Das bezaubernde Leben der Wasserschmetterlinge

 

Doch vorerst interessierte ich mich noch mehr für die Wasservögel. Die Ergebnisse meiner sechsjährigen Untersuchungen zu ihrem Vorkommen und ihrer Häufigkeit an den Stauseen am unteren Inn fasste ich kurz nach Beginn meines Zoologiestudiums zusammen und veröffentlichte sie. Die Arbeit wurde mir vom Zoologischen Institut formal als Zulassungsarbeit zur Staatsprüfung anerkannt. Daher konnte ich mich bereits wenige Semester nach Studiumsbeginn auf die Suche nach einer passenden Doktorarbeit machen. Eine Freilandforschung sollte es werden; am liebsten wäre mir eine Vertiefung meiner Wasservogelstudien gewesen. Doch der Dozent, an den ich mich wandte, meinte, ich solle mir so eine große Forschungsarbeit für die Zeit nach dem Doktorat aufbewahren und besser ein Thema bearbeiten, das auch Physiologie enthält. Von den drei Vorschlägen, die er mir gab, gefielen mir die Wasserschmetterlinge am besten. Ihr seltsames Leben hat tatsächlich viel mit Physiologie, mit der Physiologie der Atmung unter Wasser und den damit verbundenen Hautstrukturen der Raupen, zu tun.

Als spezielle Art wählte ich den Seerosenzünsler. Diesem kleinen zarten Schmetterling verdanke ich es, dass ich 1969 zum Dr. rer. nat. an der Ludwig-Maximilians-Universität München promoviert wurde. Einen Doktortitel gibt es für die unterschiedlichsten Forschungen, für reichlich obskure Themen mitunter, deren Sinnhaftigkeit nicht immer gleich von jedem verstanden wird. Mag sein, dass meine Doktorarbeit »Untersuchungen zur Biologie des Wasserschmetterlings Nymphula nymphaeata« auch in diese Kategorie fällt. 1970 wurde sie in der »Internationalen Revue der gesamten Hydrobiologie«, Band 55 (Seiten 687–728) veröffentlicht. Dass es darin um die Lebensweise eines Wasserschmetterlings mit dem (frei übersetzt) sehr hübschen wissenschaftlichen Namen »Kleine Nymphe der Seerosen« ging, lässt sich dem Titel entnehmen. Was aber wirklich in dieser »Biologie« steckt, bedarf einer näheren Schilderung.

Noch immer begeistern mich der zarte Schmetterling und seine nähere Verwandtschaft so sehr, dass mein Herz spürbar schneller schlägt, wenn ich wieder einmal einen von ihnen erblicke oder Neues zu ihrer Lebensweise herausbekomme. Tatsächlich geschieht dies, auch wenn schon so viel Zeit seit meiner Dissertation vergangen ist. In solchen Momenten denke ich, was für ein Glück ich doch gehabt habe mit der Wahl des Doktorarbeitsthemas. Die Kleinen Nymphen der Seerosen prägten mich zum Freilandbiologen, der viel lieber draußen in der Natur als drinnen im Labor forscht. Sie hielten mein wissenschaftliches Streben offen für die Schönheiten, für das Wunder des Lebendigen. Als »Objekte«, als lediglich wissenschaftlich ergiebigen Forschungsgegenstand, hatte ich die kleinen Schmetterlinge nie ansehen oder behandeln können. Ihre Lebendigkeit fesselte mich.

Wie freute ich mich, wenn die kleinen Falter, die ich zum Beobachten daheim in einem Flugkäfig hielt, von meiner Fingerspitze ein Tröpfchen leicht gesüßten Wassers tranken. Danach machten sie immer einen leicht verwirrten Eindruck und suchten mit ihren Rüsseln umher. Was ich ihnen im Käfig mittels einer flachen Wasserschale an Pflanzen aus ihrem natürlichen Lebensraum der Ufer von Kleingewässern angeboten hatte, sagte ihnen offenbar nicht zu. So eingeschlossen, veränderte sich ihr Verhalten, das ich doch erforschen wollte, wahrscheinlich ziemlich stark. Die Raupen der Wasserschmetterlinge ließen sich in kleinen Aquarien leicht halten. Ihr Leben ist ganz auf Nahrungsaufnahme eingestellt. Und auf die regelmäßige Häutung, die sie für das Weiterwachsen nötig haben. Im Fressstadium stellen sie keine besonderen Ansprüche, außer dass sie das richtige Futter in Form der Blätter von Schwimmblattpflanzen bekommen. Selbst an dieses sind sie gar nicht so eng gebunden, wie das aus der bereits vorhandenen Fachliteratur hervorging. Die Entwicklung der Raupen aus den Eiern bis zur Verpuppung und das Schlüpfen der Falter hätte ich also durchaus direkt an meinem Arbeitsplatz im Zoologischen Institut der Universität München mitverfolgen können. Nicht aber das Leben der Falter.

 

 

Nymphula nymphaeata, am Ufer ruhendes Männchen, vor 50 Jahren während meiner Freilandforschungen zur Doktorarbeit fotografiert

 

Doch ich hatte Glück. An die Geheimnisse ihres Lebens kam ich auf andere und viel bessere Weise. Zwar hatte ich »meinen« Wasserschmetterling zuerst im Botanischen Garten in München gefunden, wo die Raupen die Schwimmblätter kleiner (und seltener) Seerosen zerfraßen. Daher waren sie bei den Gärtnern nicht gerade beliebt. Deren Erwartung, dass ich sie mit meinen Forschungen von diesen Schädlingen befreien würde, erfüllte ich nicht, weil ich bald natürliche Vorkommen in der Umgebung meines Heimatortes im niederbayerischen Inntal fand. Die Seerosenzünsler, wie sie in der nüchternen Fachsprache genannt werden, gab es in aufgelassenen, sogar als Müllabladeplätze missbrauchten kleinen Kiesgruben und in Altwassern im Auwald am Inn. Diese Vorkommen konnte ich von zu Hause aus zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen. Als ich dort an schönen Frühsommerabenden mit der Beobachtung der Seerosenzünsler anfing, fühlte ich mich großartig. Zu Beginn der Dämmerung fingen die Männchen mit ihren Suchflügen an. Ein erster, im Abendlicht gut erkennbar elfenbeinfarbener Falter tänzelte aus dem Uferröhricht hervor und flog wie umherirrend zwei bis drei Handbreit hoch über der Wasseroberfläche. Kaum war er draußen, folgten aus dem Röhricht weitere, Dutzende. Im aufsteigenden Dunst, der sich ganz langsam zum Nebel verdichtete, tanzten sie in einer nicht nachvollziehbaren Choreographie. Nymphula, Kleine Nymphe. Welch passender Name, dachte ich, noch nicht ahnend, dass mich noch viel Aufregenderes erwartete.

