In einer durch und durch medialen und digitalen Welt geht die wohl wichtigste Botschaft der Rhetorik manchmal verloren: Menschen werden von Menschen überzeugt. Die größte Überzeugungskraft, die größte Wirkung hat immer noch der Mensch selbst – mit allem, womit er von der Natur ausgestattet wurde: mit seinem Körper, seiner Stimme und seinem Verstand. Wenn wir selbst von etwas überzeugt sind, fällt es uns leicht, auch andere Menschen davon zu überzeugen. Wenn dann Glaubwürdigkeit, Emotionen und logische Argumente ineinandergreifen, kann der Funke überspringen.
Sicherlich hat auch dich mal ein Freund, ein Familienmitglied oder eine fremde Person von etwas überzeugt, dem du anfangs skeptisch gegenüberstandest. In nur einem Moment hast du deine ursprüngliche Meinung geändert und eine neue Überzeugung angenommen. Was genau war für dich überzeugend? Das Argument? Ein Gefühl? War es die Person an sich, die überzeugend war? Oder war es ein Zusammenspiel dieser Faktoren?
Menschen werden von Menschen überzeugt.
Von professionell angelegten Überzeugungsprozessen wie Werbe- oder Wahlkampagnen sind wir es gewohnt, dass sie mit medial transportierten Botschaften überzeugen wollen. In Wahlkämpfen etwa werden die Botschaften auf Plakate oder Flyer gedruckt, bei Werbung sehen wir Werbespots und Anzeigen. Die größte Überzeugungskraft hat jedoch immer der persönliche Kontakt zwischen zwei Menschen. In groß angelegten Kampagnen sind medial transportierte Botschaften natürlich unverzichtbar, da nicht alle Menschen, die erreicht werden sollen, auch persönlich angesprochen werden können. Daher nutzt man in Wahlkampagnen auch den sogenannten Multiplikatoreffekt, der beschreibt, dass einzelne bereits überzeugte Wählerinnen und Wähler auch andere Menschen in ihrem Umfeld vom Kandidaten oder der Partei überzeugen. Wenn dann die zunächst medial vermittelten Botschaften zu Hause, am Arbeitsplatz, im Freundeskreis weitergegeben und verbreitet werden, haben wir vernetzte Multi-Überzeugungsprozesse, die eine Wahlkampagne kurz vor der Wahl regelrecht „abheben“ lassen können.
Was bedeutet das für deine tägliche Kommunikation? Jedes Medium, ob Telefon, E-Mail, Textnachricht, Flyer oder Plakat – analog oder digital – ist in seiner Wirkung eingeschränkt und kann nur das liefern, was im Medium selbst vorgesehen ist. Das kann reiner Text sein, ein Bild, ein Video oder Interaktion. Als Menschen haben wir ein sehr breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten und differenzierte Überzeugungs- und Reaktionsmöglichkeiten für verschiedene Situationen. Nur in der situativen Face-to-Face-Kommunikation können wir die ganze Klaviatur der körperlichstimmlichen Ausdrucksweise bedienen und so maximal überzeugend sein. So senden wir deutlich mehr Signale in der situativen Kommunikation, als es jede medial vermittelte Botschaft je könnte. Zum Beispiel:
An der Mimik ist erkennbar:
An der Körperhaltung ist erkennbar:
Auch die Kleidung spielt eine Rolle: Wie ist der andere gekleidet? Ist der Gesamteindruck stimmig?
An der Stimme erkennen wir:
Wenn du überzeugen willst, wähle also das Setting, das dem zwischenmenschlichen Gespräch in der Face-to-Face-Kommunikation am nächsten kommt. Das bedeutet beispielsweise, lieber ein kurzes, nettes Telefonat zu führen statt eine lange E-Mail zu schreiben. Auch ein Kundenbesuch ist überzeugender als ein Mailing. Eine Videokonferenz überträgt mehr nonverbale Signale als ein Telefonat usw. Je direkter der zwischenmenschliche Kontakt, desto größer die Überzeugungskraft. Das gilt insbesondere für wichtige und für schwierige Situationen. Gerade wenn die Situation emotional oder konfliktgeladen ist, solltest du ein persönliches Gespräch immer einer E-Mail oder einem Anruf vorziehen, weil dir als Sender schlicht mehr Ausdrucks- und Reaktionsmöglichkeiten für eine überzeugende Kommunikation zur Verfügung stehen.
Wenn wir nun, in welcher Form der Kommunikation auch immer, unseren Adressaten überzeugen wollen, müssen wir unsere Sache, unseren Standpunkt stärken und zustimmungsfähig machen. Das gelingt mit Argumentation. Viele Menschen verbinden mit Argumentation abstrakte, komplexe Kommunikationsmuster. Viele glauben, sie könnten nicht gut argumentieren, und wünschen sich mehr Schlagfertigkeit und Klarheit, um überzeugender zu sein. Auch meine Seminarteilnehmenden verbinden mit Argumentation oft das rein rationale und sachliche Erklären und Begründen. Für viele ist das Thema Argumentation so groß und herausfordernd, dass sie sich nicht herantrauen. Tatsächlich argumentieren wir alle jeden Tag. Und die Muster, die wir für eine gute Argumentation brauchen, sind häufig gar nicht so komplex. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit den Denkmustern, Techniken und Methoden der Argumentation.
Was ist denn eigentlich der Unterschied zwischen einer Meinungsäußerung mit einer Begründung und einem Argument?
Es ist etwas anderes, die eigene Meinung zu sagen oder zu argumentieren. Wenn du deine Meinung, deinen Standpunkt, deine Überzeugung äußern und begründen möchtest, willst du von deinem Gegenüber verstanden werden, du willst, dass er deinen Standpunkt nachvollziehen kann. Nicht zwingend willst du ihn von deiner Meinung überzeugen. Wir wählen die Begründung unseres Standpunktes unabhängig vom Adressaten, unabhängig davon, wem gegenüber wir unsere Meinung gerade vertreten.
Wenn du nun aber nicht nur deinen Standpunkt nachvollziehbar machen willst, sondern deinen Adressaten auch überzeugen möchtest, ändert sich das Ziel. Dann geht es nicht mehr um dich und um deine Meinung, sondern um den Adressaten und seine Überzeugung.
Und darin liegt der Unterschied zwischen Begründung und Argumentation: Bei der Begründung deines Standpunktes nennst du die Gründe, die zu deiner Überzeugung führen. Es geht um dich. Bei der Argumentation geht es jedoch um die Gründe, die deinen Adressaten überzeugen können. Es geht um den anderen. Wir können zwar auch hier unsere Meinung einbringen, doch um den anderen zu überzeugen, sollten wir unsere Argumente und Begründungen an ihn anpassen.
BEISPIEL. Nehmen wir an, du möchtest deinen Partner davon überzeugen, den nächsten Urlaub nicht wie sonst an der Ostsee zu verbringen, sondern in der Toskana. Wenn dein Partner fragt, warum genau du das willst, kannst du zwar deine Meinung sagen und begründen, indem du sagst: „Die letzten drei Urlaube hatten wir immer schlechtes Wetter. Außerdem habe ich keine Lust mehr auf die Ostsee.“ Diese Begründung wird deinen Partner aber vermutlich nicht überzeugen. Besser ist es daher, zu überlegen, was für deinen Partner überzeugend sein könnte: „Weißt du noch – bevor die Kinder auf der Welt waren, hatten wir mal einen ganz entspannten Italien-Urlaub. Du warst begeistert vom Klima in der Toskana, wir haben immer gut gegessen und die Fotos der kleinen verschlafenen Städtchen hängen bis heute in unserem Esszimmer. Gerade weil wir mit dem Wetter in den letzten Urlauben nicht zufrieden waren, weil wir dann mit den Kindern nur drinnen sitzen konnten, wäre es doch toll, mal Italien auszuprobieren. Das wäre sicher auch entspannter für uns beide, wenn wir mit den Kindern draußen viel unternehmen können. Und du hast vor einigen Wochen ja selbst gesagt, dass dir eine erholsame Auszeit vom stressigen Alltag mal guttun würde.“
Mit einem solchen Paket an Argumenten stehen deine Chancen deutlich besser, den Partner von einem Urlaub in Italien zu überzeugen. Dieses Beispiel enthält dabei bereits die beiden wichtigsten Punkte, die zu einer guten Argumentation gehören: die Adressatenorientierung und die Nutzenorientierung.
Adressatenorientierung und Nutzenorientierung sind die wichtigsten Prinzipien der Argumentation.
Bei der Adressatenorientierung versetzen wir uns in den Adressaten hinein und überlegen uns, was für ihn plausibel, nachvollziehbar und überzeugend sein könnte. Welche Widerstände hat unser Adressat zu dem Thema und wie können wir diese überwinden? Verwendest du dazu Begriffe und Formulierungen, die aus der Lebenswelt des Adressaten stammen, so werden deine Aussagen für deinen Adressaten anschlussfähiger. Wenn dein Gegenüber begeisterter Rennsportfan ist, kannst du Formulierungen wie „Gas geben“, „freie Fahrt“ und „wir befinden uns auf der Zielgeraden“ verwenden oder „einen Blick unter die Haube werfen“. Bedenke: Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.
Bei der Nutzenorientierung fragen wir uns, was der andere davon hat. Welchen Nutzen zieht er daraus, wenn er unsere Meinung oder Haltung übernimmt? Worin kann er für sich persönlich einen Vorteil erkennen? Arbeite diesen heraus und kommuniziere ihn deinem Adressaten.
Spätestens jetzt wird auch klar, warum eine gute Argumentation auf jeden Adressaten individuell angepasst werden muss. Was für dich persönlich überzeugend scheint, kann für dein Gegenüber völlig unsinnig sein. Daher gelingen dir mit einer radikalen Adressaten- und Nutzenorientierung auch schwierige Überzeugungsprozesse.
Mit diesen beiden Prinzipien der Adressaten- und der Nutzenorientierung im Hinterkopf schauen wir uns nun die fünf wichtigsten Argumentationsmuster an.
Die Argumentationsmuster kannst du bei Verhandlungen mit deinen Kunden ebenso gut einsetzen wie bei der Diskussion mit deinem Partner, bei deiner Gehaltsverhandlung oder bei einem Vortrag. Sie dienen als Wirkungsverstärker, das heißt, sie verleihen deinem Argument mehr Kraft und lassen dich insgesamt überzeugender wirken. Eine gute Argumentation muss nicht komplex oder abstrakt, sondern überzeugend und anschlussfähig sein. Die folgenden fünf Argumentationsmuster solltest du daher bereits in deine Vorbereitung auf Gespräche, Verhandlungen und Reden einfließen lassen. Denn nahezu für jedes Thema und für jedes Argument lassen sich als Wirkungsverstärker eines oder mehrere dieser fünf Muster anwenden:
Mit dem Autoritätsargument untermauerst du deine Position, indem du eine externe Autorität hinzuziehst. Dabei ist wichtig, dass die zitierte Person oder Institution für deinen Adressaten eine Autorität darstellt und nicht zwingend für dich selbst. Frage dich, wen dein Gegenüber bewundert, von wem er eine hohe Meinung hat oder wer als Autorität auf dem Gebiet gilt. Dazu zählen etwa bekannte Persönlichkeiten der Geschichte oder des öffentlichen Lebens:
BEISPIELE: „Schon Goethe sagte …“, „Auch Steve Jobs hat in seinen Präsentationen immer …“, „Die Gesundheitsministerin rät dazu …“
Ebenso kannst du auf Personen aus dem direkten Umfeld verweisen: „Dein Arzt hat dir doch empfohlen …“, „Sagt nicht deine Mutter immer …?“,
„Unsere wichtigste Kundin Frau Schmidt war begeistert von …“
Auch Institutionen, Organisationen, Medien oder Studien lassen sich hervorragend für ein Autoritätsargument einsetzen: „Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Stanford University zeigt ganz eindeutig …“, „Die WHO empfiehlt …“, „Das bestätigt auch der gestern erschienene Artikel der FAZ.“
Wenn du das Autoritätsargument geschickt im Gespräch und in der Rede platzierst, unterstreichst du damit deine Expertise und Fachkenntnis. Für nahezu jedes Thema und jede Position lässt sich ein passendes Autoritätsargument finden. Überlege also, wer für deine Adressaten als Autorität infrage kommt und wer deine Position und Wirkung verstärken kann.
