KAPITEL 8

 

Zwei gegen die Welt

LEUKE KOME: WINTER 36/35 V. CHR..

Wochenlang blickte Antonius hinaus aufs leere Meer, auf die Wellen, die sich eine nach der anderen mit kalter Gischt an der Steinmauer des Hafens brachen. Mit jedem Tag, an dem Kleopatra fort blieb, wurde seine Stimmung düsterer. Nicht nur verfolgte ihn das schreckliche Scheitern seines Feldzug nach Parthien und der katastrophale Rückzug; die Nachrichten aus Rom, die von Octavians Erfolgen kündeten, verschlimmerten nur noch sein Gefühl, persönlich versagt zu haben.

Denn im vergangenen Jahr hatten sich die tektonischen Platten der römischen Politik wieder einmal verschoben, langsam zeichnete sich das Entstehen einer neuen Weltordnung ab. Von großer Bedeutung waren dabei zwei Siege Octavians über Sextus Pompeius, der mit seiner Kontrolle über die reichen Kornfelder Siziliens die Versorgung Roms mit Nahrungsmitteln gefährdet hatte. Nun war Pompeius’ Flotte, die so lange unbesiegbar schien, dank Octavians brillantem Admiral Marcus Agrippa zerschlagen worden. Sextus Pompeius befand sich auf der Flucht, und Octavian spielte sich in Rom als großer Herrscher auf.

Und das mit Recht. Er hatte nicht nur Sextus Pompeius’ Macht zerstört; in den Wochen nach Agrippas Siegen hatte der dritte Triumvir, Lepidus, versucht, seine Muskeln spielen zu lassen. Ein Krieg schien unvermeidlich. Aber in einem ganz untypischen Akt der Tapferkeit ritt Octavian höchstpersönlich in Lepidus’ Lager ein und drängte dessen Legionen, auf seine Seite zu wechseln. Sie taten es; der Krieg war vermieden. Lepidus wurde abgesetzt, und statt drei Machthabern hatte das Römische Reich nun nur noch zwei: Octavian und Antonius.

Es gab keinen Zweifel, wessen Stern nun immer heller strahlte. Während Antonius weit weg in Parthien einen demütigenden Verlust erlitten hatte, war Octavian nicht nur mehrmals siegreich gewesen, sondern hatte auch seine eigene Machtbasis in Rom konsolidiert. Und für die Römer stand stets Rom an erster Stelle.

Ein Erfolg in Parthien hätte Antonius zweifellos große Ehre ein gebracht. Der Fehlschlag (selbst in seinen Depeschen versuchte Antonius noch, das wahre Ausmaß der Katastrophe her unterzuspielen) bot nicht nur seinen Feinden in Rom Munition gegen ihn, sondern verminderte sein Ansehen bei seinen eigenen Soldaten und seinen Anhängern im Osten. An so eine Situation war Antonius ganz einfach nicht gewöhnt.

Doch endlich erschienen am fernen Horizont, zunächst wie eine Fata Morgana, dann immer deutlicher, die Leinensegel der ägyptischen Flotte und darunter die purpurnen Segel des königlichen Flaggschiffs. Für Antonius hatte das lange und quälende Warten endlich ein Ende. Nicht nur hatte Kleopatra dem winterlichen Wellengang getrotzt, um ihn zu treffen, sie hatte auch ausreichend Nahrung und Kleidung für seine Truppen dabei und noch dazu dringend benötigte finanzielle Mittel. Nun konnte er, auch wenn er zusätzlich zu dem, was Kleopatra mitgebracht hatte, noch auf einige seiner eigenen Ressourcen und die seiner Freunde zurückgreifen musste, endlich seine Männer belohnen und sich ihre so wichtige Loyalität zurückkaufen:

Jeder Infanterist erhielt 400 Sesterzen, der Rest wurde anteilig bezahlt. Da aber die gesandte Geldmenge nicht ausreichte, bezahlte er den Rest aus eigenen Mitteln, und obgleich er selbst dafür aufkam, bedankte er sich dennoch bei Kleopatra für ihre Großzügigkeit; er bat auch seine Freunde um große Summen und forderte große Beträge von seinen Verbündeten ein.104

Doch Geld und Nahrung waren vielleicht nicht das einzige, das Kleopatra nach Leuke Kome mitbrachte. Vielleicht hatte sie auch ihren kleinen Sohn Ptolemaios dabei, der erst ein paar Monate alt war und den Antonius in Antiochia gezeugt hatte – all das musste ihm mittlerweile vorkommen, als sei es eine Ewigkeit her. Und Kleopatra vielleicht auch. Seine schwere Niederlage und Wochen exzessiver, gefühlsdusliger Trunkenheit müssen Antonius stark verändert haben. Wie Kleopatra seinen Gemütszustand wahrnahm, ist nicht überliefert, aber innerhalb weniger Wochen, wenn nicht Tage, holte sie ihn aus der Isolation des syrischen Küstenstädtchens heraus und segelte mit ihm zurück nach Ägypten. Wenn es einen Ort gab, an dem sie ihm helfen konnte, sich zu erholen und zu seinem legendären joie de vivre zurückzufinden, dann war es sein geliebtes Alexandria.

