wollen wir alle unser eigenes Auto und identifizieren uns damit, auch wenn es – im Vergleich zu anderem Besitz – teuer und ineffizient ist.
Für einen Bruchteil des Preises könnte ein universelles Carsharing in Stadtzentren alle Vorteile eines Privatwagens überwiegen. Es wäre ein öffentliches Verkehrsmittel, aber zum privaten Nutzen. Es könnte die Vorteile beider Seiten verbinden.
Der Faktentest
Eine von CAA-Québec b herausgegebene Studie zeigt, bis zu welchem Ausmaß der Besitz und Unterhalt des neuesten Automodells ein bedeutender Kostenfaktor sein kann. 8 Die meisten Autofahrer unterschätzen die tatsächlichen Kosten eines Wagens, sei es bewusst oder unbewusst, wohl eine Art Verteidigungsmechanismus .
So erzeugt zum Beispiel ein Honda Civic LX, ein sehr beliebtes Modell in Kanada, in den ersten Jahren dem Besitzer jeweils fast 6.500 Dollar an Kosten, 9 oder etwas mehr als 18 Dollar am Tag für 18.000 gefahrene Kilometer – also Versicherung, Kosten für den Führerschein und die Anmeldung, Wertverlust und die durchschnittlichen Finanzierungskosten.
Das kommt zu den jährlichen Betriebskosten von circa 2.600 Dollar hinzu. Wenn du diese beiden Summen addierst, liegen die tatsächlichen Kosten pro Jahr bei über 9.000 Dollar.
Jemand in Kanada mit einem Jahresgehalt von 50.000 Dollar bringt ein Nettogehalt von etwa 39.000 Dollar nach Hause, 10 basierend auf bestimmten Steuerannahmen, wie zum Beispiel dem zugrunde liegenden Steuersatz. Diese Person arbeitet also 23 Prozent ihrer Zeit im Laufe eines Jahres nur für ein Auto, das im Wesentlichen benutzt wird, um … zur Arbeit zu fahren.
Anders ausgedrückt: Du musst von 2.000 Arbeitsstunden (50 Wochen) im Jahr fast 11,5 Wochen – etwas mehr als zwei Monate – nur für die Kosten deiner rollenden Blechbüchse arbeiten.
Laut Statistics Canada c gibt der durchschnittliche kanadische Haushalt jährlich 11.909 Dollar für Transport aus. Das addiert sich zu 14 Prozent der Gesamthaushaltsausgaben, die 2016 mehr als 84.489 Dollar betrugen. 11
Wenn jemand entscheidet, sich ein weit von seinem Arbeitsplatz entferntes Haus zu kaufen, berechnet er dann die tatsächlichen Kosten, also einschließlich der Fahrtkosten? Vergiss nicht, dass du bei einem Hauskauf die Kosten zurückbekommst, wenn du es wieder verkaufst – die Transportkosten sind jedoch unwiederbringlich verloren. Das bedeutet, dass es Zeit und Geld sparen kann, in der Stadt nahe dem Arbeitsplatz zu wohnen und auf einen eigenen Wagen zu verzichten.
Ein Neuwagen: Geld aus dem Fenster geworfen
Ich habe nie einen Neuwagen gekauft, denn der Preis eines Neuwagens steht im Missverhältnis zu seiner Nützlichkeit. In den ersten drei Jahren ist der Wertverlust am größten (ein durchschnittlicher Wertverlust zwischen 35 und 50 Prozent über 36 Monate ist nicht ungewöhnlich). Ein Auto für 30.000 Euro ist also möglicherweise nach drei Jahren weniger als 20.000 Euro wert. Es kann aber noch viele Jahre laufen, vor allem, wenn die Lebensstilentscheidungen die Anzahl der jährlich gefahrenen Kilometer reduzieren.
Neuwagen stehen also im Schnitt für höhere Kosten je gefahrenen Kilometer pro Jahr des Besitzes. Der Kauf eines Gebrauchtwagens ist eine Möglichkeit, sich nicht finanziell zu verheddern.
Im Herbst 2011 zwangen mich die Umstände zu der raschen Entscheidung, eine Schrottkarre zu kaufen: einen auberginefarbenen zweitürigen Honda Accord, Baujahr 1998. Der Preis lag bei 2.600 Dollar. Meiner Einschätzung nach würde er mich durch das Jahr bringen, für das ich ihn brauchte. Im Laufe der Zeit war es dann am Ende finanziell immer sinnvoller, den Wagen zu reparieren, statt ihn zu ersetzen.