 

 

Abends am Tümpel

 

Die Wasserfrösche beendeten ihr Gequake, das bei Sonnenuntergang als vielstimmiger Chor einen letzten lautstarken Höhepunkt erreicht hatte und die Wasseroberfläche des Tümpels in der Kiesgrube erzittern ließ. Jetzt brach eigentlich die Tageszeit der Laubfrösche an. Aber nur einer presste kurz ein »äp, äp, äp« aus seiner Kehle und schwieg sodann. Für die Laubfrösche war es bereits zu spät im Jahr. Ihre Konzerte geben sie im April oder Anfang Mai. Den Abfallhaufen an der Böschung untersuchten jetzt Ratten. Sie huschten über Bauschutt und Hausmüll, den sie nach Fressbarem durchsuchten. Für Momente lenkten sie mich vom Beobachten der Wasserschmetterlinge ab. Bei der Betrachtung durchs lichtstarke Fernglas sah ich, dass es Wanderratten aller Größen waren. Wahre Riesen, wie es mir schien, waren dabei. Für Katzen wären sie lebensgefährliche Gegner gewesen. Aber es gab auch kleine, die mit ihren Müttern herumsuchten, zu denen sie erkennbar engen Kontakt hielten. Als ein zitternder Schatten durchs Blickfeld des Fernglases flog, bemerkte ich erst, dass mich auch Fledermäuse umschwirrten. Sie fingen Wasserinsekten über dem Tümpel. Die Abenddämmerung ist Schwärmzeit von Köcherfliegen und Eintagsfliegen. Überall erhoben sie sich in die Luft als ich mit dem gebündelten Strahl meiner Taschenlampe umherleuchtete. Die späte Dämmerung ging in die Dunkelheit über. Ich hatte die Lampe mitgenommen, um zu sehen, wie lange die Wasserschmetterlinge flogen. Anscheinend reichte ihr Flug nicht sehr weit in die Nacht hinein, denn schon im letzten Tageslicht wurden es deutlich weniger, die ich über der Wasseroberfläche erkannte.

Die Falter zogen sich zurück ans Ufer. Aus kurzem Schwirrflug heraus landeten sie an den Stängeln der Pflanzen und rührten sich nicht mehr. Vielleicht war es ihnen zu kühl geworden, dachte ich, und spürte nun selbst die feuchtfrische Kühle der Frühsommernacht. Ich würde also, diesen ersten Eindrücken zufolge, die Abnahme von Helligkeit und Temperatur messen müssen. Mit dem damals, in den 1960er Jahren, noch nötigen Belichtungsmesser zur richtigen Einstellung der Blende am Fotoapparat sollte das für die Helligkeitsabnahme gehen. Bei der Lufttemperatur würde es nicht so einfach werden, wie ich bei Messversuchen mit einem Laborthermometer schnell einsah, denn es zeigte recht unterschiedliche Temperaturen an, je nachdem, wie nahe am Wasserspiegel und am Röhricht ich maß und ob ich das Thermometer weit genug von meinem Körper entfernt gehalten hatte. Von den heutigen Präzisionsmessungen der Temperaturen war man vor einem halben Jahrhundert bei Geländearbeiten noch weit entfernt. Auch das Zählen der fliegenden Schmetterlinge gestaltete sich, zurückhaltend ausgedrückt, ziemlich problematisch. So erratisch schwirrten sie über dem Wasserspiegel umher und am Röhrichtrand entlang. Mit schwächer werdendem Abendlicht wurden es mehr und mehr, dann weniger. Rasch nacheinander wiederholte Zählversuche ergaben peinlich unterschiedliche Zahlen. Meine Euphorie, so zu Daten für eine interessante Doktorarbeit über diese zauberhaften Schmetterlinge zu gelangen, wich in den nächsten Abenden, die ich an den Tümpeln verbrachte, der aufkommenden Sorge, ob ich genügend gute und auch hinreichend neuartige Befunde bekommen würde, dass sie für eine Dissertation reichten. Zweifellos war es doch nötig, die Raupen mit den Wasserpflanzen, an denen sie fraßen, in Aquarien zu halten. Die Flugkäfige für die geschlüpften Falter mussten verbessert und naturnäher gestaltet werden. Denn selbstverständlich war draußen an den Tümpeln nicht jeder Abend zum Beobachten ideal.

Rasch zeigte sich, dass auch unter den günstigen Bedingungen, die Tümpel mit den Wasserschmetterlingen fast vor der Haustüre zu haben, Forschungen im Freiland mit dem Wetter und mit nicht vorhersehbaren Ereignissen zu kämpfen haben. So wurde eine der Kiesgruben wenige Wochen nach Beginn meiner Untersuchungen in einen Karpfenteich umgewandelt. Mit der Folge, dass alsbald alle Wasserpflanzen darin vernichtet waren. Wenigstens gelangten damals noch kaum Dünger und Gifte, die in der Landwirtschaft verwendet wurden, in die Kiesgruben oder in die Altwasser im Auwald. Dass die Gruben alle knapp ein Jahrzehnt nach Abschluss meiner Forschungen vernichtet sein würden, ahnte ich nicht. Sie wurden verfüllt, planiert und mit Bäumen bepflanzt oder in Ackerland zurückverwandelt. Ausgerechnet Naturschützer hatten sie zu »Wunden in der Landschaft« erklärt, die geschlossen werden müssten. Und neue derartige Wunden durfte es zukünftig auch nicht mehr geben, damit die Landschaft »heil« bliebe. Noch immer versetzt es mir einen Stich, wenn ich an den Stellen vorbeikomme, an denen ich die Freilandforschungen zu meiner Doktorarbeit durchführte. Maisfelder decken sie zu. Auf einer wachsen Bäume und bilden ein kleines Gehölz. Verfüllt sind sie alle. Mit solch kleinen Verlusten beginnt die Erosion des Heimatgefühls. Doch weiter mit der Schilderung des Lebenslaufes der Seerosenzünsler. Vielleicht wird daraus ersichtlich, warum mich diese kleinen Wesen so faszinierten, dass sie mein ganzes Zoologenleben hindurch in mir weiterwirkten. Und Stellvertreter für alle Schmetterlinge wurden.

