1Triumph in Tunis (1535) – Scheitern vor Algier (1541)
Kaiser und Kalif kämpfen um das Mittelmeer

»Barbarrossa vereinbarte mit denen, die sich heimlich für eine solche Nacht bewaffnet hatten, dass er mit dem König [von Algier] allein sprechen würde, wie er es früher schon getan habe. Dabei wolle er ihn umarmen und erdolchen, während seine bewaffneten Begleiter alle niedermachen sollten, die vom Lärm alarmiert würden. Gesagt, getan. Als Barbarrossa den König aufsuchte, fand er ihn allein und völlig arglos, tötete ihn rasch und schlug seinen Kopf ab. Die herbeieilenden Wächter wurden alle niedergemacht und der Rest der Bewaffneten bemächtigte sich der ganzen Stadt. Auf diese Art also beseitigte er den unglückseligen König von Algier, der wegen seiner Treue zu König Ferdinand durch Verrat den Tod fand. Als neuer Tyrann von Algier ließ Barbarrossa sogleich die Wappen und Hoheitszeichen des Königs von Spanien zerstören, die sich auf sämtlichen wichtigen Plätzen der Stadt befunden hatten.«

Francisco López de Gómara, Los Corsarios Barbarroja1

Am 4. Oktober 1532 verließ Karl V. nach nur zehntägigem Aufenthalt die Stadt Wien und reiste über Tirol nach Italien. Der Kaiser hatte es eilig, das ungeliebte Land der Häretiker hinter sich zu lassen und nach vier Jahren endlich in seine spanische Heimat zurückkehren zu können. Die vielfach erwartete finale Schlacht mit dem islamischen Gegenkaiser hatte nicht stattgefunden. Offiziell durften sich am Ende beide Kontrahenten als Sieger fühlen, und wenigstens Süleyman feierte nach der Rückkehr in seine Hauptstadt den vorgeblichen Erfolg über die »Ungläubigen« mit einem fünftägigen, durch Feuerwerke illuminierten Fest.2

Der Kaiser konnte immerhin gewiss sein, dass sein großer moslemischer Rivale vorerst keinen weiteren militärischen Kraftakt gegen das Reich unternehmen würde. Auch Süleyman hatte seine Last mit Glaubensdissidenten, die er in seinem Reich nicht tolerieren wollte. Immer deutlicher zeichnete sich inzwischen für die »Hohe Pforte« eine neuerliche Konfrontation mit den iranischen Safawiden ab, deren fortgesetzte Unterstützung schiitischer »Häretiker« in Anatolien für den Sultan und Führer aller Rechtgläubigen nicht mehr länger hinnehmbar war.

Karl konnte mit dem vor Wien Erreichten nicht zufrieden sein. Als höchster Fürst der Christenheit, der fast die Hälfte Europas und einen riesigen Teil der Neuen Welt beherrschte, der als Erbe der Burgunderherzöge und Großmeister des Ordens vom Goldenen Vlies einst ein feierliches Kreuzzugsgelübde abgelegt hatte, war er vor dem hohen Wagnis einer großen Schlacht zurückgeschreckt. Ein wirklicher Kreuzzug gegen den »Türken« war mit den Franzosen und Protestanten im Rücken freilich auf absehbare Zeit kaum denkbar, zumal dem Kaiser die Kontrolle nun auch an einer anderen Front zu entgleiten drohte.

Seit Jahrhunderten war das Mittelmeer, selbst nach dem Ende der Kreuzfahrerstaaten in der Levante, das Mare nostrum der lateinischen Christenheit gewesen. Noch lange nach dem Fall von Akkon (1291) hatten Venedig und der Johanniter-Orden die Inseln Rhodos, Zypern und Kreta behaupten können und mit ihren Flotten die Expansionspläne der Sultane mehr als einmal durchkreuzt. Inzwischen aber drohte die traditionelle Dominanz der Lateiner im Mittelmeer, ohne die auch ein großer Kreuzzug kaum möglich war, verloren zu gehen. Der Verlust von Rhodos war bereits eine Katastrophe gewesen, aber zu einem noch größeren Problem hatten sich inzwischen die ständigen Kaperfahrten moslemischer Piraten im westlichen Mittelmeer entwickelt. Seit der Vertreibung der Mauren aus Spanien terrorisierten Piratenflotten aus Algier, Tunis und anderen Schlupfwinkeln der nordafrikanischen Küste, oft angeleitet von maurischen Exilspaniern, die christliche Seefahrt. Die moslemischen Piraten plünderten die unbefestigten Hafenstädte Andalusiens, Siziliens und der Balearen, zerstörten Kirchen und verschleppten jedes Jahr Tausende von Menschen auf die Sklavenmärkte des Orients. Vor allem der Name Chaireddin Barbarossa verbreitete unter den christlichen Küstenbewohnern des westlichen Mittelmeers Angst und Schrecken. Seit seinem ersten Auftreten in den Gewässern Nordwestafrikas hatte der aus Lesbos stammende Renegat mit dem markanten roten Bart und einem wilden Hass auf alle Christen sich einen Namen als mordgieriger Unhold gemacht. Der Sohn eines Sipahis und einer Griechin besaß taktisches Geschick und außergewöhnliches nautisches Talent, was seine Schiffe zu einem ebenbürtigen Gegner der spanischen Kriegsflotte machte.