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Silberdenar mit Antonius (Avers, oben) und Kleopatra (Revers), geprägt in einer mobilen Prägestätte, 32 v. Chr. Durchmesser 1,85 cm. British Museum, TC, p237.2. CleMA

Sie war jedoch nicht die einzige Frau, die Antonius unterstützen wollte. Es dauerte nicht lange, bis ihn die Nachricht erreichte, seine Frau, Octavia, sei in Athen eingetroffen (Frühjahr 35 v. Chr.). Und bei sich habe sie Soldaten, Geld und Versorgungsgüter, die ihrem Mann beim Krieg gegen die Parther helfen sollten. Oder so schien es zumindest zu diesem Zeitpunkt. Ein Jahrhundert später berichtet Plutarch (natürlich durch den zeitlichen Abstand besser informiert), dies sei nur ein Trick gewesen, ein Vorwand in jener wirren Zeit, um die schwelenden Konflikte anzufachen. Ihm zufolge

stimmen die meisten Menschen darin überein, dass der wahre Grund, warum Octavian ihr dies erlaubte, nicht war, ihr einen Gefallen zu tun, sondern einen plausiblen Vorwand für einen Krieg zu haben, sollte er sich von Antonius zurückgewiesen oder beleidigt fühlen.105

Im Folgenden entwirft er ein überzeugendes Bild eines Stellvertreterkriegs, in dem Octavia und Kleopatra beide für sich darum kämpfen, die Kontrolle über Antonius zu gewinnen: Octavia, die loyale römische Ehefrau, die ihrem Mann würdevolle und bedächtige Nachrichten schickt, damit er zur ihr nach Athen kommt; Kleopatra, die auf Listen, Theatralik und emotionale Erpressung zurückgreift, damit er sich weiterhin in Alexandria einnistet. Falls Plutarchs Bericht durch Propaganda getrübt ist, dann ist es eine Propaganda, die zweifellos bereits zu dieser Zeit durch Octavians Soldaten verbreitetet wurde. Plutarch erzählt (mit schamloser Übertreibung), dass Kleopatra

so tat, als sei sie leidenschaftlich in Antonius verliebt; sie hielt ihren Körper schlank, indem sie wenig aß, sie sah Antonius voll Verzückung an, wenn er sich ihr näherte, und voll ohnmächtiger Melancholie, wenn er sie verließ. Sie arrangierte es so, dass man sie oft weinen sah, und dann wischte sie die Tränen schnell fort und versuchte, sie zu verstecken, als ob sie nicht wollte, dass Antonius es bemerkte … Ihre Schmeichler halfen ihr und schmähten Antonius als hartherzig und gefühllos, sagten, er zerstöre seine Geliebte, die sich nur ihm allein widme. Octavia, sagten sie, habe ihn nur aus politischen Gründen geheiratet und zum Wohle ihres Bruders, und dennoch bezeichne man sie als Ehefrau, während Kleopatra, die Königin so vieler Menschen, lediglich Antonius’ Geliebte genannt werde – aber sie scheue sich nicht vor dieser Bezeichnung, solange sie ihn sehen und mit ihm leben könne; wenn er sie jedoch verlasse, werde sie es nicht überleben.

Diese Version der Ereignisse, bei der ein wankelmütiger Antonius von einer intriganten Kleopatra manipuliert wird, sollte sich in der öffentlichen Meinung Roms derart verfestigen, dass es heute unmöglich ist, herauszuarbeiten, was tatsächlich stimmt und was nicht. Es gab sicherlich gute Gründe für Antonius, nicht überstürzt zu Octavia nach Athen zu reisen. Erstens hatte sie weniger Truppen von ihrem Bruder mitgebracht, als Octavian Antonius ein paar Jahre zuvor versprochen hatte; und zweitens hatte Antonius bereits Berichte über politische Unruhen in Parthien erhalten, die er zu seinem militärischen Vorteil nutzen konnte, wenn er schnell handelte.

Doch bevor er noch in eine der beiden Richtungen aufbrechen konnte, nach Norden in Richtung Athen oder nach Osten in Richtung Parthien, erreichte ihn eine dringende Meldung, die er nicht ignorieren konnte. Der flüchtige Sextus Pompeius war in Asien gelandet und rekrutierte eine neue Armee. Es dauerte nicht lange, bis seine Gesandten in Alexandria eintrafen. Ihre Botschaft war ebenso plump wie eindeutig: Genau wie nach dem Perusinischen Krieg (siehe S. 98) bot Pompeius Antonius seine volle Unterstützung an – für einen Krieg gegen Octavian. Die Gesandten teilten Antonius mit:

Du bist jetzt das einzige, das noch zwischen Octavian und der Alleinherrschaft steht, die dieser so sehr ersehnt. Tatsächlich hätte er dich schon angegriffen, wenn Pompeius nicht im Weg gewesen wäre. Auch wenn du dies wahrscheinlich selbst hättest erkennen sollen, bringt Pompeius es dir aus gutem Willen zur Kenntnis, denn er zieht einen ehrlichen und großmütigen Mann einem tückischen, geschickten Betrüger vor.106

Für den Moment mag Antonius unentschlossen gewesen sein, aber innerhalb weniger Tage trafen andere Gesandte des Sextus Pompeius im alexandrinischen Königspalast ein, diesmal mit bewaffneten Wachen an ihrer Seite. Sie waren verhaftet worden beim Versuch, Nachrichten zu schmuggeln, in denen Phraates, dem König von Parthien, Unterstützung zugesagt wurde. Pompeius hatte ein doppeltes Spiel gespielt. Wenn Antonius sich nicht mit ihm einließ, würde er sich dem erbittertsten Feind Roms anschließen.

Damit hatte Pompeius sein eigenes Schicksal besiegelt. Verzweifelt führte er sein Heer landeinwärts. Sein Ziel, so hieß es, war Armenien bzw. der Hof von König Artavasdes, der Antonius in Parthien im Jahr zuvor auf so schmähliche Weise im Stich gelassen hatte. Doch noch bevor er dort eintraf, wurde er von Antonius’ Truppen aufgegriffen, in Gewahrsam genommen und zur Hafenstadt Milet gebracht, wo er auf Antonius’ Befehl hingerichtet wurde. Er war der letzte überlebende rebellische General aus dem Bürgerkrieg zwischen seinem Vater, Gnaeus Pompeius, und Caesar; das lässt es um so ironischer er scheinen, dass, noch während man seinen Leichnam für die Bestattung vorbereitete, die Saat des nächsten römischen Bürgerkriegs, die schon seit so vielen Jahren keimte, nun schließlich zu sprießen begann.

