Im März 45 gewann Caesar auch die dritte große Bürgerkriegsschlacht. Er war der Sieger, wusste aber nichts mit dem Sieg anzufangen. Er wusste nicht einmal, wie er regieren wollte. Er versuchte es als Konsul, und er versuchte es als Diktator auf Zeit. Schließlich ließ er sich im Februar 44 zum Dictator perpetuus bestimmen. Er hatte da noch ziemlich genau einen Monat zu leben. Das Amt eines Diktators auf Lebenszeit war im republikanischen Rom nicht vorgesehen. Das Wesen des Diktatorenamtes bestand in seiner Kurzfristigkeit. Caesar karikierte mit diesem Novum eine Institution, mit deren Hilfe die Stadt in Krisenzeiten geführt werden sollte. Nur der Name blieb davon, ansonsten war Caesar nun ein Rex, auch wenn er diesen Titel nicht führen wollte, der seit Zeiten, an die sich niemand mehr erinnern konnte, verhasst war. Auch für die einfältigsten Senatoren wurde nun klar, dass es die Rückkehr zu einem Regiment des Senats nicht mehr geben würde. Dabei spielte es keine Rolle, dass ohnehin nur die wenigsten von ihnen Macht über ihren Landbesitz hinaus besaßen.
Caesar hatte die Übernahme des Königstitels erwogen. Die ablehnende Haltung des Senats war ihm sicher. So beschäftigte ihn mehr die mögliche Reaktion des Volkes, und er erprobte sie. Am Luperkalienfest des Jahres 44 trat er, lorbeerbekränzt und mit der Purpur-Toga angetan, dem Ornat der altrömischen Könige, in der Öffentlichkeit auf. Es war der 15. Februar und der erste Tag, an dem er, nach unserem Wissen, auch sein neues Amt als Diktator auf Lebenszeit ausübte. Auf dem Höhepunkt der Feier trat Marcus Antonius, der Konsul, zu Caesar, der auf der Rednerbühne auf einem goldenen Thron saß, um ihm das Diadem, das Signum hellenistischer Monarchen, aufs Haupt zu setzen. Antonius wollte spontanen Applaus provozieren, stattdessen waren auf dem Forum Buhrufe zu hören. Caesar scheint darauf vorbereitet gewesen zu sein. Er nahm das Diadem ab: König der Römer sei Jupiter allein. Im Staatskalender ließ er notieren, der Dictator perpetuus habe die ihm vom Volk angetragene Königswürde zurückgewiesen.
Cicero war Augenzeuge und nutzte das Ereignis später für seine Tiraden gegen Antonius.1 Jener habe bereits am Luperkalienfest Caesar getötet. Sicherlich war es der späteste Zeitpunkt, zu dem die Verschwörer wussten, dass es eine legale Rückkehr zur Republik nicht mehr geben würde. Es waren insgesamt 60 Senatoren, die sich zum Attentat entschlossen hatten. Sie sahen in Caesar die Inkarnation aller Übel der Zeit und hingen dem Glauben an, mit seinem Tod würden auch diese verschwinden. Sie personalisierten den Staat in Caesar und verkannten dabei, dass die alte Republik unwiderruflich untergegangen war und Caesar schon die neue Militärmonarchie verkörperte. Wer Caesar beerben würde, konnte niemand vorhersagen. Allein, der Senat würde es nicht sein. Cicero erkannte richtig, dass Antonius die große Gefahr darstellte: „Gewiss, Mannesmut haben wir bewiesen, aber, glaub’s nur, Kinderverstand. Gekappt ist der Baum, aber nicht mit der Wurzel ausgerottet“, schrieb er nach den Iden.2
Marcus Antonius war Caesars eigentlicher Nachfolger: Erbe und Schüler gleichzeitig. Er war es politisch und vor allem auch propagandistisch. Nach der Ermordung des Diktators war er der Einzige, der handelte. Er und seine Anhänger, die vormals diejenigen Caesars waren, machten das so stümperhaft ausgeführte Attentat erst zu dem tragischen Ereignis, das die Zeitgenossen und die Nachwelt bewegte. Wäre Caesar auf dem Partherzug verschollen oder wie sein Kollege im Triumvirat, Crassus, schmählich getötet worden, sein Nimbus erstrahlte nicht halb so hell. Antonius brauchte einen großen Toten, der ihm das Erbe sicherte und der ihn schützte. Noch in der Mordnacht begann er ihn zu schaffen. Er gab das Bild vor, das die Überlieferung, fassbar in Sueton und Plutarch, Appian und Cassius Dio, dann noch um mancherlei Detail bereicherte.
