FREDERICK DOUGLASS hatte 1841 seine erste Fotositzung. Er war 23 Jahre alt, er trug einen dunklen Anzug mit einem steifen weißen Kragen und eine gepunktete Krawatte, seine Haut war sepiafarben, sein Haar schwarz, sein Gesichtsausdruck entschlossen, er starrte direkt in die Kamera. Douglass, 1818 in Maryland geboren, hatte sich das Lesen und Schreiben mit Hilfe von Zeitungsausschnitten und Fibeln selbst beigebracht und sich insgeheim mit Rhetorik beschäftigt. Er floh 1838, als Matrose verkleidet, aus der Sklaverei, lebte in Neuengland und las dort William Lloyd Garrisons Liberator. Drei Jahre später sprach er auf der Insel Nantucket zum ersten Mal bei einer Versammlung von Gegnern der Sklaverei. «Haben wir eben einem Gegenstand, einem Stück Eigentum oder einem Menschen zugehört?», hatte Garrison gefragt, als er, nach dem Ende von Douglass’ Rede, die Bühne betreten hatte. «Einem Menschen! Einem Menschen!», lautete der Aufschrei aus dem Publikum.[39] Aber Douglass lieferte sein eigenes Zeugnis, als er Modell für eine Daguerreotypie saß, ein augenscheinlicher Beweis, der in die Kamera schaute: Ich bin ein Mensch.[40]
Douglass wurde in den 1840er Jahren einer der bekanntesten Redner der Nation. Allein im Jahr 1843 hatte er mehr als einhundert Auftritte. Er sprach mit Kraft und Eloquenz. Seine Vortragsweise kam den Auftritten der größten Shakespeare-Darsteller gleich. Garrison wünschte sich, dass Douglass demütiger auftreten und sich einfacher ausdrücken möge, was heißt: Garrisons Vorstellungen von einem ehemaligen Sklaven eher entsprach. Douglass geriet in Zorn über Garrisons Umgang mit ihm, er erzählte seine eigene Geschichte und ging seinen eigenen Weg. 1845 veröffentlichte er eine Autobiografie, die ihn, indem sie Details über seine Herkunft enthüllte, zum Zielobjekt für Sklavenfänger machte und sein Leben gefährdete. Narrative of the Life of Frederick Douglass wurde ins Französische, Deutsche und Niederländische übersetzt. Douglass, der auch in Europa als Redner auftrat, wurde zum bekanntesten schwarzen Menschen der Welt.[41] Nachdem er sich freigekauft hatte, kehrte er 1847 in die Vereinigten Staaten zurück und gründete eine Zeitung, den North Star. Das Motto und Credo des Blattes lautete: «Recht hat kein Geschlecht – Wahrheit hat keine Farbe – Gott ist unser aller Vater, und wir sind alle Brüder.»[42]
Im North Star forderte Douglass ein sofortiges Ende des Krieges mit Mexiko. «Wir flehen unsere Landsleute an, diesen furchtbaren Konflikt zu beenden, ihre mörderischen Pläne aufzugeben und den Weg des Blutvergießens zu verlassen», drängte er. «Lasst die Presse, die Geistlichkeit, die Kirche, das ganze Volk sofort zusammenkommen; und lasst Millionen von Petitionen, mit denen der sofortige Rückzug unserer Streitkräfte aus Mexiko gefordert wird, die Sitzungssäle des Kongresses überfluten.»[43] Douglass, der an die Macht der Fotografie glaubte, glaubte auch an andere Technologien. Er glaubte, dass die großen Maschinen des Zeitalters eine Ära der politischen Revolutionen einleiten und beschleunigen würden, bei denen der Protest gegen den Krieg nur einen kleinen Teil ausmachte. «Dank der Dampfschifffahrt und der Telegrafendrähte kann eine Revolution nicht auf den Ort oder das Volk begrenzt werden, bei dem sie beginnen mag, sondern sie überträgt sich mit blitzartiger Geschwindigkeit von einem Herzen auf das andere.»[44]
Andere Beobachter erwarteten von den Kräften der Technologie andere Arten von Wundern. Als sich die Nation in der Frage des Krieges gegen Mexiko zerstritt, gelangten viele Kommentatoren zu der Überzeugung, dass mächtige Maschinen das Zerwürfnis beheben könnten. Wenn das Problem die Größe der Republik war, die unkontrollierte Erweiterung ihrer Grenzen, die ausgefransten Ränder des Reiches – konnten nicht die Eisenbahnen und ganz besonders der Telegraf die Republik zusammenhalten? «Viele patriotisch gesinnte Köpfe haben Zweifel gehegt, inwieweit die schnelle, vollständige und gründliche wechselseitige Mitteilung von Gedanken und Nachrichten, die so notwendig ist für ein Volk, das in einer gemeinsamen, repräsentativen Republik lebt, im Rahmen so immens erweiterter Grenzen bewerkstelligt werden könnte, aber diese Zweifel können nicht länger bestehen bleiben», sagte 1845 ein Kongressmitglied.[45]
Samuel Morses Demonstration hatte 1844 gezeigt, dass die Übertragung von Nachrichten selbst über eine so gewaltige Entfernung wie die gesamte Breite des Kontinents hinweg innerhalb eines Augenblicks möglich ist. Was hatte Gott getan? Er hatte, neben anderen Dingen, einen Telegrafendienst geschaffen. Lawrence Gobright, der scharfsichtige Washingtoner Korrespondent von Associated Press, beschloss, den neuen Telegrafendienst zu nutzen, um die Amerikaner über das Geschehen im Kongress zu informieren: «Mein Beruf ist die Mitteilung von Tatsachen», schrieb er über seinen schnörkellosen Stil. «Meine Anweisungen gestatten mir keinerlei Kommentar zu den Tatsachen, die ich mitteile.»[46] Aber bei allem Utopismus, der sich in Douglass’, und bei aller Befähigung, die sich in Gobrights Texten zeigte, verstanden selbst Amerikaner mit einem unerschütterlichen Glauben an den von Maschinen angetriebenen Fortschritt, dass ein per Telegrafendraht übermitteltes Signal den langsamen, aber stetigen Zerfall der Union nicht mehr aufhalten konnte.
Taylors Streitkräfte besiegten im Februar 1847 bei Monterrey eine von Antonio López de Santa Anna befehligte mexikanische Armee. Im Sommer war Mexiko dann zu Friedensverhandlungen bereit. Die Unterhändler sprachen noch über die Frage der Grenzziehung zwischen den beiden Nationen, da drangen von General Winfield Scott kommandierte US-Streitkräfte in Mexiko City ein. Im September eroberten sie die gesamte Stadt. Nachdem die Amerikaner sich diese außerordentliche Verhandlungsmacht verschafft hatten, entwickelte sich eine «All Mexico»-Bewegung, deren Anhänger die Forderung erhoben, dass die Vereinigten Staaten sich das gesamte Staatsgebiet Mexikos einverleiben sollten. Senator Lewis Cass (Michigan) gehörte zu denjenigen, die sich gegen diesen Plan wandten und dies damit begründeten, dass es schwierig sein würde, die Bürger Mexikos in die Vereinigten Staaten zu integrieren. «Wir wollen das mexikanische Volk weder als Bürger noch als Untertanen haben», sagte Cass. «Alles, was wir wollen, ist ein Teil des Territoriums, das sie nominell besitzen, ein Gebiet, das weitgehend unbewohnt oder dort, wo überhaupt Menschen leben, nur sehr dünn besiedelt ist.»[47]
Polks Ehrgeiz schien keine Grenzen zu kennen. Er erwog, ganz Mexiko zu erwerben, das ganze Gebiet nördlich des 26. Breitengrads bis zum Pazifik. Die Grenze wurde letztlich am 32. Breitengrad gezogen. Mexiko behielt die Provinzen Baja California, Sonora und Chihuahua, trat aber gegen eine Zahlung von 15 Millionen Dollar mehr als die Hälfte seines Staatsgebiets an die Vereinigten Staaten ab. Mexikanische Staatsbürger in den abgetretenen Gebieten hatten die Wahl, über die neue Grenze nach Mexiko zurückzugehen, ihre mexikanische Staatsangehörigkeit zu behalten oder aber amerikanische Staatsbürger zu werden, «gleichberechtigt mit den Bewohnern anderer Territorien der Vereinigten Staaten». Etwa 75.000 bis 100.000 Mexikaner entschieden sich fürs Bleiben, die meisten von ihnen in Texas und Kalifornien, wo sie, dem Versprechen politischer Gleichberechtigung zum Trotz, mit zunehmenden rassistischen Anfeindungen und wirtschaftlichen Einbußen zu kämpfen hatten. Letzteres hatte vor allem damit zu tun, dass ihre Wirtschaftsweise – Handel und Viehzucht – durch die Erkundung nutzbarer Bodenschätze, Landwirtschaft im großen Stil und Industrieproduktion verdrängt wurde.[48]
