In diesem Kapitel werden wir uns mit der dunklen Seite sexueller Beziehungen befassen. (In Kapitel 11 geht es dann um die eher spirituellen und »erleuchtenden« Aspekte sexuellen Verlangens.) Leider gibt es viele »dunkle Machenschaften«, wenn mit dem sexuellen Verlangen zusammenhängende Probleme auftreten. Nicht ohne Grund hat einmal jemand geschrieben: »Eine lange Verbindung – andauernder Kontakt zwischen Menschen, wie er entsteht, wenn ein Mann und eine Frau zusammenleben – das läuft auf eine Art Verwesung hinaus, auf die Entstehung eines Gifts.«1
Lieblose Handlungen gehören zur Ehe. Emotionale Patts, emotionale Verschmelzung und Entscheidungsdilemmata führen zu alltäglichen emotionalen Grausamkeiten, die keine physischen Spuren hinterlassen. Wenn Sie Ihren Partner in einer monogamen Beziehung foltern wollen, können Sie dies kaum besser, als indem Sie Sex und Verlangen instrumentalisieren. Diese Art von emotionaler Tortur bezeichne ich als »normalen ehelichen Sadismus«. Er manifestiert sich auf vielfältige Weisen, beispielsweise in Form verletzender Äußerungen oder des Zurückhaltens wichtiger Informationen. Sie könnten besonders geschickt darin sein, strategisch zu manövrieren oder subtil (oder auch weniger subtil) zu zwingen, Druck auszuüben, zu manipulieren und Ihren Partner herabzusetzen. Egoismus und Misstrauen zählen in manchen Ehen zur Normalität.
Haben Sie und Ihr Partner einen Pakt mit dem Teufel? Beruhen Ihre Probleme bezüglich des Verlangens auf einem Handel, dessen Konsequenzen Sie irgendwann werden tragen müssen? Aufgrund ihrer niedrigsten Instinkte stimmen Paare schädigenden emotionalen Vereinbarungen zu. Und einige dieser »Deals« töten garantiert das sexuelle Verlangen: Ein Beispiel hierfür ist eine »Trophäenfrau« (oder ein entsprechender Mann). Ihre Ehe basiert auf der Kunst, einen Handel abzuschließen. Dabei spielt Sex gewöhnlich eine wichtige Rolle. Leider hat dieser Handel jedoch zur Folge, dass das sexuelle Verlangen früher oder später einschläft und schließlich abstirbt.
Ich werde Ihnen nun die Geschichte von Barbie und Ken erzählen, einem Paar, dessen Probleme durch ein Abkommen der soeben beschriebenen Art entstanden waren. Barbie und Ken passten in einem gewissen Sinne perfekt zusammen: eine Trophäenfrau und ein Trophäenmann. Ken war ein erfolgreicher Neurochirurg, der es gewohnt war, dass andere Menschen sich seinen Wünschen und Vorstellungen fügten. Barbie war eine wunderschöne »Nur-Hausfrau«, der die Männer in Scharen hinterherliefen. Ken und Barbie konnten gegenüber anderen Menschen in der Regel ihren Willen durchsetzen. Beide waren aufgeblasen und unsicher, und beide misstrauten dem anderen Geschlecht.
Barbie hätte Filmstar sein können: Sie hatte große Brüste, trug starkes Make-up, und ihr Haar wallte; sie wirkte schrill, sexy und ungeheuer kokett. Als Barbie noch jünger gewesen war, hatte ihr Erscheinen auf Partys jedes Mal einen Menschenauflauf verursacht. Mittlerweile, mit Ende 40, wirkte sie ein wenig verhärtet, und ihre Aufmachung war etwas übertrieben.
Ken sah mit seinem kantigen Kinn wie ein geschniegelter »harter Bursche« aus. Frauen fielen reihenweise in Ohnmacht, weil sie seinem Charme und seinem guten Aussehen erlagen. Doch Ken hatte nicht einen Funken Respekt ihnen gegenüber. In dieser Hinsicht glich er seiner Frau Barbie. Diese hatte keinen Respekt vor Männern, die, wie sie meinte, »alle Schwanz-gesteuert« waren; doch andererseits konnte sie auf die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts kaum verzichten.
Barbie und Ken waren das prototypische »wunderschöne Paar«. In Restaurants drehten sich die anderen Gäste nach ihnen um und bewunderten sie. Sie hatten Geld, trugen teure Kleider, fuhren schöne Autos und gehörten dem richtigen Country-Club an. Sie nahmen Tanzstunden und genossen es, sich in besonders »heißen« Tanzbewegungen zu ergehen, so dass andere Paare ihnen applaudierten. Ken und Barbie genossen diese Art von Applaus, weil sie in ihrem Schlafzimmer keinen hörten.2
Ken war aus Barbies Sicht ein guter Fang gewesen. Ihre Mutter hatte sie auf ihn als einen geeigneten Ehekandidaten aufmerksam gemacht, und daraufhin hatte Barbie ihn sich geangelt. Männer für sich zu gewinnen, war für sie leicht. Ihr war klar, dass diese glaubten, sie würden Barbie »abschleppen«, obwohl sie ihre »Eroberer« in Wahrheit ausnutzte. Ken hatte geleuchtet wie ein Christbaum, als sie ihm ein wenig von ihrer sexuellen Energie zugesandt hatte. Er hatte sich ihr gegenüber als sehr stark dargestellt, und sie hatte sich die vermeintliche Eroberung gerne gefallen lassen.
Barbie genoss es, verehrt zu werden, sowohl im Bett als auch anderswo. Anfangs hatte Ken sie geradezu »andächtig« geliebt. Wie die meisten Männer war er von ihrer Schönheit hingerissen, und sie brauchte sich nur zurückzulehnen und anzunehmen, was sie bekam. Gewöhnlich erreichte sie den Höhepunkt durch orale Stimulation. Im Anschluss daran drang Ken in sie ein und kam dann selbst zum Orgasmus.
Ken genoss den Sex mit Barbie. Er sog den Anblick ihres schlanken Körpers und wie dieser sich anfühlte begierig ein. Er legte sie gern auf den Rücken und schaute sie in dieser Position an, während er in ihr war. Auch sich selbst beobachtete er beim Zusammensein mit dieser wunderschönen Frau, und er hatte dabei ein Gefühl wie: Oh Mann, ich bin im Himmel. Nun schau dir an, wen ich da aufgegabelt habe!
Als sie sich kennenlernten, hatten Barbie und Ken zwei- bis dreimal pro Woche Sex gehabt. Nach der Hochzeit sank die Zahl der sexuellen Begegnungen rasch auf eine pro Monat. Barbie ließ sich gern verführen. Sie »gewährte« Sex wie eine Belohnung. Doch sobald sie das Gefühl bekam, Sex werde von ihr erwartet, war es damit vorbei. Weder Ken noch Barbie hatte ein stabiles Selbstempfinden oder die Fähigkeit zur Intimität. Sich so, wie sie tatsächlich waren, von jemand anderem sehen zu lassen, war nicht ihre Sache. Im Laufe von fünf Jahren sank die Zahl der sexuellen Kontakte auf ein bis zwei pro Jahr. Ihre zwölfjährige Ehe hatte sich in einen Abnutzungskrieg verwandelt.
Als sie zu mir kamen, drohte Barbie, die Ehe aufzugeben. Ihr Verlangen war das schwächere, Ken drängte sie zum Sex, und sie hatte einfach genug von der ganzen Situation. Sie fühlte sich von Ken benutzt. Sie sagte, er wolle von ihr nur Sex. Sie sagte nicht, sie hätte das Gefühl, körperliche Schönheit und Sex seien alles, was sie bieten zu können glaubte.
Ken erklärte, Barbie habe »ihn angelogen«, weil sie sich zu Beginn ihrer Beziehung immer so sexy verhalten habe. In Wahrheit hatte Ken das Gefühl, er habe Barbie gekauft. Sie hatte kurz nach ihrer Heirat ihren Beruf aufgegeben. Da er sie ernährte, fühlte er sich berechtigt, von ihr die »ehelichen Pflichten« einzufordern. Sie hatten implizit einen Handel abgeschlossen: Sein Geld, sein Ansehen und seine finanzielle Sicherheit gegen ihr gutes Aussehen und jede Menge Sex. Auf dieser Grundlage hatten sie sich gefunden. Nun war dieser Handel Barbie zuwider, und Ken geriet außer sich vor Wut, weil er nicht genug Sex bekam.
Barbie und Ken hatten beide Bekannte, aber keine engen Freunde. Barbie hatte Freundinnen, mit denen sie klatschte und Ratschläge austauschte, doch in diesem Kreis wurde nie »Klartext« geredet, und es fanden auch keine wirklichen Konfrontationen statt. Weder Barbie noch Ken fühlte sich verpflichtet, die Wahrheit zu sagen, insbesondere wenn sie dies in Schwierigkeiten hätte bringen können. Beide vertrauten einander nicht und waren auch nicht vertrauenswürdig.