Wenn Große sterben, schickt der Himmel seine Vorzeichen. Pompeius musste ihrer entbehren, doch Caesar besaß sie, ebenso wie vor ihm schon Alexander Magnus. Feuer flammten am Firmament, Donner dröhnte weithin durch die Nacht. Vögel verließen ihre Einöde und ließen sich auf viel besuchten Marktplätzen nieder. Die Rosse, die Caesar anlässlich des Übergangs über den Rubicon den Göttern geweiht hatte, vergossen Tränen, ein Zaunkönig, der mit einem Lorbeerzweig im Schnabel in die Curia flog, wurde von anderen Vögeln verfolgt und zerrissen. In Capua fanden Kolonisten, die dank Caesar dort Land erhalten hatten, beim Umpflügen alter Gräber im Monument des Stadtgründers Capys eine Erztafel, auf der in griechischer Schrift und Sprache eine Prophezeiung stand: Wenn dereinst die Gebeine des Capys ans Licht der Welt kämen, werde ein Spross des Iulus von der Hand eines Blutsverwandten sterben, sein Tod aber bald durch schreckliche Heimsuchungen Italiens gerächt werden.3
Einige dieser Omina sind die üblichen Zutaten, andere sichtbar auf Caesar zugeschnitten. Caesars Propagandisten stellten nach den Iden ihre Arbeit nicht ein. Es wurden weiter Gerüchte gestreut und verbreitet. So unterbricht der Biograph Sueton seine Aufzählung der Vorzeichen, um eigens mitzuteilen, niemand dürfe das Omen aus Capua für fabelhaft oder erdichtet halten, kein geringerer als Cornelius Balbus, der familiarissimus Caesaris, sei sein Gewährsmann.4 Balbus leitete bekanntlich Caesars Informationsbüro.
Die Ermordung Caesars
Am 18. März wollte Caesar zu seinem Zug gegen das Reich der Parther aufbrechen. Vor drei Jahren würde er nicht mehr nach Rom zurückkehren. Ein Erstarken seiner Gegner fürchtete er dennoch nicht. Die Ämter waren auf Jahre hinaus an seine Gefolgsleute vergeben. Das Heer war bei ihm und auf ihn verpflichtet. 16 Legionen standen bereit und 10 000 Reiter.
Die Pläne reichten, wie gesehen, über eine Invasion des Partherreiches hinaus. Ein Reich vom einen Ende der bewohnten Welt bis zum anderen sollte entstehen; zumindest sollte seine Entstehung suggeriert werden. Caesars Weltreichsphantasien mischten sich mit Gerüchten, die seine Anhänger ausstreuten. Ein solch gigantisches Unternehmen, das seinesgleichen in der römischen Geschichte suchte, und eine so lange Abwesenheit des Diktators förderten Klatsch und Erfindungen. Caesars Gegner behaupteten, er plane eine Verlegung der Hauptstadt nach Troja, dem Herkunftsort seiner Ahnen, oder nach Alexandria, wo Kleopatra residierte.
Die Caesarianer ließen verbreiten, in den Sybillinischen Büchern stehe zu lesen, die Parther könnten nur durch einen König besiegt werden. Ein Gerücht produzierte das andere. Caesar wolle sich in der Senatssitzung vom 15. März, dem viertletzten Tag vor seiner Abreise, zum König krönen lassen, war das nächste.
Wo Gefahren lauern, mangelt es nicht an Warnungen. Ihrem Wesen nach sind sie, da post eventum entstanden, vergeblich. Sie dienen nur dazu, das Geschehen zu überhöhen. Die erste Legende gebiert die Tat selbst, weitere folgen. Je länger das Ereignis zurückliegt, desto mehr wissen die Quellen über seine Vorgeschichte. Probates Mittel zur Steigerung der Spannung sind Träume.
Die griechische Literatur hat die Person des Warners erfunden. Er wird großen Persönlichkeiten beigegeben, um sie (vergebens) von schwerwiegenden Fehlern abzuhalten. Der Perserkönig Xerxes, der die Warnungen des aus Sparta geflüchteten Königs Damaratos vor einer Invasion Griechenlands ausschlug, ist ein Beispiel.