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Ein falscher Freund: Artavasdes II. (56–31 v. Chr.), hierauf einer Silberdrachme zu sehen, wurde von Antonius gefangen genommen und von Kleopatra hingerichtet. Die Münze wurde bei Artaxata in Armenien geprägt, Durchmesser 1,7 cm. British Museum, 1872,0709,327

Als Sextus Pompeius tot war, da war das Jahr 35 v. Chr. bereits so weit fortgeschritten, dass an einen Feldzug nicht mehr zu denken war. Seine Frau Octavia hatte er bereits zu vorbrieflich angewiesen, nach Rom zurückzukehren. Zweifellos berichtete man ihm nun, dass ihr Bruder Octavian ihr bei ihrer Ankunft befohlen hatte, sich von Antonius scheiden zu lassen und fortan

in ihrem eigenen Haus zu wohnen. Aber sie weigerte sich, das Haus ihres Ehemanns zu verlassen, sie flehte Octavian sogar an, zu ignorieren, wie Antonius sie behandle, wenn er nicht aus anderen Gründen einen Krieg gegen Antonius beginnen wolle, denn es wäre eine Schande, auch nur zu erwähnen, dass die beiden mächtigsten Feldherrn die Römer in einen Bürgerkrieg gestürzt hätten, der eine aus Liebe, der andere aus Groll gegenüber einer Frau.107

Wieder berichtet Plutarch dies viele Jahre später, aber dennoch muss er ziemlich genau die Stimmung jener Tage erfasst haben. Denn wenn es noch irgendwelche Zweifel gab, dass ein Krieg in der Luft lag, wurden es mit jedem Monat, der verging, weniger, und da ihm seine Niederlage in Parthien immer noch nachhing, musste Antonius die Moral seiner Truppen wiederherstellen – und zwar schnell.

Also kehrte Antonius im folgenden Jahr (34 v. Chr.), sobald an einen Feldzug zu denken war, wieder zu seiner Armee zurück und marschierte los gegen einen Feind, den zu verachten er allen Grund hatte: Artavasdes, den König von Armenien. Nicht nur hatte Artavasdes Antonius in Parthien verraten, er hatte mit Sextus Pompeius gemeinsame Sache gemacht, und außerdem war er ein leichtes Ziel. Und tatsächlich war der Konflikt nach wenigen Kämpfen vorüber. Dabei wurde Artavasdes gar nicht durch Gewalt besiegt, sondern durch ein Täuschungsmanöver. Sein Reich fiel Rom zu. Was Siege angehen, war dieser nicht gerade spektakulär, aber es war immerhin ein Sieg, und für Antonius war das im Moment genug. Seine Stimmung besserte sich so sehr, dass sie beinahe ihre alten exorbitanten Höhen erreichte, und er wandte den Kopf seines Pferdes in Richtung Alexandria, wo eine glanzvolle Feier auf ihn wartete.

Es sollte eines der extravagantesten Spektakel werden, die die ptolemäische Hauptstadt je gesehen hatte: eine Siegesfeier, ein Machtbeweis, ein Volksfest – mit einem Festumzug, der viele Tage lang durch die ganze Stadt gehen würde. Bereits am frühen Morgen, als die aufgehende Sonne die Kalksteinsäulen der Kolonnaden erstrahlen ließ und die rosa und grünen Fassaden der Gebäude sich immer deutlicher abzeichneten, wimmelten die Wege entlang der Boulevards von Kanopos mit gespannten Bürgern – alle wussten, dass sie im Begriff waren, ein Schauspiel zu sehen, das römischer war als alles, was man in Alexandria bisher gesehen hatte. Sie wurden nicht enttäuscht.

Westlich vom kanopischen Tor tauchte der erste Teil der Prozession auf, und bald schlurften unzählige armenische Kriegsgefangene in Ketten trostlos über den breiten und luftigen Boulevard. Hier und da fuhren zwischen ihnen sicher auch Festwagen, einige davon beladen mit Beutestücken, andere zeigten vielleicht Modelle der armenischen Städte, aber erst dahinter kam die größte Kriegsbeute überhaupt: König Artavasdes mit seiner Familie, gefesselt mit goldenen Ketten, eine königliche Demütigung. Und dann kam Antonius, auf einem goldenen Streitwagen, „den Kopf mit Efeu bekränzt, den Körper in ein safranfarbenes Gewand aus Gold gehüllt und in seiner Hand ein Thyrsos“108 – die Verkörperung des Dionysos, Schutzgott des gesamten Ostens.

Als er den Boulevard hinunterfuhr, klang nicht nur der Jubel der Alexandriner in seinen Ohren, sondern auch der seiner römischen Truppen, und durch die Blüten, die ihm die Gratulanten zuwarfen und die in der warmen, salzigen Luft tanzten, erblickte Antonius vor sich Königin Kleopatra, „inmitten ihres Volkes“, auf einem goldenen Thron, der auf einem versilberten Podium stand. Ägypten hatte zum Sieg in Armenien seinen Beitrag geleistet; jetzt ehrte Antonius es mit der Beute.

Die Symbolik der gesamten Veranstaltung war klar. Verkleidet als Dionysos, der Gott, den Griechen und Römern den „Befreier“ nannten und mit dem sich ganze Generationen früherer ptolemäischer Könige identifiziert hatten, bediente sich Antonius dieser triumphalen bacchischen Prozession, um seinen Stellenwert in den Köpfen seiner Untertanen und Verbündeten im Osten zu festigen. Gott und Ptolemäer: er war nun beides. Und da der Gründer der Stadt, Alexander, weite Teile des Ostens regiert hatte, den, wie der Mythos besagte, Dionysos einst bereiste, wollte Antonius nun demonstrieren, dass seine Herrschaft ebenso weit reichte. Selbstdarsteller, der er war, wusste Antonius genau, wie viel es ausmachte, wie man auftrat, und da sich am westlichen Horizont die Wolken eines neuen Kriegs aufzutürmen begannen, war es nun um so wichtiger, alle Erinnerungen an die Katastrophe in Parthien zu tilgen und durch eine schamlose Zurschaustellung seiner Herrschaft über den gesamten Osten auszublenden. Die Art, wie er dies tun wollte, musste selbst die Grenzen der theatralischsten Vorstellungskraft sprengen.

