Wir haben uns bisher mit vielen Aspekten von Problemen, die das sexuelle Verlangen betreffen, beschäftigt und uns in die komplexen emotionalen Situationen vertieft, die mit diesen Problemen oft verbunden sind. Noch nicht befasst haben wir uns mit dem Sex selbst. Aber keine Sorge, das habe ich mir bis zum Schluss aufgespart.
Es gibt viele Gründe dafür, den Körper in die Lösung von Problemen bezüglich des sexuellen Verlangens einzubeziehen. Beim Sex bei sich selbst zu bleiben ist schwieriger, als bei Streitigkeiten zu schweigen. Sie können diese Fähigkeit nur in der Situation entwickeln, während des physischen Kontakts mit Ihrem Partner. Im übrigen haben viele Paare beim Sex Probleme, die sich nur in der konkreten Situation lösen lassen.
Wenn Sie an den Vier Aspekten der Balance gearbeitet haben, ist Ihre Fähigkeit, bei sich selbst zu bleiben, Ihr Herz zu beruhigen und maßvoll zu antworten, möglicherweise schon verbessert worden. Doch um Probleme, die das sexuelle Verlangen betreffen, zu lösen, müssen Sie all dies während des physischen Kontakts mit Ihrem Partner tun. Körperliche und emotionale Nähe beansprucht die Vier Aspekte, und Sex ist die intensivste Form von Nähe überhaupt – insbesondere wenn Sie richtig damit umgehen.
Ein Teil des sexuellen Verlangens geht vom physischen Körper aus. »Fleischliche« Sinnlichkeit und Geilheit sind ihm zuzuschreiben. Ihr Körper ermöglicht Ihnen den Selbstausdruck mittels Millionen von Varianten des Kuschelns, Küssens und Streichelns – sowie all dessen, was Sie sich sonst noch vorstellen mögen! Ihr Gehirn und Ihr Geist schätzen genießerische Bewegungen, Erbeben vor Entzücken, Sinnenlust, Feuchtwerden, Geschmäcke, Düfte und Abgelecktwerden. Das Gefühl von Fleisch auf Fleisch. Bebende Haut – kurz: die physischen Grundlagen süßen Verlangens.
Früher in diesem Buch hieß es, die Einzigartigkeit des sexuellen Verlangens von Menschen basiere auf deren Fähigkeit, mit Sex viele verschiedene Bedeutungen zu verbinden. Gemeinsam mit Ihrem Partner können Sie mit Hilfe Ihrer Sinne neue Bedeutungen schaffen. Und genau darum geht es letztendlich bei der körperlichen »Liebe«. Sinnliche Erlebnisse, die mit einer tiefen Bedeutung verbunden sind, beispielsweise mit mehr Erotik, einem tiefer reichenden Engagement oder einer umfassenderen Selbstmeisterung, wirken ungeheuer stark auf die Psyche. Weil sowohl Ihr Körper als auch Ihr Geist beteiligt ist, werden mehr Bereiche Ihres Gehirns einbezogen. Körperkontakt erschließt eine völlig neue Dimension, in der Sie Neues über sich selbst, Ihren Partner und Ihre Beziehung lernen können.
Das ist deshalb wichtig, weil Sie Ihr Gehirn auf so vielfältige Weise wie nur möglich aktivieren wollen. Und denken Sie daran: Ihr Gehirn verfolgt ständig, was in Ihrem Körper geschieht – was er tut, in welcher Position im Raum er sich befindet, was er berührt und dergleichen mehr. Wenn Sie also zusätzlich zu alldem, was Sie bisher gelernt haben, Ihrem Gehirn einen Weckruf zusenden wollen, sollten Sie dazu Ihren Körper nutzen.
Sofern Sie Ihren Geist und Ihren Körper in Einklang bringen, können Sie Ihre Problemlösefähigkeit stark verbessern. Deshalb müssen Sie wissen, was während des Sex in Ihrem Geist geschieht. Die größten Chancen erschließen Sie sich, wenn Sie dies gleichzeitig von der körperlichen und geistigen Seite her angehen. Was denken und fühlen Sie gewöhnlich beim Sex? Sie müssen lernen, während sexueller Aktivität Ihren eigenen Geist zu spiegeln. Was darin geschieht, hat vor, während und nach dem Sex einen starken Einfluss auf Ihr sexuelles Verlangen. Außerdem beeinflusst es wahrscheinlich die neuronalen Pfade, die aufgrund dieser Erlebnisse in Ihrem Gehirn entstehen.
Der Tag ist nicht mehr fern, an dem Teenager im Sexualkundeunterricht lernen werden, dass es beim Sex zu tiefen Augenblicken der Begegnung kommt, welche die neuronalen Verbindungen im Gehirn beeinflussen, die in Situationen dieser Art besonders formbar und veränderbar (d.h., von hoher Plastizität) sind.
Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, bleibt das menschliche Gehirn lebenslang wesentlich formbarer, als man bisher angenommen hatte, eher weichem Ton als behauenem Stein ähnlich. Es ist keineswegs nur ein Produkt Ihrer Gene oder der Umgebung, in der Sie leben, sondern ein sehr anpassungsfähiges Gebilde, das sich im Laufe des Lebens ständig verändert. Das Gehirn wird durch »Neuroplastizitätstraining« zu erstaunlich positiven Veränderungen befähigt – was im Grunde nichts anderes bedeutet, als dass es durch Wiederholung gestärkt wird, ähnlich wie man einen schwachen Muskel durch Training stärken kann. Außerdem belegen zahlreiche aktuelle Untersuchungen, dass das Gehirn völlig neue Verbindungen herstellen kann, selbst wenn es eine erhebliche physische Schädigung oder ein emotionales Trauma erlitten hat.1 Sogar aufgrund interpersonaler Erlebnisse mit anderen Menschen entwickelt es neue neuronale Verbindungen.2 Dabei spielt das Spiegeln des eigenen Geistes und des Geistes anderer eine wichtige Rolle.3
Emotionales Lernen ist ein gutes Beispiel für die Plastizität des Gehirns.4 Es basiert in erster Linie auf Ausdrucksformen Ihres Körpers und auf persönlichen Erlebnissen, weniger auf der Aktivität Ihres Intellekts. Wenn Ihre Umgebung in Ihrer Kindheit einen starken Einfluss auf Sie gehabt hat, war der Grund dafür die Plastizität der neuronalen Schaltkreise, die für Ihre Emotionen zuständig sind.5 Uns liegen Untersuchungen vor, nach denen die Plastizität des Gehirns bis zur Ebene der Gene reicht. Ob diese zum Ausdruck gelangen, hängt unmittelbar mit Ihrer Umgebung und Ihren persönlichen Erlebnissen zusammen.6
Chronischer Stress und chronische Angst führen zu tiefgreifenden körperlichen und neurochemischen Veränderungen in den Emotionszentren des Gehirns. Zu diesen Gehirnbereichen zählen der Präfrontalkortex, die Amygdala und der Hippocampus.7 Amygdala und Hippocampus spielen auch beim emotionalen Lernen eine Rolle und sind beide von extremer Plastizität – in solchem Maße, dass Wissenschaftler von Plastizitätsereignissen (plastic events) sprechen.
Plastizitätsereignisse können positiv oder negativ sein. Sind sie negativ, gleichen sie One-trial-learning-Erlebnissen, die durch aversive Ereignisse ausgelöst werden, welche später Probleme mit dem Langzeitgedächtnis hervorrufen.8 Sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Unfälle und Nahtod-Erlebnisse sind hochwirksame neuroplastische Ereignisse. Das Gleiche gilt, wenn Sie als Kind oder Jugendlicher herausfinden, dass Ihr Vater oder Ihre Mutter eine Affäre hat. Lernen durch Assoziation von Gefühlen mit Erlebnissen ist ein Plastizitätsereignis, das sensorische Reize mit biologisch und psychologisch relevanter (überlebenswichtiger) Information in Verbindung bringt.9 Plastizitätsereignisse finden in der Amygdala und im Hippocampus statt, wenn in Ihrem Leben beunruhigende Dinge geschehen.10
Bei Menschen, die starkem Stress ausgesetzt sind, ist der Hippocampus (der das Gedächtnis steuert) häufig kleiner als bei anderen. Das Hippocampus-Volumen von 22 Frauen, die über wiederholten sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit berichtet hatten, war fünf Prozent geringer als das von Frauen, die keinen sexuellen Missbrauch erlitten hatten.11 Eine Untersuchung, an der sieben Vietnamveteranen teilnahmen, die unter Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) litten, ergab, dass der Hippocampus der Teilnehmer 24 Prozent kleiner war als derjenige nichttraumatisierter Soldaten im aktiven Dienst. In der Gruppe der PTBS-Kranken war bei denjenigen mit den meisten Kampferlebnissen der Hippocampus am kleinsten.12 Eine Langzeitstudie, an der 15 Kinder teilnahmen, bei denen PTBS-Symptome festgestellt worden waren, ergab, dass auch bei ihnen der Hippocampus verkleinert war.13
Im Gegensatz zum Hippocampus, der unter Stress an Plastizität verliert, gewinnt die Amygdala unter Stress an Plastizität. Intensive emotionale Erlebnisse wie Furchtkonditionierung verstärken ihre synaptische Signalübermittlung und ihr langfristiges Reaktionsverhalten. Bei Ratten, die fünf Minuten lang mit einer Katze (also mit einer Bedrohung durch ein Raubtier) konfrontiert wurden, wurde die neuronale Plastizität im Hippocampus geringer, wohingegen die in der Amygdala zunahm. Starker oder ständiger Stress wirkt sich auf vielfältige Weise negativ auf das Gehirn aus.14
Doch muss gar nicht etwas so Dramatisches passieren. Ratten, die im Laufe von zehn Tagen viermal kurz mit einer aggressiveren Ratte konfrontiert wurden (ein Beispiel für sozialen Stress), waren besonders hyperreaktiv, als man ihnen zwei Wochen und zehn Wochen danach Amphetamin injizierte. Episoden von wiederholtem sozialem Stress können zu langfristigen neuronalen Veränderungen führen, welche die Amygdala und das ventrale tegmentale Areal sensibilisieren und Ihre Gefährdung für Abhängigkeit von Psychostimulantien erhöhen.15 Mit starken Erregungszuständen verbundene Erlebnisse erzeugen dauerhaftere Erinnerungsspuren als emotional neutrale Erlebnisse.16 Traumatische emotionale Erlebnisse erzeugen Erinnerungen von pathologischer Stärke, die Depressionen und Angststörungen auslösen können.17
Dies war die schlechte Nachricht bezüglich neuronaler Plastizität, und nun kommt die gute: Wichtige Gehirnregionen bleiben lebenslang im positiven Sinne plastisch. Neueren Erkenntnissen zufolge entwickeln sich im Hippocampus von Erwachsenen Nervenzellen. Man nimmt an, dass Psychotherapien und Psychopharmaka diese Tatsache für therapeutische Zwecke nutzen könnten. Untersuchungen über Plastizität liefern neue Informationen und lassen die Hoffnung als realistisch erscheinen, dass die Emotionsschaltkreise im Gehirn beeinflussbar sind und dass es möglich ist, auf diese Weise das Wohlbefinden zu fördern.18
Die vier Kapitel des vierten Teils stellen bewährte Methoden vor, die den Körper auf eine gewöhnlich als angenehm empfundene Weise nutzen, um das Repertoire sexueller Aktivitäten zu vergrößern, bessere Liebhaber zu werden und die Beziehung zum Partner zu verbessern. Sowohl nonverbale als auch verbale Möglichkeiten der Auflösung von Problemen werden beschrieben. Und es geht nicht um »sexuelle Techniken« im landläufigen Sinne, sondern die beschriebenen Ansätze dienen einerseits dazu, die Vier Aspekte der Balance weiterzuentwickeln, und andererseits ermöglichen sie, die Früchte der rasend schnellen Entwicklung von Forschungsgebieten wie dem der Neuroplastizität und dem der interpersonalen Neurobiologie zu nutzen. Sie tun niemandem weh, wenn Sie körperliche Interaktionen mit Ihrem Partner nutzen, um eine Situation zu schaffen, die positive Veränderungen in Ihrem Gehirn fördert.
