»Ich habe festgestellt, dass ich nicht mehr tun kann als mein Bestes geben. Das ist für mich ein ›Sieg‹.«
KATRÍN TANJA DAVÍÐSDÓTTIR
IG: @katrintanja
FB: /katrindavidsdottir
KATRÍN TANJA DAVÍÐSDÓTTIR ist eine isländische CrossFit-Athletin. Sie gewann 2015 und 2016 die CrossFit Games, womit sie zur »Fittesten Frau der Welt« wurde. Katrín ist die zweite Frau, die den Titel zweimal in Folge gewann und tritt somit in die Fußstapfen ihrer Landsfrau Anníe þórisdóttir (Seite 328 ).
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
Wooden: A Lifetime of Observations and Reflections On and Off the Court von John Wooden gehört zu meinen absoluten Favoriten. Mein Opa war früher Basketballspieler und schenkte mir dieses Buch vor einigen Jahren. Woodens Trainingsansatz passt zu mir und meinem Coach, Ben Bergeron. Beim Lesen des Buches ertappte ich mich mehrfach dabei, wie ich zustimmend nickte. Seine Philosophie gilt nicht nur für Trainingsoder Wettkampfsituationen, sondern für das Leben an sich. Ich habe immer den Eindruck, dass der Sport ein Sinnbild für das Leben ist. In beiden Fällen gelten dieselben Regeln und Lehren, im Sport sind sie nur offensichtlicher. An diesem Buch gefällt mir besonders das Vorwort von Bill Walsh, der früher unter Wooden gespielt hat. Wie er über ihre Beziehung redet und was er von seinem Coach gelernt hat, ist wunderbar und mir daher in Erinnerung geblieben.
Das andere Buch ist The Champion’s Mind: How Champions Think, Train, and Thrive von Jim Afremow. Das ist das erste Buch über Sportpsychologie, das ich jemals in die Hand genommen habe, und zwar im richtigen Augenblick. Das war im Sommer 2014, kurz nachdem ich die Qualifikation für die 14. CrossFit Games verpasst hatte. In jenem Sommer hätte ich leicht in eine negative Denkspirale fallen und mir Dinge einreden können wie »Ich gehöre nicht hierhin, ich bin nicht gut genug, ich habe versagt …«, aber das Buch zeigte mir eine bessere Perspektive auf. Ich hatte nicht versagt. Ich hatte nur in einem Wettbewerb keine optimale Leistung abrufen können. Nicht weniger und nicht mehr. Was konnte ich jetzt tun, um besser zu werden? Das brachte mich dazu, in jeder Situation mein absolut Bestes zu geben – und zwar ohne mich unter Druck zu setzen und mich ständig mit anderen zu vergleichen. Als ich dieses Buch las, fing ich gerade an, mit Coach Ben zusammenzuarbeiten, und er konzentriert sich auf dieselben Dinge. Er unterhielt sich vor und nach den Workouts mit mir, manchmal auch dazwischen, und alle Puzzleteile fügten sich zusammen. Mit dieser neuen Einstellung machten mir das Training und die Arbeit an mir selbst auch mehr Spaß.
Gibt es eine (wichtige) Übung, die die meisten CrossFitter oder Athleten vernachlässigen?
Auf jeden Fall Mentaltraining. Es ist leicht, sich in den körperlichen Aspekt des Sports hineinzusteigern, eine bessere Laufzeit, ein höheres Hantelgewicht, schnellere Thrusters oder mehr Klimmzüge zu erzielen … aber auf einem hohem Niveau, auf dem jeder Athlet fit und stark ist, macht die geistige Einstellung den Unterschied aus.
In Bezug auf körperliches Training würde ich »Grundfitness« sagen. Es geht darum, sich über einen längeren Zeitraum im Bereich der Laktatschwelle bewegen zu können – und das ist hart. Aber dann passieren erstaunliche Dinge. Es geht nicht darum, ein Workout abzuspulen oder ein bestimmtes Tempo zu halten. Es geht vielmehr darum, sich in einer Zone zu bewegen, in der man kurz davor steht nachzulassen, aber noch gerade so mithalten kann. Sobald die Grundfitness höher ist, verbessert sich auch die Erholungsfähigkeit zwischen den einzelnen Übungen und Events; das überträgt sich auf viele andere Dinge.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg? Hast du einen »Lieblingsmisserfolg«?