Der Mensch als soziales Wesen orientiert sich gerne an seinen Mitmenschen und an den Normen und Werten der Gesellschaft, der er sich zugehörig fühlt. Eine große Masse an Menschen kann daher im Rahmen der Argumentation hervorragend als Handlungsauslöser und Wirkungsverstärker eingesetzt werden.
BEISPIEL. Verweise beim Argument der Masse auf eine große Zahl oder eine große Menge:
„Deutschlands meistverkaufte Matratze“, „Über eine Million zufriedene Kunden“.
Dabei kannst du auch auf konkrete, möglichst hohe Zahlen verweisen:
„Weltweit über 500 Standorte“, „Bargeldservice an über 75.000 Automaten“, „Qualität seit 1892“.
Wenn die Zahl nicht von sich aus groß erscheint, solltest du sie in Relation zu einer greifbaren Größe setzen, gewichten und einordnen:
„250 Mandate in diesem Jahr sind mehr als doppelt so viele wie im vergangenen“, „281 der befragten Personen, also mehr als jeder zweite, …“, „92 Prozent unserer Kunden sagen … – Das ist ein Spitzenwert.“
Such also Zahlen, Daten und Fakten, die deinem Argument durch die Größe der Zahl und deren Einordnung mehr Gewicht verleihen, um deine Position möglichst kraftvoll zu untermauern.
Dinge, die einzigartig und außergewöhnlich sind, wecken seit jeher große Begehrlichkeiten. Ob es nun der eine Ring ist, um sie alle zu knechten, die Quelle ewiger Jugend oder das letzte Einhorn. In unserem Wunsch nach Individualität suchen wir Menschen immer wieder Dinge, die einzigartig sind. Das kannst du für deine Argumentation nutzen, indem du das Besondere, das Einzigartige an deinem Produkt oder deiner Sache hervorhebst.
Diesen Effekt macht man sich auch in der Werbung zunutze: So wirbt etwa eine kleine Gemeinde auf der Schwäbischen Alb damit, dass hier die „kleinste dreischiffige Basilika nördlich der Alpen“ zu finden ist. Die Rhetorik-Akademie Tübingen wirbt mit der „einzigen Rhetorik-Ausbildung mit internationalem TÜV-Zertifikat“. Die Stadt Bamberg wirbt damit, „weltweit die höchste Dichte an Bierbrauereien“ zu haben.
Auch wenn es dir im ersten Moment nicht sofort ersichtlich ist: Man kann an sehr vielen Dingen eine Einzigartigkeit herausarbeiten. Frage dich dazu: „Was macht mich, meine Firma oder mein Produkt unverwechselbar? Was ist mein USP? Was kann nur ich von mir sagen und sonst niemand?“ Dieses Prinzip gilt, egal, ob du neue Mitarbeitende für deine Firma suchst, ein Produkt erklärst oder eine Idee beim Chef vorstellen willst. Deine Adressaten lieben, wie wir alle, das Unverwechselbare, das Einzigartige.
BEISPIEL. Stell dir vor, ein Mitarbeiter kommt in dein Büro und möchte dir von einer neuen Idee berichten: „Ich habe jetzt schon mit allen Kollegen über diese Idee gesprochen“, beginnt er, „leider konnte ich noch niemanden dafür begeistern, Sie sind jetzt meine letzte Hoffnung.“ Egal, wie gut die folgende Idee ist, sie wird uns nicht vom Hocker hauen. Denn wer will schon als Letztes gefragt werden? Wenn die anderen die Idee schon nicht gut fanden, warum sollte sie dich begeistern? Kurzum: Der Mitarbeiter hat hier seine Idee zunichte gemacht, bevor er überhaupt davon erzählt hat. Was wäre, wenn er die Idee mit den folgenden Worten präsentiert: „Ich habe eine Idee, von der ich noch niemandem erzählt habe. Ich habe mir genau überlegt, mit wem ich über diese Sache spreche, und ich finde, Sie sollten der Erste sein, der davon erfährt.“ Allein die Tatsache, dass du der Einzige oder der Erste bist, der davon erfährt, wird diese Idee deutlich interessanter und attraktiver für dich machen.
Der Knappheitseffekt (oder Effekt der Seltenheit) ist einer der stärksten psychologischen Verhaltensauslöser und deshalb auch ein spannender Mechanismus in Argumentationen und Verhandlungen. Wir begehren Güter und Kostbarkeiten, eben weil sie selten sind: Diamanten, einen Ferrari oder Urlaub in einem exklusiven Secret Escape. Ein rares Gut, das andere genauso dringend benötigen oder begehren wie wir, ist schnell vergriffen und ausverkauft. Deswegen müssen wir schnell handeln, da es jederzeit nicht mehr verfügbar sein könnte. Dieser Handlungsdruck beschleunigt den Entscheidungsprozess.
Verkaufsprofis wissen: Sie können aus fast allem etwas Seltenes machen. Dafür können sie eine „Limited Edition“ entwickeln oder ihr Produkt bekommt in den ersten 250 Ausführungen ein besonderes Detail, das sich von der Serienfertigung unterscheidet. Beides trägt zur Exklusivität bei. Heb folglich die Knappheit einer Sache bewusst hervor, um dein Anliegen noch stärker zu machen.
BEISPIEL. Du erinnerst dich bestimmt, als zu Beginn des ersten Lockdowns in der Covid-19-Pandemie ständig Toilettenpapier, Fertiggerichte und Nudeln ausverkauft oder schwer erhältlich waren, weil die Leute Vorräte hamsterten. Selbst wenn du zu jener Zeit keine Vorräte einlagern wolltest, hast du möglicherweise trotzdem mehr Toilettenpapier als sonst gekauft, weil die Knappheit dich beeinflusst hat.
Beim Argument der Knappheit können sowohl die tatsächliche Knappheit als auch eine künstliche Verknappung eingesetzt werden. Online-Reiseportale nutzen oft das Argument der künstlichen Knappheit: „Nur noch 2 Zimmer in dieser Kategorie verfügbar“ oder „12 Personen beobachten gerade dieses Angebot“. Amazon weist uns darauf hin, dass der Drucker, den wir für das Büro kaufen wollen, nur noch dreimal auf Lager ist. Damit entsteht eine Dringlichkeit, die unverzügliches Handeln notwendig macht oder uns zumindest in eine Entscheidungssituation bringt. In deiner Argumentation kannst du dieses Prinzip einsetzen, indem du auf die Knappheit einer Ressource, etwa die Knappheit der Zeit, verweist.
Besonders in der zwischenmenschlichen Kommunikation ist das Kongruenz-Argument ein sehr starkes Überzeugungsmuster, denn es konfrontiert unser Gegenüber mit einer Unstimmigkeit in seinem Denken und Handeln. Und wenn wir Menschen etwas nicht mögen, dann ist es, als inkongruent – also unstimmig – wahrgenommen zu werden. Uns liegt viel daran, konsequent, stimmig und dadurch verlässlich zu sein. Andere sollen sich auf unser Wort verlassen können.
BEISPIEL. Kommen wir noch mal auf den Urlaub zurück, den du mit deinem Partner in der Toskana verbringen möchtest. Wenn dein Partner lieber nach Mallorca fliegen möchte als in die Toskana zu fahren, kannst du darauf wie folgt eingehen: „Du achtest so stark auf die Umwelt, fährst immer mit dem Zug statt mit dem Auto, du isst aus Umweltgründen kein Fleisch, dann können wir doch nicht mit dem Flugzeug in den Urlaub fliegen. Mit dem Zug sind wir in weniger als zehn Stunden in Florenz.“ Dagegen kann dein Partner nicht viel sagen, ohne sich selbst mit einer Inkongruenz konfrontiert zu sehen.
Wenn unser Kunde dazu tendiert, das günstigere Produkt zu kaufen, können wir ihn bei seinem hohen Qualitätsbewusstsein abholen und ihm ein teureres Produkt nahelegen, da es qualitativ hochwertiger ist. Mit dem Kongruenz-Argument untermauerst du deine Sache nicht durch externe Argumente, sondern durch die Stimmigkeit oder Unstimmigkeit der Werthaltungen deines Adressaten. Um das richtige Kongruenz-Argument zu finden, solltest du deinem Adressaten genau zuhören und dich mit ihm und seiner Denkwelt beschäftigen. Wenn du eine Unstimmigkeit bei deiner Gesprächspartnerin identifiziert hast, äußere diese nicht konfrontativ oder vorwurfsvoll. Du willst dein Gegenüber schließlich überzeugen und nicht bloßstellen.
Formulierungen für das Kongruenz-Argument können etwa sein:
ÜBUNG. Stell dir vor, du willst deinen Partner davon überzeugen, das gemeinsame Auto zu verkaufen und ab sofort nur noch mit dem Fahrrad und mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein. Formuliere zu diesem Beispiel jeweils ein Argument für jedes der fünf Argumentationsmuster.
Du wirst merken: Mit etwas Kreativität fällt dir zu jedem etwas ein, was deinen Partner überzeugen könnte. Aber Vorsicht: Es könnte sein, dass es funktioniert.
Die eben beschriebenen Argumentationsmuster helfen dir dabei, die richtigen Argumente für deinen Adressaten zu finden. Wenn du dich auf wichtige Gespräche vorbereitest und überzeugende Argumente suchst, kannst du dich an diesen Argumentationsmustern orientieren. Die Kunst ist es nun, diese Argumente im Gespräch oder im Vortrag auf den Punkt zu bringen. Denn wer viele Argumente vorbringt und lange redet, ist am Ende weniger überzeugend als derjenige, der das eine richtige Argument kompakt formuliert auf den Punkt bringt. Dabei hilft dir die Statement-Technik.
Die Statement-Technik ist eine leicht anwendbare und sehr effektive Technik, um Gedanken und Anliegen in Kernbotschaften zu kommunizieren und um das Gegenüber mit kurzen Statements zu überzeugen. Wir können sie jederzeit im Alltag, in kurzen Reden und Wortbeiträgen, in Gesprächen oder auf Podien anwenden, denn sie strukturiert, was wir ansprechen wollen, und präsentiert unser Anliegen klar und fokussiert.
