Zunächst sah Bauman niemanden; er erhielt auch keine Antwort auf sein Rufen. Als er vortrat und erneut rief, fiel sein Blick auf die Leiche seines Freundes, der ausgestreckt neben dem Stamm einer großen umgestürzten Fichte lag. Der entsetzte Trapper eilte hin und stellte fest, dass der Körper noch warm war, das Genick jedoch gebrochen war und sich im Hals vier große Fangzahnspuren befanden.
Die Fußspuren eines unbekannten Tieres, tief in den weichen Boden gedrückt, erzählten die ganze Geschichte.
Nachdem der unglückselige Mann mit dem Packen fertig war, hatte er sich mit dem Gesicht zum Feuer und dem Rücken zum dichten Wald auf den Fichtenstamm gesetzt, um auf seinen Begleiter zu warten. Während er wartete, näherte sich sein monströser Angreifer, der in der Nähe im Wald gelauert und auf die Gelegenheit gewartet haben musste, einen der Abenteurer unvorbereitet zu erwischen, lautlos von hinten. Er ging mit großen, geräuschlosen Schritten und dem Anschein nach auf zwei Beinen. Offensichtlich ungehört erreichte er den Mann und brach ihm das Genick – indem er seinen Kopf mit den Vorderpfoten nach hinten riss –, während er die Zähne in seinem Hals vergrub. Er hatte den Körper nicht gefressen, war aber anscheinend in ungehobelter, wilder Freude um ihn herumgetobt und -getanzt und hatte sich ein paar Mal auf ihm gewälzt; und dann war er zurück in die lautlosen Tiefen des Waldes geflohen.
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Präsident Theodore Roosevelt, Jagden in amerikanischer Wildnis
14. Tagebucheintrag
12. Oktober
Was ich getan habe, war verantwortungslos. Egoistisch. Und dumm.
Ich wusste, dass es falsch war, sonst hätte ich es jemandem erzählt. Bobbi schlief. Reinhardt wahrscheinlich auch, beobachtet von Effie. Ich hatte gesehen, wie sie Carmen ablöste, die wieder mit Pal Pflöcke schneiden ging. Ich nahm an, dass Dan und Mostar das Gleiche taten. Niemand sah mich aus dem Haus der Boothes schlüpfen, und ich schaffte es, ein Viertel des Wegs zum Kamm zurückzulegen, bis ich hörte: »Warte!«
Dan eilte hinter mir her, in der einen Hand den Speer, in der anderen einen Wurfspieß. Er benutzte sie wie Wanderstöcke und kam doppelt so schnell voran wie ich. Sein gerötetes Gesicht, diese verbissene Entschlossenheit. Ich drehte mich zu ihm um und war bereit für die Auseinandersetzung:
»Nein, Dan! Nein, du kannst mich nicht aufhalten! Ich werde Vincent finden, und du kannst nichts dagegen tun! Nicht das Geringste. Du hast mich die längste Zeit zurückgehalten, und ich habe dich die längste Zeit babygesittet. Nein, nein, halt den Mund! Ich sage dir, was passieren wird. Ich werde Vincent finden, während du deinen Arsch umdrehst und dich nützlich machst, bis ich zurück bin.«
Wäre das nicht eine großartige Rede gewesen? Die Worte waren bereits in meinem Kopf, waren vermutlich schon seit Jahren in der einen oder anderen Form abgespeichert. Aber sie bekamen nie die Gelegenheit, ausgesprochen zu werden, denn als ich die Hand hob, um Dan zu stoppen, drückte er mir den Speer in diese offene Hand und stapfte einfach an mir vorbei. Ich starrte einen Moment lang seinen Rücken an, bevor er sich umdrehte und mir seine freie Hand reichte. Und so marschierten wir dahin. Hand in Hand, uns gegenseitig unterstützend. Wanderten den Weg hinauf, wie ich es mir von Tag eins an erträumt hatte.
Typisch.
Wir hörten nichts, sahen keine Bewegung. Ich konnte nicht umhin zu hoffen, dass sie vielleicht wirklich nachtaktiv waren. Dass sie glückselig schliefen. Satt.