Als ich mit CrossFit anfing, war ich auf Anhieb ziemlich »gut«. Nicht ausgezeichnet, nicht sehr gut, aber gut genug, um einen Fuß in die Tür zu stellen. Ich qualifizierte mich 2012 und 2013 für die CrossFit Games und war stolz auf meine Teilnahme – beinahe so, als würde ich mich nur darüber definieren. Während meiner Vorbereitung auf die Games war ich als Studentin am College eingeschrieben und arbeitete als Trainerin. Ich war immer sehr gewissenhaft, aber rückblickend ratterte ich meine Workouts damals einfach nur herunter. Ich arbeitete sie ab, weil ich sie eben abarbeiten musste.
Damals wusste ich ehrlich gesagt nicht, was ich mit meinem Studium erreichen wollte, und die Arbeit als Trainerin machte mir auch keinen großen Spaß. Aber das waren beides Dinge, die meiner Meinung nach zum »guten Ton« gehörten. Die CrossFit Games waren das einzige, was mich wirklich interessierte, und 2014 verpasste ich die Qualifikation. Das nahm ich damals als den größten Misserfolg in meinem Leben wahr. Es war schlimm, aber es stellte sich im Nachhinein als das Beste heraus, was mir jemals passiert ist.
Dadurch, dass ich in jenem Jahr aussetzen musste, wurde mir erst klar, wie viel mir die Teilnahme bedeutete … und dass ich willens war, hart dafür zu arbeiten. Ich nahm mir den Sommer frei, las Bücher über Sportpsychologie, und als ich bereit war, wieder anzufangen, war ich wirklich zu einhundert Prozent bereit. Ich bat Ben darum, mein Coach zu werden, und traf später die Entscheidung, eine Auszeit vom Studium zu nehmen, meinen Trainerjob an den Nagel zu hängen und von Island nach Boston zu ziehen, damit ich mich mit Leib und Seele CrossFit verschreiben und meine Zusammenarbeit mit Ben vertiefen konnte. Ich blühte förmlich auf. Das war Anfang 2105. Wir gewannen im Juli jenes Jahres die CrossFit Games.
Mein Scheitern in der Qualifikation für die CrossFit Games 2014 war also das Beste, was mir hätte passieren können, und diese Erfahrung veränderte mein Leben von Grund auf.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Mein Flugticket von Island nach Boston Anfang 2014, um ein Trainingslager unter der Leitung von Ben im CrossFit New England zu besuchen. Es war fast mein gesamtes Erspartes, das ich damals auf dem Konto hatte, aber es war mir so wichtig, mit Ben und seinen Athleten zu arbeiten. Er war damals noch nicht mein Coach, aber das Trainingslager bildete die Grundlage für unsere anschließende Zusammenarbeit und einige enge Freundschaften.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Manchmal sind die Dinge nicht einfach oder lustig und es weht ein rauer Wind. Ich sage mir dann, dass das die Momente sind, die wirklich zählen! Jeder kann in den Kraftraum gehen und hart trainieren, wenn er Lust darauf hat. Aber wie sieht es aus, wenn einem mal nicht danach ist? Wenn man müde und erschöpft ist?
In dieser Situation hilft mir mein »Warum«. Mein »Warum« ist meine Oma und ihr Licht. Sie war meine größte Unterstützerin und beste Freundin. Als ich von Island nach Boston zog, um dauerhaft dort zu trainieren, sagten wir uns, dass wir trotzdem immer zusammen sein würden. Sie verstarb im April 2015, aber ich fühle und weiß, dass wir immer zusammen sein werden. Wenn die Dinge einmal nicht so glattlaufen, weiß ich, dass sie bei mir ist.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Die Überzeugung, dass mein Bestes völlig ausreicht. Man steigert sich leicht in die Vorstellung hinein, dass man immer außerordentliche Leistungen zeigen muss, um einen Wettkampf, einen Trainingstag oder eine Aufgabe zu bewältigen.
Ich habe festgestellt, dass ich nicht mehr tun kann als mein Bestes geben. Das ist für mich ein Sieg. Sein Bestes zu geben – das klingt einfach, ist es aber nicht. Man muss alles geben … nicht mehr und nicht weniger. Das Schöne daran ist, dass man für sich und sein Tun selbst verantwortlich ist. Man kann immer sein Bestes geben, ungeachtet der körperlichen Verfassung oder der äußeren Umstände. Das ist für mich immer ein Sieg.