Die Statement-Technik vereint in ihren fünf Schritten alle wichtigen Prinzipien eines guten Arguments:
Der erste der fünf Schritte ist eine Formulierung deiner Position. Wovon möchtest du dein Gegenüber überzeugen? Was ist der Kern deines Anliegens? Formuliere deine Position in einer kurzen Kernbotschaft wie:
„Du solltest zweimal pro Woche Sport treiben.“
Stell im zweiten Schritt eine aussagekräftige Behauptung auf, die deine Position untermauert. Diese Behauptung sollte für dein Gegenüber anschlussfähig und plausibel sein und sich genau auf deine Position beziehen:
„Denn Sport ist sehr gesund und stärkt Körper und Geist.“
Deine Begründung bezieht sich wiederum auf deine These. Begründe also in wenigen Sätzen, warum die These zutreffend ist (nicht die Position). Hier kannst du auch eines der oberen fünf Argumentationsmuster einfließen lassen:
„Studien haben gezeigt, dass regelmäßiger Sport die Resistenz unseres Immunsystems stärkt und uns ein längeres Leben ermöglicht.“
Mit einem Beispiel machst du dein Anliegen greifbar und anschaulich. Erzähl eine kurze Geschichte oder beschreibe ein eigenes Erlebnis, das die Bedeutung deines Arguments unterstreicht:
„Seitdem ich selbst zweimal die Woche Sport treibe, fühle ich mich deutlich fitter und bin seltener krank.“
Im Fazit bekräftigst du deine Position. Dabei kann das Fazit dieselbe oder eine ähnliche Formulierung enthalten wie die Position. So schließt du die Klammer um dein Argument und setzt mit deiner Kernbotschaft einen prägnanten Schlusspunkt:
„Deshalb solltest auch du unbedingt zweimal pro Woche Sport treiben.“
Bei der Umsetzung der Statement-Technik kann es helfen, sich von einem Schritt zum nächsten selbst Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Warum? Also: Du solltest zweimal pro Woche Sport treiben. Warum? Weil Sport gesund ist. Warum ist das so? Sport stärkt das Immunsystem. Und so weiter.
Mit der Statement-Technik bringst du dein Anliegen oder deine Position kompakt und schlüssig auf den Punkt.
Für die sichere Anwendung der Statement-Technik bedarf es am Anfang sicherlich einiger Übung. Dabei ist es normal, wenn nicht alle Schritte der Technik vollständig und in der richtigen Reihenfolge umgesetzt werden. Die Technik soll dir helfen, Dinge besser auf den Punkt zu bringen und dir keinen Knoten im Kopf machen. Sollte das doch mal passieren: Nicht schlimm. Wichtig ist bei dieser Technik, eine logische Argumentation zu entwickeln, zu begründen und die Position zu bekräftigen. Mit etwas Übung kommen die Schritte der Statement-Technik nach einiger Zeit von ganz allein.
BEISPIEL. Schauen wir uns die Funktion der Statement-Technik wieder an unserem Toskana-Beispiel an.
Position: Wir sollten unseren nächsten Urlaub in der Toskana verbringen.
These: Denn die Toskana ist für uns jetzt genau das Richtige.
Begründung: Wir beide mögen doch am liebsten Urlaube, wo wir Strand, eine schöne Landschaft, historische Städte und gutes Essen miteinander verbinden können. Und genau das können wir am besten in der Toskana.
Beispiel: Erinnerst du dich, als wir vor fünf Jahren an Pfingsten in der Toskana waren? Da haben wir jeden Abend gut gegessen, das Wetter war herrlich und die kleinen Städtchen haben uns so gut gefallen, dass wir auf jeden Fall wieder dorthin gehen wollten.
Fazit: Also, wenn du mich fragst, sollten wir unseren nächsten Urlaub auf jeden Fall in der Toskana verbringen.
ÜBUNG. Du siehst, wie viel Klarheit und Stringenz diese Technik deiner Argumentation verleiht. Probier es direkt selbst mal aus und trainiere die Statement-Technik anhand einiger Beispiele. Formuliere dazu ein Argument nach den fünf Schritten der Statement-Technik zu folgenden Beispielen:
Auch für kurze Statements oder Wortbeiträge im beruflichen Kontext kann die Statement-Technik gut eingesetzt werden. Wenn du dich mit diesen Beispielen sicher fühlst, teste die Statement-Technik an eigenen Beispielen aus deinem beruflichen Alltag.
In meinen Trainings erlebe ich immer wieder, dass sich einige Teilnehmende anfangs mit der Anwendung dieser Struktur eher schwertun. Gerade im Bereich Argumentation lohnt es sich, mal ein Seminar zu besuchen und die Techniken und Methoden live auszuprobieren. Du wirst merken, dass du schon mit wenigen Maßnahmen deine Überzeugungskraft deutlich steigern kannst.
BEISPIEL. Vor einigen Jahren wollte ich für mein neues Büro eine Kaffeemaschine kaufen. Als junger Unternehmer ist es immer mein Traum gewesen, eine hochwertige, vollautomatische Kaffeemaschine im Büro zu haben. Also bin ich, um mich zu informieren, zu einem Elektronikhändler gegangen und habe mir das Sortiment an Vollautomaten angeschaut. Zwei Maschinen haben mir gefallen und die lagen preislich etwa 80 Euro auseinander. Einen gravierenden Unterschied habe ich auf Anhieb nicht erkennen können, daher fragte ich einen Verkäufer, was der Unterschied sei. Er antwortete: „Ja, wissen Sie, die eine Maschine hat ein Stahl-Mahlwerk und die andere hat ein Keramik-Mahlwerk.“ Mehr konnte mir der Verkäufer auch nicht sagen. Ich entschied mich, vorerst keine Kaffeemaschine zu kaufen und mich noch weiter zu informieren.
Dem Händler ist hier ein sicheres Geschäft entgangen. Warum? Nun, ich habe nicht erkannt, was die teurere Maschine mit Keramik-Mahlwerk für einen Nutzen für mich haben würde, also war ich unsicher, welche Maschine die richtige ist. Und wenn man unsicher ist, kauft man nicht. Hätte der Verkäufer gefragt, was genau ich suche, hätte er mir leicht zur teureren Maschine raten können. Denn das Keramik-Mahlwerk ist leiser. Das bedeutet, dass in unserem Großraumbüro nicht jeder von der Arbeit aufschrecken würde, wenn sich ein Mitarbeiter einen Kaffee zieht. Es hat auch weniger Abrieb, was zu einer längeren Lebensdauer führt – bei acht Mitarbeitern und bis zu 25 Tassen am Tag durchaus ein relevanter Faktor. Zudem schmeckt der Kaffee besser, was für mich, der nahezu täglich Kundenkontakt hat, auch ein wichtiger Unterschied gewesen wäre. Mir den Nutzen eines Keramik-Mahlwerks zu verdeutlichen, wäre der entscheidende Punkt gewesen, mich als Kunde zu überzeugen. Den Umsatz machte dann ein anderer.
Stell den Nutzen für deinen Adressaten ins Zentrum deiner Argumentation.
Genau hier setzt die MVN-Technik an. Denn sie ist darauf ausgerichtet, Vorteile und Nutzen eines Merkmals zu verdeutlichen. Dem Adressaten den Nutzen einer Sache zu vermitteln, kann eine sehr effiziente Überzeugungstechnik sein. Die MVN-Technik ist nach den drei Schritten
benannt. Mit dieser Technik stellst du den individuellen Nutzen eines Produkts, einer Sache, einer Besonderheit oder eines spezifischen Merkmals für den Adressaten in den Vordergrund.
Das Vorgehen:
Es mag im ersten Moment schwer sein, den Unterschied zwischen Nutzen und Vorteil zu erkennen. Machen wir es an einem Beispiel deutlich. Was ist das Merkmal eines Kombis? Nun, ein Kombi hat einen großen Kofferraum. Das ist eine Eigenschaft, eine Besonderheit gegenüber anderen Autos – also ein Merkmal. Aus diesem Merkmal, dass ein Kombi einen großen Kofferraum hat, ergibt sich ein Vorteil: Mit einem Kombi kann man viel transportieren, denn in den Kofferraum eines Kombis passt mehr rein als in ein anderes Auto. Dieser Vorteil gilt ganz allgemein, für jeden Kombi. Und was ist nun der Nutzen? Nun, ich persönlich fahre keinen Kombi. Denn ich habe, obwohl ein Kombi einen klaren Vorteil hat, keinen Nutzen durch einen großen Kofferraum. Ich habe keine Kinder, mache meine Einkäufe mit dem Fahrrad, fahre nicht mit dem Mountainbike oder mit dem Surfbrett in den Urlaub und ich muss auch nicht ständig Grünschnitt zur Deponie fahren. Außerdem wohne ich in Tübingen und finde ohnehin nie einen Parkplatz. Ich habe durch einen Kombi und einen großen Kofferraum also keinen Nutzen.
Der Vorteil gilt ganz allgemein, der Nutzen ist individuell.
Ein guter Freund von mir ist Familienvater und seine zwei Töchter streiten sich jedes Mal vor dem Urlaub, welches Spielzeug mitgenommen werden darf. Klar, es hat nicht alles Platz im Auto. Für ihn bedeutet der Vorteil, mehr transportieren zu können, einen klaren Nutzen: Die Vorbereitung auf den Urlaub läuft deutlich entspannter ab, denn es gibt keinen Streit mehr unter den Kindern, was mitgenommen werden darf und was zu Hause bleiben muss. Mehr Platz im Kofferraum bedeutet für ihn weniger Stress vor und im Urlaub.
Gute und stringente Argumentation verbindet daher einen allgemeingültigen Vorteil mit einem individuellen Nutzen. Genau das ermöglicht die MVN-Technik mit ihren drei Schritten.
Benenne eine spezifische Besonderheit deines Produkts, deiner Sache oder deines Angebots:
„Die Ausbildung kann mit einem international gültigen Zertifikat abgeschlossen werden.“
Erkläre, welcher allgemeine Vorteil aus diesem Merkmal entsteht:
„Mit diesem Zertifikat kannst du deine Fachkompetenz jederzeit nachweisen.“
Den Nutzen musst du individuell an den Adressaten anpassen. Je nach Bedürfnisoder Motivlage wird sein spezifischer Nutzen variieren:
„Als Selbstständiger hebst du dich durch dieses Zertifikat auf dem Markt ab und erhältst Aufträge, bei denen ein Fachkundenachweis erforderlich ist.“ Oder: „In Bewerbungsverfahren auf Stellen mit hohen Anforderungen verschaffst du dir mit diesem Zertifikat ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber deinen Mitbewerbern.“
BEISPIEL. Lass uns die Funktion der MVN-Technik an einem weiteren Beispiel verdeutlichen:
1. Der neue Laptop
Merkmal: Lieber Chef, es wäre klasse, wenn ich einen neuen Laptop mit mehr Leistung bekommen würde.
Vorteil: Mit mehr Leistung wäre der Rechner deutlich schneller und könnte insgesamt besser Videos und Grafikdateien verarbeiten. Ich wäre bei der Bearbeitung der Videos damit deutlich schneller als mit meinem jetzigen Laptop.
Nutzen: Du köntest mich so besser und effizienter einsetzen, weil ich weniger Leerlauf- und Wartezeiten hätte. Ich könnte Projekte schneller bearbeiten und wir hätten am Ende jedes Tages mehr Ergebnisse.