Der Krieg endete offiziell am 2. Februar 1848 mit der Unterzeichnung des Vertrages von Guadalupe Hidalgo, nach dessen Bestimmungen die nördliche Hälfte von Mexiko zum südlichen Drittel der Vereinigten Staaten wurde. Der Zugewinn für die Vereinigten Staaten war ebenso groß wie der Verlust für Mexiko. Die Vereinigten Staaten hatten 1820 ein Gebiet von 4,66 Millionen Quadratkilometern mit 9,6 Millionen Einwohnern umfasst; Mexiko hatte bei einer Fläche von 4,40 Quadratkilometern 6,5 Millionen Einwohner gezählt. Bis 1850 hatten die Vereinigten Staaten 2,59 Millionen Quadratkilometer Land von Mexiko erworben, und ihre Bevölkerung war auf 23,2 Millionen gewachsen; Mexiko kam bis dahin auf 7,5 Millionen Einwohner.[49]
Die Vereinigten Staaten gewannen sehr viel dazu, während Mexiko schrumpfte. Der größte Teil des Landes an der Grenze zwischen den beiden Ländern war unfruchtbar und eintönig. Als die gemeinsame Amerikanisch-Mexikanische Grenzkommission mit der Vermessung der neuen Grenze begann, hatten ihre Mitglieder erhebliche Mühe mit dem bloßen Überleben: Die meisten von ihnen verhungerten. Aber das Ausmaß der Gebiete, die den Vereinigten Staaten nach dem Vertrag von Guadalupe Hidalgo zufielen, war erstaunlich. Der Louisiana Purchase hatte das Gebiet der Vereinigten Staaten verdoppelt. Mit den Gebietsabtretungen Mexikos wuchsen die Vereinigten Staaten um 64 Prozent. Der Direktor des US-Bundesamtes für Statistik, der mit der Vermessung des Größenzuwachses beauftragt war, staunte, dass das Territorium der Vereinigten Staaten angewachsen war auf «fast die zehnfache Größe von ganz Frankreich und Großbritannien zusammengenommen; die dreifache Größe von ganz Frankreich, Großbritannien, Österreich, Preußen, Spanien, Portugal, Belgien, Holland und Dänemark zusammengenommen; die eineinhalbfache Größe des Russischen Reiches in Europa; nur ein Sechstel weniger als die Fläche, die von 59 oder 60 Reichen, Staaten oder Republiken Europas eingenommen wird; von gleichen Ausmaßen wie das Römische Reich oder das Reich Alexanders, deren beider Größe, wie es heißt, 7,7 Millionen Quadratkilometer nicht überschritten haben soll».[50]
Waren die Vereinigten Staaten, eine sehr junge Nation, zu einem Reich geworden? Und würden sie, mit ihrer imperialen Ausdehnung, untergehen wie einst Rom? «Die Vereinigten Staaten werden Mexiko erobern», hatte Emerson vorhergesagt, «aber es wird wie bei dem Mann sein, der das Arsen schluckt, das ihn zu Fall bringt. Mexiko wird uns vergiften.»[51]
Diese bedrückenden Ängste beschäftigten auch den 80-jährigen, humpelnden und gebrechlichen John Quincy Adams, der bis zu seinem letzten Atemzug ein Gegner des Krieges, und des Friedens, blieb. Am 21. Februar 1848, an dem Tag, an dem Polk der Vertrag von Guadalupe Hidalgo überbracht wurde, brach Quincy Adams mitten in einer Rede im Repräsentantenhaus zusammen, bei einem letzten Aufseufzen seiner Opposition gegen den Krieg und aller anderen Dinge, für die er stand. Er starb zwei Tage später. Der junge Abraham Lincoln, der im Sitzungssaal anwesend war, als Quincy Adams zu Boden stürzte, gehörte zu den Männern, die mit der Organisation der Trauerfeierlichkeiten beauftragt waren, die im Repräsentantenhaus abgehalten wurden. Calhoun fungierte als Sargträger. Bis zu Lincolns eigenem Tod wurde das Ableben keines anderen Staatsmannes so eingehend dargestellt, verfolgt und miterlebt, ein nationales Schauspiel. Erst kurz zuvor waren die Telegrafenleitungen zwischen Portland, Maine, und Richmond, Virginia, und sogar bis Cincinnati weit im Westen fertiggestellt worden; die Nachricht von John Quincy Adams’ Tod verbreitete sich schneller als der Wind. Sein mit einem Glasdeckel verschlossener Sarg legte 800 Kilometer mit dem Zug zurück, der in einer Stadt nach der anderen Halt machte, wo Tausende Amerikaner Schlange standen, um ihn zu betrachten, in einem noch nie dagewesenen, durch die Dampfkraft ermöglichten Umzug des Kummers. Die Nation fiel in tiefe Trauer, dachte nach über das schreckliche Thema der Vergiftung der Politik und die furchtbare Frage einer Spaltung der Union.[52]
HORACE GREELEY STELLTE MARGARET FULLER 1844 als Redakteurin der New York Tribune ein. Die 34-jährige Fuller, kurzsichtig und von schwacher Gesundheit, war die gebildetste Frau der Vereinigten Staaten, eine literarische Rezension ging ihr so leicht von der Hand wie eine Diskussion über philosophische Fragen mit Emerson. «Die Kraft ihrer Rede stellt ihr Schreiben in den Schatten», schrieb Emerson einmal in sein Tagebuch.[53]
Scharfer Tadel von Persönlichkeiten wie Catharine Beecher, die jede Frau, die als Rednerin in der Öffentlichkeit auftrat, zurechtwies, hatte zwar viele zum Schweigen gebracht, aber eben nicht alle und ganz gewiss nicht Fuller oder andere prominente Abolitionistinnen wie die Grimké-Schwestern. Die in Charleston in South Carolina aufgewachsene Angelina Grimké war wegen ihres öffentlichen Engagements gegen die Sklaverei aus ihrer Kirche ausgeschlossen worden, und sie hatte eine Entgegnung auf Beecher verfasst, einen Essay mit dem Titel «Human Rights Not Founded on Sex». Sie schrieb: «Die Untersuchung der Rechte der Sklaven hat mich zu einem besseren Verständnis meiner selbst geführt.»[54] Ihre Schwester Sarah wendete das Argument historisch: «Die Seiten der Geschichte strotzen vor Unrecht an den Frauen, und sie sind nass von deren Tränen.»[55]
Gefühle waren Fullers Sache nicht; sie setzte auf Debatten. Und sie war eine Geißel für geringere Geister. Edgar Allan Poe, dessen Werk sie nicht bewunderte, schrieb einmal, sie zeige ein dauerhaftes höhnisches Grinsen. In «The Great Lawsuit: Man versus Men, Woman versus Women» vertrat Fuller die Ansicht, die Demokratisierung der amerikanischen Politik habe ein Licht auf die Tyrannei der Männer über die Frauen geworfen: «Während Männer sich allmählich der Tatsache bewusst werden, dass nicht alle Männer eine faire Chance bekommen haben», seien Frauen inzwischen gewillt zu sagen, «dass gar keine Frauen eine faire Chance gehabt haben». Die Sklavereifrage – «zum Teil, weil viele Frauen in dieser Sache eine bedeutende Rolle spielten» – hatte den Kampf für die Rechte der Frauen unterdessen zu einem dringenden Anliegen gemacht. Fuller hatte 1845 in Woman in the Nineteenth Century für eine grundsätzliche und vollständige Gleichheit plädiert: «Wir müssen der Frau jeden Weg genauso frei zugänglich machen wie dem Mann.»[56] Das Buch war ungeheuer erfolgreich, und Greeley, der Gefallen daran gefunden hatte, Fuller mit einem ihrer griffigsten Sätze über die Fähigkeiten von Frauen zu begrüßen – «Lasst sie Schiffskapitäne sein, seid so gut» –, schickte sie als erste Auslandskorrespondentin seines Blattes nach Europa. Fuller war in Rom, wo sie sich verliebte und einen Sohn zur Welt brachte, als in den Vereinigten Staaten die erste ernsthafte Frauenbewegung entstand, als Teil der politischen Wirren des Revolutionsjahrs 1848, das auch das Jahr einer Präsidentschaftswahl war.[57]
Polk hatte gelobt, nur eine Amtszeit anzustreben. Nun hatten die Demokraten große Mühe, einen Nachfolger zu benennen. Inzwischen war es so gut wie unmöglich geworden, einen Kandidaten für das Präsidentenamt zu finden; die Parteien waren national orientiert, aber da die Politik regionalen Interessen folgte, lautete die Frage: Welcher Mann konnte Wähler gleichermaßen im Norden wie im Süden für sich gewinnen?
Die Bewerber waren entschieden glanzlos, die verkrampften und kurzsichtigen Männer eines verkrampften und kurzsichtigen Zeitalters. Ein potenzieller Kandidat der Demokraten, James Buchanan, ein Rechtsanwalt aus Pennsylvania und lebenslanger Junggeselle, hatte Polk als Außenminister gedient. Buchanan favorisierte eine Lösung der Probleme mit den neuen Territorien durch eine Verlängerung der Missouri-Kompromisslinie quer durch den Kontinent. Senator Lewis Cass, ehemals Jacksons Kriegsminister, hatte einen feineren Verstand. Cass bevorzugte einen Plan, der von seinen Befürwortern als «Volkssouveränität» bezeichnet wurde, wonach jeder Staat beim Beitritt zur Union selbst über Zulassung oder Verbot der Sklaverei auf seinem Gebiet entscheiden sollte. Beim Nominierungskonvent der Partei setzte sich Cass durch, und die Delegierten wählten als seinen Mitbewerber William Butler, der im Krieg mit Mexiko gedient hatte, ohne sich dabei besonders auszuzeichnen.