Im vorliegenden Kapitel werde ich drei Arten der Begegnung mit einem Partner beschreiben, die Paaren helfen, ihre Probleme mit dem sexuellen Verlangen zu lösen. Doch bevor wir uns damit beschäftigen, müssen wir den mentalen Rahmen abstecken, auf dem diese Aktivitäten in starkem Maße basieren. Physisches Engagement vertieft die emotionale Wirkung der Auseinandersetzung mit Ihrem Partner. Doch ebenso wichtig, wie zu verstehen, was Sie in emotionaler Hinsicht zu erreichen versuchen, ist es, zu wissen, wie Sie Ihren Körper dabei nutzen können.
Zunächst müssen Sie mit Ihrem Partner eine emotionale kollaborative Allianz aufbauen, die Sie während des physischen Kontakts zu ihm aufrechterhalten. Leider vernachlässigen Paare mit Verlangensproblemen ihre Allianz beim Sex gewöhnlich – oder haben nie eine gehabt.
Schon die Zahl der Paare, die auf Sex verzichten, ist ziemlich hoch; aber noch mehr Paare haben nie eine kollaborative Allianz entwickelt. Auch wenn Partner viermal wöchentlich kopulieren und multiple Orgasmen erleben, haben sie manchmal beim Sex keine kollaborative Allianz (und vorher und nachher ebenfalls nicht).
Eine kollaborative Allianz ist ein informelles Einvernehmen aufgrund der Interessen beider Beteiligten, also eine nicht schriftlich festgehaltene Vereinbarung über Kooperation und Freundschaft, die Sie und Ihren Partner dazu anspornt, sich um der Beziehung willen größtmögliche Mühe zu geben. In Augenblicken, in denen zwischen Ihnen und Ihrem Partner eine kollaborative Allianz besteht, gelangt Ihre Partnerschaft durch Ihre Handlungen zum Ausdruck, also nicht nur in verbaler Form. Kollaborative Allianzen beinhalten, dass beide Partner zusammen auf gemeinsame Ziele und positive Resultate hinarbeiten, auch wenn das schwierig, beängstigend oder mit Schmerzen verbunden ist. Bei der Lösung von Problemen bezüglich des Verlangens ist eine kollaborative Allianz wesentlich wichtiger als perfekte sexuelle Technik.
Zwischen einer kollaborativen Allianz und einer guten Beziehung besteht ein entscheidender Unterschied: Eine kollaborative Allianz kann in einem Sekundenbruchteil begründet werden und verloren gehen. (Eine gute Beziehung aufzubauen erfordert wesentlich mehr Zeit.) Sie können in einem bestimmten Augenblick den Eindruck haben, dass Sie mit Ihrem Partner wunderbar harmonieren, und im nächsten Augenblick etwas völlig anderes mit ihm erleben. Dieses Gefühl entsteht bei einem plötzlichen Zusammenbruch der Allianz. Auch Partner, die in einer guten Beziehung leben, erhalten nicht immer ständig eine kollaborative Allianz aufrecht. Doch wenn Sie generell in der Lage sind, eine solche Verbindung über Monate oder sogar Jahre zu halten – insbesondere in Krisenzeiten und bei starkem Stress –, fühlen Sie sich, als ob Sie eine gute Beziehung hätten. Kollaborative Allianzen spielen nicht nur in Ehen eine wichtige Rolle, sondern auch in der Psychotherapie und bei der Erfüllung elterlicher Aufgaben. Wohin Sie auch schauen, kollaborative Allianzen sind überall von Bedeutung.
Sobald Paare den Sinn kollaborativer Allianzen verstehen, verfolgen sie das Kommen und Gehen ihrer Allianz (leider meist zuerst deren »Gehen«). Kollaborative Allianzen verändern sich schnell, weil sie im Einklang mit Ihrer emotionalen Stabilität, Ihrer Fähigkeit zur Selbstberuhigung und Ihrer Bereitschaft, für eine Sache Opfer zu bringen, stärker und schwächer werden. Einen starken Einfluss auf kollaborative Allianzen haben die Vier Aspekte der Balance. Sie beinhalten Ihre sich ständig neu manifestierende Fähigkeit, an sich selbst festzuhalten, auf Ihre gemeinsamen Bemühungen fokussiert zu bleiben und sich dazu aufzuraffen, das zu tun, was getan werden muss.
Der letztgenannte Aspekt ist besonders wichtig: Kollaborative Allianzen fokussieren auf das, was getan werden muss; sie stellen also nicht nur fest, was falsch läuft, und nähren auch nicht nur Ihre eigenen Gefühle.
Nicht alle Allianzen sind kollaborativ. Manche Paare haben gar keine Allianz, andere hingegen entwickeln eine kollusive Allianz. Diese spricht die schlechten Eigenschaften und Charakterzüge eines Menschen an, statt sein Bestes zu aktivieren, und sie ist in Ehen und Familien sehr häufig zu finden. Während im Falle kollaborativer Allianzen beide Partner sich mit vereinten Kräften um das gemeinsame Wohl bemühen, ermöglichen kollusive Allianzen es Menschen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen oder Probleme zu vermeiden. Ehepartner erhalten häufig kollusive Allianzen aufrecht, die auf ihren jeweiligen Mängeln basieren. Eltern und Kinder entwickeln kollusive Allianzen, um die tatsächliche Situation in ihrer Familie zu überspielen. Je schwächer die Vier Aspekte bei Ihnen sind, umso wahrscheinlicher ist, dass Sie zu kollusiven Allianzen neigen.
Eine warmherzige, stabile kollaborative Allianz schafft in Ihrer Kindheit optimale Voraussetzungen für die Entwicklung Ihres Gehirns.19 Im übrigen kann eine stabile kollaborative Allianz mit Ihrem Partner Ihnen in Ihrer gegenwärtigen Situation helfen, über schwierige Erlebnisse hinwegzukommen. Die erfolgreiche Verarbeitung von Emotionen führt im Gehirn zu Veränderungen (Plastizität), weil dadurch (a) die Erregbarkeit und Aktivierbarkeit der Neuronen gefördert wird, (b) die Entwicklung neuer Synapsenverbindungen unterstützt wird und (c) weit entfernt lokalisierte Gehirnregionen besser integriert werden, was insgesamt die Selbstregulation verbessert.20 Die drei Formen physischen Kontakts, die ich im Folgenden beschreiben werde, sind altbewährte Manifestationen physischer und emotionaler kollaborativer Allianzen, die den soeben beschriebenen Prozess fördern. Außerdem rufen sie sieben Zustände hervor, von denen angenommen wird, dass sie im Gehirn Veränderungen zum Positiven fördern.
Ich werde Ihnen nun von einem Paar berichten, das dieses System für sich zu nutzen wusste. Larry und Juanita hatten im Laufe ihrer 19-jährigen Ehe nicht oft Sex gehabt, im ersten Ehejahr allerdings mehrmals pro Woche. Zunächst war es ihnen stets etwas schwergefallen, solche Situationen zu initiieren, doch wenn sie über diese Phase hinausgelangt waren, waren die meisten sexuellen Begegnungen für sie zufriedenstellend verlaufen. Im zweiten Ehejahr war es nur noch einmal pro Monat zum Sex zwischen ihnen gekommen, und das Vorspiel hatten sie generell gestrichen.
Juanita war während des Vorspiels meist angespannt und nervös geworden. Wenn das Paar sich der Phase näherte, die Juanita Put-up- oder Shut-up-Zeit nannte, fühlte sie sich verpflichtet, Larry in sie eindringen zu lassen. Es fiel ihr dann schwer, sich zu beruhigen und die ganze Situation anders als so zu sehen. Juanita fürchtete, Larry würde wütend werden, wenn sie dazu nicht bereit wäre, obwohl er ihr immer wieder versichert hatte, dies sei nicht so. So war es jahrelang gegangen. Während des Vorspiels verlor Juanita immer stärker die Verbindung zu Larry, und sie ertrank in ihren eigenen Gedanken. Ihr gespiegeltes Selbstempfinden brach ebenso zusammen wie ihre Allianz mit ihrem Partner. Wenn Larry seinen Penis in ihre Scheide einführte, waren bei ihr alle Gedanken an Liebe und Partnerschaft wie weggeblasen. Nach Juanitas Auffassung war sie mit ihrem Problem ganz allein. Sie war es, die versagt hatte. Sie war die Beschädigte, die als Kind sexuell missbraucht worden war.
Juanita und Larry kamen nach einer sehr heftigen emotionalen Auseinandersetzung zur Therapie. Larry hatte sein »turnusmäßiges« sexuelles Angebot gemacht. Juanita hatte so getan, als merke sie dies gar nicht, und hatte weiter in ihrem Buch gelesen. Larry hatte seinen Versuch daraufhin wiederholt, und Juanita hatte zunächst gezögert, dann aber eingewilligt, weil sie seit fast zwei Monaten nicht mehr miteinander geschlafen hatten. Als sie anfingen, sich zu lieben, waren beide nervös. Unmittelbar vor der Kopulation unterbrach Juanita das Geschehen und erklärte, sie fühle sich nervös und unter Druck gesetzt. Dieser Verlauf war typisch für ihre sexuellen Begegnungen. Larry rollte sich auf die Seite und schlief ein, während Juanita wach im Dunkeln lag und weinte. Zwei Tage später erklärte Larry Juanita, er habe nun endgültig genug, und er denke ernstlich darüber nach, sich scheiden zu lassen.
Bei unserem ersten Treffen berichtete Juanita, sie habe als Kind sexuellen Missbrauch erlitten. Sie erklärte, sie sei ihr ganzes Leben lang immer nervös gewesen. Im Alter von acht bis zwölf Jahren hatte ihr Vater sie oft durch die Unterwäsche hindurch stimuliert. Sie hatte damals das Gefühl gehabt, es sei ihre Pflicht, dies zuzulassen. Ihre Mutter war zu jener Zeit sehr labil gewesen, und Juanita hatte geglaubt, sie würde die Fassung verlieren, wenn sie von dem Missbrauch erführe. Während der Adoleszenz wurde Juanita sexuell promiskuitiv. In der aktuellen Situation in ihrer Ehe fiel es ihr schwer, sich zu entspannen und beim Sex mit Larry Erregung zuzulassen.
