»Ein Hoch auf das kindliche Gemüt.«
STEVE JURVETSON
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STEVE JURVETSON ist Gesellschafter von DFJ (Draper Fisher Jurvetson), einem der führenden Wagniskapitalunternehmen im Silicon Valley. Er wurde vom Weltwirtschaftsforum als »Young Global Leader« gewürdigt und von Deloitte als »Venture Capitalist of the Year«. Forbes führte Steve mehrfach auf der Midas-Liste und bezeichnete ihn als einen von »Tech’s Best Venture Investors«. 2016 bestellte ihn Präsident Barack Obama zum Presidential Ambassador for Global Entrepreneurship. Er sitzt im Verwaltungsrat von SpaceX, Tesla und anderen namhaften Unternehmen. Steve war weltweit der erste Besitzer eines Tesla Model S und der zweite Besitzer eines Tesla Model X – nach Elon Musk.
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Geschenk Nr. 1: The Scientist in the Crib von Alison Gopnik. Das schenke ich jedem Computerfreak in meinem Bekanntenkreis, der das erste Kind erwartet. Geschenk Nr. 2: Ready Player One von Ernest Cline. Das ist ein Geschenk für alle meine Apple ][-Programmierfreunde aus der Highschool und meine Dungeons & Dragons-Mitstreiter. Die vielen Anspielungen auf die Frühzeit des PCs brachten mir Proust’sche 16-K-Rush-2112-Erinnerungen an den Trash-80 und an Spiele zurück, die mit Kassetten geladen wurden.
Am stärksten beeinflusst haben mich folgende Bücher:
Out of Control von Kevin Kelly (Seite 269 ). Einführung in die Macht von der Biologie inspirierter evolutionärer Algorithmen und Informationsnetze.
Age of Spiritual Machines von Ray Kurzweil. Was Moore im Bauch der frühen Integrierten-Schaltkreise (IC)-Branche beobachtete, war eine abgeleitete Kenngröße, ein gebrochenes Signal eines längerfristigen Trends – eines Trends, der verschiedene philosophische Fragen aufwirft und für die Zukunft Überwältigendes verheißt. Ray Kurzweils Abstraktion des Moore’schen Gesetzes zeigt Rechnerleistung in logarithmischer Skalierung und ermittelt eine Doppel-Exponenzial-Kurve, die über 110 Jahre anhält! Im Verlauf von fünf Paradigmenveränderungen – wie elektromechanischen Rechnern und Röhrenrechnern – hat sich die für 1.000 Dollar erhältliche Rechnerleistung alle zwei Jahre verdoppelt. Seit 30 Jahren verdoppelt sie sich jedes Jahr. Im modernen Zeitalter des beschleunigten Wandels in der Tech-Industrie ist es schon schwer, Trends zu ermitteln, die für fünf Jahre Prognosekraft besitzen – von Trends, die sich über Jahrhunderte erstrecken, ganz zu schweigen.
Die folgende Grafik pflege ich, seit ich Kurzweil gelesen habe, und gebe sie bei jedem Vortrag zum Besten, den ich halte. Hier die aktuelle Version:
Quelle: Ray Kurzweil, DFJ
Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass es sich dabei um die bedeutsamste Grafik aller Zeiten handelt. Jede Branche auf unserem Planeten wird zum Informationsgeschäft. Nimm die Landwirtschaft. Wenn du einen Bauern in 20 Jahren fragst, wie er sich gegen andere behauptet, wird das davon abhängen, wie er Informationen verwendet, von Satellitenbildern, die Roboter zur Anbauoptimierung steuern, bis zum Code im Saatgut. Mit Handwerk oder Arbeit hat das nichts mehr zu tun. Und das wird in jeder Branche so sein, wenn IT die Wirtschaft innerviert.
Nichtlineare Veränderungen auf dem Markt sind auch Voraussetzung für Unternehmertum und effektiven Wandel. Das exponentielle Tempo des technischen Fortschritts ist der Hauptfaktor für fortgesetzte Marktdisruption und löst Welle um Welle neuer Chancen für Unternehmen aus. Ohne Disruption würde es keine Unternehmer geben.
Doch das Moore’sche Gesetz wirkt nicht nur von außen auf die Wirtschaft ein. Es ist die Ursache für Wirtschaftswachstum und beschleunigtes Entwicklungstempo. Bei DFJ nehmen wir das anhand der wachsenden Vielfalt und globalen Wirkung von unternehmerischen Ideen wahr, die uns jedes Jahr unterkommen. Die von der aktuellen Welle von Tech-Unternehmern beeinflussten Branchen sind vielfältiger und eine Größenordnung größer als die der 1990er-Jahre – von Autos und Luft- und Raumfahrt bis zu Energie und Chemie.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Die Whole30-Diät. Nach dem 30-tägigen Reinigungsprogramm strich ich Brot und [nicht natürlich vorkommenden] Zucker von meinem Speiseplan und spüre mehr Energie denn je. Ich schlafe nachts durch und habe wieder dasselbe Gewicht wie zu Highschool-Zeiten.
