Kapitel 1
Donnerstag, 15. März 1889
Bloomsbury, London
Eliott
Kalter Nieselregen fiel auf seinen alten Ledermantel und tropfte von seiner Hutkrempe. Eliott schüttelte sich unwillkürlich angesichts der Kälte und betrachtete die Fassade des Britischen Museums – ein imposantes Bauwerk, dessen hohe Südfront in drei Teile geteilt war. Deren zahlreiche hohe Säulen und das mit Statuen verzierte Giebeldreieck über dem mittleren Gebäudeteil erinnerten ihn an antike Tempel. Bisher hatte er sich nie die Zeit genommen, das Museum zu besichtigen und auch heute war er nicht hier, um die Exponate zu bewundern. Er ging die Treppe hinauf und schritt zwischen den Säulen hindurch.
Am Empfang in der Eingangshalle wandte er sich an einen der Mitarbeiter. „Guten Tag, ich möchte gern zu Mister Huntington, wir sind verabredet. Mein Name ist Eliott Breeches.”
„Ah, selbstredend, Sir. Folgen Sie mir bitte, ich bringe Sie zu ihm.”
Der Herr führte ihn durch die Eingangshalle, anschließend ging es mehrere Treppen nach unten. In einem nur schwach beleuchteten Flur, der aber immerhin mit elektrischen Licht ausgestattet war, öffnete er eine Tür. „Mister Huntington? Hier ist Besuch für Sie.”
Ein Mann mit gebräuntem Gesicht und dunkelblonden, gewellten Haaren von etwa Anfang Dreißig kam zur Tür und musterte Eliott aus freundlichen grüngrauen Augen.
Eliott stellte sich ihm vor.
„Ah, Mister Breeches, ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ah, Sie sind in den Regen gekommen?” Er deutete auf Eliotts nassen Mantel. „Ein ganz schön trübes Wetter heute, finden Sie nicht auch?”
„Allerdings.”
„Möchten Sie ablegen?” Huntington wies auf einen Garderobenständer, der sich neben der Tür befand.
„Das ist eine gute Idee”, erwiderte Eliott.
Während er Hut und Mantel aufhängte, sagte Huntington: „Vielen Dank, dass Sie meiner Einladung hierher gefolgt sind. Simmons, sind Sie so freundlich und bitten den Direktor zu uns?”
„Selbstverständlich”, sagte der Museumsmitarbeiter und ließ sie beide allein.
Eliott hatte noch immer keine Ahnung, warum er eigentlich hergebeten worden war. Mister Huntington hatte lediglich geschrieben, dass der Erfinder Goldstein ihm Eliott empfohlen hatte.
Er folgte dem Mann in das Innere des hellerleuchteten Raumes, der sich als Lager herausstellte. Regale und Vitrinen reihten sich hier aneinander, in denen sich allerhand Kisten, Schachteln oder auch ausgepackte Kunstgegenstände befanden. Manche der Objekte waren so groß, dass sie auf dem Boden standen. Eliott ging an diabolisch grinsenden Holzmasken vorbei, an kleineren und größeren antiken Statuen mit lächelnden Gesichtern. Manchen von ihnen fehlten einzelne Gliedmaßen. In einem anderen Regal fielen ihm ein schartiges Schwert und golden glänzendes Geschmeide ins Auge. Daneben lagerten eher schäbig wirkende Tonscherben, die alle einzeln mit kleinen Etiketten versehen worden waren.
Huntington ging immer weiter und blieb schließlich vor einem leeren Tisch stehen. „Der Grund, warum ich Sie hergebeten habe, ist hier …”
Eliott blickte verwirrt auf die leere Holzfläche.
„Sehen Sie, ich bin Archäologe und habe vorgestern noch hier an dem Tisch gearbeitet, an altägyptischen Artefakten, die meine Kollegen und ich von einer Ausgrabung mitgebracht haben”, erklärte Mister Huntington. „Ich arbeite seit einiger Zeit für den
Egypt Exploration Fund
, eine Stiftung zur Finanzierung britischer Ausgrabungen in Ägypten, die vor sieben Jahren gegründet wurde.”