Juanita und Larry erklärten, sie hätten »eine gute Beziehung, aber Probleme in der Abteilung Sex«. Tatsächlich fiel es ihnen in vielen Situationen schwer, eine kollaborative Allianz aufrechtzuerhalten. Juanita gab ihre Allianz mit Larry regelmäßig auf, wenn sie sich bedroht fühlte oder sich fürchtete. Allerdings war Larry auch nicht besser im Aufrechterhalten der gemeinsamen Allianz – was bei Paaren häufig der Fall ist. Larry löste die Allianz, indem er davonstapfte, sobald sie sich »zurückgezogen« hatte.
Jedes Mal, wenn Larry oder Juanita ihre Allianz aufgaben, fühlte sich der jeweilige Partner verletzt. Ein einziger Satz wie »Muss ich das wirklich tun?« oder »Bist du dir sicher, dass du wirklich willst?« reichte dazu aus. Nach fast 20 Jahren fühlte Larry sich gedemütigt, wenn er sexuell aktiv geworden war und erneut zurückgewiesen wurde. Er war danach oft tagelang deprimiert. Juanita schwankte zwischen Wut und Verzweiflung, wohingegen Larry mit Frustration und Gefühlen der Hoffnungslosigkeit reagierte. Diese Kombination demoralisierte beide monatelang.
Juanita wurde nie klar, dass sie in der Regel zuerst die Allianz aufgab. Das geschah jedes Mal, wenn sie in Schwierigkeiten geriet und sich vorstellte, Larry werde bald wieder sehr frustriert sein. In Reaktion auf ihre eigenen Ängste gab sie die Allianz mit Larry auf, indem sie zu ihm sagte: »Jetzt sei bitte nicht wütend.« Dies brachte Larry auf die Palme, und dadurch wieder wurde ihre Angst verstärkt und ihre Erregung noch schwächer, mit der Folge, dass sie sich einerseits zurückzog und andererseits »verlassen« fühlte.
Eine Allianz aufrechtzuerhalten erfordert emotionale Widerstandskraft (Resilienz). Wenn Sie die Allianz, die Sie mit Ihrem Partner haben, jedes Mal aufgeben, sobald Ihr Partner dies tut, können Sie keine resiliente kollaborative Allianz mit ihm haben. Deshalb ist Ihre Fähigkeit, eine kollaborative Allianz aufrechtzuerhalten, eng mit der Stärke der Vier Aspekte der Balance bei Ihnen verbunden. Sie müssen sich Ihre Verpflichtungen klar vor Augen führen, indem Sie bei sich selbst bleiben, und Sie müssen Ihre Verpflichtungen erfüllen, indem Sie Geist und Herz beruhigen und Ihre Emotionen besänftigen, falls Sie aufgeregt oder aufgebracht sind. Weiterhin müssen Sie gelassen bleiben und dürfen nicht überreagieren, wenn Ihr Partner seine Allianz mit Ihnen aufgibt. In schwierigen Situationen erfordert eine resiliente kollaborative Allianz außerdem sinnvolle Beharrlichkeit.
Viele von uns werden durch die Unfähigkeit ihrer Eltern beeinflusst, eine kollaborative Allianz entweder mit ihren Kindern oder miteinander oder beides aufrechtzuerhalten. Dies wirkt sich auf unser Gehirn und unser Verhalten aus, insbesondere wenn es um die Kontrolle der Emotionen geht. Beispielsweise reagiert das Gehirn auf unsere Interaktionen mit anderen Menschen durch die Modulation neurochemischer Prozesse, indem es neue Neuronenverbindungen produziert und die Kontrolle über den Ausdruck der Gene ausübt (dies wird Epigenetik genannt).21
Bei einigen Menschen erzeugen die Gene geringere Mengen jener neurochemischen Stoffe, welche die Wirkung von Stress und Traumata verringern (wie etwa Serotonin und Monoaminoxidase A). Darunter leidet die Widerstandskraft der Betreffenden, mit der Folge, dass sie bei belastenden Ereignissen besonders anfällig für Depression und Selbstmordtendenzen werden.22 Wenn Kinder schlecht behandelt werden, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass bei ihnen eine Antisoziale Persönlichkeitsstörung entsteht und dass sie im Erwachsenenalter zu kriminellen Handlungen neigen.23 Allerdings spielt bei der Entstehung antisozialen Verhaltens die starke Wechselwirkung zwischen Genen und Umgebung eine wichtige Rolle.24 Insofern sind die Erlebnisse eines Menschen von entscheidender Bedeutung, wohingegen eine für Probleme prädisponierende genetische Grundlage erst ins Gewicht fällt, wenn der betreffende Mensch mit starkem Stress konfrontiert und schlecht behandelt wird (d.h., die genetische Prädisposition gelangt erst dann »zum Ausdruck«).
In Juanitas Fall war es zwar nur selten (drei- oder viermal) zu sexuellem Missbrauch gekommen, doch ihre kollaborative Allianz mit ihren Eltern hatte in ihrer Kindheit und Jugend immer wieder versagt. Zu solchem täglichem Zusammenbrechen von Allianzen kommt es in Familien, in denen sexueller Missbrauch stattfindet, relativ häufig, und dies kann auf die Kinder eine negativere Wirkung haben als relativ seltene Erlebnisse sexuellen Missbrauchs an sich.
Juanita war die »perfekte Tochter« ihrer Eltern. Von früher Kindheit an war ihr immer daran gelegen gewesen, die Harmonie in ihrem Elternhaus um jeden Preis zu erhalten. Ihre Eltern hatten sie auf renommierte Schulen geschickt und mit den schulischen Leistungen des Mädchens vor ihren Freunden angegeben. Doch obwohl sie oft mit Juanita sprachen, hörten sie ihr kaum zu. Juanita selbst spielte ihren Eltern gegenüber die Rolle der vorbildlichen Tochter, obwohl ihr klar war, dass sie für sie im Grunde unsichtbar war. Sie sagte grundsätzlich, es gehe ihr gut, auch wenn das gerade nicht der Fall war, einfach weil ihre Eltern dies hören wollten.
Ihre sexuellen Erlebnisse mit ihrem Vater in der Kindheit erwähnte Juanita nie. Berührt ein Vater sein Kind sexuell, weiß es, dass seine kollaborative Allianz mit ihm nicht mehr besteht. Und wenn das Kind außerdem weiß, dass die Mutter ihm nicht glauben oder sich nicht einmischen wird, wird die Allianz mit der Mutter ebenfalls zerstört. Man könnte sagen, Juanita sei ihren Eltern gegenüber loyal gewesen, diese ihr gegenüber hingegen nicht. Doch in Wahrheit bestand zwischen ihnen eine kollusive Allianz.
Zwischen Juanitas Eltern bestand keine Allianz: Ihre Mutter hatte den Vater in flagranti erwischt, als er gerade die Hausangestellte vögelte, und sie hatte danach keine Gelegenheit versäumt, ihm diesen Vorfall unter die Nase zu reiben. Sogar beim gemeinsamen Essen der Familie kam sie immer wieder darauf zu sprechen. Manchmal forderte der Vater Juanita auf, ihre Mutter »um des lieben Friedens willen« zu bitten, ihn nicht mehr anzugreifen. Die Mutter wiederum benutzte die Tochter, um ihre Gefühle über das, was der Vater ihr angetan hatte, auszudrücken.
Als Juanitas Eltern darüber zu reden begannen, dass sie sich scheiden lassen wollten, wurde ihre Rolle als »perfekte Tochter« noch wichtiger. Juanitas Großvater war in der Stadt, in der er lebte, sehr angesehen, und er hatte von seinem Sohn erwartet, dass er den äußeren Anschein der Schicklichkeit wahren und die Ehe bestehen lassen würde, auch wenn er unglücklich war. Schon sehr früh wusste Juanita, dass sie ihrer erweiterten Familie nicht vertrauen konnte.
In Larrys Familie hatte es um die kollaborativen Allianzen auch nicht viel besser gestanden. Larrys Vater und sein Onkel hatten wegen fehlgeschlagener Geschäfte gegeneinander Prozesse geführt. Zuvor hatten sie gemeinsam ein Unternehmen gegründet, um Larrys Großvater auszubooten, der sie jahrzehntelang für sich hatte arbeiten lassen und ihnen versprochen hatte, ihnen sein Geschäft zu vererben. Eines Tages jedoch hatte er ihnen eröffnet, er werde das Geschäft verkaufen. Daraufhin hatten Larrys Vater und Onkel ein eigenes Unternehmen gegründet und den Kundenstamm des Großvaters abzuwerben versucht. Doch das war ihnen nicht gelungen. Die Situation verschlechterte sich noch weiter, als der Großvater sein Geschäft tatsächlich verkaufte und den gesamten Erlös für sich behielt.
Larrys Vater war ein Großmaul, und er erwartete, von Larry als wichtige Persönlichkeit anerkannt zu werden. Er war körperlich ziemlich klein, versuchte aber, sich größer zu machen, als er war. Seine Einstellung zu seiner Vaterrolle könnte man in dem Satz »Sei mein Fußabtreter« zusammenfassen.
Wiederholt hatte Larrys Vater Pläne für seinen Sohn entwickelt. Dabei geriet Larry jedoch jeweils in eine Abhängigkeit von seinem Vater und musste dies akzeptieren. Zehn Jahre zuvor hatte Larry für einen Autokredit des Vaters gebürgt. Als der Vater dann seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkam, forderte die Bank das Geld von Larry zurück. Vor zwei Jahren hatte der Vater bei verschiedenen Gläubigern Schulden gehabt, und Larry hatte 7000 Dollar bezahlt, um seinen Vater vor einer Gefängnisstrafe zu bewahren. Dieser hatte zwar versprochen, das Geld zurückzuzahlen, doch Larry hatte nie auch nur einen einzigen Cent gesehen. Besonders schmerzhaft war für ihn, dass sein Vater wiederholt die kollaborative Allianz ausgeschlagen hatte, die Larry ihm anbot.
In Anbetracht ihrer familiären Vorgeschichten war es kaum überraschend, dass Juanita und Larry 15 Jahre lang eine kollusive Allianz aufrechterhalten hatten, um die Auseinandersetzung mit ihren sexuellen Problemen zu vermeiden.
Ihre Fähigkeit, eine kollaborative Allianz aufrechtzuerhalten, wurzelt in der Evolution und Kultur des Menschen.25 Allerdings sollten Sie sich von der Vorstellung verabschieden, dass eine Ehe im Prinzip halten muss, »bis dass der Tod uns scheidet«. Nichts könnte der Wahrheit ferner sein. Die Anthropologin Helen Fisher hat darauf hingewiesen, dass die meisten Tiere keine Paarbindung entwickeln und dass diejenigen, die es tun, zwei Dinge gemeinsam haben: Sie gebären hilflose Babys, und die Eltern bleiben nicht ihr ganzes Leben lang zusammen, sondern nur, bis die Aufzucht ihres Nachwuchses abgeschlossen ist.26 Deshalb gelangte Fisher zu der Überzeugung, dass Verwandtschaft für die menschliche Evolution im Laufe der Jahrhunderte wichtiger war als dauerhafte Partnerschaften.27 Wenn die Paare sich trennten, baten die Mütter ihre Verwandten um Hilfe. Die Kinder hatten mehr Kontakt zu Tante, Onkel und Großmutter als zum Vater.
