»Das Abschlachten dauerte noch lange, und die Zahl der Getöteten war so groß, dass die gesamte Donau bis zu dem Punkt, wo ihr Lauf an Schnelligkeit wieder zunahm, damit angefüllt war. Die gesamte Oberfläche des Wassers war mit Kleidungsstücken und der Ausrüstung von Menschen und Pferden bedeckt.«
Tagebuch der Feldzüge des Herzogs Karl V. von Lothringen1
Kaum hatte sich nach dem 12. September 1683 aufseiten der Verbündeten die Gewissheit eingestellt, dass vom Heer des Großwesirs vorerst keine Gefahr mehr ausging, zerbrach innerhalb von Tagen die mühsam bewahrte Einmütigkeit unter ihren führenden Persönlichkeiten. Zunächst hatte Sobieski für Unmut unter den kaiserlichen Generalen gesorgt, als er sich der dringenden Aufforderung Herzog Karls verweigerte, die nach Ungarn fliehenden Osmanen noch in die Nacht hinein zu verfolgen.2 Seine Truppen seien nach Tagen des Marschierens und Kämpfens völlig erschöpft, hatte er den Lothringer wissen lassen. Die Polen hätten lieber das Lager der Türken geplündert, lautete dagegen der Vorwurf der Deutschen, die sich selbst ihre Zurückhaltung beim Beutemachen sehr zugutehielten.
Auch am nächsten Tag unterblieb der erhoffte Aufbruch der polnischen Truppen, da ihr König zum Entsetzen des Lothringers die Gelegenheit nicht verstreichen lassen wollte, als Triumphator in das befreite Wien einzuziehen und sich von der Bevölkerung feiern zu lassen. Kaiser Leopold, der seltsamerweise erst am zweiten Tag nach der Schlacht in seiner glücklich befreiten Residenz eintraf, nahm den Affront mit Gleichmut hin. Schließlich war er auf die Hilfe der Polen angewiesen, um dem Großwesir noch vor Einbruch der schlechten Jahreszeit einige ungarische Festungen wegzunehmen. Dies galt umso mehr, als der sächsische Kurfürst Johann Georg III. mit der Rettung Wiens seine Christenpflicht als erfüllt betrachtete und schon am 15. September den Rückmarsch in die Heimat antrat. Zu seiner Entscheidung dürfte auch beigetragen haben, dass der Kaiser bei der Auszeichnung aller Heerführer ihn als Protestanten einfach übergangen hatte. Auch waren Zusagen hinsichtlich der Versorgung der sächsischen Truppen nicht eingehalten worden. Dem polnischen König schrieb Johann Georg nach seiner Heimkehr, dass es zwar sein Wille gewesen sei, den Sieg auch ferner nachdrücklich mitzuverfolgen. Doch habe er verschiedene Hindernisse gefunden.3
Auch der junge Max Emanuel von Bayern war seiner undankbaren Rolle als Schlachtenbummler inzwischen überdrüssig und erhob nunmehr Anspruch auf ein selbstständiges Kommando. Die eigenen Truppen wie auch die Kontingente des fränkischen und schwäbischen Kreises wollte er gegen die Festung Neuhäusel führen und drohte widrigenfalls mit seiner Rückkehr nach München.4 Der Fürst von Waldeck wiederum war mit Blick auf den jüngst begonnenen Angriff der Franzosen auf die spanischen Niederlande grundsätzlich gegen eine Fortsetzung des Krieges in Ungarn.
So waren es allein die Kaiserlichen und die Polen, die sich am 19. September in Richtung Raab in Marsch setzten. Bei Pressburg fehlte allerdings die erwartete Schiffbrücke, sodass der Marsch zur großen Schüttinsel erst eine Woche später fortgesetzt werden konnte. Aufseiten der Osmanen war das Chaos nicht geringer. Kara Mustafa hatte zwar die Reste seines Heeres in nur anderthalb Tagen in das alte Lager vor Raab gebracht, doch die versprochenen Vorräte musste er seinen Truppen dort schuldig bleiben. Die Magazine von Ofen waren leer. Krankheiten und Desertionen verursachten ständig höhere Ausfälle, und das brutale Strafgericht des Großwesirs gegen jene Befehlshaber, die sich angeblich zu früh von Wien abgesetzt hatten, trug nicht zur Verbesserung der Stimmung im Heer bei. Zu den ersten der insgesamt 500 Opfer zählte der Beylerbey von Ofen, İbrahim Pascha, der Nussdorf nicht hatte verteidigen können. Das Wüten kam den Kaiserlichen bald zu Ohren, und der irische General Taaffe schrieb mit grimmiger Genugtuung an seinen Bruder, dass dies genau der richtige Weg sei, dem Feind ein Ende zu bereiten. »Möge der Großwesir sein Heer von der einen Seite vernichten, wir erledigen es dann von der anderen.«5
Zunächst aber zog sich Kara Mustafa nach Ofen zurück. Die wiederholten Ausfälle der kaiserlichen Besatzung von Raab hatten ein weiteres Verharren vor der Festung unmöglich gemacht. An kämpffähigen Truppen blieben ihm kaum mehr als 30 000 Mann, von denen er einen Teil unter Führung des neuen Beylerbeys von Ofen, Kara Mehmed Pascha, zur Sicherung der Festung Gran und des Brückenkopfes von Párkány zurückließ.