Militärische Helden waren die Mode der politischen Saison. Die Whig Party umwarb zwei der bekannteren Generäle des Mexikanischen Krieges, Zachary Taylor und Winfield Scott, und schob die beiden alternden Parteiführer Henry Clay und Daniel Webster beiseite. Taylor hatte niemals einer politischen Partei angehört; Scott war fast genauso rätselhaft. Taylor war nur widerwillig damit einverstanden, sich zum Whig zu erklären. «Ich bin ein Whig», sagte er und fügte hinzu: «Aber kein Ultra-Whig.» Wie er selbst einräumte, hatte er noch nie zuvor gewählt.[58] Dennoch sicherte er sich die Nominierung. Der über den Aufstieg der Kriegshelden entsetzte Clay erklärte: «Ich wünschte, ich könnte einen Mexikaner ermorden.»[59]
Der Aufstieg von Cass und Taylor ließ diejenigen Demokraten und Whigs, die gegen die Ausdehnung der Sklaverei auf die neuen Territorien waren, ohne Kandidaten dastehen. Sie handelten schnell und gründeten im Juni 1848 bei einem Konvent in Buffalo die Free-Soil Party. Bei ihrer verzweifelten Suche nach einem Mann von nationalem Ansehen legten sie sich schließlich auf den ehemaligen Präsidenten Martin Van Buren fest und erkoren zu ihrem Wahlspruch: «Free Soil, Free Speech, Free Labor, and Free Men!»[60]
Die Free-Soil- und Free-Speech-Bewegung entwickelte sich aus dem Streit um die Auslegung der Verfassung, aber sie war auch mit den Revolutionen verbunden, die 1848 Europa erschütterten. Margaret Fuller schickte Reportagen aus Italien, wo sie in einem Krankenhaus in Rom gescheiterte Revolutionäre pflegte. Maximilian II., der von den Revolutionen verunsicherte König von Bayern, bat später den Historiker Leopold von Ranke um eine Erklärung, warum sein Volk gegen die Monarchie rebelliert hatte – wie so viele andere Völker in Europa in jenem Jahr. «Ideen greifen alsdann am schnellsten um sich, wenn sie eine bestimmte, ihnen entsprechende Repräsentation gefunden haben», sagte Ranke dem König in einem Vortrag von 1854, und durch die Nordamerikaner sei «eine neue Macht in die Welt» gekommen, der Gedanke, «die Nation selbst müsse sich regieren», ein Gedanke, der «die moderne Welt bewegt»: Meinungsfreiheit und freie Rede, über den Telegrafen weiterverbreitet, werde die ganze Welt frei machen.[61]
Im Unterschied zu den vorherrschenden Reaktionen auf die Revolution auf Haiti begrüßten die meisten Amerikaner die Revolutionen in Europa als demokratische Umwälzungen (und folgten dabei Margaret Fuller), als Erhebung des Volkes gegen die Tyrannei von Aristokratie und Monarchie. Marx’ und Engels’ in jenem Jahr veröffentlichtes Kommunistisches Manifest wurde dagegen kaum gelesen und schon bald vergessen, um erst Jahrzehnte später wiederentdeckt zu werden. Aber es fing eine Stimmung ein, die den amerikanischen Kontinent durcheilte: Die Arbeiter hatten die Kontrolle über die Produktionsmittel verloren.
Menschen, die sich hinter die Forderung nach «freier Arbeit» stellten, bestanden auf der moralischen Überlegenheit des Kleinbauerntums und der Lohnarbeit über die Sklavenarbeit. Aber die Sprache des Kampfes zwischen Arbeit und Kapital durchdrang die Ideologie der freien Arbeit. «Arbeit ist älter als und unabhängig von Kapital», sagte Lincoln 1859, und «Kapital ist in Wirklichkeit die Frucht von Arbeit».[62] Aber der Kampf spielte sich nach Ansicht der Free-Soilers nicht zwischen Arbeit und Kapital ab; er wurde zwischen freier Arbeit (den produzierenden Bevölkerungsschichten) und der Sklavenmacht (den amerikanischen Aristokraten) ausgetragen. Die Free-Soil-Bewegung erfuhr die stärkste Unterstützung bei zwei besonderen Ausprägungen der Mittelschicht: bei den Arbeitern in den Städten des Ostens und bei den Farmern in den Territorien im Westen. Wenn ihre Rhetorik, rückblickend betrachtet, wie Marx klingt, so ist sie in Wirklichkeit den Naturschriften von Emerson und Thoreau entlehnt. Im Unterschied zu Thoreau, der die Eisenbahn verdammte, glaubten die Free-Soilers aber an Verbesserung und Modernisierung, Verbesserung durch die harte Arbeit des arbeitenden Mannes, durch seine Kraft und Energie. «Unsere Armen von heute sind, dank der freien Arbeit, unsere Kleinbauern und Kaufleute von morgen», tönte die New York Times. «Wer sind denn die arbeitenden Menschen des Nordens?», fragte Daniel Webster. «Sie sind der ganze Norden. Das sind die Menschen, die ihre eigenen Farmen mit ihren eigenen Händen bewirtschaften, freie Bauern, gebildete Männer, unabhängige Männer.» Arbeitende Männer, die westwärts zogen, nahmen diesen Geist mit, solange sie von Sklavenarbeit freie Staaten gründeten. Der Gouverneur von Michigan erklärte: «Unser Staat ist, wie die meisten neuen Staaten, von einer aktiven, tatkräftigen und wagemutigen Art von Männern besiedelt worden, die unbedingt rasch zu Eigentum kommen wollen.»[63]
Free-Soilers und ihre Verbündeten sprachen von «nördlichem Fortschritt und südlicher Dekadenz» und verglichen die engagierte, wirkungsvolle, auf Verbesserungen abzielende Tätigkeit der freien Arbeit mit der Korruption, Dekadenz und Rückständigkeit der Sklaverei. Die Sklaverei mache aus einem Mann «ein blindes Pferd in einer Tretmühle», sagte Lincoln. Die Sklaverei habe den Süden ruiniert, schrieb der New Yorker Senator William Seward: «Ein ausgelaugter Boden, alte und zerfallende Ortschaften, elendiglich vernachlässigte Straßen.» Horace Greeley formulierte es so: «Versklave einen Mann und du vernichtest seinen Ehrgeiz, seinen Wagemut und seine Fähigkeiten.»[64]
Diese Attacken von Nordstaatlern veranlassten Südstaatler zu größeren Anstrengungen bei der Verteidigung ihrer Lebensweise. Sie kämpften an mehreren Fronten. Sie stellten die «Lohnsklaverei» im Norden als ein weit ausbeuterischeres System dar als die Sklaverei. Sie feierten die Sklaverei als Grundlage des amerikanischen Wohlstands. Die Sklaverei «ist gewachsen mit unserem Wachstum und wurde gestärkt mit unserer Stärke», sagte Calhoun. Und sie formulierten eine zunehmend virulente Ideologie der Rassenunterschiede, die sich auch gegen den Gleichheitsgedanken richtete, der fest in der amerikanischen Weltanschauung verankert war.
Einige dieser Gedanken entstammten dem Bereich der Ethnologie. Der in der Schweiz geborene amerikanische Naturforscher Louis Agassiz sprach von einer «besonderen Schöpfung» und vertrat den Gedanken, dass Gott alle Pflanzen und Tiere der Welt getrennt geschaffen und über die Kontinente und Meere verteilt habe, jede Art an den ihr gemäßen Ort. Mit den Befürwortern der Sklaverei im Süden teilte Agassiz auch die Unterstützung der Polygenie, der Theorie, dass Gott vier unterschiedliche Rassen geschaffen habe, jede von ihnen in einem eigenen Garten Eden. Aber wie Frederick Douglass bemerkte, lag die Sklaverei «der ganzen Kontroverse zugrunde», weil der Streit zwischen Polygenisten und Monogenisten im Kern «eine Debatte zwischen den Sklavenhaltern auf der einen Seite und den Abolitionisten auf der anderen war».[65]
George Fitzhugh, ein konservativer Virginier, der selbst von ethnologischem Gedankengut inspiriert war, verwarf die «selbstverständlichen Wahrheiten» der Unabhängigkeitserklärung als blanken Unsinn: «Die Menschen werden nicht körperlich, moralisch oder intellektuell gleich geboren», schrieb er. «Es wäre sehr viel näher an der Wahrheit zu sagen, ‹dass einige mit einem Sattel auf dem Rücken und andere gestiefelt und gespornt geboren wurden, um sie zu reiten› – und das Reiten tut ihnen gut.» Für Fitzhugh hatte der Irrtum mit den Vorstellungen der philosophes der Aufklärung und deren Leugnung der historischen Wirklichkeit begonnen. Leben und Freiheit seien keine «unveräußerlichen Rechte», behauptete Fitzhugh, vielmehr seien Menschen «in allen Ländern und in allen Zeitaltern verkauft worden, und sie müssen verkauft werden, solange die Natur des Menschen Bestand hat». Gleichheit bedeutet großes Unglück: «Unterordnung, Unterschiede nach Kasten und Klassen, Unterschiede nach Geschlechtern und Lebensalter und die Sklaverei erzeugen Frieden und guten Willen.» Der Fortschritt ist eine Illusion: «Die Welt hat sich in den letzten zweitausend, vielleicht in viertausend Jahren nicht gebessert.» Perfektion ist in der Vergangenheit zu finden, nicht in der Zukunft.[66] Zu den Wirtschaftssystemen des Norden und des Südens merkte Fitzhugh an: «Freie Arbeiter haben nicht den tausendsten Teil der Rechte und Freiheiten von Negersklaven. Die Negersklaven des Südens sind das glücklichste und in einem gewissen Sinn auch das freieste Volk der Welt.»[67]
Die Free-Soil Party bekämpfte Fitzhughs Behauptungen konsequent und ohne Ausnahme. Sie erhielt Unterstützung von Farmern und Arbeitern, sicherte sich aber auch die Loyalität von freien Schwarzen. Henry Highland Garnet, ein schwarzer Abolitionist in Troy, New York, druckte zur Unterstützung der Partei David Walkers Appeal nach. Ihren ersten Konvent hielt die Partei im Sommer 1848 in Buffalo ab. Salmon Chase verfasste ihre programmatische Plattform, die sich sehr eng an seine Interpretation von Madisons Notes anlehnte. Die Verfassung könne nicht abgelehnt werden, erklärte Chase, sie müsse vielmehr wieder in Besitz genommen werden. Chase benannte drei Schlüsselgedanken: «1. Dass die Regierung ursprünglich eine Politik der Einschränkung der Sklaverei verfolgte. 2. Dass der Kongress nach den Bestimmungen der Verfassung in den Territorien die Sklaverei nicht einführen oder bewahren kann. 3. Dass die ursprüngliche Politik der Regierung untergraben und die Verfassung verletzt worden ist, um die Sklaverei auszuweiten und die politische Vorherrschaft der Sklavenhaltermacht zu etablieren.»[68]
Die Free-Soil Party hatte auch die Unterstützung von Frauen erhalten, die in der Abstinenzler- und Abolitionistenbewegung engagiert gewesen waren und in den Wahlkämpfen von 1840 und 1844 für die Whig Party geworben hatten. Unmittelbar nach dem Free-Soil-Konvent in Buffalo kamen in Seneca Falls, New York, 300 Männer und Frauen zu einem Frauenrechtekonvent zusammen. Margaret Fuller war immer noch in Italien, aber ihre Arbeit hatte als Katalysator gewirkt.
