EINE ZWEITE BLÜTEZEIT: DIE POSTKLASSIK IM HOCHLAND UND IN YUKATAN (950–1697 N. CHR.)

Die Zeit der Postklassik (950–1697 n. Chr.) ist die auf die Blütezeit der Klassik folgende letzte Phase der vorspanischen Maya-Kultur in Yukatan und im Hochland von Guatemala. Außerdem ist es die Zeit, deren Endphase die spanischen Eroberer ab 1520 als erste europäische Augenzeugen sozusagen live miterlebten. Die Postklassik wird in drei Phasen eingeteilt: Die Frühe Postklassik (950–1150 n. Chr.), die Mittlere Postklassik (1150–1450 n. Chr.) und die Späte Postklassik (1450–1697 n. Chr.). In der postklassischen Zeit gab es im Unterschied zur Klassik keinen so ausgeprägten Herrscherkult mehr. Statt eines Alleinherrschers lag die Regierungsgewalt jetzt in den Händen eines Gremiums. Demzufolge wurden kaum noch Inschriften auf Stelen oder anderen Monumenten verfasst, die uns Informationen über die Geschichte und Taten eines Herrschers liefern. Das kann ebenfalls als Hinweis darauf gesehen werden, dass die hierarchischen Unterschiede zwischen Ober- und Unterschicht weniger stark ausgeprägt waren als in der klassischen Zeit. Die Postklassik wird geprägt einerseits von den Maya-Sprachgruppen der K’iche’ und Kaqchikel im Hochland von Guatemala und andererseits von den Itzá mit ihren Zentren Chichén Itzá und Mayapán auf der Halbinsel Yukatan.

Die K’iche’ im Hochland von Guatemala

Im Hochland von Guatemala gab es diverse Maya-Gruppen und Stadtstaaten. Die bedeutendsten waren die Tz’utuji mit der Hauptstadt Chiya’, die Mam mit der Hauptstadt Sakuleew, die Kakquichel mit der Hauptstadt Iximche’ und die K’iche’ mit der Hauptstadt Q’umarkaj. Kennzeichnend für die Postklassik im Hochland von Guatemala war neben einer gewissen Kontinuität der klassischen Maya-Epoche der Einfluss aus Zentralmexiko, der sich vor allem in der Architektur und der Keramik sowie in der Religion mit der Übernahme der Gottheiten Xipe Totec und Quetzalcoatl (K’uk’ulkan) zeigt. Architektonisch wurden aus Zentralmexiko zum Beispiel die Doppel- bzw. Zwillingstempel (zwei baulich gleichartige Tempel auf einer Pyramidenplattform), Ballspielplätze mit I-förmigen Grundriss, Langhäuser oder Schädelgerüste zur Präsentation der Schädel von Geopferten übernommen. Sprachlich übernahm man auch eine Reihe von Wörtern aus dem Nahuatl, der aztekischen Sprache. Im Popol Vuh wird der Ursprung der K’iche’ mit der Auswanderung aus Tula und der Abspaltung der K’iche’ von den übrigen Maya-Stämmen und ihrer weiteren Wanderung ins Hochland erklärt. Allerdings überwiegt im Popol Vuh die mythologische Erzählung gegenüber den historischen Tatsachen. Der zentralmexikanische Einfluss ist nicht so stark, dass man daraus unbedingt die Einwanderung einer Herrscherelite aus Zentralmexiko ableiten müsste.

Siedlungen wurden meist auf Berghöhen und Hochebenen, weniger in Tälern, angelegt. Sie waren kleiner als in der klassischen Zeit. Nicht nur die burgähnlichen Anlagen, sondern auch neue, bessere Waffen nach zentralmexikanischem Vorbild weisen auf die zentrale Bedeutung des Krieges hin. Neu gegenüber der klassischen Maya-Kultur war die Technik der Verarbeitung von Metall wie Gold, Silber, Kupfer, Zinn und Zink zur Herstellung von Schmuck, Werkzeugen und Waffen. Eine weitere Neuheit war die Technik glasierter Keramik. Eine besondere Form davon ist die Bleiglanzkeramik, die aus bleihaltigem Ton hergestellt wird. Bei vielen Keramikstücken ist zudem das sogenannte »Maya-Blau«, eine hellblaue Farbe, kennzeichnend.

