Skrupellosigkeit und Optimismus: genau wie viele ihrer Vorfahren besaß Kleopatra diese beiden Eigenschaften im Übermaß. Nun klammerte sie sich an die Hoffnung, die Situation zumindest soweit retten zu können, dass sie sich eine neue Verhandlungsbasis aufbaute (selbst wenn sich die Niederlage beim besten Willen nicht mehr in einen Sieg ummünzen ließ); und dazu beseitigte sie eiskalt und gnadenlos jeden, der sich ihr entgegenstellen konnte oder den sie als Hindernis wahrnahm. Oder dessen Besitz Kleopatra sich einverleiben konnte. In Alexandria und in den ptolemäischen Provinzen färbten sich die Klingen der Attentäter dunkel mit dem Blut der Ermordeten. Bei Dio heißt es dazu:
Sobald sie sicher an Land war, ließ sie viele der wichtigsten Männer töten, da diese stets mit ihr unzufrieden gewesen waren und sich nun über ihr Unglück freuten; und sie fuhr fort, sich großen Reichtum aus deren Vermögen zu verschaffen und aus verschiedenen anderen Quellen, weltlichen wie sakralen, sie verschonte nicht einmal die heiligsten Stätten. Sie rüstete außerdem ihre Streitkräfte aus und suchte neue Verbündete. Sie ließ den armenischen König Artavasdes hinrichten und schickte seinen Kopf den Medern, die sie so dazu zu bringen hoffte, ihnen zu helfen.130
So schreiben die antiken Quellen ständig – als ob Antonius und Kleopatra ein und dasselbe Ziel verfolgt hätten. Im Nachhinein mag es dem unbeteiligten Betrachter auch tatsächlich so vorgekommen sein, aber in den hektischen Wochen und Monaten nach Actium war zumindest für die engsten Vertrauten Kleopatras die Lage nicht so eindeutig.
Um es ganz deutlich zu sagen: Antonius wurde immer mehr zu einem Hindernis für sie. Seine Reise nach Libyen, um sich der Unterstützung der dortigen Garnison zu versichern, war gescheitert. Der Kommandant dort hatte sich
geweigert, ihn zu empfangen, und hatte sogar Antonius’ Stellvertreter, die er als Vorhut geschickt hatte, töten lassen, ebenso wie einige seiner eigenen Truppen, die gezeigt hatten, dass sie dies missbilligten.
Antonius verrannte sich immer mehr in seine (inzwischen zur Gewohnheit gewordene) Depression und versuchte (nicht zum ersten Mal), sich umzubringen. So handelte kein General, der seine Königin beschützen wollte – es sei denn, er glaubte, dass Kleopatra eine bessere Verhandlungsposition mit Octavian finden würde, wenn er tot war. Was auch immer seine Motivation war, Antonius wurde von seinen Freunden am Selbstmord gehindert, und diese Freunde nahmen ihn mit zurück nach Alexandria.
Doch nicht einmal Alexandria konnte seine Laune heben. Hier, in der Stadt, wo er so oft und gern die extravagantesten und rauschendsten Feste gefeiert hatte, wo er ein paar Jahre zuvor nicht nur im Triumphzug über die Boulevards geritten war, sondern der ptolemäischen Königsfamilie den ganzen Osten des Römischen Reichs geschenkt hatte, hier zog sich Antonius nun aus jeglicher Gesellschaft zurück und lebte fortan wie ein Einsiedler.
Er baute sich ein Haus auf der Insel Pharos, indem er eine Mole im Wasser errichten ließ. Hier lebte er zurückgezogen von den Menschen und erklärte, er sei zufrieden und imitiere das Leben des [Misanthropen des 5. Jahrhunderts v. Chr.] Timon … und [wie dieser] hasste er die ganze Menschheit und misstraute ihr.131
Nach Strabon, der Antonius’ Haus, das sogenannte Timoneion, sah, war es in Wirklichkeit „eine königliche Villa“, weit draußen auf einer Mole an der Landzunge gebaut, auf der sich bereits der Tempel des Poseidon erhob. Wie sehr Antonius auch allein sein wollte, er konnte dennoch den Insignien der Monarchie nicht ganz widerstehen. Doch wenn Kleopatra aus den hohen Fenstern ihres eigenen Königspalasts über den großen Hafen schaute, zuerst in Richtung von Antonius’ Timoneion und dann weiter auf das imposante Kaisareion mit seinen massiven Portikus und stolzen Fassaden, das Denkmal für ihren Mentor Caesar, muss sie die beiden Männer unweigerlich miteinander verglichen haben.
Was hätte Caesar angesichts dieser Umstände wohl getan? Sicherlich hätte er sich nicht zurückgezogen wie Antonius und sich einer lähmenden Depression hingegeben. Zumindest nicht, bevor die letzte Schlacht geschlagen war. Nein, Caesar hätte alles versucht, um seine Optionen offen zu halten, jede sich ihm bietende Möglichkeit energisch verfolgt, mit seinem Charisma um Verbündete geworben und wäre Bündnisse eingegangen; er hätte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um sicherzustellen, dass er sich, wenn es zum Konflikt kam, in der bestmöglichen Position befand, um die Situation zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen. Kleopatra war klar, dass ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Familie nun in ihren Händen lag, und sie machte sich ans Werk.
Ihre Strategie bestand aus zwei Phasen. Ein Kompromiss mit Octavian war das ideale Ergebnis, aber wenn dies fehlschlug, musste sie noch die Möglichkeit zur Flucht haben. Dio berichtet über die zunehmend schwierigen Verhandlungen, die der Hof in Alexandria mit Octavian führte, und die Intrigen, die diese Verhandlungen (auf beiden Seiten) begleiteten:
In der Hoffnung, Octavian zu täuschen oder sogar durch Verrat zu töten, sandten sie Boten aus, die ihm Friedensangebote und seinen Anhängern Bestechungsgelder überbrachten. Inzwischen schickte Kleopatra ihm (ohne dass Antonius dies wusste) ein goldenes Zepter, eine goldene Krone und den königlichen Thron, als Zeichen dafür, dass sie ihm das Reich selbst anbot, denn sie hoffte, dass Octavian, selbst wenn er Antonius hasste, doch zumindest mit ihr Mitleid haben würde. Octavian nahm ihre Geschenke als gutes Omen an … Darauf schickte er schreckliche Botschaften, darunter die Ankündigung, dass er, wenn sie ihre Streitkräfte aufgäbe und auf ihre Souveränität verzichtete, sich erst überlegen werde, wie mit ihr zu verfahren sei; aber zugleich ließ er ihr die private Nachricht zukommen, dass er sie begnadigen und ihr Reich in Ruhe lassen werde, wenn sie Antonius töte.132
Weitere Verhandlungen folgten, Abgesandte von Kleopatra kamen zu Octavian – und bald auch welche von Antonius. Die Botschaften von Antonius waren langatmig und rührselig, beriefen sich auf alte Familienbande, erinnerten Octavian an „sexuelle Begegnungen und jugendliche Eskapaden“, die sie miteinander geteilt hatten, und sie versicherten, er werde sich umbringen, wenn dafür Kleopatra verschont bliebe. Octavian machte sich nicht die Mühe, zu antworten. Auch nicht auf eine weitere Bitte, dass es „Antonius erlaubt sei, den Rest seines Lebens als normaler Bürger in Athen zu leben, wenn er nicht in Ägypten bleiben dürfe“. Dabei erreichten all diese Botschaften nur eines: Sie zeigten ganz deutlich, dass Antonius am Ende war. Dass Octavian schwieg, sollte diesen Zustand nur noch fördern, und als Antonius in seiner Verzweiflung seinen ältesten Sohn Antyllus zu Octavian schickte, mit ganzen Wagenladungen Gold, sandte dieser Antyllus lediglich mit leeren Händen zu Antonius zurück. Das Gold behielt er natürlich.
