WAS IST EIN RITUAL?

Kurz gefasst ist ein Ritual eine formalisierte, gleichförmig wiederkehrende oder wiederholte Handlung mit dem Charakter des Besonderen, des vom Alltag Abgehobenen, die dem Zweck dient, Körper, Geist und Seele – und damit das Materielle, das Magische und das Göttliche – zur Erreichung eines konkreten Ziels zu aktivieren, diese miteinander zu vereinen und in die gleiche Richtung zu lenken.

Was für mich persönlich daran niemals „gleichförmig“ ist, sind die Intention und die Emotionen, mit denen ich ein Ritual begehe, und auch die Art und Weise, wie es sich dann wie von selbst entfaltet und sich „etwas“ hinzufügt, das man nicht planen oder vorhersehen kann. Genau dazu braucht es die Hingabe und die Bereitschaft, jederzeit das Ritual flexibel an die Gegebenheiten anzupassen, kreativ zu reagieren, sich von seiner Intuition leiten zu lassen und Visionen/Botschaften aus dem Hier und Jetzt zu empfangen. Obwohl man „einen Plan hat“, macht die Hingabe den Zauber des gesamten Rituals aus.

Und wenn wir etwas (scheinbar) wiederholen, also wissen, was im Ablauf als Nächstes kommt, können wir erfahrungsgemäß viel leichter loslassen, weil wir von einer direkten Aufmerksamkeit (bewussten Konzentration) in eine mühelose, indirekte Aufmerksamkeit wechseln. Wir fühlen uns dann meist sicherer, lassen uns tiefer ein, werden von der Natur geführt (anstatt doch noch zwischendurch nachzulesen, was nun zu tun ist). Genau dann kann ein Alltagszauber entstehen, ein „magisches Wunder“, das niemand je in einem Buch beschreiben und hinreichend vermitteln könnte.

In manche Rituale wachsen wir erst nach und nach hinein (obwohl sie zunächst ganz einfach erscheinen), bei anderen fühlen wir uns beim ersten Zelebrieren möglicherweise ähnlich überfordert wie in der ersten Fahrstunde. Doch nach und nach geht alles wie von selbst von der Hand. Manche Rituale „sprechen“ nicht beim ersten Mal zu uns, sondern da mag es eher so sein wie in dem Lied „Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nix passiert …“, und andere sprechen vielleicht nie zu uns. Ich empfehle dir grundsätzlich, zu allen energetischschamanischen Ritualen, die du in deinem Leben kennenlernen wirst, wenigstens einen zweiten Eindruck zu sammeln.

RITUALE FÜR VERSCHIEDENE ANLÄSSE

Überall auf der Erde finden seit Menschengedenken Rituale statt. Diese können je nach Herkunft, Gruppe, Glauben und Zweck sehr unterschiedlich sein. Individuelle Rituale beziehen sich meist nur auf eine Person (Rituale zur Geburt, Namensleite16), oder sind Transitionsrituale für Übergänge zwischen den Lebensaltern, Heilungsrituale, für die Visionssuche oder sind zur Sterbebegleitung und Bestattung gedacht. Kollektive Rituale finden dagegen im sozialen Bereich statt und beinhalten Einweihungsfeste für Haus und Hof, zur Verlobung, zur Hochzeit (z. B. das Handfasting) und zu Familienzusammenschlüssen jeder Art. Rituale für Götter beinhalten u. a. die Gottesdienste im christlichen Kontext ebenso wie Rituale zur Verehrung paganer Gottheiten oder die Hohen Feste bzw. Jahreskreisfeste der naturspirituellen Szene. Traditionelle Rituale beinhalten eine Fülle von sogenanntem Volksaberglauben und Brauchtum (Fastnacht, Walpurgisnacht etc.) und sind heute noch in vielen Gegenden lebendig, oft ohne dass den Menschen die Herkunft dieser Rituale wirklich bewusst ist.