Im Laufe der Zeit konnten die K’iche’ (so die Eigenbezeichnung; spanisch Quiché)58 die meisten ihrer Nachbarstädte zu Vasallenstaaten machen. Diese mussten den K’iche’ Tribut leisten und wurden im Kriegsfall zur militärischen Unterstützung herangezogen. Das Herrschaftsgebiet der K’iche’ umfasste schließlich das gesamte Hochland von Guatemala und die westliche Pazifikküste. Dort, in Soconusco, trafen sie auf die Azteken. Denn Soconusco war der äußerte Handelsposten der Azteken in dieser Region. Nach 1470 änderte sich die Lage und die Kaqchikel wurden zur vorherrschenden Macht. Der Konflikt zwischen diesen und den K’iche’ sollte später den spanischen Eroberern zum Vorteil gereichen, denn die Kaqchikel unterstützten die Spanier im Kampf gegen ihre Feinde, die K’iche’.

Die gesellschaftliche Gliederung der K’iche’ war hierarchisch und entsprach weitgehend der der klassischen Maya-Zeit: Der Adel auf der einen Seite und das aus Bauern, Handwerkern etc. bestehende Volk andererseits. In der Hauptstadt Q’umarkaj entwickelten sich aus den ursprünglich vier Dynastien bzw. »Häusern« (Kaweq’, Nijaib’, Tamub’ und Ajaw K’iche’) im Laufe der Zeit 24 Dynastien. Aus diesen Fürstenhäusern rekrutierte sich der gemeinsame Regierungsapparat: Herrscher und oberster Sprecher, Richter, Provinzoberhäupter. Archäologisch spiegelt sich dies darin, dass die Hauptstadt Q’umarkaj aus vier Stadtvierteln als Sitz je einer der vier ursprünglichen Dynastien mit jeweils einem Tempel, Palast und Versammlungsgebäude bestand. Die drei großen Tempel im Stadtzentrum waren dem Sonnengott Tojil, der Mondgöttin Awilix und dem Himmelsgott Jaqawitz geweiht. Die einzelnen Fürstentümer waren durch Heiratsallianzen oder militärischen Bündnisse miteinander verbunden – die Basis für die erfolgreiche Expansion der K’iche’.

Das Popol Vuh erzählt nicht nur den Schöpfungsmythos der K’iche’, sondern auch deren Geschichte; allerdings in einem religiös-mythischen Rahmen, nicht als historischer Bericht. Danach wanderten die drei K’iche’-Gruppen Nimak’iche (»Groß-K’iche’«), Ilokab’ (»Späher«) und Tamub’ (»Trommler«) in das Chujuyub’-Gebirge, das Gebiet des zentralen Hochlandes, ein und besiegten die dort ansässige Bevölkerung in mehreren Kämpfen, vor allem in der Schlacht am Berg Jakawitz. Von dort eroberten sie erfolgreich weitere Gebiete, von denen sie dann Tributleistungen erhielten. Nachdem sie sich zuerst am Berg Jakawitz angesiedelt hatten, wurde das nahegelegene Ismachi ihre Hauptstadt. Schließlich kam es zum Streit um die Führungsrolle der drei verbündeten Gruppen und zur Trennung. Die Nimak’iche machten Q’umarkaj (Utatlán) zu ihrer Hauptstadt und wurden zur mächtigsten der drei Gruppen.

Die Itzá in Yukatan: Chichén Itzá und Mayapán

Als bedeutende Städte der Maya-Gruppe der Itzá im Norden Yukatans sind in der postklassischen Zeit Chichén Itzá und Mayapán, beide im mexikanischen Bundesstaat Yukatan, zu nennen. Diese waren nicht die einzigen größeren Städte. Zu erwähnen ist zum Beispiel auch Cobá im mexikanischen Bundesstaat Quintana Roo. Diese Stadt hatte sich in der Klassik und vor allem in der Postklassik zur wichtigsten und größten im Nordosten von Yukatan mit einer Siedlungsfläche von 70 km2 und einem bedeutenden Zeremonialzentrum entwickelt. 45 Straßen (sakbeoob) verbanden die einzelnen Stadtteile untereinander und mit dem Umland. Nach Yaxuná führte sogar eine 100 km lange Straße.