Elisabeth Cady Stanton, 32 Jahre alt, schrieb ein Manifest. Stanton, Tochter eines Richters am Obersten Gerichtshof von New York, hatte von Kindesbeinen an die juristischen Fachbücher ihres Vaters gelesen. Im Frühjahr 1848 hatte sie die Verabschiedung eines Married Women’s Property Act für den Staat New York beeinflusst. Nach den Gesetzen der meisten Bundesstaaten konnten verheiratete Frauen weder eigenen Besitz haben noch durften sie Verträge abschließen; ihr gesamtes Eigentum ging mit der Hochzeit auf den Ehemann über. Das New Yorker Gesetz erlaubte nun Frauen eine «getrennte Nutzung» ihres persönlichen Eigentums. Stanton, deren Ehemann, ebenfalls ein Jurist, bei der Gründung der Republican Party mitwirken sollte, war außerdem eine bekannte Abolitionistin. Wie Fuller bereits gezeigt hatte, führte die Abwanderung des Abolitionismus in die Parteipolitik den Frauen vor Augen, wie begrenzt ihre Möglichkeiten zu politischem Handeln waren, wenn sie nicht wählen durften. Die Frauen, die in Seneca Falls zusammenkamen, beschlossen, für jede Art von Gesetzesreform und, was umstritten war, für das Wahlrecht zu kämpfen. Sie fühlten sich, wie Stanton später schrieb, «so hilflos und hoffnungslos, als ob sie völlig unvorbereitet gebeten worden wären, eine Dampfmaschine zu konstruieren».
Stantons «Declaration of Sentiments» («Erklärung der Erwägungen»/«Erklärung über die Rechte der Frauen») rief nicht bloß zu gesetzesreformerischer Arbeit nach und nach auf, sie war ein Widerhall der Unabhängigkeitserklärung:
Wenn im Laufe der menschlichen Ereignisse es für einen Teil der Menschheit notwendig wird, unter den Menschen dieser Welt eine Position einzunehmen, welche von derjenigen, die sie bisher eingenommen haben, verschieden ist, aber wenn dies eine ist, zu der einen die Gesetze der Natur und des Gottes der Natur ermächtigen, dann erfordert es ein geziemender Respekt gegenüber den Meinungen der Menschheit, dass sie ihre Gründe erklären, die sie zu solch einem Verhalten zwingen.
Und es ging noch weiter. «Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte wiederkehrender Rechtsverletzungen und Machtanmaßungen der Männer gegenüber den Frauen mit dem direkten Ziel, eine absolute Tyrannei über diese zu errichten», schrieb Stanton. «Um dies zu belegen, sollen einer unvoreingenommenen Welt Tatsachen vorgelegt werden.» Der Mann nahm der Frau «jegliches Eigentumsrecht», verabschiedete Gesetze, «bei deren Zustandekommen sie nicht gehört» wurde, unterwarf sie einer Besteuerung «ohne Vertretung in den Häusern der Gesetzgebung», versagte ihr jede Art von Bildung und Ausbildung, machte sie zu einer Sklavin seines Willens, verbot ihr die öffentliche Rede und enthielt ihr das Wahlrecht vor.[69] Eine Whig-Zeitung bezeichnete den Konvent als «das schockierendste und unnatürlichste Ereignis, das jemals in der Geschichte der Weiblichkeit zu verzeichnen war».[70] Aber ein so schwaches Mittel wie Gespött konnte Stanton nicht aufhalten. Sie weigerte sich, den Kampf um die Auslegung der Verfassung allein den Männern zu überlassen.
Margaret Fuller, die klügste amerikanische Frau des Jahrhunderts, sollte diesen Kampf verpassen. Mit ihrem erste Worte plappernden und noch auf unsicheren Beinen stehenden knapp zweijährigen Sohn, dessen Vater und dem Manuskript ihrer großen Geschichte der Revolution in Rom, das sie, verpackt in eine blaue Kalikotasche, in einem tragbaren hölzernen Schreibpult mit sich führte, schiffte sie sich 1849 in Italien mit dem Ziel New York City ein. Nur 250 Meter vor dem Ufer von Fire Island, wenige Seemeilen vor New York City, lief ihr Schiff in einem tosenden Sturm auf eine Sandbank. Andere Passagiere rissen Planken aus dem Schiffsdeck, benutzten sie als Schwimmhilfen und retteten sich damit ans Ufer. Fuller, die sich vor Wasser fürchtete und ihr Kind nicht loslassen wollte, saß in einem weißen Nachthemd an Deck und wartete auf ein Rettungsboot vom Leuchtturm der Insel, während das Schiff unter ihr auseinanderbrach, die Masten zersplitterten und die zerfetzte Takelage im Sturmwind flatterte. Eine Welle brach sich über ihr und riss sie mit in das aufgewühlte Meer.
Thoreau reiste aus Massachusetts an, um den Strand nach ihrem Leichnam und nach dem Manuskript abzusuchen. Der winzige, nackte Leichnam ihres Babys war das Einzige, was Retter und Suchtrupps jemals fanden.[71]
IN DER GESCHICHTE HERRSCHT KEIN MANGEL an Unglücksfällen und Ereignissen, die auch anders hätten ablaufen können: In unserem Fall gab es Explosionen auf dem Potomac, Stürme unweit des sicheren Hafens, äußerst knappe Wahlausgänge, verlorene und gewonnene Gerichtsverfahren, ertrunkene politische Visionäre. Aber über die Vereinigten Staaten senkte sich in den 1850er Jahren ein Gefühl der Unausweichlichkeit, als gäbe es ein Schicksal, einen furchtbaren Zerfall, den keine Abfolge von Ereignissen oder Zufällen verhindern konnte.
Henry Wadsworth Longfellow, der Schlimmes für die Union befürchtete, schrieb kurz vor Jahresende 1849 ein Gedicht über das amerikanische Staatsschiff. Der 1807 in der Hafenstadt Portland, Maine, geborene Longfellow war Amerikas bekanntester und beliebtester Dichter. Er war auch der geliebte und leidenschaftlich loyale Freund des 1,92-Meter-Mannes Charles Sumner, der sich in den 1840er Jahren gegen die Annexion von Texas und den Krieg mit Mexiko engagierte und die Rassentrennung an den Schulen Bostons bekämpfte. Sumner hatte Longfellow 1842 auch dazu gebracht, seine Feder für die Abschaffung der Sklaverei einzusetzen, und Longfellow hatte pflichtgetreu ein kleines Buch mit Poems on Slavery geschrieben und veröffentlicht. Der für seine Ablehnung der Sklaverei bekannte Longfellow war 1844 von der Liberty Party gebeten worden, für ein Kongressmandat zu kandidieren. «Obwohl ich die Sklaverei strikt ablehne, gehöre ich keiner Vereinigung an und kämpfe nicht unter einer einzigen Fahne», schrieb er ablehnend. «Der Krieg der Parteien wird für meinen Geschmack zu gewalttätig, zu rachsüchtig; und ich würde in öffentlichen Debatten nur einen schwachen und unwürdigen Kämpfer abgeben.»[72]
Longfellow fürchtete 1849 wie die meisten Amerikaner, die das Geschehen aufmerksam verfolgten, um die Republik. Unter der Überschrift «The Building of the Ship» begann er mit der Niederschrift eines Gedichts über ein wunderschönes, roh gezimmertes Schiff namens Union. Aber als er dieses Gedicht beendete, konnte er sich für dieses große Schiff nichts anderes als eine Katastrophe vorstellen. In seinem ersten Entwurf beendete er das Gedicht mit diesen Zeilen:
… where, oh where,
Shall end this form so rare?
… Wrecked upon some treacherous rock,
Rotting in some loathsome dock,
Such the end must be at length
Of all this loveliness and strength!(… wo, ja wo
Wird dieses einzigartige Gefährt bloß enden?
… Zerschellt an einem tückischen Felsen,
Verrottend in einem scheußlichen Dock,
So muss es enden auf lange Sicht,
Wenn all diese Schönheit und Stärke zerbricht!)
Und dann, am 11. November 1849, kam Sumner zum Abendessen in Longfellows Haus in Cambridge, freudig erregt in Sachen Free-Soil Party. Sumner kandidierte als Free-Soiler für den Kongress; der 12. November war der Wahltag. Er überzeugte Longfellow, dass die Union vielleicht noch zu retten sei und er ein hoffnungsvolleres Ende für sein Gedicht schreiben sollte. Longfellow machte sich noch in jener Nacht an die Überarbeitung, ging am nächsten Tag zur Wahl und stimmte für Sumner. Das neue Ende des Gedichts gehört zu seinen meistbewunderten Versen:
Sail on! Sail on! O Ship of State!
