Die Hacienda

Wenn in den kleinen Dörfern gemeinsam die Ernte eingebracht wird, spenden die Grundbesitzer chicha und große Schüsseln voll scharf gewürzter Speisen. Sie ziehen an Festtagen über Straßen und Plätze, singen huaynos und tanzen. Werktags tragen sie alte Gamaschen, Kleider aus billigem Tuch und um den Hals einen Schal aus Vicuña- oder Alpaca-Wolle. Sie reiten schwere Pferde, tragen Sporen aus Bronze, und über dem Sattel liegt immer ein Schafsfell. Sie überwachen die Indios genau, und wenn sie mehr von ihnen wollen, als im allgemeinen für gerecht gehalten wird, schlagen sie sie ins Gesicht, prügeln und treten sie und bringen sie eigenhändig ins Gefängnis. An Festtagen oder wenn sie die Hauptstadt der Provinz besuchen, tragen sie Anzüge aus feinstem Wollstoff, schwingen sich auf silberverzierte Sättel, die mit ganzen Teppichen aus Fellen belegt sind, gebrauchen Steigbügel mit breiten Metallhauben und Sporen mit großen eisernen Haspeln. Sie scheinen sich verwandelt zu haben; sie überqueren den Platz im Galopp, lassen die Pferde tänzeln und fuchteln mit den Armen. Wenn sie sich in diesem Aufzug betrinken, stoßen sie die Sporen in die Leiber der Pferde, bis diese wund sind. Bügel und Sporen sind blutigrot. Sie galoppieren durch die Straßen und zügeln hart an den Ecken die Pferde. Die Tiere rutschen auf dem Pflaster aus, und der Reiter zwingt sie, rückwärts zu gehen. Manchmal bleiben die Pferde stehen und bäumen sich auf, doch dann dringen die Sporen noch tiefer in die Wunden, und die Zügel werden grausam angezogen; der Reiter verlangt viel, denn sein Stolz quält ihn. In Gruppen schauen die Leute zu. Nur selten gelingt es einem Pferd, durchzugehen und über die Felder zu entfliehen; dann schleift es den Reiter auf dem holprigen Boden hinter sich her.

Die Indios kennen die Häuser der Grundbesitzer sehr genau. Diese schlafen in alten Betten aus Bronze mit vergoldetem Baldachin. Jedes Haus hat einen großen Patio und einen Hof für das Vieh, eine Galerie, eine Vorrats- und eine Kornkammer, einen großen, mit Holzbänken und alten Sesseln möblierten Raum, eine Küche, die immer weit entfernt auf der anderen Seite des Patios liegt, denn dort essen die Landarbeiter, die indianischen peones. Der Gutsbesitzer trägt sein Scherflein zum religiösen Fest des alferado und zur mayordomía bei. Er darf nicht weniger großzügig sein als ein Indio, wenn er etwas auf seine Ehre gibt.

Abancay war von der Hacienda Patibamba umgeben. Von Süden nach Norden, von einem Gipfel bis zum anderen gehörte das ganze Tal den Großgrundbesitzern.

Der Park von Patibamba war schöner und größer als die Plaza de Armas in Abancay. Dichtbelaubte Bäume warfen ihren Schatten über die Steinbänke. Rosensträucher und Lilien wuchsen an den mit Steinen gepflasterten Wegen. Das Haus hatte weiße Bogen, eine stille Galerie mit glänzenden Fliesen und große Fenster mit geschmiedeten Gittern. Der Gemüsegarten der Hacienda verlor sich in der Ferne, dort waren die Wege mit Blumen und Kaffeesträuchern gesäumt. In einer Ecke des Parks stand ein großer Vogelkäfig, dessen Dach bis zu den Wipfeln der Bäume reichte. Er hatte mehrere Stockwerke, und in ihm lebten Dutzende von Distelfinken, Lerchen und anderen Vögeln. Eine weißgetünchte Mauer umgab das Herrschaftshaus, den Torbogen schützte ein eisernes Gitter.

Der Besitzer und seine Familie lebten allein in der riesigen Villa. Ich betrachtete sie oft durch das Gitter, immer waren der Park und die Galerie still und verlassen. Gewöhnliche Schmetterlinge mit roten Flügeln und schwarzen Flecken schaukelten von Blume zu Blume und flogen bis in die hohen Äste der pisonayes. Nur ein einziges Mal vernahm ich den Klang eines Klaviers – jemand spielte im Innern des Hauses, doch die Musik schien in dem Garten voller Obstbäume zu erklingen, der das Haus umgab.