Aber im Unterschied zu Cobá waren Chichén Itzá und Mayapán Metropolen, die das politische Geschehen in Yukatan bestimmten. Chichén Itzá ist vor allem deshalb von besonderem Interesse, weil hier ein starker zentralmexikanischer Einfluss in der Architektur und Kunst festzustellen ist: Chichén Itzá erscheint wie eine Zwillingsstadt von Tula, der Hauptstadt der Tolteken in Zentralmexiko. Wie genau aber die Beziehungen zwischen Tula und Chichén Itzá aussahen, wird nach wie vor diskutiert. Die letzte bedeutende Maya-Stadt nach dem Ende von Chichén Itzá und Mayapán war Maní. Hier veranstaltete der Missionar Diego de Landa ein Autodafé59, bei dem Götterdarstellungen, Codices – kurz, alle »Werke des Teufels« der Maya, wie Landa sie bezeichnete – zerstört wurden. Chichén Itzá wurde 1532 die erste Hauptstadt der Spanier in Yukatan. Erst 1697 wurde Tayasal, die letzte Maya-Stadt, von den Spaniern unterworfen.

1988 zum Weltkulturerbe der UNESCO erklärt, steht Chichén Itzá heute nach Teotihuacán auf Platz 2 der Liste der meist besuchten archäologischen Stätten in Mexiko. Interessant ist dabei, dass Chichén Itzá zwar offiziell als archäologische Stätte gilt, sich aber gleichzeitig teilweise in Privatbesitz befindet. Dies hat folgende Vorgeschichte: Edward Herbert Thompson (1854–1935), ein vom Reisebericht John Lloyd Stephens beeinflusster Maya-Hobbyforscher, erwarb Anfang des 20. Jh.s die auf dem Gelände einer Hacienda liegende Ruinenstätte Chichén Itzá für 500 Dollar. Aus dem dortigen Cenote barg er eine Vielzahl von Artefakten, die er an das Peabody Museum of Archaeology and Ethnology (Cambridge, Massachusetts) weitergab. Nachdem die Regierung Mexikos zunächst erfolglos versuchte, die Rückgabe der Fundstücke auf juristischem Wege durchzusetzen, wurde die Hälfte davon erst in den 1970er-Jahren wieder zurückgegeben. Nach dem Tod Thompsons wurde die Hacienda an die Familie Barbachano verkauft. 2010 verkaufte der damalige Besitzer ca. 80 Hektar des Geländes für 13 Millionen Euro an den mexikanischen Bundesstaat Yukatan. So befinden sich nach wie vor Hotels und Dörfer auf dem archäologischen Gelände.

Chichén Itzá im Norden von Yukatan entwickelte sich gleichzeitig mit den Puuc-Städten seit der Endphase der klassischen Zeit zu einer immer mächtigeren Stadt. Die Bücher des Chilam Balam berichten, dass die Itzá-Maya die Stadt zwischen 968 und 987 eroberten, und dass sie um 1145 zerstört wurde und ihr Ende fand. Auffallend ist die Ähnlichkeit der Stadt zu Tula, der 2000 km entfernten Hauptstadt der Tolteken in Zentralmexiko, weshalb beide als Zwillingsstädte bezeichnet werden. Die Nordgruppe von Chichén Itzá ist (im Unterschied zu der durch den Chenes-Stil geprägten Südgruppe) in gleicher Art und Weise geplant und gebaut wie Tula. In Chichén Itzá und Tula finden sich gemeinsame Merkmale in Architektur und Kunst, zum Beispiel der Kriegertempel, der dem Tempel des Quetzalcoatl in Tula ähnelt, Chak Mo’ol-Figuren, Krieger- und Jaguarfiguren, die als »Bannerträger« für Papierfahnen und Trägerfiguren (»Karyatiden«) von Altären dienten, Säulen in Form von Schlangen mit Schlangenköpfen an der Basis, Reliefs mit Schlangen fressenden Adlern, mit Jaguaren sowie mit in toltekischer Art bewaffneten Kriegern. Schließlich ist der Tempel des K’uk’ulkan ein Beleg für den gemeinsamen Kult der dementsprechend nicht nur in Zentralmexiko verehrten »Gefiederten Schlange«, die in Tula Quetzalcoatl genannt wurde.