Entsprechend Caesars Bedeutung dramatisiert eine Fülle von Warnungen das Geschehen vor den Iden. Die ersten Nachrichten sind so, dass sie aus Caesars Umfeld kommen konnten. Am Tag vor den Iden sinnierte er angeblich bei einem Gastmahl über den schönsten Tod und befand, dies sei der unerwartete. In der Nacht vor dem Attentat sprangen Türen und Fenster auf, heller Mondschein fiel ins Schlafzimmer. Er erwachte und hörte seine Frau Calpurnia in tiefem Schlaf unverständliche Worte ausstoßen. Sie träumte, der Giebel des Hauses stürze ein und – einer anderen Version zufolge – ihr Gemahl werde in ihren Armen erdolcht. Caesar selbst sah sich in einem Traum über den Wolken schweben und Jupiter die Hand reichen.5
Am Morgen des Attentats entschloss sich Caesar tatsächlich, der Senatssitzung fernzubleiben. Er fühlte sich nicht wohl. Erst Decimus Brutus, einer der Attentäter, drängte ihn, die versammelten Senatoren nicht warten zu lassen, und so machte er sich schließlich doch auf den Weg. Es war die fünfte Stunde, etwa 11 Uhr vormittags. Auf dem Weg wurde ihm ein Billet zugereicht, das ihn über die Verschwörung informieren sollte. Achtlos steckte er es zu den Akten, die er in der linken Hand hielt. Die letzte Warnung wurde nicht mehr gelesen.
Es war nicht zufällig Antonius, der Caesar in diesen letzten Stunden begleitete. Er sollte zunächst die Sitzung absagen, doch Caesar widerrief seinen ersten Entschluss. Allein Antonius hätte Caesar noch retten können, der seine Leibwache schon längst entlassen hatte. So glaubte es Cicero, so glaubten es die Verschwörer, so hat es vermutlich Antonius selbst verbreiten lassen.
Als Caesar den Senat betrat, erhoben sich die Anwesenden ehrerbietig von ihren Sitzen. Plutarchs Schilderung der letzten Minuten der Republik ist, wie so oft, die anspruchsvollste. Caesar begab sich zu seinem Platz, vor der Türe zum Saal fing einer der Verschwörer Antonius ab und verwickelte ihn in ein Gespräch. Hinter Caesars Sessel hatten sich bereits vorher einige Verschwörer platziert, andere begleiteten den Senator Tullius Cimber, der zum Schein ein Bittgesuch an Caesar richten wollte. Dieser schlug die Bitte barsch ab und verbat sich alle weiteren Nachfragen. Seine Antwort sei endgültig. Schließlich fasste Tullius, so Plutarch, Caesars Toga mit beiden Händen und riss sie ihm vom Hals. Dies war das verabredete Signal. Der erste Dolch traf ihn im Nacken. Er glitt ab. Zu sehr zitterte die Hand des Attentäters. Caesar vermochte ihn abzuwehren. Aber es waren zu viele Verschwörer. Sie umringten ihn und stachen mit den Schwertern, die sie unter dem Gewand verborgen hatten, auf ihn ein. Dreiundzwanzigmal wurde er getroffen. Die nicht eingeweihten Senatoren sahen erstarrt zu und flohen nach der Tat.
Über den letzten Augenblick gehen die Meinungen auseinander. Caesar soll so lange Widerstand geleistet haben, bis er Brutus unter den Attentätern erblickte. Dann habe er die Toga über den Kopf gezogen und sich in den Tod ergeben. Hier erwartet der Leser noch die Geschichte der letzten Worte: „Auch Du, Brutus!“ Sie blieben ungesprochen. Caesar hatte nicht mehr den Atem dafür. Sie sind eine späte Erfindung. Cassius Dio und Sueton, die dieses Zitat überliefern, bezeichnen es ausdrücklich als falsch. Caesar brach lautlos zusammen.6 Er starb zu Füßen des Sockels, auf dem die Pompeius-Statue stand. Sie wurde wiedergefunden und steht heute restauriert im Palazzo Spada. Auf keiner der späten Darstellungen des Geschehens fehlt sie. Als der Verlierer Pompeius in der frühen Kaiserzeit an Sympathie gewann, wurde der Zufall zum verspäteten Menetekel umgedeutet, Pompeius’ steinerne Anwesenheit zum letzten Triumph des Besiegten stilisiert. Kein Zweifel sei daran erlaubt, schreibt Plutarch, dass es göttliches Geschick war, das den Platz vor Pompeius’ Standbild als Richtstätte Caesars wählte. Als dessen Anhänger nach dem Sieg von Pharsalos alle Statuen des Pompeius umstürzten, hatte Caesar selbst den Befehl gegeben, sie wieder aufzustellen.