 

 

Das verborgene Leben der Kleinen Nymphen

 

Beginnen wir mit dem erfolgreichen Ende eines frühsommerlichen Suchfluges. Es sind die Männchen, die in der Abenddämmerung herumgeistern. Sie suchen nach Weibchen, nach frisch geschlüpften, die noch nicht begattet sind. Mit einem reizenden kleinen Experiment konnte ich verfolgen, was dabei vor sich geht. Ein daheim im Aquarium geschlüpftes Weibchen setzte ich in einen Mini-Käfig, wie er in der Imkerei für die kurzzeitige Unterbringung von Bienenköniginnen verwendet wird. Über die vergitterten Seiten kann der Lockstoff, den das Weibchen von sich gibt, austreten und von den Luftströmungen verbreitet werden. Auf einem Styropor-Floß ließ ich dieses jungfräuliche Weibchen in der Abenddämmerung aufs freie Wasser des Tümpels hinaustreiben, nachdem der Suchflug der Männchen eingesetzt hatte. Schon nach wenigen Minuten änderten sich deren erratische Flüge und wurden zu zielgerichteten Bahnen. Dutzende Männchen landeten am Käfig. Mit dem durchs Gitter gestreckten Hinterleib versuchten sie zum Weibchen zu gelangen. Ich hatte das Floß an einer Schnur befestigt und konnte es nun näher zu mir ans Ufer ziehen. Die Männchen folgten wie daran festgeklebt. Sie ließen sich auch nicht verscheuchen, als ich den Korken herauszog und das Weibchen auf die schwimmenden Blätter des Wasserknöterichs hinausließ. Kaum war es frei, erfasste es eines der Männchen zur Kopulation. Und gab es nicht mehr frei. Die anderen hatten keine Chance. Sie ließen ab von dem Paar und führten ihre Suchflüge weiter. Da und dort bemerkte ich nun, dass eines landete und sich mit einem anderen Weibchen paarte, das auf einem Schwimmblatt saß. Die etwas trüber getönten Weibchen waren im Dämmerlicht gar nicht so leicht zu entdecken, wenn sie auf einem schwimmenden Blatt saßen.

Am nächsten Morgen startet das frisch begattete Weibchen dann seinen Suchflug. Noch dichter schwirrt es über die Wasseroberfläche, bis es Schwimmblätter findet, deren Ränder noch keine ausgeschnittenen Kerben als klare Fraßspuren bereits vorhandener Raupen tragen. In Frage kommen verschiedene Arten von Wasserpflanzen, deren Blätter sich auf der Wasseroberfläche ausbreiten. Nach der Landung betastet das Weibchen mit den Beinen ausgiebig das Blatt. Schwimmendes Laichkraut Potamogeton natans, Wasserknöterich Polygonum amphibium und Seekanne Nymphoides peltata sowie junge, noch dünne Blätter von Seerosen Nymphaea sp. Für das Wachsen und Gedeihen der Raupen eignen sich die Schwimmblätter der mit gelben Blüten auffallenden Seekanne besonders gut. Aber dieses zur Wasserpflanze gewordene Enziangewächs kommt nur höchst selten vor. Die Unterschiedlichkeit der hier genannten Wasserpflanzen drückt aus, dass die Seerosenzünsler nicht auf bestimmte Futterpflanzen spezialisiert sind. Ihre Raupen ließen sich sogar erfolgreich mit Blättern von grünem Salat füttern. Allerdings mit Wirkungen, mit denen ich nicht gerechnet hatte und die sehr aufschlussreich waren.

Hat das Weibchen ein geeignetes Blatt gefunden, schiebt es sich rückwärts dem Rand entgegen und krümmt die Spitze des Hinterleibs so über den Blattrand, dass sie die Unterseite des Schwimmblattes erreicht. Das fällt gar nicht leicht, da die Oberflächenspannung zu überwinden ist. Nahe am Rand klebt das Weibchen sodann 100 bis 180 Eier in einem Gelege auf die Blattunterseite. Diese werden vom Wasser benetzt. Die Räupchen entwickeln sich rasch. Wie schnell, das hängt davon ab, wie warm das Wasser im Lauf des Frühsommers wird. Beim Schlüpfen beißen sich die Räupchen durch die Haut der Eier und nagen sich in das Gewebe des Blattes hinein. Ist dieses dick, wie bei Seerosen, fressen sie einfach im Blatt weiter. Sie »minieren«, wie man es auszudrücken pflegt. Aus dünneren Blättern schneiden sie sich bald ein Stückchen heraus und bedecken sich damit. Feinste, im Wasser unlösliche Seidenfäden halten das zunächst nur zwei oder drei Millimeter lange Blattstückchen fest.

Die Raupe wird in diesem Zustand und auch noch im nächsten Stadium nach der ersten Häutung in ihrem Mini-Köcher vom Wasser benetzt. Sie atmet durch die Haut. Die schon angelegten Atemöffnungen mit den Röhrchen (Tracheen), die Luft in den Körper hinein- und das ausgeschiedene Kohlendioxid nach außen abgeben, bleiben in den ersten beiden Raupenstadien geschlossen. Nach der ersten Häutung schneidert sich die Raupe einen richtigen Köcher mit Boden und Deckel. Auch dieser enthält Wasser, und die Raupe atmet weiterhin durch die Haut. Doch wenn sie sich zum dritten Larvenstadium häutet, ändert sich dies. Die aus der alten, zu eng gewordenen Haut geschlüpfte Raupe schimmert nun ganz seidig. Wasser perlt von ihr ab. Sie streckt den Kopf über den Wasserspiegel, und sogleich wird sie von einer silbrig glänzenden Luftschicht eingehüllt. Den neuen Köcher schneidet sie nun so groß bemessen, dass sie sich in diesen ganz zurückziehen kann. Er ist mit Luft gefüllt. Der Raupenkörper bleibt nun zur Verpuppung wasserabweisend. Die Atemöffnungen sind offen. Jetzt verläuft der Austausch der Atemgase auf die normale Weise, aber mit einer bedeutenden Besonderheit: Steigt der Gehalt an Kohlendioxid in der Luftblase, die den Raupenkörper umgibt, tritt ein Teil davon ganz von selbst ins Wasser über. Denn Kohlendioxid löst sich »begierig« im Wasser, wie Chemiker salopp zu sagen pflegen. Den dadurch entstehenden Unterdruck gleich Sauerstoff aus, der in Gegenrichtung aus dem Wasser in die Lufthülle der Raupe eindringt. Sie atmet also teilweise mit einer sogenannten physikalischen Lunge. Notwendig ist das noch nicht, denn ab dem dritten Larvenstadium befrisst die Raupe der Seerosenzünsler die Schwimmblätter von der Oberseite. Dabei nimmt sie deren Wachse auf. Diese bewirken, dass das Blatt nicht auch oberseits von Wasser benetzt wird, sondern schwimmt. Ohne den Wachsbelag würde schon ein gewöhnlicher Regenschauer reichen, die Blätter untergehen zu lassen.