Während in der Forschung Einigkeit über diese Ähnlichkeiten zwischen Chichen Itzá und Tula herrscht, wird die Frage, wie diese zu erklären sind, unterschiedlich beantwortet. Bis in die Mitte des 20. Jh.s sah man die Maya noch als friedvolles Volk und zentralmexikanische Ethnien wie Tolteken (und Azteken) im Unterschied dazu als kriegerisch an und ging deshalb davon aus, dass die Tolteken Chichén Itzá erobert und die Stadt dann in Architektur und Kunst beeinflusst hätten. Als sich dann die Erkenntnis durchsetzte, dass die Maya genauso kriegerisch wie andere Ethnien waren, interpretierte man auch die Beziehung zwischen Chichén Itzá und Tula anders. So vermutete man, dass Chichén Itzá immer von einer durchgehend einheitlichen Maya-Bevölkerung besiedelt wurde, die allerdings sehr stark von Zentralmexiko her beeinflusst gewesen sei. So sei zum Beispiel der sog. »Tolteken«-Komplex im Norden der Stadt vom Stil her zwar von Tula beeinflusst, die Bauherren aber seien Maya gewesen. Andere Forscher dagegen betonten, Chichén Itzá sei von Kultur und Stil her ausschließlich eine Maya-Stadt, die ihrerseits Tula beeinflusst habe. Demnach sei Tula sozusagen eine Kopie von Chichén Itzá und als solche qualitativ nicht so gut wie das Vorbild. Andere sahen den Grund für die Ähnlichkeiten in einem überregional bzw. international verbreiteten religiösen Kult des Gottes Quetzalcoatl, wie er beispielsweise auch in Xochicalco oder Cacaxtla nachweisbar ist. Heute tendiert man dazu, die Ähnlichkeiten als Ergebnis einer gegenseitigen kulturellen Assimilation und Allianz der gesellschaftlichen Elite zweier Ethnien zu sehen, die vor allem politisch-wirtschaftlich durch die Vorteile des Handels begründet war und durch diesen forciert wurde. Wie dem auch sei, feststeht, dass Chichén Itzá eine Metropole multikultureller Art war, die offen für Neuerungen und Einflüsse von außen war und als Großmacht die Zeit der frühen Postklassik im Maya-Gebiet prägte.

Chichén Itzá ist ein Name aus dem yukatekischen Maya und bedeutet »am Rand des Brunnens der Itzá«. Gemeint ist damit der Cenote, die Maya-Bezeichnung für eine Doline bzw. Öffnung im Kalksteinboden (Karsttrichter), die mit Wasser gefüllt ist – also ein Brunnen bzw. Wasserbecken. Wie bereits erwähnt, waren solche Cenotes den Maya heilig und sie brachten dort Opfer dar, einschließlich Menschenopfer. Der Cenote von Chichén Itzá war der Grund, warum die Stadt im Laufe der Zeit zu einem großen, überregional bedeutenden Wallfahrtsort mit einer riesigen Zeremonialanlage aufstieg. In dem Cenote fand man Unmengen von Opfergaben und an die 50 Skelette, wahrscheinlich Überreste von Menschenopfern.

Mit insgesamt 15 km2 ist die Zeremonialanlage von Chichén Itzá sehr weitläufig. Sie wird in eine Südgruppe mit Gebäuden im Maya- bzw. Chenes- und Puuc-Stil und eine Nordgruppe mit Gebäuden im zentralmexikanischen Stil unterteilt, die jeweils aus einer Reihe von Gebäudekomplexen bestehen. Zur Nordgruppe gehören die bekanntesten Gebäude der Stadt wie der Tempel des K’uk’ulkan (Castillo), der Kriegertempel, der Caracol, der Große Ballspielplatz, der Tempel der Jaguare sowie eine Reihe weiterer Tempel. Zur Südgruppe – auch Chichén Viejo (»Alt-Chichén«) genannt – gehören unter anderem das sogenannte Gebäude der Nonnen, die »Kirche«, das Rote Haus und der Tempel der Türstürze. Die Gesamtanlage von Chichén Itzá enthält neben diesen wichtigen Tempeln noch eine Menge anderer Tempel, Gebäude und Ballspielplätze. Es ist längst nicht alles ausgegraben. Die einzelnen Komplexe sind durch ca. 70 sakbeoob (sakbe = »weißer Weg«)60 bzw. Straßen miteinander verbunden.