Ein breiter Durchgang verband das Wohnhaus mit der Fabrik und den Hütten der indianischen colonos. Kaum ein paar Schritte vom Herrenhaus entfernt war der Boden mit Zuckerrohrresten übersät. Die Fabrik stand auf einem gepflasterten Hof. Im Lauf der vielen Jahre hatten sich die Abfälle zu einem hohen, weichen Berg aufgetürmt, der sich nun zwischen den Hütten der Indios verlief und einen Streifen Gras zuzudecken begann.

Im Sommer brennt die Sonne auf den trockenen Honig, auf die weißen Reste des gemahlenen Zuckerrohres herab. Dann fällt Regen, die Reste gären, riechen nach Branntwein, und ganze Schwaden ziehen über die Hütten. Diese sind niedrig, die Wände bestehen aus schmalen Lehmziegeln, die Dächer aus Zuckerrohrblättern, alles ist armselig und staubig. Die Indios und ihre Frauen sprechen nicht mit Fremden.

»Jampuyki mamaya, ich will zu dir, madrecita«, rief ich an manchen Türen.

»Manán, ama rimawaychu, ich will nicht, sprich nicht mit mir«, antwortete man mir.

Sie sahen aus wie der Pongo des Alten. Schwärzlicher Schweiß lief ihnen vom Kopf über den Hals, und sie waren noch schmutziger, wenn sie sich vom staubigen Boden der Hütten oder der Fabrik zwischen Wolken von Moskitos und Wespen erhoben, die zwischen den Resten des Zuckerrohrs summten. Sie trugen alle Hüte aus Wolle, die von Schweiß und Alter filzig waren.

»Señoray, rimakusk’ayki, laß mich mit dir sprechen, Señora.« Ich blieb hartnäckig und versuchte oft, irgendein Haus zu betreten. Aber die Frauen betrachteten mich ängstlich und mißtrauisch. Sie verstanden nicht einmal mehr die Sprache der ayllus; sie hatten sie völlig vergessen und merkten nicht, daß ich in den Worten und im Ton der comuneros zu ihnen sprach.

Und ich mußte in die Stadt zurück! Betäubt und verloren irrte ich über die glühenden Wege des Tals, die auf die Zuckerrohrfelder führen. Bei Einbruch der Dämmerung, wenn nur noch die Gipfel in Licht getaucht sind, erreichte ich Abancay. Dann hatte ich Angst, daß ich die Leute nicht mehr erkennen oder diese vorgeben würden, mich nicht mehr zu kennen. Wenn der Pater Rektor sah, wie ich über und über mit Staub und Erde bedeckt den Patio der Schule betrat, nannte er mich einen »Verrückten« oder einen »dummen Vagabunden«. Tagelang konnte ich weder spielen noch behalten, was ich lernte. Nachts stand ich auf und beschloß, davonzulaufen, meine Kleider in ein Bündel zu packen, noch in der Nacht den Pachachaca zu überqueren, das andere Ufer zu erreichen und als freier Mensch über die Puna bis nach Chalhuanca zu gehen. Aber es gelang mir schließlich, den Entschluß meines Vaters zu achten, und ich wartete; ich sah alles, dachte über alles nach und prägte es meinem Gedächtnis ein.

In diesen Tagen der Verwirrung und Unruhe fiel mir der Abschiedsgesang wieder ein, den mir die Frauen jenes ayllu widmeten, in dem ich als Flüchtling lebte, als man meinen Vater verfolgte.

Auf der Flucht vor grausamen Verwandten bat ich um Obdach in einem ayllu, dessen Bewohner in dem kleinsten und fröhlichsten Tal, das ich je gesehen habe, Mais anpflanzten. Dornbüsche voll brennend roter Blüten leuchteten, und der Gesang der Wildtauben schwebte über den Maisfeldern. Die Familienoberhäupter und die Señoras, die mamakunas der Gemeinde, beschützten mich und lehrten mich die große Zärtlichkeit, die Sanftheit, in der ich lebe.

Als die Politiker meinen Vater nicht mehr verfolgten, suchte er mich im Haus der Verwandten, bei denen er mich zurückgelassen hatte. Mit dem Kolben seines Revolvers schlug er dem Familienvorstand den Schädel ein und stieg danach ins Tal hinunter. Er betrank sich mit den Indios und tanzte viele Tage mit ihnen. Er bat den Vikar, eine feierliche Messe in der Kapelle des ayllu zu zelebrieren. Danach, unter dem Knallen der Feuerwerkskörper und dem Läuten der Glocken, umarmte mein Vater die Alkalden der Gemeinde – Pablo Maywa und Victor Pusa – in der Vorhalle der Kirche. Einen Augenblick später bestiegen wir auf dem Platz unsere Pferde und machten uns auf die lange Reise. Wir verließen das kleine Dorf und ritten den Hang hinauf. Die Frauen sangen das Abschiedslied:

Vergiß uns nicht, mein Kleiner,

vergiß uns nicht!