Mit einer nervösen Geste strich sich der Mann übers Haar. „Jedenfalls, als ich gestern ins Lager kam, waren alle diese Artefakte verschwunden. Außerdem berichtete einer der Nachtwächter, er sei mitten in der Nacht niedergeschlagen worden. Den Täter hat er allerdings nicht gesehen, dieser hat ihn von hinten angegriffen. Als er wieder zu sich kam, war der Dieb offenbar schon über alle Berge. Der Wächter wusste nicht, dass hier auf dem Tisch etwas lag. Er hat aber bemerkt, dass ihm der Schlüsselbund entwendet wurde, mit dem man alle Räume hier auf- und zuschließen kann. Das gilt auch für die Lagerräume. Selbstverständlich habe ich sofort den Direktor alarmiert und wir haben auch herumgefragt, ob jemand von den Mitarbeitern die Artefakte von hier anderswo hingeräumt hat. Aber alle sagten, sie seien entweder nicht im Lager gewesen oder hätten die Objekte nicht angerührt. Das kann letztendlich nur eines bedeuten …”
„Ein Diebstahl …”, sagte Eliott.
„Ja, davon gehen wir aus.”
„Haben Sie die Polizei verständigt?”
„Nun, wir wollten bis auf Weiteres davon absehen. Wissen Sie, die Gefahr, dass die Nachricht vom Einbruch in der Presse landet, wäre groß und das würde der Reputation des Museums schaden. Zumindest sieht es unser Direktor, Mister Thompson, so.”
Schritte ertönten hinter ihnen.
Huntington drehte sich um. „Ah, wir sprachen gerade von Ihnen. Darf ich bekanntmachen? Mister Thompson – Mister Breeches.”
Eliott sah sich einem Mann gegenüber, der etwa Mitte Fünfzig oder Anfang Sechzig sein mochte. Er hatte sich das bereits schüttere Haar quer über die beginnende Halbglatze gekämmt und trug einen stattlichen Vollbart, der bereits grau war.
„Guten Tag”, begrüßte ihn der Direktor. „Sie sind also der Detektiv, den uns Mister Goldstein empfohlen hat. Eigentlich wollten wir uns an einen Ihrer Kollegen wenden, der sich mit Kunstdiebstählen gut auskennt, allerdings ist dieser zur Zeit in Italien. Und die Zeit drängt.”
„Sie möchten, dass ich die gestohlenen Gegenstände wiederfinde, Sir?”, fragte Eliott.
„Genau das. Mister Goldstein sagte mir, Sie seien ein tüchtiger Mann.”
„Das ehrt mich. Ich werde gern sehen, was ich tun kann. Aber ich muss gestehen, antike Kunst ist nicht mein Spezialgebiet.”
„Wir haben Skizzen von allen entwendeten Gegenständen. Es sind vier. Mister Huntington hat auch eine entsprechende Liste erstellt”, erklärte der Direktor. „Die Archäologen des Ausgrabungsteam haben sie bereits vor Ort angefertigt.”
„Genau. Warten Sie einen Moment, ich habe eine Mappe …”, ergänzte Huntington.
Kurz darauf präsentierte er Eliott vier Blätter mit akkurat gezeichneten Abbildungen verschiedener Objekte. Entsprechende Größenangaben waren darauf ebenfalls notiert.
„Gut, das ist schon mal etwas, aber das allein wird uns nicht weiterbringen. Wie schwer waren denn diese Gegenstände? Ich meine, haben Sie irgendeine Vorstellung, wie der Dieb sie hier heraustransportiert haben könnte?”
„Das dürfte nicht weiter schwierig gewesen sein. Alle diese Gegenstände sind recht handlich, eine größere, feste Tasche oder eine Art Rucksack wird ihm wohl genügt haben.”
„Ich verstehe. Sagen Sie, könnte es sein, dass jemand vom Ausgrabungsteam die Gegenstände entwendet hat? Immerhin scheint der Dieb ja gezielt bestimmte Objekte mitgenommen zu haben.”
Der Archäologe schüttelte den Kopf. „Nein, ganz sicher nicht. Für meine Kollegen würde ich die Hand ins Feuer legen. Sie sind alle zuverlässig und vertrauenswürdig.”
„Wo sind sie denn zurzeit?”
„Einer ist gerade zu Hause, seine Frau hat ihr zweites Kind bekommen. Eine andere Kollegin hat sich ein paar Tage freigenommen und ein weiterer hat eine starke Erkältung. Und dann haben wir noch einen Assistenten, der ist aber bei einer anderen Ausgrabung mit dabei, in der Nähe von Stonehenge.”
„Ach so. Hmm …” Eliott schaute sich im Raum um und überlegte einen Moment lang. „Erlauben Sie, dass ich das Lager durchsuche?”, fragte er schließlich.
Huntington sah zum Direktor.
Dieser nickte. „Selbstverständlich. Und natürlich bezahlen wir Sie für Ihren Aufwand. Selbst, wenn Sie nichts finden sollten.”