Das große Gymnasion von Alexandria mit seinen 200 Meter langen Kolonnaden wurde in ein gewaltiges Auditorium verwandelt. Es gab genügend Platz für viele tausend Zuschauer, Bürger, Soldaten, Höflinge, Diplomaten, und inmitten all dieser, für alle gut zu sehen, erhob sich eine hohe, mit Silber ummantelte Plattform. Darauf standen sechs Throne: zwei waren groß und aus Gold, die anderen zu Füßen dieser waren kleiner und weniger aufwendig gestaltet. Die Spannung stieg spürbar, und mit geradezu verwirrendem und dreistem Prunk betraten nun sechs Personen die Bühne, bei deren Anblick man jedem verziehen hätte, wenn er sie als die „ägyptische Königsfamilie“ bezeichnet hätte.

Wie Antonius gekleidet war, wissen wir nicht. Vielleicht war er wieder als Dionysos kostümiert. An seiner Seite saß Kleopatra, in ihrer Rolle als Isis, mit schwarzem Gewand und Krone. Und um sie herum die Königskinder: der 13 Jahre alte Kaisarion, die sechs Jahre alten Zwillinge Kleopatra Selene und Alexander Helios, Letzterer in vollem medischen Ornat und gekrönt mit einer Tiara und einem hohen Turban, und Ptolemaios Philadelphos, noch nicht zwei Jahre alt, im Prachtkleid eines makedonischen Königs – in Stiefeln, kurzem Mantel und mit einem wollenen Hut auf dem Kopf, darum herum wieder ein Diadem.

Als die anderen Platz genommen hatten, hob Antonius, der Redner, in vertrauter Geste seine rechte Hand und begann zu sprechen. Die schiere Kühnheit dessen, was er sagte, musste einem geradezu die Sprache verschlagen:

Zuerst erklärte er Kleopatra zur Königin von Ägypten, Zypern, Libyen und Koilesyrien, zusammen mit ihrem Mitregenten Kaisarion … Dann erklärte er seine eigenen Söhne von Kleopatra zu „Königen von Königen“. Alexander sprach er Armenien, Medien und Parthien zu (das er erst noch erobern wollte), und Ptolemaios Phönizien, Syrien und Kilikien … Die Jungen umarmten ihre Eltern, und danach erhielt der eine von beiden eine Ehrengarde aus Armeniern, der andere eine Ehrengarde aus Makedoniern.109

In puncto Selbstdarstellung waren diese sogenannten „Gebietsverleihungen von Alexandria“ konkurrenzlos. Als politische Lösung jedoch waren und sind sie immer noch rätselhaft. Nicht nur, dass bestimmte Länder (wie Parthien) noch gar nicht besiegt waren, auch die meisten anderen konnte Antonius nicht so einfach weggeben. Zwar verlieh seine Position als einer der zwei verbliebenen Triumvirn ihm enorme Macht, aber natürlich war damit die Erwartung verbunden, dass er diese Macht zum Wohle Roms nutzen würde, nicht um Roms Territorien an ägyptische Königinnen und Prinzen zu verschenken. Doch Rom war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr Antonius’ wichtigste Bühne. Seine Machtbasis waren die Länder des Ostens, die an die Staatsform der Monarchie gewöhnt waren. Zehn Jahre zu vor hatte Antonius Caesar die Krone angeboten; jetzt setzte er sie sich selbst auf. Wenn, wie es schien, ein Krieg mit Octavian unvermeidlich war, dann würde Antonius, als König und Dionysos, alles, was ihm an Propaganda zur Verfügung stand, nutzen, um Truppen um sich zu scharen.

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GEGENÜBER
Alexander Helios wurde bei den „Gebietsverleihungen“ von Alexandria zum Prinz von Armenien gekrönt; eventuell zeigt ihn diese Bronzestatuette, 34–30 v. Chr. Höhe 64 cm. Metropolitan Museum of Art, New York, Nr. 49. 11.3.

In Rom sorgte die Nachricht von Antonius’ „Gebietsverleihungen“ für ein geteiltes Echo. Seine Freunde waren entsetzt. Zwei von ihnen, die beiden Konsuln jenes Jahres, verhinderten ganz bewusst, dass Antonius’ Depeschen, die das Ereignis beschrieben, nicht in der Öffentlichkeit verlesen würden, so sehr fürchteten sie die Folgen für sich. Octavian aber war begeistert. Das war genau die Art von Verhalten, die Antonius Rom entfremden würde und ihm, Octavian, einen Vorwand zum Krieg liefern. Was war die Prozession durch die Straßen Alexandrias denn anderes als „eine Art Triumphzug“110? Und Triumphzüge, das wusste jeder Römer, mussten in Rom stattfinden, dem Herzen des Imperiums, dem rechtmäßigen Empfänger von Kriegsgefangenen und Beute – nicht im barbarischen Ägypten. Sicherlich war Antonius von Kleopatra verhext worden. Nicht genug, dass er Octavia, seine rechtmäßige Ehefrau, mied; jetzt hatte er auch noch Rom die kalte Schulter gezeigt.

