XII.6 Transplantation von fetalem Hirngewebe

Wenn die Transplantation von fetalem Hirnmaterial gelingt, welche Eigenschaften könnte man dann vom Spender bekommen?

Für die Parkinson-Krankheit ist ein Absterben von Dopaminzellen in der Substantia nigra im Hirnstamm charakteristisch (Abb. 21). Bei der Obduktion ist diese Region aufgrund der Pigmentierung der Dopamin produzierenden Hirnzellen als schwarzes, durch das Hirngewebe hindurchschimmerndes Band erkennbar. Man sieht es auch sofort, wenn diese Zellen abgestorben sind, wie zum Beispiel bei der Parkinson-Krankheit. Dann können die Zellen das Striatum, das motorische Areal im Zentrum des Gehirns, nicht mehr innervieren, das heißt mit Nervenfasern versorgen und steuern. Der Dopaminmangel im Striatum löst die für diese Hirnkrankheit typische Bewegungsstörung aus. Was wäre logischer, als die Krankheit zu heilen, indem man die abgestorbenen Zellen ersetzt? 1987 erschien in der führenden Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine ein Artikel des mexikanischen Arztes Madrazo, in dem er von einer wundersamen Besserung bei Parkinson-Patienten nach einer Transplantation von Gewebe aus dopaminhaltigen Zellen aus deren eigenen Nebennieren in den Nucleus caudatus berichtet (Abb. 21). Das hat innerhalb von zwei Jahren zu einer Flut von 200 derartigen Transplantationen geführt. Doch die Operation erwies sich als nicht wirksam, und 20 Prozent der Patienten starben in den zwei Jahren nach dem Eingriff. Die Untersuchung der Gehirne verstorbener Patienten zeigte, dass das transplantierte Gewebe aus der Nebenniere im Gehirn nicht überlebt hatte. Im Striatum wurde nur Narbengewebe gefunden. Madrazos vielversprechende Resultate beruhten wahrscheinlich auf einer Kombination aus unsachgemäß durchgeführten Studien und Placeboeffekten (siehe Kap. XVII.4).

Seit 1988 transplantiert man Parkinson-Patienten nicht mehr Stückchen der eigenen Nebenniere, sondern dopaminhaltige Zellen aus dem Gehirn eines Fetus in das Striatum. Damit das funktioniert, muss das Gewebe von sechs bis acht Wochen alten Feten stammen. Bei etwa 85 Prozent der operierten Patienten kann man das Transplantat mit Hilfe eines PET-Scanners zeitlebens in deren Gehirn wiederfinden. Im Striatum des Gehirns verstorbener Patienten wurden sogar noch 16 Jahre nach der Operation dopaminhaltige Zellen gefunden, die mit den Hirnzellen des Empfängers in Verbindung standen. Manchmal jedoch übernehmen diese neuen Dopaminzellen auch die Symptome der Parkinson-Krankheit. Das gelegentliche Übergreifen der Krankheit auf das Transplantat ist vielleicht der Grund, weshalb es Patienten, die zunächst von dem Eingriff zu profitieren schienen, dann doch wieder schlechterging. Für ein Implantat benötigt man Material von vier Embryonen. Dieses Material ist schwer zu beschaffen. Das Transplantat stammt nämlich von Schwangerschaftsabbrüchen, bei denen die Mutter vor dem Eingriff ihre Einwilligung zur Transplantation geben musste. So knüpft man große Erwartungen an embryonale Stammzellen als alternativer Transplantatquelle, da sich aus ihrer Kultivierung Dopaminneuronen differenzieren lassen. Heute ist diese Therapie allerdings noch mit vielen Nachteilen und Risiken behaftet. Man hat bereits einen ersten Fall dokumentiert, bei dem einem Patienten vier Jahre nach einer Stammzelleninjektion ins Kleinhirn ein Hirntumor gewachsen war. Aus Stammzellen kann im Prinzip alles entstehen, eben auch ein Tumor.

Abb. 21

Bei der Parkinson-Krankheit sterben die schwarz pigmentierten, Dopamin produzierenden Zellen in der Substantia nigra (SN) ab und können daher die motorische Region, das Striatum (P= Putamen, NC= Nucleus caudatus), nicht mehr steuern.