„Danke, Sir”, erwiderte Eliott erfreut. Das waren doch mal gute Aussichten.
„Seit dem Diebstahl wurde im Lager nichts verändert, es fanden auch keine Reinigungsarbeiten statt”, erklärte der Archäologe.
„Das ist gut”, sagte Eliott. „Dann mache ich mich gleich an die Arbeit, wenn es Ihnen recht ist.”
„Tun Sie das”, erwiderte Mister Thompson. „Nur bitte
,
fassen Sie möglichst nichts an oder ziehen Sie sich Handschuhe an. Wir haben welche hier.”
Eliott zuckte mit den Schultern. „Ganz wie Sie wünschen.”
„Ich werde Ihnen Gesellschaft leisten, ich habe hier ohnehin noch einiges zu tun”, erklärte der Archäologe.
Das war Eliott nur recht.
Mister Thompson räusperte sich. „Entschuldigen Sie bitte, aber auch mich ruft die Arbeit. Falls Sie noch Fragen an mich haben, Sie finden mich in meinem Büro.”
„Eine Frage hätte ich tatsächlich noch, bevor Sie gehen. Sagen Sie, wie war es denn überhaupt möglich, dass im Museum eingebrochen wurde?”
„Wir haben natürlich auch die anderen beiden Nachtwächter befragt. Sie arbeiten jeweils zu dritt, weil das Museum so groß ist. Aber irgendwie ist es dem Einbrecher gelungen, sich an den beiden vorbeizuschleichen. Es wäre denkbar, dass er während der Öffnungszeiten hereingekommen ist und sich versteckt hat, als geschlossen wurde. Und dann hat er offensichtlich den Schlüsselbund des Nachtwächters entwendet. Den Schlüsselbund haben wir übrigens wiedergefunden, er lag hier auf dem Boden.”
„Hmm … das heißt vermutlich, dass der Dieb nicht an weiteren Kunstschätzen interessiert war. Sonst hätte er sicher auch den goldenen Schmuck mitgenommen, der dort vorn lagert.” Eliott deutete auf eines der Regale.
„Ja, das sehe ich auch so. Möglicherweise hatte er einen Auftraggeber, dem es gezielt um diese Artefakte aus Ägypten ging.”
„Hat Ihre Stiftung – der
Egypt Exploration Fund –
irgendwelche Feinde, Mister Thompson? Oder gibt es vielleicht jemanden, der dem Museum möglicherweise schaden möchte?”
Der Direktor strich sich über den Bart. „Nein, nicht dass ich wüsste, in beiden Fällen.”
„Natürlich gibt es andere Ausgrabungsgesellschaften, auch aus anderen Ländern, die ebenfalls ein starkes Interesse an solchen Artefakten haben”, warf Huntington ein. „Das ist ja auch nicht weiter verwunderlich. Aber ich denke, von direkten Feinden kann keine Rede sein.”
„Ich verstehe. Und wer hat denn generell Interesse an solchen Kunstschätzen, abgesehen von Museen, meine ich?”, erkundigte sich Eliott.
„Nun, natürlich gibt es auch eine Menge Sammler, meistens sehr wohlhabende, gebildete Leute”, erklärte der Direktor. „Sie glauben gar nicht, wie viele Antiquitäten in Privatbesitz sind, ob nun rechtmäßig oder nicht.”
Eliott strich sich nachdenklich über seinen Schnurrbart. „Also, die entwendeten Artefakte sind Eigentum der Krone?”
„Das ist richtig”, bestätigte der Direktor.
„Wäre es dann nicht denkbar, eine Art öffentliche Fahndung zu machen, mit diesen Zeichnungen? Würden die Gegenstände zum Beispiel in einer Privatsammlung auftauchen, könnte man sie auf diese Weise wiederfinden, oder nicht?”
„Nun, wie gesagt, wir würden die Presse gern heraushalten, wenn es auch anders geht. Das zweite Problem, das ich dabei sehe ist, dass manche Sammler ihre Schätze gar nicht öffentlich zur Schau stellen, sondern sich einfach quasi im stillen Kämmerlein daran erfreuen. Was ja bei gestohlenen Gegenständen ohnehin mehr Sinn machen würde … ich meine, falls diese Artefakte überhaupt im Auftrag eines Sammlers gestohlen wurden.”
„Ah. Danke für Ihre Ausführungen, Sir. Dann möchte ich Sie nicht länger von der Arbeit abhalten.”
Mister Thompson verabschiedete sich und verließ das Lager.
