DIE WELT DER MAYA AUF NEUEN WEGEN: NEUE ENTDECKUNGEN, NEUE ENTWICKLUNGEN

Vergesst nicht, dass wir da sind, dass wir viele sind, und dass wir allen Dürren trotzend immer wieder erblühen werden.215

So die Kritik der Maya-Aktivistin Alika Santiago Tejo an dem Projekt »Tren Maya«, von dem in diesem Kapitel die Rede ist, das eine Übersicht und Ausschau nicht nur über den aktuellen Stand der Maya-Forschung, sondern auch über die Situation, Probleme und Zukunft der Maya heute geben soll.

Neue Entdeckungen:
Aktuelle Highligths der Maya-Forschung

Nach wie vor ist die Maya-Kultur eine der faszinierendsten der Welt, nicht zuletzt deswegen, weil längst noch nicht alle ihre Geheimnisse gelüftet sind. Im dichten Dschungel liegen noch eine Vielzahl von Maya-Stätten unentdeckt unter der Erde. Und selbst im Fall der bekannten und touristisch erschlossenen Maya-Stätten wie Tikal oder Palenque ist jeweils nur ein Bruchteil der Anlage ausgegraben und restauriert. So werden wir auch in Zukunft noch eine ganze Reihe von Entdeckungen erleben. Die Maya-Forschung wird sich infolgedessen immer wieder mit neuen Erkenntnissen beschäftigen und sicher nicht zum letzten Mal die Maya-Geschichte neu schreiben müssen. An dieser Stelle soll noch einmal ausführlicher auf die aktuellen Entdeckungen, Bereiche und Methoden der Maya-Forschung – die nicht selten mit einer Revidierung der bisherigen Ergebnisse verbunden sind – eingegangen werden. Zur Erinnerung kurz noch einmal eine Auflistung der vergangenen und neuen Entdeckungen:

·1946 wurden die Wandgemälde von Bonampak entdeckt, die bewiesen, dass die Maya nicht – wie bis dahin angenommen – ein friedliebendes Volk ohne Krieg und Menschenopfer gewesen seien.

·1952 wurde das Grab des Herrschers Pakal in Palenque entdeckt, das zeigte, dass die Pyramidenbauten der Maya – entgegen der bisherigen Ansicht – Gräber enthielten bzw. Grabbauten waren. Zudem war es das erste Beispiel der prunkvollen Bestattung eines Maya-Herrschers.

·Ein weiterer großer Schritt waren die Fortschritte in der Entzifferung der Maya-Hieroglyphen: Juri Walentinowitsch Knorosow erkannte in den 1960er-Jahren, dass es sich bei der Maya-Schrift nicht (wie bislang angenommen) um eine Buchstabenschrift handelt, sondern um eine aus Wörtern und Silben bestehende Schrift. Erst zu Ende des 20. Jh.s gelang es, die Inschriften der Stelen und Gebäude soweit zu entziffern, dass man eine fast mehr oder weniger vollständige Dynastiegeschichte der einzelnen Städte erstellen konnte.

·2001 entdeckte man in San Bartolo die ältesten Wandmalereien der Maya aus der Zeit um 100 v. Chr.

·2013 wurde in Uxul ein Massengrab entdeckt, ein »realer« Beleg für die Menschenopfer der Maya.

·2016 entdeckte man das bereits bekannte Straßennetz von El Mirador in seinem ganzen Umfang von 240 km.

·2018 entdeckte man 60 000 Siedlungsreste in der Region von Tikal, die aufzeigen, dass Siedlungsdichte und Landwirtschaft der Maya intensiver waren als gedacht.

·2020 wurde Aguada Fénix, das bislang älteste und größte Zeremonialzentrum der Maya, in seinem ganzen Umfang entdeckt.

