IM JAHR 1787, ALS FÖDERALISTEN UND ANTIFÖDERALISTEN ihre Kontroverse über den Verfassungsentwurf auf den kunterbunten Seiten amerikanischer Zeitungen und den knarzenden Böden der Versammlungshallen austrugen, saß John Adams, der amerikanische Gesandte in Großbritannien, missmutig an seinem Schreibtisch am Grosvenor Square in London, während Thomas Jefferson, der Gesandte in Frankreich, sich im Hôtel de Langeac an den Champs-Elysées in Paris über seinen eigenen, zweifellos eleganteren Schreibtisch beugte. Die beiden Männer, die gemeinsam die Unabhängigkeitserklärung konzipiert hatten, führten fern der Heimat eine Briefdebatte über die Verfassung und schickten sich ihre Schreiben über den Ärmelkanal hin und her, als hielten sie einen Zwei-Mann-Ratifizierungskonvent ab, wobei Adams sich sorgte, dass die Verfassung der Legislative zu viel Macht verlieh, während Jefferson ebendiese Sorge mit der Präsidentschaft verband. «Sie fürchten sich vor dem einen – ich vor den wenigen», schrieb Adams an Jefferson. «Sie ängstigen sich vor der Monarchie, ich vor der Aristokratie.» Beide Männer quälten sich mit dem Thema Wahlen. Jefferson fürchtete, es werde zu wenige geben, und Adams wollte nicht zu viele davon haben: «Wahlen, mein werter Herr, betrachte ich mit Schrecken».[1]
Die Debatte zwischen Adams und Jefferson endete nicht mit der Ratifizierung der Verfassung. Sie endete auch nicht nach Washingtons Wahl zum Präsidenten 1788, nicht während seiner Amtszeit, in der Adams als Vizepräsident und Jefferson als Außenminister dienten, und sie fand auch nach Washingtons Wiederwahl 1792 kein Ende. Stattdessen trug ihre Debatte 1796 zur Etablierung der ersten stabilen politischen Parteien der Nation bei.
Jefferson hatte die Sorge geäußert, dass die Verfassung es erlaube, den Präsidenten wieder und wieder im Amt zu bestätigen, bis zu seinem Tod, wie bei einem König. Adams gefiel diese Vorstellung. «Umso besser», hatte er 1787 geschrieben.[2] Als Washington 1796 ankündigte, dass er keine dritte Amtszeit anstrebe, bewarben sich Adams und Jefferson um die Nachfolge. Adams gewann knapp. Die nächste Kraftprobe der beiden Männer war die darauffolgende Präsidentschaftswahl, die Jefferson als «Revolution von 1800» bezeichnete. Diese Wahl im Jahr 1800, ob nun eine Revolution oder nicht, war der Höhepunkt einer jahrzehntelangen Debatte zwischen Adams und Jefferson und führte zu einer Verfassungskrise. In der Verfassung stand nichts von Parteien, und das Wahlverfahren für das Präsidentenamt konnte sich nicht auf sie einstellen. Adams trat dennoch als Föderalist an, und Jefferson als Republikaner, und das bei einer Wahl, die so bizarr verlief, dass sich, unabhängig vom Ausgang der Abstimmung, lange Zeit niemand des Endergebnisses sicher sein konnte, vor allem nachdem beide Kandidaten im Wahlmännergremium die gleiche Stimmenzahl erhalten hatten, ein Unentschieden, das nach der Verfassung nur durch ein Votum des Repräsentantenhauses aufgelöst werden konnte.