Der Archäologe arbeitete kurz darauf schweigend und konzentriert an einem anderen Tisch, wo er sich einigen alten Scherben widmete, während Eliott das Lager nach verdächtigen Spuren durchsuchte. Das war alles andere als leicht, denn zum einen hatte der weitläufige Raum fast die Größe eines Theatersaals, zum anderen hatte Eliott keinen blassen Schimmer, wonach er eigentlich genau suchen sollte.
Der Boden des Lagers war sauber, offensichtlich wurde hier oft Staub gefegt.
Nach drei Stunden hatte er noch immer nichts gefunden, was irgendwie verdächtig gewesen wäre. Mister Huntington bot ihm einen Tee an, ein Angebot, dass er nur allzu gern annahm, da er allmählich Durst verspürte.
„Kennen Sie eigentlich Mister Goldstein näher?”, erkundigte sich Eliott, als sie beide über den dampfenden Tassen saßen, die vor ihnen auf einem weiteren Tisch standen.
„Ja, wir sind uns 1885 das erste Mal begegnet, auf einer Expeditionsreise in den Sudan.”
„Ach, tatsächlich? Da haben Sie ja gewiss einiges erlebt.” Eliott zögerte. Goldstein hatte jene Reise in den Sudan ebenfalls erwähnt. Dort hatte er offenbar einiges erlebt, das mit übernatürlichen Dingen
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zusammenhing, zumindest hatte er etwas in der Richtung angedeutet, ebenso wie zwei ehemalige Söldnerinnen, die ebenfalls auf dieser Reise gewesen waren und später mit Fiona O’Reilly darüber gesprochen hatten. Allerdings wusste Eliott nicht, ob dieser Archäologe ebenfalls von jenen übernatürlichen Dingen Kenntnis erlangt hatte.
„Ja, in der Tat, es war eine recht abenteuerliche Reise”, erwiderte Mister Huntington. Er trank seinen Tee aus und stellte die Tasse mit einem leichten Scheppern ab. „Ich werde mich mal wieder an die Arbeit machen”, sagte er nun mit einem höflichen Lächeln.
„Das werde ich auch tun”, erwiderte Eliott.
Er sah sich überall um. Verschob einzelne Objekte in den Regalen. Stellte sie wieder an ihren Platz. Schaute sich die Regalböden an, ob er dort Abdrücke fand, die nicht zu den Objekten passten. Das alles dauerte angesichts der Größe des Raumes eine ganze Weile. Nichts zu finden. Die Regale wurden offensichtlich gut gepflegt, denn Staub suchte er hier vergebens. Mittlerweile knurrte ihm der Magen, aber er ignorierte es und forschte weiter.
Vielleicht war es gut, auch einmal unter den Regalen nachzusehen. Deren unterste Böden standen nicht direkt auf dem Boden, sondern wurden von kleinen Holzbeinen getragen. Also kniete er sich bei jedem einzelnen nieder und wischte mit der Hand unter dem Regalboden entlang. Einfach nur darunter zu schauen, machte keinen Sinn, denn durch den Schatten war es zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen. Das einzige, was er zunächst erreichte, war eine staubige Hand. Aber so schnell wollte er sich nicht geschlagen geben.
Als er sich das Regal vornahm, was sich auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches befand, auf dem die gestohlenen Gegenstände gelagert gewesen waren, stutzte er. Er fühlte ein dünnes Papier und beförderte es zutage. Eine Visitenkarte, wie es schien. Darauf las er die folgenden Zeilen:
Sébastien A. Dubois
Rue de la Rochefoucauld 14
9. Arrondissement, Paris
„Sehen Sie einmal, Mister Huntington”, wandte er sich an den Archäologen. Dieser legte den Pinsel beiseite, mit dem er gerade eine Scherbe vom Dreck reinigte.
„Haben Sie das hier verloren? Oder ein Kollege von Ihnen?”
Huntington beugte sich über die Karte. Nach kurzer Zeit schüttelte er den Kopf. „Nein, die gehört mir nicht. Also, denkbar wäre es schon, dass sie ein Kollege hier verloren hat. Und dann ist sie wohl unter das Regal gerutscht. Ich werde mich einmal umhören.”
„Es wäre allerdings auch denkbar, dass der Dieb sie verloren hat”, überlegte Eliott laut. „Auch die Position des Regals spricht dafür.”
„Wenn dem so wäre … ich wundere mich, dass es ausgerechnet eine Pariser Adresse ist. Aber dafür gibt es sicherlich eine Erklärung.”
„Der Name sagt Ihnen nichts?”