Unfreundliche Handlungen dem Partner gegenüber gehörten bei Ken und Barbie zum Alltag. Wenn sie einander nicht anbrüllten, ging das Gezänk in Zimmerlautstärke weiter, und emotionale Folter war für sie Normalität. Ken setzte Barbie zu, indem er ihr vorwarf, sie sei frigide. Manchmal fragte er sie auch, ob sie eine Lesbe sei. Und Barbie warf Ken vor, er sei sexsüchtig. Sie wetteiferten darum, wer das Opfer sei, wer stärker übertölpelt worden sei, als er sich auf diese Ehe eingelassen habe, und wer heldenhafter sei, indem er die Mängel des anderen toleriere.
Wie ich bereits sagte: Wenn es darum geht, in einer Ehe Schmerz zu erzeugen, ist die beliebteste (und effektivste) Methode, den Partner bezüglich seines sexuellen Verlangens zu foltern. Sexuelle Beziehungen sind nun einmal die Arena für normalen ehelichen Sadismus.
Normaler ehelicher Sadismus beinhaltet, dass man Lust empfindet, wenn man dem Partner physischen Schmerz zufügt oder ihn misshandelt, ohne dass dabei die Grenze zu häuslicher Gewalt überschritten wird. Normaler ehelicher Sadismus kommt viel häufiger vor als körperliche Misshandlungen. Wir foltern die Menschen, die wir lieben, und tun dabei so, als sei uns dies gar nicht klar. Viele von uns tun dies oft und bleiben dabei ungestraft.
Wir alle haben eine »böse« Seite – »böse«, wie es der Ausdruck »kein besonders netter Mensch« beschreibt. In uns allen gibt es einen primitiven, engstirnigen, rachsüchtigen und strafenden Anteil – eben einen »bösen«. Je stärker Sie und Ihr Partner in emotionaler Verschmelzung verstrickt sind – und das heißt, je stärker Sie von der Bestätigung Ihres Partners und von Angstregulation durch Entgegenkommen abhängig sind –, umso wahrscheinlicher praktizieren Sie (und Ihr Partner) normalen ehelichen Sadismus.
Auch Sie sind ein normaler ehelicher Sadist, wenn Sie häufig (1) Gleiches mit Gleichem vergelten, (b) einen Groll hegen, (c) Ihre Wut nicht kontrollieren können oder (d) berechtigt zu sein glauben, Vergeltung zu üben, weil Sie sich in Ihren Gefühlen verletzt fühlen. Selbst zur Konfliktvermeidung neigende Paare, die sich scheinbar in jeder Hinsicht einig sind, führen versteckt abends im Bett Krieg.
Man könnte annehmen, Barbie habe ein schwächeres Verlangen gehabt, weil sie wütend auf Ken war, und dass sie wütend auf ihn war, stand völlig außer Frage. Doch sexuelle Verweigerung lässt sich nicht generell auf ein schwaches Verlangen zurückführen. Vielmehr handelt es sich dabei um eine Methode, im Partner Gefühle hervorzurufen. Barbie verweigerte sich sexuell, wenn sie wütend war. Sie wollte Ken dann nicht als »Quelle der Lust« dienen, sondern für ihn zu einer Quelle des Unglücklichseins werden – eine Haltung, die für normalen ehelichen Sadismus charakteristisch ist. Barbie war oft wütend, und sie wollte auch Ken wütend machen oder ihn frustrieren.
Sexuelle Verweigerung ist außerdem eine Methode, den Partner in eine bestimmte Position zu drängen. Manchmal verweigerte sich Barbie sexuell, um Ken gefügig zu machen. In anderen Situationen tat sie es, um ihn »wegzujagen«. In wieder anderen Fällen wollte sie auf diese Weise sein gespiegeltes Selbstempfinden angreifen. Oder sie täuschte einen Orgasmus vor und empfand dann Verachtung gegenüber Ken, der auf seine sexuelle Leistung stolz war.
Normaler ehelicher Sadismus besteht schlicht darin, das angenehme Gefühl, das Sex hervorrufen kann, vorzuenthalten und gleichzeitig so zu tun, als wolle man dem Partner zu Gefallen sein. Selbst wenn es zum Sex mit Ken kam, dachte Barbie dabei manchmal absichtlich an völlig andere Dinge. Sie und Ken verhielten sich allerdings gleichermaßen sadistisch zueinander. Ken peinigte Barbies gespiegeltes Selbstempfinden, indem er jüngere Frauen anstarrte und Barbies Freundinnen sexuelle Schwingungen zusandte. Im Laufe der Jahre warf Barbie Ken vor, er habe zahlreiche Affären gehabt. Ken leugnete dies immer und bezichtigte sie, labil zu sein.
Das Glossar der American Psychiatric Association (APA) definiert Sadismus als »Freude daran, anderen Menschen körperlichen oder psychischen Schmerz zuzufügen oder sie zu misshandeln. Die sexuelle Bedeutung sadistischer Wünsche oder Verhaltensweisen kann bewusst oder unbewusst sein. In Fällen, in denen sadistische Handlungen für einen Menschen notwendig sind, damit er die sexuelle Befriedigung erreicht, kann Sadismus als sexuelle Abweichung gelten.« Bei der APA gab es auch einmal den Plan, eine diagnostische Kategorie »Sadistische Persönlichkeitsstörung« zu definieren, den man jedoch später wieder fallen ließ. Die dafür vorgesehenen Kriterien lauteten: (a) Demütigen und Herabsetzen anderer, (b) Lügen, um weh zu tun, (c) Einschränken der Autonomie des Partners in einer engen Beziehung und (d) Erzwingen von Einverständnis durch Einschüchterung. In Sinne dieser diagnostischen Kategorie sah man ehelichen Sadismus offenbar als normal an, denn die Diagnose sollte grundsätzlich nicht gelten, wenn das sadistische Verhalten auf eine einzige Person, beispielsweise den Partner, gerichtet war.3
Lassen sich normal gesunde Menschen wirklich zu normalem ehelichem Sadismus hinreißen? Meinen eigenen Untersuchungen und meinen klinischen Beobachtungen zufolge ist die Antwort ein überzeugtes ja. Von 20 Paaren, die an einem Passionate-Marriage®-Paar-Retreat teilnahmen, berichteten alle, dass sie Dinge täten, um ihren Partner absichtlich zu verletzen. Und die Hälfte der Teilnehmer berichtete außerdem, sie genössen dies sehr. Eine Frau empfand normalen ehelichen Sadismus als »antörnend«. Ein Viertel der Befragten hatte die sadistischen Handlungen durch geistige Folter ergänzt, indem sie ihre sadistischen Motive auf Nachfrage des Partners hin geleugnet hatten. Drei Viertel der Teilnehmer berichteten, sie hätten bestimmte Handlungen absichtlich verschoben, um ihren Partner auf die Palme zu bringen.
Demnach könnte es sich bei denjenigen, die an unserem Retreat teilnehmen, um eine besonders merkwürdige Gruppe schwer Geschädigter handeln. Doch eine andere Stichprobe, die ich zusammenstellte, veranschaulichte, dass es sich um völlig normale Menschen handelte. Von einer Gruppe von 100 Therapeuten bekannten 88 Prozent sich zu normalem alltäglichem Sadismus. Außerdem schätzten 87 Prozent der Befragten, dass es sich mit ihren Klienten genauso verhalte. Und nun etwas wirklich sehr Wichtiges: Therapeuten, die nicht der Meinung waren, dass sie normalen alltäglichen Sadismus praktizierten, sahen diesen auch bei ihren Klienten nicht.
So gut wie jeder Mensch praktiziert normalen alltäglichen Sadismus. Viele Paare – und zwölf Prozent der Therapeuten, die normalen alltäglichen Sadismus bei sich selbst nicht erkennen – müssen aufwachen: In der Ehe können Sie am besten erkennen, dass Sie mit einem unbarmherzigen sadistischen Terroristen zusammenleben. Und außerdem ist da noch Ihr Partner, mit dem Sie zurechtkommen müssen!
Je stärker die emotionale Verschmelzung ist, in der die Partner leben, umso stärker regen sie einander auf, plagen sie einander und bringen sie einander aus der Fassung. Wenn Menschen das positive gespiegelte Selbstempfinden, das sie brauchen, nicht bekommen, fühlen sie sich berechtigt (wenn nicht sogar verpflichtet), dies ihren Partner wissen zu lassen. Je schwächer die Vier Aspekte der Balance bei einem Menschen sind, umso wahrscheinlich praktiziert er normalen alltäglichen Sadismus.
Längerfristige Beziehungen bringen viel Frustration mit sich. Menschen, die mit Frustration und Enttäuschung nicht gut umgehen können oder die alles persönlich nehmen, erzeugen im Namen des Selbstschutzes Chaos und Verwüstung. Das Bemühen des einen Partners um Selbstschutz bringt für den anderen ein Maximum an Elend und Qual mit sich.