Wir schafften es bis auf halbe Höhe, bevor Fußabdrücke unseren Weg kreuzten. Die Spuren der letzten Nacht. Der Kundschafter, der eine gerade Linie von den Häusern bis auf den Kamm hinauf gezogen hatte. Dort hatte vielleicht die andere gestanden, das Alpha-Weibchen. Sie hatte dort ein Wirrwarr von Abdrücken hinterlassen. Und Blut. Es hatte Kügelchen in der Asche gebildet, war an Bäume gespritzt. Weitere rote Flecken lotsten uns auf der anderen Seite den Hang hinunter. Es ging langsam voran. Dort gibt es keinen Pfad. Keinen natürlichen. Sie war durch das Blattwerk geprescht und hatte eine Schneise blutiger, abgebrochener Äste hinterlassen.
Diese abgebrochenen Äste stachen uns bei jedem Fehltritt in die Seite. Der Boden war weich, schwammig. Die Sicht gleich Null. Und kein Geräusch, außer meinem eigenen Herzschlag. Der Weg schlängelte sich um eine große Kiefer, hinter der sich, wie wir jetzt bemerkten, eine kleine Lichtung verbarg.
Knochen. Fragmente. Sie waren überall. Inmitten von Asche und Schlamm. Zu viele, um von nur einem Tier zu stammen. Mit Fellstücken und abgetrennten Hufen. Das Reh, das wir gesehen hatten? Und vielleicht noch weitere, die wir nicht gesehen hatten? Ich erkannte die wenigen blutigen Steine, die zum Schlachten verwendet worden waren. Aber diese neuen Haufen? Jeder war ungefähr dreißig Zentimeter hoch und sechzig breit. Alle Felsbrocken sahen makellos aus und waren ungefähr so groß wie diejenigen, die sie auf uns geworfen hatten. Ein Vorratslager für das nächste Bombardement? Wenn sie schlau genug sind, um so vorauszuplanen, was können sie dann noch?
Während wir langsam zwischen den Steinen und Knochen umhergingen, nahm ich nach und nach einzelne »Inseln« wahr, Blätter, Moos, vollständige, mit den Wurzeln herausgerissene Farne, die in die Erde gedrückt und mit den langen, groben Fasern vermischt waren, welche ich jetzt als Haare identifizierte. Schlafmatten? Der Gestank, schlimmer als je zuvor. Anders. Dan zog an meiner Hand und machte mich auf mehrere kleine braune Haufen am Rand der Lichtung aufmerksam. Kot? Wie bezeichnet man einen solchen Ort? Als Nest? Als Lager?
Dan senkte die Hand und deutete auf etwas direkt unterhalb des nächsten Haufens, auf einen langen, dünnen Gegenstand, der im trüben Licht glänzte. Wir brauchten uns ihm nicht weiter zu nähern. Es
handelte sich um einen von Vincents Wanderstöcken.
Dann bewegten sich die Bäume vor uns.
Er war groß, vielleicht handelte es sich um den Ersten, den ich gesehen hatte. In jener Nacht an der Küchentür. Er war breit, muskulös, aber ihm fehlten Alphas Narben.
Seine Augen wanderten zwischen uns beiden hin und her. Sein Knurren, tief, gierig.
Dan trat als Erster den Rückzug an, richtete sich langsam auf und zog mich sanft zurück.
Das große Männchen senkte den Kopf, knurrte erneut und machte einen vorsichtigen Schritt auf uns zu, als der Wald um ihn herum plötzlich lebendig wurde. Sie waren die ganze Zeit in unmittelbarer Nähe gewesen! Sie alle!
Ich schließe jetzt die Augen und versuche, mir jeden von ihnen vorzustellen. Und vielleicht ist es albern, ihnen Namen zu geben, aber so arbeitet mein Verstand automatisch.
Die beiden kleineren, jüngeren Brüder vom Kampf um den Kompostbehälter, Zwilling Eins und Zwilling Zwei, flankieren ihren, was, Vater? Das erste Männchen. Alphas Partner? Wie lautet die Bezeichnung für Prinz Philip in der Serie The Crown
? »Prinzgemahl«? Und zu seiner Rechten befand sich der dünne, große Kundschafter mit dem älteren Männchen »Gray« zwischen ihm und dem alten Weibchen, »Granny Dowager«, ganz außen.
Das Weibchen links war jung, eine Jugendliche, glaube ich. Sie war diejenige, die ich durchs Gestrüpp hatte laufen sehen. Diejenige mit dem helleren, rötlichen Fell. Es schien sie zu umfließen, weich und glänzend. Die »Prinzessin«. Und zu ihrer Linken ein weiteres Weibchen, älter, größer, noch mit roten Flecken im weichen Fell, aber mit einem aufgeblähten Bauch, den sie in einem Arm wiegte. Schwanger? »Juno«.