ÜBUNG. Um dich mit dieser Technik vertraut zu machen, kannst du auch die drei Schritte der MVN-Technik mit folgenden Beispielen üben:
Die beiden vorgestellten Techniken eignen sich hervorragend für den Einsatz in Gesprächen, aber auch für Vorträge und Reden, für Produktbeschreibungen und kurze Statements. In Gesprächen, auf Podien oder in Diskussionen reden wir aber nicht allein. Unser Gegenüber argumentiert ebenso wie wir. Auch er vertritt eine Position. Deshalb müssen wir besonders in der dialogischen Kommunikation – aber auch bei Vorträgen und Statements – die Argumente des anderen mitdenken und mit ihnen umgehen. In jeder Form von Argumentation müssen wir mit bereits vorhandenen oder neu auftretenden Widerständen bei unserem Adressaten rechnen. Eine gekonnte Gegenargumentation, also das Überwinden von Überzeugungswiderständen beim Adressaten, ist der Schlüssel für einen erfolgreichen Überzeugungsprozess.
Wenn ein Physiker in seinem Vortrag begeistert, aber einseitig über die Vorzüge und den Nutzen der Kernenergie berichtet – also, dass die Kernenergie im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen klimaneutral ist, die Atomkraftwerke sicher sind und wir nur mit Kernenergie den Weg in die klimaneutrale Zukunft schaffen – werden sich die Zuhörenden nach einiger Zeit fragen: Warum spricht er denn die Risiken dieser Technologie nicht an? Warum berichtet er nicht über die Problematik der Endlagerung? Warum erwähnt er nicht die zahlreichen Zwischenfälle und Störungen in Kraftwerken? So gut die Argumente des Physikers auch sein mögen, um die Zuhörer und Zuhörerinnen restlos zu überzeugen, muss er auch Widerstände aufgreifen, Bedenken ernst nehmen, sie entkräften und Gegenargumente überwinden.
Nimm in der Rede oder im Gespräch gezielt Gegenargumente vorweg und entkräfte sie.
Zur Vorbereitung auf eine Argumentation gehört also zwingend auch die Beschäftigung mit dem Adressaten, mit seinen spezifischen Widerständen und mit den zu erwartenden Gegenargumenten. In Meinungsreden und Statements kannst du die Gegenargumentation gezielt einbauen und vermutete Gegenargumente vorwegnehmen, bevor es zu einer Gegenrede oder zu einer kritischen Nachfrage kommt. Dann sprechen wir von der Vorwegnahme von Gegenargumenten. Im Gespräch können wir Gegenargumente in dem Moment entkräften oder widerlegen, in dem sie auftreten.
Um uns gezielt auf Gegenargumente einzustellen und um mit auftretenden Gegenargumenten passgenau umgehen zu können, unterscheiden wir bei der Qualität von Gegenargumenten in drei Kategorien:
Schwache Gegenargumente zeichnen sich dadurch aus, dass sie widerlegbar sind. Sie sind also aus deiner Sicht als Redner falsch und du kannst leicht das Gegenteil belegen. Greif dazu das Gegenargument deines Adressaten auf und führe den Gegenbeweis an. Achte beim Widerlegen eines offensichtlich falschen Gegenarguments aber auch darauf, dein Gegenüber nicht ins Unrecht zu setzen. Damit könntest du ihn leicht verlieren.
Zeig Verständnis für die andere Meinung oder Haltung und signalisiere, dass du den Standpunkt durchaus nachvollziehen kannst, aber dass tatsächlich das Gegenteil der Fall ist.
Leite deine Gegenargumentation etwa ein mit: „Das dachte ich zunächst auch. Nachdem ich mich aber intensiv damit beschäftigt habe, weiß ich heute …“ oder „Ihre Meinung ist zwar naheliegend, gleichzeitig müssen wir aber auch beachten, dass Damit sorgst du dafür, dass dein Gegenüber sich wahrgenommen und wertgeschätzt fühlt. Ihn dann in deiner Argumentation mitzunehmen und sogar zu überzeugen, gelingt deutlich leichter.
Die drei Schritte im Umgang mit schwachen Gegenargumenten bestehen folglich aus:
BEISPIEL. „Jetzt werden Sie sicher sagen: ‚Das Aufstellen von Blitzern verursacht Stau, weil häufiger abgebremst wird.‘ Das scheint zunächst logisch, nachweislich ist aber das Gegenteil der Fall: Durch einen Blitzer wird eine gleichmäßige Geschwindigkeit gehalten, der Verkehr läuft flüssiger und es kommt tatsächlich zu weniger Staus.“
Starke Gegenargumente zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht ohne Weiteres widerlegbar sind. Starke Gegenargumente müssen zumindest zum Teil anerkannt werden.
Wir müssen sie daher anders behandeln als schwache Gegenargumente. Wirst du im Gespräch oder vonseiten des Publikums mit einem starken Gegenargument konfrontiert, bemühe dich, es abzuschwächen oder zu entkräften. Stell gleichzeitig dein eigenes Argument in den Vordergrund und untermauere es. Mehr noch als bei schwachen Gegenargumenten gilt es, bei starken Gegenargumenten die Sichtweise des Gegenübers anzuerkennen und zu würdigen.
Der Umgang mit starken Gegenargumenten erfolgt in folgenden drei Schritten:
BEISPIEL. „Jetzt werden Sie sicher sagen: Atomkraft ist doch viel zu gefährlich.‘ Und ja, da ist natürlich was dran: Atomkraftwerke können theoretisch großen Schaden anrichten. Doch gerade unsere Kraftwerke in Deutschland sind die sichersten der Welt, es gibt so gut wie keine Zwischenfälle, und auch diese Technologie wird immer weiterentwickelt und verbessert.“
Totschlagargumente sind noch kraftvoller als starke Gegenargumente. Denn danach scheint oft keine weitere Diskussion mehr möglich zu sein. Klassische Totschlagargumente, die uns im Alltag häufig begegnen, sind: „Tut mir leid, aber dafür haben wir kein Geld“ oder „Dafür haben wir weder Kapazität noch Zeit“.
Gehen wir im Rahmen dieser Argumentationstechnik zunächst mal davon aus, dass es für den Einwand berechtigte Gründe gibt und dass es sich nicht um eine reine Abwehrfloskel oder Blockadehaltung handelt. In diesem Fall macht es Sinn, das Totschlagargument des Gegenübers ebenfalls anzuerkennen und zu würdigen. Im nächsten Schritt kannst du die Hypothesen-Technik anwenden. Stell dazu eine Hypothese auf, die deinen Gesprächspartner zum Denken anregt und Diskussionsräume öffnet, die durch das Totschlagargument verschlossen schienen. Also:
Auch der Umgang mit Totschlagargumenten erfolgt in folgenden drei Schritten:
BEISPIEL. „Jetzt denken Sie sicherlich: ‚Dafür haben wir überhaupt kein Geld und das ist alles viel zu teuer.‘ Da muss ich Ihnen wirklich recht geben. Das ist verdammt viel Geld und die Kassen sind gerade auch nicht gut gefüllt. Aber stellen Sie sich vor, wir würden das Budget auftreiben, einen weiteren Investor ins Boot holen oder ein paar neue Großaufträge abschließen – welche Möglichkeiten entstünden dann und wie schnell kämen wir unserem Ziel näher?“
Die Hypothesen-Technik kann sowohl in Form einer Aussage als auch in Form einer Frage, als sogenannte Hypothesenfrage, angewendet werden. Wirst du mit einem Totschlagargument konfrontiert, stellst du deinem Gegenüber dann eine hypothetische Rückfrage und öffnest so neue Denkräume oder gibst einen weiterführenden Impuls. Eine solche Hypothesenfrage könnte lauten: „Was müsste denn gegeben sein, damit das möglich wird?“ Oder: „Angenommen, wir wollten das unbedingt umsetzen, wie würden Sie selbst vorgehen? Auf diese Weise öffnet die Hypothesenfrage Argumentationsräume in einer festgefahrenen oder aussichtslosen Situation.
DOKUMENT: Nie mehr sprachlos! 10 Möglichkeiten, wie du schlagfertig mit Fragen oder Gegenargumenten umgehst Hier bekommst du zehn Möglichkeiten an die Hand, um in schwierigen Situationen schlagfertig reagieren und souverän mit Gegenargumenten umgehen zu können. |
Argumentation: https://www.learningsnacks.de/share/343836/3cb23e63e6d0e730c38374b1f8c9ca3b1f938ddd |
TESTE DEIN WISSEN: Argumentation In diesem Learning Snack kannst du dein Wissen über Argumentation und Gegenargumentation noch mal verfestigen, damit du gut vorbereitet in die nächste Diskussion gehst. |
„Es war einmal …“ Kommt dir dieser Anfang bekannt vor? Richtig, die Geschichten unserer Kindheit beginnen so. Von nichts werden wir Menschen so in den Bann gezogen, geprägt und überzeugt wie von Geschichten. Als Kinder sind es die Märchen und Bettgeschichten, als Erwachsene lieben wir Romane und Filme und beginnen, unseren eigenen Kindern Geschichten zu erzählen. Geschichten prägen unser Leben von der Wiege bis zur Bahre, überdauern Generationen, Jahrhunderte oder – wie in Form der Bibel – sogar Jahrtausende.
Storytelling ist deshalb eines der mächtigsten Tools der Rhetorik – gewissermaßen der Allrounder unter den Überzeugungstechniken. Alles können wir damit erzeugen: Emotionen, Bilder, Spannung und Aufmerksamkeit. Wir können aus Geschichten lernen, wir können Botschaften vermitteln, Gefühle wecken, Humor und Dynamik erzeugen oder ein komplexes Thema anschaulich darstellen. Deswegen ist in der antiken Gerichtsrede auch die Narratio, der Erzählteil, als einer der beiden Hauptteile der Rede enthalten. Schon damals war man sich der Bedeutung und der Kraft von Storytelling bewusst.
Und nicht nur das. Geschichten sind auch in nahezu jedem Kommunikationssetting anwendbar: in Gesprächen, Reden, Präsentationen, in der schriftlichen Kommunikation und natürlich in Marketing und Werbung. Was auch immer du rüberbringen möchtest, wovon auch immer du überzeugen willst, eine Geschichte macht dein Anliegen noch wirkungsvoller.
Geschichten sind sehr überzeugend. Nutze deshalb Storytelling als wirkungsvolle Überzeugungstechnik.