 

 

Wie die Raupe unter Wasser atmet

 

Mit dem Wachs in der Nahrung hängt der Wechsel der Raupen vom benetzbaren zum unbenetzbaren Zustand zusammen. Ausgeschieden wird es auf ganzer Oberfläche des Raupenkörpers, und zwar über winzige, kegelförmige Gebilde, deren Seiten stark gerieft und voll davon sind. Daher schimmert die Raupe im wasserabweisenden Zustand so seidig. Nur der Kopf und sein Ansatz am Körper bekommen keine solche Wachsschicht verpasst. Das ist ganz wichtig, denn wäre auch dieser so Wasser abweisend, könnte die Raupe kaum fressen. Die Oberflächenspannung würde sie beständig vom benetzten Blatt wegdrücken. Der Wechsel von der Haut- zur Luftatmung über das für Insekten typische Röhrensystem, die Tracheen, charakterisiert daher das Raupenleben dieses Wasserschmetterlings. Richtig spannend wird es, wenn die Raupe ausgewachsen und zur Verpuppung bereit ist. Sie kriecht dann nämlich nicht etwa mit ihrem Köcher an Land, was aus Sicht von uns Menschen das Nächstliegende wäre, sondern müht sich mit diesem, der ja prall mit Luft gefüllt ist, gegen den Auftrieb am Stängel von Wasserpflanzen abwärts. In zehn bis dreißig Zentimeter Wassertiefe beißt sie einige kleine Löcher in den Stängel von Laichkraut oder Seerose, an deren Blätter sie gefressen hatte, spinnt über dieser Stelle den Köcher daran fest und wandelt sich darin zur Puppe um. Diese entwindet sich der letzten Raupenhaut innerhalb der Luftblase, die mit eingeschlossen ist, lediglich durch Bewegungen des Hinterleibs.

So ruht sie, bis die innere Verwandlung zum Schmetterling vollzogen ist. Da dieser äußerlich ganz ruhige Vorgang viel Energie benötigt, muss die Puppe atmen, was zu knapper werdender Luft im Puppenköcher führen würde, wenn die Raupe nicht die Luft führenden Röhren der Wasserpflanze angezapft hätte, die eigentlich die Wurzeln mit dem benötigten Sauerstoff versorgen. Aus diesen bekommt die Puppe den Sauerstoff. Da sich das bei der Verwandlung zum Falter entstehende Kohlendioxid im Wasser löst, das den Köcher umgibt, entsteht Unterdruck. Dieser saugt Luft aus dem Pflanzenstängel nach. Anders als die Raupe, die mit ihrem mit Luft gefüllten Köcher entweder ohnehin schon an der Wasseroberfläche schwimmt und die Luft darin direkt erneuen kann, ist die Puppe auf die Versorgung aus der Pflanze angewiesen. Es kann sogar sein, dass die im Wasser grün bleibenden Blattstücke lange genug Photosynthese betreiben, um den dabei entstehenden Sauerstoff in die Luftblase der Raupe abzugeben. Das höchst komplizierte Problem der Atmung eines Lufttieres im Wasser wird also auf unterschiedliche Weise gelöst; eine Anpassungsleistung, über die man nur staunen kann.

 

 

Per Luftballon nach oben

 

Das Eindrucksvollste geschieht, wenn der Schmetterling aus der Puppe schlüpft. Er befindet sich, eingeschlossen im Puppenköcher, ein gutes Stück unter Wasser. Diesen drückt er an der nach oben gerichteten Seite auf. Die entweichende Luftblase reißt ihn mit und treibt den Schmetterling wie einen Luftballon mit angehängter Fracht an die Wasseroberfläche. Dort platzt die Blase. Und Nymphula entsteigt dem See. Ein Belag aus langen Schuppen breitet sich sogleich um den Schmetterling aus. Getragen von der Oberflächenspannung, sucht er mit tastenden Beinbewegungen nach dem nächsten Blatt. Auf dieses kriecht er und pumpt die Flügel auf, bis sie voll entfaltet sind. Das Schlüpfen geschieht oft am Vormittag, aber auch am späten Nachmittag und frühen Abend. Solcherart frisch geschlüpfte Schmetterlinge streben zum Ufer hinein ins Pflanzendickicht, sobald sie fliegen können.

Dort landen sie in einer für sie sehr bezeichnenden Haltung mit dem Kopf nach unten. Vom Wasser her betrachtet, wie auch von oben aus der Sicht der Vögel, die im Röhricht nach Insekten suchen, verbirgt diese Haltung die Körperform. Nur wenn man fast genau aus ihrer Sitzhöhe ins Röhricht schaut, erkennt man sie als Schmetterling. Doch selbst dann erschwert das feine Muster gelblicher Kringel und dunklerer Flecken die optische Erfassung. Im Randbereich des Uferröhrichts bleibt es in heißen Tagen feucht genug, dass die kleinen Körper nicht austrocknen. Für die Männchen ist dies noch wichtiger als für die Weibchen, weil diese gleich nach der Ablage der Eier sterben, während die Männchen oft mehrere Abende, vielleicht eine ganze Woche lang mit Suchflügen auf ihre Chance warten müssen, ein frisch geschlüpftes, zur Paarung bereites Weibchen zu finden.