Die Überlieferung bekundet kein Wohlwollen für die Verschwörer. Eher scheint so etwas wie böser Spott durch. 60 Senatoren schaffen es nur mit Überraschung und Mühe, einen unbewaffneten Einzelnen niederzustechen. Dabei rufen sie um Hilfe und verwunden sich gegenseitig. Dass Caesar einigen von ihnen besonders vertraute, ihnen Ämter gab, sie förderte und sogar im Testament bedachte, verbesserte ihr Ansehen nicht. Mit der Sache, die solche Männer vertraten, konnte es nicht zum Besten stehen. Das Gerede vom Auftrag der Geschichte, vom Eid des Republikgründers Brutus, der das Volk verpflichtete, niemals mehr einen König zu dulden, war hohl, das Schlagwort von der Wiederherstellung der verlorenen Freiheit abgedroschen. Die Verschwörer waren Verlierer, waren gescheitert. Die nach-caesarianische Propaganda hatte leichtes Spiel mit ihnen. Es waren Caesars Erben, die das Bild seines tragischen Todes prägten. Die Allmacht des Diktators reichte nicht über die Iden hinaus.
Der kurze Abschied
Art und Umstände des Todes geben noch einem anderen Gedanken Raum: Caesar habe – ein letzter großer Showdown, der ihn unsterblich machen sollte – seinen eigenen Tod inszeniert. Diese Vorstellung ist so abenteuerlich, dass die Wissenschaft den Gedanken nicht zugelassen hat. Er wurde in die Literatur verbannt. Walter Jens, Professor für Allgemeine Rhetorik, veröffentlichte 1966 sein als Fernsehspiel bezeichnetes Stück Die Verschwörung. In ihm darf Caesar das, was ihm die Wissenschaft verweigert, nämlich eines planvollen Todes sterben. Niemand muss das glauben. Nur Caesar könnte den Beleg liefern, und die Erfahrung des Lebenswillens steht dagegen. Die Frage ist anders zu formulieren. Hat Caesar seinen Tod zugelassen? Dafür gibt es Anzeichen. Das haben schon die Zeitgenossen so gesehen, Caesars eigene Umgebung hat es ausgesprochen, wie wir durch Sueton7 wissen: „Bei manchen der Seinen hinterließ Caesar die Vermutung, er habe nicht länger leben wollen und keine Vorsorge getragen, weil er zuletzt nicht recht gesund war.“
Wenn Caesar die Vorzeichen nicht beachtete, wundert das nicht. Sie erschienen nur in der postumen Literatur. Warnungen jedoch gab es. Vermutlich waren es nicht so viele, wie später behauptet wurde. Aber selbstverständlich verfügte ein Diktator über einen Geheimdienst, wie auch immer er genannt wurde. Es gab ausreichend Gerüchte in Rom, die überprüft werden mussten. Wenn überhaupt ein Attentat durchgeführt werden sollte, musste dies bis zum 17. März geschehen. Danach war Caesar auf unabsehbare Zeit bei seinen loyalen Truppen. Er selbst wusste um seine Gegner. Schon längst machte er sich keine Illusionen mehr um die Haltung der Optimaten. Für sie gab es keine Versöhnung, allenfalls Anpassung, wie sie ein Cicero betrieb.
Sechzig, wie die Ereignisse während des Attentats zeigten, meist ängstliche Verschwörer waren eingeweiht, die Planungen liefen über Wochen. Es ist unmöglich, dass niemand aus Caesars mächtigem Apparat davon erfahren haben sollte. Der Diktator mag seine gewohnte Vorsicht vergessen haben, da er unmittelbar vor einer Reise stand, die seine letzte sein würde. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Warnungen ihn nicht interessierten, er ignorierte sie bewusst. Schon hatte er seine spanische Leibwache entlassen, trotz aller Bitten aus seiner Umgebung auch keine neue berufen.