Und das junge Männchen zu ihrer Linken hielt ich anfangs gar nicht für ein Männchen. Seine Hoden hatten sich noch nicht gesenkt und hingen kaum aus dem Fell zwischen seinen Beinen heraus. Alles an ihm war jung; sein hektisches Hüpfen, sein helles Schnattern, seine ständigen schnellen Blicke über die Schulter. Wartete er? Rief er die drei Silhouetten, die sich hinter Prinzgemahl auftürmten?
Zwei Weibchen, ein altes und ein junges, die beide Fellknäuel in den Armen hielten. Babys. Zwei Mütter, gebeugt, zögerlich, die ihr
folgten.
Alpha.
Das Rudel schien Platz zu machen, als sie sich näherte, sogar Prinzgemahl, der auf den Boden starrte, als sie an ihm vorbeiging. Kein Knurren von ihr. Kein Schnattern. Sie näherte sich lautlos, angepasst an unseren langsamen Rückzug den Hang hinauf, von der Lichtung zurück auf den Kamm.
Affen. Das ist das Bild, das ich nicht aus dem Kopf bekomme, die kleinen Affen im Zoo mit ihren großen, hin und her huschenden Augen. Das waren wir, die versuchten, in alle Richtungen gleichzeitig zu schauen. Nach vorne zu dem vorrückenden Rudel, hinunter zu den Steinhaufen zu unseren Füßen, nach links und rechts zu dem sich allmählich schließenden Ring und nach hinten zum offenen, sich verengenden Fluchtkorridor.
Sie versuchten, uns zu umzingeln, uns den Weg abzuschneiden. Das muss Dan veranlasst haben, das Tempo zu steigern. Ich spürte seinen Griff, der sich fester um mein Handgelenk schloss, und das Ziehen, als ich Alpha in die Augen blickte. Sie verzog die Lippen, ihr Unterkiefer klappte herunter.
Ihr Brüllen – ich spürte die Wärme, roch den Gestank – brachte das Rudel zur Raserei. Sie sprangen, tanzten, warfen zu gellenden Schreien die Arme hoch. Ich dachte nicht darüber nach, was ich tat, sondern hob nur den Arm, als sie eine gesichtsgroße Hand nach uns ausstreckte. Ich weiß nicht, ob die Klinge des Speers ihr eine tiefe Schnittwunde zufügte oder ob sie sich nur um ihre sich schließenden Finger bog. Ihr Griff, der brutale, harte Ruck. Ich spüre immer noch die Schürfwunde auf meiner Haut, die entstand, als sie mir den Speer aus der Hand riss und ihn über unsere Köpfe schleuderte.
Dann drehte sich Dan um und schwang seinen Speer. Er stieß damit in die Luft, stocherte harmlos herum. Alpha war das egal. Sie wich den Stößen durch schnelles Abtauchen mit ihrem halslosen Kopf aus. Sie versuchte sogar, den Speer zu packen, ließ die Arme herabsausen und drängte Dan zurück. Diese neuen Laute, ein kurzes Bellen. Lachte sie?
Ich schaute hinter uns und sah, wie sich der Ring schloss. Dann richtete ich den Blick wieder auf Alpha, die Dans Speer schließlich zu fassen bekam. Ich sehe es jetzt in Zeitlupe: eine Hand am Speer, die andere, zur Faust geballt, hoch erhoben. Der Mund öffnete sich, als sich das riesige Gesicht vorbeugte.
Glühende Augen.
Zwei flackernde Perlen.
Keine Halluzination. Sie brannten. Reflektierten.
»Zurück!«
Sie ließ den Speer los, wich abrupt zurück, als sich die Flammen den Weg zwischen mir und Dan hindurchbahnten.
»Los, zurück!«
Mostar preschte zwischen uns, eine Stange mit Feuerballspitze schwenkend.
»Goniteseupichkumaterinu!
«
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Mostars Sprache. Und ihre. Fremdsprachige Wörter vermischt mit gutturalen, animalischen Lauten. Sie knurrte, sie bellte, sie spuckte ein schrilles, zischendes Gebrüll aus, während sich das Rudel mit abgehackten, angstvollen Schreien zurückzog.
Verängstigt.
Sogar Alpha, zurückhaltend. Hängende Arme, hochgezogene Schultern. Der Kopf nach einer Öffnung tauchend, begleitet von leisen, gackernden Lauten.