Unterdessen hatten die Verbündeten unter dem Lothringer und Sobieski die Festung Komorn im Osten der Großen Schüttinsel erreicht und entschlossen sich nach eingehender Beratung zum Angriff auf Gran, dessen Belagerung sie – anders als einen Angriff auf das stärkere Neuhäusel – noch vor dem Beginn der schlechten Jahreszeit abzuschließen hofften.
Der Auftakt der Operation verlief jedoch alles andere als verheißungsvoll. Ohne auf das Eintreffen der nachfolgenden Infanterie zu warten, entschloss sich König Sobieski am 7. Oktober, angeblich zur Aufklärung, auf eigene Faust einen Angriff auf Párkány zu wagen. Der Brückenkopf auf dem Nordufer der Donau war durch eine Schiffsbrücke mit der Festung Gran verbunden und von Kara Mehmed Pascha offenbar nur mit schwachen Kräften besetzt worden. Das sich in schlechter Ordnung dem Brückenkopf nähernde polnische Korps erlebte eine böse Überraschung, als plötzlich mehrere Tausend Spahis aus der Verschanzung herausbrachen und sie in kürzester Zeit einkreisten. Nur mithilfe der beschleunigt nachrückenden Kaiserlichen konnte ein Teil der Polen entkommen. Der Anblick der Respekt einflössenden schwarzen Kürassiere des Generals Johann Heinrich von Dünewald veranlasste die osmanischen Reiter umgehend zum Rückzug. Gleichwohl hatte das unbedachte Abenteuer die Polen gut 1000 Mann gekostet. Fast hätten auch der König und sein Sohn zu den Opfern gehört.6 Es sei kein guter Tag gewesen, fasste Sobieski den empfindlichen Rückschlag in einem Brief an die Königin zusammen. Es sei aber wohl, so fügte er demütig hinzu, die gerechte Strafe Gottes für seine Truppen gewesen, für das Ausrauben der protestantischen Kirchen in Ungarn, den Wucher und das allgemeine Plündern. Nur mit Mühe konnte der König seine entmutigten Generale davon abhalten, den Rückmarsch nach Polen anzutreten.7 Sobieski wusste, dass ein sofortiges Ausscheiden aus dem Bündnis mit der Schlappe von Párkány im Gepäck seinen Ruhm als strahlender Sieger von Wien infrage stellen musste.
Auf der Gegenseite hatte der leichte Sieg über die polnische Reiterei Mehmed Pascha unvorsichtig gemacht. Unwirsch wies er die Ratschläge seiner Untergebenen zurück, die angesichts des überlegenen Heeres der Verbündeten auf eine Räumung des Brückenkopfes drängten. Eine einzige Brücke sei keine sichere Rückzugslinie, lautete ihr keineswegs abwegiges Argument. Doch der Großwesir duldete keinen weiteren Rückzug. Nachdem ihm der Anfangserfolg über die Polen gemeldet worden war, glaubte Kara Mustafa, die Scharte von Wien ausmerzen zu können, und setzte sofort seine letzte Reserve, 8000 Elitereiter unter dem Befehl des Beylerbeys von Silistra, nach Párkány in Marsch. Damit blieb Mehmed Pascha keine andere Wahl, als sich dem Heer der »Ungläubigen« auf dem nördlichen Donauufer entgegenzustellen.8