Liebe und Folter sind häufig unselige Bettgenossen. Wenn Menschen Entscheidungsdilemmata zu ignorieren versuchen, werden sie oft besonders sadistisch. Zu lügen ist ein bewährtes Verfahren, wenn Sie verbergen wollen, auf welchen Pfaden Sie sich bewegen. Den Partner »hinters Licht zu führen« ist eine »freiwillige Zusatzleistung«. Aber einigen von uns macht es ganz einfach Spaß, zu lügen, sich ausweichend zu äußern und halsbrecherische Argumente zu entwickeln.
Starrsinn, Rachsucht, Neigung zum Tadeln und zur Konkurrenz treiben zahllose Paare in die sexuelle Enthaltsamkeit. Die traurige Wahrheit ist: Wenn Sie ein gespiegeltes Selbstempfinden haben und Ihre Funktionsfähigkeit von Ihrem Partner ausgeborgt ist, haben Sie ein gutes Gefühl dabei, wenn Sie Ihren Partner hintergehen.
Die Beziehung zwischen Barbie und Ken war durch emotionale Misshandlungen gekennzeichnet. Dies ist die am weitesten verbreitete Form häuslicher Gewalt. Es ist die psychologische Variante des Verprügelns mit einem Gummischlauch: Da diese Behandlung keine sichtbaren Spuren hinterlässt, gibt es keinen Beweis für einen Übergriff oder eine bösartige Absicht und auch nicht dafür, dass der Empfänger der Behandlung Schmerzen erlitten hat.
Ken und Barbie nahmen einander psychisch »in die Mangel«. Sie heuchelten Unwissenheit oder Unschuld, wenn sie aufeinander losgingen. Man hätte meinen können, sie wären völlig unsensibel, könnten nicht kommunizieren und hätten nicht die geringste Ahnung, was sie taten. Doch ihre Zielgenauigkeit und ihr strategisches Timing bei der Manipulation und Täuschung hätten sie kaum entwickeln können, wenn sie nicht in der Lage gewesen wären, die Vorgänge im Geiste ihres Partners zu lesen und mitzuteilen. Den Partner auszusperren und ihn im Dunkeln zu halten sind Kunstformen. Das Gleiche gilt für das geistige Spiegeln, das dazu dient, mit dem Geist des Partners spielen zu können, so wie es geschieht, wenn jemand sich weigert, eine Affäre einzugestehen, obwohl sich der Partner längst darüber im Klaren ist, oder sein Geringschätzung leugnet, obwohl er weiß, dass er sie empfindet.
Wie viele Paare folterten auch Barbie und Ken einander durch Sex. Das konnte während der Anbahnung einer sexuellen Begegnung oder während des Vorspiels geschehen, aber auch später. Manchmal passierte es auch erst nach dem Sex. Barbie ignorierte Kens Bemühungen, sie zum Sex zu bewegen, als hätte sie sie völlig übersehen. Wenn Ken dann zum dritten oder vierten Mal versuchte, sie zu animieren, stand er schon ziemlich unter Druck. Beim Vorspiel erschwerte Barbie es Ken, ihre Genitalien zu erreichen, indem sie ihre Oberschenkel fest gegeneinander drückte. Es gefiel ihr, »ihn dafür arbeiten zu lassen«. Sie verhielt sich passiv, gab ihm selbst so wenig wie möglich und tat auch selbst möglichst wenig.
Ken hatte seine eigenen speziellen Methoden entwickelt, es Barbie heimzuzahlen. Beispielsweise legte er in der Öffentlichkeit seine Hand auf ihren Hintern, obwohl er genau wusste, dass sie das überhaupt nicht leiden konnte. Ken verteidigte sich dann mit der Bemerkung, er könne einfach nicht von ihr lassen, weil sie eine so schöne Frau sei. Wenn sie Sex hatten, drückte er ihre Brüste fester, als es ihr angenehm war, oder er steckte ihr vorzeitig einen Finger in die Vagina, um zu prüfen, ob sie das zuließ.
Ich beschreibe hier nicht das Nichtvorhandensein einer Beziehung. Emotionale Folter resultiert nicht aus einem Mangel an Bezogenheit. Vielmehr ist sie in vielen Fällen die Beziehung. Dies ist die Art von Verbundenheit, die viele Menschen am besten kennen.
Peinigen wir einander aufgrund von Dingen, die in unserer Kindheit geschehen sind? Klar. Foltern wir einander, weil wir keine Liebe bekommen haben? Halt, nicht so schnell. Tatsächlich ist es genau umgekehrt: Menschen werden häufig durch die Liebe, die sie bekommen haben, dazu getrieben, schreckliche Dinge zu tun. Die Liebe, die Sie bekommen, kann wesentlich schädlicher wirken als die Liebe, die Sie nicht bekommen haben. Wenn Folter die einzige Art von Bezogenheit ist, die unsere Eltern oder unsere Geliebten uns zu geben bereit sind, nehmen wir diese einzig verfügbare Art von Zuwendung oft an. Einige von uns sind nicht in der Lage, sich eine andere Art von Bezogenheit als diese zu verschaffen.
Wir reden uns gern ein, Menschen täten einander schreckliche Dinge an, weil sie nicht miteinander in Kontakt seien. Wir nehmen an, Folter und tyrannisches Verhalten seien möglich, weil die Täter zu den Opfern nicht in Beziehung träten oder weil es ihnen an Kontakt zur Realität mangele. Tatsächlich tun Menschen einander schreckliche Dinge an, weil zwischen ihnen eine Verbindung besteht. Im Zustand emotionaler Verschmelzung können sie verheerenden Schaden anrichten.4
Masochismus ist eine sehr mächtige und auch verbreitete Form von Verbundenheit und Bezogenheit (von emotionaler Verschmelzung). Masochismus strukturiert Beziehungen auf vertraute Art. Im Falle des normalen ehelichen (oder familiären) Sadismus befassen wir uns mit der Person, die sich sadistisch verhält, nicht mit derjenigen, die unter dem Sadismus leidet. Falls Sie in Ihrer Kindheit und Jugend auf diese Art behandelt wurden, haben Sie dadurch gelernt, sich selbst ebenso zu verhalten. Sie lernen dann »auszuteilen« – und Sie entwickeln Gefallen daran. Wenn Sie später heiraten, wählen Sie mit höherer Wahrscheinlichkeit diese Rolle, nicht den Gegenpart.
Leider gibt es in vielen Familien sadistische Beziehungen. Erschreckend viele Eltern scheuen sich nicht, ihre Kinder zu foltern, indem sie sie enttäuschen und ihnen das Herz brechen. Dies war in Barbies und Kens Familien mit Sicherheit so gewesen. Barbie hatte sich vor langer Zeit Klarheit darüber verschafft, was in ihrer Mutter vor sich gegangen war. Sie hatte sich nur für Ansehen, Geld und die äußeren Symbole des Erfolgs interessiert. Als ihr klar wurde, dass ihre Mutter so kalt und oberflächlich war, war Barbie sehr enttäuscht gewesen. Als Kind hatte sie miterlebt, wie geringste soziale Peinlichkeiten ihre Mutter zur Weißglut getrieben hatte. Wenn sie in einem Restaurant an den »falschen Tisch« gesetzt wurde, reichte dies schon, um sie auf die Palme zu bringen. Oft redete sie auch schlecht über Freundinnen hinter deren Rücken, war aber andererseits zuckersüß, wenn sie mit den Betreffenden persönlich zusammen war.
Barbies Mutter war eine soziale Aufsteigerin, für die ihr eigenes Äußeres ebenso wie das Aussehen der übrigen Mitglieder ihrer Familie immer extrem wichtig gewesen war. Während der Highschool-Zeit hatte sie Barbie beigebracht, zu den beliebtesten Jungen und Mädchen in Kontakt zu treten. Sie hatte Barbie auch in Schönheitswettbewerben und Talentshows mitmachen lassen. Barbie brauchte für sie nichts anderes zu tun, als ihr zu helfen, möglichst blendend »dazustehen«. Wurde Barbie zur Ballkönigin gewählt, verhielt sich ihre Mutter, als hätte sie den Miss-America-Wettbewerb gewonnen.
Trotz aller Aufmerksamkeit, die sie genossen hatte, war Barbie schrecklich unglücklich gewesen. Wenn sie allein war, verfiel sie häufig in Depressionen. Emotionale Zusammenbrüche häuften sich bei ihr, und sie ertrank förmlich in Angst, Unsicherheit und Selbstzweifeln. Sie war dann wochenlang niedergeschlagen und nur mit ihrem augenblicklichen Freund beschäftigt gewesen – oder damit, wie sie den nächsten »an Land ziehen« könnte. Sie war stark auf ihr Äußeres fixiert und sah andere Frauen als Konkurrentinnen um die Aufmerksamkeit von Männern. Barbie war emotional sehr fragil und hatte kein besonders stabiles Selbstwertgefühl.
Barbie und ihre Mutter verband auch dann noch eine von emotionaler Verschmelzung geprägte Hassliebe, als Barbie schon erwachsen war. Die Meinung ihrer Mutter war für sie ungeheuer wichtig. Barbie versuchte, sich Lob und Anerkennung ihrer Mutter zu sichern, handelte sich von ihr aber hauptsächlich scharfe Kritik ein. Barbie empfand ihre Mutter als unsensibel und blind, doch in Wahrheit war sie schlicht und einfach grausam.