Im privaten Bereich aber schien sich Octavian um Antonius durchaus Sorgen zu machen, nicht nur als Mit-Triumvir, sondern auch als Schwager. Etwa ein Jahrhundert später fand der Biograph Sueton in den kaiserlichen Archiven in Rom einen Brief, der angeblich aus Antonius’ Feder stammte. Der Brief ist ganz offensichtlich eine Reaktion auf eine Bitte seitens Octavians, Antonius möge sein Verhalten mäßigen, doch sein Stil ist erschreckend unverblümt und konfrontativ:

Was hat dich verändert? Dass ich es mit der Königin treibe? Sie ist meine Ehefrau. Habe ich denn jetzt erst damit angefangen oder nicht etwa schon vor neun Jahren? Du treibst es also nur mit [Livia] Drusilla? Viel Glück weiterhin, wenn du zum Zeitpunkt, wo du dies liest, es nicht auch mit Tertulla oder Terentilla oder Rufilla oder Salvia Titisenia oder all diesen zugleich treibst. Kommt es denn darauf an, wohin oder in wen du deine Erektion steckst?111

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„Was macht es für einen Unterschied …? “ Marmorrelief mit einer erotischen Szene in einem Boot, möglicherweise eine böse Karikatur der Beziehung von Antonius und Kleopatra. Wahrscheinlich aus Italien, ca, 1. Jahrhundert v. Chr. bis 1. Jahrhundert n. Chr, Höhe 36 cm, Breite 40 cm. British Museum, 1865, 1118.252.

Viele haben versucht, diesen Brief zu entschuldigen – nicht etwa den Ton, sondern den dritten Satz. Man hat versucht, ihn in eine Frage umzudrehen („Ist sie meine Ehefrau?“), aber so sehr kann man die lateinische Sprache nicht umbiegen. Andere haben die Aussage ernst genommen und versucht, eine tatsächlich bestehende Ehe zwischen Antonius und Kleopatra nachzuweisen, aber es gibt einfach keinerlei Beweise dafür, dass eine solche Zeremonie stattgefunden hat, obwohl sie starke Munition für beider Feinde gewesen wäre. In der Tat ist der Brief eine Kampfansage, und zwar nicht einfach von einem politischen Führer an einen anderen, sondern von Mensch zu Mensch, vom erfahrenen Haudegen Antonius an den von ihm verachteten Octavian. Er ist eine persönliche Beleidigung, ein geworfener Fehdehandschuh, und als solcher alles andere als subtil.

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Kleopatra soll im Zuge einer Wette einen unbezahlbaren Perlenohrring wie diesen aufgelöst haben. Goldener Ohrring mit zwei Perlen und zwei Glasperlen. 3. Jahrhundert n. Chr. Höhe 3,3 cm. British Museum, 1917,0601.2672, vermacht durch Augustus Wollaston Franks.

Zur gleichen Zeit, als Octavian in der römischen Öffentlichkeit neue moralische Standards zu etablieren versuchte, taten Antonius und Kleopatra in Alexandria ihr Bestes, um ihren berüchtigten aufwendigen Lebensstil zur Schau zu stellen, während Antonius den Mitgliedern seiner persönlichen Entourage große wirtschaftliche Zugeständnisse machte. Bis nach Rom gelangten die Geschichten über ihre luxuriösen Bankette. Einmal, so erzählte man sich, habe Kleopatra mit Antonius gewettet, dass sie 10 Millionen Sesterzen für eine einzige Mahlzeit ausgeben könne – sie gewann, als sie eine sündhaft teure Perle von einem ihrer Ohrringe in starkem Essig auflöste und trank.

Als Kleopatra auch noch die andere Perle hineinwerfen wollte, da ergriff sie Lucius Plancus, der als Schiedsrichter fungierte, und verkündete, Antonius habe die Wette verloren.112

Bei einer anderen Wette, so hieß es, musste eben jener Lucius Plancus, Antonius’ Privatsekretär,

beim Gelage auf den Knien tanzen, in der Rolle des [Meeresgotts] Glaukos – nackt und mit blau angemaltem Körper, mit einem Fischschwanz versehen und auf dem Kopf eine Krone aus Schilf.113

Mit der Zeit war Plancus offenbar die schalen Scherze leid. Nach anderthalb Jahren (32 v. Chr.) verließ er Antonius und machte sich auf zurück nach Rom, wo er stolz seine Abscheu vor Kleopatra zur Schau stellte und verleumderische Geschichten über seinen ehemaligen Freund und Kollegen erzählte. Die gefährlichste dieser Geschichten aber betraf Antonius’ Testament, von dem eine Kopie im Haus der Vestalinnen verwahrt wurde. Im Propagandakrieg war dieses Testament Gold wert. Unter Missachtung der Traditionen, von denen er so gern behauptete, sie zu wahren, ließ Octavian es öffnen (wie Antonius ein Jahrzehnt früher, als er Caesars letzten Willen dazu verwendete, in der Öffentlichkeit die Empörung gegenüber den Mördern zu schüren), und er verlas genüsslich Passagen daraus – sowohl vor dem Senat als auch bei einer öffentlichen Versammlung. Konnte man Octavians Worten glauben, dann sah eine der Klauseln des Testaments vor, dass Antonius’ Leichnam in Alexandria begraben werden solle, an der Seite von Kleopatra.

Ohne einen Blick auf das Dokument zu werfen, können wir unmöglich wissen, wie viel Octavian ausschmückte oder dazuerfand und was Antonius selbst geschrieben hatte; aber sicherlich er füllte die Lesung ihren Zweck: die öffentliche Empörung anzufachen. In Rom grassierten ohnehin schon die übelsten Gerüchte über das, was im Osten vor sich ging. Antonius’ unrömisches Verhalten war, so flüsterten konservative Italier einander zu, ein deutliches Zeichen dafür, dass Kleopatra ihn verhext hatte. Ermutigt durch Octavian und seine Agenten, murmelte man unter tatsächlichem oder gekünsteltem Entsetzen, wie Antonius

manchmal einen orientalischen Dolch an seinem Gürtel trug und in einer Art und Weise gekleidet war, die nicht den Gepflogenheiten seiner Heimat entsprach; man sah ihn sogar in der Öffentlichkeit auf einem vergoldeten Sofa liegen oder auf einem ebensolchen Sessel sitzen. Er posierte mit Kleopatra für Gemälde und Statuen, er gab sich dabei als Osiris oder Dionysos, sie als Selene oder Isis. Vor allem dies war es, das ihm den Anschein gab, er sei von ihr verhext.114