Jefferson hörte von Gerüchten, dass die Föderalisten «die Union aufkündigen» würden, sollte er gewinnen; er glaubte, dass sie darauf hofften, die Rechtslage ändern zu können, um Adams eine lebenslange Amtszeit zu ermöglichen. «Die Feinde unserer Verfassung bereiten ein furchterregendes Unternehmen vor», warnte er. Unterdessen schlug Alexander Hamilton Alarm und erklärte, die Virginier würden im Fall von Adams’ Wiederwahl «zum Mittel physischer Gewaltanwendung greifen», um Föderalisten von Regierungsämtern fernzuhalten. Es wurde sogar behauptet, einige Föderalisten im Kongress hätten beschlossen, eher «ohne verfassungsgemäße Grundlage zu handeln und das Risiko eines Bürgerkrieges einzugehen», als Jefferson zu wählen. «Wer soll Präsident werden?», fragte ein beunruhigter Abgeordneter, und «was soll aus unserer Regierung werden?»[3]
Der anhaltende Konflikt zwischen Adams und Jefferson war eine Rivalität zwischen zwei ehrgeizigen Männern, erbittert und kleinlich ausgetragen, und zugleich ein philosophisch fundierter, bedeutender Disput über das Wesen des amerikanischen Experiments. Adams war im Jahr 1800 64 Jahre alt und noch streitsüchtiger, eitler und gelehrter als in jüngeren Jahren. Er war Mitgründer der American Academy of Arts and Sciences und hatte eine langatmige dreibändige Defense of the Constitutions of Government of the United States verfasst, in der er das labile Gleichgewicht zwischen einer Aristokratie der Reichen und einer Demokratie der Armen erklärte, das nur durch eine gut konzipierte Verfassung erreicht werden konnte. «In jeder Gesellschaft, in der es Privateigentum gibt, wird es immer Auseinandersetzungen zwischen Arm und Reich geben», schrieb er. «Sitzen beide gemeinsam in einer Volksvertretung, kann man niemals ausgewogene Gesetze erwarten. Sie werden entweder durch die Überzahl gemacht, um die wenigen Reichen auszuplündern, oder durch Einflussnahme, um die vielen Armen zu schröpfen.»[4]
Der 57-jährige Jefferson, Präsident der American Philosophical Society, wechselweise launisch und hektisch und ein leidenschaftlicher, schonungsloser Autor, war nicht weniger gebildet, wenn auch sehr viel unbeständiger als Adams. Er glaubte unerschütterlich an die Herrschaft der Mehrheit. Der entscheidende Punkt beim amerikanischen Experiment, glaubte er, sei «durch ein Beispiel zu zeigen, dass die menschliche Vernunft zur Regelung der Angelegenheiten der Menschen ausreicht und dass der Wille der Mehrheit, das Naturgesetz einer jeden Gesellschaft, der einzige zuverlässige Hüter der Rechte des Menschen ist.»[5] Adams glaubte an die Zügelung des Mehrheitswillens, Jefferson an die Unterwerfung unter ihn.
Beide Männer akzeptierten die aristotelische Vorstellung, nach der es drei verschiedene Regierungsformen gab, die alle zugrunde gerichtet werden konnten, und dass die perfekte Regierungsform diejenige war, die diese drei am besten ausbalancierte. Adams glaubte, dass die für «Verbesserungen empfänglichste» Regierungsform eine Politie, ein Bürgerstaat, sei und dass eine solche Verbesserung erreicht werden könne – und die Schrecken der Demokratie vermieden –, wenn die gesetzgebenden Versammlungen die Interessen des Volkes besser verträten, indem sie diese genauer widerspiegelten. «Das Ziel, das es bei der Bildung einer repräsentativen Volksversammlung anzustreben gilt, scheint die Vernunft des Volkes zu sein, die Stimme der Öffentlichkeit», schrieb er. «Der Inbegriff des Abbildes besteht in seiner Ähnlichkeit.»[6]
Allem Reden Adams’ über Abbilder und Ähnlichkeiten zum Trotz fiel der Disput zwischen den beiden Männern nicht auf Fragen der Kunst, sondern auf die der Mathematik zurück. Eine Regierung durch das Volk ist letztlich ein mathematisches Problem: Wer wählt? Wie viel zählt jede einzelne Stimme?
Adams und Jefferson lebten in einem Zeitalter der Quantifizierung. Das begann mit der Zeitmessung. Die Zeit war einstmals ein Rad, das sich drehte und immer wieder drehte; im Verlauf der wissenschaftlichen Revolution wurde die Zeit zu einer Linie. Die Zeit, die am einfachsten zu messende Größe, wurde zum Motor jeder empirischen Untersuchung: eine Achse, ein Pfeil. Dieser neue Gebrauch, das neue Verständnis von Zeit leistete einen Beitrag zur Idee des Fortschritts – wenn die Zeit eine Linie und keine Kreisbewegung ist, können die Dinge besser und immer besser werden, anstatt in endlosen Zyklen immerzu aufzusteigen und wieder unterzugehen wie die Jahreszeiten. Die Idee des Fortschritts belebte die amerikanische Unabhängigkeit, und sie belebte auch den Aufstieg des Kapitalismus. Die Quantifizierung der Zeit führte zu einer allumfassenden Quantifizierung: zur Zählung von Menschen, zur Messung ihrer Arbeitsleistung und zur Kalkulation von Profit als Funktion von Zeit. Die Einhaltung von Zeitvorgaben und die Anhäufung von Reichtum wurden in einem gewissen Maß gleichbedeutend. «Zeit ist Geld», sagte Benjamin Franklin gerne.[7]
Die Quantifizierung veränderte auch die Arbeitsweise der Politik. Ungeachtet ihrer Differenzen waren sich Adams und Jefferson darin einig, dass Regierungssysteme auf mathematischen Beziehungen beruhten: auf Gleichungen und Verhältniszahlen. «Zahlen oder Eigentum oder beides sollten der Maßstab sein», betonte Adams, «und die verhältnismäßigen Anteile von Wahlmännern und Abgeordneten eine rechnerische Angelegenheit».[8] Festzulegen, was als Maßstab gelten sollte – das war die Aufgabe des Verfassungskonvents gewesen; die Korrektur dieses Maßstabs sollte die Aufgabe der Wahl im Jahr 1800 und der auf sie noch folgenden politischen Reformen sein, die allesamt weitere Rechenaufgaben waren.