ANFANG UND AUFSTIEG: DIE PRÄKLASSIK (1800 V. CHR. – 250 N. CHR.)

Die ersten Einwanderer: Das Archaikum

Der erste Schritt auf dem Weg zur Maya-Kultur war die Einwanderung von Jägergruppen aus Asien nach Amerika, die ihren Jagdtieren folgten. Sie überschritten zwischen 30 000 und 6 000 v. Chr. in mehreren Schüben die Grenze zum amerikanischen Kontinent über eine Landbrücke, die damals Sibirien und Alaska verband. Denn die Meeresspiegel waren zum Ende der letzten Eiszeit (dem Jungpleistozän, 127 000 bis ca. 11 000 v. Chr., in Amerika wird diese Phase Wisconsin-Eiszeit genannt) durch die Vereisung des Wassers sehr niedrig. Die genaue Datierung der Einwanderung ist nach wie vor umstritten. Man geht von mehreren Einwanderungswellen aus, die erste erfolgte wohl vor 30 000 bis 15 000 Jahren, die zweite vor ca. 13 000 bis 10 000 Jahren und die dritte vor ca. 9000 bis 6000 Jahren. Mit diesen Einwanderungswellen werden verschiedene Großwildjägerkulturen vor allem anhand der Funde von Projektil- bzw. Speerspitzen unterschieden. Die bekannteste ist die nach ihrem Fundort in New Mexico (USA) benannte Clovis-Kultur (13 000–10 500 v. Chr.) mit ihren flachen, beidseitig bearbeiteten Speer- und Pfeilspitzen. Während ein Teil dieser Großwildjägergruppen in Nordamerika blieb, wanderten andere in Richtung Mittelamerika, von wo ein Teil schließlich bis Südamerika weiterzog.

Jäger und Sammlerinnen waren so die ersten Eroberer des Maya-Gebietes, die nomadenhaft lebten und in Höhlen Unterkunft fanden. Erste Spuren von ihnen hat man bisher in sieben Karsthöhlen bzw. Cenotes in Yukatan gefunden. Damals waren es noch keine Unterwasserhöhlen wie heute, da sie zu dieser Zeit noch über dem Meeresspiegel lagen. Erst um 6000 v. Chr. füllten sich diese Höhlen aufgrund des steigenden Meeresspiegels mit Wasser. Neben Steinwerkzeugen wie Pfeilspitzen, Schaber oder Meißel sowie Tierknochen mit Brand- oder Einschnittspuren fand man auch menschliche Skelette. So stammt das Skelett einer zwischen 20 bis 30 Jahren alten Frau aus der Zeit zwischen 13 700 und 13 370 v. Chr., oder das Skelett einer weiteren, zwischen 40 bis 50 Jahre alten Frau aus der Zeit zwischen 10 000 und 6500 v. Chr. Die bekannteste dieser Höhlen in Yukatan ist die ungefähr zwei Kilometer lange Höhle von Loltún in der Nähe von Oxkutzcab, in der man Steinwerkzeuge zusammen mit Knochen von Tieren aus der Zeit des Pleistozäns wie Mammut oder Bison sowie Pferdeknochen fand. Dazu sei angemerkt, dass der Ursprung des Pferdes in Nordamerika liegt, ehe es dort zusammen mit anderen Tierarten des Pleistozäns vor ca. 10 000 Jahren ausstarb und erst von den Europäern wieder ins Land gebracht wurde. Die Höhle von Loltún wurde von den Maya bis in die postklassische Periode genutzt, wie Wandmalereien belegen. Zuletzt diente sie im Kastenkrieg des 19. Jh.s als Zufluchtsort. Weitere Fundorte der archaischen Zeit sind Los Tapiales in Guatemala, Santa Marta in Chiapas, San Rafael in der Nähe von Guatemala-Stadt oder Colha in Belize. Zwischen 2400 und 2000 v. Chr. wurden erste Mais- und Maniok-Felder angelegt. Über die archaische Zeit haben wir die wenigsten Informationen, und viele Fragen sind daher noch offen. So ist zum Beispiel nicht geklärt, ob die späteren sesshaften Bewohner des Maya-Gebietes direkte Nachkommen der dortigen Großwildjäger oder vielleicht neue Einwanderer waren.