Als sich die Verbündeten am 9. Oktober dem Brückenkopf näherten, fanden sie schon eine Viertelstunde vor Párkány den Gegner auf einer Anhöhe versammelt. Herzog Karl schätzte die Zahl der Osmanen auf 8000 Mann, schloss aber aus der Ruhe, mit der sie die Annäherung seiner Truppen abwarteten, dass sich in der Senke hinter ihnen noch weitere Gegner befinden mussten.9 Zur Erleichterung des Lothringers mochte sich Graf Thököly mit seinen Rebellen nicht an der bevorstehenden Schlacht beteiligen, obwohl ihn Mehmed Pascha dringend dazu aufgefordert hatte. Sobald Thökölys Kundschafter die Stärke des verbündeten Heeres erkannt hatten, zog sich der Ungar mit seiner Armee, wie Herzog Karl mit Ironie betonte, vorerst weise zurück.10
Mehmed Pascha brannte indes darauf, den verhassten Polen eine zweite Niederlage zu bereiten, und stürzte sich sogleich mit der Masse seiner Truppen auf den linken Flügel der Verbündeten, wo er die polnischen Husaren ausgemacht hatte. Tatsächlich aber hatte der Lothringer vor der Schlacht Sobieskis Korps auf beide Flügel verteilt. Als nun der nach links schwenkende Gegner seiner schweren Kavallerie die offene Flanke bot, griff er an und warf die Osmanen nach kurzem Kampf in völliger Unordnung auf Párkány zurück.11 Die Verbündeten folgten dichtauf und setzten sogleich zum Sturm auf die Palisaden an. Ernstlichen Widerstand fanden sie nicht mehr, vielmehr strömten die Osmanen, durch ihren Rückschlag vollkommen demoralisiert, in dichten Scharen über die Schiffsbrücke nach Gran. Zu allem Unglück bewahrheitete sich nun die Warnung der übrigen osmanischen Befehlshaber. Kaum 1000 Mann seines Korps hatte Mehmed Pascha über die Brücke auf das rettende Südufer führen können, als unter der Last der Fliehenden ihre Befestigungen zerrissen und die losen Pontons mit unzähligen in die Fluten gestürzten Männern auf der Donau davontrieben. Den Siegern bot sich ein bizarrer Anblick. Die Bedienungen der sofort aufgefahrenen Geschütze feuerten mit grimmigem Eifer unablässig Kartätschenmunition auf das kopflose Menschenknäuel vor dem weggebrochenen Brückenteil, wo es einigen der Unglücklichen tatsächlich gelang, über das dichte Gewirr von Körpern, Seilen und Balken die Bruchstelle zu überwinden und so doch noch das rettende Südufer zu erreichen.12
Die Schlacht bei Parkany. Gemälde von Pierre-Denis Martin, gen. Martin le Jeune, 1683.
Die Zurückgebliebenen hatten von den Verbündeten und vor allem von den Polen keine Schonung zu erwarten. Der schauerliche Anblick der Köpfe ihrer zwei Tage zuvor getöteten Landsleute, die die Osmanen auf die Palisaden gespießt hatten, brachte ihr Blut zum Kochen. Nur mit Mühe konnten die Offiziere noch 1500 Überlebende vor den Schwertern und Spießen ihrer ergrimmten Soldaten bewahren. Der Rest der Osmanen war in der Donau ertrunken oder lag zu Hunderten erschlagen entlang der Uferböschungen. Er fühle sich nach diesem Tag um 20 Jahre verjüngt, meldete Sobieski in sichtlich gebesserter Stimmung der Königin.13 Der Kampf um die Brücke dürfte ihn gewiss an seinen großen Sieg bei Chotin erinnert haben.
Die Schlacht vom 9. Oktober war die Vollendung der Befreiung von Wien, und das massenhafte Niederhauen der Gegner machte die damals versäumte Verfolgung mehr als wett. Während die Verbündeten bei Párkány nur 50 Mann verloren haben sollen, waren auf der Gegenseite noch einmal wenigstens 10 000 Kämpfer des Islam zugrunde gegangen.