Sein spektakulärer Sieg über ein spanisches Geschwader unter Admiral Rodrigo de Portuondo vor der Küste der Baleareninsel Formentera hatte im Herbst 1529 abermals die chronische Unterlegenheit der christlichen Seefahrer gegenüber den geschickt und verwegen agierenden Piraten offengelegt. Es war ausgerechnet jenes Geschwader, das zuvor Karl V. zu seiner Kaiserkrönung nach Italien gebracht hatte.

Portuondos demütigendes Desaster sollte der Auftakt zu einer völlig neuen Phase des habsburgisch-osmanischen Seekrieges zwischen Gibraltar und der Straße von Messina werden. Jahrelang hatte Barbarossa als erfolgreicher Freibeuter sein Unwesen entlang der Küsten des westlichen Mittelmeeres auf eigene Rechnung getrieben und Gesetzlose aus ganz Europa unter seinen Segeln versammelt. Er wusste jedoch, dass seine wenigen Schiffe im Kampf gegen ein maritimes Weltreich wie Spanien, das inzwischen auch über die Goldschätze Perus verfügen konnte, auf Dauer unterliegen mussten. Zudem musste der Pirat künftig in seinen Gewässern mit einem taktisch gleichrangigen Widersacher rechnen. Denn dem Kaiser war es inzwischen gelungen, sich der Dienste des wohl renommiertesten Admirals seiner Zeit, des Genuesen Andrea Doria, zu versichern. Der damals schon in seinen Sechzigern stehende Italiener war ein Condottiere zur See, der seine Galeeren auf eigene Rechnung unterhielt und bemannte, um sie in den Dienst zahlungskräftiger Potentaten zu stellen. Loyalität zählte bei diesem Geschäft wenig, einzig die Gegnerschaft zu Venedig schien noch eine Konstante im Handeln des Genuesen. Für den französischen König zu kämpfen, bereitete Doria daher ebenso wenig Kopfzerbrechen wie sein Wechsel auf die Seite des Rivalen Ferdinand von Aragón. Zuletzt hatte er sogar gegen Karl V. gekämpft, als er im Sommer 1528 wieder einmal im Auftrag der Franzosen den Hafen von Neapel blockierte. Einzig Dorias überraschender Übertritt ins habsburgische Lager hatte damals die Stadt und das Königreich Sizilien für den Kaiser gerettet.

Unter den veränderten Umständen lag es für Chaireddin Barbarossa nahe, sich ebenfalls der Unterstützung eines mächtigen Herrn zu versichern und sich voll und ganz in den Dienst des Sultans zu stellen. Beide Männer wurden sich schnell einig, denn Süleyman erkannte sofort das Potenzial des Piraten, namhafte Kräfte der Habsburger im westlichen Mittelmeer zu binden. Barbarossa durfte also aus der Hand des Großherrn die algerische Statthalterschaft sowie den Titel eines Admirals der Mittelmeerflotte (Kaputani / doryā) entgegennehmen. Mit den gewaltigen Ressourcen der zweiten Weltmacht hatte er fortan alle Chancen, gegen die Flotten des christlichen Kaisers zu bestehen.

Als Barbarossa im Sommer 1533 mit 14 Galeeren in das Goldene Horn einlief, empfing der Sultan seinen neuen Verbündeten mit einem ausgiebigen Ehrensalut. Für große Feierlichkeiten blieb jedoch nicht viel Zeit. Erst im Vorjahr war es Admiral Doria geglückt, im Auftrag des Kaisers den Hafen von Coron an der Südspitze der Peloponnes zu besetzen. Die Nachricht von dieser handstreichartigen Aktion hatte Süleyman noch während seines Feldzuges in Deutschland erreicht. Ein ähnlich energischer Vorstoß des Genuesen, so musste der Sultan inzwischen befürchten, könnte auch seine Hauptsstadt bedrohen. Eine noch im Herbst 1532 von Süleyman entsandte Flotte aus 60 Galeeren hatte das »Unglück« vorerst nicht rückgängig machen können. Die Festung Coron sollte noch ein weiteres Jahr in christlicher Hand bleiben, ehe sich ihre Besatzung endlich – ohne Aussicht auf Verstärkung – einer überlegenen osmanischen Landstreitmacht ergeben musste. Noch während der Blockade von Coron war unter Barbarossas persönlicher Anleitung im Winter 1533 / 34 in den Werften von Konstantinopel eine gewaltige Kriegsflotte aus 70 Galeeren entstanden. Jedes der neuen Schiffe wurde von rund 160 meist christlichen Rudersklaven angetrieben und konnte mit 120 Janitscharen bemannt werden.