Wie diese Aufzählung zeigt, erfolgen vor allem in letzter Zeit in fast jährlichem Abstand immer wieder neue Entdeckungen. Nach wie vor veranlassen diese immer wieder zu einem Umdenken und führen zu einem neuen Bild der Maya-Kultur – vor allem durch den Einsatz der modernsten Technologie. Mussten sich John Lloyd Stephens und Frederick Catherwood ihren Weg noch mühsam zu Fuß und mit Maultieren durch den unwegsamen Dschungel bahnen, ermöglichen heute moderne technischen Methoden einen bequemeren und vor allem schnelleren Überblick. Besonders der Lidar-Methode und der Strontiumisotopen-Analyse sind wesentliche Fortschritte in der Maya-Forschung zu verdanken. Dies soll im Folgenden an drei Beispielen aufgezeigt werden.

Lidar (Light Detection and Ranging) ist eine Technik, bei der man mit den von einer Messsonde ausgesendeten Laserscans vom Flugzeug aus Strukturen der im Regenwald versteckten Gebäude »abtasten« und so entdecken kann. Dabei wird die Zeitdauer zwischen dem Aussenden und der Rückkehr der Laserstrahlen sowie ihre Stärke gemessen. Mit den erhaltenen Daten kann man dann ein Oberflächenprofil der Landschaft erstellen und dabei die Vegetation »entfernen«, sodass man die ansonsten von Bäumen bedeckten Bauwerke besser erkennt. Man erhält so ein dreidimensionales Bild von den Gebäudestrukturen und -resten.

So entdeckte man Anfang 2018 mit der Lidar-Methode 60 000 Siedlungsreste bzw. Ruinen im Norden von Guatemala: Reste von Palästen, einfachen Häusern, Verteidigungswällen, landwirtschaftlichen Feldern und sogar eine siebenstöckige Pyramide. Es waren keine spektakulären Tempel oder Paläste, wie wir sie von anderen Maya-Stätten kennen. Trotzdem waren die Funde für die Forschung von großer Bedeutung: Hatte man sich lange Zeit auf Paläste und Tempelanlagen der High Society konzentriert, so ermöglichten die neuen Funde ein besseres Bild von der einfachen Bevölkerung und der ländlichen Besiedlung. So gelangte man zu der neuen Erkenntnis, dass die Einwohnerzahl dieser Region mit 10 bis 15 Millionen dreimal höher war als bisher geschätzt. Demzufolge war die Landwirtschaft der Maya intensiver als bisher angenommen. Und schließlich ist nun davon auszugehen, dass das gesamte Maya-Gebiet wesentlich dichter besiedelt war als vermutet: »Wir erkennen, dass ganz Guatemala und benachbarte Länder wie Belize eine einzige, große historische Maya-Stätte sind.«216

Spektakulärer war eine Meldung, die im Juni 2020 in den Medien kursierte: »Forscher entdecken älteste und größte Monumentalanlage der Maya«217 oder »Die Geburtsstunde der Maya«218, so die Schlagzeilen der Nachrichten über die »Neuentdeckung« Aguada Fénix219. Zwar hatte man schon seit 2017 Kenntnis von der Existenz archäologischer Stätten in diesem Gebiet, aber erst im Juni 2020 entdeckte der Archäologe Takeshi Inomata von der University of Arizona mithilfe der Lidar-Methode das ganze Ausmaß der Anlage von Aguada Fénix. Es ist die aktuellste und bekannteste Ruinenstätte, die mit der Lidar-Methode entdeckt wurde. Aguada Fénix ist ein Beispiel dafür, dass wir immer wieder mit solchen bahnbrechenden Entdeckungen rechnen müssen, die eine teilweise Revidierung der bisherigen Forschungsergebnisse notwendig machen. Ging man bisher davon aus, dass der Bau von monumentalen Anlagen eine sesshafte und hierarchisierte Gesellschaft voraussetzt, so scheint Aguada Fénix das Gegenteil zu beweisen: Nämlich dass in diesem Fall eine solche Anlage von einer nicht sesshaften und nicht hierarchisierten Gesellschaft errichtet wurde.220 Zudem ist der bisherige Beginn der Maya-Kultur vorzudatieren. Aber dies sind vorläufige Annahmen der Archäologen. Es ist durchaus möglich, dass man in der Nähe doch noch Siedlungsreste findet, die dann die Sesshaftigkeit der Erbauer von Aguada Fénix belegen würden. Jedenfalls folgt auf eine solche sensationelle Entdeckung eine gewisse Zeit der wissenschaftlichen Untersuchung und Auswertung des Fundortes und der Funde, bis man ein sicheres faktenbasiertes Ergebnis erhält. Und jederzeit können anderswo weitere neue Funde ein mehr oder weniger anderes Bild der vorspanischen Maya-Kultur liefern.