Wir können davon ausgehen, dass es früher im Leben unserer Vorfahren für alle denkbaren Anlässe passende traditionelle Rituale gab und natürlich auch jeweils eine Spezialistin bzw. einen Spezialisten, die oder der diese ausführte. Zudem gab und gibt es „handwerkliche“ Rituale, die einen konkreten magischen Anlass beinhalten (z. B. die Anfertigung und Einweihung magischer Gegenstände und Instrumente, traditioneller Trommelbau, Einweihungen aller Art). In manchen Ritualen sind Ritualgegenstände existenziell wichtig, um die größte Kraft des Rituals zu entfalten (dazu gehören u. a. Bekleidung/Kostüme, Masken, spezielle Kräuter, Instrumente, der eigene „Hausaltar“, Kerzen, diverse Kraftgegenstände).

VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE DURCHFÜHRUNG EINES RITUALS

Ritualarbeit setzt voraus, dass in unserem Weltbild eine Welt des Magischen und Göttlichen, eine Anderswelt, ihren Platz neben der materiellen Welt hat. Für unsere Vorfahren war es wichtig und auch ganz selbstverständlich, dass man sich selbst und seine Handlungen mit den Kräften und Wesen der Anderswelt in Einklang brachte.

Rituale verändern die Menschen, die sie ausführen, ebenso wie die anwesenden Teilnehmenden und bringen Körper, Geist und Seele in einen Gleichklang mit dem Materiellen und Andersweltlichen, womit sie dann auch in unserer Alltagswelt Kreise ziehen und ihre Wirkung entfalten.

Es ist wichtig, eine klare Absicht für das Ritual zu formulieren und eine Atmosphäre zu schaffen, in der man sich wohlfühlt und gleichzeitig konzentriert sein kann, sodass man Alltäglichem keine Aufmerksamkeit mehr schenken muss.

Alle Bausteine führen zu dieser Absicht, zum Hauptziel des Rituals hin, und bei allen Schritten darf ein völliges Einlassen auf die Handlungen möglich sein.

Einige Elemente tauchen nur in bestimmten Zusammenhängen auf, andere sind Hauptbestandteile. Meist findet zudem eine Vorbereitung statt in Form einer Reinigung des Körpers, der Bestimmung der Zeit, der Reinigung und Abgrenzung des Ortes (vor allem in der Natur sehr wichtig), durch Räuchern und ggf. das Aufstellen der Ritualgegenstände.

Aus all diesen verschiedenen Aspekten bezieht ein Ritual seine Kraft, darüber hinaus aber auch aus der Tradition, mit der es verknüpft ist, aus seiner Einbindung in die Welt, aus steten Wiederholungen durch uns und andere Menschen (Erschaffung eines morphogenetischen Feldes), aus der Zeit, zu der es gefeiert wird, durch den Ort, an dem es stattfindet, und durch die Kräfte der Menschen, die es gemeinsam durchführen. Viele verschiedene Faktoren spielen hier also zusammen.

Für mich persönlich bezieht ein Ritual seine Kraft insbesondere aus einem offenen liebenden Herzen, einer klaren Intention und der Hingabe an alles, was dabei geschehen mag (den eigenen Prozess, die Spirits, die Zeichen der Natur …). Wenn wir uns einlassen auf uns selbst und unser Verhältnis zu allen Welten, uns berühren lassen vom Göttlichen (in welcher Form auch immer wir uns dies vorstellen) und dadurch in den gegenwärtigen Moment hineinfallen, schafft all das die Atmosphäre einer heiligen (und heilsamen) Zeremonie inmitten des Alltags.

Rituale und Zeremonien können uns helfen, uns wieder tief mit unseren natürlichen Rhythmen zu verbinden. Gerade durch die Beständigkeit des wiederkehrenden Zwei-Wochen-Abstands, wenn wir Neumonde und Vollmonde zum Innehalten nutzen (und dies kann auch ein einfaches Nachspüren sein, wo du gerade stehst, und mit dem, was dich bewegt), schwingen wir uns wieder in unseren natürlichen Fruchtbarkeitszyklus ein, der sowohl körperlich als auch geistig/schöpferisch zu verstehen ist. Dies schenkt uns zweimal im Monat Zeit für Selbstreflexion, liebevolle Selbstfürsorge, kraftvolles Erschaffen, heilsames Loslassen und für was auch immer sonst ansteht. Alle zwei Wochen ganz selbstverständlich ein nährendes Date mit dem Mond, so lange und intensiv, wie es gerade stimmig ist: Das ist eine Selbstliebe-Routine, die so gar nicht langweilig werden wird und für die es sich lohnt, dass sich die ganze Familie an deine Verabredungen mit dir selbst gewöhnt (oder daran teilhat).