Verwandtschaftsverbindungen sind oft dauerhafter als Ehen, weil sie weniger intensiv sind als letztere. Sie sind durch weniger Entscheidungsdilemmata belastet, es gibt in ihnen mehr Abstufungen von Freiheit, und der emotionale und physische Raum für Interaktionen ist weitläufiger. Sie beanspruchen die Vier Aspekte der Balance nicht so sehr wie eine Ehe (was allerdings für Familien, in denen ein hohes Maß an emotionaler Verschmelzung herrscht, nicht gilt). Je näher Verwandtschaftsbeziehungen der Intensität monogamer Ehen kommen, umso häufiger zerbrechen in den erweiterten Familien kollaborative Allianzen. Sollte es also zutreffen, dass die Verwandtschaftsbeziehungen eher die Grundlage der Zivilisation sind als ein Elternpaar, ist es besonders wichtig, dass man in der Lage ist, eine besonders gute kollaborative Allianz aufrechtzuerhalten, sofern man sich eine stabile langfristige (eheliche) Beziehung wünscht.
Einer solchen Beziehung ist es nicht grundsätzlich förderlich, sich ausschließlich auf die Kraft der Bindung zu verlassen. Allianzen, die auf Wollust, romantischer Liebe und Bindung basieren, sind in der Regel kurzlebig. Kollaborative Allianzen, die auf Loyalität und Integrität gründen, bleiben länger bestehen. Doch auch angesichts von Ungemach loyal zu bleiben erfordert ein ziemlich komplexes »Selbst«. Eine Ehe zu wollen und sie durch Aufrechterhaltung einer kollaborativen Allianz zusammenzuhalten, ist eine weitere Möglichkeit von Menschen, sich weiterzuentwickeln. Wenn Sie sich also eine Ehe wünschen, die auf einer resilienten kollaborativen Allianz basiert, sollten Sie die Vier Aspekte und Ihren Präfrontalkortex in diese Bemühungen einbeziehen.
Solche Allianzen beinhalten:
Wie ich bereits sagte, erfordern kollaborative Allianzen, dass man selbst dann auf gemeinsame Ziele hinarbeitet, wenn diese Angst verursachen oder für einen selbst von Nachteil sind. Wenn Sie sich falsch darstellen, haben Sie Ihre Allianz aufgegeben. Falls Sie Ihren Geist so verschleiern, dass es nicht möglich ist, ihn adäquat zu spiegeln, läuft auch dies auf ein Aufgeben der Allianz hinaus. Es gibt auch Menschen, die selbst dann eine kollaborative Allianz nicht aufrechterhalten könnten, wenn sie ihnen schön verpackt in einer Schachtel wie ein Geschenk angeboten würde.
Menschen geben Allianzen aus vielen Gründen auf. Einige tun es, weil sie sich persönlich nichts davon versprechen oder weil ihre Fähigkeit, sich für andere Menschen zu engagieren, sehr begrenzt ist. Andere wollen ihrem Partner etwas »heimzahlen«. Manche fühlen sich »berechtigt«, ihre Allianz zerbrechen zu lassen, sobald sich in der Beziehung eine negative Entwicklung anbahnt. Wenn Sie mit Identitätsproblemen kämpfen, wie sie in der Frage »Zu wem gehörst du?« zum Ausdruck kommen, lösen sich Allianzen gewöhnlich auf. Wenn Ihr stabiles und flexibles Selbst ohnehin nicht besonders stark ist, kommen und gehen kollaborative Allianzen je nach Umständen und erwartetem Nutzen.
Häufig werden sie auch aufgrund eines emotionalen Patts oder eines Entscheidungsdilemmas aufgegeben. Beim ersten Anzeichen für Probleme zog Juanita sich aus ihrer Allianz mit Larry zurück. Bei jeder sexuellen Annäherung forderte sie ihn auf, geduldig zu sein und sie zu akzeptieren. Reagierte er auch nur andeutungsweise negativ oder frustriert, war die Begegnung »gelaufen«.
Die Ehe ist das Trainingslager für kollaborative Allianzen. Nur Ihr stabiles und flexibles Selbstempfinden vermag sie in schwierigen Situationen aufrechtzuerhalten. In ihr sind Sie selbst die Person, mit der Sie sich zuerst auseinandersetzen müssen. Dafür sind Sie zuallererst verantwortlich. Selbstkonfrontation ist für die Aufrechterhaltung einer kollaborativen Allianz entscheidend, denn nur durch sie können Sie erkennen, ob Sie Ihre Aufgabe erfüllen. Eine kollaborative Allianz kann nur dann widerstandsfähig sein, wenn Sie Ihre Ziele und Werte klar vor Augen behalten. Indem Sie Ihr Herz beruhigen, verhindern Sie eine übertrieben starke Reaktion, wenn Ihr Partner seine Allianz mit Ihnen aufgibt. Sie brauchen sich dann nicht zurückzuziehen und verlieren auch nicht völlig die Fassung. Die Vier Aspekte, die Grundlagen der Widerstandskraft, ermöglichen Ihnen, eine neue kollaborative Allianz aufzubauen und Ihren Weg fortzusetzen. So lassen sich kollaborative Allianzen trotz Angst aufrechterhalten. Folgende acht Punkte sollten Sie beachten:
1. Vor allem geht es in kollaborativen Allianzen um das, was getan werden muss. Dem Partner zuzuhören und sich für die eigene Position einzusetzen sind unverzichtbare Elemente einer solchen Allianz. Doch letzten Endes lassen sich kollaborative Allianzen nicht allein mit Gefühlen bestreiten, insbesondere dann, wenn diese nicht durch Verhalten gestützt werden.
2. Die kollaborative Allianz zu Ihrem Partner wiederherzustellen ist wichtiger als das vorherige Zerbrechen Ihrer Allianz. Die Funktionsfähigkeit der Beziehung wiederherzustellen ist das Wichtigste überhaupt. Die Erhaltung der Partnerschaft ist wichtiger als Ihre Ängste vor deren Niedergang.
3. Achten Sie darauf, wann Sie Ihre Allianz zerbrechen lassen. Je empfindlicher wir auf andere Menschen reagieren, die Allianzen mit uns aufgeben, umso wahrscheinlicher merken wir nicht, wenn wir selbst dies tun. Der erste, schwierigste und wichtigste Schritt auf dem Weg zur Wiederherstellung einer kollaborativen Allianz ist, dass wir merken und erkennen, wann wir selbst eine kollaborative Allianz aufgeben. Wenn Sie sich darüber klar werden, wie Sie (also nicht Ihr Partner) Ihre Allianz immer wieder aufgeben, wirkt sich dies sehr schnell positiv auf die gesamte Situation aus. (Weil darin oft die Geschichte Ihres bisherigen Lebens zum Ausdruck kommt, können Sie aufgrund dieser Selbsterforschung voraussehen, in welchen Situationen Sie dazu neigen, Ihre Allianz aufzugeben.)
4. Es geht nicht hauptsächlich darum, wie Sie sich fühlen. Allein die Tatsache, dass Sie nervös werden, ist noch nicht Grund genug, eine Allianz aufzugeben. Von zentraler Bedeutung bei einer kollaborativen Allianz ist, dass Sie Ihrer Verantwortung nachkommen. Die Verständlichkeit Ihrer Gefühle in Anbetracht der Umstände ändert nichts daran, dass es in Ihrer Verantwortung liegt, an Ihrer eigenen Position festzuhalten und das Richtige zu tun.
5. Im Rahmen einer kollaborativen Allianz liegt die Verantwortung, die Sie tragen, einzig und allein bei Ihnen; sie basiert also nicht auf Gegenseitigkeit. Eine kollaborative Allianz beinhaltet, dass Sie Ihren Anteil an einer wechselseitigen Verpflichtung erfüllen, auch wenn Ihr Partner seinen Anteil zeitweilig nicht erfüllt. Das Verhalten Ihres Partners entschuldigt Ihr eigenes Verhalten nicht. Erst wenn Sie sicher sind, dass Sie Ihren Teil der Vereinbarung erfüllt haben, sollten Sie Ihren Partner wegen seines Anteils an der Vereinbarung zur Rede stellen, statt Ihrer eigenen Verantwortung nicht nachzukommen und so dazu beizutragen, dass Ihre gemeinsame Beziehung vom kleinsten gemeinsamen Nenner bestimmt wird.
6. Kollaborative Allianzen fühlen sich nicht immer gut an. Manchmal erfordern sie Konfrontationen, Herausforderungen und die Weigerung, nachzugeben. Dies kann schwer sein. Eine kollaborative Allianz bedeutet auch nicht, dass wir verpflichtet sind, immer dafür zu sorgen, dass es unserem Partner gut geht oder dass er sich geschützt, akzeptiert, sicher oder geborgen fühlt. Entscheidend ist, ob kollaborative Allianzen ihre Funktion erfüllen, nicht, welches Gefühl sie erzeugen. (Kollusive Allianzen zielen darauf, Menschen ein bestimmtes Gefühl zu vermitteln.)
7. Kollaborative Allianzen beinhalten in keinem Fall, dass Sie sich über Ihren Partner oder über das, was zwischen ihm und Ihnen geschieht, Illusionen machen sollten. In einer solchen Allianz sind die Augen der Beteiligten weit geöffnet, und ihr Geist ist hellwach. Das Spiegeln des Geistes spielt dabei eine wichtige Rolle. Schirmen Sie Ihren Geist nicht gegen Bemühungen Ihres Partners ab, ihn zutreffend zu lesen. (Wenn Sie einen anderen Menschen auffordern, über Ihre Schwächen hinwegzusehen, oder wenn Sie ihm anbieten, über seine Schwächen hinwegzusehen, so entspricht dies einer kollusiven Allianz.)
8. Kollaborative Allianzen testen Ihre Integrität. Letztlich erfüllen Menschen ihre auf Vertrauen basierenden Verpflichtungen, um ihre Integrität zu erhalten. Eine Allianz fallenzulassen und sich im engstirnigen Sinne »um sich selbst zu kümmern« ist immer die leichtere Wahl. Mit fortschreitender Differenzierung jedoch wird es Ihnen auch wichtiger zu tun, was Sie als richtig ansehen, um in Frieden mit sich selbst leben zu können. Eine Allianz, die Menschen aus Gründen der Bequemlichkeit eingehen, mag kollaborativ erscheinen, doch in einer schwieriger werdenden Situation zerbricht sie unweigerlich.
Gehen Sie davon nicht selbstverständlich aus. Bei normalen Paaren mit Problemen des Begehrens (und/oder sexuellen Dysfunktionen) besteht häufig keine solche Allianz. Auch wenn Ihre persönlichen Verlangensprobleme eine andere Ursache haben mögen, ist dies in der Regel der Fall. Wenn Ihnen klar wird, dass Sie Ihre Allianz mit Ihrem Partner fallenlassen, haben Sie durchaus Grund zum Optimismus, denn Ihre Situation braucht nicht so zu bleiben, wie sie im Moment ist – sofern Sie an der Stärkung der Vier Aspekte arbeiten.