Kleopatra VII. trägt eine dreifache Uräuskrone mit drei Kobras mit Sonnenscheiben auf dem Kopf. Hellenistischer Intaglio aus blauem Glas, hergestellt in Ägypten, 51–30 v. Chr. Höhe 1,3 cm. British Museum, 1923,0401.676.
Mit Kleopatra aber hielt sich Octavian alle Möglichkeiten und Kommunikationskanäle offen. Mehr als einmal er übermittelte er ihr Botschaften mit einer „Kombination aus Drohungen und Versprechungen“. Drohungen hatte Kleopatra erwartet; die Versprechungen jedoch müssen ihr äußerst verlockend er schienen haben, boten sie ihr doch einen Ausweg aus alledem. Angesichts der Schwierigkeiten des Actium-Feldzugs und seiner Folgen konnten ihr auch die Bedingungen, die Octavian ihr unterbreitete, nicht völlig unangemessen vorkommen: Wenn sie Antonius töten ließ oder ins Exil schickte, werde sie fair behandelt werden.
Zwillingsschlangen auf goldenen Spiralarmbändern. 1. Jahrhundert v. Chr. bis 1. Jahrhundert n. Chr. Durchmesser 6,6 cm. British Museum, 1917,0601.2780–2781, vermacht von Augustus Wollaston Franks.
Irgendwann mitten in diesem verlogenen diplomatischen Krieg schickte Octavian einen Gesandten zu Kleopatra, einen Freigelassenen, der für sein Verhandlungsgeschick ausgewählt wurde und der einen Namen besaß, der Octavian ein eisiges Lächeln abgerungen haben muss: Er hieß Thyrsos, und der Thyrsos war natürlich das Emblem des Dionysos (siehe S. 87), jenes Gottes, von dem Antonius sich beschützt glaubte. Der wahre Grund für Thyrsos’ Mission ist leider nicht überliefert. Zweifellos sollte er Informationen sammeln, aber er bewährte sich auch darin, Antonius’ ohnehin schon vorhandene Selbstzweifel zu verstärken:
Thyrsos war nicht dumm, und er war jemand, der auf überzeugende Weise Nachrichten von einem jungen Feldherr an eine Frau übermitteln konnte, die hochmütig war und erstaunlich stolz hinsichtlich ihrer Schönheit. Dieser Mann führte längere Gespräche mit Kleopatra als alle anderen und stand bei ihr augenscheinlich in hohem Ansehen, so dass Antonius argwöhnisch wurde und ihn ergreifen und prügeln ließ; dann schickte er ihn zu Octavian zurück, mit der schriftlichen Mitteilung, dass Thyrsos ihn durch sein freches und hochmütiges Verhalten gereizt habe, in einer Zeit, da er durch Unglück leicht reizbar sei.133
Wie zufrieden Octavian damit gewesen sein muss.
Doch inwieweit konnte man Octavian trauen? Diese Frage muss auf Kleopatra am meisten gelastet haben. Ohne feste Zusagen blieb ein offener Fluchtweg so wichtig wie eh und je, und in dieser frühen Zeit, wo sie nur abwarten konnte, was Octavian tun würde, begann Kleopatra einen aufwendigen und wagemutigen Plan auszutüfteln, der ihr, wie sie hoffte, einen sicheren Ausweg bieten würde, falls sie doch fliehen musste. Wo heute der Suez-Kanal das Mittelmeer mit dem Roten Meer verbindet, da plante Kleopatra, wie es heißt,
ihre Flotte aus dem Wasser zu heben, die Schiffe über Land zu ziehen und dann im Roten Meer mit viel Geld und einer großen Armee wieder zu Wasser zu lassen, um sich außerhalb Ägyptens niederzulassen und so Krieg und Versklavung zu entkommen.134
Doch bevor sie ein solches Vorhaben in vollem Umfang in die Tat umsetzen konnte, griffen die arabischen Stämme vor Ort ihre Schiffe an und zerstörten sie. Das jedoch beendete weder auf dem Marktplatz von Alexandria noch in Octavians Oberkommando das Gerede darüber, dass Kleopatra immer noch einen Fluchtweg suchte. Wenn nicht nach Indien, dann eben nach Spanien. Oder nach Gallien. Oder irgendwohin sonst, wo sie Truppen sammeln und Stellungbeziehen konnte. Wie immer in einer Krise fängt irgendwann die Gerüchteküche an zu brodeln, werden die Spekulation immer wilder, und jetzt war es nicht anders.