Ein anderes, neueres Verfahren der Archäometrie, die Strontiumisotopenanalyse von Zähnen und Knochen, wird ebenfalls erfolgreich in der Maya-Forschung eingesetzt. Bei der Strontiumisotopenanalyse werden die Isotope des Strontiums untersucht. Das Isotopenverhältnis von Strontium in Zähnen und Knochen eines Menschen ist abhängig von den jeweils unterschiedlichen Isotopenverhältnissen des Strontiums in der Umwelt, das der Mensch mit Nahrung und Trinkwasser aufnimmt. Während der Strontiumwert der Zähne sich nicht mehr verändert und somit Auskunft über die Herkunft eines Menschen gibt, verändert sich der Strontiumwert der Knochen eines Menschen ständig im Laufe seines Lebens, sodass dieser Wert Auskunft über den letzten Aufenthalt gibt. Die Strontiumanalyse informiert also bei einem Skelettfund zum Beispiel darüber, ob der Tote an den Ort des Fundes eingewandert war oder nicht.

2013 entdeckte der Bonner Altamerikanist Nicolaus Seefeld in Uxul221 im mexikanischen Bundesstaat Campeche ein Massengrab von ca. 20 Frauen, Männern und Kindern, die rituell geopfert worden waren. Zunächst vermutete man, dass Uxul erobert und die Herrscherdynastie von Uxul durch rituelle Tötung ausgelöscht worden war. In dem Projekt zur ritualisierten Gewalt in der Maya-Gesellschaft der Bonner Universität wurden die Knochen näher untersucht. Erst 2019 war man zu konkreteren Ergebnissen gelangt: Eine Strontiumisotopenanalyse der Zähne (durchgeführt von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko) hatte gezeigt, dass viele der Geopferten nicht aus Uxul, sondern aus einer weiter entfernteren Gegend im südlichen Tiefland stammten. Mindestens ein Opfer war allerdings in Uxul aufgewachsen. So geht man jetzt davon aus, dass Uxul eine Stadt im südlichen Tiefland erobert und danach Vertreter der High Society als Kriegsgefangene in Uxul geopfert hatte. Noch ist das Projekt bzw. die Untersuchung des Massengrabes nicht abgeschlossen.

Meldungen wie »Die Geburtsstunde der Maya«222, wie die Medien im Fall von Aguada Fénix titelten, suggerieren, dass man mit der Entdeckung sofort neue Erkenntnisse und Ergebnisse vorweisen kann – so wie hier, dass Aguada Fénix den Anfang der Maya-Kultur darstellen würde. Zum einen ist dies nicht die letzte Entdeckung in der Maya-Forschung, spätere Entdeckungen folgen mit Sicherheit und können durchaus wieder die jetzigen Erkenntnisse infrage stellen. Zum anderen ist es ein zeitlich oft langer Weg von der Entdeckung über die Bestandsaufnahme der Funde bis zur wissenschaftlichen Auswertung. Denn nach der Entdeckung einer neuen Fundstelle erfolgt zunächst eine Art Spurensicherung wie beim Tatort in einem Mordfall, d. h. die vollständige Dokumentation durch Vermessung, Aufzeichnung, Fotografie und dem Bericht darüber. Die geborgenen Fundstücke wie Keramik werden ebenfalls dokumentiert und katalogisiert. Menschliche Überreste bzw. Knochenfunde werden mit diversen Verfahren wie der Strontium- oder aDNA-Analyse (der Analyse »alter« DNA) untersucht. Erst nach dieser teilweise sehr zeitaufwendigen, nicht selten mehrere Jahre dauernden Dokumentation und Analyse erfolgt die wissenschaftliche Auswertung in einem Abschlussbericht. Schließlich ist auch mit diversen anderen Umständen, die eine Verzögerung verursachen, zu rechnen, wie im Fall von Sak Tz’i’.

