Ich habe eine Schautafel mit einem Kästchen für jedes Jahr meines Lebens: waagerecht zehn Jahre, senkrecht neun Zeilen. Darin sind auch andere Informationen eingetragen wie die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA. Mich hat das sofort angesprochen, weil es Zeit visuell darstellt – und ich bin ein visueller Mensch. Auch in der Firma führe ich der Belegschaft die laufende Woche visuell vor Augen – um sie daran zu erinnern, dass es auf jede Woche ankommt. Ich habe meine Schautafel nie für kurios gehalten, doch im Januar habe ich sie meinem Team gezeigt, weil ich dachte, alle würden sie anregend und motivierend finden. Aber die Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf die Sterblichkeit. Es war die schlimmste Sitzung meines Lebens.
Ich glaube, sie haben nicht kapiert, was ich ihnen sagen wollte. Manche Menschen fassen es so auf: »Hey, jedes Jahr ist wirklich spannend und wertvoll.« Andere reagieren mit: »Ach so, ich muss ja sterben.« Es kam nicht gut an, deshalb zeige ich die Tafel keinem mehr.
Experiment gescheitert.
Welcher (vermeintliche?) Misserfolg war die Voraussetzung für deinen späteren Erfolg?
Dazu sage ich Folgendes, wobei das keine richtige Antwort auf deine Frage ist, aber meine Denkweise prägt: Meine Eltern, meine beiden Schwestern und viele meiner Freunde sind Ärzte. Es hat mich schon immer beeindruckt, dass es mindestens zwölf Jahre dauert, Arzt zu werden – und dann ist man immer noch ein kleines Licht in der Medizin. Wo ich jetzt lebe [im Silicon Valley], ist das anders. Hier legen die Menschen generell sehr kurze Zeitmaßstäbe an – ein oder zwei Jahre. In vielen Berufen wird vorausgesetzt, dass man acht bis zehn Jahre braucht, bis man das Mindestkompetenzniveau erreicht hat, um zu praktizieren.
Das erdet einen bei Projekten, denn es geht immer wieder viel daneben, doch wenn man zugrunde legt, dass es fünf bis zehn Jahre dauert, etwas Lohnenswertes auf die Beine zu stellen, dann ist das gleich nicht mehr so schlimm.
So bin ich zum Beispiel 2008 von Google weggegangen, um ein Unternehmen zu gründen, und die ersten zwei oder drei Projekte brachten nicht den gewünschten Erfolg. 2010 kam dann Pinterest. Auch da dauerte es ein oder zwei Jahre, bis dynamisches Wachstum einsetzte – richtig durchgestartet sind wir etwa 2012. Das waren vier Jahre, in denen es nicht gerade gut lief. Aber ich dachte: »Das ist doch gar nicht so lang. Das ist wie ein Medizinstudium bis zum Assistenzarzt.«
Welches Buch (welche Bücher) verschenkst du am liebsten? Warum? Welche ein bis drei Bücher haben dein Leben am stärksten beeinflusst?
The Better Angels of Our Nature von Steven Pinker (Seite 498 ). Die meisten Nachrichten sind schlecht. Das kann demotivieren und den Menschen das Gefühl geben, sie könnten nichts tun. Dieses Buch wählt einen langfristigen Blickwinkel und zeigt, wie die Gewalt auf lange Sicht zurückgegangen ist.
Salt, Fat, Acid, Heat: Mastering the Elements of Good Cooking von Samin Nosrat (Seite 23 ). Ich koche gern, und dieses Buch hat mir viele Grundlagen über Aromen und Garverfahren vermittelt. Danach habe ich mich eher getraut, von Rezepten abzuweichen.
Was ist das beste oder lohnendste Investment, das du je getätigt hast (in Form von Geld, Zeit, Energie etc.)?
Ich gehe erst seit zwei Jahren ins Fitness-Studio. Das lag zum Teil an persönlicher Faulheit, aber auch daran, dass ich mich nicht traute.