Wenn Partner erklären, es falle ihnen schwer, einander zu vertrauen, geht es wahrscheinlich um den wiederholten Zusammenbruch der kollaborativen Allianz oder um deren völliges Fehlen. Ich habe nie feststellen können, dass es von irgendeinem Nutzen ist, das, worum es hier geht, als Vertrauensproblem zu bezeichnen. Wesentlich positiver wirkt es sich aus, wenn man das Problem als Fehlen einer kollaborativen Allianz definiert, weil dann nicht mehr eine Überzeugung, sondern Leistung im Vordergrund steht.
Sie und Ihr Partner müssen Ihre Körper einbeziehen, um eine kollaborative Allianz aufzubauen. Durch wiederholte und unterschiedliche Aktionen wird dies möglich. Ich werde Ihnen drei Möglichkeiten für das Bett und anderswo erläutern. Man kann den Körper nutzen, um Vorgänge im Geist zu verändern, und dies könnte durchaus auch zu Veränderungen in Ihrem Gehirn führen. Vielleicht sind die im Folgenden beschriebenen Methoden gerade deshalb so wirksam.
Bemühen Sie sich bei der Auseinandersetzung mit diesen Werkzeugen um einen möglichst umfassenden Blickwinkel. Konzentrieren Sie sich nicht ausschließlich auf die physische Technik. Versuchen Sie, Ihre Aufmerksamkeit auf möglichst viele wichtige Dimensionen gleichzeitig zu richten und so Ihr Erleben facettenreich und vielschichtig zu gestalten.
Ihr erstes wichtiges Werkzeug ist das Umarmen bis zur Entspannung.28 Diese Methode ist so elegant wie einfach. Sie kann einen sehr komplexen Nutzen haben, aber ihre Grundlagen sind trotzdem leicht zu erlernen. Sie brauchen nur Folgendes zu tun:
Bei entsprechender Übung kann man durch Umarmen bis zur Entspannung erstaunliche Resultate erzielen. Dazu ist weder Nacktheit noch Genitalkontakt erforderlich. Wahrscheinlich ist es sogar besser, zunächst angekleidet zu bleiben.29 (Allerdings empfiehlt es sich, die Schuhe auszuziehen.) Wenn Sie und Ihr Partner emotional entfremdet und nicht bereit für »richtigen« Sex sind, können Sie mit Hilfe von Umarmen bis zur Entspannung auf der Körperebene arbeiten, auch wenn Sie einander nicht sexuell erregen oder sich gegenseitig ein angenehmes Gefühl vermitteln wollen. Im Grunde geht es darum, sich während einer Umarmung körperlich und emotional zu zentrieren. Umarmen bis zur Entspannung ist so einfach, dass es sich mit Sicherheit lohnt, es einmal auszuprobieren, weil es bei der Lösung zahlreicher Probleme helfen kann, die mit Verlangen und sexueller Dysfunktionen zusammenhängen.
Beachten Sie bitte, dass ich den Vorgang, um den es hier geht, nicht als »einander halten« beschrieben habe. Das wäre ein völlig anderer Ansatz und wesentlich komplexer. Wenn Sie Ihrer Partnerin gestatten, Sie zu halten, und wenn Sie selbst Ihre Partnerin ebenfalls halten, treten dadurch in der Regel Probleme zutage. Ich empfehle Ihnen, das, worum es mir hier geht, in dem Sinne zu verstehen, dass Sie Ihre Arme um Ihre Partnerin legen und dabei an sich selbst festhalten. Dies weist Ihnen für das, was Sie tun müssen, adäquat die Richtung: Während Sie mit Ihrem Partner dastehen, sollen Sie die Vier Aspekte anwenden.
Anfänglich beinhaltet Umarmen bis zur Entspannung, dass Sie Körper und Geist entspannen, indem Sie auf den Körper fokussieren, während Sie mit Ihrem Partner in umfassendem physischem Kontakt stehen. Mit Ihrem Partner körperlich vertraut zu werden nimmt einige Zeit in Anspruch – das gilt sowohl für eine konkrete Begegnung als auch für die Entwicklung als solche. Möglicherweise empfinden Sie die Situation zunächst als ziemlich unangenehm. Auch bei häufigem jeweils fünf- bis zehnminütigem Wiederholen des Umarmens kann es einen Monat dauern, bis Sie über die Anfangsschwierigkeiten hinweggekommen sind. Die Wiederholungen sind sehr wichtig.30 Wenn Sie bereit sind, das Unbehagen um Ihrer Weiterentwicklung willen zu ertragen, fühlt sich Umarmen bis zur Entspannung schließlich so an, als würden Sie zu warmer Butter zerschmelzen – aber ohne dass Sie sich dabei selbst verlieren.
Es gibt viele Möglichkeiten, Umarmen bis zur Entspannung zu nutzen. Anfangs steht dabei die Achtsamkeit im Vordergrund, eine Art, sich zu zentrieren, den eigenen Geist zu beruhigen und die Kontrolle über die eigenen Emotionen zu erlangen – während Sie Ihrem Partner nahe sind. Auch wenn Sie geübt darin sind, still für sich zu meditieren, können Sie sich beim Zusammensein mit Ihrem Partner verlieren. An sich selbst festzuhalten (und das bedeutet achtsam zu bleiben) wird immer schwieriger, wenn Sie physisch und emotional mit Ihrem Partner in Kontakt sind. Umarmen bis zur Entspannung ermöglicht Ihnen, dies in Echtzeit zu üben, statt nur darüber zu reden und nachzudenken.
Mit Umarmen bis zur Entspannung können emotional und körperlich entfremdete Paare auf angenehme Weise den körperlichen Kontakt wiederherstellen, wenn ihnen dies mit Hilfe ihres normalen (kurzen) Musters sexueller Aktivität nicht möglich ist. Sie brauchen Zeit, um sich »abzukühlen« – sowohl innerlich als auch im Kontakt mit Ihrem Partner.
Früher oder später (bei vielen Paaren jedoch eher früher) bringt Umarmen bis zur Entspannung die in Ihrer Beziehung bestehenden Probleme ans Licht. Welchem der beiden Partner fällt es schwer, sich halten zu lassen? Wer stützt sich auf wen? Wer bringt wen dazu, sich anzupassen? Was passiert, wenn ein Partner das Gleichgewicht verliert? Wer will die Umarmung zuerst beenden? Wie wird dies kommuniziert? Was tut der andere Partner dann? Wer initiiert solche Umarmungen am häufigsten? Die Zahl der Themen und Dynamiken, die auf diese Weise zur Sprache gebracht werden kann, ist unglaublich groß.
Umarmen bis zur Entspannung ermöglicht Ihnen, diese emotionsgeladenen Themen sowohl physisch als auch emotional durchzuarbeiten, sobald und wie auch immer sie auftauchen, und später darüber nachzudenken und zu sprechen. Wenn die Auseinandersetzung mit solchen Problemen für Sie normalerweise eine Katastrophe ist, wird Ihnen hier die Chance eröffnet, an sich selbst festzuhalten und besser mit diesen Dingen umzugehen. Wenn Sie normalerweise dazu neigen, die kollaborative Allianz mit Ihrem Partner aufzugeben, sobald Sie durch irgendein Geschehen in Aufruhr versetzt werden, können Sie im Rahmen des Umarmens üben, die Allianz zu erhalten. Ich werde im Folgenden erläutern, wie man dies schafft.
Manchmal müssen Sie die Umarmung einen Moment lang unterbrechen, um die Situation mit Ihrem Partner zu klären. Dabei wird Ihre Fähigkeit genutzt, sich für sich selbst stark zu machen, und Sie können üben, Feedback anzunehmen, das Sie normalerweise zurückweisen oder als verletzend empfinden würden. Wenn Sie an sich selbst festhalten, Ihre Allianz zu Ihrem Partner aufrechterhalten und sich zugestehen, etwas Neues zu sagen oder zu hören, müssten Sie in der Lage sein, zum Umarmen bis zur Entspannung zurückzukehren und wieder eine achtsame, emotional ruhige und körperlich stabile Verbindung herzustellen.
Umarmen bis zur Entspannung kann die Vier Aspekte stärken. Dies ist eine »greifbare« Art, sich beizubringen, wie Sie sowohl körperlich als auch emotional eigenständig sein können, während Sie Ihrem Partner nahe sind. Falls Sie und Ihr Partner nervös sind, können Sie sich durch das Umarmen beruhigen. So können Sie Ihre Fähigkeit zur Selbstberuhigung verbessern, ohne sich von Ihrem Partner körperlich zu distanzieren. Dieser letzte Aspekt ist besonders wichtig: Sie können sich auch dann beruhigen, wenn Ihr Partner von Angst überwältigt wird. Sie brauchen sich nicht von ihm zu entfernen oder ihn zu beruhigen, um Ihrer Emotionen Herr zu werden. Das ist sehr wichtig, wenn Sie Probleme im Bereich der Sexualität oder Intimität haben, denn Partner übertragen ihre Ängste in einer Beziehung wie ein Virus, vom einen auf den anderen und wieder zurück.
Sie müssen lernen, sich zu beruhigen, auch (und insbesondere) wenn Ihr Partner unruhig ist, sich unwohl fühlt oder aufgebracht reagiert. Hier wird die Rolle der Vier Aspekte der Balance wichtig.
1. Früher oder später verliert beim Umarmen bis zur Entspannung ein Partner das körperliche Gleichgewicht. Lassen Sie dann Ihren Partner los, stellen Sie das Gleichgewicht wieder her, und beginnen Sie erneut mit dem Umarmen. Partner im Zustand emotionaler Verschmelzung schwanken während der Umarmung häufig; sie bemühen sich verzweifelt, das Gleichgewicht zu wahren, während sie starr aneinander festhalten. Wenn Ihre Stabilität von Ihrem Partner abhängt, sind Sie gezwungen, ihn zu kontrollieren, um sich selbst zu stabilisieren. Um die körperliche und emotionale Balance zu halten, müssen Sie das Gleiche tun: Wenn Ihr Partner zu schwanken beginnt, halten Sie am besten an sich selbst fest, erhalten Ihre eigene Balance und beruhigen sich.
2. Wenn Ihr Partner Sie zieht oder drückt und Sie dadurch das Gleichgewicht zu verlieren drohen oder wenn er sich auf Sie stützt, dann bewegen Sie sich so, dass Sie selbst im Gleichgewicht bleiben. Aber geben Sie Ihre Allianz nicht auf. Das erreichen Sie ganz einfach, indem Sie flüstern: »Du bringst mich aus dem Gleichgewicht. Ich muss meine Position verändern«, und dann das Gewicht, das auf Ihren Füßen lastet, so verändern, dass Sie das Gleichgewicht wiedererlangen. Nötigenfalls können Sie Ihre Arme hängen lassen, während Sie an Ort und Stelle stehenbleiben. Weisen Sie Ihren Partner darauf hin, dass Sie sich für einen Moment von ihm lösen müssen, bevor Sie dies tun. Falls er sich auf Sie stützt oder Sie durch sein Ziehen aus dem Gleichgewicht bringt, können Sie einen Schritt zurücktreten. Orientieren Sie sich aber weiter auf Kollaboration hin. Treten Sie wieder näher an Ihren Partner heran, zentrieren Sie sich wieder. Strecken Sie die Arme nach ihm aus, und fahren Sie mit dem Umarmen bis zur Entspannung fort.