Aber noch schlimmer war die Behauptung, dass

sie nicht nur ihn verzauberte und betörte, sondern auch alle, die Einfluss auf ihn hatten, so dass sie sich bald Hoffnung machte, über alle Römer zu herrschen; und wenn sie etwas schwor, dann beinhaltete ihre stärksten Eidesformel, dass sie einst vom Kapitol aus Recht sprechen werde.115

Der Krieg der Worte eskalierte, und Antonius begann, konkrete Vorbereitungen für eine militärische Auseinandersetzung mit Octavian zu treffen. Im Jahr nach den theatralischen „Gebietsverleihungen“ verlegte er seine Legionen vom Ufer des Euphrat (wo sie darauf warteten, Parthien anzugreifen) zurück an die ionische Küste Kleinasiens (33 v. Chr.). Im gegenwärtigen Klima war nicht daran zu denken, weit weg im Osten gegen einen äußeren Feind zu kämpfen, wenn sich der eigentliche Gegner innerhalb der Grenzen des Imperiums befand.

Während Octavians Manöver im römischen Senat immer hinterlistiger wurden, aber umso erfolgreicher, setzte Antonius mit Kleopatra an seiner Seite und 200 Kriegsschiffen hinter sich von Alexandria an die Westküste Kleinasiens über, zur reichen und mondänen Hafenstadt Ephesos. Hier, in der großen Bucht, wo marmorne Städte und reiche Villen in der Sonne glänzten, versammelte Antonius seine Streitmacht. Insgesamt 800 Schiffe wurden auf Hellingen gezogen, um überholt und für den nahenden Krieg flottgemacht zu werden, während man 16 Legionen, wohl etwa 80.000 Soldaten, für den Kampf drillte. Zur gleichen Zeit stiefelten Quartiermeister durch Lagerhallen, in denen sich immer höher die Versorgungsgüter stapelten, und zwischen dem Ufer des Kaister und den Hängen des Koressos schlugen Händler und Marketender ihre Zelte auf.

Kein Zweifel, es war an der Zeit, den prächtigen Tempel der Artemis zu besuchen, dessen schimmernde Wände, 20 Meter hoch, mit Jahrhunderte alten Kunstwerken verziert waren, dessen Säulen mit Gold und Silber verkleidet waren, ihre Basen mit exquisiten Reliefs geschmückt, die Szenen aus der griechischen Mythologie zeigten, und in dessen Inneren sich das geheimnisvolle Kultbild der Artemis von Ephesos befand, die Brust mit zahlreichen Stierhoden geschmückt, das bunte Gewand mit den zwölf Tierkreiszeichen bestickt, die Arme ausgestreckt, wie um Anbetende zu umarmen. Als Kleopatra die Tempelstufen hinaufschritt, lief es ihr vielleicht eine Sekunde lang kalt den Rücken herunter, wenn sie an den Geist ihrer Schwester Arsinoë dachte, die eben dort acht Jahre zuvor auf ihren Befehl hin getötet worden war.

Aber bald musste sie sich wieder um handfestere Dinge kümmern. Einige von Antonius’ Generälen waren bekümmert ob Kleopatras Präsenz in Ephesos. Teilweise lag dies sicherlich an der chauvinistischen Haltung der Römer, dass der Krieg eine Domäne der Männer war, aber es mag ebenso an ihrer dominanten Persönlichkeit gelegen haben. Obgleich sie durchaus diplomatisches Geschick besaß, wusste man, dass Kleopatra geradezu brutal direkt sein konnte im Umgang mit Männern, die die herablassende Art von Monarchen nicht gewöhnt waren und glaubten, dass sie eine bessere Behandlung verdienten.

Es sagt viel über die Dynamik ihrer Beziehung aus, dass Kleopatra sich weigerte, nach Ägypten zurückzukehren, als Antonius sie auf Bitten seiner Berater hin dazu drängte. In der Öffentlichkeit erklärte sie, „dass es nicht fair sei, eine Frau vom Kriegsschauplatz zu vertreiben, die so viele Ressourcen zum Krieg beigetragen hatte, und dass es unklug von Antonius sei, die Moral der Ägypter zu untergraben, die einen so großen Teil der Seestreitkräfte bildeten“.116 Insgeheim jedoch mag Kleopatra nach dem Debakel von Antonius’ Parther-Feldzug und den seelischen Qualen, die er infolgedessen erlitten hatte, bezweifelt haben, dass Antonius fähig war, den Oberbefehl über diese Streitkräfte auszuüben. Außerdem hatte sie eine ganze Menge aus erster Hand vom großen Caesar gelernt, nicht zuletzt, dass ein Anführer dort sein musste, wo es zur Sache ging. Doch das erzählte sie Antonius nicht. Vielmehr überredete sie einen Vertrauten, ihn daran zu erinnern, dass sie „dank ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit Antonius gelernt habe, sich um wichtige Angelegenheiten selbst zu kümmern“.