Unter anderem erzählte man sich, dass Kleopatra (ganz gleich, wie viel Hoffnung auf Rettung sie noch hatte) sich bereits auf ihren Tod vorbereitete, indem sie
sich alle möglichen Sorte tödlicher Gifte bringen ließ und diese an zum Tode Verurteilten austestete, um herauszufinden, welche von ihnen die geringsten Schmerzen dabei hätten. Doch als sie entdeckte, dass schnell wirkende Gifte das meiste Leid verursachten, während diejenigen, die weniger Schmerzen brachten, langsamer wirkten, experimentierte sie auch mit giftigen Tieren und sah dabei zu, wie sie zubissen. Sie tat dies tagelang, sie testete fast alle giftigen Tiere und stellte fest, dass nur der Biss der Natter eine schläfrige Trägheit und Erstarrung brachte, ohne Krämpfe oder Stöhnen, sondern sanften Schweiß im Gesicht, während die Wahrnehmung leicht getrübt wurde und die Opfer allen Versuchen widerstanden, sie zu wecken, wie es bei Menschen der Fall ist, die ganz tief schlafen.135
Niemand kümmerte sich darum, dass der Biss der Ägyptischen Kobra (mit der Plutarchs „Natter“ fast sicher identifiziert werden kann), während er anfangs zur Schläfrigkeit führt, auch Erbrechen, Durchfall und Lungenversagen mit sich bringt – für einen Selbstmord zweifellos unangenehme Begleiterscheinungen. Aber um Tatsachen ging es ja auch nicht, sondern darum, eine exotische, potenziell erotische und ganz sicherlich blutrünstige Geschichte zu erzählen. (Hätte Kleopatra echtes Interesse an den Eigenschaften von Giften gehabt, dann hätte sie ohne Frage alles, was sie darüber wissen musste, in den Regalen der großen Bibliothek von Alexandria gefunden oder in den Notizbüchern der Spezialisten des Museion. Gift war den Dynastien, die auf Alexander gefolgt waren, beileibe nicht fremd.)
Zur gleichen Zeit machten noch weitere Gerüchte in der Stadt die Runde. Wochenlang, so erzählte man sich, hatte sich Antonius geweigert, einzusehen, dass sich nach Actium die Loyalität seiner alleingelassenen Legionen verflüchtigt hatte, während die Könige und andere Verbündete, die ihn einst unterstützt und gefeiert hatten, sich von ihm abgewandt hatten und auf Octavian zugegangen waren. Nun aber waren diese Tatsachen endlich zu ihm durchgedrungen. Wenn er bis zu diesem Zeitpunkt Anzeichen einer Depressionen gezeigt hatte, dann versank er jetzt ganz und gar in der Finsternis einer lähmenden Verzweiflung.
Vielleicht war es die Erkenntnis, dass das Spiel aus war, die ihn nach Gemeinschaft verlangen ließ – auf jeden Fall verließ er sein Timoneion und kehrte in den Palast zurück. Und dort gab er (vielleicht zum letzten Mal, wie er gewusst haben muss) den Befehl, eine öffentliche Feier auszurichten: eine gemeinsame Mündigkeitszeremonie für seinen Sohn Antyllus (von Fulvia) und Kaisarion, den Sohn von Caesar und Kleopatra. Wie die Gebietsverleihungen etwas mehr als drei Jahre zuvor (34 v. Chr.) fand die Veranstaltung im Gymnasion statt und beinhaltete „prunkvolle Bankette, Gelage und die großzügige Verteilung von Geschenken. “
Doch jetzt auf einmal besaßen die Festlichkeiten (zumindest für Antonius) etwas von einer beinahe fatalistischen Verzweiflung. In fröhlicheren Tagen hatten er und seine Freunde sich als Gemeinschaft ebenbürtiger Bonvivants zusammengetan (siehe S. 94), jetzt bildeten sie eine neue Gemeinschaft, die Partner im Tod, und die Mitglieder versprachen einander, „dass sie zusammen sterben würden; doch bis dahin wollten sie ihre verbleibenden Tage exquisiten Banketten und dem Genuss feiner Weine widmen“. So wusste es zumindest das Gerücht. Natürlich stellte Kleopatra sicher, dass das Bankett anlässlich Antonius’ 53. Geburtstags großzügig gefeiert wurde (14. Januar 30 v. Chr.). In wahrlich ptolemäischer Tradition nutzte sie die Gelegenheit, um extravagante Freigiebigkeit zu demonstrieren.
Die vielen Spekulation verstärkten lediglich die Spannungen in der Stadt, denn es gab eine Tatsache, von der jeder in jenem düsteren alexandrinischen Winter (31/30 v. Chr.) wusste, dass sie unabwendbar war: Wenn der Frühling, kam, würde Octavian seine Truppen gegen die Stadt führen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Als dann die Tage wieder länger wurden und die Temperaturen stiegen, kann es kaum jemanden überrascht haben, dass die Legionen bereits auf dem Vormarsch waren. Zwei Armeen näherten sich Alexandria, mit stampfenden, genagelten Sandalen, klirrendem Zaumzeug und schwerfälligen Wagenkonvois – aus dem Osten kamen die Soldaten durch Syrien marschiert, mit Octavian an der Spitze, und aus dem Westen durch Libyen, angeführt von Cornelius Gallus. Doch selbst jetzt, da alles so berechenbar schien, gab es noch Überraschungen. Denn als Octavians Soldaten sich Mitte Juli der östlichen ägyptischen Grenzstadt Pelusion näherten, ergab sich die dortige Garnison kampflos. Es hieß, dies sei auf ausdrücklichen Befehl Kleopatras hin geschehen.
Solche Spekulationen aber waren rein theoretischer Natur. Die harte Realität, die die Bürger von Alexandria bald kennenlernen würden, war weitaus ernster und bedrückender. Octavian und seine Armee befanden sich nun vor den Toren der Stadt. Sie richteten ihr riesiges Lager in der Nähe des Hippodroms östlich der Stadtgrenze ein, wo Ptolemaios II. seine inzwischen legendäre Prozession zu Ehren des Dionysos abgehalten hatte. Und eines war klar: Sie würden hier nicht mehr fortgehen.
Octavians Präsenz veranlasste Antonius, zu handeln. Schon zuvor hatte er versucht, den Vormarsch von Gallus’ Armee aus dem Westen zu stoppen. Viele von Gallus’ Soldaten hatten einst in Antonius’ Legionen gedient, und Antonius konnte einfach nicht glauben, dass sie ihm jetzt feindlich gesonnen waren. Sicherlich war er davon ausgegangen, dass sie, sobald sie ihn wiedersähen, zu ihm zurückkämen. Also war er mit einem großen Heer aus Infanterie und Kavallerie in Richtung Westen gezogen, neben sich auf dem Meer Schiffe der alexandrinischen Kriegsflotte. In Paraitonion (heute As Sallum) war er nah ans Lager geritten und hatte seine einstigen Soldaten gegrüßt. Aber er wurde ausgebremst:
Gallus wies seine Trompeter an, dass sie alle zugleich Signal gaben, und so konnte keiner ein Wort verstehen. Danach versuchte Antonius ohne Erfolg, einen Überraschungsangriff zu starten, und auch mit seinen Schiffen unterlag er. Denn Gallus hatte anscheinend durch das Hafenbecken hindurch unter Wasser Ketten anbringen lassen, und dann schien er den Feind ganz ohne Gegenwehr in den Hafen einfahren zu lassen. Als er aber drinnen war, ließ er die Ketten mit Hilfe von Maschinen anziehen, so dass sie die Schiffe auf allen Seiten umfassten; und dann bestürmte er sie vom Land aus, von den Häusern und vom Meer, setzte einige in Brand und versenkte andere.136
Jetzt hatte Antonius kehrtgemacht und war mit seiner Kavallerie die etwa 400 km nach Alexandria zurückgeeilt. Am Hippodrom fand er Octavians Soldaten vor, die gerade ihr Lager aufschlugen. Schnell sattelten Octavians Kavalleristen ihre Pferde und galoppierten ihm entgegen (31. Juli 30 v. Chr.). Beide Seiten prallten aufeinander, und in der nun folgenden Schlacht blitzte bei Antonius wieder etwas von der alten Brillanz auf, die ihn so sehr geprägt hatte, als er unter Caesar gedient hatte: Er schlug Octavians Kavallerie in die Flucht, und die feindlichen Reiter zogen sich hinter ihre Palisaden zurück. In einem eher schmählichen Schachzug ordnete Antonius an, dass man Pfeile in Octavians Lager schoss, an denen Zettel angebracht waren, auf denen er jedem einzelnen Soldaten, der die Seiten wechselte und zu ihm überlief, eine Belohnung von 6000 Sesterzen versprach. Dann drehte er um und ritt im Triumph zurück nach Alexandria.