Der erste Schritt zur Hochkultur: Die Präklassik

Die Zeit der Präklassik beginnt mit den ersten Keramikfunden, die auf eine sesshafte Lebensweise hindeuten. Keramik ist zerbrechlich und eignet sich daher nicht für nomadenhaftes Leben. Gleichzeitig wurde mit der Domestizierung und dem Anbau wichtiger Nutzpflanzen begonnen. Wie bereits im Zusammenhang mit der Kultivierung des Maises erwähnt, ist der Wechsel von der nomadenhaften zur sesshaften Lebensweise mit Ackerbau der erste und als kulturelle Revolution zu wertende Schritt auf dem Weg zur Hochkultur.

Die ersten Keramikfunde im Maya-Gebiet datieren aus der Zeit zwischen 2000 und 1500 v. Chr. und stammen von der Pazifikküste. Es sind die sogenannten Chantuto- und Barra/Locona-Komplexe. Die Nabanché-Keramik in der Zeit von ca. 1000 bis 300 v. Chr. ist die älteste im Norden Yukatans. Um 1000 v. Chr. wurde in Aguada Fénix im mexikanischen Bundesstaat Tabasco mit dem Bau einer monumentalen Zeremonialanlage begonnen. Eindeutig nachgewiesen ist eine Maya-Siedlung erstmals in Cuello im Norden von Belize, zeitlich anzusetzen zwischen 1100 und 1200 v. Chr. Um 900 v. Chr. gab es dorfartige Siedlungen im Tiefland wie in Tikal, Uaxactún oder Seibal und in Yukatan wie Dzibilchaltún, die sich später in der klassischen Zeit zu Zentren entwickeln sollten. Und es entstanden um 800 v. Chr. die ersten nachweisbaren Städte im Maya-Gebiet: Nakbé und El Mirador (beide im Petén, Guatemala).

Die Präklassik umfasst die Zeitspanne von 1800 v. Chr. bis 250 n. Chr. Man unterscheidet dabei drei Phasen: die Frühe Präklassik (1800–1000 v. Chr.), die Mittlere Präklassik (1000–300 v. Chr.) und die Späte Präklassik (300 v. Chr. – 250 n. Chr.).40

Hier sei eine Auswahl der wichtigsten Fundstätten der Präklassik genannt:

Mexiko

Aguada Fénix, Alta de Sacrificios, Calakmul, Chiapa de Corzo, Dzibilchaltún, Edzná, Izapa, Poxila San Pedro, Xocnaceh, Xtobe

Guatemala

Tak’alik Ab’aj, El Baúl, El Mirador, Kaminaljuyú, Medina, Monte Alto, Nakbé, San Bartolo, Sakajut, Seibal, Tikal, Wakna, Uaxactún

Belize

Cahal Pech, Cerros, Cuello, Colha, Lamanai

Honduras

Copán

Bis heute ist eine vollständige Auflistung aller Orte der Präklassik nicht möglich, da man mit einer ganzen Reihe von Fundstätten rechnen muss, die zukünftig noch oder vielleicht nie entdeckt werden. Nicht nur im Regenwald buchstäblich versteckt, sondern auch oft in späterer Zeit überbaut, warten noch viele Stätten auf eine Entdeckung. Schon in der Zeit der Präklassik finden sich die für die späteren Phasen der Klassik und Postklassik typischen Kennzeichen wie Städte mit Pyramiden- und Palastbauten, Ballspielplätze, Steinmonumente wie Skulpturen oder Stelen, Hieroglyphenschrift auf Stelen oder Straßennetze, die auf entsprechenden Handel hinweisen. Dies alles weist auf eine hierarchisierte Gesellschaft hin, in der genug Arbeitskräfte für die Errichtung vor allem der riesigen Pyramiden eingesetzt werden konnten.