Die Mutter hatte der Tochter ständig gepredigt, sie solle um Himmels willen nicht schwanger werden, doch das hatte nichts mit Sorgen um Barbies Wohl zu tun. Ihre Botschaft lautete: Werde nicht schwanger, bis du einen reichen Kerl findest. Dann kannst du nötigenfalls »zufällig« schwanger werden, um ihn festzunageln. Bums auch nicht zu viel in der Gegend herum, denn darunter leidet dein Ruf – treib’ es also nicht mit Burschen, die dir nicht helfen können zu erreichen, was du erreichen willst. Diese Einstellung hatte auf Barbie einen wesentlich größeren Einfluss, als dass sie sich nicht geliebt fühlte. Es war für sie unerträglich mitanzusehen, dass ihre Mutter völlig unfähig war, einem anderen menschlichen Wesen liebevolle Zuwendung zu geben.
Kens Kindheitserlebnisse waren nicht viel besser gewesen. Er war in einer Familie aufgewachsen, die er selbst als »Kühlschrank« bezeichnete. Für seine Eltern waren Formalitäten und ein »gepflegtes Äußeres« wichtiger als körperliche oder emotionale Zuneigung. Ken hatte miterlebt, wie sein Vater und seine Mutter extrem negativ und destruktiv miteinander umgegangen waren. Beide waren sehr erfolgreich, aber auch Alkoholiker. Sein Vater war stellvertretender Direktor einer lokalen Bank, und seine Mutter pflegte den Kontakt zu den »besseren Kreisen« der Stadt. Ihre lächelnden Gesichter zierten zwar immer wieder Zeitungsberichte über gesellschaftliche Ereignisse, doch zu Hause stritten sie ständig miteinander. Wenn sie zu trinken anfingen, kam es bald zu Brüllduellen, Möbel gingen zu Bruch, und hin und wieder flogen sogar Fäuste.
Ken und seine Brüder versuchten nach Kräften zu verhindern, dass ihre Eltern völlig die Kontrolle verloren. Der Preis des Friedens waren Beschwichtigungen und Anpassung, die jedoch nie aus dem Wunsch heraus erfolgte, den Eltern gefällig zu sein. Ken war es verhasst, dass sich seine Eltern so unreif und unverantwortlich benahmen. Am stärksten jedoch litt er darunter, wie sie einander durch ihr ständiges Gezänk völlig fertigmachten. Trotz aller äußeren Erfolgssymbole und weil sie so viel Potential sinnlos vergeudeten, empfand Ken seine Eltern als ekelhaft.
In vielerlei Hinsicht glaubten Ken und Barbie an nichts und niemanden. Es mag hart klingen, aber man könnte ihre grundlegende Einstellung in dem Satz »Alle Menschen sind voller Scheiße« zusammenfassen. Doch statt die beiden als Bösewichter oder Opfer zu sehen, dachte ich über ihre Situation nach und darüber, weshalb sie bereit waren, so zu leben, wie sie lebten. Ich kam zu dem Ergebnis, dass sie die Art von Beziehung zueinander entwickelt hatten, die sie am besten kannten: diejenige, die sie zu ihren Eltern gehabt hatten. Ständiges Chaos und permanente Grausamkeit waren für sie Normalität.
Manchmal hassen wir unsere Eltern oder unsere Partner, weil wir sie lieben. Abgesehen von der Verletzlichkeit, die auf dem beruht, was sie uns antun können, macht uns unsere Liebe zu ihnen auch verletzlich, weil wir miterleben, was sie sich selbst antun. Was mit ihnen geschieht – und wie sie sich selbst zerstören –, wirkt auch auf uns. Mit ansehen zu müssen, wie die eigenen Eltern sich schaden, kann Menschen das Herz zerreißen. Und es kann leicht passieren, dass wir jemanden, den wir eigentlich lieben, zu hassen beginnen, wenn der Betreffende uns ständig herabsetzt, anlügt und auf andere Weise schlecht behandelt. Wir leugnen unseren Hass, weil er unser gespiegeltes Selbstempfinden angreift, unseren Narzissmus kränkt und uns das Gefühl vermittelt, nicht liebenswert zu sein.
Viele Menschen, die in langjährigen Partnerschaften leben, hassen einander. Diejenigen unter ihnen, deren Beziehung im Kern gut ist, lassen solche Gefühle nicht Oberhand gewinnen. Um dazu in der Lage zu sein, müssen wir unseren Hass auf den Partner und dessen Hass auf uns akzeptieren. Außerdem müssen wir wirklich liebevoll sein können, weil das für Beziehungen von zentraler Bedeutung ist. Der große Unterschied zwischen guten und schlechten langfristigen Beziehungen besteht nicht darin, ob die Partner einander hassen oder nicht, sondern in der Art, wie sie mit ihrem Hass umgehen, und darin, ob sie einander außerdem lieben. Die Vier Aspekte der Balance sind ungeheuer wichtig für die Fähigkeit, extrem ambivalente Gefühle gegenüber Menschen, die Ihnen nahestehen, zu ertragen. Sie erleichtern es, die Spannungen zu mildern, die durch Ihre Liebe und Ihr Hass auf Ihren Partner entstehen, und zu akzeptieren, dass Ihr Partner Sie wahrscheinlich auch liebt und hasst.
Die bedauerlichen Erlebnisse, die ich soeben beschrieben habe, waren nicht die einzigen Ursachen für Barbies und Kens Eheprobleme. Außerdem mussten sie sich mit den Problemen und Entwicklungsprozessen auseinandersetzen, mit denen wir alle konfrontiert werden. All dies wirkte sich auf ihre alltägliche Interaktion aus. Sie hatten ihre aktuelle Situation gemeinsam geschaffen.
Barbies und Kens Umgang mit der Sexualität hatte sich seit der Zeit, in der sie einander kennengelernt hatten, nicht nennenswert geändert, obgleich sie das Gefühl hatten, der Unterschied zwischen damals und heute sei so groß wie der zwischen Tag und Nacht. Da Neuheit und Verliebtheit verblasst waren, erschien ihnen nun alles völlig anders. Nach zwölf Jahren lag Barbie beim Sex immer noch auf dem Rücken. Sie war sexuell nie großzügig gewesen, doch nun war sie passiv-aggressiv und verweigerte sich. Sie wusste, was Ken wollte, war jedoch nicht bereit, es ihm zu geben. Beim gemeinsamen Sex konnte er nur zum Orgasmus kommen, indem er sich selbst zum Höhepunkt brachte.
Ken versuchte, Barbies Körper so zu positionieren, wie es ihm am liebsten war. Es gefiel ihm, ihre Beine anzuheben und ihre Knie in Richtung der Schultern zu drücken, so dass er seinen Penis in sie einführen konnte. Meist klagte Barbie dann, dies sei für sie unbequem und sie könne nicht atmen. Ihr war es lieber, beim Genitalverkehr mit ausgestreckten Beinen auf dem Bett zu liegen. Weil sie die Partnerin mit dem schwächeren Verlangen war, kontrollierte sie, wie und wann es mit Ken zum Sex kam. Wenn Ken den Orgasmus erreichte, dachte er oft: In was für ein Schlamassel bin ich mit dir nur hineingeraten, du Miststück! Man hätte zwar meinen können, dass Ken derjenige war, der Barbie das Leben zur Hölle machte, aber tatsächlich ging dies zu Lasten beider.
Menschen mit einer schlechten inneren Balance nehmen in ihren Beziehungen zu viel Raum in Anspruch und schränken so bei ihrem Partner den Raum zum Leben ein. Aber Partner können einander das Leben auch zur Hölle machen, weil ihnen das Freude macht.
Sie können Ihrem Partner das Leben schwermachen, indem Sie den Eindruck erwecken, Sie würden anfangen, ihn zu verstehen. So wecken Sie Hoffnung in ihm und das Gefühl, er sei Ihnen wichtig. Doch diese Hoffnung zerschlagen Sie gleich wieder, indem Sie einen Grund finden, Ihre »Fortschritte« zu relativieren. Was könnte der Grund für dieses Verhalten sein? Vielleicht wollen Sie auf diese Weise »Zeit schinden«, um zu verhindern, dass Ihr Partner Sie verlässt.
Ziemlich grausam, nicht wahr? Doch manche Partner, sowohl mit schwächerem als auch mit stärkerem Verlangen, tun solche Dinge ständig. Sie können Ihrer Partnerin aber auch Schmerz zufügen, indem Sie sich auf das konzentrieren, was sie glücklich macht. Finden Sie heraus, was ihr besonders am Herzen liegt und was ihr Freude bereitet. Bringen Sie sie dazu, über diese Dinge zu reden, und zeigen Sie sich interessiert, als wollten Sie sie unterstützen. Warten Sie einen strategisch günstigen Augenblick ab, um sie zu kritisieren oder herabzusetzen. Wirkt sie dann schockiert oder fühlt sich verraten, können Sie sagen, Sie hätten nicht geahnt, dass Ihre Äußerung sie so verletzen würde (wodurch Sie ihr erneut Schmerz zufügen).