Als er stolz neben Kleopatra einherschritt, seine Tunika mit Schweiß und Blut befleckt, muss sich die Königin daran erinnert haben, wie auch Caesar einmal aus dem Kampf zu ihr zurückgekehrt war, als er die Flotte im großen Hafen in Brand gesteckt und einen entscheidenden Sieg errungen hatte (siehe S. 46). Und doch wusste sie, dass die Dinge jetzt ganz anders lagen. Genau wie Antonius’ Soldaten. Plutarch nennt in diesem Zusammenhang ein beunruhigendes Detail:
[Antonius] ging in den Palast, in voller Rüstung, küsste Kleopatra und stellte ihr einen seiner Soldaten vor, der mit äußerstem Mut gekämpft hatte. Kleopatra gab diesem als Lohn für seine Tapferkeit einen goldenen Brustpanzer und Helm. Der Mann nahm die Geschenke selbstverständlich an – und noch in derselben Nacht desertierte er zu Octavian.137
Von seinem Erfolg befeuert, schickte Antonius Octavian eine Nachricht mit einer Herausforderung zum Zweikampf, so wie er es bereits vor Actium getan hatte. Sie sollten bis zum Tod kämpfen und so die Schlacht entscheiden – als wären sie homerische Helden (siehe S. 140). Natürlich lehnte Octavian auch diesmal ab (wie zu erwarten war). Doch Antonius, beseelt von seinem Sieg an diesem Nachmittag, war wild entschlossen, auszunutzen, was er als seinen Vorteil wahrnahm. Sollte doch am nächsten Tag die Schlacht kommen: Er würde all seine Kraft gegen Octavian aufwenden, zugleich zu Land und zu Wasser angreifen und so zum letzten Mal alles auf eine Karte setzen. Entweder würde er sieg en oder zugrundegehen – aber ehrenvoll wäre es, so oder so.
Kleopatras Haltung zu alledem ist nicht überliefert. Sie hatte inzwischen eigene Pläne. Falls Antonius, was sicher einem Wunder gleichkäme, gewinnen sollte, würde sie sich natürlich freuen. Wenn die Ereignisse jedoch einen anderen Verlauf nahmen, so könnten sie immerhin noch die Arrangements retten, die sie innerhalb des Palastes und mit Octavian getroffen hatte. Antonius war ganz offenbar in keiner stabilen seelischen Verfassung, und ein merkwürdiges Ereignis später in jener Nacht verstärkte dieses eine Instabilität noch (ganz gleich, ob es nur ein gebildet war oder real, vielleicht aber auch inszeniert von seinen Feinden, um ihn noch weiter zu verunsichern).
Man sagt, in jener Nacht, gegen Mitternacht, als die Stadt in Angst und Erwartung dessen, was die Zukunft bringen würde, ganz still dalag, hätte man auf einmal eine harmonische Melodie auf vielen verschiedenen Musikinstrumenten gehört und Jubelrufe einer großen Menschenmenge, dazu Freudenschreie wie beim bacchischen Gelage und Satyrsprünge, als ob eine dionysische Prozession mit großem Lärm auszöge. Sie schien sich mitten durch die Stadt zu bewegen und auf das äußere Tor zu, vor dem der Feind lagerte, und hier erreichte der Tumult seinen Höhepunkt und erstarb sogleich. Wer die Zeichen zu deuten versuchte, kam zu dem Schluss, dass [Dionysos,] der Gott, dem Antonius am meisten anhing und mit dem er sich gleichsetzte, ihn jetzt im Stich ließ.
Und Dionysos war nicht der einzige, wie Antonius bald feststellen musste.
Bei Sonnenaufgang wurden die Truppen von hektischer Aktivität erfasst (1. August 30 v. Chr.). Die Flotte und die Kommandanten von Kavallerie und Infanterie hatten bereits aus dem Palast ihre Befehle erhalten. Es sollte ein koordinierter Angriff mit Land- und Seestreitkräften gegen Octavian werden; ein Angriff, der alles aufbot, was Antonius zu bieten hatte. Als seine Legionäre und Hilfstruppen auf den niedrigen Hügeln östlich von Alexandria postiert waren, beobachtete Antonius, wie die ägyptische Flotte, die Schiffe, die 11 Monate zuvor bei Actium entkommen waren, und viele weitere, die im Laufe des Winters gebaut worden waren, ihre Trossen vom Kai einholten und begannen, mit regelmäßigem Ruderschlag quer durch den Hafen zu fahren und auf das offene Meer zu.
In diesen wohlbekannten Gewässern sollte eine epische Seeschlacht stattfinden, deren Sieg Antonius für seine Niederlage bei Actium entschädigen würde. Hinter der Hafeneinfahrt wartete Octavians Flotte bereits. Beide Schlachtlinien nahmen Aufstellung, und bald lagen die Schiffe einander gegenüber, ohne sich zu rühren. Dann ertönte ein Signal, Ruder zerwühlten die Meeresoberfläche, und Antonius’ Flotte setzte sich in Bewegung, immer schneller, geradewegs auf den Feind zu.