Die Galeere war während der habsburgisch-osmanischen Seekriege des 16. und 17. Jahrhunderts der von beiden Parteien am häufigsten eingesetzte Schiffstyp. Ihr Ursprung reicht bis in die Antike zurück. Im Gefecht zeichnete sie sich durch eine hohe Beweglichkeit gegenüber den stets von günstigen Winden abhängigen Vollseglern aus, besaß aber nur auf ihrem Bug Platz für ein größeres Geschütz (Kolumbrine) sowie mehrere kleinere Falcones. Sein flacher Kiel erlaubte es dem etwa 40 Meter langen Schiff, mit hoher Fahrt bis dicht an das Ufer zu gelangen. Gerade deshalb war die Galeere für die grassierende Piraterie der ideale Schiffstyp, erforderte jedoch ständig eine hohe Zahl von Ruderern. Anfangs fanden sich für diese in jeder Hinsicht strapaziöse Tätigkeit unter extrem beengten Verhältnissen noch Freiwillige, deren Zahl durch Häftlinge ergänzt werden musste. Später aber gelangten bei allen Kriegsparteien immer häufiger Gefangene auf die sich mit fürchterlicher Geschwindigkeit durch Seuchen jeder Art leerenden Ruderbänke, was christliche wie moslemische Flotten zu ausgedehnten Menschenjagden entlang der feindlichen Küsten zwang.

Der neue Admiral des Sultans hatte den Winter am Bosporus gut genutzt. Mit großzügigen Vollmachten und neuer Armada verließ Barbarossa im Mai 1534 das festlich beflaggte Konstantinopel und nahm Kurs nach Westen zu einer ausgedehnten Raubfahrt entlang der kalabrischen und neapolitanischen Küsten. Bis hinauf nach Ostia gelangten seine Schiffe, und die verängstigten Bewohner Roms stellten sich bereits auf das Schlimmste ein. Andrea Doria verblieb mit seinem unterlegenen Geschwader nur die wenig ehrenvolle Rolle des Beobachters. So schnell, wie der verwegene Pirat vor den Küsten Italiens erschienen war, so schnell verschwand Barbarossa auch wieder von der Bildfläche, stahl sich unbemerkt mit seiner Armada an Sizilien vorbei, um sich sodann seinem tatsächlichen Ziel zu nähern. Am 16. August 1534 durchbrach Barbarossa mit seinen Schiffen den Kanal von La Golleta und ließ sie im See von Tunis ankern. Die gewaltige Flotte vor seinen Toren nahm dem lokalen arabischen Potentaten jede Wahl. Mitsamt dem wichtigen Binnenhafen übergab er seine Stadt kampflos an die gefährlichen Ankömmlinge. Für die christliche Seefahrt war es ein Paukenschlag.

Mit seinem Coup hatte der erste Admiral des Sultans eine Schlüsselposition am Ausgang zum westlichen Mittelmeer in seine Hand bekommen. Von Tunis aus bedrohte die osmanische Flotte unmittelbar das nur 160 Kilometer entfernte Sizilien. Eine zweite moslemische Invasion der Insel, die sich schon einmal für Jahrhunderte im Besitz der Araber befunden hatte, war mit einem Mal wieder möglich geworden.

Barbarossas kühner Handstreich gegen Tunis drohte auch einen anderen Schachzug des Kaisers wettzumachen. Bereits im Jahre 1530 hatte Karl V. den sieben Jahre zuvor aus Rhodos vertriebenen Johannitern die maltesische Inselgruppe als neuen Stützpunkt überlassen. Kaum ein Platz hätte für die Ambitionen des Ritterordens und für des Kaisers maritime Ziele geeigneter sein können. Die Felseninseln südlich von Sizilien blockierten den Zugang zum westlichen Mittelmeer und schienen wie geschaffen als Flottenbasis für eine lukrative Jagd auf die osmanische Seefahrt zwischen Griechenland und der Küste Ägyptens. Dass sich die christlichen Ritter dabei derselben brutalen Methoden wie ihre moslemischen Erzfeinde bedienten und rücksichtslos Jagd auf Menschen und Beute machten, störte den allerkatholischsten Kaiser nicht im Geringsten.