Ebenso wichtig wie Befehlsgewalt, Ausrüstung und Soldaten war, wie man Antonius in den Städten des Ostens wahrnahm. Im folgenden Frühjahr (32 v. Chr.) kündigte er ein rauschendes dionysisches Fest auf der dicht mit Wein bewachsenen Insel Samos an, die ein paar Kilometer nördlich von Ephesos liegt. Dies war seine vielleicht bislang konzertierteste Anstrengung, sich selbst als Verkörperung des Dionysos darzustellen, als göttlicher Anführer, um den sich seine Truppen scharen konnten. Vielleicht glaubte er auch, dass er so die Gunst des Gottes selbst gewinnen konnte. Dank Octavians gezielter Desinformationskampagne tun jedoch selbst beinahe zeitgenössische Autoren dieses Fest als reine Spielerei ab. Immerhin enthält wenigstens Plutarchs Bericht einen kleinen Hinweis darauf, was Antonius in Wirklichkeit bezweckte:

Denn genauso wie er allen Königen, Fürsten, Tetrarchen, Völkern und Städten zwischen Syrien, dem Asowschen Meer, Armenien und Illyrien befohlen hatte, Ausrüstung für den Krieg herbeizubringen oder zu schicken, so hatte er allen Schauspielern befohlen, nach Samos zu kommen, um dort aufzutreten. Während also praktisch die ganze Welt um sie herum von Stöhnen und Wehklagen erfüllt war, hallte diese Insel viele Tage lang von der Musik von Flöten und Saiteninstrumenten wider; die Theater dort waren voll, Chöre wetteiferten miteinander. Jede Stadt schickte auch einen Ochsen, der der Allgemeinheit geopfert wurde; Könige versuchten einander mit den schönsten Präsenten zu übertrumpfen. Und bald fragte man sich überall, wie die Eroberer wohl erst ihren Sieg feiern würden, wenn sie schon die Vorbereitungen für den Krieg auf diese Weise begingen. Als das Fest vorüber war, übergab Antonius den Schauspielern die Stadt Priene zur Heimstatt, er selbst segelte nach Athen.

Nur sechs Jahre zuvor hatte Antonius mit seiner neuen Ehefrau Octavia in Athen überwintert, und er war geradezu in sie vernarrt gewesen (siehe S. 102). Nun schickte er von hier aus Agenten nach Rom, mit dem Auftrag, sie aus seinem Haus zu werfen. So brutal und gefühllos dieser Befehl auch scheinen mochte, in erster Linie sollte er Octavian treffen.

Nicht, dass Octavian noch einen zusätzlichen Grund zum Krieg gebraucht hätte. Er hatte bereits eine Kriegssteuer in ganz Italien eingeführt. Die Höhe dieser Steuer (12,5 % auf das Eigentum von Freigelassenen und erstaunliche 25 % auf das Eigentum von Bürgern) provozierte Unruhen, aber da sich jetzt Antonius’ Heer gerade einmal 350 Meilen von der italischen Küste sammelte, musste Octavian reagieren, und zwar so schnell er konnte. Auch wenn seit Jahren ein Krieg der Worte tobte, hatte niemand in Rom geglaubt, dass sich die Feindseligkeiten zwischen Antonius und Octavian so schnell zuspitzen würden – zumal Antonius bis vor kurzem mehr mit Alexandria beschäftigt zu sein schien, höchstens aber damit, Armenien und Parthien anzugreifen.

Hätte Antonius jetzt schnell zugeschlagen und seine Armee nach Brundisium geschickt, dann wäre Italien, von inneren Krisen gebeutelt, vollkommen unvorbereitet in den Krieg hineingeschlittert. Aber das tat er nicht. Er wollte keinen Bürgerkrieg in seiner Heimat entfachen und blieb daher beinahe das ganze Jahr lang in Athen, mit Kleopatra (32 v. Chr.). Hier gab es viel, das ihm gefiel, nicht zuletzt das antike Dionysos-Heiligtum im Schatten der strahlen den Akropolis, mit seinem Tempel und seinem Theater – eines der ältesten und sicherlich eindrucksvollsten in der ganzen römischen Welt. Hier hatte das mächtige Athen vier Jahrhunderte zuvor (5. Jahrhundert v. Chr.) seine Kriegsbeute vorgeführt. Und hier waren die großen Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides aufgeführt worden, Meisterwerke, die die römische Literatur stark beeinflussten.

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Am Hang oberhalb des dem Dionysos geweihten Theaters in Athen befand sich einst ein dionysischer Pavillon, in dem Antonius und seine Freunde ab dem frühen Morgen feierten.

Doch nun verwendeten Antonius’ Feinde sogar die Handlungsschemata eben dieser griechischen Tragödien, um ihn vorzuführen. Einige dieser Dramen zeigten Herkules, wie er von Omphale versklavt wurde, einer östlichen Königin, und so von ihr verhext wurde, dass er ihr sein Löwenfell und seine Keule übergab, während er ihr, in Frauenkleider gehüllt, half, Wolle zu spinnen. Für Octavians Anhänger war dies eine geradezu köstliche Parallele, zumal Antonius von sich behauptete, von Herkules abzustammen. In Italien begannen eifrige pro-octavianische Maler, diesen Mythos auf Vasen darzustellen.

Es war aber auch wirklich ein dankbares Motiv: Kleopatra, die exotische Ausländerin, hatte Antonius, den echten Römer, verhext. Die Monate vergingen, und es trafen immer mehr Berichte aus Athen ein, die Octavian in die Hände spielten und bereits vorhandene fremden- und frauenfeindliche Vorurteile der älteren Römer bedienten. Sie erzählten davon, wie Antonius Kleopatra

die Bibliotheken von Pergamon zum Geschenk gemacht hatte, in denen es 200.000 Bücher gab; bei einem Bankett mit vielen Gästen stand er auf und rieb ihr, gemäß irgendwelcher Vereinbarungen, die sie getroffen hatten, die Füße … Mehrmals erhielt er, während er auf dem Richterstuhl saß, um über Tetrarchen und Könige Recht zu sprechen, Liebesbriefe von ihr auf Tafeln aus Onyx oder Kristall, und las diese; und einmal, als Furnius redete (ein Mann von großem Ansehen und der größte Redner Roms), wurde Kleopatra in einer Sänfte über die Agora (Marktplatz) getragen, und als Antonius sie sah, sprang er von seinem Richterstuhl auf, verließ das Gericht und begleitete sie, an ihre Sänfte geklammert.117

Selbst Plutarch, unsere Quelle für diese Behauptungen, bezweifelt ihren Wahrheitsgehalt. Tatsächlich scheinen ihre Details allzu bewusst gewählt, um den Zorn der Römer zu er regen – von der Aufgabe der Bibliothek von Pergamon (einer der ersten römischen Siedlungen in Übersee) über die Liebesbriefe auf Tafeln aus Onyx oder Kristall (echte Römer mieden solche östliche luxuria) bis hin zu Antonius’ Beleidigung des profilierten Römers Furnius, um sich an Kleopatras Sänfte zu hängen wie ein verliebter Schuljunge.