3. Wenn Sie es nicht gewohnt sind, eine entspannte Verbindung zum Körper eines anderen Menschen aufrechtzuerhalten, kann es sein, dass Sie sich anfangs steif und unbehaglich fühlen. Wahrscheinlich müssen Sie, nachdem Sie angefangen haben, sich zu entspannen, Ihre Körperhaltung verändern. In der Haltung, die Ihnen anfangs als richtig erschien, fühlen Sie sich später nicht mehr im Gleichgewicht. Sie müssen sich dann so hinstellen, dass Sie sicherer auf den Füßen stehen und besser zu Ihrem Partner »passen«. Paare fühlen sich manchmal in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkt, weil die Partner fürchten, bestimmte Bewegungen könnten ihre Allianz gefährden und der jeweils andere könnte irrtümlich annehmen, sie wollten die Umarmung beenden. Das kann dazu führen, dass sie sich immer angespannter und unbehaglicher fühlen, weil sie eine Geste missverstanden haben. Es ist schwierig, sich zu bewegen, wenn man sich in einer Umarmung – oder auch in einer Beziehung – befindet und ein Partner die Bemühungen des anderen, eine standfestere Position einzunehmen, als persönliche Zurückweisung empfindet.
Besser sagt man in solch einem Fall sanft: »Ich werde jetzt meine Position verändern, um bequemer stehen zu können. Ich will die Umarmung aber nicht beenden.« Eine kollaborative Allianz erfordert, dass man tut, was notwendig ist, um das körperliche Gleichgewicht zu erhalten. Bedenken Sie dies auch, wenn Ihr Partner seine Position verändern will.
4. Eine zwei Minuten dauernde Umarmung wirkt anfangs wie eine Ewigkeit. Zehn Sekunden sind für manche Paare schon eine ziemlich lange Zeitspanne. Ich empfehle für den Anfang zehn Minuten. Möglicherweise brauchen Sie 15 Minuten oder noch länger, um Ihren Körper wirklich völlig zu entspannen, Ihren Geist zu beruhigen und einen Zustand tiefer und entspannter Verbundenheit zu erreichen. Sobald Sie dazu in der Lage sind, werden Sie lernen, dieses Ziel schneller zu erreichen, und Sie bleiben länger in der Umarmung, weil sich das so gut anfühlt.
5. Konzentrieren Sie sich zunächst auf Ihre Körperempfindungen und auf die Verlangsamung Ihrer Atmung, bis Sie emotional und körperlich ruhig geworden sind. Wenn es Ihnen nicht gelingt, sich zu beruhigen, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Körperempfindungen und Wahrnehmungen sowie auf autobiographische Erinnerungen, die in Ihrem Geist auftauchen. Sie brauchen sich nicht auf die Atmung zu konzentrieren oder darauf, Ihren Körper zu entspannen, und sollten davon sogar absehen, wenn Sie merken, dass es Sie offensichtlich nicht weiterbringt. Falls es Ihnen nicht gelingt, sich zu entspannen, sollten Sie herauszufinden versuchen, woran das liegt. Wenn Sie auf beunruhigende Bilder stoßen, dann stellen Sie fest, was sie beinhalten, und versuchen Sie, durch Zählen Ihrer Atemzüge Ihren Geist zu beruhigen.31 Wenn es Ihnen nicht gelingt, sich zu entspannen, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Es gibt immer ein nützliches Objekt, das sich als Fokus für Ihre Aufmerksamkeit eignet.
6. Wenn Sie im Umarmen bis zur Entspannung allmählich besser werden, können Sie Ihre Aufmerksamkeit um zusätzliche Schichten bereichern: Was geschieht zwischen Ihnen und Ihrem Partner? Kann er sich entspannen? Was geschieht, wenn Sie absichtlich Ihre Position zu verändern versuchen? Wie verstehen Sie die Reaktion Ihres Partners?
7. Wenn Umarmen bis zur Entspannung für Sie zu einem angenehmen Erlebnis wird, das mit mehr Übung zuverlässig eintritt, dann versuchen Sie, frühere negative Erlebnisse durchzuarbeiten. Fokussieren Sie dazu kurz auf mentale Bilder von negativen Erlebnissen, von denen Sie noch geplagt werden, und auf entsprechende Erinnerungen. Richten Sie den Fokus anschließend wieder auf Ihren Körper, auf Ihre stabile Beziehung zu Ihrer Partnerin und darauf, wie sich deren Körper anfühlt und wie ihr Haar riecht.
Dieses vielschichtige Fokussieren der Aufmerksamkeit erzeugt in Ihrem Geist neuartige Assoziationen und in Ihrem Gehirn möglicherweise neue Arten der Informationsverarbeitung.
Während ihrer ersten drei Versuche mit dem Umarmen bis zur Entspannung gelang es Juanita nicht, einen wirklich entspannten Zustand zu erreichen. Sie war aber entschlossen, alles zu tun, um ihre Allianz mit Larry zu erhalten. Beide setzten die Arbeit fort, und schließlich fühlte Juanita sich nicht mehr so angespannt. Als dies erreicht war, wiederholten Larry und Juanita das Umarmen bis zur Entspannung häufiger. Nachdem sie dies im Laufe einer Woche fünf- oder sechsmal jeweils zehn Minuten lang getan hatten, fühlte Juanita sich »gut« dabei. Nach drei Wochen schließlich fühlte sie sich wirklich entspannt.
Kurze Zeit später ergab sich eine Situation, in der Juanita ihre Position veränderte, um sich wohler zu fühlen. Sie roch Larrys Haar. Sie atmete tief ein, um sich mit seinem Duft zu erfüllen. Ihr Gehirn identifizierte diesen Duft als »Zuhause«. Sie fühlte sich mit sich selbst und mit Larry im Gleichgewicht. Und sie spürte, dass er das Gleiche fühlte. Dann wurde Juanita plötzlich klar, dass sie sich mitten in einer Umarmung mit Larry befand. Die Wirkung dieses Gewahrwerdens war überwältigend.
Danach tauchten in Juanitas Gedanken blitzartig ihre Eltern auf. Sie konnte sich nicht vorstellen, in ihrer Gegenwart ein so angenehmes Gefühl zu empfinden, wie sie es im Moment hatte. Ihr Vater war ein schwacher Mann, der sie sexuell ausgebeutet und außerdem Affären gehabt hatte; und ihre Mutter war eine verbitterte Frau, die hauptsächlich Trübsal verbreitete. Als Juanita an ihre Eltern dachte, schwankte sie ein wenig, was Larry instinktiv dazu veranlasste, seine Arme fester um sie zu legen. Diese Anpassung war nur winzig gewesen, aber doch so deutlich, dass Juanita sie registriert hatte. Sie merkte, dass Larry sie hielt. Nun entspannte Juanita Körper und Geist und ließ zu, gehalten zu werden. Entscheidend war nicht die Veränderung der Position ihres Körpers, sondern die ihres Geisteszustandes. Sie atmete tief ein, und dann stieg ein tiefer und langer Seufzer der Erleichterung aus dem tiefsten Inneren ihrer Seele empor.
Sie können mit Hilfe des Umarmens bis zur Entspannung eine bessere Integration der beiden Hemisphären Ihres Gehirns erreichen. Die linke Gehirnhälfte denkt methodisch und gleicht dem seriellen Prozessor eines Computers. Sie befasst sich vorwiegend mit sprachlicher und logischer Verarbeitung. Die linke Gehirnhälfte dominiert bei der Konstruktion von Ursache-Wirkungs-Beziehungen (syllogistischem Folgern), beim linearen Denken und bei der semantischen Informationsverarbeitung. Sie speichert autobiographische Erinnerungen (Ihre Lebensgeschichte) im »expliziten Gedächtnis« – was bedeutet, dass Sie sich an die betreffenden Ereignisse erinnern können, indem Sie bewusst daran denken.
Ihre rechte Gehirnhälfte hat eine völlig andere »Persönlichkeit«. Sie konzentriert sich auf den gegenwärtigen Augenblick – auf das Hier und Jetzt. Sie denkt in Bildern statt in Worten. Sie arbeitet wie ein Parallelprozessor, der Informationen von Ihren fünf Sinnen (aus Ihrem gesamten Körper) zu einer Ad-hoc-Integration zusammenfasst, welche Ihnen die Welt, die Sie umgibt, und die Menschen darin bewusst macht. Die rechte Hemisphäre verbindet Sie aufgrund von sensorischen Signalen mit anderen Menschen: aufgrund dessen, wie sie schmecken, riechen, sich anfühlen, klingen und aussehen.
Die linke Gehirnhälfte entnimmt der Aktivitäts-Collage der rechten eine riesige Zahl von Details, assoziiert diese mit früher Erlerntem und projiziert die Gegenwart auf zukünftige Möglichkeiten. Dies ist der Ort, wo Ihre innere Stimme (»Ich bin!«) und Ihre berechnende, schlaue Intelligenz ihren Sitz haben.32
Die rechte Hemisphäre ist ab dem Zeitpunkt Ihrer Geburt »online«. (Die linke Hemisphäre und das explizite Gedächtnis kommen erst später hinzu.) Sie wächst in den ersten drei Lebensjahren stark, und ihre Entwicklung wird durch Ihre Beziehung zu Ihren Eltern und anderen wichtigen Bezugspersonen beeinflusst. Die rechte Gehirnhälfte übernimmt bei der Beobachtung und Regulierung des Körpers die Führungsrolle, und sie lernt durch Körperbewegungen. Sie ist stärker an der Wahrnehmung und Verarbeitung von Emotionen beteiligt, wozu auch der Emotionsausdruck in Form von Mienenspiel und nonverbale Aspekte der Sprache wie Gesten und der Klangcharakter der Stimme zählen. Eine besonders wichtige Rolle spielt sie bei intensiven emotionalen Erlebnissen, beim Abruf autobiographischer Erinnerungen und bei der Spiegelung des Geistes anderer Menschen.
Außerdem befindet sich in der rechten Gehirnhälfte das implizite Gedächtnis,33 das unter anderem frühe (vor dem Spracherwerb liegende) Ereignisse aufzeichnet, an die wir uns nicht bewusst erinnern können, die sich aber trotzdem auf unser Leben auswirken. Das implizite Gedächtnis kann aktuelle Reaktionen selbst dann beeinflussen, wenn man sich explizit nicht daran erinnern kann, was bestimmte Gefühle ausgelöst hat. Falls Sie negative Reaktionen auf Sex bei sich bemerken, die Ihnen unverständlich erscheinen, oder falls Sie in der Kindheit schmerzhafte Erlebnisse hatten, die Ihnen in der Gegenwart hinderlich sind, ist es für Sie definitiv wichtig, bei der Entwicklung neuer Lösungen den Körper und die rechte Gehirnhälfte einzubeziehen.
Nun werde ich versuchen, Ihnen zu erklären, was das Umarmen bis zur Entspannung bewirken soll: Es geht darum, die Kommunikation zwischen den beiden Hälften Ihres Gehirns anzuregen. Beide kommunizieren zwar durch ein Bündel von Nervenfasern miteinander, sind aber abgesehen davon relativ unabhängig voneinander.34 Im nächsten Kapitel geht es unter anderem darum, dass Traumata die beiden Hemisphären noch stärker voneinander isolieren. Doch unabhängig davon, ob Sie traumatisiert, missbraucht oder misshandelt worden sind, durch Stimulieren der Zusammenarbeit der beiden Gehirnhälften fördern Sie die Entwicklung neuer neuronaler Verbindungen, verbessern die Funktionsfähigkeit Ihres Gehirns und Körpers und kommen der Lösung Ihrer sexuellen Probleme wahrscheinlich näher.