Mit Barbarossas Coup in Tunis drohte die bislang ausgeglichene Lage im westlichen Mittelmeer zu kippen. Als der Pirat sogar einen Unterhändler des Kaisers, der ihm im Falle einer Konvertierung zum Katholizismus dieselben Privilegien wie Süleyman anbieten sollte, einfach hatte umbringen lassen, schien Karl die Zeit reif für einen großen Gegenschlag.3 Schon rührte sich mit Franz I. von Frankreich ein nur mühsam befriedeter Rivale im Rücken des Kaisers. Der Valois wollte seine Ansprüche auf das umstrittene Herzogtum Mailand, das er schon einmal als junger Herrscher erobert und wieder verloren hatte, nicht aufgegeben.

Karl V. musste Tunis unter allen Umständen zurückerobern, ehe der Franzose erneut die Waffen gegen ihn erheben konnte. Zum Entsetzen des Erzbischofs von Toledo, Juan de Tavera, war der Kaiser sogar entschlossen, seine Truppen beim Sturm auf die Stadt persönlich anzuführen.

In allen Häfen von Barcelona bis Neapel sammelten sich seit dem Winter 1534 / 35 in großer Zahl Truppen und Schiffe. Außer Spanien stellten der Vizekönig von Neapel und Sizilien, Admiral Doria, der Papst sowie die maltesischen Ritter Kontingente. Die gewaltige Summe von mehr als einer Million Golddukaten, die Karl für seinen Feldzug aufbringen musste, stammte größtenteils aus dem Lösegeld, dass Francisco Pizarro, der Eroberer Perus, dem gefangenen Inkakönig Atahualpa abgepresst hatte. Skrupel hinsichtlich der anrüchigen Herkunft des Geldes bestanden nicht. Patriotische Spanier wie Gaspar de Espinosa, ein ehemaliger Kampfgefährte Pizarros, betrachteten die unverhoffte Summe aus Südamerika als Gottesgeschenk für die heilige Sache im Kampf gegen Türken, Luther und andere Feinde des wahren Glaubens.4

Mit 74 Galeeren, 300 Segelschiffen und insgesamt 30 000 Mann machte sich die kaiserliche Flotte am 14. Juni 1535 von Sardinien aus auf ihren Weg. Auch für seinen politischen Nachruhm hatte Karl besondere Vorsorge getroffen. An Bord seines beeindruckenden Geschwaders befanden sich der spanische Dichter Garcilaso de la Vega und der niederländische Maler Jan Cornelisz Vermeyen. Nach dessen Entwürfen wurden die heute im Wiener Stadtmuseum gezeigten Gobelins angefertigt, die den Tunisfeldzug des Kaisers illustrieren.5

Innerhalb nur eines Tages erreichte das Expeditionskorps die nordafrikanische Küste. Vor den Seeleuten, Kanonieren und Soldaten lagen die Ruinen des antiken Karthago, und mancher der Ankömmlinge dürfte sich gefragt haben, ob man sich tatsächlich auf den Spuren der beiden Scipionen befand. Nicht weit entfernt lag die Festung von La Golleta, die den von zwei Landzungen gebildeten Kanal zum See von Tunis beherrschte. Hier musste ein Durchbruch erfolgen, ehe man sich dem Hauptziel überhaupt nähern konnte. In den folgenden vier Wochen schufteten die Sappeure und die Geschützmeister des Kaisers in brütender Hitze, um sich an die Mauern des Bollwerks Meter für Meter heranzuarbeiten. Der massive Beschuss aller Schiffsgeschütze hielt währenddessen die gegnerische Artillerie nieder. Am 14. Juli glaubten sich die Belagerer endlich am Ziel. Nach nochmaliger zehnstündiger Beschießung war kurz nach Mittag eine Bresche in die Mauer gerissen und Karls Truppen konnten die Festung mit nur geringen Verlusten stürmen. Der Kaiser hielt sich mit einer Lanze in der Hand mitten unter seinen Soldaten auf und wich an diesem Tag keiner Gefahr aus.6 Der Widerstand war freilich nicht mehr groß. Den Angreifern gelang der Einbruch in die Festung schon beim ersten Sturm, während die aus 5000 Osmanen bestehende Besatzung sich größtenteils nach Tunis zurückziehen konnte. Barbarossa saß nun mit seiner gesamten im See von Tunis ankernden Flotte in der Falle.