Wie erwähnt, zeichnen sich die Gebäudekomplexe der Nordgruppe durch einen zentralmexikanischen Stil aus. Vieles wirkt wie ein Double von Tula. Das Zentrum der Großen Plattform ist die 30 m hohe Pyramide des K’uk’ulkan, El Castillo (»Schloss«) genannt. Sie ist ohne Vorbild in Tula. Die Fassaden der vier Seiten der Pyramide sind gestuft, wobei die neun Stufen die neun Himmel symbolisieren. An jeder Pyramidenseite ist jeweils eine Treppe mit 91 Stufen angebracht, die zusammen mit der Plattform die Anzahl der 365 Tage des Sonnenkalenders ergeben. Die nördliche Treppe der Pyramide wird an beiden Seiten von zwei Schlangenskulpturen eingerahmt, deren Köpfe sich an der Pyramidenbasis befinden. Oben auf der Pyramide befindet sich der Tempel des K’uk’ulkan, der »Gefiederten Schlange« (bzw. Quetzalcoatl in Zentralmexiko). Die jetzige Pyramide wurde über eine frühere gebaut, die ebenfalls neun Stufen hatte, aber nur eine Treppe. Ein besonderes Ereignis lockt bis heute viele Touristen an: An den Tagundnachtgleichen (Äquinoktien, 20./21.03. und 22./23.09.) entsteht durch den Stand der Sonne an der von Schlangen eingerahmte nördlichen Treppe ein besonderes Schattenspiel, das sich mit dem Schlangenkopf am Fuß der Pyramide so verbindet, dass es den Anschein hat, als ob eine Schlange von oben aus dem Tempel nach unten krieche.

Im Osten des Castillo fällt mit dem »Kriegertempel« eine weitere vierstufige Pyramide auf. Die Ähnlichkeiten mit dem Tempel des Quetzalcoatl in Tula sind offensichtlich. Allerdings übertrifft dieser Bau den von Tula an Größe und architektonischer Ausführung. Er war umgeben von Säulenhallen, von denen heute nur noch einige Säulen der »Gruppe der tausend Säulen« übriggeblieben sind. Vor der zum Tempeleingang führenden Treppe stehen mehrere Reihen von Pfeilern. Die Wände des Unterbaus der Pyramide zeigen Reliefs mit Darstellungen von sitzenden Kriegern mit Speerschleudern sowie Adlern und Jaguaren – ähnlich wie in Tula. Die Pfeiler, die das Dach der Säulenhalle und des Tempels trugen, zeigen Krieger sowie Adler, die Herzen verschlingen. Diese Kriegerdarstellungen waren namensgebend für den Bau. Der Tempel oben auf der Pyramidenplattform ist etwas nach hinten versetzt. Auf dem Platz davor befindet sich in der Mitte die Steinskulptur eines Chak Mo’ol, einer liegenden Kriegerfigur mit einer Vertiefung für Opfergaben, wie man sie von Tula her kennt. Ebenso sind die Säulen am Tempeleingang in Form von Gefiederten Schlangen sowie das Relief mit der Vogel-Mensch-Darstellung und der von vier Atlanten bzw. Kriegerfiguren getragene Altar im Innenraum des Tempels Stilmerkmale, die Chichén Itzá mit Tula gemeinsam hat.

In Chichén Itzá fand man bisher zwölf Ballspielplätze, darunter den größten und bedeutendsten in ganz Mesoamerika. Das Spielfeld dieses großen Ballspielplatzes ist 168 m lang und 68 m breit. Die Längsseiten sind umgeben von senkrechten, 8,5 m hohen Mauern, in deren Mitte ein Steinring angebracht ist, durch den der Ball wahrscheinlich geworfen werden musste. Die Reliefs auf den Innenwänden der Mauer zeigen den Sieg einer Mannschaft sowie unter anderem die Enthauptung eines Spielers, aus dessen Rumpf das Blut in Form von Schlangen herausschießt. Im Zusammenhang mit Menschenopfern steht auch der sich in der Nähe des Ballspielplatzes gelegene sogenannte Tzompantli: eine Mauer mit dem Relief eines Schädelgerüstes. Solche für Zentralmexiko typischen Schädelgerüste, an denen man die Schädel der Geopferten anbrachte, existierten an vielen Orten auch in natura (vor allem bei den Azteken).