Nur einmal glückte es mir, den Vorgang des Schlüpfens im Aquarium mitzuerleben. Zwar wusste ich, dass dieser etwa so ablaufen würde, wie sonst könnte der Schmetterling aus dem Köcher unter Wasser an die Oberfläche kommen. Aber als ich es selbst sah, war es doch so, als ob soeben ein Wunder geschehen wäre.

Zur Zeit des Schlüpfens der Puppen ist es Hochsommer geworden. Je nachdem, wie das Frühjahr witterungsmäßig verlief, fliegt die zweite Generation der Seerosenzünsler im Juli oder August, manchmal auch noch Anfang September. Wie geht es dann weiter? Der Winter muss überbrückt werden. Die Lösung dieser Schwierigkeit bringt ein besonderer Einschub in den zweiten Lebenszyklus des Jahres. Die noch vom Wasser benetzten Raupen verwandeln sich im Herbst nicht ins dritte Stadium, das Wasser abweisend sein würde, sondern sie kriechen ohne Köcher die Stängel der Wasserpflanzen hinab bis in mindestens dreißig Zentimeter Wassertiefe. Dort beißen sie ein Loch, so der Stängel dick genug dafür ist, fressen sich eine schmale, sackartige Kammer hinein und ziehen sich in gehstockartig gekrümmter Haltung in diese Höhle im Stängel zurück. So verbringen sie die Wintermonate bis in den April oder bis Anfang Mai, wenn die Wasserpflanzen erneut austreiben. Oben sterben die noch vorhandenen Schwimmblätter ab. Die Raupen überwintern in den Stängeln, auch wenn sich oben Eis bildet.

Die Erwärmung der Tümpel lässt die Wasserpflanzen im Frühjahr erneut treiben. Das einsetzende Wachstum gibt offenbar das Signal für die Räupchen in den Stängeln, dass es an der Zeit ist, aktiv zu werden. Sie verlassen ihre Höhle, kriechen nach oben und befressen die neuen Blätter. Das versorgt sie mit dem nötigen Wachs für die Umwandlung in den Wasser abstoßenden Zustand. Im Mai finden sich dann nur noch solche Raupen, die mit Luft gefüllte Köcher tragen und intensiv die neuen Schwimmblätter befressen, bis sie ausgewachsen und bereit für die Verpuppung sind. Die aus den Puppen schlüpfenden Falter bilden die erste Generation. Ihre Nachkommen entwickeln sich ohne Einschub einer Ruhezeit direkt weiter. Über zwei Fortpflanzungszyklen vollendet sich also der Jahreslauf der »Kleinen Nymphe« Nymphula.

 

 

Vom Vorteil, im Wasser zu leben

 

In meiner Dissertation ging es auch um Feinheiten der Hautstruktur und ihre Veränderung, wenn es zur Umstellung von der Atmung durch die Haut auf Luftatmung über das insektentypische Tracheensystem kommt. Dafür waren elektronenmikroskopische Aufnahmen nötig, die die Münchner Universität arrangieren konnte. Aber das für mich wirklich Spannende war und blieb das Leben dieser Schmetterlinge mit ihren Anpassungen an die Wasserpflanzen und das Wasserleben. Weshalb sind sie in diesen Lebensraum gekommen? Welche Vorteile bietet er ihnen?

Der zur Behandlung dieser Fragen wichtigste Befund fiel mir zuerst gar nicht auf: Fast alle meine Raupenzuchten verliefen erfolgreich und ergaben Schmetterlinge. In meinen kleinen Aquarien konnte ihnen zwar nichts zustoßen, außer vielleicht eine Schädigung durch meine eigene Unachtsamkeit. Es schlüpften aber alle Puppen, die ich mitsamt ihren Unterwasserköchern von draußen geholt hatte, um den Vorgang des Schlüpfens beobachten zu können. Ohne darüber nachzudenken, nahm ich hin, dass sich alle Raupen der unterschiedlichsten Stadien, die ich für meine Untersuchungen gesammelt hatte, problemlos weiterentwickelten, verpuppten und Falter ergaben. Der Groschen fiel, wie man so sagt, erst Jahre später, als ich mich bereits mit ganz anderen Schmetterlingen befasste, mit den Gespinstmotten. Von ihnen handelt ein eigenes Kapitel. Über sie wurde mir der Vorteil des Wasserlebens schlagartig klar: Ich hatte keine Ausfälle bekommen, weil Raupen und Puppen meiner Wasserschmetterlinge nicht von Parasiten befallen waren. Für so gut wie alle der an Land lebenden Schmetterlinge gehören die Parasiten jedoch zu den Hauptfaktoren, die ihre Häufigkeit und Bestandsentwicklung bestimmen. Mit 96 bis fast 98 Prozent von 694 Raupen mehrerer Zuchtgruppen war der Schlüpferfolg meiner Wasserschmetterlinge phänomenal hoch. Größere Verluste registrierte ich lediglich für die Gelege. Wer oder was die Ausfälle unter den Freilandbedingungen verursachte, fand ich nicht heraus, aber die Eier fressenden Wassermilben und Faulschlammbildung bei stark verschlammten Kleingewässern hielt ich für die wahrscheinlichen Ursachen. Bei hundert und mehr Eiern pro Gelege und Wasserschmetterlingsweibchen schützen solche Verluste eher davor, dass die Raupen die verfügbaren Schwimmblätter zu schnell vollständig verzehren, was bei großer Häufigkeit der Seerosenzünsler durchaus passieren kann.

Im Botanischen Garten in München war dies bei meiner ersten Begegnung mit den Kleinen Nymphen der Fall und Grund für die Gärtner, auf meine Forschungen an den Wasserschmetterlingen zu hoffen. Im Lauf der Jahre und Jahrzehnte stellte ich ganz folgerichtig fest, dass die Weibchen der Seerosenzünsler das Kleingewässer verlassen, aus dem sie stammen, wenn die Schwimmblätter der Wasserpflanzen zu stark zerfressen sind. Aus gutem Grund betasten sie vor der Ablage ihrer Eier die Ränder der Schwimmblätter ausgiebig. Sind diese zu stark befressen, wandern sie ab und suchen nach anderen Gewässern mit günstigen Verhältnissen. Eine Neigung zum Abwandern war allein schon deswegen zu erwarten, weil Kleingewässer nicht dauerhaft existieren. Natürlicherweise entstehen sie durch Überschwemmungen in Flussauen. Die neuen Tümpel halten ein paar Jahre oder einige Jahrzehnte, je nachdem, wie klein oder groß sie geraten waren, und verschwinden durch Verlandung allmählich wieder. Arten, die einen von Natur aus unbeständigen Lebensraum besiedeln, müssen rechtzeitig nach Alternativen suchen.