Und nachdem ich synthetisches Fleisch gekostet habe, bin ich überzeugt, dass das die Entwicklung der menschlichen Moral beschleunigen wird – wie eine wirtschaftliche Alternative zur Sklaverei der Gesellschaft geholfen hat, deren Schrecken zu erkennen. Wenn wir 2000 Jahre zurückschauen, können wir sehen, wie wir uns mit zunehmender kultureller Reife verändert haben. Viel schwieriger ist dagegen herauszufinden, was wir von dem, was heute zu unserem Leben gehört und von der Masse als moralisch betrachtet wird, in Zukunft für unmoralisch halten werden. Als Fleischesser kann ich mich da zum ersten Mal an die eigene Nase fassen. Ich glaube, in ein paar Jahren werden wir fassungslos auf die Barbarei und den enormen ökologischen Raubbau (durch Wasserverbrauch und Methanproduktion) der heutigen Fleischproduktion zurückschauen.
Unser Empathiehorizont erweitert sich mit der Zeit in aller Regel … aber manchmal eben erst im vernunftgetragenen Rückblick. Die Fleischindustrie wird in der gepflegten Konversation gewöhnlich nicht angesprochen, weil wir uns vor der unvermeidlichen kognitiven Dissonanz scheuen (denn der Frühstücksspeck schmeckt nun mal so gut). Wir wollen gar nicht wissen, warum fast alle Fleischinspektoren der USDA Vegetarier werden. Ich glaube, das alles wird sich ändern, wenn Fleisch irgendwann wirtschaftlich aus Zellkulturen gewonnen wird, nicht mehr auf der Weide. Dann werden wir uns umstellen und verdammen, was früher war.
Was ist eine deiner – gern auch absurden – Eigenheiten, auf die du nicht verzichten möchtest?
Mit meinen Kindern große, selbstgebastelte Raketen starten zu lassen und Apollo-Weltraumartefakte zu sammeln. (Ich habe DFJ in ein Weltraummuseum verwandelt.)
Wenn du an einem beliebigen Ort ein riesiges Plakat mit beliebigem Inhalt aufhängen könntest, was wäre das und warum?
»Ein Hoch auf das kindliche Gemüt.« Soweit ich es beurteilen kann, bewahren sich die genialsten Wissenschaftler und Ingenieure ein kindliches Gemüt. Sie sind verspielt, aufgeschlossen und lassen sich nicht durch die innere Stimme der Vernunft, den kollektiven Zynismus oder die Angst vor dem Scheitern bremsen.
Was ist so toll an einem »kindlichen« Gemüt? Da kann ich jedem Nerd, der ein Kind erwartet, nur wieder wärmstens Alison Gopniks Scientist in the Crib empfehlen. Eine ihrer wesentlichen Schlussfolgerungen: »Babys sind schlicht und einfach intelligenter als wir – zumindest, wenn Intelligenz bedeutet, dazuzulernen. … Sie denken, ziehen Schlüsse, stellen Prognosen, suchen nach Erklärungen und sie experimentieren sogar. … In Wirklichkeit sind Wissenschaftler genau aus dem Grund erfolgreich, weil sie nachmachen, was Kinder von Natur aus tun.«
Die Gehirnleistung des Menschen geht zum großen Teil auf dessen enorme synaptische Vernetzung zurück. Geoffrey West vom Santa Fe Institute stellte fest, dass mit der Gehirnmasse speziesübergreifend auch der Fanout der Synapsen/Neuronen zunimmt.
Im Alter von zwei oder drei erreichen Kinder den Höhepunkt mit zehnmal so viel Synapsen und dem doppelten Energieverbrauch wie bei einem Erwachsenengehirn. Danach geht es bergab.
Das UCFS Memory and Aging Center hat die Geschwindigkeit des Abbaus der kognitiven Fähigkeiten grafisch dargestellt: Sie entwickeln sich zwischen 40 und 50 genauso schnell zurück wie zwischen 80 und 90. Wir stellen mit zunehmendem Alter nur den kumulierten Rückgang fest – vor allem, wenn wir erst einmal die Schwelle überschritten haben, nach der wir das Meiste vergessen, was wir uns merken wollen.
Doch wir können auf diese Entwicklung Einfluss nehmen. Professor Michael Merzenich von der UCSF hat festgestellt, dass es bei Erwachsenen nach wie vor neurale Plastizität gibt. Wir müssen unsere mentalen Fähigkeiten nur trainieren. Use it or lose it. Fazit: Stell dich auf lebenslanges Lernen ein. Befasse dich mit neuen Themen. Körperliches Training ist repetitiv, geistiges eklektisch.