Wenn Sie sich eine kohärente persönliche Lebensgeschichte wünschen, die auf zutreffenden autobiographischen Erinnerungen basiert, müssen Ihre rechte und linke Gehirnhälfte Informationen austauschen. Ihre Fähigkeit, sich in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sehen (was »mentale Zeitreise« genannt wird), ist in erster Linie Ihrer rechten Hemisphäre zuzuschreiben, und auch das geistige Spiegeln findet größtenteils dort statt. Die linke Hemisphäre versucht, die so gewonnenen Erkenntnisse mit Hilfe autobiographischer Erinnerungen, die sie aus Ihrer rechten Hemisphäre abruft, zu deuten, wobei sie durch lineares, logisch-deduktives Denken nach Ursache-Wirkungs-Beziehungen sucht. Falls Ihre (in der rechten Gehirnhälfte lokalisierte) autobiographische Erinnerung Lücken aufweist und Ihre linke und rechte Hemisphäre nicht miteinander kommunizieren, konstruiert die linke Gehirnhälfte ein Bild Ihres Lebens, das einerseits so unzutreffend ist, dass Ihre Ängste im Zaum gehalten werden, und das andererseits so zutreffend ist, dass der Täuschungsdetektor Ihres Geistes nicht »anschlägt«.
All dies spielt beim Umarmen bis zur Entspannung eine Rolle. Die rechte Gehirnhälfte stellt fest, dass Sie und Ihr Partner im Kontakt miteinander körperlich und emotional entspannt sind (oder nicht). Die linke Gehirnhälfte zieht dann Schlüsse darüber, was dies bedeutet und in welche Richtung sich die Situation entwickeln wird. Umarmen bis zur Entspannung kann die beiden Hemisphären dazu bringen, miteinander zu kommunizieren. Dies gilt auch für die Aktivität, mit der wir uns als Nächstes befassen werden.
Umarmen bis zur Entspannung ist die Vorbereitung zu Köpfe auf Kissen.35 Dabei landen Sie genau an dem Punkt, an dem Paare häufig Schwierigkeiten haben, und Sie können etwas Neues zu deren Lösung ausprobieren. Köpfe auf Kissen funktioniert so:
Sie und Ihr Partner liegen jeweils auf der Seite, einander zugewandt, und schauen sich an. Ihr Kopf liegt auf Ihrem Kissen. Die Köpfe sollten so weit voneinander entfernt sein, dass Sie Ihren Partner nicht wie einen Zyklopen sehen. Beruhigen Sie dann einen Augenblick lang Geist und Herz. Der Unterschied zum Umarmen bis zur Entspannung besteht darin, dass Sie Ihrem Partner direkt in die Augen schauen und dass Sie zusammen ruhen. Falls Ihre Fähigkeit, Nähe (Intimität) zu ertragen, durch Umarmen bis zur Entspannung nicht an ihre Grenze gebracht worden ist, könnte Köpfe auf Kissen dies bewirken.
Köpfe auf Kissen beinhaltet in keinem Fall, dass einer der beiden Partner unter oder über dem anderen liegt. Beide können einen Arm frei bewegen. Wenn Sie Ihren Partner berühren möchten, dann berühren Sie seine Hand oder sein Gesicht. Versuchen Sie, im Geiste und mit Ihren Augen das Herz Ihres Partners zu berühren. Vielleicht fühlen Sie sich dabei zu Beginn nicht besonders wohl, doch wenn Sie sich beruhigen und sich eine Chance geben, sind erstaunlich positive Resultate möglich.
Es könnte auch sein, dass Sie sich bei einer solchen Nähe nicht wohlfühlen. Sie müssen damit rechnen, dass Sie sich bei Köpfe auf Kissen sehr intensiv Ihrer selbst, Ihres Partners und der Verbindung zwischen Ihnen (oder des Fehlens derselben) bewusst werden. Falls Sie beim Sex Ihren Partner ausblenden und nur auf Ihre eigenen physischen Empfindungen fokussieren, kann Köpfe auf Kissen für Sie eine sehr große Herausforderung und sehr produktiv sein: Sie können auf der Stelle eine körperbasierte kollaborative Allianz aufbauen und aufrechterhalten. Für viele Paare ist dies ein Geschenk des Himmels.
Vielleicht erinnern Sie sich: Je näher Juanita und Larry dem Genitalverkehr kamen, umso nervöser wurde Juanita. Sie konnte sich beim Umarmen bis zur Entspannung noch so sehr entspannen, sobald sie sich hinlegte und der Genitalverkehr näherrückte, wurde sie jedes Mal nervös. Mit Hilfe von Köpfe auf Kissen gelang es ihr, sich zu beruhigen und auch im Bett eine kollaborative Allianz aufzubauen. Dies war der optimale Punkt, um Juanita abzufangen, bevor sie anfing, sich zu verlieren.
Auf den positiven Auswirkungen des Umarmens bis zur Entspannung aufbauend, gelang es Larry und Juanita, Köpfe auf Kissen gut für sich zu nutzen. Statt sich in Grübeleien darüber zu verlieren, was alles schiefgehen könnte, fokussierte Juanita auf Larry. Aufgrund dessen, was sie in seinem Gesicht beobachtete, wurde ihr klar, dass die Bilder in ihrem Geist nicht den Tatsachen entsprachen. Statt zuzulassen, dass durch ihre Ängste und Vorahnungen eine Barriere zwischen Larry und ihr entstand, wurden sie und Larry durch Köpfe auf Kissen zu Verbündeten in dem Bemühen, über die Probleme hinwegzukommen.
Gedanken und Gefühle, die sich darauf bezogen, dass sie unter Druck gesetzt würde, kamen Juanita zwar immer noch in den Sinn, aber ihr war klar, dass dieser Druck aus ihrem Gehirn stammte und nicht von Larry ausging. Larry erwartete nicht, dass sie sich ihm auslieferte. Er war nicht wie ihr Vater. Ihm war wichtig, dass sie selbstsicherer wurde. Diese Gedanken beruhigten und entspannten sie.
Nach mehreren Wiederholungen sagte Juanita: »He! Vergiss den Genitalverkehr! Gib mir das hier! Wenn du mehr davon willst, bin ich damit einverstanden.« Die Wärme in ihrer Stimme ließ erkennen, dass es ihr nicht darum ging, den Beischlaf zu vermeiden. Sie war interessiert. Sie wollte dies mit Larry tun.
Der Grund für diesen Wandel war nicht einfach, dass Juanitas emotionale Bedürfnisse erfüllt wurden. Nonverbale Aspekte des Umarmens bis zur Entspannung und von Köpfe auf Kissen rufen wahrscheinlich eine »Einstimmung von rechter Hemisphäre zu rechter Hemisphäre« hervor. Damit ist gemeint, dass Ihre rechte Hemisphäre eine direkte Verbindung zur rechten Hemisphäre Ihres Partners herstellen kann. Die rechte Hemisphäre spielt bei der Regulation körperlicher und emotionaler Zustände sowie bei der sozialen und emotionalen Kommunikation die dominierende Rolle, wobei es insbesondere um nonverbale Botschaften geht, die durch den Gesichtsausdruck, durch Gesten und durch den Klang der Stimme übermittelt werden. Die rechte Hirnhälfte schätzt die emotionale Bedeutung von Dingen ein. Gelingt es, alle diese Aspekte bei beiden Partnern und zwischen ihnen in Einklang zu bringen, entsteht eine starke emotionale Verbindung. Das Werkzeug, das Sie nun als Nächstes kennenlernen werden, vermag all dies ebenso gut zu leisten.
Ihr drittes Werkzeug ist Spüren und Berühren. Nachdem Sie jahrelang in einem Zustand emotionaler Taubheit gelebt haben, spüren Sie niemanden, und niemand spürt Sie. Viele Partner spüren einander auch beim gemeinsamen Sex nicht mehr. Sie berühren einander zwar, sind aber innerlich nicht anwesend.
Dass Menschen einander berühren, ohne einander zu spüren, ist sehr verbreitet, wenn nicht sogar die Regel. Man kann vermeiden, den Partner beim Küssen, beim Vorspiel und beim Genitalverkehr zu spüren. (Wenn Sie bei einem Zungenkuss feststellen würden, dass Ihr Partner einen schlechten Mundgeruch hat, würden wahrscheinlich auch Sie Ihre Sinne abschalten.) Sie können es Ihrem Partner auch schwer machen, Sie zu spüren. Rein theoretisch ist Sex eine gute Möglichkeit, zum Partner in Verbindung zu treten, doch tatsächlich unterbrechen viele Menschen in dieser Situation die Verbindung zueinander.
Spüren und Berühren braucht nicht mit drastischen Verhaltensänderungen verbunden zu sein. Ein Partner berührt den anderen, während beide im Geiste verfolgen, wo der physische Kontakt stattfindet und wohin sich dieser Punkt bewegt. Statt auf eine Sexualtechnik (oder auf die eigenen physischen Empfindungen) zu fokussieren, konzentrieren Sie sich darauf, einander zu spüren.
Spüren und Berühren erfordert eine Erneuerung der kollaborativen Allianz, nicht das Erlernen neuer Körperpositionen. Sie können dabei mit jeder Möglichkeit, einander zu spüren, beginnen. Ich rate Ihnen, sich zunächst auf Hände, Gesicht und Arme zu konzentrieren, statt gleich mit der Brust, dem Gesäß und den Genitalien des Partners anzufangen. Sobald Sie merken, wie es ist, Ihren Partner zu spüren (und von ihm gespürt zu werden), können Sie »der Verbindung folgen« und dabei den Bereich, in dem Sie einander berühren, allmählich erweitern. Lassen Sie Ihr Spüren darüber entscheiden, was Sie als Nächstes tun wollen. Sobald Sie Ihren Partner nicht spüren, halten Sie kurz inne und kehren dann zu der Aktivität zurück, bei der Sie ihn noch gespürt haben. Bleiben Sie strikt bei dem, was »funktioniert« hat, und bleiben Sie mit Ihrem Partner im gegenwärtigen Augenblick. Das ist Ihre kollaborative Allianz. Es gibt keine Technik und keine bestimmte Sequenz von Handlungen, an der Sie sich orientieren müssten. Es geht nur um Sie und Ihren Partner und darum, was zwischen Ihnen und ihm geschieht.
Miteinander zu reden ist in Ordnung, und zu lächeln ist auch hilfreich. Weinen ist erlaubt. Wenn Partner alte Freunde wiederentdecken, fließen oft Tränen. Meist empfiehlt es sich, Berührungen mit langsamen Bewegungen zu verbinden. Kerzen, Weihrauch und Musik tragen zum Entstehen einer sanften und einladenden Stimmung bei. Sie können allerdings auch künstlich und »gewollt« wirken. Manchmal ist es am besten, möglichst wenig Aufhebens zu machen, damit der Fokus auf beide Partner zusammen gerichtet bleibt. Auch tiefe Stille kann ausgezeichnete Dienste leisten.