Das Ausbreitungsverhalten der Wasserschmetterlinge ist daher sehr ausgeprägt. Als Insekten gehören sie zur Gruppe der Pionierarten, wie wir sie bei vielen Landpflanzen kennen, die neu entstandene Lebensräume rasch besiedeln. Alternativ handelt es sich um Spezialisten für eine bestimmte, länger existierende Lebenszone, die Schwimmblattzone an den Rändern größerer stehender Gewässer. Seewärts von dieser wachsen Wasserpflanzen nur noch unter Wasser, mit dem Fachausdruck submers (»untergetaucht«) bezeichnet. Landseitig schließen die zwar im Wasser stehenden, aber darüber hinausragenden Uferpflanzen an. Sie sind »emers« im ökologischen Sinne. Um meinen Wasserschmetterling zu verstehen und ihn einordnen zu können in seine Verwandtschaft, musste ich mir also den Lebensraum der Kleingewässer und Ufer viel genauer vornehmen. War er eine Pionierart oder ein Spezialist für eine bestimmte Lebenszone der Gewässer?

 

 

Ein Platz zum Leben oder die »ökologische Nische«

 

Die Kiesgruben fassten Gegebenheiten der Gewässernatur auf kleinem Raum zusammen. Daher fand ich in den meisten von ihnen auch die anderen Arten der Wasserschmetterlinge, die es in Mitteleuropa gibt. Sie bilden eine geradezu exemplarische »ökologische Serie«, deren Nutzung mit den Uferpflanzen beginnt und über die Schwimmblattzone zu den untergetauchten Wasserpflanzen reicht. Bei den Schmetterlingen selbst ist diese Anpassungsserie zu sehen. An Igelkolben Sparganium sp. und anderen, aus dem Wasser ragenden Pflanzenarten der Ufer fressen die Raupen von Nymphula stagnata1. Seewärts folgt im Gürtel der Schwimmblattpflanzen »meine« Nymphula nymphaeata. Unter Wasser geht es mit dem Krebsscherenzünsler Parapoynx stratiotata weiter und dem Außergewöhnlichsten von allen, mit Acentropus niveus. In Randtümpeln, sofern sie mit schwimmenden Wasserlinsen bedeckt sind, kommt der Teichlinsenzünsler Cataclysta lemnata dazu. All diese Arten leben in unmittelbarem Wortsinn nebeneinander in spezifischen ökologischen Nischen. Alle verfügen sie über besondere Anpassungen, die im Extremfall von Acentropus niveus bei einer seiner beiden Weibchenformen sogar zu einem dauerhaften Wasserleben geführt haben. Davon gleich mehr. Festzuhalten ist zunächst das große Muster. Es zeigt das Vordringen von Schmetterlingen, die zu der als außerordentlich anpassungsfähig bekannten Kleinschmetterlingsfamilie der Zünsler (Pyralidae) gehören, vom Ufer ins Wasser hinaus. Je weiter sie vorangekommen sind, desto häufiger sind sie!

Die Häufigkeit darf als grobes Maß für den biologischen Erfolg einer Art gelten. Die Raupen von Nymphula stagnata leben an Uferpflanzen über dem Wasserspiegel. Sie sind die seltenste Art unserer Serie. Cataclysta lemnata, deren Raupen die kleinen Blätter der Wasserlinsen zum Köcherbau und als Nahrung nutzen, wird normalerweise beträchtlich häufiger, aber die Vorkommen beschränken sich auf Kleingewässer mit Teppichen von Wasserlinsen, die als »Entengrütze« bekannt sind. Meine Kleine Nymphe, die Nymphula nymphaeata, kommt viel verbreiteter und häufiger vor. Für den Köcherbau schneiden ihre Raupen ovale, bis über drei Zentimeter lange Blattstücke aus. Das ist vom Land her leicht zu sehen.

Viel schwerer zu entdecken ist hingegen der Krebsscherenzünsler. Seine Raupen leben ganz unter Wasser. Ihnen fehlt ein Luft atmendes Raupenstadium völlig. Ein solches haben sie nicht nötig, denn sie entwickeln fadenförmige Anhängsel am Körper, über die der Gasaustausch wie in den Kiemen von Fischen erfolgt. Tracheenkiemen werden sie recht passend genannt. Diese sind eine große Besonderheit für Schmetterlinge, aber normal für eine andere, sehr artenreiche Gruppe von echten Wasserinsekten, den Larven der Köcherfliegen. Diese werfen die zum Verständnis der Evolution der Schmetterlinge eminent wichtige Frage auf, ob Tracheenkiemen die Neuerfindung einer Gattung der Wasserschmetterlinge oder uraltes verbindendes Erbe der Schmetterlinge mit den Köcherfliegen sind. Anders ausgedrückt: Stammen die Schmetterlinge von ursprünglichen Wasserinsekten oder von bereits längst an Land lebenden Vorformen ab? Vieles weist auf die engere Verwandtschaft mit den Köcherfliegen hin. Sie wären also letztlich alle »dem Wasser entstiegen«, wie meine kleine Nymphula.

Mit schlängelnden Körperbewegungen pumpen die Raupen des Krebsscherenzünslers Wasser durch das lockere Gespinst, in dem sie unter Wasser an den Pflanzen, bei uns vornehmlich an Tausendblatt Myriophyllum-Arten sitzen und fressen. Damit vertragen sie auch warmes, sauerstoffarmes Wasser. In den Tropen haben diese Wasserschmetterlinge, deren Raupen Tracheenkiemen entwickeln, eine artenreiche Verwandtschaft. Das Nonplusultra unserer Wasserschmetterlinge lebt aber als Raupe in der Tiefe an den riesigen Beständen von Unterwasserpflanzen, die höchstens zum Blühen an die Oberfläche kommen. Es ist dies der winzige Acentropus niveus, den die Insektenspezialisten im 19. Jahrhundert noch gar nicht als Schmetterling erkannt, sondern für eine ungewöhnliche Köcherfliegenart gehalten hatten.