Diese Art von Folter erfordert ein wenig Zeitaufwand, weil sie erst nach einer Weile zu wirken beginnt. Es gibt aber auch viele kurzfristig wirkende Foltermethoden, beispielsweise dass man Verpflichtungen, Verabredungen oder Vereinbarungen »vergisst«. Und es gibt Foltermethoden, die man spontan anwenden kann und die sofort wirken, etwa den Partner kurz verbal »herunterzuputzen«, um zu verhindern, dass er offen über etwas redet. Normaler ehelicher Sadismus kennt keine Grenzen.
Tun Sie nur, was für Sie angenehm und bequem ist? Verhält sich Ihr Partner genauso? Indem Barbie sich nicht mit sich selbst und ihrem Sexualleben in der Partnerschaft auseinandersetzte, machte sie Ken das Leben zu Hölle.
Natürlich war auch Ken kein Heiliger. Häufig forderte er Barbie zum Sex auf, obwohl er selbst dies eigentlich gar nicht wollte. Dies tat er, um Barbie Schuldgefühle zu vermitteln, weil Sex in ihrer Beziehung chronisch Mangelware war. Oft waren solche Annäherungen seinerseits ziemlich grob, insbesondere wenn er ohnehin vermutete, dass sie nein sagen würde. Durch Aufforderungen wie »Los, komm schon, Baby, lass es uns machen!« oder »Lust zu ficken?« signalisierte er von Anfang an, dass es nicht um romantische Liebe ging.
Als gleich zu Beginn ihrer Ehe Probleme bezüglich des sexuellen Verlangens auftauchten, erklärte Barbie, sie habe möglicherweise ein hormonelles Problem. Doch einen Arztbesuch und eine entsprechende Untersuchung zögerte sie noch über ein Jahr hinaus. Als sie sich schließlich dazu aufraffte, stellte sich heraus, dass bei ihr hormonell alles völlig normal war. In den folgenden sechs Monaten tat Barbie gar nichts, und Ken wurde wütend auf sie. Sie sagte, sie zweifle an den Testergebnissen und wolle den Test wiederholen. Sechs Monate später verlief ein weiterer Test wieder völlig unauffällig; allerdings lagen die Werte im niedrigen Normalbereich. Ken sagte, beide Tests zeigten, dass Barbies Hormone völlig normal seien. Sie hingegen erklärte, der Test zeige, dass ihr Hormonspiegel eher an der Untergrenze liege.
Während der nächsten acht Jahre probierte Barbie erfolglos verschiedene Naturheilmittel aus. Sie war der Auffassung, es sei nicht ihre Schuld, dass sie kein sexuelles Verlangen verspürte. Das Problem liege nicht bei ihr und auch nicht bei Ken. Schuld seien vielmehr ihre Hormone. Ken antwortete daraufhin, wenn dies das Problem sei, solle sie etwas tun, um es zu beheben.
Stattdessen baute Barbie eine gestaffelte unüberwindbare Verteidigung auf. Zunächst beharrte sie auf einer homöopathischen Behandlung, weil eine Hormontherapie dick mache. Sie fragte Ken: »Du willst ja wohl nicht, dass ich stark zunehme, oder?« Dies war ein hervorragender Schachzug. Aufgrund seines Narzissmus brauchte Ken eine Frau mit einem atemberaubenden Körper. Als er schließlich die Nase voll hatte und sogar bereit war, sich mit Barbies Zunehmen abzufinden, wechselte sie zu einem anderen Argument über: »Ich will nichts Unnatürliches in meinen Körper lassen.«
Bei solchen strategischen Zügen ist es nicht schwer, die Absicht des Partners zu erraten. Barbie wollte Ken die Wirkung ihres Mangels an Verlangen spüren lassen. Das war Ken auch klar, aber er sah keine Möglichkeit, Barbies Rückzugsstrategie zu unterlaufen: Wenn er auf ihr offensichtlich mangelndes Interesse an Sex zu sprechen kam, wurde sie wild und brüllte: »Das ist mir egal! Niemand kann mich dazu zwingen. Das ist Folter, was du mit mir machst! Lass mich in Frieden!« Daraufhin gab Ken klein bei, um die Beziehung nicht zu gefährden. Weil es Ken schwerfiel, bei sich selbst zu bleiben, trug er zur Aufrechterhaltung der Ehe bei.
Barbie war keine besonders unangenehme Person, sondern nur ein wenig kühl. Reptilienhaft. Eine Kaltblüterin. Nicht »frigide« im traditionellen Sinne. Sie hatte keine Schwierigkeiten, ihre Vagina gleitfähig werden zu lassen, und sie erreichte auch problemlos einen Orgasmus. Eher fehlten ihr ein wenig menschliche Wärme und Güte. Offenbar hatte ihre Mutter ihr diese Dinge vollständig entzogen. Deshalb fragte ich mich, ob Barbie wohl bereit wäre, den Schmerz zu ertragen, der mit dem Zulassen menschlicher Wärme verbunden ist.
Erinnern Sie sich noch, dass Barbie hervorgehoben hatte, was für ein »guter Fang« Ken gewesen sei? Sie hatte ihn nie gewählt. Und sie hatte ihn nie gewollt. Sie hatte ihn nur »fangen« wollen. Barbie hatte Ken nie als wirklich attraktiv empfunden. Aufgrund seiner Überheblichkeit und Barbies Fähigkeit, Männern zu zeigen, was sie sehen wollten, merkte er dies nicht. Barbie heiratete Ken, um ihre emotionale Verletzlichkeit zu verringern: Manchmal suchen Menschen sich Partner, weil sie kein Verlangen nach ihnen verspüren. Barbies Gefühle der »Sicherheit« beruhten teilweise darauf, dass sie kein Verlangen nach Ken verspürte. Sie hatte ihr sexuelles Verlangen in früheren Beziehungen verloren. Sie wusste, dass es sich im Laufe der Entwicklung einer Beziehung schnell verflüchtigte.
Der beste Ausweg aus einem solchen Muster der Grausamkeit besteht darin, (a) sich klar und umfassend Rechenschaft über sich selbst und über das, was man getan hat, zu geben und (b) dem Partner gegenüber klar Position zu beziehen, was seine Vision von Glück angeht. Doch wenn Sie nicht bereit oder in der Lage sind, an sich selbst festzuhalten und Ihrem Partner die Möglichkeit zu geben, die Beziehung zu beenden, bestehen emotionale Folter und Verschmelzung so lange weiter, bis die Ehe oder Beziehung schließlich scheitert.5
Barbie wollte sich nicht damit auseinandersetzen, wie sie in die Beziehung hineingeraten war. Bei jedem Versuch, ein Entscheidungsdilemma zu umgehen, ist es unerlässlich, sich tief in den Partner einzufühlen. Barbie wollte ihre Sicherheit nicht aufs Spiel setzen, indem sie den Dingen auf den Grund ging.
Ken erwartete aufgrund seiner Ichzentriertheit – die überdies durch Reichtum und Status aufgeblasen wurde –, dass Frauen ihm nachlaufen müssten. Barbie erwartete von Männern das Gleiche. Seit Ken vor zwei Jahren völlig aufgehört hatte, seine Frau zum Sex zu animieren, war ihr gemeinsames Sexualleben völlig zum Erliegen gekommen. Barbie erklärte, sie sei zu verängstigt und unbeholfen, um selbst auf Ken zuzugehen. Sie sei bereit, auf seine Annäherungsversuche einzugehen, behalte sich jedoch das Recht vor, nein zu sagen, wenn sie keinen Sex wolle.
Was hatte Ken und Barbie letztendlich dazu gebracht, sich an mich zu wenden? Sie hatten eine Vereinbarung darüber getroffen, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen – was ich als »Teufelspakt« bezeichne. Viele Paare treffen spontan eine solche teuflische Vereinbarung. (Manche Therapeuten empfehlen dies sogar in der Behandlung.) Ein Teufelspakt ist deshalb nicht sinnvoll, weil er aufgrund einer emotionalen Auseinandersetzung und aufgrund des normalen ehelichen Sadismus zustande kommt. Durch einen solchen Pakt entsteht ein eheliches »absurdes Theater«.