BEISPIEL. Ich erinnere mich noch gut an eine Geschichte, die mich selbst mal sehr überzeugt hat. Als Student spielte ich mit der Überlegung, mich selbstständig zu machen. Aber ich hatte großen Respekt vor der beruflichen Selbstständigkeit, weil ich den Status des Selbstständigen für sehr unsicher hielt. Ich dachte: „Wenn du dich selbstständig machst, bist du immer abhängig von deinen Kunden und Auftraggebern.“ Eine Festanstellung schien mir da viel sicherer, weil man jeden Monat schön sein Geld bekommt und sich keine Sorgen machen muss, wo es herkommt. Dann lernte ich einen Unternehmer kennen, dem ich meine Bedenken gegenüber der Selbständigkeit mitteilte. „Völliger Quatsch“, entgegnete er, „das Gegenteil ist der Fall. Ich selbst habe mich vor Jahren selbstständig gemacht, weil ich endlich einen sicheren Job haben wollte.“ Ich staunte nicht schlecht, als ich das hörte. „Ich habe zweimal ohne eigenes Verschulden meinen Job verloren“, berichtete er. Er erzählte mir, wie die Firma, bei der er nach dem Studium gearbeitet hatte, in die Krise gekommen war und dann massenhaft Mitarbeiter entlassen musste. Auch ihn. Das Ganze wiederholte sich bei seinem nächsten Job. Danach schwor er sich, sich nie mehr auf so etwas Unsicheres wie eine Festanstellung einzulassen, und deshalb lieber selbst Unternehmer zu werden. „Du musst wissen,“ sagte er abschließend, „wenn ein Unternehmen in die Krise gerät, geht als Erstes der Mitarbeiter – und nicht der Unternehmer.“ Und er fügte hinzu: „Als ich mit meinem eigenen Unternehmen vor ein paar Jahren in der Krise war und umstrukturieren musste, habe ich auch Mitarbeitende entlassen. Ich selbst aber behielt meinen Job – und mein volles Gehalt.“
Bis heute muss ich an diese Geschichte denken, wenn mir jemand erzählt, die Selbstständigkeit wäre so ein unsicheres Geschäft. Diese Geschichte hat mein Bild vom Unternehmersein stark geprägt. Hätte ich sie nicht gehört, wer weiß, wie ich mich entschieden hätte.
BEISPIEL. „Warum sollen wir uns für Sie entscheiden?“ Im Bewerbungsgespräch antwortete eine Kandidatin vor einiger Zeit auf diese Frage: „Ich bin teamfähig, belastbar und leistungsorientiert.“ Das habe ich ihr grundsätzlich schon abgenommen, aber so richtig überzeugt hat es mich nicht. Auf dieselbe Frage antwortete eine andere Bewerberin: „Wissen Sie, ich spiele seit meiner Jugend Fußball. Und was mir an dem Sport so sehr gefällt: Es ist ein Teamsport. Man gewinnt zusammen und man verliert zusammen. Und ich will immer gewinnen. Als Mittelfeldspielerin und Kapitänin muss ich mein ganzes Team im Blick haben und im Spiel oft die weiteste Strecke laufen. Und ich denke, das sagt viel über mich aus. In meinem nächsten Job möchte ich diese Stärken gerne ausspielen: zusammen mit dem Team erfolgreich sein und auch, wenn es stressig wird, zusammenstehen.“ Welche der beiden Bewerberinnen hättest du eingestellt?
Auch für Führungskräfte steckt in Geschichten eine besondere Chance. Wenn die Stimmung im Keller ist, weil ein Auftrag geplatzt ist, es Stress mit den Kunden gibt oder man mitten in der Krise steckt, kannst du deinen Mitarbeitenden mit einer Geschichte neuen Mut geben und sie aufbauen. Genauso eignen sich Geschichten, um eine Vision zu vermitteln, andere zu inspirieren, eine Notwendigkeit zu verdeutlichen oder die Wahrnehmung für eine Sache zu schärfen.
Geheimtipp Storytelling: So wirken Geschichten
Storytelling ist folglich mehr als nur ein Stilmittel unter vielen, es ist ein unverzichtbares Element einer gelungenen Rede und gekonnter Rhetorik.
Das Tolle an Storytelling: Die meisten Geschichten erzählen sich einfach so. Sie brauchen keinen Bauplan, kein Kochrezept, kein Schema F. Die meisten Geschichten, die wir erzählen, kommen einfach so aus uns heraus. Wir hören sie und erzählen sie weiter. Wenn wir nun anfangen, Geschichten nicht einfach nur so zu erzählen, sondern sie zum einen strategisch einsetzen und sie zum anderen sammeln, ausbauen, verbessern und immer wieder neu und anders erzählen, dann werden wir immer besser darin und steigern diese wichtige rhetorische Kompetenz.
Gute Geschichten können sehr lang, aber auch sehr kurz sein. Manche lassen sich in wenigen Sätzen, manche in ganzen Büchern erzählen. Und auch wenn Geschichten ganz intuitiv und scheinbar mühelos entstehen können, lohnt es sich, die wichtigsten Zutaten für eine gute Geschichte näher anzuschauen.
Die sechs Bausteine des Storytelling sind:
Der Protagonist steht im Zentrum der Geschichte und ist die wichtigste handelnde Person. Ihn solltest du konkret machen und beschreiben, damit bei den Zuhörenden ein Bild entstehen kann. Zuhörende sollen sich mit dem Protagonisten identifizieren können.
Dabei ist der Protagonist der Geschichte nicht zwingend der Erzähler selbst. Besser, als von sich selbst zu erzählen, ist es oft, andere Heldengeschichten zu erzählen. Auch im Story-Marketing, also dem gezielten Einsatz von Storytelling im Marketing, ist nicht die Firma oder der Unternehmer der Protagonist, sondern der Kunde. Dieser Protagonist sieht sich in der Geschichte mit einem großen Problem konfrontiert, dessen Lösung der Kern der Geschichte ist. In der Geschichte wird der Protagonist zum Helden. Zum einen, weil er das Problem auf besondere Weise löst. Zum anderen, weil er am Anfang der Geschichte die Wahl hat, sich dem Problem zu stellen oder den einfacheren Weg zu wählen. Die Zuhörenden fragen sich, ob sie selbst den Mut aufgebracht hätten, sich dem Problem zu stellen, oder ob sie ihm aus dem Weg gegangen wären. Weil der Protagonist aber mit Charaktereigenschaften wie Klugheit, Siegeswillen oder Stärke ausgestattet ist, geht er die Herausforderung mutig an und wird so im Verlauf der Geschichte zum Helden.
Je größer das Problem des Protagonisten, desto besser die Story. Die Lösung des Problems ist Gegenstand und Verlauf der Geschichte. Daher lebt eine gute Geschichte auch von der Größe des Problems, mit dem sich der Protagonist konfrontiert sieht.
Stellen wir uns nur mal einen Krimi im Fernsehen vor, in dem einer alten Dame in der Fußgängerzone die Handtasche geklaut wird. Die Täter stellen sich blöd an und werden sofort verhaftet. Ende. Das haut einen nicht vom Hocker. Das Problem der Geschichte ist nicht groß genug. Besser ist da doch ein erschossener Politiker, der kurz vor der Wahl im Regierungsviertel tot aufgefunden wird und vermutlich mit der organisierten Kriminalität in Verbindung steht. Beschreib in deiner Story also genau das Problem und mach es möglichst groß, damit die Leistung des Protagonisten noch besser zur Geltung kommt.
In seiner problematischen Ausgangssituation begegnet der Protagonist einem Mentor, der sich des Problems annimmt und dem Protagonisten einen Plan zur Lösung seines Problems mit auf den Weg gibt. Dabei ist der Mentor oder die Mentorin nicht zwingend eine handelnde Person, sondern kann auch eine eher abstrakte Größe sein. Der Mentor ist der erhellende, begünstigende Faktor in der Geschichte, das eine Element, das dem Protagonisten zur Lösung seines Problems verhilft.
Im bereits angesprochenen Story-Marketing ist die Firma oder der Unternehmer der Mentor, also derjenige, der das große Problem des Kunden lösen kann.
Zusammen mit dem Mentor entwickelt der Protagonist einen Plan. Der Plan beschreibt die Lösung des Problems. Für eine gute Story ist es nun wichtig, dass der Plan einen besonderen, außergewöhnlichen Weg beschreibt, der Mut, Gewissenhaftigkeit und Stärke verlangt und den Helden voll und ganz fordert.
Der Plan ist später auch das bleibende Element unserer Geschichte. Denn die Botschaft der Geschichte, die „Moral“, entsteht durch die Besonderheit des Plans. Er dient als Vorlage für ähnliche Probleme und soll dem Zuhörenden einen Lerneffekt ermöglichen. Daher verdichtet sich im Plan die ganze Geschichte: Der Protagonist kann sein Problem nur mit dem Plan des Mentors lösen und dadurch zum Helden werden. Damit ist der Plan auch der Wendepunkt der Geschichte. Mit dem Plan kann der Protagonist nun auf seinen Weg gehen und das Problem lösen.
Der Weg ist die schrittweise Lösung des Problems. Diese kann nur gelingen, weil der Protagonist, ausgestattet mit persönlichen Stärken und Charaktereigenschaften, den Plan des Mentors mutig umsetzt.
Nach der Lösung des Problems tritt Entspannung ein: Der Held ist am Ziel und feiert seinen Erfolg. Es lohnt sich, je nach Setting den Erfolg des Protagonisten entsprechend zu würdigen. Wie ist sein Leben heute? Was hat sich für ihn geändert? Und: Was war entscheidend für seinen Erfolg?
In Märchen ist es „die Moral von der Geschicht’“. Am Ende der Geschichte steht die Botschaft. Sie formuliert abschließend den Erkenntnisgewinn oder den Appell. Die Botschaft deiner Story ist das, worum es dir geht. Das, was wirklich hängen bleiben soll. Formuliere also die Message, die eine Kernaussage, die beim Adressaten nachhaltig wirken soll. Diese eine Botschaft solltest du in einem oder wenigen merkfähigen Sätzen auf den Punkt bringen und damit deine Geschichte abrunden.
ÜBUNG. Setz diese Struktur für Storytelling direkt in die Praxis um und übe sie an zwei bis drei Beispielen. Erzähl dir selbst eine Geschichte aus deinem Leben. Mach es dabei nicht zu kompliziert, denn diese Technik funktioniert auch bei einfachen Geschichten. Erzähle jeweils eine kurze Geschichte zu folgenden Beispielen:
Diese sechs Storytelling-Bausteine sind keineswegs als starres Schema zu begreifen. Gute Geschichten brauchen nicht zwingend genau diese Bestandteile in genau dieser Reihenfolge. Die sechs Bausteine des Storytelling sind vielmehr als Wahrnehmungsmodell geeignet, mit dem wir gute Geschichten besser beschreiben und verarbeiten können. Wenn du an berühmte Filme wie Avatar, Forrest Gump oder Troja denkst, merkst du, dass viele gute Geschichten genau so aufgebaut sind. Außerdem können wir mit diesen sechs Bausteinen unsere eigene Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, verbessern und Storytelling noch effektiver im Alltag einsetzen.
VIDEO: Storytelling – Wie du mit Geschichten überzeugen kannst In diesem Video habe ich das Wichtigste zu Storytelling und zur Kraft von Geschichten für dich zusammengefasst. Über den QR-Code kommst du zum Video. |
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TESTE DEIN WISSEN: Storytelling Storytelling ist eines der wichtigsten Werkzeuge der Rhetorik. In diesem Learning Snack kannst du dein neues Wissen über Storytelling wiederholen und vertiefen. |
Wir haben uns schon mit Argumentations- und Gegenargumentationstechniken beschäftigt. Das Ziel jeder Argumentation ist Überzeugung und Einflussnahme. Im nun folgenden Teilkapitel lernst du die wichtigsten Verhandlungstechniken für die tägliche Anwendung kennen.