Die Transplantation fetaler Dopaminzellen in das Gehirn von Parkinson-Patienten kann zwar gewisse Erfolge für sich verbuchen – die Patienten benötigen nur noch eine geringe Dosierung ihres Medikaments l-Dopa, und auch ihre Bewegungsstörungen lassen nach –, von einer wirklichen Genesung kann jedoch sicher nicht die Rede sein; zudem fallen die Resultate durchaus unterschiedlich aus. Darüber hinaus erzeugt die Transplantation die gleichen Wirkungen und Nebenwirkungen wie l-Dopa. In etwa 15 Prozent der Fälle ergeben sich als Komplikationen der Transplantation motorische Fehlfunktionen (Dyskinesien), die auch bei Patienten auftreten, die l-Dopa nehmen. Zudem hat man placebokontrollierte Studien durchgeführt, in denen die Hälfte der Patienten (die nicht wussten, welcher Gruppe sie angehörten) zwar operiert worden war, aber kein Transplantat erhalten hatte. Nach zwei Jahren ließ sich hinsichtlich der Auswirkungen auf die Bewegungsstörungen zwischen den Scheinoperierten und Patienten mit Implantat kein Unterschied mehr erkennen. Alles in allem gibt es also noch keine überzeugenden Resultate (siehe Kap. XVII.4).

Auch bei der Huntington-Krankheit wird als experimentelle Therapie fetales Hirngewebe transplantiert. Es handelt sich dabei um eine von Bewegungsstörungen gekennzeichnete Erbkrankheit, bei der im Striatum Hirnzellen absterben. In einem späteren Krankheitsstadium kommt es auch zu Demenz. Eine kürzlich aufgetretene Mutation, die diese Krankheit verursacht, ist so selten, dass sich alle Erkrankungen der Patienten in Südafrika auf einen einzigen Matrosen zurückführen lassen, der 1652 mit dem Schiff von Jan van Riebeeck am Kap der Guten Hoffnung gelandet war. Erste Transplantationen fetalen Striatumgewebes wurden bereits bei Huntington-Patienten durchgeführt und zeigten klinische Verbesserungen. Ihnen wird nun eine Multicenter-Studie folgen. Untersuchungen verstorbener Patienten belegen, dass die Transplantate lebende Zellen enthalten, die sich in das Hirnzellennetzwerk von Huntington-Patienten integrieren. Ein Transplantat wuchs allerdings so stark, dass es zu neurologischen Problemen kam. Hier ist also ebenso nur verhaltener Optimismus angebracht.

Auch im Falle von Augenkrankheiten, bei denen die Blindheit von einer Degeneration der Nervenzellen verursacht wird, wie bei einer Retinitis pigmentosa oder einer Makuladegeneration, transplantiert man fetale Netzhaut. Die Resultate sind ermutigend.

Wenn die Transplantationen fetalen Hirngewebes künftig tatsächlich erfolgreich sein sollten und Hirndefekte auf diesem Weg letztendlich wirkungsvoll repariert werden könnten, wirft das eine wichtige Frage auf. Denn schließlich werden unser Charakter und viele unserer Eigenschaften während der fetalen Entwicklung in unserer Hirnstruktur festgelegt. Welche Eigenschaften eines Spenders können übertragen werden, wenn sein fetales Hirnmaterial in unser eigenes Hirn transplantiert wird? Das hängt davon ab, welches fetale Hirnareal an welche Stelle im Gehirn des Empfängers transplantiert wird. Allerdings ist es schwer vorhersehbar, welche Eigenschaften möglicherweise mittransplantiert werden. Wenn sich diese Technik als wirksam erweisen sollte und auf höhere Hirnstrukturen wie den Cortex angewendet wird, kann man sich die Frage stellen, ob man damit nicht einen neuen Menschen erschafft und ab welcher Menge transplantierten Gewebes es für den Empfänger des Transplantats eigentlich angebracht wäre, den Namen des Spenders als zweiten Nachnamen anzunehmen. Ganz besonders interessant wird es, wenn es gelingt, Hirnmaterial einer anderen Gattung zu transplantieren. Da die Verfügbarkeit von fetalem Hirnmaterial ein großes Problem darstellt, hat man Parkinson-Patienten auch schon fetales Hirngewebe von Schweinen transplantiert und die Abstoßungsreaktion der Patienten anschließend medikamentös unterdrückt. Bis heute jedoch erfolglos. Nur wenige Schweinezellen überlebten im Gehirn von Parkinson-Patienten. Aber wenn solche Xenotransplantationen eines Tages funktionieren würden, würde dem Mensch dann etwas von der Freundlichkeit und Intelligenz der Schweine mit transplantiert?