Den Moment des Durchbruchs gab es nicht. Mir drängte sich nur die Frage auf: »Bin ich jemand, der sein Leben lang keinen Sport treibt? Oder nicht? Wenn nicht, warum dann nicht gleich?« Das waren meine Überlegungen. Es gab keine medizinische Krise oder so etwas. Es war einfach so eine Sache, die ich ständig vor mir herschob. Dann ging ich hin und stellte fest, dass ich nicht wusste, wie ich anfangen sollte. Deshalb engagierte ich einen Trainer und bezahlte ein Jahr lang dafür. Ich ging einfach ins Studio und fragte: »Kann man bei euch einen Trainer buchen?« Wer, war mir egal. Der Vorteil: Sobald ich angemeldet war und zahlte, fiel es mir leichter, hinzugehen als wegzubleiben.
Das Geld war sowieso futsch. Und dann musste ich dem Trainer mitteilen: »Ich komme heute nicht.« Ich fühlte mich irgendwie in der Pflicht. Das half mir, die erste Hürde für regelmäßige sportliche Betätigung zu nehmen. Könnte man sie in Flaschen füllen, sie wäre ein echtes Wundermittel. So ziemlich alles im Leben wird besser, wenn man sich die Zeit nimmt, sich regelmäßig zu bewegen.
Im Silicon Valley leben viele ihr Leben in Episoden, wie ich finde. Sie denken sich: »Erst gehe ich aufs College. Dann gründe ich ein Start-up. Dann verdiene ich Geld. Dann mache ich X.« Dieser [Ansatz] hat sicherlich etwas für sich, doch viele sehr wichtige Dinge müssen zeitgleich berücksichtig werden, wie Beziehungen und Gesundheit. Das kann man nicht nachholen. Man kann seine Frau nicht vier Jahre lang vernachlässigen und dann sagen: »Gut, die nächsten Jahre gehören ihr.« So funktionieren Beziehungen nicht – und Gesundheit und Fitness ebenso wenig. … Man muss sich unbedingt ein System ausdenken, das alles, was laufend erledigt werden muss, berücksichtigt – auch wenn man einer bestimmten Sache vielleicht unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit widmet. Sonst steht man irgendwann einsam und krank da.
Welche Anschaffung von maximal 100 Dollar hat für dein Leben in den letzten sechs Monaten (oder in letzter Zeit) die größte positive Auswirkung gehabt?
Das ist nicht sehr originell, aber die Apple AirPods-Kopfhörer mag ich richtig gern. Sie sind kabellos und der Akku hält ewig. Ich hätte nicht gedacht, dass ich sie so gut finden würde.
Welche schlechten Ratschläge kursieren in deinem beruflichen Umfeld oder Fachgebiet?
Die Vorstellung, dass man aus Fehlschlägen am meisten lernt, ist falsch. Man kann das ruhig sagen, damit sich die Menschen besser fühlen, doch wer lernen will, etwas richtig zu machen, der sollte Menschen über die Schulter schauen, die es gut können. Man analysiert ja auch nicht die vielen erfolglosen Sprinter, um zu lernen, wie man schnell läuft. Man schaut sich die Schnellsten an. Es gibt viele Gründe, warum etwas schiefgehen kann, doch deine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass das nicht passiert.
Dabei ist das keine Entweder-oder-Frage. Wenn etwas nicht geklappt hat, sollte man natürlich das Beste daraus machen und sich überlegen, was besser gewesen wäre. Was man daraus lernt, hat eine ganz andere emotionale Tragweite. Das liegt an unserer Einstellung. Die meisten Menschen haben eine starke emotionale Abneigung gegen das Versagen.
Es ist gut, den Menschen die nötige Sicherheit zu vermitteln, um Risiken einzugehen. Doch wer glaubt, er sollte nur aus Fehlschlägen lernen – nicht von Menschen, die Erfolg haben –, der hat etwas falsch verstanden.
[Dieser übersteigerte Fokus auf Misserfolgen] schlägt auf alles durch. Ich muss meinen Führungskräften erklären: Ihr müsst unbedingt Zeit mit euren Leistungsträgern verbringen, nicht nur mit allen euren Problemen.
Wozu kannst du heute leichter Nein sagen als vor fünf Jahren? Welche neuen Erkenntnisse und/oder Ansätze haben dir dabei geholfen?