Für ein besseres Verständnis lohnt es sich, die beiden Begriffe „Argumentation“ und „Verhandlung“ zu differenzieren – denn beide verfolgen unterschiedliche Ziele. Während wir beim Argumentieren das Ziel verfolgen, einen anderen Menschen zu überzeugen, also kommunikativ Einfluss auf ihn zu nehmen, wollen wir in einer Verhandlung einen Interessenausgleich herstellen und möglichst zu einem Win-win-Ergebnis kommen. In der täglichen Praxis benötigst du in einer Verhandlung zwar sowohl Argumentations- als auch Verhandlungstechniken, doch beim Einsatz deines Werkzeugkoffers solltest du gezielt vorgehen und genau wissen, aus welchem Grund du welche Technik anwendest.
Immer wieder höre ich, das Ziel jeder guten Verhandlung müsse ein für beide Seiten tragbarer Kompromiss sein. Schließlich müssten bei einem guten Deal beide Seiten aufeinander zugehen und von ihren ursprünglichen Positionen abweichen. So etwas wie Win-win gäbe es in der Praxis nicht. Beide Seiten müssten Federn lassen. Ein Win-win-Ergebnis anzustreben, lenke vom eigentlichen Ziel ab und mache Verhandlungen unnötig kompliziert.
Diese Haltung, ein für alle Seiten tragbarer Kompromiss sei das Ziel einer Verhandlung, stimmt tatsächlich nur in festgefahrenen Situationen, in denen es nur um einen einzelnen Streitpunkt geht und die Positionen verhärtet sind. Beispielsweise, wenn Verkäufer und Käufer ausschließlich über den Preis feilschen und sich schließlich in der Mitte treffen. Sich in der Mitte zu treffen bedeutet aber auch, dass beide nicht bekommen, was sie wollen. Ein Kompromiss ist also eine Lose-lose-Situation.
Doch es geht auch anders. Ein guter Deal muss nicht kompliziert sein oder besonders hart verhandelt werden. Im Kern geht es bei einer Verhandlung immer um den Ausgleich von Interessen. Beide Seiten wollen etwas, brauchen etwas, haben ein Bedürfnis. Die Kunst der Verhandlung ist es nun, einen beidseitigen Interessenausgleich anzustreben nach dem Motto: Ich gebe dir, was du willst, und du gibst mir, was ich will.11
BEISPIEL. Wenn du morgens zum Bäcker gehst und eine Brezel für zwei Euro kaufst, hat in diesem Moment ein Interessenausgleich stattgefunden. Die Bäckerin hatte ein Interesse an deinem Geld und du hattest ein Interesse an ihrer Brezel. Jetzt haben beide Seiten bekommen, was sie wollten – also ein richtig guter Deal.
Aber warum genau kam der Deal zustande? In diesem Beispiel wird das Geld, also die zwei Euro, gegen eine Brezel getauscht. Beide Seiten sind dazu bereit, weil beidem, also dem Geld und der Brezel, ein unterschiedlicher Wert zugemessen wird. Dir sind im Moment des Kaufes diese zwei Euro weniger wert als die Brezel, sonst würdest du nicht tauschen. Gleichzeitig sind die zwei Euro in der Kasse für die Bäckerin wertvoller als die Brezel in der Auslage. Hättest du auf dem Weg zum Bäcker entschieden, dass dir zwei Euro mehr wert sind als die Brezel, wäre der Deal nicht zustande gekommen.
Und genau hier beginnt jeder gute Deal: Wenn zwei Parteien herausfinden, dass dem einen eine Sache weniger wert ist als dem anderen – und andersherum –, finden beide zu einem perfekten Deal zusammen. Dafür ist natürlich nicht immer eine komplexe Verhandlung notwendig, wie auch das Beispiel beim Bäcker zeigt. In komplexen Verhandlungssituationen muss dieser Interessenausgleich kommunikativ erarbeitet und hergestellt werden.
BEISPIEL. Wenn du etwa selbstständig bist und eine Leistung gegen Geld erbringst, ist dir die eingesetzte Lebenszeit weniger wert als das Geld, das du von deinem Kunden erhältst. Das gilt aber nur für einen bestimmten Preis pro Stunde oder für ein fixes pauschales Honorar. Bietet ein Kunde dir für einen Auftrag einen zu geringen Preis, wirst du ihn nicht annehmen, da dir deine Zeit wertvoller erscheint als das Geld, das du in dieser Zeit verdienen könntest. Wenn du mit einem Freund vereinbarst, dass er dir sein Auto leiht und du ihm im Gegenzug beim Umzug hilfst, ist das wieder ein perfekter Deal, weil beide Seiten den Dingen einen unterschiedlichen Wert zuschreiben. Beiden ist das eine mehr wert als das jeweils andere.
Die Grundlage eines erfolgreichen Deals ist es deshalb, zu wissen oder herauszufinden, was dem anderen wichtig ist und was nicht. Mit der Klarheit über die eigenen Bedürfnisse und dem Wissen über die des anderen kannst du viel gezielter verhandeln. Es geht nicht um Positionen, sondern um Wünsche und Bedürfnisse. Frag dich also: Was ist deinem Verhandlungspartner wichtiger als dir? Wo kann er Abstriche machen und dir entgegenkommen? Was ist er bereit zu geben? Was ist ihm weniger wichtig? Was sind seine Motive und Beweggründe?
Beim Verhandeln gilt: Bloß kein Kompromiss!
Für den ambitionierten Verhandler ist der Kompromiss also nicht das Ziel, sondern der letzte Ausweg. Denn für einen Kompromiss müssen beide Seiten von ihren ursprünglichen Zielen abweichen und dem anderen entgegenkommen. Das bedeutet im Zweifel für beide, ihr Ziel zu verfehlen.
BEISPIEL. Nehmen wir an, du willst ein gebrauchtes Auto kaufen und bist bereit, 15.000 Euro zu bezahlen. Einen Puffer von 2.000 Euro hast du dir vorsorglich bereits eingeräumt. Auf dem Gebrauchtwagenmarkt findest du dein Wunschauto für 22.000 € inseriert. Auf Nachfrage signalisiert der Verkäufer Gesprächsbereitschaft, sagt aber, er würde das Auto nicht unter 19.000 Euro verkaufen. Wenn ihr euch jetzt bei 18.000 Euro in der Mitte trefft, also einen klassischen Kompromiss eingeht, werdet ihr beide als Verlierer aus der Verhandlung gehen. Du hast deutlich mehr bezahlt, als du vorhattest, und der Verkäufer hat deutlich weniger bekommen, als er wollte. Ein echtes Lose-lose-Ergebnis.
In diesem Beispiel liegt der Fehler darin, die Verhandlung einzig auf den Preis zu beschränken. Das Prinzip jeder guten Verhandlung besteht deshalb darin, dir möglichst viele Verhandlungsspielräume zu schaffen, indem du möglichst viel „Verhandlungsmasse“ auf den Tisch legst. Überleg dir also, welche Aspekte bei deinem Deal außer dem Preis noch eine Rolle spielen können. Was könnte deinem Verhandlungspartner wichtiger sein als dir?
BEISPIEL. Zurück zum Beispiel: Bei einer Probefahrt kommst du mit dem Verkäufer ins Gespräch. Du erfährst, dass er sich vor Kurzem einen Neuwagen bestellt hat und dass die Anzahlung bereits jetzt fällig ist. Das neue Auto kommt aber erst in acht Wochen. Mit dieser Information haben sich neue Verhandlungsräume eröffnet. Denn es klingt danach, dass der Verkäufer sein jetziges Auto noch einige Zeit brauchen wird. Gleichzeitig will er rasch das Geld für die Anzahlung des Neuwagens haben. Möglich, dass sich daraus eine neue Verhandlungssituation zu deinen Gunsten ergibt.
Durch das Prinzip „Alles auf den Tisch“ lassen sich in nahezu allen Verhandlungssituationen bessere Ergebnisse erzielen.
Durch die Vergrößerung der Verhandlungsmasse und die Öffnung für weitere Verhandlungspunkte haben beide Seiten mehr Möglichkeiten und mehr Spielraum. Damit können beide mehr geben und mehr bekommen. Alles auf den Tisch zu legen, bedeutet aber nicht, unverschämt viel zu fordern oder die Verhandlung unnötig zu verkomplizieren. Vielmehr geht es darum, durch geschicktes Fragen, echtes Interesse und durch klare Kommunikation der eigenen Bedürfnisse und Motive eine für beide Seiten gewinnbringende Verhandlung zu ermöglichen. Frag dich dabei immer: Worum geht es mir wirklich und worum geht es dem anderen wirklich? Finde daraufhin weitere Aspekte, die du in die Verhandlung einbringen kannst.
Neben dem Kaufpreis spielen beim Autokauf noch zahlreiche andere Aspekte eine Rolle: Ab wann steht das Auto zur Verfügung? Wann und wie genau soll gezahlt werden? Wer trägt die Kosten für die noch fälligen Reparaturen? Hat das Auto Winterreifen oder Schneeketten, die zusammen oder getrennt verkauft werden können? Ist das Auto bei der Übergabe vollgetankt?
Ähnlich bei einer Gehaltsverhandlung: Auch hier sollte es nie nur um die Höhe des Gehalts gehen, damit wir nicht im Kompromiss landen. Natürlich haben beide Seiten eine Vorstellung davon, welches Ergebnis sie erzielen wollen und wo die Grenze liegt. Doch viele weitere Aspekte können mitverhandelt werden: Ab wann wird die Gehaltserhöhung ausgezahlt und in welchen Stufen? Was ist mit Dienstwagen, Firmenhandy, kostenlosem Mittagessen, einem besseren Parkplatz, dem schicken Eckbüro, betrieblicher Altersvorsorge, Weihnachtsgeld, einer Mitgliedschaft im Fitnessstudio und so weiter? Indem du mehr Aspekte in die Verhandlung einbringst, verbesserst du deine Verhandlungsspielräume.
Die BATNA ist die wichtigste Technik, um dich bereits im Vorfeld einer Verhandlung in eine bessere Verhandlungsposition zu bringen. BATNA steht für „Best Alternative to a Negotiated Agreement“ und beschreibt die bestmögliche Alternative zum angestrebten Deal. Wenn du bereits im Vorfeld einer Verhandlung eine oder mehrere gute Alternativen identifiziert hast, gehst du selbstbewusster, kraftvoller und mit einer besseren Ausgangssituation in die Verhandlung. Denn für die tatsächlichen Machtverhältnisse in der Verhandlung ist nicht entscheidend, wer mehr zu gewinnen, sondern wer mehr zu verlieren hat. Wenn du also im Bewerbungsverfahren für einen neuen Job bist, bei dem dir ein Gehalt von 100.000 Euro angeboten wird, du aber bereits ein anderes Angebot mit 115.000 Euro eines anderen potenziellen Arbeitgebers auf dem Tisch hast, kannst du mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein verhandeln und im Zweifel dadurch ein deutlich besseres Ergebnis erzielen. Geh also in wichtige Verhandlungen immer mit einer Alternative, damit stärkst du deine Verhandlungsposition.
BEISPIEL. Versetzen wir uns in folgende Situation: Für die Firma sind wir auf der Suche nach neuen Büroräumen und wir haben eine Auswahl von drei schönen Büros: zwei gut gelegene und bezahlbare Büros und eines, das unser absolutes Traumbüro ist. Mit welchem potenziellen Vermieter treffen wir uns jetzt als Erstes? Ganz klar: Wir schaffen uns zunächst eine oder zwei BATNAs und starten mit den zwei Büros, die bei uns auf Platz zwei stehen. Bringen wir eine davon zu einem vorläufig zufriedenstellenden Verhandlungsergebnis, können wir mit dieser besten Alternative entspannt in die Verhandlung um unser Traumbüro gehen. Schließlich wissen wir genau, bis wohin es sich lohnt zu verhandeln und wann wir aussteigen sollten.