Doch da, noch bevor es zum Kampf kommen konnte, geschah das Undenkbare: Auf allen Schiffen von Antonius wurden die Ruder simultan hoch in die Luft gehoben und erstarrten in dieser Haltung einen Moment lang, wie zum Gruß, während die Schiffe aufeinander zuglitten. Jetzt reagierte Octavians Flotte, erhob ebenfalls die Ruder, und ein großer Jubel erhob sich auf allen Schiffen, während Antonius’ Flotte ausscherte und sich in Octavians einreihte. „Die beiden Flotten, nun vereint, änderten den Kurs und hielten direkt auf Alexandria zu. “
Als Antonius noch versuchte, die ganze schreckliche Situation zu verarbeiten, traf eine Meldung von seiner Kavallerie ein: Auch sie war zum Feind übergelaufen. Nur seine Infanterie blieb ihm noch treu, und eine kurze Zeitlang kämpfte sie auch tapfer. Aber die Chancen standen schlecht. Sie wurde in die Flucht geschlagen. Als Antonius mit seinen Soldaten zusammen zu den Toren Alexandrias flüchtete, hörte jemand, wie er „ ausrief, Kleopatra habe ihn an diejenigen Männer verraten, gegen die er für sie Krieg geführt habe“. Und tatsächlich erzählte man sich später, Kleopatra habe die Flotte dazu angestiftet, zu desertieren, als Teil ihres Geheimabkommens mit Octavian.
Als Antonius nach Alexandria zurückgekehrt war, ließ sich Kleopatra nirgends sehen. Sie hatte ihn offenbar im Stich gelassen, genau wie seine Flotte, seine Truppen und wie Dionysos. Tatsächlich war sie zu ihrem Mausoleum gegangen, einem gewaltigen, noch nicht ganz vollendeten Bau im Herzen der Parklandschaft, die zum Palast gehörte. Ein steinernes Gebäude, stark wie eine Zitadelle und mit massiven Türen ausgestattet, die sieben Meter hoch waren und so schwer, dass man sie, sobald sie geschlossen waren, nicht mehr öffnen konnte. Als sie sich jetzt im Inneren des Mausoleums befand, nur mehr ihre engste Entourage um sich, da gab Kleopatra den Befehl, die „mit Bolzen und Riegeln verstärkten Türen“ herabzulassen. Zwar war sie nun in einem Grab eingeschlossen, aber immerhin war sie dort sicher.
Zumal sie sich einer Position wiederfand, die ihr paradoxerweise als eine gute Ausgangslage für Verhandlungen erschien – überall um sie herum funkelte im Zwielicht der Fackeln der königliche Schatz. Und nicht nur der, wie Plutarch berichtet:
Hier sammelte sie die wertvollsten königlichen Schätze – Gold, Silber, Smaragde, Perlen, Ebenholz, Elfenbein und Zimt – und außerdem große Mengen an Feuerholz und Pech.138
Octavian bemerkte sehr wohl, welche Bedrohung von dieser Situation für ihn ausging. Wie so vielen Römern erschienen auch ihm die Reichtümer Ägyptens wie eine Antwort auf seine Gebete. Und, wie Dio erzählt, machte Kleopatra ihm unmissverständlich klar, was sie vorhatte: Sie wollte das Mausoleum „niederbrennen, mit sich selbst darin, wenn Octavian irgendeine ihrer Forderungen ablehnte“. Weit entfernt davon, in wilder Panik ins Mausoleum zu flüchten, wie antike Quellen uns glauben machen wollen, hatte Kleopatra diesen Rückzug in das uneinnehmbare Gebäude, das bis zum Rand mit den Reichtümern Ägyptens vollgepackt war, durchaus geplant; er war Teil einer ausgeklügelten Strategie. An dem Erfolg dieser Strategie hing nicht nur Kleopatras Leben, sondern auch das Leben ihrer Kinder und der künftige Status von Alexandria und Ägypten innerhalb des Römischen Reichs. Der Einsatz war so hoch, dass kein Platz war für Mitleid oder für Gefühlsduselei.
Es gibt einen antiken Mythos, der von den beiden Liebenden Pyramos und Thisbe erzählt. Darin bringt sich Pyramos um, indem er sich in sein Schwert stürzt, weil er glaubt, seine geliebte Thisbe sei von einem Löwen getötet worden. Aber Thisbe ist am Leben, und als sie Pyramos’ noch warmen Leichnam findet, weint sie zuerst ganz bitterlich, und dann nimmt sie das blutige Schwert und bringt auch sich um. Es ist ein tragisch-romantischer Mythos, und natürlich nur ein Mythos. Dennoch begann man schon früh, ihn mit den Ereignissen zu verknüpfen, die auf Kleopatras Rückzug in ihre Grabstätte folgten – und das in einem solchen Maße, dass sich beides kaum noch voneinander trennen lässt. Doch was in den hektischen Stunden passierte, die auf die Niederlage von Antonius’ Infanterie vor Alexandria folgten, ist kein mythischer oder romantischer Stoff, sondern ein politischer.
Wenn Kleopatra eine Zukunft haben wollte, dann ging das nur ohne Antonius. Er war am Ende, von seinen Truppen verlassen, mutlos, ein Hindernis für jedes künftige Arrangement. Auch wenn Octavian nicht von ihr gefordert hätte, dass sie sich seiner entledigte (siehe S. 157), wird Kleopatra gewusst haben, dass Antonius verschwinden musste. Doch sie wusste auch, wie oft er schon früher auf dramatische Weise seinen Selbstmord angekündigt hatte; dazu, dass Antonius ihn wirklich durchführte, musste schon jemand ein wenig nachhelfen, ganz gleich, wie schlecht es ihm ging.
In einem Satz, den er beinahe beiläufig fallen lässt, berichtet Plutarch, dass Kleopatra, bevor sie in ihr Mausoleum ging, „Boten zu Antonius schickte, die ihm meldeten, dass sie tot war“.139 Dio führt dies weiter aus: „Sie hoffte, dass Antonius, wenn er von ihrem Tod hörte, nicht ohne sie weiterleben wollen, sondern sich sofort umbringen würde. “140 Ihre Hoffnungen waren nicht unbegründet. Als er die Nachricht hörte, verzweifelte er komplett und befahl seinem Sklaven (der passenderweise Eros hieß), ihn mit seinem Schwert zu erstechen. Aber anstatt seinem Herrn das Leben zu nehmen, tötete Eros sich selbst. Alle Optionen waren ausgereizt, und so ergriff Antonius sein Schwert und stieß es sich selbst tief in den Bauch. Doch nicht einmal ein sauberer, schneller Selbstmord gelang Antonius, und was dann passierte, hat ihm seinen Platz im Kanon der Romantik eingebracht.