In der Euphorie über seinen Erfolg schloss sich der Kaiser während eines Kriegsrates nicht der Empfehlung seiner militärischen Ratgeber an, sich mit dem Erreichten zufriedenzugeben und Tunis nur unter ständiger Blockade zu halten. Karl hingegen entschied sich dafür, jetzt den Angriff auf die Stadt selbst zu wagen, und fand mit diesem Plan auch den Beifall seiner Truppen. Während seine Soldaten die Aussicht auf eine Plünderung der Stadt animierte, fürchtete der Kaiser, dass er einen nur halben Sieg der Bevölkerung in Spanien und Sizilien kaum als den lang ersehnten Triumph über den gefährlichsten Piraten des Sultans würde darstellen können. Auf keinen Fall durfte der Unhold Barbarossa auf freiem Fuß bleiben. Viel Zeit blieb Karl jedoch nicht. Extremer Wassermangel hatte seinen Truppen seit Beginn der Landung zu schaffen gemacht und Krankheiten begannen bereits, die Reihen des christlichen Heeres zu lichten. Als sich in dieser Not ortskundige Einheimische bereit erklärten, Karls Truppen zu einer Süßwasserquelle in der Nähe der Stadt zu führen, trat die Operation in ihre entscheidende Phase. Barbarossa hatte die rettende Quelle bereits mit seinen Truppen besetzt, als sich die Kaiserlichen gegen Mittag ihrem Ziel näherten. Angeblich hatte der Admiral des Sultans 12 000 Reiter und 14 000 Bogenschützen gegen die Ankömmlinge versammelt, wie Karl in einem Brief an seine Schwester (Maria von Ungarn) behauptete. »Wir starben vor Hitze und hätten uns auch für weniger Wichtiges geschlagen«, berichtete der Kaiser weiter. Nach kurzer Umgruppierung griffen die Kaiserlichen den Gegner mit allem Furor an und eroberten nicht nur den Brunnen, sondern auch einen Teil der gegnerischen Artillerie. Barbarossa versuchte noch einmal, Karls Nachhut anzugreifen, konnte aber nichts mehr ausrichten und zog sich daraufhin endgültig zurück. Der Kaiser räumte gegenüber seiner Schwester ein, dass der Sieg durchaus nicht hart erkämpft werden musste, denn der Gegner hatte die Schlacht keineswegs mit äußerster Entschlossenheit geführt, während seine Leute alle halb tot vor Durst und Hitze waren und er nur wenige Reiterabteilungen mit sich geführt hatte.7

Nach der verlorenen Schlacht am Brunnen entglitten Barbarossa die Dinge vollends. Während seiner Abwesenheit war in der Burg von Tunis überraschend eine Sklavenrevolte ausgebrochen. Etwa 100 Mameluken der Bewachungsmannschaft hatten inzwischen den Entschluss gefasst, die in der Burg eingekerkerten Europäer, angeblich 15 000 Menschen, zu befreien, wenn ihnen der Kaiser dafür freien Abzug mit all ihren Besitztümern gewährte. Das wurde zugesagt und das Versprechen später von Karl offenbar auch gehalten. Unter den Sklaven herrschte der Mut der Verzweiflung, denn der für seine Grausamkeit berüchtigte Barbarossa hatte ihnen allen für den Fall seiner Niederlage mit dem Tod gedroht. Innerhalb kürzester Zeit war die gesamte Burg in ihrer Hand und der nicht eingeweihte Rest der Besatzung niedergemacht. Als der besiegte Pirat mit dem Rest seiner Truppen vor den Toren erschien, gerieten sie in das Feuer ihrer eigenen Geschütze und flohen. Noch ehe die rasch heranrückenden Kaiserlichen durch die Tore in die Stadt gelangen konnten, hatten die befreiten Europäer schon mit der Plünderung der Hinterlassenschaften der Osmanen begonnen.8 Barbarossa hingegen glückte es, mit einigen Hundert Getreuen zur Küste bei Bona zu gelangen. Dass er von dort mit einigen in Reserve gehaltenen Schiffen nach Algier entweichen konnte, war gewiss ein Wermutstropfen in der stolzen kaiserlichen Erfolgsbilanz.

Eroberung der Festung Goleta am 14. Juli 1535. Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä.

Immerhin waren alle mithilfe des Sultans soeben erst gebauten Galeeren verloren. Karls Triumph schien vollständig und wurde nach den Maßstäben seiner Zeit auch nicht durch die Plünderungsexzesse seiner Soldaten überschattet, denen angeblich 30 000 Bewohner von Tunis zum Opfer gefallen sein sollen. Der Kaiser hatte jene Stadt erobert, vor der zweieinhalb Jahrhunderte zuvor Frankreichs bedeutenster mittelalterlicher Herrscher und zweimaliger Kreuzfahrer, König Ludwig IX., genannt der »Heilige«, den Tod gefunden hatte. Jetzt zeigten eiserne Kanonenkugeln mit dem Signum Franz I., die man in den Trümmern von La Golleta gefunden hatte, wie weit sich Frankreich und dessen Herrscher inzwischen vom alten europäischen Kreuzzugsgedanken entfernt hatten.