Im Süden ist der Caracol (»Schnecke«) genannte turmförmige, an eine Schnecke erinnernde Rundbau von ca. zwölf Meter Durchmesser zu erwähnen. Er diente als Observatorium zur Sternbeobachtung. Der Bau steht auf einer großen, rechteckigen Plattform, zu der Treppen hinaufführen. Auf dieser Plattform erbaute man zwei weitere runde Plattformen, und darauf später den Caracol. Im Inneren führte eine Treppe nach oben zu einem Raum, in dem man den Verlauf der Gestirne am Himmel durch mehrere schmale, fensterartige Öffnungen beobachten konnte. Diese Öffnungen waren genau ausgerichtet, so eine auf den nördlichsten und eine auf den südlichsten Untergang des Mondes sowie eine auf den Untergang der Sonne an den Tagundnachtgleichen am 20./21.03. und 22./23.09.

Zu erwähnen ist ferner der »Tempel der Jaguare«, so genannt nach den Reliefs an seiner Wand, die eine Prozession von Herzen verschlingenden Jaguaren zeigen, dazwischen Darstellungen von Schilden. Im Inneren des Tempels befinden sich Wandmalereien mit Abbildungen von Kämpfen. Die Pyramidenbasis, auf der der Tempel steht, ist nur ein wenig größer als der Tempel selbst und verleiht dadurch dem Gebäude eine von den übrigen Tempeln abweichende Architektur.

In der Südgruppe weist das mehrmals umgebaute und daher sehr komplexe »Gebäude der Nonnen« Merkmale des Chenes-Stiles auf. So ist zum Beispiel der Eingang in Form eines Schlangenmaules gestaltet und die Fassadenverzierung zeigt eine Reihe von Symbolen des Regengottes Chaak. Auch die Fassade der »Kirche« ist mit Chaak-Masken verziert. Das »Grab des Hohenpriesters« ist eine ca. zehn Meter hohe, dem Castillo ähnelnde Pyramide und wurde so genannt aufgrund des darin enthaltenen Grabes. Die Fassade ist durch den Puuc-Stil geprägt, der Tempel selbst eher durch toltekische Merkmale wie die von zwei Gefiederten Schlangen umrahmte Eingangstür oder der Altar mit Atlanten im Tempelinneren.

Der Erfolg von Chichén Itzá lag in seiner Rolle zum einen als bedeutender Wallfahrtsort, zum anderen als »internationale« Handelsstadt. Wallfahrtsorte sind als Orte internationaler Zusammenkünfte in der Regel immer auch Stätten des Handels. So beruhte der Wirtschaftsboom von Chichén Itzá auf den intensiven Handelsbeziehungen ins Hochland von Guatemala einerseits und zur Golfküste sowie nach Zentralmexiko andererseits. Begünstigt wurde durch die Küstennähe der Seehandel, wobei die Isla Cerritos als Hafen diente. Gehandelt wurden Waren des alltäglichen Bedarfs wie Salz, Obsidian, Kopal, Metalle oder Stoffe sowie Luxusgüter wie Jade, Schmuck, Kakao, Honig oder Federn exotischer Vögel. Salz war dabei der Exportschlager. Vor allem in Chikinchel an der Nordküste Yukatans wurde eine intensive Salzproduktion betrieben. Als Wallfahrtsort war Chichén Itzá während seiner Blütezeit zwischen 900 bis 1100 n. Chr. eine Metropole mit schätzungsweise 50 000 Einwohnern. In der Zeit zwischen 1150 und 1250 kam es zum Niedergang der Stadt.

In Chichén Itzá regierte statt eines einzigen Herrschers ein Kollektiv von Adligen, das auch die Rituale zusammen durchführte. Über die einzelnen Persönlichkeiten dieses Regierungskollektivs sind wir bisher kaum informiert, wir kennen lediglich einige Namen. Öfters erwähnt wird auf Stelen eine Person der Herrscherelite mit Namen K’ak’upakal, die in der Mitte des 9. Jh. n. Chr. lebte.