Sak Tz’i’ ist eine Maya-Stätte mit abenteuerlicher Entdeckungsgeschichte. Diese beginnt 1994, als Linda Schele und Nikolai Grube auf einer Inschrift erstmals den Namen einer bis dahin unbekannten Maya-Stadt entdeckten: Sak Tz’i’ (»Weißer Hund«). 2014 traf der Archäologiestudent Whittaker Schroder nahe Lacanjá Tzeltal im mexikanischen Bundesstaat Chiapas einen Straßenverkäufer, der ihm von einer Stele mit Inschriften, die er auf einer Viehweide gefunden hatte, berichtete. Die Stele, so stellte sich heraus, stammte aus Sak Tz’i’, der lange gesuchten Maya-Stadt. Mit der Ausgrabung unter Leitung von Charles Golden von der Brandeis University konnte man aber erst 2018 beginnen. Denn bis dahin musste die Grabungserlaubnis dafür buchstäblich erkämpft werden. Der Aufwand hatte sich jedoch gelohnt: Bisher wurden 120 Gebäude entdeckt, zum Beispiel Wohngebäude, Tempelpyramiden und ein Ballspielplatz. Erstmals um 750 v. Chr. besiedelt, konnte sich Sak Tz’i’ in der klassischen Zeit zu einer mittelgroßen Stadt entwickeln. Nach wie vor dauert die Ausgrabung an.

Auch die Entzifferung der Maya-Hieroglyphen geht weiter voran. In Bonn leitet Nikolai Grube, Professor für Altamerikanistik, seit 2014 das Projekt »Textdatenbank und Wörterbuch des Klassischen Maya«.223 Diese Textdatenbank wurde von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste mit einer 15-jährigen Laufzeit eingerichtet. Ziel ist die »Erschließung der Hieroglyphenschrift der vorspanischen Mayakultur und Aufbau eines Wörterbuchs des Klassischen Maya sowie einer korpusbasierten Datenbank der bislang rund 10 000 bekannten Schriftträger«224 Dabei geht es um die computergestützte kulturgeschichtliche und vor allem epigrafische Erfassung aller Hieroglyphentexte.

Nicht nur archäologische Funde, sondern auch andere Bereiche wie die Schriften spanischer Missionare in der Kolonialzeit eröffnen neue Zugänge zur Welt der Maya. So übersetzte und untersuchte im Rahmen des bis 2019 laufenden Projektes »Theologia Indorum« ein internationales Team von Forschern der George Mason University (Washington D. C.), der University of Texas (Austin), der Universidad Ràfael Landívar (Guatemala) und der Universität Bonn unter Leitung von Garry Sparks das 1550–1554 entstandene und in der K’iche’-Sprache geschriebene Werk Theologia Indorum (»Theologie für die Indios«) des Dominikanermissionars Domingo de Vico. Die Übersetzung des Werkes ermöglichte wertvolle Einblicke in die Vorstellungswelt der postklassischen Maya im Hochland von Guatemala. Denn De Vico hatte sich intensiv mit den religiösen Vorstellungen der Maya beschäftigt und bezieht sich in seinem Werk immer wieder darauf, um den Maya die christlichen Vorstellungen zu erklären und nahezubringen.

Im Folgenden soll der Blick nicht nur rückwärts in die Welt der vorspanischen Maya, sondern ebenso vorwärts in die Welt der heutigen Maya, ihrer Situation, Probleme und Zukunft gerichtet und an drei Beispielen verdeutlicht werden: Biopiraterie und traditionelle Maya-Heilkunst in der modernen Medizin, das Problem der Migration sowie das aktuelle Projekt »Tren Maya«.