Zwei Jahre, nachdem ich ihn gekauft hatte, musste ich die Auspuffanlage austauschen und mich um ein paar Kleinigkeiten kümmern. Die Kosten? Etwas über 1.000 Dollar. Die meisten Autofahrer würden sich fragen: »Warum 1.000 Dollar in einen Wagen investieren, der weniger als 2.000 Dollar wert ist?«
Ich sah das anders. Wenn mir die 1.000 Dollar Reparaturkosten ein weiteres Jahr mit ihm verschafften, konnte ich eine große Ausgabe ein paar Monate länger hinausschieben, ganz davon zu schweigen, dass meine jährlichen Nutzungskosten des Wagens dadurch geringer ausfielen. Jedes zusätzliche Jahr mit einem seinem Betriebsende entgegensehenden Autos (ein End of Life- oder EOL-Produkt) ist ein Jahr finanzieller Gnadenfrist. Ein neueres Modell wäre automatisch teurer bezüglich Steuern und Versicherung.
Außerdem lässt dich ein abbezahlter Wagen Geld für zukünftige Ausgaben beiseitelegen. Ich musste nie monatliche Ratenzahlungen für ein Auto tätigen: Das war toll. Du fühlst dich, als würde jemand anderer für eine zukünftige Fahrzeugflotte zahlen. Fahrer von Schrottlauben danken denjenigen, die Neuwagen kaufen. Ohne sie könnten wir nicht das tun, was wir tun.
Am Ende verkaufte ich diesen Wagen Baujahr 1998 im Mai 2016 für 860 Dollar. Er brachte mich fünf Jahre lang von A nach B, zum Bruchteil des Preises eines Neuwagens.
Kürzlich bildete ich mit jemandem eine Fahrgemeinschaft, der ziemlich wohlhabend ist. Er fuhr einen netten SUV. Ich muss zugeben: Das war auch toll. »Ich habe ihn gebraucht gekauft«, sagte der Fahrer. »Er ist Baujahr 2011. Wer kann denn bei einem Wagen der Oberklasse schon den Unterschied zwischen einem Modell von 2011 oder 2015 erkennen? Der Unterschied beim Nutzen rechtfertigt nicht den Preisunterschied.«
Seine Bemerkung überraschte mich angenehm. Obwohl der Bursche Millionär ist, verstand er, dass es für ihn ein überflüssiger Luxus wäre, einen Neuwagen für 50.000 Dollar zu kaufen. Wenn du 50.000 Dollar hast, um sie in einen Wagen zu stecken, sind hoffentlich dein Rentensparplan und die Ausbildungssparpläne deiner Kinder gut in Schuss.
Von Berühmtheiten und Pannen
Aber dann gibt es da noch einen anderen Mythos: Was, wenn der Wagen eine Panne hat? Nicht das Ende der Welt.
Auch ein Neuwagen ist nicht immun gegen Pannen oder mechanische Probleme. Aber so nehmen die Menschen es wahr. Einen Gebrauchtwagen zu haben, der regelmäßig gewartet wird und bei der Inspektion ist, minimiert diese Probleme. Außerdem ist die Mitgliedschaft bei einem Automobilclub wie dem ADAC der beste Freund des Schrottlauben-Fahrers. Es ist seine Versicherung für den Fall, dass etwas schiefgeht.
Auch wenn wir vom Verstand her wissen, dass es für die langfristige finanzielle Gesundheit besser ist, einen Gebrauchtwagen statt eines neuen zu kaufen, so ist das Marketing mächtig. Um Autos zu verkaufen, werben die Autohersteller witzige, freundliche oder schöne Werbebotschafter an.
Sie verkaufen kein Produkt, sondern ein Image, als könnte ein Haufen Metall in einer anderen Farbe oder Form und mit einem anderen Logo tatsächlich Einfluss auf deinen gesellschaftlichen Marktwert haben.
Autobauer kämpfen hart, um Konsumenten von der Vernunft abzubringen. Sich alle vier Jahre einen Neuwagen zuzulegen, ist der Höhepunkt finanzieller Verluste. Wir genießen einen Bruchteil der nutzbaren Lebensdauer des Wagens, zahlen jedoch die höchsten jährlichen Kosten. Außerdem sind die Fahrzeugpreise so hoch, dass sie in Werbeanzeigen lieber nicht genannt werden. Autoverkäufer verkaufen einen Lebensstil.