Eines Abends lagen Barbie und Ken im Bett und stritten sich. Beide waren wütend und verärgert. Ken sagte: »Warum fängst du eigentlich nie selbst an?«
Barbie antwortete: »Weil du mir nie die Chance lässt, selbst aktiv zu werden. Du kommst mir ja ständig zuvor.«
Ken fluchte und sagte: »Ich lasse dir genug Zeit. Aber ich muss irgendwann selbst anfangen, weil du es sowieso nicht tust. Wir kämen wohl nie zum Sex, wenn ich dir die Initiative überlassen würde.«
Barbie besetzte nun die überlegene Position: »Das wirst du nie erfahren, weil du immer gleich anfängst. Du kannst einfach nicht warten. Wenn du mich nicht alle fünf Minuten anzumachen versuchst, bist du nicht glücklich! Und das tust du, damit ich mich schlecht fühle. Vielleicht würde ich es nicht so oft tun, wie du es dir wünschst, aber sicher wäre es oft genug, um meine eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.«
Ken versuchte, ihr die überlegende Position abspenstig zu machen. »Wenn es nach dir ginge, hätten wir alle fünf Jahre einmal Sex. Du fängst einfach nie selbst damit an!«
»Du gibst mir ja nie die Chance dazu!«
Szene 1 wiederholte sich einen Monat lang bis zum Erbrechen.
Einen Monat später stritten Ken und Barbie wieder einmal. Beide fühlten sich in immer stärkerem Maße verletzt, frustriert, defensiv und wütend. Sie hassten es noch mehr als vorher, über ihr Problem zu reden. Nichts veränderte sich. Ken fühlte sich unter Druck gesetzt, weil die Zeit im Flug verging. Barbie hatte das Gefühl, Ken setze sie ständig wegen Sex unter Druck, und sie habe eine Auszeit verdient, in der ihr dies nicht ständig im Kopf herumginge. Szene 2 begann lauter als Szene 1:
Ken sagte: »Warum fängst du nie an?«
Barbie antwortete: »Ich tue es doch. Genauso oft wie du.«
»Das stimmt nicht. Du fängst nie an!«
»Weil du mir nie eine Chance gibst, es zu tun.«
Ken fing an, die Beherrschung zu verlieren. »Ich gebe dir jede Chance der Welt!«
Barbie spuckte ihre Worte aus wie ein Maschinengewehr Kugeln. »Du fängst immer an. Wenn ich gerade so weit bin, dass ich es tun würde, kommst du mir zuvor. Du wartest nie. Du drängst mich immer und erwartest von mir, dass ich auf dich zugehe.«
»Ich könnte warten, bis die Hölle gefriert, und du würdest immer noch nicht in die Gänge kommen!«
Barbie wurde oberflächlich ruhig, verfiel aber in eine »heiliger-als-du«-Haltung. »Wenn du nicht ständig anfangen würdest, würde ich es vielleicht öfters tun.«
»Es würde auch nichts ändern, wenn ich es seltener tun würde.«
Barbie klang arrogant und herabsetzend. »Das kannst du doch gar nicht wissen. Schließlich fängst du immer an.«
Kens Wutpegel stieg. »Willst du etwa sagen, ich sei schuld daran, dass du nie anfängst? Weil ich ständig anfange? Bist du eigentlich noch ganz gescheit? Ich kann es einfach nicht glauben!«
Barbies Pseudoruhe wirkte herablassend und aufreizend. »Ich habe gesagt, dass mir nicht danach ist anzufangen, wenn ich mich ständig unter Druck gesetzt fühle. Wenn ich nicht so stark das Gefühl hätte, von dir unter Druck gesetzt zu werden, würde ich wahrscheinlich häufiger anfangen.«
Ken war völlig außer sich vor Zorn. »Das ist unglaublich frustrierend! Wie kannst du so etwas im Ernst sagen?«
»Weil es die Wahrheit ist.« Barbies kühles Auftreten wirkte auf Ken wie ein rotes Tuch auf einen Stier.
»Beweise es. Das ist doch eine Lüge!«
»Das kann ich nicht. Beweise du es doch!«
»Okay!« Dann sprach Ken schicksalsschwere Worte: »Ich werde von jetzt an nie mehr anfangen. Schauen wir mal, was dann passiert. Ich werde dir beweisen, dass du nie anfängst.«
»Genau, wir werden es sehen.«
Oberflächlich betrachtet erscheint der Teufelspakt als völlig plausibel: Man schafft ein Vakuum, und der verlangensschwächere Partner füllt es aus, weil er sich vom verlangensstärkeren Partner nicht mehr unter Druck gesetzt fühlt. Leider funktioniert es nicht so, weil das System so bleibt, wie es ist. Tatsächlich wird der Status quo verstärkt.
Sechs Wochen später hatten Ken und Barbie einen heftigen Streit. Ken brüllte, als sei er verrückt geworden. Barbie saß ruhig da. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht besagte: Siehst du, womit ich fertigwerden muss? Und du erwartest von mir, dass ich beim Sex die Initiative ergreife, wenn du dich so benimmst?
Ken brüllte: »Jetzt ist es schon anderthalb Monate her, und du hast nicht ein einziges Mal die Initiative ergriffen! Du hast gesagt, du würdest beim Sex aktiver werden, wenn ich mich zurückhielte! Warum hast du das nicht getan?«
Der herablassende Singsang-Ton von Barbies Stimme sollte ausdrücken, dass ihre Sicht der Dinge ohne jeden Zweifel die richtige sei. »Zuerst habe ich es nicht getan, weil ich es genossen habe, endlich mal nicht unter Druck gesetzt zu werden. Deshalb haben wir diese Vereinbarung ja letztlich getroffen. Es ging doch darum, dass ich mich nicht zum Sex gedrängt fühlen sollte. Abgesehen davon möchte ich, dass Sex mir etwas bedeutet. Ich wollte nicht einfach Sex um seiner selbst willen.«
Ken verdrehte sichtlich angeekelt die Augen. »Okay, das erklärt vielleicht, weshalb du am ersten Abend oder in den ersten Tagen nichts unternommen hast. Aber warum hast du es danach auch nicht getan?«
»Als wir es am ersten Abend nicht getan hatten, wusste ich, dass du es am zweiten erwarten würdest. Deshalb fühlte ich mich wieder unter Druck, und deshalb habe ich es wieder gelassen, in der Hoffnung, das Druckgefühl würde irgendwann aufhören.«
Ken versuchte, die überlegene Position zu besetzen: »Ich war gut. Ich habe kein Wort gesagt.«
Doch Barbie machte ihm die Position sofort streitig: »Ich hatte das Gefühl, dass du mich beobachtest, dass du ständig darauf lauertest, was ich tun würde. Und das war auch so – leugne es nicht. Ich fühle mich nicht nach Sex, wenn du dich so verhältst!«
»Aber jetzt sind schon sechs Wochen vorüber!«
Barbie knurrte: »Du brauchst nichts zu sagen. Ich wusste sowieso, dass du frustriert bist und erwartest, dass ich die Initiative ergreife. Du hast genau das Gleiche getan wie vorher auch, nur auf eine etwas andere Art. Ich bin nicht bereit zum Sex, wenn ich mich unter Druck gesetzt fühle! Und du kannst mich nicht zwingen, mit dir zu bumsen, wenn ich es nicht will!«
Ken beruhigte sich ein wenig. »Warum hast du das nicht schon vor Wochen gesagt? Wir hatten doch eine Vereinbarung.«
Barbies Knurren verwandelte sich in einen Ausdruck von Lustlosigkeit und Erschöpfung. »Ich wusste, dass wir uns dann streiten würden. Und ich bin das so leid. Ich habe es einfach aufgeschoben. Ich brauchte dringend eine Erholungspause. Ich finde, diese ganze Sache braucht nicht auf meinen Schultern zu lasten!«
Ken war allmählich an dem Punkt, dass er sich selbst die Haare hätte ausreißen können. »Das hatten wir aber vereinbart!«
Barbies Stimme klang nun spöttisch. »Aha, dann bin ich also jetzt an allem schuld! Du erwartest von mir, dass ich immer mit dem Sex anfange? Ich habe nie gesagt, dass ich bereit bin, die Arbeit allein zu tun. Schließlich bin ich nicht die einzige in dieser Beziehung. Du hast ja auch nichts unternommen. Du bist auch dafür verantwortlich.« Dann verließ sie den Raum.
Der Teufelspakt veränderte das System der beiden nicht, sondern intensivierte es nur. Nachdem er geschlossen worden war, empfand Barbie zunehmend Druck aufgrund der Erwartung, dass sie den Sex initiieren sollte. Doch da ein Teil der Vereinbarung darin bestand, dass der auf dem verlangensschwächeren Partner lastende Druck verringert werden sollte, fühlte sich Barbie berechtigt, sich dem Druck zu entziehen und folglich auch keinen Sex zu initiieren, solange sie Druck empfand. Doch je länger sie wartete, umso stärker wurde Kens Frustration, und so schwang sich die Verursachungsspirale immer höher empor. An diesem Punkt bestand Barbie vehement auf ihrem Recht, sich zu weigern, Sex zu initiieren. Sie war nicht bereit anzuerkennen, dass sie an der Erzeugung des Drucks, den sie spürte, selbst beteiligt war.