Caesar war krank. Drei Jahrzehnte im Feld, davon 15 Jahre ununterbrochener Krieg, der ihn ständig an vorderster Front sah, hatten seine Gesundheit zerrüttet. Wir wissen von epileptischen Anfällen. Er hatte alle Kriege gewonnen, aber politisch war er gescheitert. Er wusste nicht mehr weiter, wusste nicht einmal, welchen Namen seine Herrschaft haben sollte. Bis eine neue, funktionierende gefunden wurde, sollte es noch Jahre dauern, bedurfte es weiterer Bürgerkriege und des Geschicks des Augustus, der aus Caesars Scheitern lernen konnte.
Die letzten Äußerungen Caesars lassen auf tiefe Resignation schließen, hinter der sich Angst verbarg. Es sei besser, sich den von allen Seiten drohenden Nachstellungen ein für allemal preiszugeben, als ständig auf der Hut sein zu müssen. Der Partherkrieg schien ein Ausweg. Was für Tiberius der Rückzug auf eine Felsspitze der Insel Capua war, war für Caesar der Feldzug in den fernen Osten. Der Krieg wurde ohne militärische Notwendigkeit geplant und relativ rasch vorbereitet. Caesar wollte am Ende seines Lebens das tun, was er am besten konnte, Krieg führen. Er habe bereits Macht und Ruhm im Übermaß erlangt, äußerte er in jenen Tagen.8 So rüstete er sich für die Unsterblichkeit. Caesar wäre aus diesem jahrelangen Krieg – die Ämter in Rom hatte er auf fünf Jahre im Voraus vergeben – nicht zurückgekehrt. Dazu war er zu krank. Cicero sprach es aus, allerdings erst nach dem Attentat: „Die Iden des März freuen mich nicht. ER wäre doch nie zurückgekehrt.“9
Caesar wusste von der Verschwörung. Daran kann kein Zweifel sein. Vielleicht kannte er nicht Tag und Stunde, vielleicht unterschätzte er auch die Verzweiflung seiner Gegner. Zudem lenkte ihn eine andere Furcht ab: Mit einer Niederlage im kommenden Krieg seinen sorgfältig gepflegten Feldherrnnimbus zu gefährden. Im Übrigen kam ihm die Verschwörung gelegen. Sie erhöhte die Spannung in einer ohnehin angespannten Atmosphäre. Caesar inszenierte seinen Abschied von Rom. Dazu war er auch bereit, ein großes Risiko einzugehen. Letztlich verkalkulierte er sich nur um drei Tage.
Der Erbe: Caesar und Antonius
Antonius’ große Stunde kam fünf Tage nach Caesars Tod. Er erwies sich als guter Schüler Caesars, jedenfalls hatte er gelernt, seine Auftritte geschickt vorzubereiten und wirkungsvoll zu gestalten. In Walter Jens’ Verschwörung gibt Caesar selbst ihm noch alle Anweisungen für die öffentliche Verkündigung des Testaments. Antonius hatte dies freilich nicht nötig, seine Rede vom 20. März ist, zumindest in der Wirkung, eine der bedeutendsten der ganzen Antike. Er stellte damit die Weichen gegen die Caesarmörder und – ohne sein Wissen und Wollen – für Octavian, den späteren Kaiser Augustus.
Unmittelbar nach dem Mord war Antonius zunächst geflohen. Er konnte die Stärke der Caesarmörder nicht einschätzen. Aber noch in derselben Nacht ließ er den Staatsschatz aus dem Tempel der Ops in sein Privathaus schaffen, Calpurnia vertraute ihm Caesars Papiere an. Seine Lage verbesserte sich weiter, als immer mehr Veteranen in die Stadt strömten. Sie brauchten einen neuen Patron, der sich ihrer Versorgung annahm. Als einzigem verbliebenem Konsul lag die Exekutive bei Antonius, und so berief er für den 17. März den Senat in den Tempel der Tellus. Vor dem drohenden Bürgerkrieg schützte nur noch ein Kompromiss. Antonius ging ihn so ein, dass alle Vorteile auf seiner Seite lagen. Die Stimmung des Volkes war gegen die Caesarmörder. Vor allem aber saßen sie „ideologisch“ in der Falle. Um ihre Tat als Akt der Befreiung stilisieren zu können, musste der Senat Caesar zum Tyrannen erklären. Dann aber besaßen alle seine Maßnahmen keine Gesetzeskraft mehr. Wer ein Amt hatte, verlor es, die bereits auf Jahre designierten Magistrate hätten sich erneut bewerben müssen, nun vermutlich mit geringen Chancen. So blieben auf Senatsbeschluss Caesars Anordnungen in Kraft, das Attentat war damit keine Befreiung, sondern Mord. Statt gefeiert zu werden, wurden die Verschwörer nur amnestiert.