Maya-Schamanen, Biopiraterie und moderne Medizin

Schamanen, Medizinmänner und Wahrsager sind nach wie vor bei den Maya gefragt. Die traditionellen Schamanen und Heiler haben ein sehr fundiertes Wissen über wirksame Heilkräuter. Dies haben inzwischen auch Pharmakonzerne erkannt und versuchen, dieses Wissen und die entsprechenden Heilkräuter für die Entwicklung neuer Medikamente nutzbar zu machen und sich diese dann patentieren zu lassen, ohne dass die Indios an den Gewinnen beteiligt werden. Man spricht in so einem Fall von Biopiraterie (analog zu dem Begriff Produktpiraterie). Allerdings stößt dieses Vorgehen zunehmend auf Widerstand der Maya, und im Fall des Projektes ICBG-Maya war dieser erfolgreich. Dabei beabsichtigten zwei kooperierende Forschungsinstitute der USA und Mexikos das Wissen traditioneller Heiler in Chiapas zu dokumentieren. Diesen aber gelang es, 3000 Gemeinden zu gemeinsamen Protestkampagnen zu mobilisieren, sodass das Projekt 2001 wegen mangelnder Beteiligung der Heiler aufgegeben werden musste.

Auch in der medizinischen Forschung interessiert man sich mittlerweile für die traditionellen Heilmethoden der Maya. So verglich das Projekt »Maya and contemporary scientific conceptions of cancer« (MACOCC-Projekt) der ETH Zürich und Universität Zürich die Heilungsmethoden der westlichen Schulmedizin mit denen der Maya-Heiler bei Krebserkrankungen und untersucht die »Body-Mind Komplementaritäten auf der Ebene der Zelle, des Patienten und der therapeutischen Allianz«.225 Als transdisziplinäres Projekt verfolgten die teilnehmenden Partner gewisse Interessen und Ziele, die sie den anderen gegenüber offenlegten. Die Interessen der ETH Zürich wurden folgendermaßen dargestellt:

»Trotz großer Fortschritte der Psychoneuroimmunologie werden in der Schulmedizin psychologische, soziale oder gar spirituelle Faktoren der Ätiologie von Krebs als marginal betrachtet und nur bei Einzelfällen herangezogen, für die gängige Theorien keine Erklärung liefern. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle angeführt, dass wir annehmen, dass alle Lernprozesse mit differenzierten biophysikalisch-chemischen Prozessen verbunden sind. Es wird aber postuliert, dass – wie schon etymologisch im Begriff ›in-form-ation‹ dargelegt – biotische Systeme ab einer bestimmten Entwicklungsstufe aus den molekularen Strukturen Formen oder Muster extrahieren, die dann zu bedeutungsvollen Signalen werden können, welche das Verhalten dieser Systeme beeinflussen.«226

Zu den Zielen und Interessen der Maya an diesem Projekt heißt es:

»Die guatemaltekischen Maya Ältesten waren sich der Gefahr, Maya Wissen zu verlieren, bewusst. Deshalb wurde das Macocc Projekt als einmalige Chance gesehen, das medizinische Wissen der Mayas zu dokumentieren und zu erhalten. Don Cirilo Oxlaj Perez nahm in seiner Begründung, das Projekt zu unterstützen, zudem Bezug auf den Maya Kalender. Am 21. Dezember 2012 endet der 13. Bakun […] und es beginnt eine neue Zeitepoche der Mayas. Das Ende des Bakuns wurde mit zwei bemerkenswerten Zielen verknüpft, zum einen mit der Mission der Mayas ›der Welt etwas zu geben‹ und zum zweiten, um eine ›Brücke zwischen den Mayas und der westlichen Welt zu bauen.‹«227

Diese Aussage ist gleichzeitig ein Paradebeispiel dafür, wie stark westliches esoterisches Gedankengut von den Maya selbst rezipiert und Teil ihrer Kultur wird bzw. bereits geworden ist. Ferner nannten die Maya-Vertreter politische Gründe, so zum Beispiel, dass das medizinische Wissen der Maya von der Regierung weder geschätzt noch unterstützt wird. So begrüßenswert die Beteiligung von Maya-Heilern an solch einem medizinischen Projekt ist, so ist es doch andererseits zu bedauern – und gleichzeitig ein Zeichen westeuropäischer Ignoranz – dass sich die Leitung des Projektes offenbar wenig mit der vorspanischen Maya-Kultur und -Tradition beschäftigt und somit unkritisch die von den Maya geteilte esoterische Ideologie bezüglich des nach dem Maya-Kalenders prophezeiten Weltunterganges übernommen hat.228