Seine Raupen sind vergleichsweise normal. Ihr Körper wird vom Wasser benetzt, und sie atmen durch die Haut. So klein, wie sie sind, benötigen sie auch keine effizientere Methode des Gasaustauschs. Hautatmung genügt ihnen voll und ganz, noch dazu in den kühlen und sauerstoffreichen Flachseen, in denen sie hauptsächlich vorkommen. Sie verpuppen sich unter Wasser. Was aus manchen Puppen schlüpft, möchte man nicht für möglich halten: Weibchen, deren Flügel zu spitzpaddelartigen Gebilden verkürzt sind. Damit »fliegen« sie unter Wasser umher. Nicht schnell, aber gut genug, dass sie nicht einfach an die Oberfläche getrieben werden. Die Hinterbeine säumt eine dichte Reihe von Borsten. Mit diesen können sie rudern. Flügelstummel und Ruderbeine ermöglichen diesen Weibchen eine recht gezielte Fortbewegung unter Wasser. Wozu, zeigt sich bald nach ihrem Schlüpfen aus der Puppe. Sie streben zur Wasseroberfläche empor, bleiben aber darunter und stecken lediglich die Spitze des Hinterleibs darüber hinaus. Dort befindliche Drüsen verströmen einen Duftstoff, der die normal geflügelten Männchen anlockt.

Bis sie so eine empfängnisbereite Hinterleibsspitze finden, kurven sie wie verrückt direkt über der Wasseroberfläche umher. Bei der Paarung werden sie vom größeren Weibchen halb ins Wasser gezogen, aber ihre Flügel verhindern, dass sie in die Tiefe gerissen werden. Hat es die Samenabgabe vollzogen, löst das Männchen die Klammer, mit der es die Spitze des Hinterleibs des Weibchens erfasst hatte. Dieses kriecht und paddelt nun tiefer ins Wasser hinab, sucht »fliegend« und »rudernd« umher, bis es eine geeignete Wasserpflanze für die Eiablage findet. Raupen dieses Wasserschmetterlings fand ich an Krausem Laichkraut Potamogeton crispus, an Tausendblatt Myriophyllum und vor allem an Kanadischer Wasserpest Elodea canadensis, die in den 1960er und 1970er Jahren noch ziemlich häufig in Seen und größeren Lagunen der Stauseen am unteren Inn vorkam.

Hier sind jedoch, anders als etwa in Dänemark und im südlichen Skandinavien, solche Weibchen mit zu Rudern umgebildeten Flügeln selten zu finden. Meist entwickeln sich im südlichen Mitteleuropa normal geflügelte Weibchen. Sie sind deutlich größer als die Männchen – und durchaus unverzichtbar. Denn nur sie sind in der Lage, fliegend, wenngleich mehr von Luftströmungen getragen und verweht, Gewässer zu finden, in denen es gerade geeignete Bestände von Unterwasserpflanzen gibt. Die Lagunen an Flüssen und Stauseen existieren zu kurze Zeit für wirklich dauerhafte Vorkommen. Doch die weitaus beständigeren Flachseen rund um die Ostsee gibt es auch erst seit Ende der letzten Eiszeit, also gerade mal gut zehntausend Jahre. Würden sich bei diesem Wasserschmetterling nur fluguntaugliche Weibchen mit Stummelflügeln entwickeln, überlebte die Art langfristig gewiss nicht. Die Männchen benötigen die Flugfähigkeit ohnehin für den Suchflug nach den Weibchen.

An diesem Punkt ist es geboten, auf eine genetische Gegebenheit hinzuweisen, die uns sonderbar vorkommen mag. Bei den Schmetterlingen ist das weibliche Geschlecht genetisch XY und das männliche XX; also gerade umgekehrt wie bei uns. Daher können die Weibchen viel leichter zwei unterschiedliche Formen ausbilden als die Männchen. Diese Eigenheit äußert sich besonders deutlich in Formen von Mimikry, der Nachahmung giftiger oder übel schmeckender Vorbilder durch ungiftige, nicht durch unangenehme Geschmacksstoffe geschützte Nachahmer. Kurz ausgedrückt: In Schmetterlingskreisen lohnt es sich für die Weibchen, unterschiedlicher zu sein. Bei unseren Zitronenfaltern ähnelt das Weibchen den giftigen Kohlweißlingen. Die Weibchen haben mit der kostbaren Fracht der Eier in ihrem Körper guten Grund, sich verborgen zu halten. Daher sehen wir draußen weit mehr Männchen als Schmetterlingsweibchen.

Noch einmal zurück zum Artenspektrum der Wasserschmetterlinge. Mit ihrer ökologischen Einnischung an den Gewässerufern und ihrem Leben an und in Kleingewässern haben wir nicht nur ein Musterbeispiel vor uns, wie die Arten spezifisch in ihren Lebensräumen verteilt (»eingenischt«) vorkommen, sondern verstehen auch, warum sich die Evolution all der damit verbundenen Besonderheiten in Körperbau und Lebensweise so sehr lohnte. Die Gewässerränder stellen einen an Pflanzen reichen und im Pflanzenbestand sehr wüchsigen, von den Wechselfällen der Witterung weniger betroffenen Lebensbereich dar. Viel Nahrung ist stets attraktiv; gute, d.h. nicht durch besondere Giftstoffe geschützte Pflanzen sind dies erst recht. Dass sich die Nutzbarkeit der Wasserpflanzen zudem damit verknüpft, dass die Hauptfeinde, die parasitischen Insekten, nicht folgen können, macht die Vegetation direkt am und vor allem unter Wasser so attraktiv. Fast immer hängen Leben und Überleben der Schmetterlinge quantitativ vom Erfolg ihres Raupenstadiums ab. Finden die Raupen nicht genügend Futterpflanzen, geht es den betreffenden Arten schlecht. Gibt es davon zwar genug, aber werden die daran fressenden Raupen sehr stark parasitiert, können sie auch nicht häufig(er) werden. Ein solcher Fall sind die Brennnesselfalter, Schmetterlingsarten, deren Raupen von Brennnesseln leben. Da es davon genug gibt, sollten diese Falter außerordentlich häufig sein. Häufig sind sie zwar, aber nicht außerordentlich und auch nicht von Jahr zu Jahr gleichermaßen. Davon mehr in einem eigenen Kapitel, das Einblicke in die Natur von Fluktuationen vermittelt. Bezüglich der Wasserschmetterlinge stellt sich noch eine andere Frage: Was lehren sie uns über den allgemeinen Trend, das Verschwinden der Schmetterlinge?