Mostar gackerte zurück, was sich anhörte wie: »Mrsch! Mrsch!
«
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Dann »Pichko jedna!
«
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, als sie nach vorne sprang und Alpha zurückdrängte, ihre Fackel schwingend, die ich jetzt als brennendes, mit einem Stromkabel umwickeltes Handtuch erkannte. Ich sah auch, dass es anfing zu erlöschen, dass die Flammen Rauch Platz machten.
»J’ebemlitikrv!
«
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, bellte Mostar, als sie die Fackel in hohem Bogen auf die zurückweichende Alpha schleuderte. Dann zu uns: »Lauft!«
Der Ring hatte sich geöffnet, der Hang war frei. Dan und ich rannten los, stolperten auf dem schlammigen Boden nach oben.
»Mostar!«, rief Dan, und ich drehte mich um.
Sie war direkt hinter uns und winkte: »Lauft!«
Und da kamen sie, sprangen hin und her. Immer noch vorsichtig? Fragten sie sich, ob wir noch mehr Feuer hatten? Alpha wich nicht von der Stelle und bückte sich, um etwas aufzuheben. Als ich mich wieder umdrehte, um zu sehen, wohin ich lief, schlug der erste Felsbrocken neben mir in einem Baum ein.
Das Dickicht. Es stand einer ungehinderten Flucht im Weg, aber auch einer freien Wurfbahn. Das Krachen von Felsbrocken, die Äste trafen
und gegen den Pfad versperrende Stämme prallten. Das Schmatzen eines melonengroßen Steins, der unmittelbar vor mir im Schlamm landete.
»Zick!«, schrie Mostar hinter uns, was ich zuerst für ein fremdsprachiges Wort hielt.
»Zickzack!« schrie sie, dann ahh
nach einem Treffer. Ein Streifwurf, wie ich später herausfand, wie derjenige, der Dan traf. Letzteren sah ich, als er in flachem Winkel seine Schulter streifte, aber mit solcher Wucht, dass Dan das Gleichgewicht verlor. Er drehte sich und stolperte. Ich hielt seinen Fall auf, zerrte ihn hoch, zog ihn die letzten Meter hinter mir her.
Wir konnten die Kammlinie sehen. Hinauf und darüber, nur noch ein paar Schritte. Der Moment, in dem ich die Siedlung erblickte, den Abhang: Erleichterung. Ich erinnere mich an das berauschende Gefühl. Dann der Aufprall. Der Schlag zwischen meine Schulterblätter. Er raubte mir den Atem. Ließ mich nach vorne fallen. Jetzt war Dan an der Reihe, mich aufzufangen, und Mostar trieb uns beide an. »Nicht stehen bleiben! Nicht stehen bleiben!«
Ich raste den Abhang hinunter, gab mir Mühe, dabei nicht auszurutschen, gab mir Mühe, den Gegenstand zu ignorieren, der mich getroffen hatte. Er rollte immer noch den Hang vor uns hinunter. Schwarz und braun, schwarz und braun. Haare und Gesicht. Vincent Boothes Kopf.
Hinunter zum nächsten Haus, dem der Perkins-Forsters. Die offene Küchentür, winkende Arme. Carmen und Pal. »Los! Los!«
Hinein und weiter, ich kauerte mich hinter der Küchentheke auf den Fußboden. Schwindelig, mit brennender Lunge. Kleine Arme umklammerten mich, ein warmes Gesicht drückte sich gegen meinen Bauch. Als ich die Augen öffnete, blickte ich auf Pals Kopf und dann zu Dan, der seinen Speer hielt und wartete.
Sie kamen nicht. Sie näherten sich nicht einmal. Sie nahmen nicht einmal das Haus unter Beschuss. Nur ihre Klagelaute waren aus der Ferne zu hören.
»Das Feuer.« Mostar schnaufte mit geschlossenen Augen. »Sie haben … immer noch … Angst davor.«
»Können wir Lagerfeuer machen?«, fragte Carmen und warf einen Blick über die Theke zur Tür. »Um das Dorf herum?«
»Kein … Brennholz.« Mostar kämpfte sich auf die Beine, indem sie sich an der Theke hochzog. »Zu nass … die Bäume …« Noch ein tiefer Atemzug, um die Kontrolle zurückzugewinnen. »Vielleicht … haben wir noch etwas Zeit und können die Pflöcke fertigmachen, bevor sie den Schock überwinden. Und wir können auch Fackeln anfertigen, falls wir welche brauchen. Noch mehr Waffen.«
Inzwischen konnte ich wieder klar denken, und mein Adrenalinspiegel fiel ab.