For thee the famished nations wait!
The world seems hanging on thy fate!(Oh! Staatsschiff segle frisch ins Meer, …
Die Menschheit mit ihrer Angst und Pein …
Folgt deinem Schicksal sorgenschwer.)
Seinen Verleger fragte er: «Was halten Sie von dem Beigefügten, anstelle des traurigen Endes von ‹The Ship›? Ist es besser?» Es war besser. Lincolns Sekretär berichtete später über die Wirkung von Longfellows Gedicht auf den Politiker: «Seine Augen füllten sich mit Tränen, und seine Wangen waren feucht. Einige Minuten lang sprach er nicht, aber schließlich sagte er in aller Einfachheit: ‹Es ist eine wunderbare Gabe, wenn man die Menschen so bewegen kann!›»[73]
Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Auseinandersetzung über die Sklaverei, die an den Ufern des Atlantiks begonnen hatte, die Ufer des Pazifiks erreicht – über knapp 5000 Kilometer hinweg, die kreuz und quer von Eisenbahnlinien und Telegrafenleitungen durchzogen waren. «Die Union ist bis hierher wie durch Wunder erhalten worden», hatte John Marshall 1832 geschrieben. «Ich fürchte, das kann nicht so weitergehen.» Es sah ganz danach aus, als sei 1850 ein weiteres Wunder vonnöten. Die Entdeckung von Gold in Kalifornien hatte einen Goldrausch ausgelöst. Migranten kamen aus dem Osten, aus dem benachbarten Oregon, aus Mexiko und aus anderen, mitunter unvorstellbar weit entfernten Teilen der Welt, sogar aus Chile und China. Ein kalifornischer Verfassungskonvent verfügte 1849, dass «weder die Sklaverei noch Zwangsarbeit, es sei denn als Strafe für Verbrechen, in diesem Staat jemals geduldet werden». (Eine Resolution, mit der «freien Negern» die Ansiedlung im Staat verboten werden sollte, wurde abgelehnt.) Nachdem die Wahlberechtigten im Herbst 1849 eine Verfassung ratifiziert hatten, ging der Antrag auf Aufnahme in die Union an den Kongress.[74]
Es muss sich angefühlt haben wie auf einer Schaukel. Die Aufnahme Kaliforniens als freier Staat hätte das unsichere Gleichgewicht zwischen Sklavenhalter- und freien Staaten verschoben. Der Kongress schien in einer Sackgasse festzusitzen. Aber in achtmonatigen, sorgfältig geführten Verhandlungen vermittelte Henry Clay, intensiv unterstützt von Stephen Douglas, einer kleinen, kräftigen Bulldogge von einem Mann, einen Kompromiss – oder vielmehr eine Reihe von Kompromissen – zu Problemen, die mit der Sklaverei verbunden waren. Als Zugeständnis an die Free-Soilers wurde Kalifornien als freier Staat aufgenommen, der Sklavenhandel in Washington, DC abgeschafft, und Texas trat gegen eine Zahlung von zehn Millionen Dollar ein umstrittenes Gebiet an New Mexico ab. (John C. Frémont, ein Gegner der Sklaverei, wurde zu Kaliforniens erstem Senator gewählt.) Um den Befürwortern der Sklaverei entgegenzukommen, sollten die Territorien New Mexico, Nevada, Arizona und Utah organisiert werden, ohne die Sklaverei zu erwähnen, und die Lösung der Frage den Einwohnern selbst überlassen bleiben, sobald sie sich um die Aufnahme als Staat bemühten. Douglas befürwortete den Gedanken der Volkssouveränität und verkündete: «Wenn es einen Grundsatz gibt, der in freien Regierungssystemen teurer und heiliger ist als alle anderen, dann ist es derjenige, der das ausschließliche Recht eines freien Volkes geltend macht, sein eigenes Grundgesetz zu formulieren und zu verabschieden.»[75]
Unfreie Völker hatten nach Stephen Douglas’ Interpretation keine Rechte solcher Art. Das abschließende, die Sklaverei bestätigende Element des Kompromisses von 1850, das Fugitive Slave Law, verlangte von den Bürgern die Auslieferung entflohener Sklaven und verweigerte den Flüchtlingen das Recht auf ein Verfahren vor einem Geschworenengericht. Das Gesetz, sagte Harriet Jacobs, eine in New York lebende entflohene Sklavin, war «für die farbige Bevölkerung der Beginn einer Terrorherrschaft».[76] Kopfgeld- und Sklavenjäger verfolgten und fingen ehemalige Sklaven und gaben sie ihren Besitzern gegen eine Prämie zurück. Nur wenig hinderte sie daran, Männer, Frauen und Kinder zu ergreifen, die frei geboren oder rechtsgültig freigelassen worden waren, und sie ebenfalls in den Süden zu verkaufen. Kein anderer Sachverhalt offenbarte so brutal die Fragilität der Freiheit oder die Habgier, die mit der Sklaverei verbunden war. «Wenn irgendjemand ein Gesetz brechen will, dann lasst ihn das Fugitive Slave Law brechen», schrieb ein verbitterter Longfellow. «Nur dafür ist es gut.»[77]
Harriet Tubman, die im Alter von nur sieben Jahren zum ersten Mal geflohen war, half beim Aufbau einer neuen amerikanischen Infrastruktur mit: bei der Underground Railroad. Tubman, 1,52 Meter groß, war geschlagen worden und fast verhungert – ein gegen ihren Kopf geschleudertes Gewicht hatte eine bleibende Narbe hinterlassen –, aber sie war der Knechtschaft 1849 entkommen und von Maryland nach Philadelphia geflohen. Ab 1850 kehrte sie mindestens dreizehn Mal nach Maryland zurück, rettete bei diesen Unternehmungen rund 70 Männer, Frauen und Kinder und verdiente ansonsten in New York, Philadelphia und Kanada ihren Lebensunterhalt als Wäscherin, Haushälterin und Köchin. Die Menschen nannten sie «Captain Tubman» oder, schlichter, «Moses». Auf die Frage, was sie tun würde, wenn man sie gefangen nähme, antwortete sie: «Es wird mich trösten zu wissen, dass ich meinem Volk etwas Gutes getan habe.»[78]
Der Kompromiss von 1850 hatte kaum vier Jahre Bestand, aber in der Zwischenzeit veränderte er die Abolitionistenbewegung und sorgte ein weiteres Mal für eine Neuordnung der Parteienlandschaft. Der als Free-Soiler kandidierende Charles Sumner gewann 1851 den Senatssitz in Massachusetts, den lange Zeit Daniel Webster innegehabt hatte, der Architekt des Kompromisses, den Sumner verachtete. Im gleichen Jahr überwarf sich Frederick Douglass mit Garrison wegen der Frage der Verfassung. «Ich habe es gründlich satt, auf der Seite der Sklavenhalter zu argumentieren», sagte Douglass. Er war zu der Überzeugung gekommen, dass die Verfassung die Sklaverei nicht billigte und zu deren Abschaffung genutzt werden konnte.[79] «In einer Zeit wie dieser wird beißende Ironie eher gebraucht als ein überzeugendes Argument», sagte ein verbitterter Douglass bei einer scharfen Rede, die er am 5. Juli 1852 in Rochester hielt. «Was bedeutet dem amerikanischen Sklaven euer 4. Juli»?, fragte er.
Ich antworte: Es ist ein Tag, der ihm mehr als jeder andere Tag des Jahres die schreiende Ungerechtigkeit und ungeheure Grausamkeit offenbart, deren stetiges Opfer er ist. Für ihn ist eure Feier ein Schwindel; eure prahlerische Freiheit eine unheilige Zügellosigkeit; eure nationale Größe aufgeblasene Eitelkeit; eure Freudenklänge sind leer und herzlos; eure Anprangerung von Tyrannen eine blanke Frechheit; eure Rufe nach Freiheit und Gleichheit hohl klingender Spott; eure Gebete und Kirchenlieder, eure Predigten und euer Erntedank, mit all eurer religiösen Zurschaustellung und Feierlichkeit, sind für ihn bloßer Bombast, Betrug, Täuschung, Gottlosigkeit und Heuchelei – ein dünner Schleier, mit dem Verbrechen vertuscht werden sollen, die einer Nation von Wilden zur Schande gereichen würden.[80]
Aber selbst als Douglass die Amerikaner dazu aufrief, das in den Dokumenten ihrer Staatsgründung enthaltene Versprechen einzulösen, führte die Expansion nach Westen zu noch mehr erstaunlichen Verzerrungen des Verfassungstextes und moralischen Verrenkungen.