Im Norden von Guatemala und in Belize fanden sich bisher besonders viele Fundstätten der Präklassik. Wahrscheinlich garantierte das dortige Sumpfgebiet eine sehr ertragreiche Landwirtschaft und somit einen kulturellen Aufschwung. Die wichtigsten und größten Städte der Mittleren Präklassik sind El Mirador, Nakbé und San Bartolo, die zusammen mit anderen Städten wie Wakna oder Tikal im sogenannten Mirador-Becken im Petén bzw. im Norden Guatemalas liegen.

In der Frühen Präklassik (1800–1000 v. Chr.) wird mit der Domestizierung und dem Anbau des Mais der Übergang von der nomadenhaften Lebensweise der Jäger und Sammlerinnen zur Sesshaftigkeit und damit der erste Schritt auf dem Weg zur Hochkultur vollzogen. Die ersten Siedlungen waren Dörfer mit einfachen Häusern aus Lehm und Dächern aus Palmblättern oder Stroh. Einige davon standen auf erhöhten Plattformen, vermutlich waren es die Häuser der Dorfoberhäupter oder Tempel. Es entstehen die ersten Ballspielplätze, zum Beispiel in Sakajut oder Paso de la Amada. Die Dörfer entstanden dort, wo Flüsse oder Seen den Anbau von Nahrungsmitteln wie Mais, Bohnen oder Kürbis erleichterten und Wälder oder Meeresküsten als Jagdressourcen genutzt werden konnten. Die Dorfgesellschaft wurde durch das Häuptlingstum geprägt – eine Gesellschaftsform, die durch mehrere lokale Gruppen bzw. Stämme ohne ausgeprägtes Staatswesen gekennzeichnet ist und von einem »Häuptling« als Oberhaupt geleitet wird. Dieser übt keine zentrale Gewalt aus, sondern seine Macht beruht vor allem auf verwandtschaftlichen Beziehungen sowie auf seiner Autorität im religiösen bzw. rituellen Bereich. Erst in der Zeit der Klassik sind Stadtstaaten für das Maya-Gebiet ein wesentliches Kennzeichen. Diese sind im Unterschied zum Häuptlingstum durch die Zentralisierung der Macht in einer Instanz, z. B. einem Herrscher gekennzeichnet. Diese Macht ist stabil, wird gezielt angewendet und vor allem wirtschaftlich genutzt. Charakteristisch für den Staat ist eine komplexe soziale Organisation bzw. Hierarchisierung der Gesellschaft.

Die ersten Keramikgefäße wurden angefertigt, ebenso wie Artefakte und Werkzeuge aus Stein, Obsidian, Muscheln und Jade. Jade wurde in Mesoamerika nur an einem Ort abgebaut, Obsidian nur in bestimmten Minen, und Muscheln stammen offensichtlich von den Meeresküsten. Die Tatsache, dass man diese Materialen aber auch an anderen Orten fand, wo sie ursprünglich nicht herstammen, weist auf frühe Handelsbeziehungen zwischen den einzelnen Siedlungen hin.

In der Mittleren Präklassik (1000–300 v. Chr.) kam es zu einem rasanten Aufschwung der in der Frühen Präklassik gemachten Anfänge: Siedlungen wurden nun im ganzen Maya-Gebiet angelegt und im Unterschied zur Frühen Präklassik auch an Orten, die von natürlichen Wasserstellen wie Flüssen, Seen oder dem Meer weiter entfernt waren. Ermöglicht wurde dies durch die Anlage von Bewässerungssystemen und Terrassenfeldbau. Einige der Dörfer wie Nakbé, El Mirador, Tak’alik Ab’aj, Kaminaljuyú, Seibal, Uaxactún, Tikal oder Dzibilchaltún entwickelten sich immer mehr zu städtischen Zentren, die jeweils ihre kleineren Nachbarorte beherrschten. Typisch sind mehr und größere Gebäude wie Pyramiden und Paläste mit einem zentralen Platz als Zentrum. In Kaminaljuyú und Cuello fanden sich Überreste von Menschenopfern, die man zur Einweihung bestimmter Gebäude darbrachte. Nicht nur die monumentale Architektur, sondern auch die aufwendigen Bestattungsformen sind ein Hinweis darauf, dass die Hierarchisierung und Spezialisierung in der Gesellschaft immer mehr zunahm. So werden die Verstorbenen der gesellschaftlichen Elite – im Unterschied zur einfachen Bevölkerung – mit Grabbeigaben wie Keramikgeschirr oder Schmuck bestattet.