Am 22. August 1535 landete der siegreiche Kaiser im sizilianischen Trapani und ließ sich in den Städten der Insel als »Vorkämpfer Europas über Afrika und Asien« feiern.9 Die Huldigungen, Salutschüsse und feierlichen Prozessionen setzten sich mit unvermindeter Begeisterung auch auf dem italienischen Festland fort und erreichten ihren Höhepunkt in Neapel, das Karl am 25. November durch die Porta Capuana zum ersten Mal betrat. Die gesamte Götterwelt der heidnischen Antike hatten die Stadtväter in überlebensgroßen Figuren aufgeboten, um den Sieg des allerkatholischsten Kaisers über den damals schlimmsten Feind der Christenheit zu feiern.10

Die gern geglaubten Gerüchte, dass der Geschlagene von Tunis auf seiner Flucht umgekommen sei, widerlegte Barbarossa allerdings auf seine Art. Voller Rachedurst war er schon Anfang Oktober 1535 mit 15 Galeeren in den Hafen von Mahón auf Menorca eingelaufen, hatte unter Täuschung der an den Kais versammelten Menge eine vor Anker liegende portugiesische Karavelle gekapert und im Anschluss die völlig überraschte Stadt geplündert. 1800 Inselbewohner mussten den Weg in die Sklaverei antreten.11 Gegen Ende des Jahres machte sich der Totgeglaubte wieder auf den Weg nach Konstantinopel, wo der Empfang durch den Sultan zwar gedämpfter als im Vorjahr ausfiel. Doch Süleyman verzieh seinem besten Admiral großmütig den Verlust seiner Flotte und befahl, eine neue zu bauen.

Karls Triumphzug durch die Städte seines sizilianisch-süditalienischen Königreiches hatte sich als verfrüht erwiesen. Schon im Frühjahr 1536 kehrte Barbarossa mit neuen Schiffen nach Italien zurück und verheerte die Küstenregionen Apuliens. Schlimmer noch war für Karl, dass die politische Annäherung zwischen Frankreich und der »Hohen Pforte« nunmehr konkrete Formen annahm. Noch im selben Jahr schlossen Süleyman und Franz I. ein Abkommen, das dem französischen Handel in der Levante dieselben Vergünstigungen bot, die den Franzosen zuvor auch die Mameluken eingeräumt hatten und das Frankreichs Kaufleute sogar mit den Venezianern gleichstellte. Franzosen im Reich des Sultans genossen fortan mitsamt ihrem Eigentum den diplomatischen Schutz der damals erstmals in Konstantinopel eingerichteten ständigen Vertretung einer christlichen Macht.12 In militärischer Hinsicht war sogar von einer gemeinsamen Zangenoperation beider Mächte gegen Italien und Rom die Rede. Papst Paul III. war auf das Höchste alarmiert und bemühte sich, eine antiosmanische Koalition (»Heilige Liga«) mit Genua und den Ländern der spanischen Krone zusammenzubringen. Ihr sollte auch Venedig beitreten, das als Handelsmacht mit vitalen Interessen in der Levante einer militärischen Konfrontation mit dem Sultan bisher aus dem Weg gegangen war. Seit dem nachteiligen Frieden von 1504 hatte die Lagunenstadt mit großem Geschick, üppigen Bestechungen und ihrer Bereitwilligkeit, gelegentliche Demütigungen lächelnd hinzunehmen, ihre Neutralität zwischen den verfeindeten Blöcken bewahren können. Mit der auf Befehl des Sultans erfolgten Hinrichtung des Großwesirs İbrahim Pascha im März 1536 hatte Venedig jedoch einen wichtigen Fürsprecher an der »Hohen Pforte« verloren. Sogleich nach seiner Untat hatte der Sultan den politischen Druck auf die Lagunenstadt erhöht und schließlich gefordert, dass die Markusrepublik in dem bevorstehenden Krieg gegen Karl und den Papst auf seine Seite treten sollte. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, führte Süleyman im folgenden Jahr persönlich ein großes Heer zur albanischen Küste bei Valona. Von dort ließ er 25 000 Mann zum nahe gelegenen Korfu übersetzen, um die auf der Insel erbaute Festung der Venezianer zu stürmen. Zu seinem Verdruss konnte die Besatzung jedoch dem Ansturm widerstehen, und das Heer des Sultans musste nach drei Wochen unverrichteter Dinge wieder von der Insel abziehen.