Die Schaukel neigte sich 1854 ein weiteres Mal, auf der Seite der Sklavereibefürworter nach unten gedrückt von Stephen Douglas, der als Vorsitzender des Senatsausschusses für die Territorien fungierte. Der Kongress hatte seit den 1830er Jahren über Pläne für eine transkontinentale Eisenbahnlinie gesprochen. Douglas wollte, dass diese Eisenbahn durch Chicago führte. Aber zwischen Chicago und dem Pazifik lag das sogenannte Permanent Indian Territory, das Land, auf das Andrew Jackson die Indianer im Ostteil des Landes, unter ihnen auch die Cherokee, hatte umsiedeln lassen. Douglas vertrat die Ansicht, dass in einem Zeitalter des Fortschritts im Land der Zukunft bereits die bloße Vorstellung eines dauerhaften Indianer-Territoriums absurd sei: «Der Gedanke, unseren Fortschritt in dieser Richtung anzuhalten, ist so lächerlich geworden, dass wir darüber erstaunt sind, dass weise und patriotische Staatsmänner jemals den Gedanken hegten. … Wie sollten wir unsere immensen Interessen und Besitzungen am Pazifik entwickeln, pflegen und schützen, wenn eine riesige, 2400 Kilometer breite Wildnis besteht, die voller feindseliger Wilder ist und alle direkten Verbindungswege durchtrennt? Die indianische Barriere muss beseitigt werden.»[81]
Als dem Kongress im Januar 1854 ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, der die Begrenzung des Permanent Indian Territory auf die Gebiete Kansas und Nebraska vorsah, schlug Douglas noch einen Zusatz vor, der einer Aufhebung des Missouri-Kompromisses gleichkam, wonach die Sklaverei in beiden Gebieten verboten war. Stattdessen sollte das Volk von Kansas und Nebraska nach dem Grundsatz der Volkssouveränität über diese Frage entscheiden. Der Kansas-Nebraska Act öffnete der Sklaverei die Tür zu einem Gebiet, das ihr zuvor verschlossen war. Die Konsequenzen bedeuteten für viele Nordstaatler einen ungeheuren Verrat an der Verfassung selbst. Der New Yorker Senator Preston King sagte voraus, dass «frühere Trennlinien zwischen den Parteien mit der Mississippi-Linie hinfällig sein werden». Senator Hannibal Hamlin aus Maine erklärte: «Die alte Demokratische Partei ist jetzt die Partei der Sklaverei.»[82]
Die Expansion nach Westen war weit davon entfernt, als Sicherheitsventil zu dienen, durch das aufgestauter Druck entweichen konnte, sie hatte sich ihrerseits als explosiv erwiesen. Die Kontroverse um Kansas und Nebraska machte die Demokraten zur Partei der Sklaverei, und sie bedeutete das Ende für die American Party, die auch als Know-Nothing-Party bekannt war. Die Know-Nothings hatten gelobt, niemals für einen im Ausland geborenen oder einen katholischen Kandidaten zu stimmen, und dafür geworben, den Einbürgerungszeitraum auf 21 Jahre zu verlängern. Im Parlament von Massachusetts hatten sie die Mehrheit erlangt und in Pennsylvania mehr als 40 Prozent der Wählerstimmen. Ein Demokrat aus Pennsylvania meinte: «Fast alle Leute scheinen ganz und gar dem Nativismus verfallen zu sein.» In New York kandidierte Samuel F. B. Morse als Know-Nothing für den Kongress und verlor, aber er brachte seine Botschaft durch den Nachdruck seines nativistischen Traktats Imminent Dangers (Drohende Gefahren) unter die Leute und begann öffentlich zu verbreiten, dass der Abolitionismus selbst eine ausländische Verschwörung sei, eine «seit langem ausgeheckte und sorgfältig geplante Intrige der britischen Aristokratie».[83] («Die Sklaverei als solche ist keine Sünde», behauptete Morse. «Sie ist ein gesellschaftlicher Zustand, der seit Anbeginn der Welt durch göttlichen Ratschluss zu den weisesten Zwecken angeordnet wurde, wohlwollend und erzieherisch.»)[84] Know-Nothings aus dem Norden schlugen im Februar 1854 bei ihrem Konvent in Philadelphia als Wahlkampfschwerpunkt vor, sich für die Rückkehr zum Missouri-Kompromiss einzusetzen. Als dieser Antrag abgelehnt wurde, verweigerten etwa 50 Delegierte aus acht Staaten des Nordens die weitere Mitarbeit, verließen Konvent und Partei und gründeten ihre eigene Partei, die kurzlebige North American Party. Der Nativismus sollte als politische Kraft in Amerika weiterwirken, aber zunächst einmal spalteten sich die Nativisten wegen der Sklaverei.
Der Kansas-Nebraska Act lockte außerdem den 45 Jahre alten Abraham Lincoln aus seiner lukrativen Rechtsanwaltspraxis zurück in die Politik. Als Abgeordneter im Repräsentantenhaus hatte sich Lincoln gegen den Krieg mit Mexiko gewandt und für die Wilmot Proviso gestimmt, aber er hatte sich kaum einmal zur Sklaverei geäußert. Im Frühjahr 1854 begann er dann über die Institution der Sklaverei nachzudenken und prüfte – wie ein Rechtsanwalt, der sich auf einen Gerichtstermin vorbereitet – mögliche Argumente, mit denen diejenigen zu besiegen seien, die diese Institution verteidigten. In einem Fragment, das er im April jenes Jahres verfasste, nahm er einen denkbaren Debattenverlauf vorweg:
Wenn A überzeugend beweisen kann, dass er rechtmäßig B versklaven darf – warum darf B nicht die gleiche Argumentation ergreifen, um ebenso zu beweisen, dass er A versklaven darf?
Du sagst, A ist weiß, und B ist schwarz. Ist es die Farbe dann; die hellere, die das Recht besitzt, die dunklere zu versklaven? Pass auf. Durch diese Regel wirst du zum Sklaven des ersten Menschen, dem du begegnest, der eine hellere Hautfarbe hat als du.
Du meinst nicht direkt die Farbe? Du meinst, dass die Weißen den Schwarzen intellektuell überlegen sind und deshalb das Recht haben, sie zu versklaven? Pass auch da auf. Durch diese Regel wirst du zum Sklaven des ersten Menschen, dem du begegnest, der dir intellektuell überlegen ist.
Aber, sagst du, es ist eine Frage des Interesses; und wenn du es zu deinem Interesse erklären kannst, hast du das Recht, einen anderen Menschen zu versklaven. Na schön. Und wenn er es zu seinem Interesse machen kann, hat er das Recht, dich zu versklaven.[85]
Lincoln fand eine politische Heimat bei einer neuen Partei, bei der Republican Party, die im Mai 1854 in Ripon in Wisconsin von 54 Bürgerinnen und Bürgern mit dem festen Entschluss gegründet worden war, den Kansas-Nebraska Act zu überstimmen. Drei dieser 54 Personen waren Frauen. Ihre neue Partei war ein Zusammenschluss ehemaliger Free-Soilers, Whigs und Demokraten und Know-Nothings aus dem Norden, die gegen die Sklaverei waren. Wenn die Demokratische Partei zur Partei der Sklaverei geworden war, würde die Republikanische Partei die Partei der Reform sein. In diesem Geist begrüßte sie die Unterstützung durch Frauen: Frauen schrieben republikanische Wahlkampftexte und hielten Reden im Namen der Partei. Eine der besten – und bestbezahlten – Rednerinnen der Partei war Anna Dickinson, die als erste Frau im Plenarsaal des Repräsentantenhauses sprach.[86]
Lincoln rang nach seinem Eintritt in die neue Partei mit den Folgerungen, die sich aus den Reden und Schriften des weitblickenden Frederick Douglass ergaben, der das grundlegende Plädoyer gegen die Sklaverei in der gemeinsamen Zugehörigkeit aller Völker zur Menschheit verankert hatte. Im August 1854 hielt Lincoln, der immer noch an seiner Argumentation feilte, seine ersten Reden bei politischen Versammlungen. Im Herbst jenes Jahres, als Wahlkämpfer der Republikaner, beschloss er, Stephen Douglas mit einer Bewerbung um dessen Sitz im Senat herauszufordern. In Peoria lieferte er sich vor einem faszinierten Publikum ein Rededuell mit Douglas. Douglas sprach drei Stunden lang, und anschließend, nach einer Pause für ein Abendessen, sprach Lincoln ebenso lang. Er warf Douglas vor, das, was er befürworte, sei ein Abscheu erregendes Verständnis von Demokratie. Alles hänge davon ab, ob «der Neger ein Mensch ist».
Wenn er kein Mensch ist, nun, in jenem Fall darf derjenige, der ein Mensch ist, im Namen der Selbstbestimmung mit ihm verfahren, wie er will. Aber wenn der Neger ein Mensch ist, ist es dann nicht eine in diesem Ausmaß völlige Zerstörung der Selbstbestimmung zu sagen, dass er seinerseits nicht über sich selbst bestimmen soll? Wenn der weiße Mann über sich selbst bestimmt, das ist Selbstbestimmung; aber wenn er über sich selbst und dann auch noch über einen anderen Menschen bestimmt, ist das mehr als Selbstbestimmung – das ist Despotismus. Wenn der Neger ein Mensch ist, warum lehrt mich dann mein uralter Glaube, dass «alle Menschen gleich geschaffen sind»; und dass es keine moralische Berechtigung geben kann in Zusammenhang mit der Versklavung eines Menschen durch einen anderen.
Aus diesem Grund, wegen der Verwandlung der Demokratie in einen abscheulichen Despotismus, hasse er die mit dem Kansas-Nebraska Act verbundene Haltung:
Ich hasse sie wegen der monströsen Ungerechtigkeit der Sklaverei selbst. Ich hasse sie, weil sie unser republikanisches Beispiel seines ihm zustehenden Einflusses in der Welt beraubt – und es den Feinden freier Institutionen ermöglicht, uns glaubwürdig als Heuchler zu verhöhnen –, weil sie die wahren Freunde der Freiheit an unserer Aufrichtigkeit zweifeln lässt, und besonders, weil sie so viele gute Menschen unter uns in einen offenen Kampf mit den ganz elementaren Grundsätzen bürgerlicher Freiheit zwingt – durch Kritik an der Unabhängigkeitserklärung und das Beharren darauf, dass es kein ernsthaftes Handlungsprinzip gibt außer dem Eigeninteresse.