Die Migrantenkarawane auf dem Weg nach Norden

»Tausende Migranten erreichen Guatemala«229: Diese und ähnliche Meldungen kursierten Anfang Januar 2021 in den Medien. Die Hintergründe: Armut, Bandenkriminalität und -gewalt sowie die Zerstörungen durch zwei Wirbelstürmen im November 2020 veranlassten an die 9000 Migranten aus Honduras (die meisten Mestizen), sich auf den Weg Richtung USA zu begeben, wo sie sich vor allem nach dem dortigen Regierungswechsel eine bessere Lebensexistenz erhofften. Allerdings wurde diese Migrantenkarawane durch den Einsatz von guatemaltekischen Sicherheitskräften schon an der Grenze zu Guatemala mit Gewalt gestoppt.

Schon zu Zeiten des Bürgerkriegs in Guatemala gab es dort Flüchtlingswellen ins Ausland, vor allem in die USA. Nicht nur Gewalt vonseiten der Regierung oder von Jugendbanden, sondern auch Armut sind nach wie vor Hauptgründe für die Migration. Gerade Guatemala und Honduras zählen zu den ärmsten Ländern Amerikas. Seit 2018 – nach einer Vereinbarung zwischen der US-Regierung unter Donald Trump und dessen mexikanischem Amtskollegen López Obrador – stoppte Mexiko die Migranten nicht nur an der Grenze zu den USA, sondern bereits an der Grenze zu Guatemala und bot sich darüber hinaus als »Warteraum« für die auf ihre Asylanträge wartenden Flüchtlinge an. Im Gegenzug verzichteten die USA auf die angedrohten Sanktionen wie Strafzölle. Ebenso konnte Trump die Regierungen von Guatemala und Honduras auf diese Weise zur Schließung ihrer Grenzen für Migranten veranlassen. Nach dem Regierungswechsel in den USA hatten nun gerade in Honduras viele Migranten mit »Reiseerleichterungen« gerechnet, die bislang nicht erfüllt wurden.

Ein Grund für die Migration ist das starke Anwachsen der Gewalt durch Jugendbanden, deren Macht nicht nur auf Drogen- und Waffen-, sondern ebenso auf Menschenhandel, Prostitution, Diebstahl, Autoschieberei und Erpressung beruht – vergleichbar den Mafiamethoden. Die bekannteste dieser Gangs ist die in El Salvador entstandene, aber in ganz Mittel- und Südamerika und neuerdings sogar in Europa agierende »Mara Salvatrucha« (von mara = Bande, salva = Salvadorianer und trucha = wachsam), auch als »Mara« oder »MS-13« bekannt. Für Touristen ist diese Bandenkriminalität ebenfalls ein nicht zu unterschätzendes Risiko. So warnt das deutsche Auswärtige Amt im Fall von Guatemala230 wie folgt: »Guatemala verzeichnet eine hohe Kriminalitätsrate. Neben der allgemeinen Straßenkriminalität ist Guatemala auch Schauplatz von Auseinandersetzungen im Bereich der Bandenkriminalität. Die Hemmschwelle beim Einsatz von Gewalt ist niedrig.«231 In Mexiko kommt noch das Problem und die Gefahr durch die vor allem im Norden des Landes bzw. im Grenzbereich zu den USA agierenden Drogenkartelle hinzu. Diese sind gleichzeitig als Schlepperbanden tätig, ohne die ein illegaler Grenzübertritt für Flüchtlinge in die USA letztlich unmöglich ist. Nicht selten werden die Migranten zum Transport von Drogen gezwungen. Die Drogenkartelle liefern sich dabei einen regelrechten Kampf um die Flüchtlinge und sind nicht zuletzt durch die Unterstützung von korrupten mexikanischen Migarationsbeamten erfolgreich. Zu diesem Migrationsdruck durch Bandenkriminalität kommen aktuell noch (wie bereits erwähnt) die durch zwei Wirbelstürme im Herbst 2020 verursachten Schäden hinzu: Die Infrastruktur nicht nur in Honduras, sondern auch in Guatemala und El Salvador ist teilweise völlig zerstört worden, Hunderttausende Menschen sind obdachlos geworden. Schließlich leiden auch diese Länder an den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Problemen der Corona-Pandemie.