Die Handelsbeziehungen nahmen zu. Das zeigt sich zum Beispiel an einem mehr oder weniger einheitlichen Keramikstil in unterschiedlichen Regionen. Obsidian wurde vor allem in El Chayal nahe Guatemala-Stadt abgebaut und in entfernte Gebiete bis hin zu den Olmeken an der Golfküste gehandelt. Denn die Mittlere Präklassik war die Zeit, in der die Olmeken41 vor allem durch Handel starken Einfluss auf das Maya-Gebiet nahmen.

In der Späten Präklassik (300 v. Chr. – 250 n. Chr.) kommt es zu einer Blütezeit. Dies zeigt sich an einem starken Bevölkerungszuwachs, an der Gründung neuer Städte, an einem monumentalen Baustil und nicht zuletzt einer nun deutlich hierarchisierten Gesellschaft. Grundlage hierfür war, dass man aufgrund intensiver Landwirtschaft mit Bewässerungssystemen und Terrassenfeldbau aus den Ernten einen hohen Überschuss erwirtschaftete, der die Freistellung von Bauarbeitern und Handwerkern für die Errichtung der Städte und ihrer Bauten ermöglichte. Die Städte waren politisches und religiöses Zentrum, in denen die gesellschaftliche Elite lebte, während die bäuerliche Bevölkerung im Umland der Städte siedelte. Der Herrscher einer größeren Stadt regierte über ein mehr oder weniger großes Gebiet des Umlandes und stand mit den Herrschern anderer Städte in Kontakt. Davon zeugen nicht nur die Handelsbeziehungen, sondern auch ein mehr oder weniger einheitlicher Kunststil. Das Zentrum einer Stadt bildete ein Platz mit Tempeln und Palästen. Außerhalb davon befanden sich Wohngebäude. Zeugnisse des alltäglichen Lebens sind die vielfältigen Funde von Keramik, Werkzeugen wie Beile aus Stein, Messer und Speerspitzen aus Obsidian, Musikinstrumente oder Schmuck aus Jade und Muscheln.

Vor allem die Städte des Tieflandes erreichen einen architektonischen Höhepunkt mit 30 m hohen Pyramiden (in El Mirador sogar 70 m). Diese gestuften Pyramiden mit einer Plattform oben für den – nicht immer erhaltenen – Tempel bestanden aus Kalkstein, der mit meist rot bemaltem Stuck überzogen war. An der Vorderseite führte eine Treppe zum Tempel hinauf. Kennzeichnend für die Gesamtanlage war die – olmekisch beeinflusste – Dreiheit von zwei kleineren Tempeln und einem in der Mitte zurückgesetzten größeren Haupttempel, die auf einer Plattform errichtet und vorne mit großen Stuckmasken verziert waren. Der Grundriss ähnelt der Form eines E, daher der Name E-Gruppe. Ein typisches Beispiel für die Stuckmasken sind die des Komplexes H in Uaxactún, die die drei Bereiche des Weltbildes der Maya zeigen: Der Himmel als oberer, die Erde als mittlerer und die Unterwelt als unterer Bereich. Im mittleren und unteren Bereich sieht man das Gesicht eines tiergestaltigen mythischen Wesens, dessen mit Schlangenköpfen verziertes Maul den Eingang zur Unterwelt darstellt. Im Himmelsbereich ist ebenfalls das Gesicht eines mythischen Wesens dargestellt, aus dessen schlangenumrahmten Maul der Kopf eines Herrschers herausschaut. Ein besonderes architektonisches Kennzeichen im Hochland (weniger im Tiefland) ist der sogenannte Stele-Altar-Komplex, d. h. die Aufstellung einer Stele und einem Altar davor nach dem Vorbild von Izapa.