Huntington strich sich einen Moment lang übers Kinn und zog die Augenbrauen zusammen. „Nein.”
„Wie wäre es, wir verbleiben wie folgt – Sie fragen bei Ihren Kollegen nach, ob die Karte jemandem von denen gehört. Und falls nicht – vielleicht ist es eine Spur. Möglicherweise hat der Dieb irgendeine Verbindung zu dem Herrn, der diese Visitenkarte hat drucken lassen.”
Mister Huntington runzelte die Stirn. „Sie meinen, es könnte sein Auftraggeber sein?”
„Ich weiß es nicht. Es wäre denkbar. Aber es könnte auch etwas ganz anderes bedeuten. Nehmen wir einmal an, es war tatsächlich der Dieb, der die Karte hier verloren hat. Möglicherweise ist dieser Sébastien Dubois tatsächlich solch ein privater Sammler, wie die, von denen Ihr Direktor vorhin sprach. Aber es könnte natürlich auch irgendein Bekannter des Diebes sein, der gar nichts mit dem Diebstahl zu tun hat.”
„Mir kam gerade noch ein anderer Gedanke. Wenn der Dieb diese Karte hier verloren hat und sie ihn zu seinem Auftraggeber führt – wie soll er diesen dann wiederfinden?”
Eliott überlegte. „Nun, falls dieser Mann in Paris bekannt ist, könnte er dort herumfragen. Oder vielleicht hat der Dieb die Adresse ja auch noch anderswo vermerkt. Vielleicht gab es auch einen Briefverkehr zwischen den beiden oder noch andere Formen des Austauschs. Aber das alles ist reine Spekulation von mir.”
„Gut, dann werde ich hier erst einmal Erkundigungen einziehen. Ich melde mich auf jeden Fall bei Ihnen. Was sind wir Ihnen schuldig?”
Eliott winkte ab. „Nun, bis auf die Karte habe ich nichts gefunden, was in dieser Angelegenheit vielleicht hilfreich sein könnte. Lassen Sie uns erst einmal abwarten, ob Sie meine Dienste noch weiter in Anspruch nehmen wollen und dann setze ich mich gegebenenfalls später wegen des Honorars mit Ihrem Direktor in Verbindung.”
Huntington nickte. „In Ordnung.”
Eliott wies auf den hinteren Teil des Raumes. „Soll ich dort hinten noch weitersuchen?”
„Nein, vielen Dank, ich werde das nachher noch machen, wenn ich diese Scherben hier katalogisiert habe. Wir haben hier ja gestern schon geschaut, aber auf die Idee, unter den Regalböden nachzusehen, sind wir nicht gekommen, wie ich zugeben muss. Ich werde nicht warten, bis alle meine Kollegen wieder hier sind, sondern ihnen Nachrichten zukommen lassen, wegen der Visitenkarte. Und ich werde auch mit dem Direktor noch einmal sprechen und ihm von dem Fund berichten.”
„Ja, das ist eine gute Idee”, stimmte Eliott ihm zu.
Nachdenklich verließ er kurz darauf das Museum. Vermutlich führte diese Karte nirgends wohin und er hatte umsonst so viel Zeit aufgewendet. Vielleicht hatte sie einer von Huntingtons Kollegen schon vor Wochen oder Monaten im Lager verloren und sie war dort unter das Regal gerutscht.
Einen anderen möglichen Hinweis auf den Dieb hatte er nicht entdeckt. Eliott seufzte. Es wäre nicht der erste Fall, den er nicht lösen konnte. Vor mehreren Jahren hatte er in New York seine Arbeit als Polizist an den Nagel gehängt und war hierhergezogen. Nun lebte er schon seit längerem in Whitechapel und war als Privatdetektiv tätig – mal mehr, mal weniger erfolgreich.
In den vergangenen zwei Jahren war er allerdings in allerhand übernatürliche Ereignisse verwickelt worden und sein Bekannter Lord Victor Berlington hatte anschließend den Plan bekannt gegeben, eine Geisterjäger-Agentur gründen zu wollen. Zurzeit war Victor noch mit seinem Lebensgefährten Alec in Paris, doch nach ihrer Rückkehr wollten sie sich um die Agentur kümmern. Eliott hatte Victor schon vorab seine Unterstützung zugesichert, gerade weil ihm alles Übernatürliche noch immer reichlich suspekt war. Sicherlich würde Victor Hilfe brauchen können und Eliott war gespannt, was aus dessen Plänen werden würde.
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Was dort passiert ist, kann man in „Der Stern des Seth” nachlesen