Nur selten wird bei so einer Flucht der »amerikanische Traum« von Reichtum Wirklichkeit wie im Fall des Maya Marcos Antil, der davon in seiner Biografie erzählt:

»Ich bin Marcos Antil, Guatemalteke, Q’anjob’al-Maya, Familienvater, Leiter eines technischen Unternehmens, Gründer der Gesellschaft XumK in den USA, Kolumbien und Guatemala. Mit Klienten in mehr als 25 Ländern, darunter Fortune 500. Geboren und aufgewachsen in Santa Eulalia, Huehuetenango, Guatemala, emigrierte ich illegal in die USA ohne Familie, vor dem Krieg fliehend – wie es Tausende in dieser Region tun, um der Armut, dem Hunger und der kriminellen Gewalt zu entfliehen. Ich besuchte eine weiterführende Schule und studierte an der Universität in Kalifornien. An den Wochenenden arbeitete ich als Gärtnergehilfe und so kam ich durch eine unerwartete Beziehung auf den Weg zur technologischen Industrie. Ich ging diesen Weg, der über scheinbar unüberwindbare Grenzen verlief, um meine Situation sowie die meiner Familie und Gemeinde zu verändern.«232

Der Maya-Zug, ein Zug in die Zukunft?

Die archäologischen Maya-Stätten und der damit verbundene Tourismus sind ein wesentlicher wirtschaftlicher Faktor vor allem für Mexiko und Guatemala. In diesem Zusammenhang sorgt derzeit ein von der Regierung Mexikos geplantes Eisenbahnprojekt in Yukatan für Schlagzeilen: eine Eisenbahnstrecke von insgesamt 1525 km soll von Palenque über die Städte Escárcega, Campeche und Mérida bis Cancun und von dort über Tulum und Bacalar wieder zurück nach Escárcega führen. Dabei sollen bekannte antike Maya-Stätten wie Palenque, Chichén Itzá, Tulum, Coba, Calakmul, Xpuhil, Becán und Chicanná verbunden und für den Tourismus erschlossen werden. Geplant ist, 60 % der Strecke der schon bestehenden Eisenbahnstrecke zu übernehmen und 40 % neu zu bauen. Dies ist ein Prestigeobjekt des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, der immer wieder die Vorteile betont, zum Beispiel die Förderung eines Ökotourismus oder das Angebot neuer Jobs.233 Ab 2024 soll der Zug jährlich an die drei Millionen Touristen zu den Maya-Ruinen, den Karibikstränden und durch Naturschutzgebiete transportieren. Ende 2019 / Anfang 2020 wurde eine Befragung von ca. 100 000 Menschen in 84 Ortschaften durchgeführt: Danach befürworteten 92,3 % den Maya-Zug. Allerdings stieß die Befragung auf Kritik, so vonseiten des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Mexiko: Die internationalen Standards seien bei der Umfrage nicht eingehalten worden. Es sei nur über die Vorteile des Zugprojektes informiert worden, die Informationen seien nur unzureichend in die Maya-Sprache übersetzt worden und es hätten nur Gemeindevorstände und Bürgermeister abgestimmt. Nach wie vor erfährt das Projekt sowohl Zustimmung als auch Ablehnung. Während sich zum Beispiel im Bundesstaat Campeche 64 Maya-Gemeinden zur Unterstützung des Projektes zusammengeschlossen haben, wird andererseits vor allem der Bau der östlichen Strecke durch das Biosphärenreservat von Calakmul von der einheimischen Maya-Bevölkerung einschließlich der Zapatisten sowie diversen Umweltschutzorganisationen abgelehnt. Befürchtet werden von den Kritikern des Projektes nicht nur eine extreme Belastung und Schäden der Umwelt sowie der archäologischen Stätten, sondern ebenso die Vertreibung indigener Bauern von ihren landwirtschaftlich genutzten Feldern. Auf einer Teilstrecke wurde infolge des Protestes sogar ein vorläufiger Baustopp erreicht.