Es bestanden rege Handelsbeziehungen zwischen den Küstengebieten, dem Hochland und dem Tiefland: Aus den Küstengebieten stammten Salz, Kakao, Tabak und Muscheln, aus dem Hochland Jade, Obsidian, Quetzalfedern, Tierfelle oder Keramik und aus dem Tiefland Jaguarfelle und die Federn exotischer Vögel. Eine Krise mehr oder weniger unbekannter Art beendete die Blütezeit der Präklassik: In vielen Städten verließ die Bevölkerung die Städte. Befestigungsanlagen in einigen Orten deuten auf kriegerische Auseinandersetzungen hin. Manche Städte wurden nie wieder besiedelt, anderen wie Tikal gelang später in der Zeit der Klassik ein glorreiches Comeback. Im Folgenden soll die Entwicklung der bekanntesten Orte der Präklassik aufgezeigt werden:

Die wichtigsten Städte der Präklassik

Aguada Fénix am Westrand des Maya-Gebietes im mexikanischen Bundesstaat Tabasco ist die größte bislang bekannte Monumentalanlage der vorspanischen Maya-Kultur, wurde 2020 mithilfe der Lidar-Methode in ihrem ganzen Ausmaß entdeckt und gilt derzeit als sensationellste Entdeckung der Maya-Kultur. Es handelt sich um ein Zeremonialzentrum aus der Zeit der Mittleren Präklassik und besteht aus einer großen und mehreren kleineren Plattformen auf einem künstlich errichteten Plateau. Um 1200 v. Chr. datieren die ersten Funde, spätestens um 1000 v. Chr. wurde mit dem Bau der Anlage begonnen. Das Plateau wurde im Laufe der folgenden 200 Jahre mehrmals mit Lehm und Erde aufgefüllt. Um 800 v. Chr. war die Anlage endgültig fertiggestellt, aber wurde um 750 v. Chr. verlassen. Das Plateau ist 1400 m lang, 400 m breit und 10 bis 15 m hoch. Neun Wege verbinden das Plateau mit der Umgebung. Die ganze Anlage besteht aus 21 rechteckigen Plattformen unterschiedlicher Größe in Nord-Süd-Ausrichtung. Neben Mauerresten aus Megalithblöcken fand man in einem Depot Keramik, Knochen und Muscheln, die vermutlich aus der Zeit vor der Errichtung des Plateaus stammen. Das Füllvolumen des Plateaus der bislang größten Maya-Anlage beträgt 3,2 bis 4,3 Millionen m3. Aguada Fénix scheint nach dem Vorbild des Olmeken-Zentrums San Lorenzo42 (1400–1150 v. Chr.) angelegt worden zu sein, worauf zum Beispiel die bereits erwähnte E-Gruppe hinweist. Der Fund einer Grünsteinaxt lässt auf ähnliche Rituale wie in dem Olmeken-Zentrum La Venta und in Seibal schließen. Auch in Seibal wurden ähnliche Plattform-Strukturen wie in Aguada Fénix entdeckt, die aber in die Zeit um 950 v. Chr. zu datieren und damit jünger sind. Während man bei den Olmeken viele Steinskulpturen fand, die vermutlich Herrscher oder Vertreter der Oberschicht darstellen, fehlen diese in Aguada Fénix völlig. Daraus schließen Archäologen, dass in Aguada Fénix im Unterschied zu den Olmeken keine hierarchische Gesellschaft bzw. keine großen sozialen Unterschiede existierten. Es hat den Anschein, dass in Aguada Fénix religiöse Feiern durchgeführt und Momumentalbauten errichtet wurden ohne die dafür üblichen Vorraussetzungen der Sesshaftigkeit und einer hierarchisierten Gesellschaft.43 Insgesamt ist der Ort kulturell wohl eher dem Maya-Tiefland als dem Olmeken-Gebiet zuzuordnen. Aguada Fénix scheint eine zentrale Rolle im Prozess gesellschaftlicher Entwicklungen in der Zeit zwischen 1000 und 800 v. Chr. gespielt zu haben.