Lincoln bediente sich der Sprache des «free soil, free speech, and free labor». Er gründete seine Argumentation gegen die Sklaverei auf sein Verständnis der amerikanischen Geschichte, auf die Sprache von Frederick Douglass und auf seine Auslegung der Verfassung. «Es soll sich niemand täuschen», sagte er. «Der Geist von 76 und der Geist von Nebraska sind äußerste Gegensätze.»[87]
Lincoln verlor das Rennen. Und dennoch arbeitete er weiter, verfeinerte seine Argumentation, als ob er einen Baumstamm bearbeiten, zu Brettern zersägen und diese Bretter abschmirgeln würde. «Die meisten Regierungssysteme beruhten praktisch auf der Verweigerung gleicher Rechte für alle Menschen», schrieb er in einer Notiz für sich selbst. «Unseres begann mit der Bekräftigung dieser Rechte. … Wir wagten das Experiment; und die Ergebnisse liegen uns vor. Sieh es dir an – denke daran. Sieh es dir an, in seiner versammelten Großartigkeit, die Ausmaße des Landes und die Zahl der Bewohner – die Schiffe und Dampfschiffe und Eisenbahnen.»[88]
In Kansas, dem Gebiet, dem die Entscheidung überlassen blieb, ob es der Union als freier oder als Sklavenhalterstaat beitreten wollte, brach ein offener Krieg aus. Südstaatler zogen nach Kansas, um dort für die Sklaverei zu stimmen; Nordstaatler zogen nach Kansas, um dort gegen sie zu stimmen. Schließlich begannen die Kontrahenten aufeinander zu schießen. Horace Greeley sprach vom «blutenden Kansas». Bald schon sollte auch im Senat Blut fließen. Lincoln äußerte in einem privaten Brief seine Verzweiflung über das, was er als «fortschreitende Degeneration» der Nation bezeichnete, als einen politischen Rückschritt:
Als Nation begannen wir mit der Erklärung, dass «alle Menschen gleich geschaffen sind». Für uns bedeutet das jetzt praktisch, «alle Menschen sind gleich geschaffen, mit Ausnahme der Neger». Wenn die Know-Nothings an die Macht kommen, wird es bedeuten: «Alle Menschen sind gleich geschaffen, mit Ausnahme der Neger und Ausländer und Katholiken.» Wenn es so weit kommt, würde ich es vorziehen, in irgendein Land zu emigrieren, wo sie nicht vorgeben, die Freiheit zu lieben – nach Russland zum Beispiel, wo man den Despotismus in reiner Form erleben kann, ohne die Beimischung von Heuchelei.[89]
Im Mai 1856 hielt Charles Sumner von seinem Pult im Senat aus eine donnernde Rede unter dem Titel «The Crime Against Kansas», in der er die Barbarei der Sklaverei anklagte, einen Vergleich zur Vergewaltigung zog (und damit andeutete, dass alle Sklavenhalter ihre Sklavinnen vergewaltigten) und vor einem Bürgerkrieg warnte. «Selbst jetzt, während ich hier spreche», rief Sumner aus, «senken sich am Horizont die Vorzeichen herab und drohen das Land zu verdunkeln, das bereits unter dem Geraune vom Bürgerkrieg erzittert.» Zwei Tage später trat der Kongressabgeordnete Preston Brooks, ein Cousin des Senators Andrew Butler aus South Carolina – des Mannes, der gemeinsam mit Stephen Douglas das Kansas-Nebraska-Gesetz verfasst hatte –, an Sumner heran, der an seinem Pult im Sitzungssaal des Senats saß. «Mr. Sumner, ich habe Ihre Rede zweimal sorgfältig durchgelesen», sagte Brooks zu Sumner. «Sie verleumdet South Carolina und Mr. Butler, der mit mir verwandt ist.» Brooks wartete die Antwort nicht ab, sondern prügelte mit seinem Gehstock hemmungslos auf Sumner ein, schlug ihn dabei immer wieder auf den Kopf. Longfellow, der in aller Stille seinen eigenen Beitrag zum Kampf gegen die Sklaverei geleistet hatte – er erkaufte geflohenen Sklaven die Freiheit und unterstützte freie Schulen finanziell –, schrieb an Sumner, um ihm mitzuteilen, er sei «die größte Stimme zum größten Thema, das angesprochen wurde, seit wir eine Nation sind».[90] Es sollte länger als drei Jahre dauern, bis Sumner sich von seinen Kopfverletzungen erholt hatte. Massachusetts verweigerte während dieses ganzen Zeitraums die Wahl eines Nachfolgers und ließ seinen Senatssitz unbesetzt.
«Der Süden kann Redefreiheit nirgendwo tolerieren», schrieb die Cincinnati Gazette.[91] Aber was Brooks’ Stockschläge gegen Sumner am deutlichsten zeigten, war, dass die Auseinandersetzung um die Sklaverei eine Auseinandersetzung um den Westen war. Die Republikanische Partei, die Free-Soilers in ihre Reihen aufnahm und der wachsenden politischen Macht des Westens Rechnung trug, nominierte für die Präsidentschaftswahlen 1856 John C. Frémont, den Kalifornier und berühmten Entdeckungsreisenden, als ihren Kandidaten. Lincoln scheiterte nur knapp bei der Nominierung für die Vizepräsidentschaft. Das Motto der Kampagne: «Free Speech, Free Soil, and Frémont!» Das Wahlprogramm lehnte die Vorstellung ab, die Sklavereifrage könne den einzelnen Staaten überlassen werden: «Wir bestreiten die Befugnis des Kongresses, der Legislative eines Territoriums, einer Einzelperson oder irgendeines Zusammenschlusses von Einzelpersonen, die Sklaverei in irgendeinem Territorium der Vereinigten Staaten für rechtlich zulässig zu erklären, solange die gegenwärtige Verfassung beibehalten wird.»[92]
Frémont erwies sich als ein glanzloser Wahlkämpfer. Mehr als ein Republikaner wies darauf hin, dass seine Frau, die eindrucksvoll eloquente Jesse Benton Frémont, «die bessere Kandidatin gewesen wäre».[93] Die Whigs nominierten den profillosen Millard Fillmore, wobei der Vorsitzende des Nominierungskonvents kundtat: «Es ist gepredigt worden, dass die Whig Party tot ist, aber dem ist nicht so.» Er irrte sich. Die Whigs waren tatsächlich tot. Die Demokraten beschlossen 1856, ihre beste Chance auf einen Wahlsieg sei die Nominierung eines Sklavereibefürworters aus dem Norden, und wählten James Buchanan aus. Polk vertraute seinem Tagebuch an: «Mr. Buchanan ist ein fähiger Mann, aber in den kleinen Dingen fehlt es ihm an Urteilsvermögen, und manchmal benimmt er sich wie eine alte Jungfer.»[94] Buchanan war ein Mann von begrenzter Vorstellungskraft, und seine einzige politische Tugend war, dass er sich den Anschein der Unparteilichkeit gab: Während der vom Kansas-Nebraska Act ausgelösten Wirren war er Botschafter in Großbritannien gewesen, was ihn in den Augen der amerikanischen Wähler unbelastet erscheinen ließ, als wäre eine Stimme für Buchanan eine Stimme für die Union. Bei seinem Wahlkampf für das Präsidentenamt bediente sich Buchanan dann des Arguments, ein Wahlsieg Frémonts, eines bekannten Gegners der Ausweitung der Sklaverei auf die neuen Territorien, würde zu einem Bürgerkrieg führen; er erzielte einen Erdrutschsieg.
Der Krieg, den Buchanan abzuwenden hoffte, sollte kommen, mit ihm oder ohne ihn. Frémont war der erste Präsidentschaftskandidat gewesen, der versprochen hatte, die Ausweitung der Sklaverei zu beenden; Buchanan, der kein Versprechen dieser Art abgab, war der erste Präsident, dessen Amtseinführung fotografiert wurde. Auf einem unscharfen Schwarz-Weiß-Bild des East Portico des Kapitol-Gebäudes ist ein Publikum von Männern mit Zylinderhüten und Frauen in Reifröcken festgehalten, Menschen, die sich an einer Absperrung drängen, am Mittwoch, dem 4. März 1857. Buchanan wurde vom Obersten Richter Roger Taney vereidigt, einem verhutzelten 79-jährigen Demokraten aus Maryland, der von Andrew Jackson ans Gericht berufen worden war. Buchanan hielt eine Inaugurationsrede, in der er das Thema Sklaverei als eher unbedeutend kurzerhand beiseite wischte: «Es wird das größte Glück für das Land sein, wenn das öffentliche Bewusstsein von dieser Frage abgezogen wird und sich anderen Themen von dringenderer und praktischerer Bedeutung zuwendet.» Zudem äußerte er seine Zufriedenheit hinsichtlich eines mit großer Anspannung erwarteten Urteils von Taneys Supreme Court in einem unter der Bezeichnung Dred Scott v. Sandford bekannt gewordenen Verfahren. Der als Sklave geborene Scott war in einen freien Staat mitgenommen worden und hatte auf seine Freilassung geklagt. Von seinem Standort auf dem Kapitol rief Buchanan über ein Meer von Zylinderhüten hinweg, dass er dem Gericht mit Freuden sowohl diese als auch die umfassendere Frage überlasse, wie mit der Ausdehnung der Sklaverei umgegangen werden solle. «Es ist eine juristische Frage, die legitimerweise vor den Obersten Gerichtshof gehört, bei dem sie jetzt anhängig ist und, das gilt als vereinbart, zügig und endgültig geklärt werden wird», sagte Buchanan. «Seiner Entscheidung werde ich mich, gemeinsam mit allen guten Bürgern, mit Freuden unterwerfen.»[95]
Das war, gelinde gesagt, entschieden unehrlich. In Wahrheit hatte Buchanan für eine Verschiebung des Urteilsspruchs geworben und mindestens einen – aus dem Norden stammenden – Richter unter Druck gesetzt, sich auf die Seite der sklavereifreundlichen Mehrheit zu schlagen. Am darauffolgenden Tag berichtete der Philadelphia Inquirer, Richter Taney verfasse zu Hause seine Urteilsbegründung. «Das Urteil im Fall Dred Scott wird morgen bekanntgegeben werden», berichtete ein Korrespondent des New York Herald.[96] Die Nation hielt den Atem an.