In den Seminaren, die ich am CEGEP d oder der Universität halte, kann ich inzwischen die Anzahl der Diskussionen über Autos gar nicht mehr zählen. Wenn sich Studenten bei der Verwaltung beklagen, dass sie zu wenig Geld haben, gleichzeitig aber einen dieses Jahr herausgekommenen Wagen fahren, muss ich ihnen den Widerspruch unter die Nase reiben. Im Alter von 18 oder 20 Jahren einen Neuwagen oder ein neues Modell zu kaufen, beeinträchtigt die finanzielle Sicherheit oder Investitionsmöglichkeit gravierend. Wie ein Schuhmacher, der seine eigenen Schuhe nicht repariert, setzen diese Studenten nicht die erlernten Prinzipien in die Praxis um.
GRATISTIPP!
Eines Tages verriet mir meine Cousine einen großartigen Trick. Jedes Mal, wenn sie den Drang verspürt, sich ein neues Auto zu kaufen, lässt sie ihren Wagen von innen und außen komplett reinigen, um ihn für den Verkauf vorzubereiten. Sie wissen schon, so wie in der Erfolgsshow Pimp my Ride , wo der Wagen einschließlich Motorwäsche gereinigt wird. Wenn sie ihn wieder abholt und losfährt, denkt sie: »Wenn du mir nicht schon gehören würdest, würde ich dich kaufen.« Die 30 Dollar Reinigungskosten sind gut investiert, um zu einer rationaleren Entscheidung zu finden.
Finanzielle Lügen
Was ist mit einer Null-Prozent- oder 0,9-Prozent-Finanzierung? Solche Deals sind in etwa so authentisch wie der Weihnachtsmann. Autofirmen sind selbst verschuldet, deshalb werden sie ihre Kunden wohl kaum für lau finanzieren. Wie können sie also derart niedrige Zinsen anbieten?
Ganz einfach: Sie rechnen diese Finanzierung in den Kaufpreis mit ein. Im Grunde sind »Kaufe jetzt, zahle später«-Käufe so gang und gäbe geworden, dass Händler ihre Geschäftsmodelle um die Finanzierung herum entwickeln.
Vielleicht hast du es in letzter Zeit gerade erlebt, dass dir der Verkäufer sagt, er habe »nur eine niedrige Gewinnspanne« bei dem verkauften Wagen. Die ultimative Beleidigung ist, wenn er dann noch behauptet, den Wagen zum Einkaufspreis abzugeben.
Welche Unterlagen er dir auch immer vorlegen mag, Verkäufer lügen. Am Ende des Jahres erhalten sie eine Provision für die Anzahl der verkauften Autos. Neuwagen zu verkaufen, ist profitabel, und der Käufer macht dabei kein gutes Geschäft. Punkt.
Was ist außerdem mit den inbegriffenen Kosten, die bei der Berechnung der Pros und Kontras eines Autos nie berücksichtigt werden? Zum Beispiel all das Geld, das in den Bau, die Instandhaltung und das Heizen einer Garage einfließt, deren Hauptzweck darin besteht, ein Schutzraum für Autos zu sein? Das Ausmaß der Bedeutung eines Privatwagens im vorstädtischen Paradies ist schier unfassbar: Doppelgaragen, übergroße Einfahrten und die wöchentliche Autowäsche sind Beweis für den zentralen Stellenwert des Autos in unserem Leben.
Natürlich brauchen wir alle hin und wieder ein Auto. Aber wir sollten darüber nachdenken, welche Bedeutung diesem innerhalb des Familienbudgets zuteilwird. Können wir die Notwendigkeit eines eigenen Wagens infrage stellen? Können wir den Gedanken unterbinden, dass Autos unsere Persönlichkeit widerspiegeln? Ein sportlicher, luxuriöser SUV kann von Menschen gefahren werden, die alles andere als abenteuerlustig oder sportlich sind. Ein Luxusauto kann von jemandem gefahren werden, der bis über beide Ohren verschuldet ist. Ein Busfahrgast kann entweder Millionär oder auf Sozialhilfe angewiesen sein.
Ein Auto beeindruckt neidische Betrachter für ein paar Minuten.
Aber macht uns so ein tolles Auto freier, mächtiger oder gesünder? Sind wir dadurch attraktiver, kompetenter oder charismatischer? Bedeutet ein Jaguar, dass ein älterer Mann kein Viagra braucht? Bewahrt er stressgeplagte Berufstätige davor, depressiv zu werden oder verleiht er den Strebern Coolness?
Wir sind Opfer unserer Wünsche. Wir sind daher unser eigener finanzieller Henker. Stell dir die folgende Frage: Brauchst du wirklich einen Neuwagen, über die grundlegenden Funktionen hinausgehend? Und wir können noch einen Schritt weitergehen: Brauchst du überhaupt ein Auto?