Irgendwie erfuhr Antonius, als er bereits im Sterben lag, dass Kleopatra noch lebte. Dio teilt uns mit, dass jemand, als er sich erstach,
laut aufschrie. Kleopatra hörte es und blickte über die Brüstung des Mausoleums. Durch einen bestimmten Mechanismus können seine Türen, wenn sie einmal geschlossen waren, nicht wieder geöffnet werden, aber der obere Teil nahe dem Dach war noch nicht komplett fertiggestellt. Nun sahen einige Leute sie, als sie herüberschaute, und riefen laut, was selbst Antonius hörte. Und als er erfuhr, dass sie noch lebte, stand er auf, als hätte er noch Kraft, zu leben; doch er hatte viel Blut verloren, war des Lebens müde und bat die Umstehenden, ihn zum Mausoleum zu tragen und dort emporzuziehen, mittels der Seile, die dort zum Heben von Steinblöcken angebracht waren.
Plutarchs Bericht ist an dieser Stelle so lebendig, dass er fast romanhaft wirkt. Er stellt Kleopatra als eine zweite Thisbe dar, die über den Selbstmord ihres Geliebten verzweifelt, und angeblich auf der Basis von Augenzeugenberichten schreibt er, wie
sie ihn selbst zu sich hochzog, mit Hilfe der beiden Frauen, die sie als einzige mit in ihr Mausoleum genommen hatte. Niemals, so sagen diejenigen, die anwesend waren, hatte man etwas Mitleiderregenderes gesehen. Blutverschmiert und mit dem Tode ringend, wurde er emporgezogen, streckte seine Hände nach ihr aus, während er dort in der Luft hing. Die Aufgabe war nicht leicht für die Frauen, und Kleopatra, mit angespanntem Gesicht, ihre Hände das Seil umklammernd, konnte ihn kaum hochziehen, während die unten Stehenden sie mit ermutigenden Worten anriefen und ihren Schmerz teilten.141
Es ist ein so ein lebendiges Bild, dass es förmlich danach schreit, wahr zu sein. Doch in den folgenden Passagen gibt Plutarch private Gespräche wieder (noch dazu in kunstvollen Details), die innerhalb des Mausoleums stattfanden und über die niemand berichtet haben kann. Dio verfährt genauso. Es überrascht nicht, dass ihre Berichte einander widersprechen, denn sie sind im Wesentlichen erfunden. Als Antonius’ Körper unter großen Schmerzen in der Dunkelheit des Mausoleums mit seinen funkelnden Schätzen verschwand, da verschwand mit ihm die Objektivität der Geschichte. Was blieb, war die Romantik, die die Fantasie kommender Generationen beflügelte; das künstliche Bild eines edlen Antonius, der in den Armen einer trauernden Kleopatra starb. Die Wirklichkeit mag durchaus eine ganz andere gewesen sein. Sueton zum Beispiel erzählt, wie Octavian Antonius befahl, Selbstmord zu begehen, und hinterher den Leichnam inspizierte, um sicherzustellen, dass er ihm gehorcht hatte – eine ganz andere Version der Ereignisse, aber eben eine (wie wir uns vergegenwärtigen müssen), die von einem Historiker stammt, der Zugang zu den römischen kaiserlichen Archiven hatte. Wie dem auch sei, am Ende zählt nur eine Tatsache: Antonius war tot. Es war Tag 1 einer neuen Ära.
Aber es hing immer noch einiges in der Schwebe; zumindest für Kleopatra gab es noch einen Haufen Politik zu erledigen. Eingeschlossen in ihrem vergoldeten Mausoleum und mit den Mitteln an der Hand, ein wahres Vermögen zu zerstören, von dem sie wusste, dass Octavian es unbedingt haben wollte, muss sie sich relativ sicher gefühlt haben. Doch sie sollte bald erfahren, dass sie, die einst für ihre Geistesgegenwart und ihren Intellekt gelobt wurde, selbst hier von Octavian überlistet worden war. Bald nach Antonius’ Tod traf Gallus vor dem Mausoleum ein, der General, der Antonius ein paar Tage zuvor in Paraitonion besiegt hatte. Durch die engen Ritzen zwischen der Außentür und der Steinmauer teilte er ihr mit, er sei gekommen, um zu verhandeln.
Sie richtete nun ihre komplette Aufmerksamkeit auf Gallus’ Worte, und im Mausoleum dachte niemand mehr daran, in Erfahrung zu bringen, was draußen sonst noch vor sich ging. Und das war fatal. In aller Stille hatten Octavians Soldaten das ganze Gebiet von Schaulustigen geräumt und eine Leiter herangebracht, die hoch genug war, um die Öffnung zu erreichen, durch die ein paar Stunden zuvor der sterbende Antonius gehievt worden war. Und dann konnte man drei bewaffnete Männer dabei beobachten, wie sie die Leiter heimlich emporkletterten und, als sie oben waren, leise ins Innere des Mausoleums glitten.
Bald kursierten wilde Geschichten darüber, was als Nächstes geschehen war; wie Kleopatra versucht hatte, sich zu erstechen, als die Männer eingedrungen waren; wie einer der Soldaten die Arme um sie geschlungen, ihr den Dolch aus der Hand gerissen und schnell ihre Kleider nach Gift durchsucht hatte. Bedenkt man, wie wenige Zeugen es gab, kann es gut sein, dass die Details hier später ausgeschmückt wurden oder sogar komplett erfunden sind. Doch auch hier waren letztlich nur wieder die Schlagzeilen wichtig: Kleopatra war jetzt eine Gefangene Octavians; er hatte sie aus dem Mausoleum geholt und von bewaffneten Wachen in den Palast führen lassen; das Mausoleum und die Schätze, die es enthielt, waren sicher.
Währenddessen hatte Octavian nun auch selbst Alexandria betreten. Die Stadt war nervös. Vielleicht hatten die Alexandriner bereits gehört, dass Octavian auf die Nachricht von Antonius’ Tod mit Tränen und Worten des Bedauerns reagiert hatte; sie wären wohl kaum überrascht gewesen. Ein solches Schauspiel gehörte mittlerweile fast zum guten Ton. Hatte nicht auch Caesar geweint, als man ihm den Kopf seines Erzrivalen Pompeius gebracht hatte, eines Mannes, mit dem er sogar einmal verschwägert war? Vielleicht hatten sie aber auch gehört, wie Octavian, nur wenige Augenblicke später,
Briefe vorzeigte, die er und Antonius ausgetauscht hatten, und sie laut vor seinem Gefolge vorlas, damit sie seine eigene beschwichtigende Sprache mit den unhöflichen und aggressiven Antworten von Antonius verglichen.
Mit anderen Worten: Octavian mag sich Mühe gegeben haben, als mitfühlend aufzutreten, aber er war fest entschlossen, dass man nicht vergaß, wer wirklich schuld an allem war: Antonius.
