»Selbstachtung ist nichts anderes als der Ruf, den du bei dir selbst genießt. Damit musst du leben.«
NAVAL RAVIKANT
ist CEO und Mitgründer von AngelList. Davor war er Mitgründer von
Vast.com
und
Epinions.com
, die als Teil von
Shopping.com
an die Börse gingen. Als aktiver Angel-Investor hat er über 100 Unternehmen finanziert, darunter viele sogenannte »Einhörner«, also Megaerfolge. Unter anderem beteiligte er sich an Twitter, Uber, Yammer, Postmates, Wish, Thumbtack und OpenDNS. Seit Jahren ist er mein wichtigster Ansprechpartner, wenn ich Rat zu einem Start-up brauche.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Total Freedom
von Jiddu Krishnamurti. Der Ratgeber eines Rationalisten zu den Fallstricken des menschlichen Geistes. Zu diesem »spirituellen« Buch greife ich immer wieder.
Sapiens
von Yuval Noah Harari (
Seite 580
). Eine Geschichte über die Spezies Mensch mit Beobachtungen, Systemen und Modellen, die den Blick auf die Geschichte und die Mitmenschen verändert.
Alles von Matt Ridley (
Seite 58
). Matt ist Wissenschaftler, Optimist und Zukunftsdenker. Ob
Genome, The Red Queen, The Origins of Virtue
oder
The Rational Optimist
– seine Bücher sind alle toll.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Leid bringt einen Moment der Klarheit, wenn man eine Situation nicht länger verleugnen kann und sich einer unbequemen Wahrheit stellen muss. Ich bin sehr froh, dass ich nicht immer alles bekommen habe, was ich wollte – sonst säße ich vielleicht bis heute an meinem Studienort, hätte mich mit meinem ersten anständigen Job zufriedengegeben und meine Jugendliebe geheiratet. Dass ich als junger Mensch wenig Geld hatte, hat dazu geführt, dass ich in fortgeschrittenem Alter gut verdiene. Dass ich das Vertrauen in Vorgesetzte und Respektspersonen verlor, hat mich unabhängig gemacht und erwachsen werden lassen. Dass ich beinahe die Falsche geheiratet hätte, hat mich erkennen lassen, wer die Richtige ist. Dass ich krank geworden bin, hat mich gelehrt, auf meine Gesundheit zu achten. Und so weiter und so fort. Wer leidet, sorgt für Veränderungen.
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
»Sehnsucht ist eine Abmachung mit dir selber, so lange unglücklich zu sein, bis du bekommst, was du willst.«
Sehnsucht ist ein Antrieb, eine Motivation. Wer sich ernsthaft und kompromisslos nach etwas sehnt, das ihm wichtiger ist als alles andere, der bekommt es meist auch. Doch jedes Urteil, jede Präferenz und jeder Rückschlag löst andere Sehnsüchte aus, in denen wir bald
ertrinken. Jedes davon ist ein Problem, das gelöst werden muss, und wir leiden, bis die Sehnsucht befriedigt ist.
Glück oder zumindest Seelenfrieden ist das Gefühl, dass einem gerade nichts fehlt – dass man nicht von Sehnsüchten beherrscht wird. Es ist gut, welche zu haben. Aber such dir sorgfältig eine bedeutsame aus und vergiss alle anderen.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Jedes Buch, das ich aus eigenem Antrieb und ohne Hintergedanken gelesen habe.
Wer wirklich gern liest und das kultiviert, verfügt über eine Superkraft. Wir leben in einem alexandrinischen Zeitalter. Jedes Buch, jeder Wissensbaustein, der je niedergeschrieben wurde, steht uns auf Knopfdruck zur Verfügung. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten zu lernen – doch die wenigsten wollen das. Kultiviere diesen Wunsch, indem du liest, was du möchtest – nicht, was du »lesen solltest«.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Glück ist eine persönliche Entscheidung und eine Kompetenz, die man entwickeln kann.
Der Geist ist so formbar wie der Körper. Wir wenden so viel Zeit und Mühe auf, um unsere Umwelt, andere und unseren Körper zu verändern, und finden uns gleichzeitig damit ab, wie wir in unserer Jugend programmiert wurden. Wir akzeptieren unsere innere Stimme als Quell aller Wahrheit. Doch all das ist veränderbar. Jeder Tag ist neu, und Erinnerungen und Identität sind Bürden aus der Vergangenheit, die uns davon abhalten, uns in der Gegenwart frei zu entfalten.
Welchen Rat würdest du einem intelligenten, motivierten Studenten für den Einstieg in die »echte Welt« geben?
Raten würde ich: Folge deiner intellektuellen Neugier. Richte dich nicht danach, was gerade »angesagt« ist. Sollte dich deine Neugier jemals dorthin führen, wohin dir die Gesellschaft irgendwann folgen will, dann wirst du extrem gut verdienen.
Geh an alle deine Vorhaben mit weniger Angst, weniger Leid und weniger Emotion heran. Alles braucht seine Zeit.
Abraten würde ich von: den Nachrichten. Meckerfritzen. Wutbürgern. Streithanseln. Jedem, der versucht, dich vor einer Gefahr zu warnen, die unklar und vage ist.
Tu nichts, was du als unmoralisch empfindest. Nicht, weil es jemand beobachten könnte – sondern weil du es siehst. Selbstachtung ist nichts anderes als der Ruf, den du bei dir selbst genießt. Damit musst du leben.
Vergiss Ungerechtigkeit. Es gibt keine Gerechtigkeit. Spiel das Blatt in deiner Hand, so gut du kannst. Menschen stimmen in hohem Maße überein. Irgendwann bekommst du, was du verdienst – und andere ebenfalls. Und am Ende steht für uns alle das Todesurteil.
Welche schlechten Ratschläge kursieren in deinem beruflichen Umfeld oder Fachgebiet?
»Du bist zu jung.« Es waren meist junge Menschen, die Geschichte geschrieben haben. Sie wurden aber erst dafür gewürdigt, als sie älter waren. Man kann eigentlich nur etwas lernen, indem man es tut. Ja, such dir Orientierung. Aber warte nicht ab.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren? Welche neuen Erkenntnisse und/oder Ansätze haben dir dabei geholfen?
Ich sage zu fast allem Nein. Ich mache viel weniger kurzfristige Kompromisse. Ich versuche, nur mit Menschen zu arbeiten, mit denen ich für alle Zeit zusammenarbeiten kann. Ich versuche, meine Zeit in Aktivitäten zu investieren, die mir Spaß machen, und mich auf lange Sicht zu konzentrieren.
Deshalb habe ich keine Zeit für kurzfristige Dinge wie mit Leuten essen zu gehen, die ich nie wiedersehen werde, für lästige Zeremonien, um lästigen Zeitgenossen zu gefallen oder für Reisen an Orte, wo ich nie meinen Urlaub verbringen würde.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt? Welche Fragen stellst du dir?
Memento mori
– »des Todes gedenken«. Alles hier ist vergänglich. Irgendwann wird alles wieder so sein wie vor der Geburt.