Venedig blieb nun keine andere Wahl, als sich dem antiosmanischen Bündnis des Papstes anzuschließen. Aus Rache ließ Süleyman die Flotte seines Admirals Zug um Zug die letzten der Serenissma in der Ägäis verbliebenen Inseln besetzten. Als Barbarossa im Juni 1538 während einer Kaperfahrt entlang der Südküste Kretas die Nachricht erhielt, dass sich am Ausgang der Adria eine starke christliche Flotte versammelte, nahm er sogleich Kurs nach Norden. Die Aussicht auf einen Kampf mit einem gleichwertigen Gegner war nicht ohne Reiz. Zu spät wurde Barbarossa jedoch klar, dass er es tatsächlich mit einem weit überlegenen Feind zu tun hatte. Vorsichtshalber zog er sich mit seiner Flotte aus 90 Galeeren in den Hafen von Preveza an der Westküste Griechenlands zurück. In der Hafenstadt am Eingang des Ambrakischen Golfes fühlte er sich im Schutze der beiderseits der Einfahrt zur Bucht in Stellung gebrachten schweren Kanonen vor einem Überraschungsangriff der Verbündeten sicher. Barbarossa kalkulierte, dass die Flotte der »Heiligen Liga«, die immerhin fast 140 Galeeren gegen ihn aufgeboten hatte, ihre Blockade nicht über das Ende des Sommers hinaus fortsetzen konnte. So wartete der erste Admiral des Sultans geduldig darauf, dass die gegnerischen Geschwader sich wieder trennten, und knüpfte inzwischen Kontakte zu Admiral Doria. Offen bleibt, ob Barbarossa dabei die Sorge umtrieb, im Dienste des Sultans am Ende dasselbe Schicksal wie Großwesir İbrahim Pascha zu erleiden, der Süleyman zu mächtig geworden war, oder ob er einfach nur den Gegner in die Irre führen wollte. Der Genuese zeigte sich jedenfalls Verhandlungen nicht abgeneigt und offerierte dem fanatischen Christenfeind im Auftrag des Kaisers erneut eine Besitzstandsgarantie für den Fall eines Seitenwechsels. Die Verhandlungen kamen jedoch nicht weiter, da Barbarossa auch die Überlassung von Tunis forderte, was freilich für Karl eine rote Linie war.13

So ging die ergebnislose Blockade vorerst weiter. Ende September entschloss sich Doria, der als Genuese den verbündeten Venezianern seit jeher misstraute, auf eigene Faust mit seinen 49 Schiffen wieder abzusegeln. Sein Argument gegenüber den empörten Alliierten, er wolle den gefährlichen Herbststürmen aus dem Weg gehen, war mehr als dürftig. Genau in diesem kritischen Moment schlug Barbarossa zu. Die vor Preveza verbliebenen Schiffe der Venezianer und des Papstes waren weit auseinandergezogen und ohne energische Führung zu keinem koordinierten Widerstand gegen Barbarossas plötzlich vorstoßende Geschwader fähig. Zwar machte Doria, als er den Geschützlärm in seinem Rücken hörte, sofort kehrt, konnte aber dem Geschehen keine Wende mehr geben.

Die »Heilige Liga« verlor in der Schlacht vom 27. September zwölf Schiffe, von denen die meisten zur Flotte der Venezianer gehört hatten. Die Niederlage vor Preveza verursachte bittere Klagen der Serenissima gegen den angeblich verräterischen Doria. Der Sultan und Barbarossa durften den Tag jedoch als großen Erfolg feiern. Beide hatten die Psychologie auf ihrer Seite, denn die glücklose Allianz der »Heiligen Liga« zerfiel schon kurz nach dem deprimierenden Rückschlag. Venedig schloss im folgenden Jahr einen weiteren ungünstigen Frieden mit der »Hohen Pforte« ab, während der Kaiser sich wieder seinen alten Problemen mit Frankreich und den deutschen Reichsständen zuwenden musste. Schon nach dem Tod Francesco Sforzas im November 1535 hatte König Franz I. seine Ansprüche auf das zum Reich gehörende Herzogtum Mailand erneuert und seine Truppen zur Bekräftigung seiner Forderungen das benachbarte Savoyen mit Turin besetzen lassen. Karl bemühte sich um einen Kompromiss und bot sogar die Übertragung des umstrittenen lombardischen Herzogtums auf einen der jüngeren Söhne des Valois an, wodurch eine spätere Vereinigung Mailands mit der französischen Krone ausgeschlossen werden sollte. Franz lehnte jedoch ab und versuchte abermals, die protestantischen Reichsstände auf seine Seite zu ziehen. Die Verhandlungen der beiden christlichen Machthaber zogen sich, unterbrochen durch einen ergebnislosen Feldzug des Kaisers in Südfrankreich, ohne Einigung dahin. Obwohl Karl einsehen musste, dass ein wirklicher Friede mit Frankreich zu akzeptablen Bedingungen vorerst nicht erzielt werden konnte, war er unbedingt entschlossen, die Suprematie der osmanischen Flotte im westlichen Mittelmeer durch einen baldigen Gegenschlag zu brechen. Längst hatte Karl eingesehen, dass es ein schweres Versäumnis gewesen war, nach seinem großen Erfolg in Tunis nicht sogleich gegen Barbarossas Hauptquartier gezogen zu sein. Ein erfolgreicher Angriff auf die Piratenhochburg Algier versprach, die Sicherheit der spanischen Küsten wiederherzustellen, und durfte deshalb gewiss auf die Zustimmung der Cortes rechnen. Inzwischen aber war es bereits September und erfahrene Seeleute wie Andrea Doria rieten Karl dringend von einer Flottenoperation in der späten Jahreszeit ab. Ein Vorteil schien allerdings, dass im Herbst nicht mehr mit einer Entsatzflotte des Sultans gerechnet werden musste. Zudem war Algier bei Weitem nicht so stark befestigt wie Tunis, was die Belagerungszeit verkürzen musste. Der Bedarf an Fußtruppen sei daher erheblich geringer, argumentierten die Befürworter, und die Kosten der gesamten Operation ließen sich so in Grenzen halten.14