Das stolze Heer des Großwesirs, mit dem er vier Monate zuvor gegen Wien gezogen war, hatte damit praktisch zu bestehen aufgehört. Sechs Tage nach der siegreichen Schlacht überschritt das inzwischen um 5000 Bayern verstärkte Heer der Verbündeten auf einer neuen Pontonbrücke die Donau und begann mit der Belagerung von Gran. Zu der verbündeten Streitmacht war jetzt auch ein kleines Korps von 1200 Brandenburgern gestoßen, das Kurfürst Friedrich Wilhelm als Teil seiner Bündnisverpflichtung (Ewige Allianz von Bromberg) auf Bitten König Sobieskis nach Ungarn in Marsch gesetzt hatte. Die Zeit drängte allerdings für Karl. Mit dem Schwung des jüngsten Sieges im Rücken musste der Lothringer die wenigen noch verbleibenden guten Herbsttage nutzen. Am 22. Oktober ließ er die zur Festung führenden Gräben (Approchen) eröffnen, zwei Tage später begann die Beschießung, und bereits am 26. Oktober war eine Bresche geschossen. Die zur Kapitulation auf Ehre aufgeforderte Besatzung nahm das Angebot an, nachdem eine Minenexplosion der Forderung der Verbündeten Nachdruck verliehen hatte. 4000 Soldaten durften mit ihren Waffen und Familien nach Ofen abziehen. Ihnen schlossen sich die moslemischen Bewohner der Stadt an. Einzig die Vorräte blieben zurück. Gran war die erste ungarische Stadt mit Moscheen, die in die Hände der Kaiserlichen fiel, und mit Gran konnte die Rückeroberung Ungarns endlich beginnen.14 Der einzige Mann, der dies vielleicht noch hätte verhindern können, erlebte das Jahresende nicht mehr. War es Kara Mustafa zunächst noch geglückt, sein Scheitern vor Wien dem Großherrn als vorübergehenden Rückschlag darzustellen, für den allein seine Untergegeben verantwortlich gewesen seien, so bewirkten die Katastrophe von Párkány und der Verlust von Gran einen endgültigen Umschwung in Konstantinopel. Überall begannen sich seine Feinde zu regen und fanden beim Sultan jetzt Gehör. Es half dem Großwesir auch nicht mehr, dass er Dutzende Offiziere der Graner Besatzung wegen Feigheit hinrichten ließ. Das Urteil über ihn selbst stand längst fest und wurde am 25. Dezember 1683 in Belgrad vollstreckt. Kara Mustafa soll noch in aller Ruhe sein Mittagsgebet beendet und sodann seinen Bart angehoben haben, damit die beiden Henker ihre Schlinge auch richtig ansetzen konnten. Die Exekution des Großwesirs, der in der christlichen Welt als Muster eines orientalischen Despoten galt, fand in etlichen Spottreimen ihren zeitnahen Widerhall. So hieß es etwa unter dem Titel »Wie die Arbeit, so der Lohn« in den wöchentlich erscheinenden Mercurii Relationes von Anfang 1684: »Hier lieget der Großwesir, gestürzet durch das Glück, der alles fressen wollen, ersticket an dem Strick.« 15
Jubel und Spott der Europäer waren allerdings verfrüht. Auch mit dem Tod seines Urhebers war der Krieg längst nicht beendet. Unter Kara Mustafas Nachfolger Fâzıl Mustafa, dem zweiten Sohn des alten Mehmed Köprülü, zeigte sich die »Hohe Pforte« keineswegs um Schadensbegrenzung bemüht. Noch hoffte man in Konstantinopel auf Rache. Tatsächlich hatten inzwischen Krankheiten und Entbehrungen, mehr noch als alle Schlachten und Belagerungen, auch den verbündeten Truppen stark zugesetzt. Die so fruchtbare Eintracht zwischen Kaiserlichen und Polen drohte verloren zu gehen, als Sobieskis Truppen auf dem Marsch zu ihren Winterquartieren in Nordungarn den Rest ihrer Disziplin einbüßten und die Bevölkerung bald ärger als die Tataren drangsalierten.16 Der König wiederum beklagte sich über das »ganz und gar feindselige Land«, dessen Burgen und Schlösser sich vor seinen Truppen verschlossen hätten.17 In Wien aber nahm man besonderen Anstoß an Sobieskis Kontakten zu dem rebellischen Thököly, die tatsächlich nie völlig unterbrochen gewesen waren. Freilich konnte es dem Polen nur darum gehen, den ungarischen Rebellenführer ins Lager der Verbündeten zu ziehen. Der Kaiser und seine Berater argwöhnten jedoch Verrat und fürchteten, Sobieski könne wieder sein altes Projekt aufnehmen, die Krone Ungarns für seinen Sohn zu sichern. Thököly war allerdings längst über die Theiß nach Siebenbürgen geflohen, und so machte sich der König ernüchtert Anfang Dezember auf den Weg nach Polen. Mitte des Monats sah er in Stary Sącz seine Gattin wieder und hielt am 23. Dezember einen triumphalen Einzug in Krakau. Er sollte nicht mehr nach Ungarn zurückkehren. Der demoralisierte Zustand seiner Truppen, die er in ungarischen Quartieren zurückgelassen hatte, wurde völlig offensichtlich, als sich schon wenige Tage nach seinem Aufbruch die Masse der Soldaten hungernd und zerlumpt auf den Weg über die Westkarpaten in die Heimat machte. Zum Jahreswechsel hatte das polnische Heer in Ungarn bereits zu bestehen aufgehört.18