„Im Wald der Monde schwamm ich wild mit den Wölfen und Sternen und küsste die tiefen Wunden der träumenden Nacht.“ —VICTORIA PETTELLA
Im Altertum gab es noch keine Uhren und Kalender, wie wir sie heute kennen. Man orientierte sich an Sonne und Mond, und ganz sicher beobachteten die Menschen schon in der Steinzeit aufmerksam das Firmament und die dortigen Ereignisse. In der Dordogne, am Abri Castanet, wurde beispielsweise ein ca. 38.000 Jahre alter Adlerknochen gefunden, der mit mehreren Sicheleinkerbungen verziert ist. Man geht davon aus, dass dies eine der ältesten Darstellungen der Mondphasen sein könnte. Ebenfalls in der Dordogne ist auf einem etwa 42 cm hohen und ca. 25.000 Jahre alten Kalksteinrelief eine nackte Frau zu erkennen, die sogenannte Venus von Laussel. Ihre linke Hand liegt auf ihrem Bauch und in der rechten Hand hält sie einen sichelförmigen Gegenstand mit dreizehn Einkerbungen. Sie wird aufgrund ihrer Körperformen als schwanger und der Gegenstand in ihrer Hand als Horn eines Tieres (und damit eines bis heute in vielen Kulturen auf den Mond verweisendes Symbol) interpretiert. Stell auch du dir also gern (analog zu diesem Beispiel) vor, wie du jeden Morgen eine Hand auf deinen Bauch legst und die andere Hand sich mit jener von Großmutter Mond trifft. Hand in Hand mit ihr und verbunden mit deinem intuitiven (Ge-)Bärmutter-Wissen könnte sich dann dein Tag gestalten. Vielleicht magst du diese Geste eine Zeit lang ganz konkret für dich anwenden? Ich kann es dir von ganzem Herzen empfehlen.
Sehr wahrscheinlich erkannten schon Steinzeitfrauen, wie ähnlich sich der Mondzyklus und der Menstruationszyklus sind, und ließen ihre Beobachtungen in magische Fruchtbarkeitsrituale einfließen. Zahlreiche weitere archäologische Funde bezeugen, wie der Mond das Denken, Wirken und damit auch das Überleben der Menschen seit Tausenden von Jahren überall auf der Welt prägt. Auch in Darstellungen des Weltenbaumes in verschiedenen Kulturen findet sich eine Mondsymbolik.3 Als klarster Beleg für die symbolische Bedeutung der Gestirne gilt die ca. 3.800 Jahre alte Himmelsscheibe von Nebra, dem ältesten erhaltenen Lunisolarkalender nördlich der Alpen. Die Spiralen, Kreise und Sichelformen der Megalithanlage Knowth in Irland führten ebenfalls zu den Mutmaßungen, dass es sich hier um Abbildungen des Mondes handelt. Diese Darstellungen weisen Übereinstimmungen mit sehr viel später erstellten Mondkarten aus anderen Regionen auf, obwohl man vor ca. 5.000 Jahren mit bloßem Auge kaum den Mond und seine Oberflächenstruktur hätte erkennen können. Und auch bei der Amphore von Herzberg wird vermutet, dass es sich dabei um einen bronzezeitlichen Mondkalender handelt – und dies sind nur ausgewählte Beispiele aus unzähligen weltweiten Funden.
Der Zyklus des Mondes hat unser Verständnis von Zeit seit jeher so bestimmt wie nichts sonst. In der Geschichte der Menschheit ist der solare Kalender verhältnismäßig jung, und vermutlich wurde erst durch Ackerbau, Viehzucht und der damit einhergehenden Sesshaftigkeit der Lauf der Sonne für unsere Vorfahren immer wichtiger.4 Gaius Julius Cäsar führte im Jahre 45 v. Chr. einen hellenistisch-ägyptischen Kalender ein, der auf einem hybriden Modell aus Mond- und Sonnenkalender (lunisolar) fußte und ein Schaltjahr festlegte, um nominales und jahreszeitliches Jahr in Übereinstimmung zu bringen.5 Das Sonnenjahr hat 365 Tage (in einem Schaltjahr 366 Tage) und das Mondjahr 354 Tage, ist also elf bzw. zwölf Tage kürzer. Jedes Sonnenjahr beinhaltet entsprechend zwölf bzw. dreizehn Mondzyklen. Bevor er diesen julianischen Kalender einführte, waren insbesondere auf dem eurasischen Kontinent üblicherweise die Jahre (auch) nach dem Mond bestimmt worden. Sogenannte „gebundene Mondkalender“ der Germanen wurden nachweislich bis zum 7. Jahrhundert in England und bis zum 11. Jahrhundert in Skandinavien verwendet. Papst Gregor XIII. schaffte schließlich 1582 den „gottlosen“ Mondkalender gänzlich ab, um der Sonne (und damit dem Symbol des wiederauferstandenen Christus) und letztlich sich selbst als Namensgeber des neuen Kalenders einen gebührenden Platz in der Welt zu verschaffen, den er bekanntlich bis heute innehat. In großen Teilen Europas haben wir also erst seit nicht einmal 500 Jahren einen Sonnenkalender, den sogenannten gregorianischen Kalender. In Gamla Uppsala, dem einstigen Zentrum des schwedischen Königreiches, verwendete man sogar noch im 17. Jahrhundert einen lunisolaren Kalender. Die Hopi in Nordamerika nutzten einen solchen bis in die 1870er-Jahre, um ihre traditionelle Landwirtschaft unter den erschwerten Bedingungen der Wüste weiterhin zu ermöglichen. So trug der Mond in vielerlei Hinsicht zum (Über-)Leben auf Erden bei.