Und die Bürger Alexandrias? Die waren zweifellos beunruhigt. Auf einer Kundgebung im Gymnasion, wo Antonius vier Jahre zuvor seine „Gebietsverleihungen“ abgehalten hatte, konnten sie das erste Mal ihren neuen Machthaber erleben.
Nachdem er das Gymnasion betreten und das Podest bestiegen hatte, das man für ihn dort errichtet hatte, waren die Leute außer sich vor Angst und warfen sich vor ihm zu Boden, aber er bedeutete ihnen, aufstehen, und sagte, dass er das Volk von aller Schuld freispreche – erstens um Alexanders, ihres Gründers, willen, und zweitens, weil er die Größe und Schönheit der Stadt bewundere …142
Aber Octavians Milde ging nicht viel weiter. Selbst als an diesem Augusttag der (zugegeben angespannte) Jubel der Bürger von Alexandria in den Himmel stieg, waren Trupps von Soldaten gerade dabei, Antyllus, Antonius’ ältesten Sohn, aufzuspüren. Als sie ihn fanden, klammerte er sich wimmernd an eine Statue von Caesar und flehte um Gnade. Doch auch für ihn gab es keine. Sie zerrten ihn von der Statue fort und schlugen ihm den Kopf ab. Unterdessen galoppierten mehrere Divisionen von Octavians Kavallerie nach Süden, in Richtung Äthiopien; sie hatten gehört, dass Kleopatra ihren Sohn Kaisarion bereits fortgeschickt hatte, an der Spitze einer großen, mit Gold beladenen Kamelkarawane. Ihr Ziel: Indien, seit vielen Jahrhunderten Handelspartner der Ptolemäer. Irgendwo auf dem Weg holten sie ihn ein und brachten ihn um.
In Alexandria blieb Kleopatra als Gefangene unter ständiger Beobachtung. Unter denen, die sie besuchen durften, war ihr Arzt, Olympos, der seine Erlebnisse später in seinen Memoiren niederschrieb. Gemäß Plutarch, der diese Memoiren kannte, beschreibt Olympos darin, wie Kleopatra in eine geradezu extravagante Trauer um Antonius verfiel und sich in traditioneller Art und Weise auf die Brüste schlug, während sie zur gleichen Zeit hungerte:
In Folge der Trauer, die sie erlitten hatte, und der Schmerzen, die sie erfuhr – ihre Brüste waren wund und entzündet von ihren Schlägen –, bekam sie hohes Fieber, eine willkommene Entschuldigung für sie, das Essen zu verweigern und so ohne Widerstand aus dem Leben zu gehen.143
Gleichzeitig stand sie jedoch immer noch in Verhandlungen mit Octavian – was man von einer Frau, die ihrem Leben ein Ende setzen möchte, eigentlich nicht erwarten würde. Und auch Octavians Reaktion auf ihren sich verschlechternden Gesundheitszustand war mitnichten die eines Mannes, der ihren sofortigen Tod wünschte:
Er schöpfte Verdacht und plagte sie mit Drohungen und Befürchtungen bezüglich ihrer Kinder, um so (wie mit Belagerungsmaschinen) ihren Widerstand zu brechen, so dass sie aufgab und ihren Körper solcherlei Pflege und Ernährung hingab, wie es erforderlich war.
Solche Widersprüche waren es, die zu einer wahren Flut von Behauptungen und Gegenbehauptungen geführt haben, zu Verschwörungstheorien und Szenarien, in denen jede Partei verzweifelt versucht, die andere zu überlisten. Nur wenig können wir sicher rekonstruieren.
Irgendwann scheint man Kleopatra erlaubt zu haben, Antonius’ toten Körper zu bestatten; vielleicht auf eine Art und Weise, bei der sie ihn einbalsamierte, der erste Schritt zur Mumifizierung. Laut Plutarch
vergrub sie ihn mit ihren Händen, königlich und mit großem Pomp, wozu ihr alles gewährt wurde, wonach sie verlangte.
So wurde einer von Antonius’ Wünschen am Ende doch noch erfüllt: Man begrub ihn, wie er es in seinem Testament verfügt hatte, in seinem geliebten Alexandria.
An irgendeinem Punkt stattete Octavian einer der größten Attraktionen der Stadt seinen einzigen nachweisbaren Besuch ab: der mumifizierten Leiche Alexanders des Großen, des vergöttlichten Schutzherrn Alexandrias, der nun bereits fast 300 Jahre lang intakt in seinem Sarkophag lag:
Er berührte ihn sogar, worauf, wie es heißt, ein Stück der Nase abbrach. Aber er lehnte es ab, die sterblichen Überreste der Ptolemäer zu sehen, obwohl die Alexandriner sie ihm sehr gerne zeigen wollten, und er sagte: „Ich wollte einen König sehen, keine Leichen. “ Aus demselben Grund sah er sich nicht den [Stier] Apis an; er erklärte, er sei es gewohnt, Götter anzubeten und kein Stück Vieh.144
Octavian, der Eroberer Ägyptens, zeigte einen deutlichen Mangel an Sensibilität bezüglich der religiösen Überzeugungen der Ägypter; darin unterschied er sich stark von Antonius, seinem Verbündeten, und sogar von Caesar. Der Vandalismus an Alexanders Grab demonstrierte nicht nur seine Gleichgültigkeit gegenüber der glorreichen Geschichte Griechenlands, sondern zugleich seine eigene Überlegenheit und die unbestreitbare Macht Roms.
Am Ende konnte Kleopatra keinen Anteil an dieser Macht erhalten. Angeblich fand ein Treffen zwischen Octavian und der Königin statt, bei dem Kleopatra für ihre Rolle im jüngsten Konflikt um Entschuldigung bat; Octavian, der davon überzeugt war, dass Kleopatra „mit ihm nach Rom segeln werde, aus freien Stücken“, wollte sie darauf hin begnadigen. Tatsächlich jedoch existieren in den antiken Quellen keinerlei Aufzeichnungen über ein solches Treffen, aus denen man sich eine objektive Meinung bilden könnte. Die dortigen Berichte enthalten ebenso viel Geschichte wie Fiktion.
Octavian hatte jedoch gute Gründe, eine gewisse Sympathie gegenüber der Königin an den Tag zu legen (einer der wichtigeren Gründe war sicherlich, die sprunghaften Alexandriner in der Stadt zu halten). Vielleicht wollte er sie auch tatsächlich mit nach Rom nehmen, um sie im Triumphzug inmitten all der Beutestücke durch die Straßen zu führen. Aber er wird kaum vergessen haben, wie damals der Anblick von Kleopatras unglücklicher Schwester Arsinoë die Massen, die die Straßen Roms in Richtung Kapitol säumten, beeindruckt hatte. Er muss die Gegenreaktion der Bevölkerung gefürchtet haben, wenn sie die Königin von Ägypten, noch in der Niederlage charismatisch, in Ketten vor seinem Wagen laufen sähen. Auch wenn es in Alexandria opportun schien, Mitgefühl zu zeigen: In Rom zeigte er am besten nichts und niemanden.