Chichén Itzá wurde von Mayapán als Kult- und Handelszentrum abgelöst. Wie genau es zum Ende von Chichén Itzá kam, ist letztlich nicht vollständig geklärt. Nach den Büchern des Chilam Balam wurde Chichén Itzá um 1145 zerstört. Mayapán gelang es offensichtlich, durch Intrigen und entsprechende Bündnisse, den Rivalen zu besiegen. Die Chilam Balam-Bücher beschreiben das Ende von Chichén Itzá so: Der Herrscher Hunak Ke’el aus der Cocom-Dynastie von Mayapán wurde von Chichén Itzá gefangengenommen und als Opfer in den dortigen Cenote geworfen. Er überlebte aber und konnte in einem folgenden Rachefeldzug Chichén Itzá besiegen. Mayapán wurde darauf in der Zeit zwischen 1250 und 1450 n. Chr. zum bedeutendsten Kult- und Handelszentrum in Yukatan. Nach Bericht der Chilam Balam-Bücher kam es zur Bildung der »Liga von Mayapán« (mul tepal), ein Verbund von Vertretern mehrerer Dynastien verschiedener Maya-Städte unter Führung von Mayapán. Ob diese Liga wirklich existiert hat, wird allerdings angezweifelt.

Mayapán liegt ca. 90 km südwestlich von Chichén Itzá und erscheint architektonisch wie eine Kopie davon. Allerdings fallen die »kopierten« Gebäude, wie die Pyramide von K’uk’ulkan, das Observatorium oder die Säulenhallen, kleiner aus als die Originale. Die Sieger beriefen sich damit also ganz bewusst auf die Tradition von Chichén Itzá. Dies gelang Mayapán vor allem als Handelsmetropole, die andere Städte wie Tulum, Cozumel, Santa Rita und Ichpaatun kontrollierte. Insgesamt 3600 Bauten sind in Mayapán bekannt. Zum Schutz gegen Angreifer war die Stadt von einer neun Kilometer langen Mauer mit zwölf Stadttoren umgeben. Man schätzt, dass die Stadt bis zu 17 000 Einwohner hatte. Mayapán wurde schließlich im Kampf um die Vorherrschaft zwischen zwei Dynastien der Itzá-Maya, der in Mayapán regierenden Dynastie der Cocom und der in Maní residierenden Dynastie der Tutul Xiu unter deren Herrscher Ah Xupan Xiu 1461 besiegt und zerstört. Die Stadt Maní trat die Nachfolge von Mayapán an, wurde dann aber ihrerseits von den Spaniern erobert. Im Unterschied zur Cocom-Dynastie unterstützte die Dynastie der Tutul Xiu die Spanier während der Eroberung. So verbündete sich Francisco Montejo Xiu (Ah Kukil Xiu, wie er vor seiner Taufe hieß) 1542 mit dem spanischen Eroberer Francisco de Montejo y Léon und trug so zum raschen Erfolg der spanischen Eroberung bei. Bis heute gibt es Nachkommen der Dynastie Tutul Xiu.

Mit dem von Diego de Landa in Maní veranstalteten Autodafé am 12. Juli 1562, bei dem so gut wie alle Codices und Götterdarstellungen der Maya zerstört wurden, fand die Maya-Kultur weitgehend ihr Ende. Aber noch nicht vollständig. Denn um 1221 war eine Gruppe der Itzá aus Chichén Itzá an den Petén-Itzá-See ausgewandert und hatte auf der heutigen Insel Flores ihre Hauptstadt Tayasal gegründet. Tayasal gelang es nicht nur, ein relativ großes Gebiet im südlichen Tiefland zu kontrollieren und tributpflichtig zu machen, sondern sie war auch die letzte Maya-Stadt, die erst 1697 von den Spaniern erobert wurde.

58K’iche’ = »viele Bäume«, von k’i = »viele« und iche’ = »Baum«. Die K’iche’ bilden heute die größte Maya-Sprachgruppe.

59Ein Autodafé ist ein Strafverfahren der Inquisition, dessen Vollstreckung zumeist eine Verbrennung ist, s. dazu ausführlicher S. 221.

60s. S. 139 f.