Die Debatte hatte seit Jahrzehnten getobt. Billigt die Verfassung die Sklaverei, oder tut sie das nicht? Frederick Douglass war zu dem Ergebnis gelangt, dass bereits die Frage an sich eine Absurdität war. Richter Taney sah das anders.
Er gab sein Urteil am 6. März 1857 bekannt. Nur einmal, im Fall Marbury v. Madison, hatte der Oberste Gerichtshof ein Bundesgesetz aufgehoben. Im Fall Dred Scott v. Sandford entschied sich Taney dafür, dass der Supreme Court ein weiteres Mal diese Machtbefugnis in Anspruch nehmen solle, und erklärte den Missouri-Kompromiss im Namen einer 7:2-Mehrheit für verfassungswidrig. Aber es war seine Logik, die verblüffte. Der Kongress habe gar nicht die Macht zur Begrenzung der Sklaverei in den Einzelstaaten, behauptete Taney, weil die Urheber der Verfassung Menschen afrikanischer Herkunft als «Wesen von niedrigerem Rang», betrachtet hätten, «insgesamt ungeeignet für die Verbindung mit der weißen Rasse in gesellschaftlichen oder politischen Beziehungen und so viel tiefer stehend, dass sie keine Rechte hätten, zu deren Respektierung der weiße Mann verpflichtet wäre». Kein «Neger der afrikanischen Rasse», entschied er, könne jemals die Rechte und Privilegien beanspruchen, die mit der Staatsangehörigkeit der Vereinigten Staaten verbunden seien.[97]
Die Nachricht verbreitete sich mit Hilfe des Telegrafen in jeden Winkel der rasch expandierenden Republik. Die Reaktionen kamen prompt, eine Flut von empörten Aufschreien und gedämpfte Erleichterung bei den Agitatoren, die für die Sklaverei eintraten. Ein paar Tageszeitungen mit flinken Setzereien gelang es, die Nachricht bereits am Samstag, dem 7. März, zu veröffentlichen. Das Albany Journal brachte sogar einen Leitartikel zum Thema, in dem festgestellt wurde, das Urteil sei keine Überraschung, denn: «Fünf der Richter sind Sklavenhalter, und zwei der restlichen vier verdanken ihre Ernennungen ihrer leichtgängigen Erfindungsgabe beim Umdeuten von Gesetzen der Staaten zugunsten von Forderungen der Bundesregierung im Namen der ‹Institution des Südens›.» Die meisten Zeitungen berichteten erst am Montag, dem 9. März über das Urteil, und ausführlichere Darstellungen der Urteilsbegründung erschienen nicht vor dem 13. März, an dem William Lloyd Garrisons Liberator der Zusammenfassung des Urteils eine ganze Spalte widmete, die mit folgendem Machtwort begann: «Dass Neger, ob Sklave oder Freier, das heißt, Menschen der afrikanischen Rasse, keine Bürger der Vereinigten Staaten im Sinn der Verfassung sind.» Die Folgerungen, die sich aus dem Urteil ergaben, verblüfften seine Leser. Selbst Amerikaner, die keine entschiedenen Ansichten zur Frage der Sklaverei hatten – und solche Personen waren selten genug –, waren schockiert von der Art, in der das Gericht seine Macht gebrauchte, darüber zu entscheiden, ob ein Gesetz verfassungswidrig sei oder nicht. Die National Era veröffentlichte am 19. März einen Essay unter der Überschrift «The Supreme Court – The Oligarchy, The People», in dem präzise genug vorhergesagt wurde, dass «dieses Urteil des Supreme Court, das so weit davon entfernt ist, die Agitation der Sklaverei zu unterbinden oder das Volk mit deren Ansprüchen zu versöhnen, neue Anlässe für Kontroversen liefern, Öl ins Feuer gießen und die öffentliche Meinung noch mehr gegen die Vorherrschaft der Sklavenhalter aufbringen wird». Der Independent brachte am gleichen Tag einen Beitrag unter der Überschrift: «Können Richter Gesetze machen?»[98] Die Antwort: Nein.
Die vollständige Urteilsbegründung des Gerichts – ein mehr als 600 Seiten umfassendes Buch – sollte erst im Mai 1857 gedruckt werden. Aber bis dahin hatten bei Versammlungen im ganzen Land schwarze und weiße Menschen gleichermaßen das Urteil verworfen. Im April gab es in Philadelphia «eine große Versammlung farbiger Menschen», bei der folgender Beschluss gefasst wurde: «Die einzige Pflicht, die ein farbiger Mensch einer Verfassung schuldet, unter der er zu einem minderwertigen und erniedrigten Wesen erklärt wird, das keine Rechte besitzt, die weiße Menschen zu respektieren haben, ist, sie anzuprangern und zurückzuweisen und alles zu tun, was er mit angemessenen Mitteln tun kann, um sie in Verruf zu bringen.»[99] Was sollte ein Volk tun, dessen Oberster Gerichtshof die Möglichkeit der Gleichheit verneinte? «Ich leide mit Dir an der Ungerechtigkeit der Zeit», schrieb Longfellow an Sumner. «Sie ist beklagenswert; sie ist herzzerreißend; und ich sehne mich danach, ein kraftvolles Wort zu sagen, das Vitalität in sich tragen sollte und Wucht.»[100]
Lincoln äußerte seine Meinung über das Urteil bei einer Rede in Springfield. Die Ansicht des Gerichts, sagte er, «beruht auf vorgeblichen historischen Tatsachen, die in Wirklichkeit nicht zutreffen». Taney hatte behauptet, die in der Unabhängigkeitserklärung festgestellte Gleichheit habe niemals auch für schwarze Menschen gelten sollen. Wenn dies zuträfe, was waren Jeffersons Worte dann wert, fragte Lincoln. Waren «diese Wahrheiten» bloße Lügen? Lincoln trug seine eigene Interpretation vor. «Die Erklärung, dass ‹alle Menschen gleich geschaffen sind›, hatte keinen praktischen Nutzen bei der Herbeiführung unserer Trennung von Großbritannien», stellte er fest, «und sie wurde in die Unabhängigkeitserklärung nicht zu diesem, sondern für den zukünftigen Gebrauch aufgenommen. Ihre Autoren, Gott sei Dank, das erweist sich jetzt, legten es auf einen Stolperstein an für diejenigen, die in späteren Zeiten versuchen könnten, ein freies Volk auf die abscheulichen Wege des Despotismus zurückzuführen.»[101]
Aber die bewegendste Rede über das Gerichtsurteil zu Dred Scott war die Rede, die Frederick Douglass hielt. Jubelnde Sklavenbesitzer meinten, Dred Scott habe die Frage der Sklaverei ein für allemal gelöst. Douglass, den Blick auf die Geschichte gerichtet, widersprach. «Je mehr die Frage gelöst worden ist, desto mehr bedarf sie der Lösung», merkte er sarkastisch an. Der Trostlosigkeit des Urteils zum Trotz – er bezeichnete es als eine «niederträchtige und schockierende Scheußlichkeit» – sah er viel Anlass zur Hoffnung. «Ihr mögt euren Obersten Gerichtshof vor dem Schrei des schwarzen Menschen nach Gerechtigkeit verschließen, aber, Gott sei Dank, ihr könnt nicht das Ohr einer mitfühlenden Welt vor ihm verschließen, noch könnt ihr das himmlische Gericht zum Schweigen bringen.» Taneys Auslegung der Verfassung werde ignoriert werden, sagte Douglass voraus. «Die Sklaverei lebt in diesem Land nicht aufgrund irgendeiner papierenen Verfassung, sondern in der moralischen Blindheit des amerikanischen Volkes.»[102]
Dred Scott, 58 Jahre alt, starb nur wenige Monate später. Er hatte noch als Hotelportier in St. Louis gearbeitet, während er bereits an Tuberkulose litt, einer langsam voranschreitenden Krankheit, einer Schwächung der körperlichen Verfassung, die so unaufhörlich weiterwirkte wie die Krankheit, die die Nation selbst heimsuchte. Frederick Douglass beobachtete und hielt Ausschau nach einer Kur, einem Ende für das Leiden, einer Beseitigung der moralischen Blindheit des amerikanischen Volkes. Aber es war, als hätte die Nation, wie Ödipus von Theben, erkannt, dass ihr eigener Ursprung mit einem Fluch verbunden war, und sich selbst die Augen ausgestochen.
Der weißbärtige Henry Wadsworth Longfellow mochte, den Kopf auf die Hände gestützt, die Ellbogen auf dem Schreibtisch, in Gedanken zum ursprünglichen Schluss zurückgekehrt sein, den er für «The Building of the Ship» geschrieben hatte, das Gedicht, in dem die Union, nachdem Kapitän und Besatzung in einem Sturm geblendet wurden, in höchste Not gerät: «Lost, lost, wrecked and lost!/By the hurricane driven and tossed» («Verloren, verloren, schiffbrüchig und verloren/Vom Sturm geschüttelt, zum Untergang erkoren»). Stattdessen steuerte er, mit Lincoln, das Schiff seiner Seele aus dem Sturm der Verzweiflung hinaus und machte seine Kanonen feuerbereit.