DIE EINZIGARTIGE KRAFT DES NATURRITUALS

Das Interesse an Ritualen und Zeremonien erwacht wieder mehr und mehr und weist auch auf ein wachsendes Bedürfnis nach spirituellem Erleben hin. Manche Menschen trauen sich nicht recht zu, dass sie dieser tiefen Sehnsucht aus sich selbst heraus zum Ausdruck verhelfen können, oder sie meinen, dies stünde ihnen nicht zu. Andere haben Sorge, dass es ihnen an Wissen mangelt, oder sie wünschen sich einfach einen tieferen Einblick in die sinnvollen Zusammenhänge oder uralten Ursprünge.

Von einem Wissensschatz als Basis ausgehend, können sich weitreichende rituelle Handlungen entwickeln, und diese können wiederum von eigenen schöpferischen Impulsen angereichert werden. Schlussendlich geht es immer darum, über Spiritualität nicht nur zu lesen oder über dieses Wissen zu reden, sondern es wirklich zu erleben. Da wir Menschen „Rudeltiere“ sind, lernen, wachsen und leben wir dies auch ganz besonders angeregt durch den Austausch mit anderen Menschen, weshalb heilige Kreise hierzu sehr wertvoll sein können. Außergewöhnlich schön sind die Rituale dann, wenn sie neben Wissen und Erfahrung auch Raum für frei fließende, undogmatische Kreativität und individuelle schöpferische Freiheit bereithalten.

In diesem Sinne mögen die Rituale in diesem Buch dir Impulse und Hilfestellung zur eigenen Vorbereitung und Gestaltung geben, und die Bilder nehmen dich ein Stück weit mit in meine rituelle Praxis im Jahreslauf. Wie du im Folgenden sehen wirst, finden meine Rituale sofern irgend möglich in der freien Natur statt. Dabei ist stets eine Kraft zugegen, die durch nichts zu ersetzen ist, die Antworten oder Botschaften durch Zeichen im Außen liefert, die man nicht „bestellen“ kann und die uns spüren lässt, dass wir mit etwas verbunden sind, dass größer ist als wir alle zusammen. Sind wir schweigend in Hingabe an die Natur anwesend, spricht sie in ihrer Sprache zu uns, z. B. durch aufbrausenden Wind, der in eine Windstille hineinfährt, Zeichen am Himmel, Rufe von Tieren in ganz entscheidenden Momenten oder ein wie zur Bestätigung „nickender“ Ast am Baum. Diese andere Ebene beschenkt uns mit der Resonanz anderer Wesen, von Elementen und Wettergeschehnissen. All dies gestaltet das Ritual auf seine Weise mit und lässt ganz eigene Deutungen zu.

Wenden wir uns der Natur zu und erleben sie wieder eher als Mit-Welt statt als Umwelt, entwickelt sich ein tieferes Verständnis für alle Zusammenhänge und Naturgeschehnisse – auch denen in uns selbst. Diese wiederkehrende Zuwendung mehrt zudem die innige Liebesbeziehung, die wir mit der Erde und ihren Wesen, dem Mond und auch mit uns selbst pflegen. Dies schließt natürlich niemals aus, bei besonders widrigen Umständen kreativ und beweglich zu bleiben und sich ggf. auf plötzlich eintretende Begebenheiten einzustellen. Manchmal entsteht aus einem ungeplanten Ritual im gemütlichen Zuhause ein unglaublicher Zauber, und ein anderes Mal darf auch ein Gewitter oder sonstiges Wetterereignis seine ganz eigene Magie bedeutungsvoll beitragen.