Ich bewegte mich leicht und signalisierte Pal, ein Stück wegzurutschen. Sie griff nach meiner Hand, und wir standen gemeinsam auf. Ihre Augen blickten in meine. »Mir geht’s gut«, ich strich ihr übers Haar, »alles okay.« Dann ging ich zu Mostar, die immer noch die Tür fixierte.
Ich streckte die Hand aus, um ihre Schulter zu berühren. Rieb sie sanft. »Danke.«
Und als sie sich umdrehte: eine harte, laute Ohrfeige, die mich zur Seite warf.
»Was haben Sie sich dabei gedacht!«
Ich fasste mir an die Wange und starrte sie an.
»Haben Sie überhaupt nachgedacht?« Bevor ich antworten konnte: »Einer von Ihnen beiden?« Und noch eine harte Ohrfeige, nach oben, auf Dans Kinn. »Kinder!«
Dan, weiß, zitternd: »W… wir …«
Sie brachte ihn mit einem Finger zum Schweigen. »Sie! Sie helfen mit, die Pflöcke fertigzustellen.« Der Finger schwenkte zu Carmen und Pal. »Bleiben Sie bei ihnen. Bleiben Sie zusammen!«
Ich zuckte, als sie mich ansah, und drehte mich weg, um meine anschwellende Wange zu schützen. »Und Sie, Sie kommen mit mir. Und zwar jetzt!«
Ich folgte Mostar zur Küchentür und blieb stehen, während sie einen prüfenden Blick hinauf zum Kamm warf, wo jetzt alles ruhig war. Sie hatten sich auf die andere Seite zurückgezogen. Mostars Blick wanderte langsam vom Garten der Perkins-Forsters zu dem der Boothes. Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, wonach sie suchte. Vincents Kopf lag am Fuß des Abhangs in der grabenartigen Vertiefung um einen der Apfelbäume. Er starrte uns direkt an. Augen und Mund weit offen. Als wäre die Zeit stehen geblieben? Sein letzter Ausdruck? Angst?
Bedauern? Dachte er an Bobbi oder an seine Kindheit? Verfluchte er sich selbst, weil er eine so schreckliche Entscheidung getroffen hatte, so wie ich mich für meine verfluchte? Dieses Gesicht. Werde ich es jemals vergessen? Mit genug Zeit und Therapie? Mit Hypnose oder einem Medikament, von dem ich noch nie gehört habe? Gibt es etwas, das mir hilft, es »ungesehen« zu machen?
Mostar hingegen schien es überhaupt nichts auszumachen. Sie hob den Kopf auf wie einen Basketball, den ein Kind versehentlich über ihren Zaun geworfen hatte. Sie klemmte ihn sich unter den Arm und warf mir einen kurzen Blick zu, um sicherzugehen, dass ich noch im Schlepptau war.
Wir schlenderten geradewegs in die Küche. Gelassen. Unmenschlich. Sie griff unter die Spüle, holte einen weißen Plastikmüllsack heraus und ließ den Kopf hineinplumpsen. Dann, nachdem sie sich die Hände gewaschen hatte – sich die Hände gewaschen hatte! –, öffnete sie den Gefrierschrank und legte ihn hinein. »Sagen Sie es Bobbi nicht.« Sie bedeckte den Kopf mit Eis. »Sie weiß, dass er tot ist. Davon muss sie aber nichts erfahren … Hier.« Sie hielt einen Eisbeutel aus der Gefrierschranktür hoch, drückte ihn an meine Wange und wartete darauf, dass ich ihn nahm. Als ich das tat, näherte sie sich mit ihren Augen meinen auf wenige Zentimeter. »Sind Sie hier?« Ihre Stimme war jetzt weicher, ihr Gesichtsausdruck ebenfalls.
Ich wollte nicht schluchzen, es entwischte mir einfach.
Mostars Blick wurde härter. »Ich brauche Sie hier. Sind Sie hier?«
Ich richtete mich auf und nickte.
»Sie müssen sich auf das konzentrieren, was ich Ihnen beibringen werde« – ihre Hand immer noch auf meinem Gesicht – »denn das, was Sie heute getan haben, war egoistisch und verantwortungslos. Und dumm, weil Sie ohne eine richtige Waffe losgezogen sind.«