In Seibal entdeckte man mit der Lidar-Methode ähnlich wie in Aguada Fénix Reste von Monumentalbauten in Form von rechteckigen Plateaus aus der Zeit um 950 v. Chr. Im Zusammenhang damit entdeckte man Opfergaben aus Jade (zum Beispiel eine Jadeaxt), die den olmekischen Jadekunstwerken gleichen und auf Handelsbeziehungen mit La Venta hinweisen. Die Stadt Seibal erlebte ihre Blütezeit in der Späten Präklassik. In der Klassik erfolgte ein Comeback, von dem die Tempelpyramiden und Stelen zeugen, die der Tourist heute bei der Besichtigung des Ortes bestaunen kann.

Kaminaljuyú, »Hügel der Vorfahren«, nannten die Archäologen eine der bedeutendsten und ersten Maya-Siedlungen, deren Anfänge in der Präklassik um 1200 v. Chr. anzusetzen sind. Heute ein Vorort von Guatemala-Stadt und größtenteils von der modernen Stadt überbaut, bot die Lage in einem Hochtal am See Miraflores damals optimale Bedingungen nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch als Knotenpunkt für den Handel. Kaminaljuyú ist insofern ein Glücksfall für die Archäologie, da sich hier verschiedene Kulturphasen anhand der Keramikfunde fast lückenlos nachweisen lassen: Die frühe Präklassik ist durch die Arévalo-Phase geprägt, die mittlere Präklassik durch die Kulturphasen Las Charcas, Majadas sowie Providencia und die späte Präklassik durch Miraflores. Auch die weiteren Phasen lassen sich anhand der Keramikfunde ablesen: Aurora, Esperanza, Amatle und Pamplona in der Klassik und Ayampuc sowie Chinautla in der Nachklassik.

In der Frühen Präklassik entstanden sogenannte Mounds, d. h. künstlich aus Erde und Lehm erschaffene Hügel als Vorläufer der späteren Pyramidenbauten. Diese Mounds waren vermutlich die Plattformen, auf denen man dann Bauten wie Tempel errichtete. In der Mittleren Präklassik wurde ein Bewässerungssystem gebaut, und die Siedlung wuchs dadurch erheblich. Herrscher stellten erstmals Stelen auf, zum Beispiel die riesige Stele 10, die einen Herrscher mit Jaguarmaske zeigt, der einen Gefangenen opfert. In schacht- oder flaschenartigen Gruben (chultunes) wurden Nahrungsmittel, Baumaterial und Keramikgefäße gelagert. Höhepunkt aber war die Zeit der Miraflores-Phase in der Späten Präklassik, als Kaminaljuyú sich zum größten Zentrum des südlichen Maya-Gebietes entwickelte und vor allem den Handel mit dem im nahegelegenen El Chayal abgebauten Obsidian sowie mit Jade kontrollierte. Zeugen dieser Blütezeit sind Paläste und Tempel, die mit riesigen Steinmasken mythischer Wesen verziert waren. Hier erscheinen bereits die in der klassischen Zeit bekannten Gottheiten wie die Vogelgottheit (Principal Bird Deity), der Maisgott oder die Göttlichen Zwillinge.

Die Inschriften der Monumente in Kaminaljuyú stammen aus der späten präklassischen Zeit und gehören zu den ältesten schriftlichen Zeugnissen in ganz Mesoamerika. Die Sprache ist der Chol-Sprache der Maya zuzuordnen, die später in der klassischen Zeit auch im Tiefland gesprochen wurde. Man vermutet, dass mit dem Ende der ersten Blütezeit von Kaminaljuyú um 200 n. Chr. die Bewohner ins Tiefland abwanderten und im Tiefland die Entwicklung der klassischen Maya-Kultur wesentlich beeinflussten. Für diese Vermutung spricht ferner eine weitere Gemeinsamkeit, nämlich die herausragende Stellung der Herrscher, die sich auf Stelen und anderen Monumenten abbilden ließen. Auch Gräber lassen auf den Reichtum der Elite schließen. So wurden in einem Grab dem Verstorbenen drei für die Bestattung geopferte Begleiter mitgegeben, in einem anderen Grab fanden sich als Beigaben unter anderem eine Jade-Maske sowie 157 Keramikgefäße.