Hier haben wir den Schlüssel vor uns, der in einem solchen Drama verlorengeht: Der Grund für den Abschluss des Teufelspakts ist, ein gemeinsames Problem zu lösen, das nur gelöst werden kann, wenn der Partner mit dem schwächeren Verlangen sich bereit erklärt, Sex zu initiieren. Dass Barbie den Spieß umdrehte und sagte, sie sei nur deshalb nicht aktiv geworden, weil Ken seine Initiative gedrosselt habe, nachdem sie genau dies vorher mit ihm vereinbart hatte, ist ein gutes Beispiel für normalen ehelichen Sadismus. Als sie ihm vorhielt, er hätte doch während der Laufzeit ihres Pakts die Initiative ergreifen können, war das »mehr vom Gleichen«.
Voraussetzung für das Zustandekommen des Teufelspakts ist, dass der verlangensschwächere Partner Selbstkonfrontationen so lange wie möglich vermeidet. Weiter geht es mit Verhandlungen in arglistiger Absicht, Falschdarstellungen und Versuchen, dem Partner einen Strich durch die Rechnung zu machen. Am Ende werden die alten Argumente erneut angeführt, statt dass eine echte Konfrontation zugelassen wird. Wenn Sie jemandem das Herz aus dem Leib reißen und es verspeisen wollen, ist der Teufelspakt die passende Chilisoße dazu.
An diesem Punkt ihrer Beziehungsgeschichte hatten Ken und Barbie sich an mich gewendet. Barbie war in das Gästezimmer der Wohnung gezogen, »um ein wenig zum Schlafen zu kommen«. Die Beziehung stand auf der Kippe, und es roch nach Scheidung. Die beiden befanden sich in einem Patt, und sie waren sehr verbittert. Barbie schien bereit, die Partnerschaft zu beenden.
An diesem Punkt mit einer Therapie zu beginnen ist sehr schwierig, doch Paare tun dies sehr oft. Entscheidend ist in solchen Fällen, einen erfolgversprechenden Ansatzpunkt zu finden, die Situation möglichst rasch zu befrieden, und zu zeigen, dass man daran interessiert ist, die Ehe der Klienten zu retten. Dies erreicht man, indem man den Klienten hilft, sich über ihre Schwierigkeiten klar zu werden und über die Rolle, die sie selbst dabei gespielt haben. Die Partner müssen sich ihre Situation objektiver vergegenwärtigen. Beharrt einer von ihnen darauf, die Situation nur von den eigenen Gefühlen her zu sehen, ist es um den Bestand der Partnerschaft oder Ehe wahrscheinlich geschehen.
In unserer ersten Sitzung wünschte sich Barbie von mir, ich solle Ken auffordern, sie nicht weiter unter Druck zu setzen. Sie stellte sich als zum Sex gezwungen dar und erwartete von mir, dass ich für sie Partei ergriffe. Als ich das nicht tat, sah sie in mir eine Gefahr.
Ich versuchte ihr zu erklären, dass die verlangensschwächere Partnerin (in einer monogamen Ehe) sich selbst in eine Ecke manövriert, wenn sie sich wiederholt sexuell verweigert. Es gibt für sie nur eine gute Methode, aus dieser Ecke herauszukommen: Sie muss von sich aus Sex initiieren, was sie wahrscheinlich nicht so recht will. Tut sie dies nicht, befördert sie ihren Partner in eine andere Ecke. Der Teufelspakt eröffnet dann weitere Möglichkeiten, Druck auszuüben: Barbie drängte Ken dazu, sein Verlangen nach Sex aufzugeben, damit sie sich nicht unter Druck gesetzt fühlte. Es reichte ihr nicht, dass er den Sex aufgab, er sollte auch aufhören, Sex zu wollen.
Ich sagte zu Barbie: »In Ihrer Vereinbarung fühlten Sie sich auch dann weiterhin unter Druck gesetzt, als Ken keinen Sex mehr initiierte. Das war deshalb so, weil Sie wussten, dass er im Grunde doch Sex wollte.«
»Das stimmt.«
»Dann hat Ken nur die Möglichkeit, den Druck von Ihnen zu nehmen, indem er sein Verlangen nach Sex für immer aufgibt. Ganz gleich, ob es Ihre Absicht ist oder nicht, darauf läuft das, was Sie von Ken zu erzwingen versuchen, letztlich hinaus.«
»Ich glaube nicht, dass Ken den Sex für immer aufzugeben braucht. Ich möchte nur, dass er aufhört, mich unter Druck zu setzen.« Barbies Botschaft lautete: Ich bin nicht bereit, diese Angelegenheit aus irgendeiner anderen Perspektive als meiner eigenen zu sehen. Sie fordern mich auf, mich damit aus seiner Sicht statt aus meiner auseinanderzusetzen. Aber ich habe ein Recht auf meine Empfindungen. Und Sie ergreifen für Ken Partei.
»Ich ergreife nicht für Ken Partei. Ich versuche, Ihnen zu helfen, aus einer sehr schwierigen Situation herauszukommen. Aus Ihrer Sicht drängt Ken Sie in diese Ecke, und Sie möchten, dass er damit aufhört. Doch Sie selbst drängen ihn auch in eine Ecke, und nur Sie können sich und ihn aus dieser Lage befreien.«
»Nicht ich übe Druck auf Ken aus, sondern er auf mich!«
»Das Wissen darum, dass er Sex will, setzt Sie unter Druck.«
»Jetzt ist es bald so weit, dass ich mich von Ihnen unter Druck gesetzt fühle.«
Barbie war dabei, in den Reptilienmodus zu verfallen. Ich schwieg eine Weile, um die Situation ein wenig abkühlen zu lassen. Ich wollte ihr helfen zu erkennen, dass sie gegen ein System anzukämpfen versuchte, das größer war als ihre Gefühle, und dass die einzige Möglichkeit, damit zurechtzukommen, darin bestand, sich darauf einzulassen.
»Würden Sie Ken glauben, wenn er erklärte, er wolle nie mehr Sex?«
»Nein!«
»Und wenn er es versprechen würde, würden Sie ihn dann respektieren? Würden Sie ihm gegenüber dann ein stärkeres Verlangen empfinden?«
»Dann gibt es für Ken praktisch keine Möglichkeit, sich aus der Zwickmühle, in die Sie ihn bringen, zu befreien. Ihr Problem ist, dass Sie mit einem Mann zusammenleben, von dem Sie wissen, dass er Sex will. Selbst wenn er Ihnen verspricht, den Sex für immer aufzugeben, fühlen Sie sich weiterhin unter Druck.«
»Vielleicht verstehen Sie meine Situation nicht, weil Sie ein Mann sind.«
»In genau der gleichen Situation befinden sich auch Paare, bei denen der Mann sich in Ihrer Position befindet – und er genau die gleichen Gefühle hat wie Sie jetzt – und die Frau Kens Rolle innehat. Auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren habe ich dies oft erlebt. Was Sie erleben, hat nichts damit zu tun, dass Sie eine Frau sind und Ken ein Mann ist.«
Barbie wusste allmählich nicht mehr wohin. Sie sagte: »Ich werde nicht zulassen, dass Ken mich missbraucht.« Ihre Botschaft lautete: Ich werde diese ganze Sache niemals anders sehen, als ich sie jetzt sehe. Meine Sicht der Dinge gefällt mir. Es ist eine Position, die zu verteidigen ich bereit bin.
»Ich finde auch nicht, dass Sie sich von Ken schlecht behandeln lassen sollten. Das Problem ist nur, dass Sie sich mit Monogamie einverstanden erklärt haben und nun zur Enthaltsamkeit überwechseln wollen. Und wenn Ken auf der ursprünglichen Abmachung beharrt, nennen Sie das ›unter Druck setzen‹.«
»Ich fühle mich misshandelt.«
»Ich bezweifle nicht, dass Ken manchmal zu Misshandlungen neigt. Mein Eindruck ist, dass emotionale Misshandlungen in Ihrem Haushalt der normale Umgang sind.« Barbie konnte ein Lachen nicht unterdrücken, und Ken schloss sich ihr an. In diesem Augenblick erkannten beide an, dass emotionale Misshandlungen für ihre Beziehung charakteristisch waren.
»Wenn es Misshandlung ist, jemanden zu zwingen, etwas zu tun, das er oder sie nicht tun will, ist es dann auch Misshandlung, jemanden zu zwingen, den Sex aufzugeben, den er legitimerweise gern haben möchte?«
Wir alle kannten die Antwort auf meine Frage. Barbie war intelligent. Auch wenn sie mir nicht zustimmte, war sie doch in der Lage, meiner Logik zu folgen. Es war wichtig für sie zu hören, worauf ich hinauswollte. Doch abgesehen davon wollte ich feststellen, ob sie bereit war, um ihrer Weiterentwicklung willen Unannehmlichkeiten zu ertragen.
Barbie sagte: »Es ist anders. Es ist einfach anders. Mehr kann ich nicht dazu sagen.« In diesem Fall lautete ihre Botschaft: Mir ist klar, worauf Sie hinauswollen, und ich werde Ihnen dorthin nicht folgen. Ich werde mich mit dieser Auffassung nicht auseinandersetzen.