Nimm dir folglich vor wichtigen Verhandlungen immer die Zeit, um dir über eine BATNA bewusst zu werden. Such zudem nicht nur irgendeine gute Alternative, sondern eine oder zwei hervorragende Alternativen, um noch besser verhandeln zu können. Erst wenn diese vorliegt, bist du bereit für die entscheidende Verhandlung.
Doch nicht nur die Kenntnis deiner eigenen BATNA ist für dich von Bedeutung. Zu wissen, welche Alternativen der andere hat, kann ebenso entscheidend sein. Prüfe also, wenn die Möglichkeit dazu besteht, in welchen Verhandlungen sich dein Gesprächspartner derzeit noch befindet, oder sprich ihn einfach darauf an. Zu Beginn der Wohnungsbesichtigung kannst du subtil fragen: „Und, wie laufen die Besichtigungen?“, „Gibt es großes Interesse?“ Oder: „Wie viele Gebote liegen denn schon vor?“ So findest du meist unkompliziert heraus, ob du der einzige Interessent bist oder ob es bereits ein Bieterverfahren gibt. Aber Vorsicht: An keiner Stelle in einer Verhandlung wird mehr gelogen und getrickst als in Bezug auf die BATNA: „Ihr Konkurrent macht es für ein Drittel weniger.“ Sei skeptisch, wenn du solche Aussagen hörst, und frag kritisch nach. Leg dir ein paar passende Reaktionen zurecht, um solche Aussagen zu entschärfen. „Ja, das muss er auch …“ Am Ende zählt, wer die tatsächlich bessere BATNA hat und wer wirklich mehr zu verlieren hat.
Die drei wichtigsten Prinzipien beim Verhandeln
1. Beide zu Gewinnern machen.
Geh in jede Verhandlung mit der Haltung, ein Win-win-Ergebnis erzielen zu wollen und alle Beteiligten zu Gewinnern zu machen. Sag dem anderen, was du möchtest, und finde heraus, was der andere will. Vermeide Kompromisse und Lose-lose-Situationen.
2. Alles auf den Tisch!
Erweitere die Spielräume und schaffe dir zusätzliche Verhandlungsmasse. Wer nur über eine Sache verhandelt, landet am Ende meistens beim Kompromiss. Bring also möglichst viele Aspekte in die Verhandlung ein, auch wenn sie nicht direkt zum Verhandlungsgegenstand gehören.
3. Alternativen schaffen.
Überleg dir, bevor du in eine Verhandlung gehst, welche Alternativen dir zur Verfügung stehen, falls die Verhandlung scheitert oder du nicht das Ergebnis erzielen kannst, das du dir vorgenommen hast. Mit einer guten Alternative nimmst du den Druck aus der Verhandlung und kannst unabhängiger und freier entscheiden.
Wer Verhandlungen nicht als todernste Sache betrachtet, sondern daran Freude entwickelt, beide Seiten zu Gewinnern zu machen, wird es in Verhandlungen immer etwas leichter haben. Eine spielerische Freude macht dich flexibler und du versteifst dich nicht auf nur einen Aspekt. Mach dir also klar: Eine Verhandlung, die du mit Freude und Leichtigkeit führst, führt in aller Regel zu besseren Ergebnissen.
Machen wir uns nichts vor: In Verhandlungen spielt Macht eine große Rolle. Gute Verhandler nutzen Macht- und Statusgefälle in Verhandlungen sofort aus. Sie werden daher von Anfang an versuchen, ihre Macht zu demonstrieren, um dich in eine möglichst schlechte Verhandlungsposition zu bringen. Wenn du etwa eine Wohnung kaufen willst und der Verkäufer kommt eine halbe Stunde zu spät mit S-Klasse und Chauffeur vorgefahren, trägt einen Maßanzug und glänzende Schuhe, wirst du kaum versuchen, mit ihm über den Preis zu feilschen, geschweige denn ihn auf seine Verspätung aufmerksam zu machen. Vielmehr werden die meisten Menschen froh sein, mit diesem Mann Geschäfte zu machen.
Bei diesen Machtspielen werden alle Register gezogen: Prunkvolle Eingangshallen, hübsche Empfangsdamen, das Büro mit Aussicht, die Rolex oder der Porsche auf dem Hof verdeutlichen den Statusunterschied. Sie lassen dich lange vor dem Büro warten und im Gespräch bieten sie dir einen Stuhl an, der 50 Zentimeter niedriger ist. Von deinem Platz aus schaust du direkt in die Sonne und erkennst deinen Verhandlungspartner nur schemenhaft. Vor dem Gespräch wird dir signalisiert, dein Gesprächspartner habe nur fünf Minuten Zeit, obwohl eine halbe Stunde angesetzt war. Während des Gesprächs schaut er gelangweilt, blickt ständig auf die Uhr oder aus dem Fenster, vergisst immer wieder deinen Namen und redet über Belangloses, ohne deinem Anliegen Aufmerksamkeit zu schenken. Schlägt er dir am Ende des Gesprächs doch einen Deal vor, fühlst du dich geschmeichelt und wirst wohl kaum über den Preis verhandeln.
Machtspiele finden in vielen Verhandlungen statt. Wenn du sie erkennst, kannst du dich von diesen Eindrücken frei machen und neutral bewerten, ob sich der Deal für dich lohnt oder eben nicht.
Schütze dich vor manipulativen Verhandlungstechniken und geh selbst bewusst und sparsam mit ihnen um.
Viele Verhandlungstechniken sind manipulativ. Manche mehr, manche weniger. Eiskalte Verhandler versuchen mit ihnen, subtil und verdeckt Einfluss auf ihre Verhandlungspartner zu nehmen. Dabei werden Techniken angewendet, die weniger an der Sache und mehr an einem möglichst einseitig vorteilhaften Ergebnis interessiert sind. Wenn du erkennst, dass dein Verhandlungspartner eine solche Technik anwendet, kannst du besser damit umgehen und dich vor Manipulationsversuchen schützen. Die Kenntnis der Techniken dient dir also zur Manipulationsabwehr. Diese Verhandlungstechniken können dich aber auch in schwierigen Situationen retten und unter Umständen eine verfahrene Situation doch noch zu deinen Gunsten drehen.
Daher möchte ich dir drei dieser Techniken nicht vorenthalten. Der Flinch, die dritte Instanz und das Ankern stehen dabei stellvertretend für all jene Verhandlungstechniken, die häufig in alltäglichen Verhandlungen angewendet werden und dabei auf irrationale Effekte und unbewusste Verhaltensweisen abzielen. Solltest du eine dieser Techniken in einer Verhandlung erkennen, kannst du gelassen bleiben und dich nicht davon beeindrucken lassen.
Manchmal führen scheinbare Kleinigkeiten zu großen Auswirkungen. So ist es auch in Gesprächen und Verhandlungen. Ein kleines Detail kann über große Summen entscheiden und große Wirkung entfalten. So auch der Flinch. Doch was ist der Flinch?
Oft gibt es in Verhandlungen diesen einen fast magischen Moment, in dem der erste Preisvorschlag gemacht wird, in dem das Angebot ein Preisschild bekommt, in dem nach langem Abtasten einer der Verhandlungspartner aus der Deckung kommt.
Die Reaktion auf dieses erste Angebot ist jetzt von entscheidender Bedeutung. Der Flinch ist das kurze Zusammenzucken, „wenn der Groschen fällt“. Wenn unsere Verhandlungspartnerin den Preis nennt, reagieren wir erschrocken, zucken kurz zusammen oder heben verwundert die Augenbrauen. Damit zwingen wir unsere Verhandlungspartnerin, ihr Angebot zu überdenken, und zeigen ihr, dass sie mit uns nicht beliebig weit verhandeln kann.
BEISPIEL. „Mein Tagessatz beträgt 1.800 Euro.“
„Was? Ist das Ihr Ernst?“
„Selbstverständlich mache ich auch Ausnahmen.“
Auch ein spontanes, lautes Lachen hat denselben Effekt. Je nach Temperament oder kultureller Prägung reichen die Möglichkeiten des Flinchs vom erschrockenen Gesichtsausdruck mit wirkungsvollem Schweigen bis hin zu vehementer Ablehnung oder Wutausbrüchen. Der Flinch eignet sich im positiven Sinne als Antwort auf überhöhte Angebote und kann im negativen Sinne dazu verwendet werden, den Preis unverhältnismäßig nach unten zu drücken.
Was du für dich mitnehmen kannst: Wenn du ein Angebot, das dir unterbreitet wird, sofort annimmst, tust du weder dir noch deinem Verhandlungspartner etwas Gutes. Dir selbst nimmst du zusätzliche Spielräume und dein Gegenüber bekommt das Gefühl, er hätte härter mit dir verhandeln müssen. Das wird er dich beim nächsten Mal spüren lassen. Das soll keine Aufforderung zum Flinchen sein. Doch auch bei sehr guten Angeboten solltest du nicht direkt darauf eingehen, sondern Geduld bewahren, um mehr aus deinem Deal herauszuholen.
Auch wenn es paradox klingt: Nicht die letzte Instanz zu sein – also nicht die ganze Macht zu besitzen, um endgültig entscheiden zu können –, verbessert unsere Verhandlungsposition. Mit einer dritten Instanz, an die wir unsere Verantwortung abgeben können, stellen wir unser Gegenüber vor ein nahezu unüberwindbares Hindernis. Sieh selbst:
BEISPIEL. „Ich gebe Ihnen 250 Euro für das Bild.“
„Okay, einverstanden! Dann muss jetzt nur noch meine Frau zustimmen. Moment, ich rufe sie direkt mal an. … Sorry, aber meine Frau möchte das Bild nicht unter 300 Euro verkaufen. Da kann ich nichts gegen machen. Wie sieht‘s aus – können wir uns auf 300 Euro einigen? Mit meiner Frau kann man da echt nicht diskutieren.“
Was ist da passiert? Obwohl bereits ein Deal zustande gekommen war, eröffnet der Verkäufer eine zweite Verhandlungsrunde. Im Moment des Abschlusses zieht er eine dritte Instanz hinzu, die noch mal neue Verhandlungsräume eröffnet.
Diese Verhandlungstechnik der „dritten Instanz“ ist also effektiv, wenn dein Verhandlungspartner den Preis immer weitertreiben will, umgekehrt kannst du mit dieser „Alles oder nichts“-Attitüde den Preis nach deinen Wünschen gestalten. Treibst du es dabei jedoch zu weit, wird dein Gegenüber die Verhandlungen abbrechen.
So kann auch diese Technik entweder manipulativ oder uns in der Not eine Hilfe sein. Bereits in der Vorbereitung auf eine Verhandlung kannst du dir überlegen, wer deine dritte Instanz sein kann. Wenn dein Verhandlungspartner etwas am Vertrag ändern will, sagst du: „Das bekomme ich in der Rechtsabteilung nicht durch“ oder „Bei dieser Änderung kriege ich einen riesigen Ärger mit der Buchhaltung“. Als ob die Rechtsabteilung oder die Buchhaltung das letzte Wort hätten – aber wer will schon Ärger mit der Rechtsabteilung?