Kleopatra sollte nicht der letzte Staatsfeind sein, dessen Tod weniger peinlich war, als ihn (oder sie) am Leben zulassen. Dank der gut platzierten Gerüchte über ihre Trauer um Antonius, ihre psychische Instabilität, ihren leidenschaftlichen Wunsch zu sterben (wie Thisbe nach dem Tod des Pyramos) dürfte es kaum jemanden überrascht haben, als gerade einmal zehn Tage nach Antonius’ Selbstmord die Nachricht verbreitet wurde, dass auch Kleopatra nun tot war. Doch trotz der Tatsache, dass die Königin unter ständiger Beobachtung durch das Militär stand und ständig so viele hervorragende Ärzte am Hof von Alexandria anwesend waren, gab es bald ebenso viele Geschichten darüber, wie Kleopatra gestorben war, wie es Menschen gab, die diese Geschichten erzählten.
Plutarch schreibt, Kleopatra habe gebadet und sich dann in Antonius’ Grabstätte niedergelegt, um ein üppiges Mahl zu genießen. Man brachte ihr einen Korb mit Feigen hinein und einen Brief an Octavian wieder hinaus; die Türen wurden geschlossen, jetzt waren nur noch Kleopatra und zwei Dienerinnen im Raum. Der Brief erwies sich als Abschiedsbrief, und als die Türen der Grabstätte wieder geöffnet wurden, war Kleopatra bereits tot. Nur eine der zwei Dienerinnen lebte noch; ihre letzten Worte waren, dass es „für eine Prinzessin, die von so vielen Königen abstammte, angemessen und gut durchgeführt worden war“. Doch muss Plutarch sich eingestehen, dass er nicht weiß, was dort genau passierte:
Es hieß, dass eine Giftschlange hineingebracht wurde, die sich zwischen den Feigen und Blättern verbarg, denn so Kleopatra hatte es befohlen, damit das Reptil ihren Körper beißen könnte, ohne dass sie es merkte. Aber als sie etwas von den Feigen fortnahm, sah sie die Schlange und sagte: „Seht doch, da ist sie! “ Sie entblößte ihren Arm und hielt ihn ihr hin, zum Biss. Andere jedoch berichteten, dass die Schlange sich in einem Wasserkrug befand und dass Kleopatra sie mit einem goldenen Spinnrocken so sehr gereizt habe, bis sie hochsprang und sie in den Arm biss. Was wirklich wahr ist, weiß niemand; es wurde ebenso erzählt, dass sie stets in einem hohlen Kamm Gift mit sich führte und den Kamm im Haar versteckt hielt; aber weder ein Fleck noch ein Anzeichen für Gift fand sich an ihrem Körper. Außerdem hat man noch nicht einmal das Reptil selbst in jenem Raum gesehen, auch wenn man sagte, man habe seine Spuren in der Nähe gesehen, zum Meer hin, auf das die Fenster des Raums blickten. Manche sagen aber auch, dass man an Kleopatras Arm zwei ganz leichte und undeutliche Einstiche gesehen habe …145
Plutarch gibt sich alle Mühe, darauf hin zu weisen, dass es viel Hörensagen gab und vieles, was einfach nicht zusammenzupassen scheint: das Fehlen einer Wache im Raum; die vergiftete Phiole (die dann wohl bei der Leibesvisitationen übersehen wurde); das Fehlen von Symptomen; die Giftschlange, die es irgendwie fertigbrachte, drei Frauen zu töten und sich dann in Luft aufzulösen; Berichte über Kleopatras letzte Worte, wo doch niemand, der sie gehört haben könnte, überlebte. Plutarch sagt es selbst: „Niemand weiß, was wirklich geschah. “ Außer vielleicht Octavian.
In einer schauspielerischen Meisterleistung versuchte er, sie wiederzubeleben zu lassen – er bestellte sogar (so sagt man) „Schlangenbeschwörer, die das Gift aus der Wunde saugen sollten“. Aber natürlich half das alles nichts. Er behauptete, dass er
ihren edlen Geist bewunderte, und er befahl, dass ihr Körper zusammen mit dem des Antonius auf prächtige und königliche Weise bestattet wurde. Auch ihre Dienerinnen erhielten auf seinen Befehl hin eine ehrenvolle Bestattung.
Der Tod der Kleopatra von Jean-André Rixens (1846–1925). 1874, Öl auf Leinwand, 200 × 290 cm. Musee des Augustins, Toulouse.
Innerhalb von zwei Tagen nach Kleopatras Tod verließ Octavian Alexandria und fuhr per Schiff nach Syrien (12. August 30 v. Chr.), wo er überwinterte, bevor er im Triumph nach Rom zurückkehrte (siehe unten). Zum Statthalter von Ägypten ernannte er Cornelius Gallus, der erst Antonius besiegt und dann Kleopatra ausgetrickst hatte. Aber wie schon Generationen von Römern vor ihm, war Octavian auf der Hut. Er wusste, dass Ägypten reich genug war, dass sich eventuell ein Aufstand finanzieren ließ, und so
wagte er es – in Anbetracht der hohen Einwohnerzahlen in den Städten und auf dem Land, des einfachen und wankelmütigen Charakters der Bevölkerung und der großen Mengen an Getreide und Reichtümern – nicht, das Land einem Senator anzuvertrauen; er konnte dort nicht einmal einen Senator wohnen lassen, es sei denn, er gewährte dies demjenigen persönlich und in seinem Namen.146
In Alexandria löste Octavian den Stadtrat auf, „wohl weil er annahm, dass er zum Aufstand neige“, während an den Ufern des Nil Statuen des römischen Eroberers errichtet wurden, die die zahlreichen Bewohner dieses fruchtbaren Landes daran erinnern sollten, dass sie einen neuen Herrn hatten. Und das war das Ende der Geschichte, so der Historiker Dio, wie „Ägypten versklavt wurde“.
Jetzt ist er der unangefochtene Herrscher des Imperiums, und aus Octavian wird Augustus. Bronzener Kopf (bekannt als Kopf von Meroe), hergestellt in Ägypten, ca. 27–25 v. Chr., und gefunden in Meroe im Sudan. Höhe 43 cm. British Museum, 1911,0901.1, Schenkung des Sudan Excavation Committee mit Unterstützung des Art Fund.