Daraufhin trat einen Augenblick lang Stille ein. Es lag in meiner Verantwortung, nicht nur einen beiläufigen Versuch zu unternehmen, Barbie zu helfen. So entschloss ich mich, ihr gegenüber direkter zu werden. Ich bemühte mich, mit sanfter Stimme zu sprechen, und konzentrierte mich darauf, ihr eine stichhaltige Antwort zu geben. Ich lehnte mich in meinem Sitz vor und signalisierte ihr so, dass ich ihr entgegenkam.
»Ich habe viele Paare kennengelernt, die sich in ähnlichen Situationen wie Sie befanden. Ich vermute, Sie glauben, die Situation in Ihrer Beziehung sei schon ziemlich verfahren und mehr oder weniger hoffnungslos. Doch ich habe erlebt, dass solche Paare sich über ihre Situation ehrlich Rechenschaft gaben, sich mit ihr konfrontierten, schwierige Veränderungen schafften und letztlich wesentlich besser daraus hervorgingen, als sie sich jemals hätten vorstellen können. Wenn Sie bereit sind, das Erforderliche in Angriff zu nehmen, helfe ich Ihnen gerne dabei.«
»Ich werde mich nicht misshandeln lassen.« Barbie lehnte meine Einladung ab. Ich ließ ihr ein paar Sekunden Zeit und versuchte es dann noch einmal.
»In Ihrem Fall geht es um wesentlich mehr als darum, ob Sie Sex mit Ken haben. Wenn Sie bei sich selbst bleiben, könnten Sie ihr Leben stark verändern.«
»Niemand wird mich dazu bringen, etwas zu tun, das ich nicht tun will.«
Barbie lehnte auch mein drittes Angebot ab. Weitere Bemühungen hätten ihr Gefühl, unter Druck gesetzt zu werden, nur noch verstärkt. Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück.
»Bitte nehmen Sie mich in diese Gruppe auf. Ich werde Sie nicht dazu zwingen, etwas zu tun, das Sie nicht tun wollen. Das würde Ihnen nicht weiterhelfen, und außerdem kann ich das nicht.« Barbie wirkte einen Augenblick lang überrascht.
»Ihr Problem besteht nicht nur darin, dass Ken Sie zum Sex drängt. Nun setzt Ihre Beziehung Sie unter Druck. Sie drängt das Beste in Ihnen, hervorzukommen. Ich meine den Teil von Ihnen, der versteht, was Fairness und was richtig und falsch ist. Beharrliches Wiederholen von ›Ich will nicht‹ wird Ihnen nicht weiterhelfen. Sie brauchen sich zwar hier nicht zu konfrontieren, aber Sie haben keine unbegrenzte Anzahl von Wahlmöglichkeiten.«
Ich habe bereits erwähnt, dass die Art, wie Menschen in ein Patt hineinkommen, darüber entscheidet, wie sie daraus hervorgehen. Unsere Reaktionen formen unser Leben und entscheiden darüber, was für Menschen wir werden. Leider entwickeln sich nicht alle Menschen weiter, wenn sie die Möglichkeit dazu erhalten. An diesem Punkt interagieren Sie und Ihre Lebensgeschichte mit der entwicklungsfördernden Maschine, die Ihre Ehe ist. Vereinbarungen, die zu Beginn getroffen wurden, treten wieder zutage und machen Ihnen zu schaffen.
Die Ehe bringt Ihre niedrigsten, schwächsten und dunkelsten Anteile ans Licht und quält Sie damit, bis Sie sich so, wie Sie sind, nicht mehr ertragen können. Das ist eine gute Sache, weil wir oft in Krisen geraten und unter Schmerzen leiden müssen, bevor wir an einer Situation etwas ändern. Je schwächer die Vier Aspekte bei Ihnen sind, umso mehr Schmerzen und umso stärkere Krisen sind erforderlich.
Dies ist einer der Vorteile, die es hat, normalen ehelichen Sadismus als das zu bezeichnen, was er ist: Es tut Ihnen selbst weh, wenn Sie sehen, dass Sie anderen Menschen Schmerzen zufügen. Dass dadurch bei Ihnen innere Konflikte und Krisen entstehen, ist geradezu zu hoffen. Doch wenn Sie sich weigern, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, sind Konzepte wie das des normalen ehelichen Sadismus schädlicher als Zeitvergeudung. Wahrscheinlich werden Sie dann sogar dieses plausible Konzept missbrauchen.
Ich habe Menschen ähnliche Probleme wie Barbies und Kens bewältigen sehen, die danach eine wunderschöne Beziehung hatten. Anders als Barbie und Ken waren sie bereit, Unbehagen zu ertragen, um Entwicklung zu ermöglichen. Und zwar viel Unbehagen. Als wir zum ersten Mal auf das Phänomen des normalen ehelichen Sadismus zu sprechen kamen, waren Barbie und Ken ziemlich betreten. Unsere Gespräche über Folter und Grausamkeit zeigten bei ihnen Wirkung. In diesem Zusammenhang sind die Vier Aspekte ungeheuer wichtig.
Ihre Bereitschaft, um des Wachstums willen Schmerz zu ertragen, entscheidet darüber, ob sich Ihre Situation verändert oder nicht. Dadurch unterscheiden sich meine erfolgreichen Paare von denjenigen, die keine positive Entwicklung durchlaufen. Es geht nicht darum, wie viele Probleme Paare haben, wie lange diese bereits bestehen oder wie schwierig ihre Situation dadurch geworden ist. Sinnvolle Beharrlichkeit ist der Schlüssel, der es ermöglicht, in einer problematischen Situation weiterzukommen.
Sie können normalen ehelichen Sadismus unterbinden. Dieser ist normal, also keine Krankheit. Resilienz (die Fähigkeit, Unbehagen um der eigenen Entwicklung willen zu ertragen) ist eng mit unserem Hang, einander zu foltern, verbunden. Wir brauchen sie, um den Sadisten in uns unter Kontrolle zu bekommen.
Manche Klienten unterbinden ihren normalen ehelichen Sadismus nicht, wenn sie mit der Wahrheit über ihr Leben konfrontiert werden. Barbie war solch ein Fall. Sie machte einfach weiter. Ihre Einstellung war: Nun, so ist die Welt eben. Ich muss mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Außerdem brach sie die Brücken hinter sich ab, damit sie nicht mehr umkehren konnte.
Als Barbie zu unserer nächsten Sitzung kam, sagte sie: »Ken hat mich jahrelang ignoriert. Ich werde nicht weiter mit jemandem zusammenleben, der nicht nett zu mir sein kann und mich obendrein auch noch zum Sex drängt.« Das bedeutete: Das Thema Sex ist jetzt abgeschlossen. Wenn Sie trotzdem darauf beharren, gehe ich.
Ich wendete mich an Ken und fragte ihn: »Und was macht das mit Ihnen?«
Ken wirkte bleich und sagte einige Sekunden lang nichts. »… Ich weiß nicht. … Vielleicht muss ich ihr mehr Zeit lassen. … Ich brauche mehr Zeit. … Ich muss darüber nachdenken.« Barbie wollte sich irgendwie aus der Affäre ziehen. Ken gab nach und ermöglichte ihr dies.
Barbie sagte: »Wir brauchen beide Zeit, um uns auszukurieren. Wir haben einander viel Schaden zugefügt, und ich glaube, dass wir spirituelle Hilfe brauchen. Ich jedenfalls brauche sie. Ich habe einen Termin bei einem spirituellen Berater für uns gebucht.« Was bedeutete: Statt bei Ihnen.
Ich wendete mich an Ken und fragte ihn: »Wollen Sie das auch?«
Ich hatte angenommen, Ken würde mit seiner Antwort zögern, aber das war nicht der Fall. »Na ja, vielleicht kann er uns ja helfen. Ich glaube, wir müssen jemanden finden, bei dem Barbie das Gefühl hat, dass sie mit ihm arbeiten kann. Wenn sie meint, dass dieser Berater ihr helfen kann, bin ich es ihr und unserer Beziehung schuldig, es auszuprobieren.«
Ich legte eine Pause ein, um diesen Augenblick zu markieren. Den Prozess der Kokreation zu respektieren ist nicht immer leicht. Ken und Barbie waren in diesem Moment dabei, ihr Leben zu formen. Schließlich sagte ich: »Ich verstehe. Dann ist es also noch nicht klar, ob Sie sich scheiden lassen oder zusammenbleiben. Aber ich habe doch richtig verstanden, dass Sie mit mir nicht weiterarbeiten werden?« Barbie nickte. Ken stimmte ihr zu.
»In einer Therapie, ebenso wie in einer Ehe – oder auch im Bett – ist entscheidend, wie Sie etwas machen. Ich empfehle Ihnen: Was auch immer Sie tun, machen Sie es ehrlich. Langfristig wird sich das positiv auswirken.«
Barbie schaute mich mit einem kalten Lächeln an. Ich las darin: Du kapierst es einfach nicht. Du wirst es niemals schaffen, zu mir durchzudringen. Ich werde mir niemals eingestehen, was ich tue.
Sie setzte ihre Sonnenbrille auf. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Doktor, und Ade.«