Von Genua, wo ihn noch die Hiobsbotschaft erreichte, dass sein Bruder Ferdinand die Stadt Ofen endgültig an den Sultan verloren hatte, brach der Kaiser am 27. September 1541 mit 12 000 in Deutschland und Italien angeworbenen Söldnern nach Korsika auf, dem Sammelpunkt seiner Expeditionsstreitmacht. Einschließlich der Truppen aus Spanien gebot Karl über 26 000 Fußsoldaten und 1800 Reiter, als seine Flotte am 20. Oktober vor Algier eintraf. Eine unruhige See verhinderte jedoch zwei Tage lang die Ausschiffung der Truppen. Erst am 23. Oktober besserte sich das Wetter. Immerhin gelangte jetzt die gesamte Infanterie an Land, die sich sogleich gegen heftige Ausfälle aus Algier zur Wehr setzen musste. Die Stadt stand unter dem Befehl des Renegaten Hassan Aga, einem aus Italien stammenden Abenteurer im Dienst Barbarossas. Mit ihrer unzureichenden Befestigung ohne Aussicht auf Verstärkung wäre Algier kaum gegen einen Großangriff zu verteidigen gewesen.

Es kam daher zu ersten Verhandlungen mit den Kaiserlichen und Hassan Aga schien anfangs durchaus zum Seitenwechsel und zur Übergabe der Stadt bereit, überlegte es sich jedoch anders, als am 24. Oktober abends ein ungewöhnlich heftiger Sturm aufzog, der im Laufe der Nacht einen Großteil der Landungsflotte beschädigte oder gar zerstörte.15 Obwohl damit ein erheblicher Teil seiner Artillerie, der Munition und der Vorräte verloren war, zeigte sich Karl zunächst weiter entschlossen, den Angriff auf Algier fortzusetzen. Immer noch waren seine Truppen dem Gegner stark überlegen, und tatsächlich konnten sich am 26. Oktober die Truppen der Johanniter unter Führung von Georg Schilling von Cannstatt am Haupttor festsetzen, wo sie dann aber vergeblich auf das Unterstützungsfeuer der Schiffsgeschütze warteten.16 Als das Unwetter in der folgenden Nacht erneut einsetzte, verlor Karl den Mut und brach das Unternehmen endgültig ab. Mit dem Rest seiner Truppen marschierte er unter Deckung der Johanniter etwa 30 Kilometer die Küste entlang nach Westen zu einer Stelle, wo ihn Admiral Dorias noch intakte Galeeren aufnehmen konnten. Aus Platzmangel mussten jedoch einige Tausend Soldaten an Land zurückbleiben, denen das traurige Los der Sklaverei bevorstand. Ihre wütenden und verzweifelten Rufe dürften Karl noch lange in den Ohren geklungen haben. Es war nach seinem Triumph von Tunis eine unerwartete Demütigung, die der Kaiser gleichwohl gelassen akzeptierte. Man müsse Gott für alles danken, schrieb er eine Woche nach dem Desaster seinem Bruder, und von der göttlichen Güte in Zukunft größeres Glück erhoffen.17 Doch allzu viel schien von seinem Gottvertrauen nach dem Desaster von Algier nicht übrig geblieben zu sein. Jedenfalls sollte Karl nie wieder einen Kriegszug über See wagen.