Der Übergang von Köpfe auf Kissen zu Spüren und Berühren verlief bei Juanita und Larry relativ sanft. Dazu brauchte nichts weiter zu geschehen, als dass Larry leicht Juanitas Arm berührte. Juanita ließ ihren Geist Larrys Berührung verfolgen, und Larry spürte, dass sie sich seinen Liebkosungen öffnete. Allmählich weiteten beide das Spüren und Berühren auf den gesamten Körper des Partners aus. Juanita beruhigte sich, und beide genossen es, auf eine völlig neuartige Weise zusammen zu sein. Das Erlebnis war so, wie es war, völlig befriedigend.
Dies führte zu einer Situation, die sich häufig einstellt: Juanita forderte Larry auf, ganz zu ihr zu kommen. Nachdem sie dies gesagt hatte, konnte Larry Juanita plötzlich nicht mehr vollständig spüren. Er hatte noch keinen einzigen Muskel bewegt. Er sagte: »Ich weiß nicht, ob ich die Ursache bin oder ob du es bist, aber ich spüre dich plötzlich nicht mehr. Ich glaube, wir sollten mit dem, was wir gerade getan haben, so lange fortfahren, bis wir auch beim Vögeln wirklich zusammen sein können.«
Juanita lächelte. »Mir ist auch aufgefallen, dass es plötzlich weg war. Aber weil ich dir mehr angeboten hatte, hatte ich das Gefühl, nichts mehr sagen zu können. Ich habe dir den Genitalverkehr angeboten, weil ich dachte, dass du das wolltest.«
Larry lachte. »Bitte tu mir nie mehr solche Gefallen.« Sein Tonfall war leicht, aber gleichzeitig auch ernst. Juanita nickte, und sie begannen wieder, sich gegenseitig am ganzen Körper zu streicheln.
»Hmmmmmm«, seufzte Juanita.
»Ich weiß«, sagte Larry. »Ich spüre dich jetzt auch wieder.«
Umarmen bis zur Entspannung, Köpfe auf Kissen und Spüren und Berühren haben vieles gemeinsam. Sie helfen Ihnen, eine kollaborative Allianz mit Ihrem Partner aufzubauen. Im Grunde handelt es sich um physische Ausdrucksformen kollaborativer Allianzen. Sie machen Ihre Allianz mit Ihrem Partner widerstandsfähiger. Und sie demonstrieren auf greifbare Weise Ihre Fortschritte.
Jedes dieser drei Werkzeuge wirkt beruhigend auf das Gehirn. Jedes ist ein Fenster, durch das Sie in Ihren Geist hineinschauen können. Und jedes wird durch Sie, Ihren Partner und Ihre Beziehung geformt. Es gibt keine zwei Paare, die genau das Gleiche sehen, sagen und tun. Sie können diese Werkzeuge zunächst für den Wiederaufbau einer kollaborativen Allianz nutzen.
Umarmen bis zur Entspannung, Köpfe auf Kissen und Spüren und Berühren eignen sich besser als Genitalverkehr, um eine kollaborative Allianz zu begründen (insbesondere wenn in Ihrer Beziehung kein Sex mehr stattfindet). Die rein körperlichen Bewegungen, zu denen es beim Koitus kommt, fördern weder den emotionalen Kontakt, noch erneuern sie die Freundschaft, doch sie erleichtern es Ihnen, sich vorzumachen, Sie seien mit Ihrem Partner zusammen.
Sie durchlaufen bei den genannten Aktivitäten verschiedene Phasen des Wohlgefühls und der Entspannung. Zuerst versuchen Sie nur, die Übung irgendwie richtig auszuführen. (Einige, die dies versuchen, können ihrer Zuckungen kaum Herr werden.) Dann entspannen Sie sich und beginnen, die Empfindungen zu genießen. Wenn Sie nicht mehr im Voraus befürchten, etwas könnte »schiefgehen«, ist es an der Zeit, sich um einen etwas spielerischeren Umgang mit den Dingen zu bemühen. Nach einer Weile atmen Sie mühelos, Ihr Herz schlägt langsamer, und Ihre Schultern entspannen sich. Möglicherweise werden Sie sehr ruhig, Ihr Kiefer verliert seine Anspannung, Sie atmen entspannt aus dem hinteren Bereich Ihres Kehlkopfes, und Ihre Augenlider werden schwer. Sie hören die Ruhe förmlich, und zwar nicht als Abwesenheit von Geräuschen, sondern als Gegenwart von Frieden.
Manchmal dauert es Wochen oder sogar Monate, bis man diesen Punkt erreicht. Nachdem Sie gelernt haben, einen tieferen Kontakt dieser Art herzustellen, können Sie ihn allmählich auf den Genitalverkehr ausdehnen.
Die drei Übungen haben auch noch etwas anderes gemeinsam. Sie erzeugen sieben Zustände, von denen Wissenschaftler annehmen, dass sie das Gehirn dazu anregen, sich zu verändern. Dazu zählen:
Ob diese Bedingungen die Struktur Ihres Gehirns oder die chemischen Vorgänge darin dauerhaft verändern oder nicht, in jedem Fall bieten Ihnen Umarmen bis zur Entspannung, Köpfe auf Kissen und Spüren und Berühren auch andere Vorteile, da sie unter anderem die Selbstkontrolle stärken und eine Beziehung stabiler und erfüllender machen.
Inmitten dieser Fortschritte kreuzte Larrys Vater wieder einmal mit einem »todsicheren Plan« auf. Larry erklärte ihm, er sei an der Sache nicht interessiert. Um dies zu unterstreichen, tat er etwas, das zu tun er sich nie hätte vorstellen können. Er sagte zu seinem Vater, er solle sich die 7000 Dollar, die er, sein Sohn, bezahlt habe, um ihn vor dem Gefängnis zu bewahren, an die Backe schmieren. Weil Larry klar war, dass er das Geld sowieso nie wiedersehen würde, beschloss er, seine Vier Aspekte der Balance zu stärken. Auf diese Weise gelang ihm die Loslösung von seinem Vater. Diese Aktion diente der Selbsterhaltung. So schaffte er es, sich von der quälenden Frage zu lösen, ob sein Vater ihm das Geld jemals zurückbezahlen würde oder nicht.
Larry schaute seinem Vater in die Augen und fügte noch hinzu: »Dad, wenn dir etwas daran liegt, weiter eine Beziehung zu mir zu haben, dann bitte mich niemals mehr um Geld und versuche auch nicht, irgendwelche Geschäfte mit mir zu machen. Hast du das verstanden?«
Der Vater sagte zunächst eine Minute lang gar nichts. Dann lachte er und sagte: »Dann werde ich meine Millionen wohl für mich behalten müssen.« Doch die Botschaft, die er übermittelte, lautete: Okay. Ich habe verstanden.
Dies garantierte nicht, dass der Vater nicht irgendwann in der Zukunft erneut einen ähnlichen Versuch machen würde. Doch zumindest war ihm klar geworden, dass Larry entschlossen war, ihm nicht mehr auf den Leim zu gehen. Juanita, die diese Szene miterlebt hatte, war ziemlich verblüfft. Später am Abend sagte sie zu Larry: »Mir hat gefallen, wie du deinem Vater gesagt hast, dass du für ihn keine heißen Kartoffeln mehr aus dem Feuer holst, obwohl dir klar war, dass er dann den Kontakt abbrechen würde.«
Larrys Augen wirkten warm, und er lächelte. »Danke«, sagte er, hielt dann inne und schaute Juanita in die Augen. »Ich möchte auch, dass das zwischen dir und mir aufhört, so wie es bisher war. Ich will keinen Sex mehr mit dir haben, so wie es bisher gewöhnlich war. Du möchtest dich nicht unter Druck gesetzt fühlen, und ich will beim Sex nicht geistig abschalten. Entweder bleiben wir zusammen und schaffen es, unsere Allianz aufrechtzuerhalten, egal, was wir machen, oder ich bin nicht interessiert.«
Juanita schaute einen Augenblick lang in sich hinein. Dann erwiderte sie Larrys Blick und nickte.
Eine kollaborative Allianz spielt bei der Lösung von Problemen, die das sexuelle Verlangen betreffen, eine wichtige Rolle.37 Die Situation veränderte sich, als Larry und Juanita ihre Allianz beim Sex nicht mehr aufgaben. Schon bevor sie anfingen, einander zu küssen und zu streicheln, fokussierten sie auf ihre emotionale Verbindung. Vor allem schenkten sie einander Aufmerksamkeit. Dies wurde zu einem festen Bestandteil ihrer kollaborativen Allianz. Sie achteten nun auch darauf, wann ihre Aufmerksamkeit abdriftete. Das sagten sie einander (statt es zu verbergen) und fokussierten sich dann neu.
Einmal hielt Larry inne, als sie einander streichelten. Er sagt: »Vielleicht möchtest du gar nicht hören, was mir gerade durch den Kopf ging. … Ich habe an meinen Vater gedacht. Ich weiß selbst, dass es nicht gerade romantisch ist, das jetzt zu sagen. Aber er hat mich heute angerufen. Er deutete an, dass er kein Geld habe. Ich sagte zu ihm, es tue mir leid, dies zu hören, aber ich könne im Moment leider nicht länger telefonieren. … Ich war stolz auf mich, aber enttäuscht von ihm. … Ich sage dir das, weil ich nicht in Angst vor den Menschen, die ich liebe, leben möchte.«
»Ich auch nicht«, erwiderte Juanita und dachte an ihre Eltern und an ihre Beziehung zu Larry. Sie blickten einander einen ausgedehnten, bittersüßen Augenblick lang an.
Dann sagte Larry: »Im Interesse völliger Offenheit: Ich habe meine Erektion verloren.«
»Mach’ dir deshalb keine Sorgen«, schnurrte Juanita. »Schau mich einfach an …« Larry schaute sie nicht an.
»Heh, schau mich an.« Juanita schüttelte ihn sanft und fixierte seinen Blick. »Nimm mir nicht den besten Teamkameraden, den ich jemals hatte.«
Larry schaute Juanita an. Beiden kamen die Tränen. Juanita sagte: »Komm, lass mich dich halten. Wir legen uns hin und sind einfach zusammen.«
30 Minuten später fühlten sich beide warm und behaglich. Juanita berührte Larrys Penis, der daraufhin schnell von den Toten erwachte.
»Komm’ in mich hinein. Ich sehne mich nach Gesellschaft. Versuche nicht, mich zum Orgasmus zu bringen. Ich möchte dich nur in mir spüren.« Larry zögerte einen Augenblick und nickte dann.
Juanita legte sich auf den Rücken, und Larry positionierte sich zwischen ihren Beinen, um seinen Penis in ihre Vagina einführen zu können. Sie spreizte ihre Schamlippen. »Hier. Lass mich dir helfen, in mich hineinzukommen.«
Als sich Larry vorbeugte, sagte Juanita: »Warte einen Moment, ich lege mich ein wenig anders. Dann ist es leichter für dich, in mich hineinzukommen.«
Larry schaute Juanita an. Sie hatten den gleichen Gedanken: »Kollaborative Allianz!« Beide lachten herzhaft.