BEISPIEL. Wenn du mit dem Autoverkäufer den Vertrag bis ins Letzte verhandelt hast und kurz vor der Unterschrift des Kaufvertrages stehst, sagst du: „Sie haben sicher Verständnis, dass ich das noch mal abschließend mit meiner Frau besprechen möchte. Bin mir nicht sicher, ob sie bei dem Preis noch zustimmt.“ Auch wenn du tatsächlich der einzige Entscheider bist und du wirklich niemanden mehr fragen musst, kannst du dir eine dritte Instanz schaffen.
Als Chef sagst du: „Also, mich haben Sie überzeugt, das muss ich jetzt aber noch mit meinem Team besprechen. Solche Dinge entscheiden wir immer gemeinsam“ oder „Meine Schwester hat mir von diesem Modell abgeraten, ich will sie wirklich gerne noch mal um Rat fragen“.
Wenn dein Verhandlungspartner registriert, dass du nicht der einzige Entscheider, nicht die letzte Instanz bist, verbessert sich automatisch deine Verhandlungsposition. Denn nun versucht er nicht mehr nur dich zu überzeugen, sondern auch noch deine dritte Instanz. „Ich verstehe Ihren Punkt total, aber das bekomme ich intern nicht durch „Auch wenn ich selbst den Preis für vollkommen gerechtfertigt halte, müssen Sie mir schon noch etwas entgegenkommen, damit ich auch meinen Mann davon überzeugen kann. Sie wissen ja, wie das ist …“. Dein Verhandlungspartner sieht in dir jetzt nicht mehr seinen Kontrahenten, sondern wird dich fortan mehr als Berater und als Partner wahrnehmen, der ihm hilft, den eigentlichen Entscheider zu überzeugen.
Geübte Verhandler klären deshalb bereits im Vorfeld einer Verhandlung, ob alle relevanten Entscheider auch anwesend sind. Zu Beginn eines Verhandlungsgesprächs kann deshalb auch die Frage gestellt werden: „Sind denn alle jetzt am Tisch, die letztlich auch die Entscheidung treffen können?“ Solltest du in einer Verhandlung von deinem Gegenüber mit einer fremden dritten Instanz konfrontiert werden, solltest du diese Technik erkennen und eine gute Gegenstrategie parat haben. Am einfachsten reagierst du mit einer eigenen dritten Instanz. Sagt dein Verhandlungspartner „Sorry, mein Vorstand akzeptiert keinen Preis unter 500 Euro“, konterst du mit „Meine Geschäftsführung sagt, wir dürfen keinesfalls über 400 Euro gehen“.
Das Ankern gehört zweifelsohne zu den manipulativen Verhandlungstechniken. Den Grund dafür wirst du schnell erkennen. Ein sogenannter Anker ist eine bestimmte Information, die die Entscheidung unseres Gegenübers beeinflusst. In den meisten Fällen geht es in Verhandlungen um einen bestimmten Geldbetrag, wobei dieser Betrag nicht erreicht werden, sondern lediglich den Verkaufspreis in dieser Richtung beeinflussen soll.
Der Anker funktioniert dabei folgendermaßen: Gib als Erster ein Angebot ab und wähle einen höheren Betrag, als du eigentlich erreichen willst. Um wie viel höher er sein sollte, hängt von der Art der Verhandlung ab. Der Anker wirkt dann wie ein erster Eindruck, der die Erwartungen des Adressaten stark beeinflusst. In der Psychologie spricht man von „Priming“ und meint damit den von uns unbemerkten Einfluss äußerer Faktoren auf unseren Entscheidungsprozess.
Wer sein Auto verkaufen will, steigt nicht mit dem Preis in die Verkaufsverhandlungen ein, für den er es letztlich verkaufen möchte. Sondern er nennt zunächst einen höheren Betrag, um den tatsächlichen Verkaufspreis in die Höhe zu treiben. Dieser höhere Betrag ist der Anker. Dieser Effekt des Ankerns ist einer der am besten beschriebenen Effekte der Verkaufspsychologie. Er funktioniert nicht nur bei Laien, sondern auch Profis können sich von ihm nicht freimachen, selbst wenn sie den Ankereffekt kennen und bemerken. Klar, je weniger wir von einer Sache wissen, desto stärker wirkt der Anker auf uns. Doch niemand kann sich gänzlich dem Effekt des Ankers auf seine Urteilskraft entziehen.
Das gilt sogar, wenn die aufgerufene Zahl in einem falschen Kontext genannt wird: „Eine gute Freundin von mir hat für ein ähnliches Auto vor drei Jahren noch 17.000 Euro bekommen. Ich finde das ehrlich gesagt krass, dass sie das Auto für den Preis losgeworden ist. Aber sag du, was du mir für das Auto geben willst …“ – Denkst du, der andere wird dir nun 9.000 Euro vorschlagen, ohne sich schlecht zu fühlen? Selbst, wenn die Zahl direkt relativiert oder eingeschränkt wird, hat der Anker einen Effekt: „Mein Cousin sagt ja, die Wohnung ist aufgrund der Baumängel gerade mal 250.000 Euro wert. Aber wenn Sie mich fragen, hat mein Cousin keine Ahnung. Was denken Sie denn, wäre ein fairer Preis, wenn man die Mängel berücksichtigt?“
Marketing und Werbung setzen die Ankertechnik alltäglich ein, zum Beispiel in Rabattaktionen und bei Aktionstagen: „Nur heute für 99 Euro statt 399 Euro.“ Eine besonders extreme Form des Ankerns ist als „Dead Dog on the Table“ bekannt. Dabei macht ein Verhandlungspartner ein unverschämt schlechtes Angebot und verteidigt es, ohne auch nur ein klitzekleines Stück davon abzurücken. Kurz bevor die Verhandlung scheitert, macht er ein realistischeres Angebot, das zwar immer noch viel zu hoch ist, aber als starkes Entgegenkommen wirkt. Schlägt der Verhandlungspartner sofort ein, wird er zwar den Deal für sich als Erfolg verbuchen, aber eigentlich wurde er über den Tisch gezogen.
Im Alltag wirst du dagegen eher mildere Formen des Ankerns vorfinden. Wenn du um ein neues Fahrrad verhandeln möchtest und der Kaufpreis liegt bei 2.900 Euro, solltest du nicht mit 700 Euro einsteigen. Der Händler wird dich als unseriös einstufen und erkennen, dass er mit dir nicht weiter zu verhandeln braucht, weil er Verlust machen würde. Daher begegnen dir in alltäglichen Verhandlungen wie auf eBay-Kleinanzeigen oder auf Flohmärkten vorrangig Anker, die 20 bis 30 Prozent über oder unter dem Durchschnittswert oder einem realistischen Angebot liegen.
Nennt nun in einer Verhandlung dein Verhandlungspartner einen absurd hohen oder niedrigen Betrag, lass dich zunächst nicht darauf ein, denn er versucht einen Anker zu setzen. Auf keinen Fall solltest du den Anker des anderen zusätzlich verstärken, indem du etwa den Preis wiederholst. „Was? Sie wollen 1.000 Euro? Wirklich 1.000 Euro? Das ist viel zu viel.“ Indem du den Anker wiederholst, bestätigst und festigst du ihn. Ignorier stattdessen den Anker oder lehn ihn kurz und schlicht ab. Wenn du nicht ausweichen kannst und der andere dich auf den Anker festnageln möchte, reagier mit einem Gegenanker, der nach Möglichkeit stärker in einen Kontext eingebunden, also stärker „verankert“ ist als der erste.
BEISPIEL. Sagt der Immobilienmakler „Letzte Woche habe ich eine 3-Zimmer-Wohnung wie diese für 360.000 Euro verkauft. Das sind 16 Prozent über dem Marktpreis!“, antwortest du spontan: „Ja, da sehen Sie mal, wie verrückt der Markt doch ist. Vor vier Monaten habe ich eine vergleichbare Wohnung für 250.000 Euro gekauft, das sind immerhin fast 20 Prozent unter dem Marktpreis.“
Aber nicht zwingend ist ein Gegenanker die einzige erfolgversprechende Reaktion. Ebenso kannst du nach den Bedingungen, Faktoren oder Kriterien fragen, die dein Gegenüber zu dem Preisvorschlag bringen. Damit führst du die Verhandlung wieder auf eine kriteriengeleitete Ebene und kannst den Anker mindestens teilweise entkräften. Kommst du aktuell nicht gegen den Anker an, kannst du dir Bedenkzeit nehmen und die Verhandlung vertagen, um über den Preis nachzudenken und um möglicherweise neue Argumente zu finden.
FAZIT. Nicht alle Verhandlungstechniken sind manipulativ. Und natürlich ist es in Ordnung, deine Vorteile zu nutzen. Beim Einsatz der verschiedenen hier aufgeführten Techniken solltest du dich immer fragen, ob sie ausschließlich zu deinem Vorteil und gleichzeitig zum Nachteil des anderen führen sollen oder ob beide gute Möglichkeiten haben, für sich das Beste rauszuholen. Solange du in eine Verhandlung gehst mit dem Ziel, für beide Seiten einen guten Deal zu ermöglichen, bist du auf der richtigen Seite. Und wenn du in der Verhandlung von deinem Verhandlungspartner mit manipulativen Techniken konfrontiert wirst, versuch, souverän damit umzugehen und die Technik offenzulegen. Mit einem gezielten und professionellen Umgang mit diesen Techniken wirst du in Verhandlungen für dich und für deinen Verhandlungspartner ab sofort immer das Beste herausholen.
Was kann ich tun, um einen anderen Menschen zu überzeugen? In diesem Kapitel haben wir uns mit Argumentations- und Überzeugungstechniken beschäftigt. Dabei habe ich dir mit der Statement-Technik und die MVN-Technik zwei Möglichkeiten gezeigt, wie du eine Meinung, eine Haltung, ein Anliegen strukturiert und überzeugend auf den Punkt bringen kannst. Diese Techniken gilt es nun zu üben und in die tägliche Praxis zu übernehmen. Zudem haben wir erarbeitet, wie unglaublich wirkungsvoll Geschichten und Storys auf uns wirken. Die Bedeutung von Storytelling für Überzeugungsprozesse jeder Art kann wohl kaum unterschätzt werden. Denn Geschichten prägen unser Denken und unsere Überzeugungen in jedem Alter und in jeder Lebenslage. Indem du Geschichten erzählst, sammelst und weiterentwickelst, verbesserst du deine Fähigkeiten als Geschichtenerzähler. Abschließend haben wir uns in diesem Kapitel mit Verhandlungstechniken beschäftigt. Sie dienen, anders als Argumentationstechniken, nicht der Überzeugung des Adressaten, sondern sollen dabei helfen, einen Interessenausgleich und möglichst eine Win-win-Situation herzustellen. All diese Modelle und Techniken, die du in diesem Kapitel kennengelernt hast, werden dir in der Summe dabei helfen, in schwierigen Gesprächen und Verhandlungen künftig noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich nun mit Gesprächsführung und vermittelt dir die wichtigsten Tools und Methoden für tägliche und für besonders herausfordernde Gespräche.