Der Mond hat als „Auge der Nacht“6 weltweit in den Menschen starke Empfindungen ausgelöst, und die Mythen und Märchen zeugen davon. Tiere wie Hase, Hund und Krebs, dazu auch Gesichter, der „Mann im Mond“, eine Göttin mit Haarpracht – so vieles nahm man bei der Betrachtung des Mondes wahr, und der Fantasie waren kaum Grenzen gesetzt bei den Überlegungen, wie jene Wesen dort wohl hingekommen sind. Häufig findet sich ein direkter Bezug zu Fruchtbarkeit bringendem Segen, und damit lagen die Ahnen gar nicht so falsch, denn es ist fraglich, ob es ohne den Mond überhaupt Leben auf Erden geben würde bzw. wie dieses Leben ohne den Mond aussähe. Er galt als ein Tor in andere Welten, was die kreisrunden Mauerdurchgänge namens „Mondtore“ in manchen buddhistischen Klöstern bis heute zeigen, und er bot von Beginn an sakralen Ereignissen eine Kulisse sowie überwältigendes Erleben. In vielen Kulturen ist er anerkannt als magische Schwelle in andere Wirklichkeiten, wurde als Initiationsmoment genutzt, in weiblicher Form als Fruchtbarkeitsgöttin verehrt, und selbst in der Bibel, im 1. Buch Mose, als „kleines Licht, das die Nacht regiert“ bezeichnet. So können auch wir den Mond als unterstützenden Verbündeten voller Dankbarkeit nutzen, da er uns beständig hilft, Schwellen zu übertreten und schamanisch in andere Welten zu reisen und die dort gemachten Erfahrungen in unsere Alltagswelt zu überführen. Auch im rituellen Wirken gehen wir (bis heute) durch solche Tore hindurch und erhalten selbst in Umständen, in denen wir nicht ganz klarsehen können oder uns manches dunkel und verworren erscheint, eine erweiterte Sicht auf uns und die Entfaltung unsers Lebens.
Am 26. Juli 1609 entstand die erste bekannte Mondlandkarte, der einige weitere folgten. Da diese Karten weder den Zweck erfüllten, territoriale Ansprüche geltend zu machen, noch als Reiseführer vor Ort dienlich sein konnten, halfen sie letztlich der Wissenschaft, Aberglauben zu bekämpfen und auch die uralten Mythen zu untergraben. Zumindest eines ist aus dem lunaren Kalender bis heute geblieben: Ein Tag beginnt um Mitternacht, also mitten in der Nacht. Die immens große Rolle, die der Mond über Tausende von Jahren für den Menschen weltweit innehatte, und auch die Kraft, die er als Taktgeber einfließen ließ, wurde durch die Abschaffung dieses Kalenders und den Verlust der dazugehörigen Mythen deutlich geschmälert.
Ich möchte hier keineswegs die Wissenschaft negieren, doch ist mir daran gelegen, im Verlaufe dieses Buches die alten Namen und Energien unserer Monde (Monate) wieder etwas mehr in den Fokus zu setzen und damit bewusst zu machen, wie viel Weisheit, landwirtschaftlicher Nutzen, gesellschaftliches Leben, heilige Initiation und anerkannte Urkraft darin lagen. Auch wenn die Namen und die Zeiteinteilung sich veränderten, so sind wir in unseren Körpern doch noch viel archaischer und tiefer mit den ursprünglichen Rhythmen von Mond und Erde verbunden, als uns oft bewusst ist. Der Mond gibt uns mit seinen sich beständig wiederholenden Bewegungen Sicherheit und Halt im Leben und unterstützt dabei gleichzeitig unsere eigene Bewegung. Durch diese Beständigkeit der immer wiederkehrenden Zyklen, in denen alles enthalten ist, sowie durch die besondere Position, die der Mond im Sonnensystem innehat (und durch die Leben auf Erden möglich wurde), ist er mit seiner Energie ein großartiger Verbündeter, um Leben zu erschaffen und zu kreieren bzw. zu manifestieren. Nicht umsonst werden alle Mondgöttinnen stets mit Fruchtbarkeit und Wachstum assoziiert. Auch wenn große Angst vor der Macht, die Frauen innewohnt, herrschte und einiges an Unterdrückung, Schmerz und Leid geschah und noch immer geschieht, können wir wieder Zugang zu dieser Urkraft in uns finden. Der Takt des Mondes mit seinen vier Phasen und zwei Bewegungen kann sich so wieder mit unserem Herzschlag verbinden und findet damit seinen Einklang mit dem Herzen der Mutter Erde. Eingebunden in die ewigen Zyklen allen Lebens erblühen wir ganz natürlich als die, die wir wirklich sind, und gehen wieder den Weg weiser, wilder Weiblichkeit.