Hier ging es so ganz anders zu als bei Octavian zu Hause – so wusste es zumindest seine Propaganda zu verbreiten. Während Antonius, bereits mittleren Alters, in Kleopatra vernarrt war, setzte sich der junge Octavian als Vorreiter traditioneller Moral in Szene. Während Antonius hart erkämpfte Ländereien Roms einfach verschenkte, baute Octavian Rom wieder auf und machte aus dem einst so chaotischen Moloch eine wahrhaft kaiserliche Hauptstadt. Während Antonius seine Bestattung im fernen Alexandria plante, hatte Octavian bereits den Bau eines Mausoleums für sich angerordnet, am Tiber nahe dem Herzen seiner Geburtsstadt Rom. Der Kontrast war so klar, dass jedermann ihn sehen musste. Octavian versuchte, Rom zu stärken, Antonius, es zu zerstören.

Dennoch bedeutet die Tatsache, dass viele unserer Quellen für diese Jahre ganz deutlich von der Antonius und Kleopatra feindlich gesonnenen Propaganda beeinflusst sind, nicht, dass wir alles, was sie sagen, als Lüge abtun können. Sicherlich hatte auch Antonius Menschen um sich, die zu diesem Zeitpunkt alles andere als glücklich mit dem Verlauf der Ereignisse waren. Im Laufe der Monate fühlten sich immer mehr seiner einst so treuen Unterstützer dermaßen entfremdet, dass sie ihre Koffer packten, Athen verließen und zu Octavian über liefen. Fast jeder von ihnen hatte seine eigene Geschichte zu erzählen – von Plancus, der sich durch Kleopatras Verhalten beleidigt fühlte und Octavian dazu riet, Antonius’ Testament zu lesen (siehe oben), bis hin zu Dellius, einst einer von Antonius’ zuverlässigsten Leutnants, der Kleopatra beschuldigte, sie habe versucht, ihn zu vergiften.

Selbst Antonius’ Freunde in Rom sahen sich kurz abgefertigt, wenn sie versuchten, ihn von den politischen Manövern Octavians zu unterrichten:

Sie schickten einen der Ihren, Geminius, zu Antonius, um ihn zu bitten, nicht zuzulassen, dass er aus dem Amt gewählt und zum Staatsfeind Roms erklärt würde. Aber als Geminius nach Griechenland kam, verdächtigte Kleopatra ihn, im Interesse Octavias zu handeln; also verspottete sie ihn beim Essen mit Witzen und beleidigte ihn dadurch, dass er einen ganz unehrenhaften Platz an der Tafel erhielt; aber all das ertrug er und wartete auf eine Gelegenheit, mit Antonius zu sprechen. Bei einem Abendessen wurde er gebeten, die Gründe für sein Kommen darzulegen, und er antwortete, dass, obgleich der Rest dessen, was er zu sagen habe, einen klaren Kopf erfordere, er doch eines sicher wisse, ob er nun betrunken sei oder nicht: dass alles gut würde, wenn Kleopatra zurück nach Ägypten geschickt werde. Da wurde Antonius zornig, und Kleopatra sagte: „Du hast gut daran getan, Geminius, die Wahrheit zu sagen, ohne dass man dich foltern musste. “ Ein paar Tage später entkam Geminius und floh nach Rom.118

Das nächste Mal, als Boten aus Italien eintrafen, waren ihre Nachrichten düsterer. Wie Antonius war auch Octavian nicht dazu bereit, einen Bürgerkrieg gegen einen anderen römischen Feldherrn zu provozieren. Doch inzwischen hatten ihn der Verlauf der Ereignisse und seine eigene Propaganda mit einer Alternative ausgestattet, die um einiges akzeptabler war.

Als junger Mann hatte Octavian viele Jahre zuvor den Ablauf der pseudo-trojanischen Spiele überwacht, während Caesar seine vier Triumphzüge abhielt, die das Ende des Kriegs mit Pompeius markierten (46 v. Chr.). Jetzt, als Anführer des westlichen Reichs, im Spätsommer 32 v. Chr., ließ Octavian ein weiteres antikes Ritual wiederauferstehen (vielleicht erfand er es auch), aber diesmal mit weitaus bedrohlicheren Absichten. Im vollen militärischen Ornat ging er mit seinem Gefolge hinaus aufs Marsfeld, zum Tempel der strengen Kriegsgöttin Bellona. Vor den Pforten des Tempels schnitt Octavian in seiner Rolle als oberster Priester einem Opfertier die Kehle durch, und in dessen warmes, dunkles Blut tauchte er die Spitze eines Speers. Dann nahm er sorgfältig Maß, und schließlich schleuderte er die Waffe über eine niedrige Säule, die zwar nicht besonders groß war, aber dafür umso bedeutsamer. Denn sie markierte die Grenze eines speziellen Bereichs, der auf dem Boden eingezeichnet war und den religiösen Zeremonien gemäß ausländischen Grund und Boden symbolisierte. An jenem Tag war dies der Grund und Boden Ägyptens. Als die blutige Lanze tief in der Erde stecken blieb und ein dunkler Schatten auf das Marsfeld fiel, da wussten alle, die dabei waren, was es bedeutete: Rom befand sich im Krieg. Aber nicht gegen Antonius, sondern gegen Kleopatra.

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Marcus Agrippa, Octavians brillanter Flottenkommandant, verschleiert sein Haupt zum Opfer. Porträtstatue aus Marmor, ca. 25–10 v. Chr. Gefunden auf Capri. Höhe 43 cm. British Museum, 1873,0820.730,