Das Projekt »Tren Maya« zeigt, dass die Geschichte der heute lebenden Maya, der vorspanischen Maya-Stätten und der Maya-Forschung weitergeht. Hier schließt sich der Kreis von den vorspanischen zu den heutigen Maya, wie es ein Gedicht der Lieder von Dzitbalché aus der postklassischen Maya-Zeit »vorausschauend« ausdrückt.

»Those who build houses and temples

Essential

to count the haab years or katun’ oob

that have passed since

the great powerful men

raised the walls of the ancient cities

that we see now

here in the province of the plains,

all these cities scattered

on the earth

here and there, on high hills.

Here in the cities, we try to give

meaning to what we see today in the skies

and what we know;

for day to day

at midday

we see in the skies

the signs told to us by

the ancient people of this land,

the ancient people of these villages

here on our earth.

Let us purify our hearts

so at nightfall,

and at midnight,

from horizon to zenith

we may read the face of the sky.«234

215Alika Santiago Tejo (Mitglied des Frauenkollektivs K-luumit X’ko olelo’ob in Bacalar) als Antwort auf die Morddrohungen gegen den Maya-Aktivisten Pedro Uc im Zusammenhang mit den Protesten gegen das Projekt »Tren Maya«.

216So Nikolai Grube, zit. in: https://www.tagesspiegel.de/wissen/spektakulaerer-fund-in-guatemala-maya-hochkultur-unterm-dschungel/20925862.html, abgerufen am 01.02.2021.

217https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/mexiko-forscher-entdecken-aelteste-und-groesste-monumentalanlage-der-maya-a-f33c5aa7-f559-47ce-a0d8-763aa87adc17, abgerufen am 01.02.2021.

218https://www.spektrum.de/news/die-geburtsstunde-der-maya/1740164, abgerufen am 01.02.2021.

219s. S. 57 ff.

220So die Archäologin Patricia McAnany in: https://www.spektrum.de/news/aguada-fenix-die-geburtsstunde-der-maya/1740164, abgerufen am 01.02.2021.

221s. S. 96. In Uxul führt ein internationales Team von Wissenschaftlern unter Leitung von Nikolai Grube, Professor für Altamerikanistik an der Universität Bonn, seit 2009 Ausgrabungen durch.

222https://www.spektrum.de/news/die-geburtsstunde-der-maya/1740164, abgerufen am 01.02.2021.

223s. S. 252.

224http://www.awk.nrw.de/forschung/forschungsvorhaben-im-akademienprogramm/textdatenbank-und-woerterbuch-des-klassischen-maya.html, abgerufen am 01.02.2021. Siehe dort alle näheren Informationen.

225Roland Scholz: Transdisziplinäre Krebsforschung. Das MACOCC-Projekt. Body-Mind-Komplementaritäten auf der Ebene der Zelle, des Patienten und der therapeutischen Allianz, EANU Spezial, Zürich 2012.

226Ebd. 6.

227Ebd. 11 f.

228Schon das Titelbild des EANU-Spezial-Heftes zeigt den aztekischen Sonnenstein bzw. Kalender, der nichts mit der Maya-Kultur zu tun hat, ein weiterer Beleg der Ignoranz der Projektleiter hinsichtlich der kulturgeschichtlichen Hintergründe.

229https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/honduras-guatemala-101.html, abgerufen 06.02.2021.

230Gleiches gilt für die Nachbarländer Guatemalas.

231https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/guatemala-node/guatemalasicherheit/221882, abgerufen am 06.02.2021

232Marcos Antil 2019, Klappentext.

233Auch die Deutsche Bahn ist an diesem Projekt beteiligt.

234In der Übersetzung von John Curl: http://www.famsi.org/spanish/research/curl/dzitbalche2.html, abgerufen 22.02.2021.