Zum Ende der Späten Präklassik, als die Bewohner von Kaminaljuyú ins Tiefland auswanderten, wurde die Stadt um 200 n. Chr. von K’iche’-Gruppen eingenommen. Erst in der Zeit zwischen 400 und 600 n. Chr. kam es zu einem Wiederaufstieg der Stadt – eine Zeit, die durch einen starken Einfluss von Teotihuacán in Zentralmexiko geprägt war. Dabei ist nicht ganz eindeutig geklärt, inwiefern Kaminaljuyú ein Handelsposten oder ein militärischer Stützpunkt von Teotihuacán war. Den Aufstieg Kaminaljuyús zu einer mächtigen Stadt verdankte diese nicht nur der durch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem unterstützten Landwirtschaft, sondern auch der Kontrolle über die nahegelegene Obsidian-Mine El Chayal und die Jadevorkommen im Motagua-Tal sowie ihrem Status als Handelsknotenpunkt zwischen Pazifikküste, Hochland und Tiefland.

El Mirador, eine Stätte der Mittleren und Späten Präklassik, kann mit der Pyramide im »La Danta« genannten Komplex einen weltweiten Rekord aufweisen, denn mit einer Höhe von 70 m und einem Volumen von 2,8 Mio. m3 gehört sie zu den weltweit größten ihrer Art. Etwas kleiner ist die zweitgrößte Pyramide im »El Tigre«-Komplex mit 55 m Höhe. Typisch für die Bauweise ist die bereits erwähnte E-Gruppe. Insgesamt besteht El Mirador aus 35 Gebäuden auf einer Fläche von ca. 4 km2, darunter vermutlich Palastanlagen wie das Gebäude 34. Erst 2016 wurde das bereits bekannte Handelsstraßensystem im vollem Umfang entdeckt: Ein Netz von 17 Handelsstraßen mit einer Gesamtlänge von 240 km, wohl eines der frühesten Straßennetze der Welt. Ein Beleg dafür, dass El Mirador einen regen Handel mit den Nachbarstädten betrieb. Wie in Kamninaljuyú fanden sich hier Darstellungen des Vogelgottes und – auf einem der ersten Maya-Friese überhaupt mit vier Meter Länge und drei Meter Höhe – die Darstellung der Göttlichen Zwillinge bei einem Bad. Die Blütezeit erlebte El Mirador um 300 v. Chr. und war auch danach während der klassischen Zeit besiedelt.

Nakbé besteht zum einen aus dem sogenannten Westkomplex mit Tempeln und Palästen aus der präklassischen Zeit, zum anderen aus dem später entstandenen Ostkomplex der klassischen Zeit. Bekannt ist die dreieinhalb Meter hohe Stele 1 aus der Zeit zwischen 500 und 200 v. Chr., die man aus 45 Fragmenten wiederhergestellt hat. Dargestellt sind zwei sich gegenüberstehende Fürsten oder Gottheiten. Nakbé liegt nur 13 km von El Mirador entfernt. Der rasante Aufstieg beider Nachbarstädte zu Metropolen ist vielleicht durch gegenseitige Konkurrenz beschleunigt worden. Der Architektur- und Keramikstil der beiden Städte machte jedenfalls in vielen Städten des Tieflandes wie Tikal oder Lamanai, aber auch in Yukatan wie z. B. in Uaxactún Schule.