 

 

Die Vernichtung der Lebensstätten der Kleinen Nymphen

 

Die ausführliche Schilderung ihrer Lebensweise könnte den Eindruck vermitteln, sie nehmen in diesem Buch nur deshalb einen so breiten Raum ein, weil ich an den Kleinen Nymphen meine Forschungen an Schmetterlingen begonnen hatte. Doch sie stehen beispielhaft für die prekäre Lage, in die so viele Schmetterlinge geraten sind. Wie ich an anderer Stelle ausführlicher erläutern werde, gibt es die Kiesgruben mit den Kleingewässern nicht mehr, in denen sie lebten, als ich meine Untersuchungen zur Doktorarbeit an ihnen durchführte. Sie sind zugeschüttet, verfüllt worden. Die Gruben, die draußen auf der Flur lagen, wurden wieder einbezogen in die landwirtschaftlichen Nutzflächen. Sie gehören zur großen Gruppe der Kleinstrukturen, von denen die Flur bereinigt wurde. Zusammen mit den Wasserschmetterlingen verloren viele andere Schmetterlinge dadurch Biotope, in denen sie jahrzehntelang gut gelebt haben. Dutzende, unter Einbeziehung der vielen Kleinschmetterlingsarten sicher mehr als hundert waren es, und Hunderte anderer Insektenarten dazu, die die Kiesgruben zu Inseln der Artenvielfalt in der damals beginnenden Monotonisierung der Fluren machten. Der Kiesabbau musste, so die Meinung einflussreicher Naturschützer und der Behörden, in deren Zuständigkeit Abgrabungen fallen, ordentlich geregelt und in besonderen, natürlich möglichst großen Abbauflächen konzentriert werden. Diese ließen sich nach Beendigung der Kiesgewinnung zu Badeseen umwidmen oder, falls weitgehend in Trockenbauweise, rekultivieren zu Ackerland oder Wald. Es war derselbe Trend weg vom Kleinen und Kleinteiligen hin zum konzentrierten Großbetrieb, wie er zeitgleich in der Landwirtschaft Einzug hielt.

Mit meinen Studien an Wasserschmetterlingen hatte ich nur ein schmales Spektrum der Insekten erfasst, die in Kiesgruben und Kleingewässern leben. Ihre Bestandsverluste bemerkte ich über das Verschwinden der Tümpel, in denen es Libellen und Fröschen, an den trockenen Stellen auch Eidechsen und Käfern gut gegangen war. Stück für Stück gingen auch Hecken und Feldgehölze verloren. Die Auwälder am Inn drohten total gerodet zu werden, weil der boomende Maisanbau hineindrängte und dieses mit Beendigung der Brennholznutzung wertlos gewordene Land für die Bauern damit höchst nutzbringend wurde. Das Rodungsverbot kam spät. Große Teile der Auwälder waren bereits vernichtet und wurden über Jahre noch weiter gerodet, weil die Behörden nichts dagegen unternahmen. Vielleicht lag es nur an einer Serie viel zu nasser Sommer, dass die feuchteren Auwälder am Inn erhalten blieben. Rodungsprämien gab es auch nicht mehr.

Mit sehr gemischten Gefühlen denke ich zurück an diese Zeit der 1970er Jahre, in denen sich der Kampf um die Auwälder abspielte und wir Naturschützer reichlich hilflos zusehen mussten, wie Stück um Stück abgeholzt und in Maisäcker umgewandelt wurde. Die Medien und die Öffentlichkeit interessierte das damals kaum. So manche besonders artenreiche Fläche galt im offiziellen Sprachgebrauch als Öd- oder Unland; Bezeichnungen, die eigentlich alles sagen in Bezug auf die Wertschätzung von Tieren und Pflanzen, die keiner direkten Nutzung unterliegen. Manchmal zweifle ich, ob sich in der Einstellung wirklich Nennenswertes geändert hat, auch wenn nur noch selten von Unland gesprochen wird. Worte lassen sich austauschen; der Wandel der Inhalte fällt viel schwerer. Und Rückschläge gibt es immer wieder. Jahrzehnte intensivster Versuche, die Bezeichnungen Raubvogel und Raubtier durch Greifvogel und Beutegreifer zu ersetzen, weil der »Raub« nur in der Sicht der Jäger stattfindet, trugen keine Früchte. Ausgerechnet junge Journalistinnen und Journalisten benutzen wieder ganz ungeniert die Bezeichnung Raubvögel, obwohl sie aus den vogelkundlichen Büchern längst verschwunden ist. »Schädlinge« wird ebenfalls wieder geschrieben, unabhängig von vermeintlichen oder tatsächlichen Schäden.

Meine Wasserschmetterlinge verursachten in der Natur, in den Kleingewässern und an Seeufern, keine Schäden. Anders verhielt es sich hingegen mitunter in Seerosenteichen. Besonders Seerosenarten mit dünneren Blättern wurden von den Raupen so stark befressen, dass zumindest ein unschöner Eindruck entstand. Im Gartenteich mit der kleineren, rosa blühenden Seerose wollte man makellose Schwimmblätter und möglichst auch Blüten haben, die nicht von Blattläusen befallen waren. Als Schaden gilt, was den Anblick beeinträchtigt. Da sollen die kleinen Schmetterlinge besser gar nicht vorkommen. Tropische Wasserschmetterlinge verursachen in Reisfeldern schließlich wirklich Ertragsverluste. Die mir von der FAO gebotene Möglichkeit, meine Untersuchungen an Wasserschmetterlingen daran fortzusetzen, reizte mich nicht. Die Schmetterlinge, die bei uns leben, waren interessant genug. Wenig wusste man in den 1970er Jahren von Nachtfaltern, von den Forstschädlingen abgesehen. Nachts aktive Schmetterlinge stellen aber den weitaus größten Teil des Artenspektrums, nicht die Tagfalter. Licht sollte da Licht ins Dunkel bringen.

 

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1 Die Änderung der Gattungsnamen und ihre gegenwärtig gültige Form sind im Kapitel "Die Namen der Schmetterlinge" erläutert und hoffentlich nun dauerhaft.