Weißer Hügel,

hilf, daß er zurückkommt;

Wasser des Berges, Quelle der Pampa,

niemals soll er verdursten.

Falke, nimm ihn auf deine Flügel

und bring ihn zurück.

Ewiger Schnee, Vater des Schnees,

verletz ihn nicht auf seinem Weg.

Böser Wind,

rühr ihn nicht an.

Regen und Sturm, trefft ihn nicht.

Nein, Abgrund, entsetzlicher Abgrund,

überrasche ihn nicht.

Komm zurück, mein Sohn,

komm zurück.

»Weine nur! Weine, mein Sohn, denn wenn du nicht weinst, wird dein Herz zerspringen«, sagte mein Vater, als er sah, daß ich die Augen zukniff und schweigend weiterritt.

Und seitdem sind wir auf Reisen gewesen. Von Dorf zu Dorf, von Provinz zu Provinz, bis wir in dieses tiefste aller Täler mit seinen Lehen, seinen Leibeigenen und seinen Zuckerrohrfeldern kamen. Mein Vater verließ Abancay zu früh – als er die Hölle dieser Stadt entdeckte, als mich Haß und Trostlosigkeit von neuem befielen.

Die Großgrundbesitzer kamen nur ins Colegio, um den Pater Rektor zu besuchen. Sie schritten über den Hof, ohne jemanden eines Blickes zu würdigen.

»Der Herr von Auquibamba«, sagten die Internen.

»Der Herr von Pati!«

»Der Herr von Yaca!«

Es schien, als zählten sie die Namen der großen Sterne auf.

Der Pater Rektor pflegte Messen in den Kapellen der Güter zu lesen. Doch an bestimmten Sonntagen kamen die Grundbesitzer nach Abancay. Dann wurde in der Kirche gepredigt und gesungen.

Der Pater Rektor begann seine Predigten immer in sanftem Ton. Mit bewegten Worten pries er die Jungfrau Maria; seine Stimme klang angenehm und leise, doch bald erregte er sich. Er haßte Chile,1 und er fand immer einen Weg, um vom religiösen Thema abzuschweifen und das Lob des Vaterlandes und seiner Helden zu singen. Er predigte den zukünftigen Krieg gegen die Chilenen. Er rief die Jünglinge und die Kinder auf, bereit zu sein und niemals ihre höchste Pflicht, die Rache, zu vergessen. Und erst in diesem Zustand heftigster Erregung erinnerte er die Menschen an ihre übrigen Pflichten. Er lobte die Großgrundbesitzer und nannte sie das Fundament des Vaterlandes, die Säulen seines Reichtums. Er pries die Frömmigkeit der großen Herren und die Sorgfalt, mit der sie die Kapellen in ihren Gütern instandhielten; er lobte sie dafür, daß sie die Indios zur Beichte und zum Abendmahl anhielten, daß sie sie zur Ehe, zum Frieden und zur demütigen Arbeit zwangen. Dann senkte er seine Stimme wieder und sprach über irgendeine Stelle der Passionsgeschichte.

Nach der Messe erwarteten ihn die Mitglieder der Behörden und die Grundbesitzer am Kirchenportal; sie standen um ihn herum und begleiteten ihn in die Schule zurück.

An diesen Sonntagen aß der Pater Rektor mit den Internen zu Mittag; er saß am Kopfende des Tisches und schaute uns gütig an. Er strahlte vor Glück, machte Späße und lachte. Er hatte ein rosiges Gesicht und eine scharfe Nase; die dichten weißen, nach hinten gekämmten Haare verliehen ihm trotz seines Alters ein schneidiges eindrucksvolles Aussehen. Die Frauen bewunderten ihn, die Jünglinge und die Männer hielten ihn für einen Heiligen, und die Indios der Haciendas sahen in ihm ein überirdisches Wesen. In meinen Träumen erschien er mir als vieldeutige Gestalt: Einmal sah ich ihn als Fisch mit wedelndem gegabeltem Schwanz, der in den ruhigen Wassern zwischen den Algen umherschwamm und die kleinen Fische verfolgte, die sich am Ufer unter den Wasserpflanzen versteckten; ein andermal sah ich ihn als Don Pablo Maywa, den Indio, den ich am meisten geliebt und der mich am Rand der großen Maisfelder an seine Brust gedrückt hatte.