Antonius organisierte Caesars Leichenbegängnis als das größte Massenspektakel der Republik. Er vergaß nichts, was seinem Ziel dienen konnte, sich als Nachfolger Caesars zu präsentieren. Der tote Diktator wurde verhüllt auf der Rednerbühne aufgebahrt, für das Publikum war eigens eine Nachbildung aus Wachs angefertigt worden. Antonius hatte darauf bestanden, auch die 23 Wunden mit abzubilden. Er führte Regie. Es war seine Stunde. Stimmung gegen die Caesarmörder zu machen, fiel nicht mehr schwer, nachdem Caesars Testament veröffentlicht war, in dem er jedem Bürger ein Geldgeschenk von 300 Sesterzen vermachte.
Zum Redner bestimmt, sprach Antonius „als Konsul für den Konsul, als Freund für den Freund, als Verwandter für den Verwandten“. Appian hat die Rede in ihren Grundzügen überliefert, auch wie sich Antonius immer wieder unterbrach, Ehrenbeschlüsse für Caesar vorlesen ließ, auf die Leiche wies und am Wachsbild die Verwundungen zeigte. Es spricht nichts dagegen, dass der Historiker das Original der Rede vor sich hatte. Leichenreden, die laudationes funebres, wurden häufig veröffentlicht, und Appian lebte und schrieb an dem Ort, an dem Antonius sein letztes Jahrzehnt verbrachte, in Alexandria. Shakespeare besaß neben Plutarchs Viten auch eine englische Übersetzung von Appians „Bürgerkrieg“, und er verdichtete, was dieser schrieb, zu einer großartigen Rede. Caesar lieferte ein letztes Mal den Stoff für große Dramen.10
Antonius: Landsleute, Römer, Freunde, hört mich an;
Begraben will ich Caesar, nicht ihn rühmen.
Was Menschen Böses tun, das überlebt sie,
Das Gute fällt ins Grab mit ihren Knochen.
So sei’s mit Caesar auch. Der edle Brutus
Hat euch gesagt, Caesar war herrschsüchtig.
Und war das so, so war’s ein bittrer Fehler,
Und bitter hat ihn Caesar auch gesühnt.
Hier, mit Verlaub von Brutus und den andern
(Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann,
Wie alle; alles ehrenwerte Männer!),
Will ich nun Caesars Leichenrede halten.
Er war mein Freund, treu und gerecht zu mir;
Und doch sagt Brutus, er war herrschsüchtig,
Und Brutus ist ein ehrenwerter Mann. –
Gefangene viel hat er nach Rom gebracht,
Ihr Lösegeld füllte der Gemeinde Säckel:
Sah das an Caesar wohl nach Herrschsucht aus?
Und wenn die Armen schrien, weinte Caesar,
Die Herrschsucht sollt’ aus härtrem Holz geschnitzt sein;
Und doch sagt Brutus, er war herrschsüchtig,
Und Brutus ist ein ehrenwerter Mann.
Ihr alle saht, wie bei den Luperkalien
Ich dreimal ihm die Königskrone anbot,
Die schob er dreimal fort. War das die Herrschsucht?
Und doch sagt Brutus, er war herrschsüchtig,
Und er ist sicherlich ein ehrenwerter Mann.
Ich spreche nicht, Brutus zu widersprechen,
Ich steh nur hier, zu sagen, was ich weiß. –
Ihr alle hattet ihn einst lieb, nicht grundlos.
Nun, welcher Grund hemmt euch, um ihn zu trauern?
O Urteilskraft, du flohst zum blöden Vieh,
Und Menschen sind von Sinnen! – Habt Geduld,
Mein Herz ist dort in diesem Sarg bei Caesar,
Und ich muss warten, ob es wiederkommt.11