Zusammenfassend lässt sich über El Mirador und Nakbé sagen, dass sie die ersten und wichtigsten Maya-Städte im Tiefland während der Zeit der Präklassik sind. Ihre Bauten übertreffen an Größe die der nachfolgenden klassischen Zeit. Die Stelen, die man in beiden Orten fand, sind die ersten im Maya-Tiefland. Um 1000 v. Chr. sind in beiden Orten die ersten Siedlungspuren nachweisbar. Die ersten größeren Anlagen, Bauten und Stelen stammen aus der Zeit zwischen 600 und 400 v. Chr., die Blütezeit bzw. der Aufstieg zu Metropolen des Tieflands ist zwischen 400 v. und 100 n. Chr. anzusetzen. Der Niedergang erfolgte dann wenig später zum Ende der Präklassik in der Zeit zwischen 100 und 200 n. Chr.

San Bartolo (Petén, Guatemala) in der Nähe von Tikal ist ebenfalls ein Ort aus der präklassischen Zeit, aber keine Metropole wie El Mirador oder Nakbé. Er bestand aus mehreren Pyramidenbauten. Dort, wo sich heute die Hauptpyramide befindet, wurde erstmals um 300 v. Chr. ein Gebäude erbaut, dann ein großer Pyramidenbau um 100 v. Chr., der um 50 v. Chr. mit einer zweiten Pyramide überbaut wurde. In zwei der – später mit Pyramiden überbauten – Gebäude vor der Hauptpyramide entdeckte man 2001 die bislang ältesten Wandmalereien der Maya aus der Zeit um 100 v. Chr. Dargestellt sind eine Opfer- und Krönungszeremonie: Fünf Personen, vermutlich Gottheiten, bringen jeweils ein Blutopfer, indem sie ihren Penis durchstechen. Darüber hinaus opfert die erste Person einen Fisch, die zweite einen Hirsch, die dritte einen Vogel und die vierte Blumen. Der Fisch symbolisiert wohl Wasser, der Hirsch die Erde, der Vogel den Himmel und die Blumen das Paradies. Die Darstellung der fünften Gestalt, wahrscheinlich der Maisgott, ist größtenteils zerstört. Der nächste Teil zeigt die Krönung eines Herrschers, bei der verschiedene Gottheiten präsent sind, vor allem der Maisgott als junge, wachsende und sterbende Gottheit, daneben die Gottheit des Regens und des Wassers.

»Fette Jungs auf einem Trip« – Mit diesem Titel könnte man die merkwürdigen Funde in Monte Alto und den Nachbarorten La Democracia und El Baúl versehen: Runde Steinmonumente von fast zwei Metern Durchmesser, die Köpfe oder dicke Figuren zeigen. Bei den Figuren sind nur das Gesicht sowie die den dicken, fassförmigen Bauch umspannenden Arme und Beine rudimentär herausgearbeitet. Die Kopfmonumente zeigen ebenso nur rudimentäre, stereotype, keine individuellen Gesichtszüge, die Augen sind geschlossen, die Ohren manchmal mit Ohrschmuck versehen. Die Archäologen hatten schnell einen Spitznamen für diese in den 1940er-Jahren entdeckten Darstellungen: Fat Boys (»fette Jungs«) oder Potbellies (»Speckbäuche«). Gleichzeitig fand man pilzförmige Steine. So lag die Vermutung nahe, dass die geschlossenen Augenlider der Kopfskulpturen den tranceartigen Zustand nach dem Genuss von halluzinogenen Pilzen darstellen. Sie werden in die Zeit zwischen 1400 und 400 v. Chr. datiert und ähneln den großen Steinköpfen der Olmeken.

40Daten für die Epochen der Präklassik, Klassik und Postklassik in den folgenden Kapiteln nach Nikolai Grube 2016, 27. In der Forschung variieren die Zeitangaben. Hier geht es nicht um die wissenschaftliche Diskussion der genauen Datierung der einzelnen Zeitepochen, sondern darum, dem Leser eine Vorstellung vom ungefähren zeitlichen Rahmen zu vermitteln.

41s. S. 16 ff.

42s. S. 17.

43So die Archäologin Patricia McAnany in: https://www.spektrum.de/news/aguada-fenix-die-geburtsstunde-der-maya/1740164, abgerufen am 01.02.2021.