Das kann ich immer noch nicht so gut. Ich weiß, dass Zeit eigentlich eine Nullsumme ist – die eine Sache, von der niemand mehr produzieren kann.
Ich habe dafür kein festes Repertoire. Ich bin möglichst ehrlich und stoße damit auf überraschend viel Verständnis. Ich sage Dinge wie: »Ich würde wirklich gern, aber ich versuche gerade, mich auf [das Projekt XYZ] zu konzentrieren. Das verstehst du hoffentlich. Ich würde mich sehr freuen, wenn es ein andermal klappt.« Vielleicht sagen sie mir ja auch einfach nicht, dass [sie verärgert sind], aber die Menschen haben oft mehr Verständnis, als man denkt. Manchmal entstehen vor meinem inneren Auge Bilder von Leuten, die wutentbrannt ihren Rechner zuklappen und »Der Arsch!« brüllen. Aber eigentlich glaube ich, sie verstehen das.
Was tust du, wenn dir alles zu viel wird, du nicht mehr fokussiert bist oder deine Konzentration nachlässt?
Zwei Dinge: Ich laufe gewöhnlich ein paar Schritte und ich versuche, alles aufzuschreiben, was vor sich geht. So kriege ich es aus dem Kopf und kann es analysieren. Manchmal drehen sich unsere Gedanken im Kreis, und wir kommen nicht weiter. Mir hilft es, alles zu Papier zu bringen und zu visualisieren, was wirklich wichtig ist.
Dabei gehe ich nicht supersystematisch vor. Ich könnte zum Beispiel schreiben: »Folgendes bereitet mir Kopfzerbrechen …« und das dann notieren. Anschließend lehne ich mich zurück und frage: »Also gut, was passiert hier eigentlich, und worauf kommt es an?« Lehrreich ist dabei, wie Unternehmen ihre Ziele in verschiedener Zeitauflösung formulieren: was diese Woche ansteht, diesen Monat, dieses Jahr und in zehn Jahren. … Ich glaube, wenn kurzfristige Anliegen verdrängen, was man mittel- oder langfristig erledigen möchte, verliert man gewöhnlich den Überblick.
Was willst du auf längere Sicht unbedingt erreichen? Wenn du diese Frage beantwortet hast, kannst du die Sache dann von hinten aufrollen.
Welche Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Gewohnheiten, die du dir in den letzten fünf Jahren angeeignet hast, haben dein Leben am meisten verbessert?
Das hört sich jetzt vielleicht ein bisschen kitschig an, aber ich habe angefangen, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen. Wer [sich angewöhnt], niederzuschreiben, wofür er dankbar ist, der achtet unwillkürlich mehr auf solche Dinge und fühlt sich besser. Das ist beinahe absurd einfach.
Irgendwann im Laufe des Tages schreibe ich eine Sache auf. Manchmal lasse ich auch einen Tag aus, ich bin da kein Perfektionist. Ich erzähle meinem Team ständig, dass ich versuche, ein realistischer Optimist zu sein: Unseren heutigen Stand beurteile ich ausgesprochen objektiv, doch unsere künftigen Leistungen äußerst optimistisch. Ich bin der festen Überzeugung, dass man dem Team Zuversicht vermitteln muss, statt sich nur auf die Probleme zu konzentrieren. Jemand hat mir mal gesagt: »Wer mit anderen nur über Probleme spricht, wird für sie bald selbst zum Problem.« Ganz meine Meinung. Deshalb versuche ich heute, mir die Freiheit und die Zeit zu nehmen, auch zu sagen »Richtig gut läuft zum Beispiel …«. In meiner Anfangszeit als Führungskraft hörte sich das eher so an: »Was müssen wir heute in Ordnung bringen?«
Ich verwende da ein kleines Notizbuch, das ich mir bei Office Depot oder sonstwo gekauft habe. Das ist nicht besonders cool, aber es geht dabei ja auch mehr um das Ritual. Allerdings hätte ich schon gern einen dieser kultigen japanischen Planer, den alle Designer verwenden – ein Hobonichi Techo. So etwas können die Japaner: ein Notizbuch zur hohen Kunst stilisieren. Na, vielleicht nächstes Jahr …